Die Gründerväter (ePub)
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Der neunte Band der großen Australien-Saga
Die Gründerväter von William Stuart Long
LESEPROBE
Prolog
Am Neujahrstag des Jahres 1859 lief die Königliche Dampffregatte Kestrel in Port Jackson cin, um das dort stationierte Kriegsschiff, die Galah, abzulösen. Laut fluchend beobachtete der Kommandant der Galah, der für seine Dienste bei dem Sepoy-Aufstand in Indien ausgezeichnete Fregattenkapitän Red Broome, wie das soeben eingelaufene Schiff in der Watson Bay vor Anker ging. Immerhin traf es zwei Wochen früher als erwartet an seinem neuen Standort ein.
Die Instandsetzung seines eigenen Schiffes - den Schaden hatten sie auf der Überfahrt von Kalkutta erlitten - war erst vor zehn Tagen abgeschlossen worden. Er war sich dessen schmerzlich bewusst, dass er die Galah nach England zurückbringen musste, sobald er dem Kommandanten der Kestrel die Verantwortung für den Stützpunkt übergeben hatte.
Allerdings wäre es höchst ungastlich, wenn er seinen Nachfolger nicht gebührend willkommen hieße. Eine Einladung zum Dinner für einen der nächsten Abende in seinem Haus, nachdem alle Formalitäten erledigt waren, würde voll und ganz genügen, beschloss Red. Seine Frau Magdalen war eine ausgezeichnete Gastgeberin. Sie wäre zwar wegen der unerwartet frühen Ankunft der Kestrel ebenso bestürzt wie er, aber er könnte sich dennoch darauf verlassen, dass sie ihnen ein Abendessen vorsetzen würde, das bei allen Gästen noch lange in Erinnerung bliebe. Schließlich war es sein Abschiedsessen und gleichzeitig das Begrüßungsmahl für seine Ablösung in der Kolonie.
In den folgenden Tagen, in denen Red sich auf seine Abreise vorbereitete, sollte er seine spontane Einladung jedoch bereuen. Es stellte sich heraus, dass der Kapitän der Kestrel, Commander Rupert Harland - klein von Gestalt und geltungssüchtig - etliche Jahre älter war als Red und auf wesentlich mehr Dienstjahre zurückblicken konnte. Er war nur deshalb nicht weiter befördert worden, weil ein Untersuchungsgericht ihm die Verantwortung für den Tod eines Fähnrichs gab, der unter seinem Kommando auf den Westindischen Inseln gedient hatte.
Bei diesem jungen handelte es sich um den jüngsten Sohn des Zweiten Seelords. Wie Harland innerhalb der ersten halben Stunde ihres Zusammentreffens Red verbittert anvertraute, habe seine Lordschaft ihn aus diesem Grunde in den vergangenen fünf Jahren auf halbem Sold gehalten. Das Kommando über die Kestrel sei ihm erst nach dem Tod des rachsüchtigen alten Admirals anvertraut worden. Und den Standort, an den er beordert worden war, hätte er sich selbst als allerletzten ausgewählt.
»Eine verfluchte Strafkolonie«, erklärte er streitlustig. »Und das zwei volle Jahre lang. Möge Gott ihnen vergeben, denn ich vermag es nicht.«
Mit deutlichem Missfallen betrachtete er Reds braun gebranntes, gutaussehendes Gesicht. Er überlegte sich, wie viele Jahre sie wohl voneinander trennen mochten, und sah in ihrem Rangunterschied Grund genug zu Ressentiments, die er keineswegs zu verbergen versuchte.
»Verdammt, ich stand bereits im Rang eines Lieutenants, als Sie gerade mal Fähnrich waren! Sie haben unter dem ehemaligen Admiral Sterling gedient, stimmt's? «
»Ja, die Success war mein erstes Schiff. Aber ... «
»Und wie ich gehört habe, sind Sie hier draußen geboren? « Harlands Ton klang wie eine Anschuldigung, und Red verspannte sich.
»Ja, das stimmt. Ich ...«
»Dann wird Ihnen der Abschied sicher schwerfallen. Zum Teufel, ich würde alles darum geben, wenn ich mit Ihnen tauschen könnte, Captain Broome. Ich habe Frau und Kinder in Dorset, und da ich fünf Jahre lang mit halbem Sold knausern musste, konnte ich es mir nicht leisten, sie mitzubringen.«
Ich würde für diesen Tausch noch viel mehr geben, wenn es nur die geringste Möglichkeit dazu gäbe, dachte Red und hörte Harlands Wortschwall mit großer Beherrschung zu.
Zwei Tage, nachdem er seinen Nachfolger kennengelernt hatte, verstärkte sich Reds instinktive Abneigung ihm gegenüber noch. Claus Van Buren, inzwischen einer von Sydneys angesehensten Kaufleuten, steuerte seinen auffallend schönen, auf einer amerikanischen Werft gebauten Klipper Dolphin in den Hafen, als Red sich gerade mit Harland im Amtssitz des Kommodore aufhielt, von wo aus man das gesamte Hafengelände überblicken konnte. Harland hatte den Schoner, der zusätzlich Dampfantrieb besaß, mit bewundernden Blicken betrachtet. Sein Herz schlug für Segelschiffe, was durchaus für ihn sprach. Als er sein Interesse an dem hervorragend konstruierten Schiff bekundete, erbot sich Red, der Dolphin gemeinsam mit ihm einen Besuch abzustatten, damit Harland sie besichtigen konnte.
Da er Claus seit seiner Kindheit kannte, kam es Red nicht in den Sinn, die Herkunft des Schiffseigners zu erwähnen. Sydneys feine Gesellschaft hatte den Mischling längst akzeptiert, und bei jedem großen Ereignis zeugte Claus' dunkle Hautfarbe von seinem javanischen Blut, während sein holländischer Name Zeugnis für seine aristokratische Abstammung ablegte.
Zunächt verlief der Besuch auf der Dolphin reibungslos, denn Rupert Harlands Interesse war durchaus echt. Er kannte sich mit dem Bau von Klippern erstaunlich gut aus, und sein Verhalten gegenüber Claus war, wenn auch ein wenig herablassend, doch immerhin höflich. An Bord befanden sich auch Claus' hübsche amerikanische Frau Mercy und ihre beiden Söhne. Als die ausgiebige Besichtigung endlich abgeschlossen war, kam Mercy an Deck und lud die Besucher zu einer Erfrischung in die große Kajüte ein. Commander Harland betrat die Kajüte und sah die schöne Vertäfelung sowie die luxuriöse Ausstattung, den mit Schnitzereien verzierten Esstisch mit Stühlen, das Silber, die geschliffenen Kristallgläser und das feine Porzellan auf dem Sideboard. Er schien sichtlich beeindruckt, gab seine herablassende Haltung auf und besann sich auf bessere Manieren. Ehrerbietig beugte er sich über Mercys Hand und bedankte sich für die angebotene Tasse chinesischen Tee. Nachdem sie den Tee eingegossen hatte, setzte er das mit Claus begonnene Gespräch über die Takelage und die Ladekapazität fort.
»Es überrascht mich, dass Sie Ihr Schiff nicht mit Rahsegel getakelt haben. Wenn es Ihnen um Geschwindigkeit geht - da Sie im Wollhandel tätig sind, gehe ich doch davon aus -, dann hätte ich gedacht, dass Sie ... « Entsetzt unterbrach er sich und bekam vor Verblüffung den Mund nicht mehr zu. »Wer um alles in der Welt ... «
Der Vorhang zum Korridor war zur Seite geschoben worden, und der junge Maori-Häuptling Te Tamihana betrat die Kajüte. Er bewegte sich so ungezwungen, als sei er mit allen an Bord bestens vertraut. Von Mercy Van Buren nahm er eine Tasse Tee entgegen und setzte sich an den Tisch.
Red wusste von der Freundschaft des Häuptlings mit Claus, und da der junge Maori ihm bereits vorgestellt worden war, grüßte er ihn mit Namen. Harland aber starrte ihn dermaßen entgeistert an, als sei er eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Verständlicherweise musste das plötzliche Auftauchen Te Tamihanas mit seinem stark tätowierten Gesicht und seinem geschmeidigen, kupferfarbenen und bis auf einen kurzen Rock aus geflochtenem Flachs völlig nackten Körper auf einen Neuankömmling aus England befremdlich wirken. Noch dazu, da der Maori völlig ernst an seinem Tee nippte. Trotz alledem war Red auf die Reaktion seines Offizierskollegen nicht vorbereitet.
Harland sprang auf, ließ seine Teetasse fallen und rief wütend: »Bei Gott, Broome, aus Ihnen ist ja vielleicht schon ein Eingeborener geworden, aus mir aber nicht! Was Captain Van Buren angeht, war ich bereit, fünf gerade sein zu lassen. Aber man kann doch nicht von mir erwarten, dass ich mich mit einem dieser wilden Ureinwohner an einen Tisch setze. Das ist verdammt noch mal zu viel verlangt, Sir! «
Te Tamihana blickte ihn leicht überrascht an, stellte vorsichtig seine Tasse ab und bemerkte in fehlerfreiem Englisch: »Wenn du erlaubst, Claus, gehe ich mit den jungen an Deck. Wie es so geht, waren wir mitten in einem spannenden Spiel, und die beiden haben mich hart bedrängt. Entschuldigen Sie mich bitte, Mrs Van Buren.«
Niemand sagte ein Wort, bis der Vorhang sich nicht mehr bewegte. Dann schüttelte Claus warnend den Kopf in Reds Richtung und sagte mit kalter Stimme: »Bei dem jungen Mann, den Sie soeben beleidigt haben, Commander Harland, handelt es sich nicht um einen australischen Ureinwohner. Er ist ein Maori, einer der einflussreichsten Häuptlinge von Neuseelands Bay of Islands, und außerdem einer meiner geschätzten Freunde, der ebenso wie Sie als Gast auf meinem
doch Claus ließ das nicht zu. »Lassen Sie mich ausreden, Commander. Ich verbringe einen Großteil meiner Zeit in Neuseeland, wo ich ausgedehnte Handelsbeziehungen unterhalte, weit bedeutendere als meine derzeitigen Interessen im Wollhandel. Und sie gründen sich auf das freundschaftliche Verhältnis zu den Maori-Stämmen, das ich über viele Jahre hinweg aufgebaut habe. Ich betrachte die Maori als gleichwertige Partner, und ich respektiere ihre Kultur, ihre Wertmaßstäbe und ihre Ehrbarkeit. Dieselbe Haltung nehmen sie auch mir gegenüber ein, Sir. «
Deutsch von Ursula Guinaldo
ã Book Creations Inc.
- Autor: William Stuart Long
- 2013, 511 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863657810
- ISBN-13: 9783863657819
- Erscheinungsdatum: 01.03.2013
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