Der ungezähmte Highlander (ePub)
Murray Family Serie, Band 11
Liam Cameron wähnt sich im siebten Himmel, denn die Frau an seinem Bett sieht aus wie ein Engel. Doch seine Schmerzen bringen ihn schnell wieder auf die Erde zurück. Keira Murray MacKail, die Witwe eines Lairds, hat ihm das Leben gerettet und ihr zuliebe...
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Produktinformationen zu „Der ungezähmte Highlander (ePub)“
Liam Cameron wähnt sich im siebten Himmel, denn die Frau an seinem Bett sieht aus wie ein Engel. Doch seine Schmerzen bringen ihn schnell wieder auf die Erde zurück. Keira Murray MacKail, die Witwe eines Lairds, hat ihm das Leben gerettet und ihr zuliebe würde er sich sofort wieder in die Schlacht stürzen. Schon sehr bald bekommt er die Gelegenheit dazu, als seine Retterin ihn verzweifelt um Hilfe bei der Rettung ihres Dorfes vor grausamen Plünderern bittet.Doch der härteste Kampf steht Liam noch bevor: der Kampf um Keiras Vertrauen – und um ihre Liebe.''Nur wenige beschreiben die schottischen Highlands so liebevoll und farbig wie Hannah Howell.'' Publishers Weekly
Lese-Probe zu „Der ungezähmte Highlander (ePub)“
Der ungezähmte Highlander von Hannah Howell1
Schottland, Frühling 1475
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Warum steht ein Engel neben Bruder Matthew?, dachte Liam, als er durch seine dichten Wimpern die zwei Gestalten betrachtete, die sorgenvoll auf ihn heruntersahen. Und warum konnte er seine Lider nicht aufheben? Dann setzte der Schmerz ein, und Liam begann zu stöhnen. Bruder Matthew und der Engel kamen näher.
»Glaubst du, dass er es überlebt?«, fragte Bruder Matthew.
»Aye«, erwiderte der Engel. »Auch wenn es ihm vermutlich noch ein Weilchen lieber sein würde, es nicht getan zu haben.«
Wie seltsam. Die Stimme dieses Engels ließ Liam an eine in sanftes Kerzenlicht getauchte Schlafkammer denken, an weiche, nackte Haut und dicke Felle. Er versuchte, die Hand zu heben, doch selbst diese winzige Bewegung löste unerträgliche Schmerzen aus. Er hatte das Gefühl, als hätte ihn ein Pferd niedergetrampelt, vielleicht auch mehrere. Sehr große Pferde.
»Er ist ein hübscher Bursche«, sagte der Engel und streichelte mit einer kleinen, sanften Hand Liams Stirn.
»Woher willst du das wissen? Er sieht aus, als ob ihn jemand in den Boden genagelt hätte und dann mit einer Herde Pferde über ihn hinweggeritten wäre.«
Bruder Matthew und er hatten oft ähnliche Gedanken. Er gehörte zu den wenigen Männern, die Liam vermisst hatte, nachdem er das Kloster verlassen hatte. Jetzt vermisste er die weiche Hand des Engels. Auch wenn sie nur kurz seine Stirn gestreichelt hatte, schien diese sanfte Berührung seinem Schmerz die Schärfe genommen zu haben.
»Stimmt«, erwiderte der Engel. »Trotzdem kann man sehen, dass er groß, sehnig und wohlgebaut ist.«
»Solche Dinge sollten dir nicht auffallen.«
»Meine Güte, Cousin, ich bin doch nicht blind!«
»Das mag sein, aber trotzdem schickt es sich nicht. Und du weißt, dass er sich momentan nicht in bester Verfassung befindet.«
»Wohl wahr. Aber wenn er wiederhergestellt ist, sieht er bestimmt blendend aus, oder? Vielleicht sogar so gut wie unser Cousin Payton, was meinst du?«
Bruder Matthew schnaubte verächtlich. »Besser. Um ehrlich zu sein, habe ich deshalb auch nie gedacht, dass er bei uns bleiben würde.«
Warum sollte sein Äußeres jemanden auf den Gedanken bringen, dass er für das Leben im Kloster nicht geschaffen war? Liam fand das ungerecht, konnte seine Meinung aber nicht kundtun. Trotz seiner Schmerzen konnte er klar denken. Es wollte ihm nur nicht gelingen, seine Gedanken in Worte zu fassen oder sich zu bewegen, um zu verdeutlichen, dass er das Gespräch mitbekam. Obwohl er sie durch seine Wimpern hindurch ansehen konnte, waren seine Lider offensichtlich nicht weit genug aufgeschlagen, um die beiden wissen zu lassen, dass er wach war.
»Du glaubst also nicht, dass er sich wirklich berufen gefühlt hat?«, fragte der Engel.
»Nay«, erwiderte Bruder Matthew. »Er beschäftigte sich zwar gern mit Büchern, und er besitzt auch eine rasche Auffassungsgabe, aber wir konnten ihm hier nicht viel beibringen. Wir sind nur ein kleines Kloster, nicht reich, und keine große Bildungsstätte. Außerdem glaube ich, dass es ihm hier zu still und zu friedlich war. Er hat seine Familie vermisst. Da ich ein paar seiner männlichen Blutsverwandten kennengelernt habe, kann ich das gut verstehen. Es sind alles laute - na ja, ziemlich wilde Burschen. Das Studium hat Liams Ruhelosigkeit eine Weile gebremst, aber letztlich nicht ausreichend. Ich glaube, das stille, täglich gleichbleibende Ritual, die Eintönigkeit des Tagesablaufs hat auf sein Gemüt gedrückt.«
Liam war überrascht, wie gut sein alter Freund ihn kannte und verstand. Er war tatsächlich ruhelos gewesen, und er war es in gewisser Weise noch immer. Die Ruhe im Kloster, der starre Tagesablauf des klösterlichen Lebens hatten begonnen, ihn niederzudrücken und ihn eher erstickt als gestützt. Und seine Familie hatte er wirklich sehr vermisst. Einen Moment lang war er froh, dass er nicht reden konnte, denn er fürchtete, dass er sonst wie ein verzweifeltes Kind nach seinen Verwandten gefragt hätte.
»Es ist bestimmt nicht leicht«, sagte der Engel. »Es hat mich sehr gewundert, dass du dich so gut in dieses Leben eingefügt hast. Aber du fühlst dich tatsächlich berufen, oder?«
»Aye«, erwiderte Bruder Matthew schlicht. »Das habe ich sogar schon als Kind getan. Aber glaub ja nicht, dass ich euch nicht vermisse, Keira. Manchmal tue ich das sogar schmerzlich, obgleich unsere Bruderschaft auch eine Art Familie ist. Dennoch werde ich euch vielleicht bald einmal besuchen. Ich habe mich in letzter Zeit oft gefragt, wie groß die Kinder mittlerweile sind und ob alle gesund und munter sind. Briefe können so etwas nicht wirklich zeigen.«
»Das stimmt«, seufzte Keira. »Ich vermisse sie auch schrecklich, und dabei bin ich erst ein halbes Jahr weg.«
»Keira«, wiederholte Liam den Namen in seinem Kopf. Ein schöner Name. Er versuchte, seinen Arm zu bewegen, auch wenn es wehtat, und verspürte einen Anflug von Panik, als sein Arm dem Befehl nicht gehorchen wollte. Dann merkte er, dass er am Bett angebunden war, was sein Unbehagen verstärkte. Warum hatten sie ihn angebunden? Warum wollten sie nicht, dass er sich bewegte? Waren seine Verletzungen so schwer? Irrte er sich, wenn er dachte, sie wollten ihm helfen? War er in Wahrheit ihr Gefangener? Während ihm diese Fragen im Kopf herumschwirrten, kämpfte er gegen die Schmerzen an und zerrte an seinen Fesseln. Ein Stöhnen entkam ihm, als ihn ein stechender Schmerz durchzuckte. Er beruhigte sich erst wieder, als kleine, weiche Hände sich auf ihn legten, eine Hand auf seine Stirn, die andere auf seine Brust.
»Ich glaube, er wacht allmählich auf, Cousin«, sagte Keira zu Matthew, und zu Liam: »Keine Sorge, Sir, alles wird gut.«
»Gefesselt«, stieß Liam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Schmerz beim Reden sagte ihm, dass sein Gesicht viele Schläge abbekommen haben musste. »Warum?«
»Damit du dich nicht bewegst, Liam«, sagte Bruder Matthew. »Keira glaubt zwar, dass nur dein rechtes Bein gebrochen ist, aber du hast so heftig um dich geschlagen, dass wir uns Sorgen machten.«
»Aye«, pflichtete ihm Keira bei. »Ihr seid halb tot geprügelt worden, Sir. Am besten verhaltet Ihr Euch möglichst ruhig, um Eure Schmerzen nicht zu vergrößern. Habt Ihr große Schmerzen?«
Liam entfuhr ein derber Fluch ob dieser ihm völlig idiotisch erscheinenden Frage. Er hörte Bruder Matthew vor Schreck nach Luft schnappen. Zu seiner Überraschung lachte Keira leise.
»Es war wirklich eine dumme Frage«, sagte sie, mit einem Lachen in der sinnlichen Stimme. »An Euch ist kaum eine Stelle, die nicht von Blutergüssen schillert, und Euer rechtes Bein ist gebrochen. Es ist allerdings ein recht sauberer Bruch, den ich wieder eingerichtet habe. Es ist drei Tage her, und um den Bruch oder im Blut zeigt sich kein Gift, das Bein sollte also gut ausheilen.«
»Liam, ich bin's, Bruder Matthew. Keira und ich haben dich in das kleine Cottage am Rand des Klostergeländes gebracht. Die Brüder ließen es nicht zu, dass Keira sich im Kloster um deine Wunden kümmerte.« Er seufzte. »Sie waren nicht gerade erfreut über ihre Anwesenheit, obwohl sie gut im Gästetrakt versteckt war. Vor allem Bruder Paul hat sich sehr aufgeregt.«
»Aufgeregt?«, murrte Keira. »Unsere Cousine Elspeth hätte gesagt, er ... «
»Aye«, fiel ihr Bruder Matthew hastig ins Wort. »Ich weiß, was unsere Cousine gesagt hätte. Ich glaube, sie hat zu lange bei diesen ungehobelten Armstrongs gelebt. Für eine Lady hat sie mittlerweile ein viel zu loses Mundwerk.«
Keira schnaubte abfällig. »Meine Güte, du bist aber wirklich fromm geworden, Cousin.«
»Natürlich, ich bin ein Mönch, wir werden hier zur Frömmigkeit erzogen. Wenn du möchtest, helfe ich dir, Liam einen Heiltrank einzuflößen oder seine Verbände zu wechseln, aber dann muss ich wieder ins Kloster.«
»Na gut, am besten siehst du mal nach, ob er sich erleichtern muss«, sagte Keira. »Ich gehe kurz raus, dann kannst du dich darum kümmern. In der Zwischenzeit werde ich mich im Klostergarten nach ein paar Kräutern umsehen. Ich bin gleich wieder da.«
»Wie soll ich das denn machen?«, fragte Bruder Matthew, doch die einzige Antwort war die Tür, die sich hinter Keira schloss. »Freches Ding«, murrte er erbittert.
»Cousine?«, fragte Liam und merkte, dass nicht nur sein Hals verletzt war, sondern auch sein Kiefer und sein Mund.
»Cousine? Ach so, ja, das Mädchen ist eine Cousine von mir, eine aus der gewaltigen Horde von Cousinen, um ehrlich zu sein. Eine Murray, du weißt schon.«
»Kirkaldy?«
»Aye, das ist mein Clan. Wie der ihrer Großmutter. Aber jetzt müssen wir sehen, ob wir diese Sache hinkriegen. Ich fürchte, es wird dir wehtun, egal, wie behutsam ich bin.«
Es tat weh. Liam schrie auf, was seine Schmerzen allerdings nur noch verschlimmerte. Er war froh, als ihn wieder die Dunkelheit umfing, und der gute Bruder Matthew, der gar nicht aufhören konnte, sich zu entschuldigen, war es ebenso.
»Oh je, er sieht ein bisschen blasser aus«, bemerkte Keira, nachdem sie ihre Kräuter auf einen Tisch gelegt hatte und an das schmale Bett getreten war, an das Liam angebunden war.
»Er hat noch immer große Schmerzen. Und ich fürchte, ich habe sie noch vergrößert«, meinte Bruder Matthew.
»Du kannst nichts dafür, Cousin. Es geht ihm zweifellos besser, aber solche Verletzungen brauchen Zeit, um zu heilen. An diesem Mann ist wohl kaum ein unversehrter Teil. Es ist ein wahres Wunder, dass nur sein Bein gebrochen ist.«
»Bist du dir sicher, dass er nur verprügelt wurde? Oder dass er überhaupt verprügelt wurde?«
»Aye, Cousin, er ist verprügelt worden, daran besteht kein Zweifel. Aber vielleicht wurde er diesen Hügel auch hinuntergestoßen. Manche Verletzungen könnten von dem felsigen Hang, den er hinuntergerollt, und von dem felsigen Boden, auf dem er schließlich aufgeschlagen ist, herrühren. Bislang hat er dir wohl noch nicht sagen können, was ihm zugestoßen ist, oder?«
»Nay. Er hat kaum ein Wort gesagt, dann hat er vor Schmerzen geschrien, und seitdem ist sein Zustand unverändert.« Bruder Matthew schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte mir einen Reim darauf machen. Wer tut ihm so etwas Schreckliches an? Seit er vor Jahren das Kloster verlassen hat, habe ich zwar nicht viel von ihm gesehen, aber im Grunde ist er keiner, der sich Feinde macht, noch dazu solche heimtückischen Feinde.«
Keira überprüfte die Stricke, mit denen Liam ans Bett angebunden war, und musterte ihn. »Vermutlich ist er schon öfters der Eifersucht begegnet.«
Bruder Matthew runzelte die Stirn. Seine Cousine schien ein reges Interesse an Liam Cameron zu haben, weit mehr, als eine Heilerin an ihrem Kranken haben sollte. Eine Heilerin musste doch bestimmt nicht ständig seine Haare berühren, so oft wie Keira Liams dichtes, kupferfarbenes Haar. Liam sah wahrhaftig nicht besonders gut aus, die Prügel hatten ihm einiges von seiner Schönheit genommen; doch offenbar besaßen sein zerschlagener Körper und sein übel zugerichtetes Gesicht noch genügend Reize für Keira.
Er versuchte, Keira als erwachsene Frau zu sehen und nicht als die Cousine, mit der er als Kind gespielt hatte. Verblüfft stellte er fest, dass seine Cousine kein Kind mehr war, sondern eine sehr attraktive Frau. Sie war klein und schlank, und dennoch weiblich, denn ihre Brüste waren voll und wohlgeformt und ihre Hüften hübsch gerundet. Ihre dichten, glänzend schwarzen Haare waren zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr auf dem Rücken bis über die schmale Taille herabhing. Ihre helle Haut wirkte durch das Schwarz der Haare noch reiner, cremeweiß mit einem Anflug von gesunder Farbe. Ihr ovales Gesicht war von einer zarten Schönheit, die Nase klein und gerade, das kleine Kinn kraftvoll und energisch, ihre Wangenknochen waren hoch und fein konturiert. Am auffälligsten waren jedoch ihre tiefgrünen Augen unter sanft geschwungenen dunklen Brauen, gerahmt von dichten langen Wimpern. In diesen großen Augen lag Unschuld, doch gleichzeitig versprach ihre Tiefe all die weiblichen Mysterien, die einen Mann in ihren Bann zogen. Überrascht stellte Matthew fest, dass ihr Mund denselben Widerspruch spiegelte. Ein Lächeln der vollen Lippen konnte die absolute Verkörperung von Unschuld sein, doch - wie er plötzlich feststellte - würde jeder Mann ihre Sinnlichkeit sofort wahrnehmen. Und er befürchtete, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, Keira zu bitten, sich um einen Mann wie Liam Cameron zu kümmern.
»Du machst auf einmal ein so seltsames Gesicht, Cousin«, sagte Keira und machte sich daran, eine Salbe für Liams Verletzungen herzustellen. »Er wird nicht sterben, das verspreche ich dir. Es wird nur eine ganze Weile dauern, bis er wieder vollkommen genesen ist.«
»Das glaube ich dir. Es ist nur so - na ja, etwas, was Liam am Klosterleben besonders schwergefallen ist, war, dass ... «
»... dass er keine Mädchen anlächeln konnte.« Keira grinste über seine besorgte Miene, die zu seinem jungenhaft hübschen Gesicht schlecht passen wollte. »Ich glaube, dieser Mann hat ähnlich wie unser Cousin Payton ziemlich viel Erfolg bei Frauen. Und eigentlich reicht es schon, wenn er sie anlächelt.«
»Ich glaube, er braucht nicht einmal zu lächeln«, grummelte Bruder Matthew.
»Nay, wahrscheinlich nicht. Na komm schon, Cousin, schau nicht so besorgt. Jetzt kann er mir nicht gefährlich werden, oder? Und wenn er wieder lächeln kann, kann er mir nur gefährlich werden, wenn ich das will. Glaubst du etwa, dass meine Familie mich nicht darauf vorbereitet hat, wie ich mit Männern umzugehen habe?« Sie warf einen Blick in Richtung Liam. »Ist er ein schlechter Mann? Ein tückischer, herzloser Verführer unschuldiger Herzen?«
Bruder Matthew seufzte. »Nay, das glaube ich nicht.«
»Dann besteht doch kein Grund zur Sorge, oder? Wir sollten uns den Kopf lieber über all unsere anderen Sorgen zerbrechen. Sie sind viel wichtiger als die Frage, ob ich dem süßen Lächeln eines hübschen Jungen widerstehen kann oder nicht. Ich bin jetzt schon fast zwei Monate hier, Cousin. Von meinem Feind habe ich in dieser Zeit nichts gesehen, und deshalb denke ich, dass ich bald versuchen sollte, nach Donncoill zurückzukehren.«
»Ich weiß. Es wundert mich allerdings, dass keiner deiner Verwandten gekommen ist, um dich zu holen. Ist es nicht seltsam, dass sie sich nicht fragen, warum du dich so lange in einem Kloster aufhältst oder warum die Mönche es überhaupt zulassen?«
Keira unterdrückte ihr schlechtes Gewissen. Sie hatte ihn nämlich im Glauben gelassen, dass sie mit ihrer Familie in Verbindung stand. »Es ist doch nicht ungewöhnlich, dass Gäste - männliche oder weibliche - im Gästetrakt verweilen, und ich bezahlte auch gut dafür.«
Sie lächelte und tätschelte seinen Arm, als er verlegen errötete. »Das ist es mir wert. Ich musste mich verstecken und meine Wunden heilen lassen, und ich musste meinen Kummer und meine Angst überwinden. Vor allem aber musste ich sicher sein, dass wenn ich nach Hause ging, ich diesen mordlustigen Dreckskerl Rauf nicht direkt nach Donncoill führte.«
»Deine Familie würde dich doch beschützen, Keira. Sie würden es als ihre Pflicht und als ihr Recht erachten, und es wird sie nicht freuen, wenn du es ihnen verwehrst.«
Keira zuckte zusammen. »Ich weiß, aber lass das nur meine Sorge sein. Ich musste mir auch überlegen, was ich als Nächstes tun wollte. Duncan hat mir ein Versprechen abgenommen, und ich musste gut darüber nachdenken, wie ich es erfüllen kann und was es mich kosten wird.«
»Ich weiß, dass das nicht leicht sein wird. Rauf ist gerissen und verschlagen. Dennoch gelobtest du deinem Ehemann, dafür zu sorgen, dass seine Leute nicht unter Raufs Herrschaft litten, falls er die Schlacht in dieser Nacht verlor. Er verlor. Und er starb in dieser Nacht, also kommt dein Versprechen dem gleich, das du einem Mann auf dem Totenbett gabst. Du musst jetzt alles in deiner Macht Stehende tun, um es zu erfüllen.« Er küsste sie auf die Wange, dann schickte er sich an zu gehen. »Wir sehen uns morgen früh. Schlaf gut!«
»Du auch, Cousin.«
Als er gegangen war, seufzte Keira auf und setzte sich auf den kleinen Stuhl neben Liam Camerons Bett. Aus dem Mund ihres Cousins klang immer alles so einfach. Das Versprechen, das sie ihrem armen glücklosen Ehemann gegeben hatte, lastete schwer auf ihrer Seele. Und auch das Schicksal der Menschen von Ardgleann war ihr nicht gleichgültig. Duncan hatte sich immer um seine Leute gekümmert. Es bedrückte sie, wenn sie daran dachte, wie sehr sie jetzt unter Raufs Herrschaft leiden mussten. Sie betete jede Nacht für sie, aber das zerstreute ihre Schuldgefühle nicht, dass sie weggelaufen war. Auch wenn manches, worum Duncan sie gebeten hatte, nicht richtig gewesen war, konnten die Menschen von Ardgleann nicht mehr warten, bis sie endlich Richtig gegen Falsch abgewogen hatte. Es war Zeit zu handeln - allerhöchste Zeit!
Gedankenverloren wusch sie Liam mit einem weichen Tuch und kaltem Wasser. Er hatte zwar kein Fieber, aber er schien ruhiger zu werden. Der Mann war stark, er würde sich bestimmt bald erholen. Bis er alleine zurechtkommen konnte, sollte sie wissen, was wegen Ardgleann und Rauf zu tun war. Sobald sie herausgefunden hatte, warum Liam verletzt worden war, und sich sicher war, dass ihm kein Feind nachstellte, würde sie ihn der Pflege der Mönche überlassen und sich ihrem eigenen Schicksal stellen.
Als sie daran dachte, diesen Mann zu verlassen, verspürte sie einen schmerzhaften Stich. Beinahe hätte sie lachen müssen. Sir Liam war von Kopf bis Fuß mit Blutergüssen übersät und hatte in drei Tagen kaum drei Worte geredet. Wahrscheinlich fühlte sie sich ihm auf eine merkwürdige Weise verbunden, weil sie ihn gefunden hatte. In Wahrheit aber hatte sie eine seltsame Mischung aus Träumen und innerem Drang zu ihm geführt. Es war ein wenig beängstigend gewesen, denn obgleich sie früher schon ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, war ihr noch nie alles so klar erschienen, und sie hatte es nie so stark empfunden. Selbst jetzt wurde sie das Gefühl kaum los, dass es nicht nur darum ging, diesem Mann bei der Genesung zur Seite zu stehen.
»Dumme Gans!«, murrte sie kopfschüttelnd und trocknete ihn mit einem weichen Handtuch ab.
Vielleicht sollte sie seine Leute benachrichtigen, dachte sie, während sie eine kräftige Brühe zubereitete, die sie ihm einflößen wollte, wenn er aufwachte. Den Worten ihres Cousins hatte sie entnommen, dass Sir Liams Verwandte sehr wohl imstande sein würden, ihn zu schützen. Doch dann verwarf sie diesen Gedanken rasch wieder, und zwar aus demselben Grund, den sie ihrem Cousin genannt hatte, als er ihr vorgeschlagen hatte, die Camerons zu rufen. Sir Liam wollte das vielleicht gar nicht, womöglich wollte er seine Familie nicht in den Ärger verwickeln, den er sich eingehandelt hatte. Das konnte sie gut verstehen, denn auch sie zögerte, ihre Familie mit ihren Sorgen zu behelligen.
Freilich war auch das töricht. Schließlich hatte sie nichts Unrechtes getan, sie hatte den Ärger nicht verursacht und die Gefahr nicht heraufbeschworen. Wenn einer ihrer Verwandten in eine solche Notlage geraten wäre, wäre sie ihm bereitwillig zu Hilfe geeilt. Aber gerade deshalb hätte so ein Verwandter wohl auch gezögert, sie davon in Kenntnis zu setzen, dachte sie und musste kurz grinsen. Man neigt eben dazu, diejenigen zu schützen, die man liebt. Würde ihre Familie erfahren, dass sie sie vorsätzlich draußen vor gelassen hatte, würden sie zornig sein und vielleicht auch ein wenig beleidigt oder gekränkt, aber sie würden es verstehen, denn im Grunde hätten sie wahrscheinlich genauso gehandelt.
Und wenn dieser Mann seiner Familie so nahe stand, wie es ihr Cousin angedeutet hatte, würde er sich genauso verhalten. Bei ihrer letzten Begegnung mit ihrer Cousine Gillyanne hatte sie einiges über die Camerons erfahren. Auch wenn die Geschichten ziemlich lustig gewesen waren, hatten sie doch gezeigt, dass sich auch die Camerons sehr nahe standen. Außerdem durfte man Sir Liams männlichen Stolz nicht vergessen. Zweifellos würde es ihn ärgern, wenn man ihn so behandelte, als ob er nicht alleine zurechtkäme. Nein, beschloss Keira, es war keine gute Idee, seine Familie ohne seine Einwilligung zu benachrichtigen.
Nach einem Abendessen aus Brot, Käse und kaltem Wildbret nahm sie ein hastiges Bad und legte sich auf ihren Strohsack am Feuer zur Ruhe. Sie starrte in die Flammen und wartete auf den Schlaf. Diese nächtlichen Stunden, die Stille und die Tatsache, dass der Schlaf so lange auf sich warten ließ, waren ihr zutiefst verhasst; denn dann war sie allein mit ihren Erinnerungen. So sehr sie sich bemühte, sie konnte sich dem Griff dieser düsteren Vergangenheit nicht entziehen. Sie konnte sie nur eine Weile unterdrücken.
Duncan war ein guter Mann gewesen, stattlich und sehr freundlich. Sie hatte ihn nicht geliebt, was ihr noch immer Gewissensbisse bereitete, auch wenn es nicht ihre Schuld war. Doch mit fast zweiundzwanzig Jahren hatte sie beschlossen, nicht mehr auf die große, leidenschaftliche Liebe warten zu wollen. Sie hatte sich Kinder gewünscht und ein eigenes Heim. Obwohl sie ihre Familie innig liebte, hatte sie immer deutlicher das Bedürfnis verspürt, ihre Schwingen auszubreiten und eigene Wege zu gehen. Die Ehe bescherte einer Frau gewöhnlich keine Freiheit, doch instinktiv hatte sie gewusst, dass Duncan nicht versuchen würde, sie zu beherrschen. Er hatte eine treue Gefährtin gesucht, und da sie wusste, wie selten so etwas war, hatte sie ihm ihr Jawort gegeben, als er sie gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wolle.
Sie wusste noch gut, dass ihre Familie einige Zweifel gehegt hatte, vor allem hatten es ihre Großmutter Lady Maldie und ihre Cousine Gillyanne. Ihre besondere Gabe hatte ihnen geweissagt, dass sie den Mann, den sie bald heiraten würde, nicht liebte. Sie hatten ihr Unbehagen gefühlt, das sie sich selbst kaum erklären konnte. Vielleicht wäre es besser gewesen, die beiden hätten sie stärker bedrängt, von dieser Heirat abzusehen? Doch gleich, nachdem ihr dieser Gedanke gekommen war, schalt sie sich. Sie hatten ihre Wahl respektiert, und es war tatsächlich ihre Wahl gewesen.
Warum sie sich von dem Moment an, als sie Duncans Heiratsantrag angenommen hatte, unbehaglich gefühlt hatte, war ihr bis zu diesem Tag ein Rätsel. Sie hatte das Unbehagen verdrängt und Duncan geheiratet. Schon wenige Stunden nach der Hochzeit hatte sich abgezeichnet, dass es Schwierigkeiten zwischen ihnen geben würde, und wenige Tage nach ihrer Ankunft auf Ardgleann hatte der Ärger mit Rauf begonnen. Sie hatte geglaubt, dass das all ihre merkwürdigen Gefühle erklärte, aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Sie war vielmehr von der seltsamen Gewissheit erfüllt, dass das Rätsel noch nicht gelöst war.
Als sie sich endlich entspannte und den tröstlichen Schlaf kommen spürte, stieß Sir Liam einen rauen Schrei aus, der sie heftig zusammenzucken ließ. Sie zupfte ihr Nachthemd zurecht und eilte zu ihm. Er zerrte wieder an seinen Stricken und fluchte wüst auf Feinde, die nur er sehen konnte. Sie strich ihm über die Stirn und redete besänftigend auf ihn ein. Immer wieder erklärte sie ihm, wo er sei, wer sich nun um ihn kümmere und dass er in Sicherheit sei. Es wunderte sie fast ein wenig, wie rasch er sich beruhigte.
»Jolene?«, wisperte er.
Keira fragte sich, warum es sie so ärgerte, dass sie den Namen einer anderen Frau aus seinem Mund hörte. »Nay, Keira«, sagte sie und legte die Hand auf die seine, um ihn daran zu hindern, weiter an den Stricken zu zerren.
»Keira«, wiederholte er und nahm ihre Hand in seine. »Aye, Keira. Schwarze Haare. Hat mich verwirrt. Ich dachte, ich wäre daheim, auf Dubheidland.«
»Ach so. Ist sie dort die Heilerin?« Keira versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen, doch er wollte sie nicht loslassen. Schließlich setzte sie sich auf den Stuhl neben seinem Bett.
»Sigimors Gemahlin, die Herrin von Dubheidland. Ich dachte, ich wäre daheim«, wiederholte er.
»Das habt Ihr schon gesagt. Wenn Ihr wollt, kann ich Euch etwas gegen die Schmerzen geben.«
»Nay. Ich dachte, ich wäre wieder gefangen.«
Obwohl sie wusste, dass ihm das Reden Mühe bereitete, konnte sie es sich nicht verkneifen zu fragen: »Erinnert Ihr Euch, was Euch widerfahren ist?«
»Geschnappt. Geschlagen, gestoßen. Ihr habt mich gefunden?«
»Aye, ich und mein Cousin, Bruder Matthew.«
»Gut. Hier bin ich sicher.«
»Aye, hier kann Euch nichts passieren.« Abermals versuchte sie vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.
»Bleibt.« Er seufzte schwer. »Bitte bleibt.«
Innerlich verfluchte Keira die Schwäche, die sie dazu brachte, seiner Bitte Folge zu leisten. Behutsam rutschte sie mit dem Stuhl ein wenig näher, damit sie es bequemer hatte, während sie darauf wartete, dass er ihre Hand losließ. Nachdem er eine Weile nichts mehr gesagt hatte, fragte sie sich, ob er wieder eingeschlafen war, doch der Griff um ihre Hand lockerte sich nicht. Zu ihrer Überraschung begann er, ihren Handrücken mit dem Daumen zu streicheln. Die Wärme, die die Geste in ihr erregte, war ein wenig beunruhigend, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihm Einhalt zu gebieten.
Das ist nicht gut, dachte sie. Der sie streichelnde Daumen eines Mannes sollte nicht diese Wirkung haben. Es war zwar eine sehr schöne Hand mit langen, eleganten Fingern, aber das Streicheln war zu unverfänglich, um irgendeinen Reiz auszulösen. Oder etwa nicht? Seufzend betrachtete sie sein übel zugerichtetes Gesicht. Und ihr wurde bewusst, dass sie sich zu all dem Verdruss, den sie bereits hatte, einen neuen eingehandelt hatte: Ein Mann, den sie nicht kannte und dessen Gesicht voller blauer Flecken und geschwollen war, dass es einem Kind vermutlich Albträume bereitet hätte, konnte ihr Blut allein durch das einfache Streicheln mit dem Daumen in Wallung versetzen.
...
Übersetzung: Angela Schumitz
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Warum steht ein Engel neben Bruder Matthew?, dachte Liam, als er durch seine dichten Wimpern die zwei Gestalten betrachtete, die sorgenvoll auf ihn heruntersahen. Und warum konnte er seine Lider nicht aufheben? Dann setzte der Schmerz ein, und Liam begann zu stöhnen. Bruder Matthew und der Engel kamen näher.
»Glaubst du, dass er es überlebt?«, fragte Bruder Matthew.
»Aye«, erwiderte der Engel. »Auch wenn es ihm vermutlich noch ein Weilchen lieber sein würde, es nicht getan zu haben.«
Wie seltsam. Die Stimme dieses Engels ließ Liam an eine in sanftes Kerzenlicht getauchte Schlafkammer denken, an weiche, nackte Haut und dicke Felle. Er versuchte, die Hand zu heben, doch selbst diese winzige Bewegung löste unerträgliche Schmerzen aus. Er hatte das Gefühl, als hätte ihn ein Pferd niedergetrampelt, vielleicht auch mehrere. Sehr große Pferde.
»Er ist ein hübscher Bursche«, sagte der Engel und streichelte mit einer kleinen, sanften Hand Liams Stirn.
»Woher willst du das wissen? Er sieht aus, als ob ihn jemand in den Boden genagelt hätte und dann mit einer Herde Pferde über ihn hinweggeritten wäre.«
Bruder Matthew und er hatten oft ähnliche Gedanken. Er gehörte zu den wenigen Männern, die Liam vermisst hatte, nachdem er das Kloster verlassen hatte. Jetzt vermisste er die weiche Hand des Engels. Auch wenn sie nur kurz seine Stirn gestreichelt hatte, schien diese sanfte Berührung seinem Schmerz die Schärfe genommen zu haben.
»Stimmt«, erwiderte der Engel. »Trotzdem kann man sehen, dass er groß, sehnig und wohlgebaut ist.«
»Solche Dinge sollten dir nicht auffallen.«
»Meine Güte, Cousin, ich bin doch nicht blind!«
»Das mag sein, aber trotzdem schickt es sich nicht. Und du weißt, dass er sich momentan nicht in bester Verfassung befindet.«
»Wohl wahr. Aber wenn er wiederhergestellt ist, sieht er bestimmt blendend aus, oder? Vielleicht sogar so gut wie unser Cousin Payton, was meinst du?«
Bruder Matthew schnaubte verächtlich. »Besser. Um ehrlich zu sein, habe ich deshalb auch nie gedacht, dass er bei uns bleiben würde.«
Warum sollte sein Äußeres jemanden auf den Gedanken bringen, dass er für das Leben im Kloster nicht geschaffen war? Liam fand das ungerecht, konnte seine Meinung aber nicht kundtun. Trotz seiner Schmerzen konnte er klar denken. Es wollte ihm nur nicht gelingen, seine Gedanken in Worte zu fassen oder sich zu bewegen, um zu verdeutlichen, dass er das Gespräch mitbekam. Obwohl er sie durch seine Wimpern hindurch ansehen konnte, waren seine Lider offensichtlich nicht weit genug aufgeschlagen, um die beiden wissen zu lassen, dass er wach war.
»Du glaubst also nicht, dass er sich wirklich berufen gefühlt hat?«, fragte der Engel.
»Nay«, erwiderte Bruder Matthew. »Er beschäftigte sich zwar gern mit Büchern, und er besitzt auch eine rasche Auffassungsgabe, aber wir konnten ihm hier nicht viel beibringen. Wir sind nur ein kleines Kloster, nicht reich, und keine große Bildungsstätte. Außerdem glaube ich, dass es ihm hier zu still und zu friedlich war. Er hat seine Familie vermisst. Da ich ein paar seiner männlichen Blutsverwandten kennengelernt habe, kann ich das gut verstehen. Es sind alles laute - na ja, ziemlich wilde Burschen. Das Studium hat Liams Ruhelosigkeit eine Weile gebremst, aber letztlich nicht ausreichend. Ich glaube, das stille, täglich gleichbleibende Ritual, die Eintönigkeit des Tagesablaufs hat auf sein Gemüt gedrückt.«
Liam war überrascht, wie gut sein alter Freund ihn kannte und verstand. Er war tatsächlich ruhelos gewesen, und er war es in gewisser Weise noch immer. Die Ruhe im Kloster, der starre Tagesablauf des klösterlichen Lebens hatten begonnen, ihn niederzudrücken und ihn eher erstickt als gestützt. Und seine Familie hatte er wirklich sehr vermisst. Einen Moment lang war er froh, dass er nicht reden konnte, denn er fürchtete, dass er sonst wie ein verzweifeltes Kind nach seinen Verwandten gefragt hätte.
»Es ist bestimmt nicht leicht«, sagte der Engel. »Es hat mich sehr gewundert, dass du dich so gut in dieses Leben eingefügt hast. Aber du fühlst dich tatsächlich berufen, oder?«
»Aye«, erwiderte Bruder Matthew schlicht. »Das habe ich sogar schon als Kind getan. Aber glaub ja nicht, dass ich euch nicht vermisse, Keira. Manchmal tue ich das sogar schmerzlich, obgleich unsere Bruderschaft auch eine Art Familie ist. Dennoch werde ich euch vielleicht bald einmal besuchen. Ich habe mich in letzter Zeit oft gefragt, wie groß die Kinder mittlerweile sind und ob alle gesund und munter sind. Briefe können so etwas nicht wirklich zeigen.«
»Das stimmt«, seufzte Keira. »Ich vermisse sie auch schrecklich, und dabei bin ich erst ein halbes Jahr weg.«
»Keira«, wiederholte Liam den Namen in seinem Kopf. Ein schöner Name. Er versuchte, seinen Arm zu bewegen, auch wenn es wehtat, und verspürte einen Anflug von Panik, als sein Arm dem Befehl nicht gehorchen wollte. Dann merkte er, dass er am Bett angebunden war, was sein Unbehagen verstärkte. Warum hatten sie ihn angebunden? Warum wollten sie nicht, dass er sich bewegte? Waren seine Verletzungen so schwer? Irrte er sich, wenn er dachte, sie wollten ihm helfen? War er in Wahrheit ihr Gefangener? Während ihm diese Fragen im Kopf herumschwirrten, kämpfte er gegen die Schmerzen an und zerrte an seinen Fesseln. Ein Stöhnen entkam ihm, als ihn ein stechender Schmerz durchzuckte. Er beruhigte sich erst wieder, als kleine, weiche Hände sich auf ihn legten, eine Hand auf seine Stirn, die andere auf seine Brust.
»Ich glaube, er wacht allmählich auf, Cousin«, sagte Keira zu Matthew, und zu Liam: »Keine Sorge, Sir, alles wird gut.«
»Gefesselt«, stieß Liam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Schmerz beim Reden sagte ihm, dass sein Gesicht viele Schläge abbekommen haben musste. »Warum?«
»Damit du dich nicht bewegst, Liam«, sagte Bruder Matthew. »Keira glaubt zwar, dass nur dein rechtes Bein gebrochen ist, aber du hast so heftig um dich geschlagen, dass wir uns Sorgen machten.«
»Aye«, pflichtete ihm Keira bei. »Ihr seid halb tot geprügelt worden, Sir. Am besten verhaltet Ihr Euch möglichst ruhig, um Eure Schmerzen nicht zu vergrößern. Habt Ihr große Schmerzen?«
Liam entfuhr ein derber Fluch ob dieser ihm völlig idiotisch erscheinenden Frage. Er hörte Bruder Matthew vor Schreck nach Luft schnappen. Zu seiner Überraschung lachte Keira leise.
»Es war wirklich eine dumme Frage«, sagte sie, mit einem Lachen in der sinnlichen Stimme. »An Euch ist kaum eine Stelle, die nicht von Blutergüssen schillert, und Euer rechtes Bein ist gebrochen. Es ist allerdings ein recht sauberer Bruch, den ich wieder eingerichtet habe. Es ist drei Tage her, und um den Bruch oder im Blut zeigt sich kein Gift, das Bein sollte also gut ausheilen.«
»Liam, ich bin's, Bruder Matthew. Keira und ich haben dich in das kleine Cottage am Rand des Klostergeländes gebracht. Die Brüder ließen es nicht zu, dass Keira sich im Kloster um deine Wunden kümmerte.« Er seufzte. »Sie waren nicht gerade erfreut über ihre Anwesenheit, obwohl sie gut im Gästetrakt versteckt war. Vor allem Bruder Paul hat sich sehr aufgeregt.«
»Aufgeregt?«, murrte Keira. »Unsere Cousine Elspeth hätte gesagt, er ... «
»Aye«, fiel ihr Bruder Matthew hastig ins Wort. »Ich weiß, was unsere Cousine gesagt hätte. Ich glaube, sie hat zu lange bei diesen ungehobelten Armstrongs gelebt. Für eine Lady hat sie mittlerweile ein viel zu loses Mundwerk.«
Keira schnaubte abfällig. »Meine Güte, du bist aber wirklich fromm geworden, Cousin.«
»Natürlich, ich bin ein Mönch, wir werden hier zur Frömmigkeit erzogen. Wenn du möchtest, helfe ich dir, Liam einen Heiltrank einzuflößen oder seine Verbände zu wechseln, aber dann muss ich wieder ins Kloster.«
»Na gut, am besten siehst du mal nach, ob er sich erleichtern muss«, sagte Keira. »Ich gehe kurz raus, dann kannst du dich darum kümmern. In der Zwischenzeit werde ich mich im Klostergarten nach ein paar Kräutern umsehen. Ich bin gleich wieder da.«
»Wie soll ich das denn machen?«, fragte Bruder Matthew, doch die einzige Antwort war die Tür, die sich hinter Keira schloss. »Freches Ding«, murrte er erbittert.
»Cousine?«, fragte Liam und merkte, dass nicht nur sein Hals verletzt war, sondern auch sein Kiefer und sein Mund.
»Cousine? Ach so, ja, das Mädchen ist eine Cousine von mir, eine aus der gewaltigen Horde von Cousinen, um ehrlich zu sein. Eine Murray, du weißt schon.«
»Kirkaldy?«
»Aye, das ist mein Clan. Wie der ihrer Großmutter. Aber jetzt müssen wir sehen, ob wir diese Sache hinkriegen. Ich fürchte, es wird dir wehtun, egal, wie behutsam ich bin.«
Es tat weh. Liam schrie auf, was seine Schmerzen allerdings nur noch verschlimmerte. Er war froh, als ihn wieder die Dunkelheit umfing, und der gute Bruder Matthew, der gar nicht aufhören konnte, sich zu entschuldigen, war es ebenso.
»Oh je, er sieht ein bisschen blasser aus«, bemerkte Keira, nachdem sie ihre Kräuter auf einen Tisch gelegt hatte und an das schmale Bett getreten war, an das Liam angebunden war.
»Er hat noch immer große Schmerzen. Und ich fürchte, ich habe sie noch vergrößert«, meinte Bruder Matthew.
»Du kannst nichts dafür, Cousin. Es geht ihm zweifellos besser, aber solche Verletzungen brauchen Zeit, um zu heilen. An diesem Mann ist wohl kaum ein unversehrter Teil. Es ist ein wahres Wunder, dass nur sein Bein gebrochen ist.«
»Bist du dir sicher, dass er nur verprügelt wurde? Oder dass er überhaupt verprügelt wurde?«
»Aye, Cousin, er ist verprügelt worden, daran besteht kein Zweifel. Aber vielleicht wurde er diesen Hügel auch hinuntergestoßen. Manche Verletzungen könnten von dem felsigen Hang, den er hinuntergerollt, und von dem felsigen Boden, auf dem er schließlich aufgeschlagen ist, herrühren. Bislang hat er dir wohl noch nicht sagen können, was ihm zugestoßen ist, oder?«
»Nay. Er hat kaum ein Wort gesagt, dann hat er vor Schmerzen geschrien, und seitdem ist sein Zustand unverändert.« Bruder Matthew schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte mir einen Reim darauf machen. Wer tut ihm so etwas Schreckliches an? Seit er vor Jahren das Kloster verlassen hat, habe ich zwar nicht viel von ihm gesehen, aber im Grunde ist er keiner, der sich Feinde macht, noch dazu solche heimtückischen Feinde.«
Keira überprüfte die Stricke, mit denen Liam ans Bett angebunden war, und musterte ihn. »Vermutlich ist er schon öfters der Eifersucht begegnet.«
Bruder Matthew runzelte die Stirn. Seine Cousine schien ein reges Interesse an Liam Cameron zu haben, weit mehr, als eine Heilerin an ihrem Kranken haben sollte. Eine Heilerin musste doch bestimmt nicht ständig seine Haare berühren, so oft wie Keira Liams dichtes, kupferfarbenes Haar. Liam sah wahrhaftig nicht besonders gut aus, die Prügel hatten ihm einiges von seiner Schönheit genommen; doch offenbar besaßen sein zerschlagener Körper und sein übel zugerichtetes Gesicht noch genügend Reize für Keira.
Er versuchte, Keira als erwachsene Frau zu sehen und nicht als die Cousine, mit der er als Kind gespielt hatte. Verblüfft stellte er fest, dass seine Cousine kein Kind mehr war, sondern eine sehr attraktive Frau. Sie war klein und schlank, und dennoch weiblich, denn ihre Brüste waren voll und wohlgeformt und ihre Hüften hübsch gerundet. Ihre dichten, glänzend schwarzen Haare waren zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr auf dem Rücken bis über die schmale Taille herabhing. Ihre helle Haut wirkte durch das Schwarz der Haare noch reiner, cremeweiß mit einem Anflug von gesunder Farbe. Ihr ovales Gesicht war von einer zarten Schönheit, die Nase klein und gerade, das kleine Kinn kraftvoll und energisch, ihre Wangenknochen waren hoch und fein konturiert. Am auffälligsten waren jedoch ihre tiefgrünen Augen unter sanft geschwungenen dunklen Brauen, gerahmt von dichten langen Wimpern. In diesen großen Augen lag Unschuld, doch gleichzeitig versprach ihre Tiefe all die weiblichen Mysterien, die einen Mann in ihren Bann zogen. Überrascht stellte Matthew fest, dass ihr Mund denselben Widerspruch spiegelte. Ein Lächeln der vollen Lippen konnte die absolute Verkörperung von Unschuld sein, doch - wie er plötzlich feststellte - würde jeder Mann ihre Sinnlichkeit sofort wahrnehmen. Und er befürchtete, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, Keira zu bitten, sich um einen Mann wie Liam Cameron zu kümmern.
»Du machst auf einmal ein so seltsames Gesicht, Cousin«, sagte Keira und machte sich daran, eine Salbe für Liams Verletzungen herzustellen. »Er wird nicht sterben, das verspreche ich dir. Es wird nur eine ganze Weile dauern, bis er wieder vollkommen genesen ist.«
»Das glaube ich dir. Es ist nur so - na ja, etwas, was Liam am Klosterleben besonders schwergefallen ist, war, dass ... «
»... dass er keine Mädchen anlächeln konnte.« Keira grinste über seine besorgte Miene, die zu seinem jungenhaft hübschen Gesicht schlecht passen wollte. »Ich glaube, dieser Mann hat ähnlich wie unser Cousin Payton ziemlich viel Erfolg bei Frauen. Und eigentlich reicht es schon, wenn er sie anlächelt.«
»Ich glaube, er braucht nicht einmal zu lächeln«, grummelte Bruder Matthew.
»Nay, wahrscheinlich nicht. Na komm schon, Cousin, schau nicht so besorgt. Jetzt kann er mir nicht gefährlich werden, oder? Und wenn er wieder lächeln kann, kann er mir nur gefährlich werden, wenn ich das will. Glaubst du etwa, dass meine Familie mich nicht darauf vorbereitet hat, wie ich mit Männern umzugehen habe?« Sie warf einen Blick in Richtung Liam. »Ist er ein schlechter Mann? Ein tückischer, herzloser Verführer unschuldiger Herzen?«
Bruder Matthew seufzte. »Nay, das glaube ich nicht.«
»Dann besteht doch kein Grund zur Sorge, oder? Wir sollten uns den Kopf lieber über all unsere anderen Sorgen zerbrechen. Sie sind viel wichtiger als die Frage, ob ich dem süßen Lächeln eines hübschen Jungen widerstehen kann oder nicht. Ich bin jetzt schon fast zwei Monate hier, Cousin. Von meinem Feind habe ich in dieser Zeit nichts gesehen, und deshalb denke ich, dass ich bald versuchen sollte, nach Donncoill zurückzukehren.«
»Ich weiß. Es wundert mich allerdings, dass keiner deiner Verwandten gekommen ist, um dich zu holen. Ist es nicht seltsam, dass sie sich nicht fragen, warum du dich so lange in einem Kloster aufhältst oder warum die Mönche es überhaupt zulassen?«
Keira unterdrückte ihr schlechtes Gewissen. Sie hatte ihn nämlich im Glauben gelassen, dass sie mit ihrer Familie in Verbindung stand. »Es ist doch nicht ungewöhnlich, dass Gäste - männliche oder weibliche - im Gästetrakt verweilen, und ich bezahlte auch gut dafür.«
Sie lächelte und tätschelte seinen Arm, als er verlegen errötete. »Das ist es mir wert. Ich musste mich verstecken und meine Wunden heilen lassen, und ich musste meinen Kummer und meine Angst überwinden. Vor allem aber musste ich sicher sein, dass wenn ich nach Hause ging, ich diesen mordlustigen Dreckskerl Rauf nicht direkt nach Donncoill führte.«
»Deine Familie würde dich doch beschützen, Keira. Sie würden es als ihre Pflicht und als ihr Recht erachten, und es wird sie nicht freuen, wenn du es ihnen verwehrst.«
Keira zuckte zusammen. »Ich weiß, aber lass das nur meine Sorge sein. Ich musste mir auch überlegen, was ich als Nächstes tun wollte. Duncan hat mir ein Versprechen abgenommen, und ich musste gut darüber nachdenken, wie ich es erfüllen kann und was es mich kosten wird.«
»Ich weiß, dass das nicht leicht sein wird. Rauf ist gerissen und verschlagen. Dennoch gelobtest du deinem Ehemann, dafür zu sorgen, dass seine Leute nicht unter Raufs Herrschaft litten, falls er die Schlacht in dieser Nacht verlor. Er verlor. Und er starb in dieser Nacht, also kommt dein Versprechen dem gleich, das du einem Mann auf dem Totenbett gabst. Du musst jetzt alles in deiner Macht Stehende tun, um es zu erfüllen.« Er küsste sie auf die Wange, dann schickte er sich an zu gehen. »Wir sehen uns morgen früh. Schlaf gut!«
»Du auch, Cousin.«
Als er gegangen war, seufzte Keira auf und setzte sich auf den kleinen Stuhl neben Liam Camerons Bett. Aus dem Mund ihres Cousins klang immer alles so einfach. Das Versprechen, das sie ihrem armen glücklosen Ehemann gegeben hatte, lastete schwer auf ihrer Seele. Und auch das Schicksal der Menschen von Ardgleann war ihr nicht gleichgültig. Duncan hatte sich immer um seine Leute gekümmert. Es bedrückte sie, wenn sie daran dachte, wie sehr sie jetzt unter Raufs Herrschaft leiden mussten. Sie betete jede Nacht für sie, aber das zerstreute ihre Schuldgefühle nicht, dass sie weggelaufen war. Auch wenn manches, worum Duncan sie gebeten hatte, nicht richtig gewesen war, konnten die Menschen von Ardgleann nicht mehr warten, bis sie endlich Richtig gegen Falsch abgewogen hatte. Es war Zeit zu handeln - allerhöchste Zeit!
Gedankenverloren wusch sie Liam mit einem weichen Tuch und kaltem Wasser. Er hatte zwar kein Fieber, aber er schien ruhiger zu werden. Der Mann war stark, er würde sich bestimmt bald erholen. Bis er alleine zurechtkommen konnte, sollte sie wissen, was wegen Ardgleann und Rauf zu tun war. Sobald sie herausgefunden hatte, warum Liam verletzt worden war, und sich sicher war, dass ihm kein Feind nachstellte, würde sie ihn der Pflege der Mönche überlassen und sich ihrem eigenen Schicksal stellen.
Als sie daran dachte, diesen Mann zu verlassen, verspürte sie einen schmerzhaften Stich. Beinahe hätte sie lachen müssen. Sir Liam war von Kopf bis Fuß mit Blutergüssen übersät und hatte in drei Tagen kaum drei Worte geredet. Wahrscheinlich fühlte sie sich ihm auf eine merkwürdige Weise verbunden, weil sie ihn gefunden hatte. In Wahrheit aber hatte sie eine seltsame Mischung aus Träumen und innerem Drang zu ihm geführt. Es war ein wenig beängstigend gewesen, denn obgleich sie früher schon ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, war ihr noch nie alles so klar erschienen, und sie hatte es nie so stark empfunden. Selbst jetzt wurde sie das Gefühl kaum los, dass es nicht nur darum ging, diesem Mann bei der Genesung zur Seite zu stehen.
»Dumme Gans!«, murrte sie kopfschüttelnd und trocknete ihn mit einem weichen Handtuch ab.
Vielleicht sollte sie seine Leute benachrichtigen, dachte sie, während sie eine kräftige Brühe zubereitete, die sie ihm einflößen wollte, wenn er aufwachte. Den Worten ihres Cousins hatte sie entnommen, dass Sir Liams Verwandte sehr wohl imstande sein würden, ihn zu schützen. Doch dann verwarf sie diesen Gedanken rasch wieder, und zwar aus demselben Grund, den sie ihrem Cousin genannt hatte, als er ihr vorgeschlagen hatte, die Camerons zu rufen. Sir Liam wollte das vielleicht gar nicht, womöglich wollte er seine Familie nicht in den Ärger verwickeln, den er sich eingehandelt hatte. Das konnte sie gut verstehen, denn auch sie zögerte, ihre Familie mit ihren Sorgen zu behelligen.
Freilich war auch das töricht. Schließlich hatte sie nichts Unrechtes getan, sie hatte den Ärger nicht verursacht und die Gefahr nicht heraufbeschworen. Wenn einer ihrer Verwandten in eine solche Notlage geraten wäre, wäre sie ihm bereitwillig zu Hilfe geeilt. Aber gerade deshalb hätte so ein Verwandter wohl auch gezögert, sie davon in Kenntnis zu setzen, dachte sie und musste kurz grinsen. Man neigt eben dazu, diejenigen zu schützen, die man liebt. Würde ihre Familie erfahren, dass sie sie vorsätzlich draußen vor gelassen hatte, würden sie zornig sein und vielleicht auch ein wenig beleidigt oder gekränkt, aber sie würden es verstehen, denn im Grunde hätten sie wahrscheinlich genauso gehandelt.
Und wenn dieser Mann seiner Familie so nahe stand, wie es ihr Cousin angedeutet hatte, würde er sich genauso verhalten. Bei ihrer letzten Begegnung mit ihrer Cousine Gillyanne hatte sie einiges über die Camerons erfahren. Auch wenn die Geschichten ziemlich lustig gewesen waren, hatten sie doch gezeigt, dass sich auch die Camerons sehr nahe standen. Außerdem durfte man Sir Liams männlichen Stolz nicht vergessen. Zweifellos würde es ihn ärgern, wenn man ihn so behandelte, als ob er nicht alleine zurechtkäme. Nein, beschloss Keira, es war keine gute Idee, seine Familie ohne seine Einwilligung zu benachrichtigen.
Nach einem Abendessen aus Brot, Käse und kaltem Wildbret nahm sie ein hastiges Bad und legte sich auf ihren Strohsack am Feuer zur Ruhe. Sie starrte in die Flammen und wartete auf den Schlaf. Diese nächtlichen Stunden, die Stille und die Tatsache, dass der Schlaf so lange auf sich warten ließ, waren ihr zutiefst verhasst; denn dann war sie allein mit ihren Erinnerungen. So sehr sie sich bemühte, sie konnte sich dem Griff dieser düsteren Vergangenheit nicht entziehen. Sie konnte sie nur eine Weile unterdrücken.
Duncan war ein guter Mann gewesen, stattlich und sehr freundlich. Sie hatte ihn nicht geliebt, was ihr noch immer Gewissensbisse bereitete, auch wenn es nicht ihre Schuld war. Doch mit fast zweiundzwanzig Jahren hatte sie beschlossen, nicht mehr auf die große, leidenschaftliche Liebe warten zu wollen. Sie hatte sich Kinder gewünscht und ein eigenes Heim. Obwohl sie ihre Familie innig liebte, hatte sie immer deutlicher das Bedürfnis verspürt, ihre Schwingen auszubreiten und eigene Wege zu gehen. Die Ehe bescherte einer Frau gewöhnlich keine Freiheit, doch instinktiv hatte sie gewusst, dass Duncan nicht versuchen würde, sie zu beherrschen. Er hatte eine treue Gefährtin gesucht, und da sie wusste, wie selten so etwas war, hatte sie ihm ihr Jawort gegeben, als er sie gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wolle.
Sie wusste noch gut, dass ihre Familie einige Zweifel gehegt hatte, vor allem hatten es ihre Großmutter Lady Maldie und ihre Cousine Gillyanne. Ihre besondere Gabe hatte ihnen geweissagt, dass sie den Mann, den sie bald heiraten würde, nicht liebte. Sie hatten ihr Unbehagen gefühlt, das sie sich selbst kaum erklären konnte. Vielleicht wäre es besser gewesen, die beiden hätten sie stärker bedrängt, von dieser Heirat abzusehen? Doch gleich, nachdem ihr dieser Gedanke gekommen war, schalt sie sich. Sie hatten ihre Wahl respektiert, und es war tatsächlich ihre Wahl gewesen.
Warum sie sich von dem Moment an, als sie Duncans Heiratsantrag angenommen hatte, unbehaglich gefühlt hatte, war ihr bis zu diesem Tag ein Rätsel. Sie hatte das Unbehagen verdrängt und Duncan geheiratet. Schon wenige Stunden nach der Hochzeit hatte sich abgezeichnet, dass es Schwierigkeiten zwischen ihnen geben würde, und wenige Tage nach ihrer Ankunft auf Ardgleann hatte der Ärger mit Rauf begonnen. Sie hatte geglaubt, dass das all ihre merkwürdigen Gefühle erklärte, aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Sie war vielmehr von der seltsamen Gewissheit erfüllt, dass das Rätsel noch nicht gelöst war.
Als sie sich endlich entspannte und den tröstlichen Schlaf kommen spürte, stieß Sir Liam einen rauen Schrei aus, der sie heftig zusammenzucken ließ. Sie zupfte ihr Nachthemd zurecht und eilte zu ihm. Er zerrte wieder an seinen Stricken und fluchte wüst auf Feinde, die nur er sehen konnte. Sie strich ihm über die Stirn und redete besänftigend auf ihn ein. Immer wieder erklärte sie ihm, wo er sei, wer sich nun um ihn kümmere und dass er in Sicherheit sei. Es wunderte sie fast ein wenig, wie rasch er sich beruhigte.
»Jolene?«, wisperte er.
Keira fragte sich, warum es sie so ärgerte, dass sie den Namen einer anderen Frau aus seinem Mund hörte. »Nay, Keira«, sagte sie und legte die Hand auf die seine, um ihn daran zu hindern, weiter an den Stricken zu zerren.
»Keira«, wiederholte er und nahm ihre Hand in seine. »Aye, Keira. Schwarze Haare. Hat mich verwirrt. Ich dachte, ich wäre daheim, auf Dubheidland.«
»Ach so. Ist sie dort die Heilerin?« Keira versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen, doch er wollte sie nicht loslassen. Schließlich setzte sie sich auf den Stuhl neben seinem Bett.
»Sigimors Gemahlin, die Herrin von Dubheidland. Ich dachte, ich wäre daheim«, wiederholte er.
»Das habt Ihr schon gesagt. Wenn Ihr wollt, kann ich Euch etwas gegen die Schmerzen geben.«
»Nay. Ich dachte, ich wäre wieder gefangen.«
Obwohl sie wusste, dass ihm das Reden Mühe bereitete, konnte sie es sich nicht verkneifen zu fragen: »Erinnert Ihr Euch, was Euch widerfahren ist?«
»Geschnappt. Geschlagen, gestoßen. Ihr habt mich gefunden?«
»Aye, ich und mein Cousin, Bruder Matthew.«
»Gut. Hier bin ich sicher.«
»Aye, hier kann Euch nichts passieren.« Abermals versuchte sie vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.
»Bleibt.« Er seufzte schwer. »Bitte bleibt.«
Innerlich verfluchte Keira die Schwäche, die sie dazu brachte, seiner Bitte Folge zu leisten. Behutsam rutschte sie mit dem Stuhl ein wenig näher, damit sie es bequemer hatte, während sie darauf wartete, dass er ihre Hand losließ. Nachdem er eine Weile nichts mehr gesagt hatte, fragte sie sich, ob er wieder eingeschlafen war, doch der Griff um ihre Hand lockerte sich nicht. Zu ihrer Überraschung begann er, ihren Handrücken mit dem Daumen zu streicheln. Die Wärme, die die Geste in ihr erregte, war ein wenig beunruhigend, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihm Einhalt zu gebieten.
Das ist nicht gut, dachte sie. Der sie streichelnde Daumen eines Mannes sollte nicht diese Wirkung haben. Es war zwar eine sehr schöne Hand mit langen, eleganten Fingern, aber das Streicheln war zu unverfänglich, um irgendeinen Reiz auszulösen. Oder etwa nicht? Seufzend betrachtete sie sein übel zugerichtetes Gesicht. Und ihr wurde bewusst, dass sie sich zu all dem Verdruss, den sie bereits hatte, einen neuen eingehandelt hatte: Ein Mann, den sie nicht kannte und dessen Gesicht voller blauer Flecken und geschwollen war, dass es einem Kind vermutlich Albträume bereitet hätte, konnte ihr Blut allein durch das einfache Streicheln mit dem Daumen in Wallung versetzen.
...
Übersetzung: Angela Schumitz
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Hannah Howell
Hannah Howell hat sich seit ihrem ersten Buch 1988 einen Namen als Autorin romantischer historischer Romane gemacht. Die begeisterte England-Reisende lebt an der Ostküste der USA, wo ihre Familie seit 1630 ansässig ist. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne, einen Enkel und fünf Katzen, von denen eine den Namen Oliver Cromwell trägt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hannah Howell
- 2013, 256 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863657101
- ISBN-13: 9783863657109
- Erscheinungsdatum: 19.02.2013
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