Deutschland for Beginners (ePub)
Meine abenteuerliche Reise ins Land von Weltschmerz und Sauerkraut
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Produktinformationen zu „Deutschland for Beginners (ePub)“
Lese-Probe zu „Deutschland for Beginners (ePub)“
Das ehrgeizige Vorhaben, Deutschland zu einem Reiseland insbesondere für meine Landsleute zu machen, war nicht einfach umzusetzen und ohne Hilfe nicht zu schaffen. Das wusste ich. Ich bin vielen Menschen zu Dank verpflichtet, die mich wider besseres Wissen drängten, an meinem Traum festzuhalten. Meinem Agenten Patrick Walsh, der sich für das Projekt begeisterte und mich davon überzeugte, dass niemand einen normalen Reisebericht über Deutschland kaufen würde; Tim Whiting für den ursprünglichen Auftrag und Stephen Guise, der ein wunderbarer Lektor ist und vor allem dafür sorgte, dass das Buch kein typisch deutscher dicker Wälzer wurde; den beiden ehemaligen deutschen Botschaftern, Thomas Matussek und Wolfgang Ischinger, für ihre Gastfreundschaft und Unterstützung des Buchvorhabens und ihrer Protokollchefin, Sybille Fürchtenicht; Linda Borchert und Udo Grebe von der Deutschen Zentrale für Tourismus für ihre ständige Ansprechbarkeit und ihre Hilfe bei der Beschaffung nützlicher Kontakte während meiner Besuche in Deutschland; den Touristen-Informationen vor allem in Lübeck, München und Heidelberg; Henning Wehn, weil er mich zum Lachen brachte - zweimal; Siegfried Helm; Ray Furlong, BBC-Korrespondent in Berlin, für seine Insiderkenntnisse; Elisabeth Sandmann für ihre Kontakte und ihren Rat in Sachen Hintergrundlektüre; Matthias Müller für seine kenntnisreichen Erklärungen zur modernen deutschen Popmusik und ihrer Malaise; Oliver Dienhoff für seine Gastfreundschaft während der Fußballweltmeisterschaft; Andrea Wulf für ihren Rat, ihre Beate-Uhse-Biographie und vor allem dafür, dass sie mir das Hamburger Nachtleben zeigte; Claudia Amhor-Croft vom Goethe-Institut; Sebastian Payne und Marcel Orford- Williams von der Wine Society für das mittägliche Glas Riesling und den Überblick über deutschen Wein in den sanften Betonhügeln von Stevenage; Adrian Bridge beim Daily Telegraph. Darüber hinaus danke ich den vielen mir unbekannten Deutschen, die nichts ahnend zu meiner neu
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gefundenen Deutschland-Liebe und zu meinem Verständnis dieses ihres Landes beitrugen. Nun zu Freunden und Verwandten: Ich bedanke mich bei Nina Heisel für ihren steten Nachschub an Einsichten in und Updates über das moderne deutsche Leben, ihre ironische Einstellung zu ihrem Heimatland und ihre Gesellschaft an der Ostsee und in Heidelberg (die anstrengende Hochzeit in Kapitel 4 war ihre); Claudia Zell für ihre Empfehlungen zur deutschen Komikkultur und dafür, dass sie mich mit dem Towel Club bekannt gemacht hat; Marco und Svetlana für ihre Begleitung aufs Oktoberfest und zu Nach-Wiesn-Partys; Hans von Trotha für Einblicke in sein geliebtes Berlin und seine fachmännische Einführung in die deutschen Philosophen bei einem denkwürdigen Abendessen am Prenzlauer Berg; Charlie »Jürgen« Bailey und seiner Frau Sarah für ihre Begleitung in Baden-Baden und für den Mut, sich mit mir in die gemischten Nacktbade-Anstalten zu wagen; Robin für seine Ermutigung und seine redaktionelle Kritik; Gordon für seine Einzeiler und für die Überarbeitung der ersten Entwürfe; all meinen Deutschlehrern an der Schule und den wundervollen Schriftstellern, mit denen sie uns bekannt machten; Mum und Dad, weil sie mich immer auf Reisen mitschleppten, mich unterstützten und, im Rückblick, besonders für jenes Jahr in Sandhausen, wo vielleicht alles begann, und meinem Bruder Ed für seine Hilfe beim Zusammenstückeln von Erinnerungen an diese Zeit; meiner wundervollen Frau Merida, die sich nicht nur zu Deutschland bekehrte - und unsere Kinder jetzt auf eine deutsche Schule schicken will - sondern mich an die Ostsee und auf Weihnachtsmärkte begleitete und mich, wieder zu Hause, viele einsame Nächte hindurch fütterte und tränkte, während ich goethegleich in meiner Dachkammer saß und mit Worten rang. Vor allem aber gilt mein Dank jenem Mann, der es mir wahrscheinlich nicht danken wird, dass ich ihn nenne, und der deshalb Fritz heißen soll. Ohne seine überragenden Kenntnisse, wie man ein Buch zustande bringt, seine Begleitung durch das ganze Projekt, seine redaktionelle Bearbeitung, seine Vorschläge zur Strukturierung und nicht zuletzt sein reiches Wissen über die Deutschen - und sein Begreifen dessen, was ich über sie zu sagen versuchte und wie es gesagt werden musste - wäre ich verloren gewesen. Dieses Buch ist genauso seins wie meins, aber bescheiden oder klug oder vorsichtig, wie er ist, wird er wahrscheinlich jede Komplizenschaft leugnen. Praia da Luz via Kensal Green »Und du, Ben? Wo hast du dich in letzter Zeit rumgetrieben und dir diese tolle Sonnenbräune geholt?« Folgende Szene: Ein Essen bei Freunden. Der Sancerre fließt in Strömen. Den Parmaschinken an einem Salat mit Balsamico-Dressing und die dazu gereichte Focaccia haben wir hinter uns, ebenso den Atkins-Diät-kompatiblen gegrillten Thunfisch. Jetzt, bei Tiramisu und Kaffee, wendet sich die Unterhaltung dem Thema Reisen zu, und plötzlich knistert die Atmosphäre geradezu vor Anspannung, als alle insgeheim die Kudos ihrer jeweiligen Urlaubsziele vergleichen. Eine Runde Reisepoker ist angesagt. Der Gastgeber eröffnet relativ bescheiden mit einem Klassiker, sagen wir Paris (»Uns bleibt immer Paris«), oder mit einer Villa in der Toscana respektive der Provence. Nicht gerade originell, aber selbst nach all den Jahren gut genug, um ihm einen Platz in der Runde zu sichern. Als alle ausreichend in Lavendelfeldern geschwelgt und ihre Eindrücke und Erfahrungen in genügend Extra-vergine-Plattitüden gepresst haben, wird das verlängerte Wochenende in Prag ausgespielt. Ach ja, Prag! Das hochgepriesene Paris Mitteleuropas. Einst so abseits aller Touristenpfade und vor allem so »unentdeckt«, jetzt jedoch so passé wie ein Prada-Kostüm vom letzten Jahr; sein gesellschaftlicher Wert verwässert vom Bier allzu vieler Junggesellen-Wochenenden. Riga oder Montenegro, Darling, da solltest du hin! Je nachdem, was für Leute Sie kennen, kommt irgendjemand an dieser Stelle garantiert mit der China-Reise an, die er kürzlich unternommen hat. Hochachtung, Anerkennung und leise Missgunst allerseits. Ein Royal Flush der Ming-Klasse. Aber wie lange noch, bis alle Welt schanghait sein wird? Zurück zu Ihnen. Wie fühlen Sie sich in diesem Augenblick? Sind Sie immer noch sicher, dass Ihr letztes Reiseziel cool und hip genug war für Ihre Mitgliedschaft in diesem illustren Reiseclub? Oder kommt Ihnen allmählich der Verdacht, dass Sie Ihren letzten Urlaub, den Sie bis jetzt für wundervoll hielten, an einem alles andere als angesagten Ort verbracht haben? Haben Sie nichts weiter zu bieten als ein jämmerliches Paar Zweien? Ich sitze in so einer Runde und habe mir außer der Schilderung eines Patagonien-Trips Geschichten von Begegnungen mit Gorillas und obskuren Stammesangehörigen irgendwo in Afrika angehört. Schließlich werde ich ins Visier genommen. »Deutschland«, sage ich herausfordernd. Entgeisterte Blicke, abfällig gekräuselte Lippen und verdattertes Stirnrunzeln ringsum. »Ach so, klar!«, kommt es dann. »Die Fußballweltmeisterschaft! Was für Spiele hast du dir denn angesehen?« Ich schüttele den Kopf. »Nein, es war nicht wegen der WM«, sage ich. »Ich bin einfach so hingefahren.« »Du hast Urlaub gemacht? In Deutschland? Hast du den Verstand verloren?« »Ehrlich gesagt war ich in letzter Zeit sogar öfter da.« Jetzt geht es richtig los: »Wo denn? In einem Ferienlager?« »Dann kennst du dich jetzt ja mit Lederhosen und Schenkelklatschen aus.« »Hast du sie an den Küsten und Landeplätzen bekämpft, um einen Liegestuhl zu ergattern?« oder hast du dich an ihre Sitten und Gebräuche angepasst, >Ich habe einen großen Pimmel »^ versuchst du deshalb, dir diesen Schnurrbart wachsen zu lassen?« Pause. Habe ich nur geblufft? Muss ich passen? Nein. Ich habe nämlich ein As im Ärmel. »Genau so habe ich auch gedacht«, sage ich. »Bis ich Manny traf, meinen Reise-Therapeuten.« Ich hatte Manny - wen wundert's? - natürlich am Flughafen kennen gelernt. In der Abflughalle herrschte ein Gedränge wie auf einer Einkaufsstraße zur Hauptgeschäftszeit. In hell erleuchteten Duty-free-Shops kämpften Luxusmarken um Aufmerksamkeit, während Reiseziele in aller Welt sanft über blässliche Monitore flackerten und Reklametafeln die Produkte lokaler Tochterfirmen multinationaler Konzerne anpriesen. Über allem, vernuschelt durch die niedrige Decke und den synthetischen Teppichboden, ein unaufhörliches babylonisches Gebrabbel geradebrechter Abflugsankündigungen, die durch die Lautsprecher gewispert wurden. Wie sehr hatte ich es geliebt, auf Reisen zu gehen. Aber wo bitte war hier die Magie? Und was wollten all diese anderen Leute? Mit ihren Reiseführern und ihren nervtötenden Rucksäcken, die sie ständig auf- und zuklickten. Touristen! Billigtouristen! Chavellers! Garantiert unterwegs nach Thailand oder Australien. Ich dagegen war ein echter Pionier, ein wahrer Reisender! Wieso aber hatte ich so gar keine Lust, mich mit irgendwelchen Leuten zu unterhalten? Wieso kapselte ich mich ab und suchte mir einen Platz so weit wie möglich von allen anderen entfernt? Hatte ich etwa eine Reiseblockade? Egal. An meinem Ziel angekommen, würde ich freudig mit Einheimischen und Fremden sprechen und neue Erfahrungen suchen. Aber nicht hier, nicht unter all diesen Lemmingen _ Im nächsten Augenblick drang ein Amerikaner in meine private Schutzzone ein. »Darf ich?«, fragte er und ließ sich, ohne meine Antwort abzuwarten, auf den Sitz neben mir plumpsen. »Manny«, strahlte er mich an und streckte mir die Hand entgegen. Er war groß und schlaksig, Ende vierzig, hatte einen grau melierten Bart, ein markantes Gesicht, kurze, stoppelige, silbergraue Haare und trug einen unauffällig-lässigen Geschäftsanzug, war aber umgeben von der schwer zu erklärenden Aura eines dieser gebildeten, stillen Amerikaner, die unvermittelt an den merkwürdigsten Orten auftauchen. »Wo soll's denn hingehen?«, erkundigte er sich unverdrossen, nachdem ich seine ausgestreckte Hand kühl übersehen, mich aber dazu herabgelassen hatte, meinen Namen zu murmeln. Ich sagte es ihm. »Das erste Mal?« Selbstverständlich nicht! Ich weiß nicht mehr, wo genau ich damals hinwollte, aber es war natürlich etwas hochgradig Einzigartiges und Vorzeigbares, ein Ort, den ich fast als mein persönliches Eigentum empfand. Immerhin war ich schon dort gewesen, bevor die unsäglichen Touristenhorden ihn »entdeckten«. »Alle Achtung«, rief Manny. »Da würde ich auch gerne mal hinreisen.« Ich fühlte mich gebührend geschmeichelt, wusste jedoch gleichzeitig, dass ich jetzt nicht mehr um eine Unterhaltung herumkommen würde. »Nehmen Sie es mir nicht übel«, fuhr Manny denn auch prompt fort, »aber für jemanden, der gerade eine Reise antritt, sehen Sie nicht gerade glücklich aus.« »Also wirklich entrüstete ich mich. Bloß weil ich nicht mit einem permanenten Burger-King-Lächeln herumlief, musste ich noch lange nicht unglücklich sein! Aber Manny hatte etwas Entwaffnendes, das meiner Entrüstung den Wind aus den Segeln nahm. Außerdem hatte er recht. »Und für einen Reisenden sind Sie nicht gerade gesprächig und aufgeschlossen.« »Während Sie sich anscheinend mit Vorliebe an Fremde heranmachen«, konterte ich mit einem Lächeln. »Stimmt«, grinste er. »Aber um ehrlich zu sein, betreibe ich gerade eine Feldstudie. Ich habe Sie und Ihre ganze Haltung beobachtet. Sie sind von all dem hier enttäuscht« - seine Geste umfasste die Menschenmassen, die Geschäfte, die Reklametafeln -, »obwohl Sie es natürlich nicht sein wollen. Und das deprimiert Sie noch mehr.« Anscheinend konnte er meine Gedanken lesen. Oder zumindest meinen Gesichtsausdruck deuten. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich bin Reise-Therapeut.« Reise-Therapeut? Ich hatte natürlich von Schulden-, Stil- und Lebensberatern gehört, auch von Leuten, die aus Teeblättern die Zukunft vorhersagen. Benötigten wir jetzt auch noch Experten, die uns sagten, wie und wohin wir in Urlaub fahren sollten? »Die Wahl deines Reiseziels kann dein Leben verändern? Etwas in der Art?« »Lachen Sie nur. Aber Sie haben alle klassischen Symptome.« »Symptome?« »Des Heimway-Syndroms.« »Nie gehört.« »Kein Wunder. Obwohl es sich um eine Befindlichkeitsstörung handelt, die in der westlichen Welt immer mehr um sich greift und zu Depressionen und kultureller Bindungslosigkeit führt.« Als Kalifornier zeichnete sich Manny durch eine lässiggedehnte Sprech- und eine verwirrend psychoanalytisch angehauchte Ausdrucksweise aus. »Ich selbst habe dieses Syndrom vor mehreren Jahren identifiziert und nach mir benannt, Manny Heimway.« Ach so! Noch einer, der sich an den langen amerikanischen Psychogebrabbel-Zug anhängte. Ähnlich wie Naturforscher mussten auch Seelengurus ständig irgendwelche Entdeckungen nach sich selbst benennen. Ich sollte zusehen, dass ich schleunigst Land gewann. Der Lautsprecher rettete mich. Ich stand auf, um Manny seinem persönlichen Syndrom zu überlassen. »Hier, nur für alle Fälle.« Mit einem abgeklärten Lächeln überreichte er mir seine Karte. »Ich könnte Ihnen wirklich helfen. Aber fürs Erste - wie heißt es immer so schön?« Ich hatte nicht die geringste Ahnung. »Der Weg ist das Ziel.« Diese Worte im Ohr ging ich zu meinem Gate. Meine Gemütslage schwankte zwischen verwirrt und beleidigt. Außerdem fühlte ich mich ertappt. Heim und Garten völlig umkrempeln - meinetwegen. Aber Reisegewohnheiten? Schönen Dank auch, sagte ein Teil von mir. Was in Dreiteufelsnamen wusste dieser Manny denn schon über das Reisen? Die meisten Amerikaner besaßen ja nicht einmal einen Pass! Aber eine andere Stimme forderte mich auf, nicht vorschnell zu urteilen und nicht so negativ zu sein. Wenn ich mich für einen echten Reisenden hielt, sollte ich offen und neugierig sein. Schließlich hatte Manny meinen Trübsinn richtig gedeutet. Ich ärgerte mich ja nur darüber, dass ich weder begreifen noch artikulieren konnte, wieso ich mich so elend fühlte. Ich sah mich in der rappelvollen Halle um und war wie gelähmt vor Menschenfeindlichkeit und Apathie. Mir ging es wirklich nicht gut. Litt ich tatsächlich am Heimway-Syndrom? Sosehr der Gedanke mir missfiel: Vielleicht brauchte ich tatsächlich Hilfe? Manny hatte nicht weiter gefährlich gewirkt und schien nur mein Bestes im Sinn zu haben. Das Infinity-Büro lag in einem Souterrain der Harley Street: eine besänftigende Kombination aus gedämpftem Licht, das durch gelblich getönte Scheiben fiel, plätscherndem Wasser und, etwas gewöhnungsbedürftig, aromatischem Zimtduft. Die perlenden Klänge von Beethovens 5. Klavierkonzert erhoben sich über das Wassergeplätscher, als ich in einen schwarzroten Plüschsessel sank, versorgt mit Kaffee und einer Brezel. Beides hatte mir Renate, die Empfangsdame, auf feinstem Villeroy&Boch-Porzellan kredenzt. Fast kam ich mir vor wie in einem Massagesalon. Aber nein. Auf dem Tisch ausgebreitete Broschüren informierten mich darüber, dass es sich hier um »die Absprungchance für >InfahrungErfahrung Weitere Reise-Aphorismen in diversen Sprachen grüßten mich zusammen mit mehreren Ölgemälden an den Wänden von Mannys Allerheiligstem. »Hi, Ben! Immer herein mit Ihnen. Ich hatte so ein Gefühl, dass wir uns wiedersehen würden.« Manny, anscheinend unverändert, wie ich ihn von unserer ersten Begegnung in Erinnerung hatte; doch diesmal in weit geschnittener Hose, schwarzem Rollkragenpullover und Turnschuhen. »Machen Sie es sich bequem und erzählen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben.« Ich gab mir einen Ruck und ließ mich auf das Patientensofa sinken. Von der Decke blickten die einem »Anonymus« zugeschriebenen Worte »Reisen macht frei« auf mich herab. »Also«, fing ich an. »Ich halte mich für einen relativ weit gereisten Menschen. Natürlich bin ich kein Abenteurer oder Forschungsreisender, aber ich hatte das Glück, ziemlich viel von der Welt gesehen zu haben. Unterwegs zu sein, ferne Orte zu erkunden, vor allem solche, die vielleicht nicht gerade unentdeckt, aber doch wenig besucht sind, und neue Menschen kennen zu lernen, war für mich seit jeher das Schönste. Es gibt allerdings immer noch eine Menge Orte, an denen ich nicht war, und eine Menge Menschen, die ich noch nicht kenne »Sie Glücklicher«, sagte Manny. »Aber lassen Sie mich raten: All das kann Ihnen ein Gefühl der Sinnlosigkeit nicht nehmen, das Sie zunehmend empfinden. Sie fühlen sich getrieben von elitärem Abscheu gegen den Zirkus des Massentourismus und können nicht zugeben, dass auch Sie ein Teil davon sind?« Ich hatte angenommen, ich würde das Reden übernehmen. Aber Manny hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, selbst wenn er sich ein bisschen verquer ausdrückte. Ich nickte gequält. »Immer öfter kommt es Ihnen vor, als seien die Kulturstätten der Welt zu Raststätten an der globalen Autobahn verkommen, ihre Bedeutung reduziert auf Billigsouvenirs und Kitsch.« Vor meinem inneren Auge sah ich die angeblich echt- indigenen peruanischen Musikantentruppen, die im Restaurant unterhalb von Machu Picchu auf ihren Panflöten »Hey Jude« zum Besten gaben. Manny hatte den Nagel wirklich auf den Kopf getroffen. »Sie könnten schier verzweifeln, weil Sie so großartige Bauwerke wie beispielsweise die Pyramiden nicht mehr betrachten können, ohne von Tausenden knallbunt gekleideter, rucksackschleppender Trottel aus aller Herren Länder umdrängt zu werden. Für solche Ignoranten sind, wie Sie selbstgefällig denken, diese Wunder nur Perlen vor die Touristensäue! Es ärgert Sie, dass die Leute inzwischen in Massen an Orte fahren können, die eigentlich doch Ihnen gehören. Orte, die so etwas wie der Schlüssel zu Ihrer Seele sind und zu denen Sie und nur Sie allein, so dachten Sie jedenfalls, einen ganz besonderen Bezug haben.« Manny war jetzt voll in Fahrt und überschlug sich fast vor Empörung über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit. »Ich wette, Sie haben sich schon oft vorgestellt, Hiram Bingham oder Giovanni Belzoni zu sein und Machu Picchu oder Abu Simbel als Erster zu entdecken. Ich wette, Sie haben sich sogar den Kommunismus zurückgewünscht, damit Orte, die Sie als persönliche Eroberung betrachten, nach wie vor höchstens für echte Abenteurer erreichbar wären. Zumindest aber geschützt vor Junggesellen-Wochenenden und vor der orangefarbenen Fröhlichkeit von Billig-Airlines ohne Service und ohne Klasse.« Mannys Monolog schien kein Ende zu nehmen. Er hatte die Diagnose »seines« Syndroms perfekt einstudiert. »In diesem unserem Zeitalter der Massenbeförderung und der Muss-Listen für Städte-Reisen haben Sie sich garantiert manchmal gefragt: Hat das Wort >ReisenUn- vergessliche Orte, die Sie unbedingt gesehen haben müssen, bevor Sie sterbenReiseexperten War Manny auch auf zu vielen Dinnerpartys gewesen? Nach einer kurzen Pause, in der er nach Luft schnappte, redete er weiter. »Hadern Sie wegen der Vergewaltigung einer Welt, von der Sie dachten, sie sei nur dazu da, von Ihnen bestiegen zu werden?« Ich fühlte mich ertappt, gedemütigt und vielleicht sogar ein bisschen unmoralisch. »So weit würde ich nicht gehen. Aber manchmal fühle ich mich so - so desillusioniert, dass ich fast lieber zu Hause bleiben würde. Es ist, als wäre ich übersättigt oder überdrüssig oder was weiß ich. Der Zauber ist dahin.« »Ach ja, der Zauber des Reisens. Darauf kommen wir später noch zurück. Zunächst jedoch: Was ist mit all den anderen?«, bohrte Manny nach. »Haben diese anderen nicht auch das Recht, so wie Sie zu denken - über die Welt und über Orte, die ihnen lieb und teuer sind? Das Recht, Sie, Ben, auf dieselbe Weise abzuqualifizieren, wie Sie es umgekehrt mit ihnen tun? Was macht Sie so einzigartig?« »Das ist ja das Schlimme«, antwortete ich. »Wahrscheinlich gibt es da draußen Tausende, die genauso denken wie ich . _ Aber ich kann die Massen einfach nicht mehr ertragen, diese ganze, diese ganze . Globalisierung!« »Ja, ja«, kam es von Manny. »Der Planet, auf dem wir leben, ist längst kein >Lonely PlanetInteressen und Hobbys »Was aber können Sie tun, Manny? Heilen Sie mich. Helfen Sie mir, meine Liebe zum Exotischen wiederzufinden.« »Wie ich schon bei unserer ersten Begegnung vermutete, sind Sie ein ganz normaler Fall von Heimway-Syndrom. Oder anders ausgedrückt: Sie leiden an etwas, das die Deutschen Weltschmerz nennen. Sie leiden an der Welt und ihrer Unzulänglichkeit.« Wir hatten es also nicht nur mit einer selbst benannten Malaise zu tun, sondern auch mit dem dazu passenden psy- chologisierenden Befindlichkeitsjargon. »Was Sie brauchen, ist eine Idee. Sie brauchen einen Ort, der Ihre Fähigkeit zum Staunen wiedererweckt und Ihre Reiseantennen wieder zum Vibrieren bringt. Die Reiseantennen, auf die Sie einst so stolz waren und die Sie als Symbol für jenen interessierten, aufgeschlossenen Menschen empfinden, für den Sie sich halten: jemand, der für alles, für andere Menschen und für andere Orte, offen ist und die Welt jeden Tag neu mit weit ausgebreiteten Armen willkommen heißt.« »Super. Und wo wäre dieser Ort?« »Sie meinen, wo doch jeder Winkel der Welt schon erforscht ist?« Manny setzte sich für die große Offenbarung in Positur: »Nun, im Gegensatz zu dem, was Sie und Ihresgleichen denken, gibt es ein noch völlig unerschlossenes Gebiet, eine verloren gegangene oder vielmehr übersehene Welt, ein Land, das im wahrsten Sinne des Wortes unentdeckt geblieben ist. Eingesponnen in dunkle, feindselige Mythen, wurde es seit über sechzig Jahren, als es aus dem Denken der meisten Weltbewohner ausgelöscht wurde, kaum betreten. Ein Land, vor dessen Besuch viele zurückschrecken, so wenig wissen sie darüber, so unzugänglich erscheint es ihnen. Und wo ist dieses ferne, unzugängliche Land, fragen Sie? Nun, so fern und unzugänglich ist es gar nicht.
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Autoren-Porträt von Ben Donald
Ben Donald ist Journalist und Reiseschriftsteller. Er hat sich mit seinen Reisereportagen in Großbritannien einen Namen gemacht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ben Donald
- 2010, 384 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Brigitte Walitzek, Sigrid Ruschmeier
- Verlag: Penguin Random House
- ISBN-10: 3641038405
- ISBN-13: 9783641038403
- Erscheinungsdatum: 04.03.2010
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