Die Vernichtung von Dersim / Edition arArat Bd.3 (ePub)
Roman
Im Zentrum der Handlung steht das Schicksal des Dorfes Mergasur in Ost-Dersim, einsetzend im Winter 1937/ 38. Die türkische Militäraktion gegen West-Dersim ist bereits in vollem Gange, nach einem außerordentlich harten Winter werden auch die Dörfer...
sofort als Download lieferbar
eBook (ePub)
12.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenloser tolino webreader
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Vernichtung von Dersim / Edition arArat Bd.3 (ePub)“
Im Zentrum der Handlung steht das Schicksal des Dorfes Mergasur in Ost-Dersim, einsetzend im Winter 1937/ 38. Die türkische Militäraktion gegen West-Dersim ist bereits in vollem Gange, nach einem außerordentlich harten Winter werden auch die Dörfer Ost-Dersims geräumt, ein großer Teil der Bevölkerung wird umgebracht, wer überlebt wird in den Westen der Türkei deportiert. Im weiteren Verlauf konzentriert sich die Geschichte auf das Schicksal einer jungen Frau, die als kleines Mädchen die Massaker überlebt hatte.
Lese-Probe zu „Die Vernichtung von Dersim / Edition arArat Bd.3 (ePub)“
Ein Lied nach dem anderen. Manche der jüngeren Männer schlossen sich Bakýls Gesang an. Alibinats Raum hallte von Männerstimmen wider. Es waren Lieder, die Leid zum Ausdruck brachten und Wut. Zigaretten wurden gedreht, das Leid in den Liedern besprochen, Rosinen, Pestil, Maulbeeren und Walnüsse geknabbert. Wie immer wartete man auf den Höhepunkt der Versammlung. Die Kinder waren kurz vor dem Entschlummern, und die ganz besonders Neugierigen waren ja sie. Aller Augen waren auf Alibinat gerichtet. Die Augen derer, die ihn mochten, und auch derer, die ihn innerlich ablehnten, doch er hatte noch nie jemandem je ein kränkendes Wort gesagt. Die Dörfler liebten ihn, wie sie ihn fürchteten. Sein Fluch konnte Felsen spalten, Ochsen umwerfen, Menschen innerhalb einer Woche in Krankheit stürzen. Da das jeder wußte, war seine Stellung sicher. Im vergangenen Jahr hätte Cafo Derg fast mit dem Leben dafür bezahlen müssen, daß er in das Feld der hinterbliebenen Waisen von Uso Kor eingedrungen war. Alibinat hatte die Grenzverletzung gesehen und gesprochen: "Ero Cafo, ist das nicht ungehörig, was du da getan hast? Glaubst du, dich ungestraft an den Waisen vergehen zu können?" Cafo Derg war bei diesen Worten vor Wut außer sich geraten. Mit dem Anspruch, Recht zu haben, wie der Drache, der sich an den Brunnen setzt und Tribut verlangt, hatte er ganz Mergasur zusammengeschrien. Daraufhin hatte Alibinat die Grenzsteine aufgehoben und den ehemaligen Grenzverlauf wieder hergestellt: "Entweder du akzeptierst das oder du richtest dich darauf ein, daß dein Ofen verlöschen wird und deine Kinder nicht mehr wärmt. So wahr ich den Duzgin, der uns hier zuhört, dafür anflehen werde!" Cafo Dergs lange Beine hatte augenblicklich ein Zittern befallen, Angst kroch ihm in alle Knochen, und er wurde brav wie die Ziege im Maul des Wolfes. Voller Schrecken rief er mit zittriger Stimme: "Apo, Apo, Gott möge dich strafen! Willst du meine Familie des Ernährers berauben?" "Das ist deine Sache", hatte Alibinat
... mehr
ruhig geantwortet und war davongegangen. Cafo Derg lief ihm hinterher, küßte seine Hände und bat um Vergebung. Seine Frau warf sich Alibinat zu Füßen, er möge doch verzeihen. Fast alle Bewohner Mergasurs glaubten fest daran, Cafo Derg sei von einem großen Fluch befreit worden. Hätte er auf seiner Sache beharrt, hätte er kaum die nächste Woche überlebt, dachten alle, jung und alt, Mann und Frau. Die Frauen erzählten sich, daß es Alibinat sei, der Freitag nachts Kerzen am Brunnen anzündete. Des nachts war Alibinat soviel wert wie vierzig Kerzen in der Dunkelheit, am Tag war er Verstand und leuchtender Geist. Er betrachtete die Dörfler, die am Ofen saßen, an mit Stroh gestopfte, mit Kelimstoff überzogene Kissen gelehnt. Reglos und nachdenklich saß er da. Sicher dachte er darüber nach, wie er anfangen sollte. Er wollte seine Zuhörer nicht langweilen. Behutsam strich er über seinen weißen Bart, der ihm bis auf die Brust reichte. Sein Blick fiel auf Riza Tschausch und, der Reihe ihrer Bedeutung nach, auf die Männer, die ihm gegenüber und neben ihm saßen. Alle warteten auf den Anfang seiner Rede. Der Raum war von schwerem Tabakduft erfüllt. Das fahle gelbliche Licht der Laternen, die über dem Ofen und an einem Pfahl befestigt waren, behauptete sich kaum gegen den blauen Dunst. "Ero býra, also Brüder, als die Russen damals kamen ...", hub Alibinat mit vom Rauchen heiserer Stimme schließlich an, und aller Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu. Was würde er heute erzählen? Ein kurdisches Märchen, eine Geschichte aus dem Krieg oder eine historische Begebenheit? Vielleicht hatten sie dieselbe Erzählung schon vor Wochen gehört. Denn womit sonst sollte man diese Winternächte zubringen? Ihm zuzuhören war lehrreich. Was man von ihm hörte, konnte man später den Kindern weitererzählen. "Die russischen Soldaten marschierten in Kurdistan ein. Himmel und Erde waren voller russischer Soldaten. Schon war Berg und Stein in ihrer Hand. Schon war Erzingan gefallen. Von den ruhmreichen Osmanen keine Spur. Die Osmanen, die zum Adler werden, wenn es ums Marodieren und Steuereintreiben geht, rannten davon wie die Hasen, als die Russen kamen. In ganz Dersim stand kein einziger osmanischer Soldat. Der russische General schickte Unterhändler zu den Führern der kurdischen Clans. Ihr Kurden und Armenier leidet doch genug unter den Osmanen, kommt zusammen, werdet einig, bildet eine einzige Kraft, boten sie an. Schlagen wir gemeinsam die Osmanen. Armenier sorgten damals für den Nachrichtenaustausch. Die kurdischen Beys hatten sich in Þeniaaðu versammelt und berieten die Lage. Der Clanführer der Çarek war Gastgeber damals. Alle großen Clans von Dersim waren dort vertreten. Manche Beys hielten die Zeit für gekommen, sich vom Druck der Osmanen zu befreien. Sie stimmten für den Zusammenschluß mit den Armeniern. Doch gleichzeitig trauten sie den Armeniern nicht so ganz. Wenn wir uns von den Osmanen befreien, dann wollen wir nicht unter die Knute der ungläubigen Armenier geraten! Andere meinten, wenn die Osmanen den Ungläubigen gegenüber so in Bedrängnis seien, dann widerspreche es dem Adel der Kurden, ihnen die Hilfe zu verweigern. Auch Ivrahim Bey war dieser Meinung. Sagt nicht: Ach, der! Dreihundertsechzig Dörfer hat er unter sich. Ein Mann edler Herkunft ist er! Wenn er spricht, hängen die anderen an seinen Lippen. So dauerte es denn auch nicht lange und die ganze Gemeinde stimmte ihm zu. Die Clans der Çarek, der Lolan, der Hormek, der Areyan und der Balaban waren von vornherein auf seiner Seite. Wir lassen die Russen nicht nach Dersim herein, beteuerten sie. Man gab sich das Ehrenwort, man hob die Becher darauf. So war es denn beschlossen. Die Kriegstrommeln wurden gerührt. Das Wort eines Kurden ist Ehrensache, und stirbt er auch, so rückt er doch nicht davon ab! Botschafter wurden entsandt, damit Hilfe aus dem Süden von Dersim komme. Ich war Botschafter unseres Clans damals. Lau çe vesayene! Möge ihnen das Haus niederbrennen! Wie konnte es zugehen, daß innerhalb kürzester Zeit Hunderte von Menschen auf den Berg Baðýr marschierten? Die Russen hatten eine breite Straße bis auf den Gipfel hinauf gebaut. Den riesigen Berg hatten sie umzingelt. Eine aufreibende Arbeit. Seit Jahrtausenden gehört dieser heilige Berg den Kurden. Und doch haben wir nicht einmal einen befestigten Weg, auf dem unsere Ziegen bergan steigen könnten. Die Gavuren hingegen haben Wissen und Wissenschaft. Hätten sie einmal den Berg Baðýr in Händen, so kämen sie leicht nach Dersim hinein, mochten sie gedacht haben. Indes, wie ich schon sagte, alles geht auf seine ganz eigene Weise. Wir hatten ja keine schweren Waffen. Die russischen Gewehre hingegen waren die besten ihrer Zeit. Die Osmanen waren kopflos in alle Winde zerstreut. Der Sultan sandte einen Boten zum Agha der Çarek, ließ ausrichten, er habe das Sultanat gegen die Gavuren zu verteidigen. Er glaubte also, unsere kurdischen Brüder würden die Gegner des Kalifats aus ihrem Land vertreiben. Dann rief er die Kinder der Clanführer nach Istanbul. Sie sollten zu Offizieren ausgebildet werden. Mit zahllosen Komplimenten umschmeichelte er die Herren. Wie kam es, daß der Osmane, der gestern noch erbarmungsloser Unterjocher, gottloser Tyrann war, heute auf einmal milde und nachgiebig auftrat? Nun, er war auf die Hilfe der Kurden angewiesen. Und wer je an unsere Türe klopfte, der wurde auch nicht abgewiesen. So ist es Brauch bei uns seit eh und je." So sprach Alibinat, den Blick deutlich auf den Fremden im Dorf gerichtet.
... weniger
Autoren-Porträt von Haydar Isik
Haydar Isik, geb. 1937 in Dersim. Pharmazie- und Lehramtsstudium.1974 nach Deutschland exiliert. Lehrer für Türkisch an einer Realschule in München. Nach dem Militärputsch ausgebürgert, wurde ihm 1984 die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt. Mittlerweile ist er als freier Schriftsteller und Journalist tätig. Zwei seiner Bücher sind bislang auf Deutsch erschienen: "Der Agha aus Dersimin" (A1 Verlag) und "Verloren in Deutschland" (Ararat Verlag).
Bibliographische Angaben
- Autor: Haydar Isik
- 2012, 1. Auflage, 344 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Sabine Adatepe
- Verlag: Unrast Verlag
- ISBN-10: 3954050048
- ISBN-13: 9783954050048
- Erscheinungsdatum: 08.06.2012
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.07 MB
- Ohne Kopierschutz
Pressezitat
Die Erinnerung schläft nieHaydar Isiks Buch über den Völkermord an den Kurden
Ein Völkermord, der nie in das Bewusstsein Europas und der Welt gedrungen ist: Im Frühjahr 1938 drang türkisches Militär in fast ausschließlich von Kurden bewohnten Ostteil der Provinz Dersim ein, brannte Dörfer nieder und massakrierte Tausende von Zivilisten - Männer, Frauen, Kinder. Die Überlebenden werden in die Westtürkei deportiert. Nach getaner Arbeit wird die Provinz umbenannt: "Tunceli", "Eiserne Hand" heißt sie bis heute. Haydar Isik ist im Jahr 1937 in Dersim geboren, und seine ganze Kindheit über hörte er die Erzählungen von den Massakern, deren Grausamkeit auch einem Leser von heute noch schlaflose Nächte bereiten kann. Jahrzehnte lang gab es kein literarisches Zeugnis dieser Gräueltaten. Nach offizieller türkischer Leseart gab es ja gar keine Kurden, und der Gebrauch der kurdischen Sprache war bis vor wenigen Monaten bei Strafe verboten. Isik, der seit 1974 in Deutschland lebt und von der Türkei wegen seiner schriftstellerischen Tätigkeit ausgebürgert wurde, hat dieses Tabu gebrochen. Sein Roman "Die Vernichtung von Dersim" erzählt in einer Sprache, deren naives Pathos die Brutalität der Ereignisse nicht mildert, die
Geschichte des Mädchens Gule, das nach einer Massenerschießung unter der Leiche seiner Mutter überlebt, von einem Türkischen General als Geschenk für dessen kinderlose Ehefrau mitgeschleppt wird und erst kurz vor dem Tod ihrer Stiefmutter von ihrer wahren, kurdischen Identität erfährt.
SZ-Extra, 12.12.2002
Kommentar zu "Die Vernichtung von Dersim / Edition arArat Bd.3"
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Vernichtung von Dersim / Edition arArat Bd.3".
Kommentar verfassen