Drei Männer unterm Weihnachtsbaum (ePub)
Lydia träumt von einem perfekten Weihnachtsfest...
... und so freut sie sich wie eine Schneekönigin, als ihre ältesten Freunde sie einladen, die Feiertage bei Ihnen zu verbringen. Ein paar Tage mit knisterndem Kaminfeuer, gerösteten Kastanien, Punsch und...
... und so freut sie sich wie eine Schneekönigin, als ihre ältesten Freunde sie einladen, die Feiertage bei Ihnen zu verbringen. Ein paar Tage mit knisterndem Kaminfeuer, gerösteten Kastanien, Punsch und...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Drei Männer unterm Weihnachtsbaum (ePub)“
Lydia träumt von einem perfekten Weihnachtsfest...
... und so freut sie sich wie eine Schneekönigin, als ihre ältesten Freunde sie einladen, die Feiertage bei Ihnen zu verbringen. Ein paar Tage mit knisterndem Kaminfeuer, gerösteten Kastanien, Punsch und Geschenken: Herz, was willst du mehr? Doch Lydias Freude an all dem Winterwunderland wird jäh zerstört, als sie sich im Haus ihrer Freundin Katy eingeschneit wiederfindet: mit ihrem derzeitigen Lover, ihrem Ex und einem attraktiven Fremden. Und es dauert gar nicht lange, dann stellt sich die Frage, welches Geschenk sie als erstes auspacken soll.
... und so freut sie sich wie eine Schneekönigin, als ihre ältesten Freunde sie einladen, die Feiertage bei Ihnen zu verbringen. Ein paar Tage mit knisterndem Kaminfeuer, gerösteten Kastanien, Punsch und Geschenken: Herz, was willst du mehr? Doch Lydias Freude an all dem Winterwunderland wird jäh zerstört, als sie sich im Haus ihrer Freundin Katy eingeschneit wiederfindet: mit ihrem derzeitigen Lover, ihrem Ex und einem attraktiven Fremden. Und es dauert gar nicht lange, dann stellt sich die Frage, welches Geschenk sie als erstes auspacken soll.
Lese-Probe zu „Drei Männer unterm Weihnachtsbaum (ePub)“
Drei Männer unterm Weihnachtsbaum von Sabine SchilaskyProlog
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4. Dezember Lydia Grant hatte nicht vorgehabt, an diesem feuchten, vernieselten Dezembermorgen ihren Verlobungsring zu finden, doch sie fand ihn. Ihr Freund Stephen war lange vor dem Morgengrauen aufgestanden, sodass Lydia das breite Bett ganz für sich hatte. Das kam selten vor, und sie kostete es aus, indem sie sich richtig breitmachte und viermal den Radiowecker ausschaltete. Immer wieder nickte sie genüsslich ein, bis es zehn vor sieben war. Kaum wurde ihr bewusst, wer sie in Wirklichkeit war, setzte sie sich kerzengerade auf. Nachts war Lydia eine hoffnungslose Romantikerin, die jede Sekunde nutzte, um sich in die goldenen Zeiten der Hollywoodfilme zurückzuversetzen, die sie seit Kindertagen liebte. Jedes Mal aufs Neue verliebte sie sich in Cary Grant oder Trevor Howard. Und manchmal sogar in ihren Freund, wenn auch in letzter Zeit nicht mehr ganz so oft. Tagsüber allerdings - Lydias Tag hätte um Punkt halb sieben beginnen sollen - war sie Lydia Grant, eine erfolgshungrige junge Anwältin auf dem Kreuzzug für die Gerechtigkeit. In einer guten Stunde musste sie vor Gericht erscheinen und eine sechsundvierzigjährige Arztgattin vertreten. Die Frau war wegen Kreditkartenbetrugs in Höhe von mehreren zehntausend Pfund angeklagt. Lydia hatte den Schriftsatz erst gestern Abend um halb neun bekommen. Sie musste sich beeilen, wollte sie rechtzeitig im Gericht sein. Sie musste unbedingt vor der Verhandlung noch kurz mit der Angeklagten sprechen und Mrs Harris versichern, dass alles gut werden würde. Denn wenn es eine Anwältin gab, die jeden Richter davon überzeugen konnte, dass eine Frau zweihundert Paar Designerschuhe brauchte, dann war es Lydia Grant. Falls das nicht klappte, würde sie auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädieren. Wer war nicht schon mal wegen eines Paars Schuhe ausgefl ippt, weil es leider unbezahlbar war ? Lydia dankte ihrem Glücksstern, dass Stephens Wohnung in Holborn nur fünfzehn Minuten Fußweg vom Gericht entfernt lag. Es war auch ihre Wohnung, doch das vergaß sie dauernd, obwohl sie seit sechs Monaten dort wohnte. Für sich bezeichnete sie sie immer noch als Stephens Wohnung. Sie sprang aus dem Bett und gönnte sich fünf Minuten unter der Dusche, ehe sie ihr dunkelbraunes Haar geübt zu einem kleinen Knoten schlang. Anschließend zog sie ihre weiße Bluse und den schwarzen Hosenanzug an, den sie sich vor dem Schlafengehen rausgelegt hatte, und polierte ihre Lieblingsstiefel mit den Mörderabsätzen. Ein rascher Blick in den Dielenspiegel folgte. Lydia zog ein Gesicht. Sie bestärkte sich laut darin, dass sie eine starke, selbstbewusste und kompetente Frau war. Eine Frau, die nie auch nur eine Sekunde an sich zweifelte. Sie würde dem Richter und den Geschworenen klarmachen, wie lachhaft die Anklage war. Das eigentliche Opfer in diesem Prozess war ihre Mandantin. Ja, Mrs Harris war das Opfer ihres reichen Ehemannes, der sich weigerte, ihr ausreichend Schuhe zu kaufen. Leider fand Lydia keine schwarzen Strümpfe mehr in der Schublade, die Stephen ihr feierlich freigeräumt hatte, als er sie bat, zu ihm zu ziehen. »Ich fi nde«, hatte er ernst erklärt, als er ihr den Wohnungsschlüssel reichte, »dass es Zeit wird, Nägel mit Köpfen zu machen, meinst du nicht ?« Es war vielleicht nicht gerade der romantischste Moment in Lydias Leben gewesen, aber ein bedeutsamer allemal. Ein Schritt hin zu einer festen Bindung, die sie bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten hätte. Aber man sollte nicht zu viel Wind deswegen machen, denn immerhin ging es nur um eine Schublade. In Letzterer fanden sich Sportsocken, bunte Socken und rosa Socken mit Glitzer, die Lydia von ihrer elfjährigen Halbschwester aus der dritten Ehe ihres Vaters zum Geburtstag bekommen hatte, sowie ein Wust von Feinstrumpfhosen direkt aus der Waschmaschine. Kein einziges Paar Strümpfe, das sie in ihren Glücksstiefeln tragen konnte. Da es bedenklich spät wurde, tat Lydia, was jede starke, selbstbewusste und kompetente Frau tun würde. Sie beschloss, sich ein Paar Socken von ihrem Freund zu leihen. Also riss sie die oberste Schublade auf und erlitt den Schock ihres Lebens. Oben auf Stephens ordentlich sortierten Socken, kein bisschen versteckt, lag das Schmuckkästchen. Es war eine kleine, viereckige Schachtel im unverwechselbaren Türkis und mit dem schwarzen Aufdruck Tiffany & Co. auf dem Deckel. Ohne über die Bedeutung nachzudenken, nahm Lydia das Schmuckkästchen und öffnete es mit der Ungeduld eines Kindes, das eine Tüte mit Süßigkeiten aufreißt. Da funkelte er sie im Lampenschein an : ein einkarätiger, platingefasster Diamantverlobungsring, klassischer Tiffany-Bezet-Prinzess- Schliff. Lydia rang nach Luft. Der Ring war perfekt, wunderschön und vor allem genauso, wie sie ihn sich immer erträumt hatte. Ausgesucht von einem Mann, der Zeit und Mühe investiert hatte, ihren Geschmack zu ergründen. Ein Mann, der wusste, dass sie stets eine zerfledderte Ausgabe von Frühstück bei Tiffany mit sich herumtrug und dass es für sie der Gipfel der Romantik wäre, exakt so einen Ring in dieser wundervollen Schachtel zu bekommen. Diesen Ring konnte nur ein Mann aussuchen, der sie genügend liebte, um alles richtig machen zu wollen. Ja, der sie sogar sehr lieben musste, dachte Lydia, denn wie sonst hätte er es so perfekt hinbekommen sollen ? Schließlich wusste er, dass ein Antrag zu dieser besonderen Jahreszeit einen weiteren Traum Lydias wahr machte : Endlich würde Lydia ihr ganz besonderes Weihnachtsfest bekommen. Deshalb war es seltsam, dass ihr beim Betrachten des Rings ein völlig anderer Gedanke in den Sinn kam. Lydia Grant war sich überhaupt nicht mehr sicher, ob sie heiraten wollte.
1
21. Dezember Lydia blickte zu Stephen, der seit dem letzten Tanken mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte. »Wie es aussieht, schaffen wir es locker, bevor es richtig schlimm wird.« Sie sah durch die Windschutzscheibe zu den bleigrauen Wolken, die tief über dem Horizont hingen und Schnee ankündigten. »Im Wetterbericht hieß es Schnee, Schnee, noch mehr Schnee und schreckliche Straßenverhältnisse. Aber guck mal, es fängt gerade erst an zu schneien.« Lydia wies mit dem Kinn nach vorn. Draußen schwebten die ersten zarten Flocken herab, legten sich aufs Glas und wurden sogleich brutal weggewischt. Stephen schwieg. »Willst du die ganzen dreihundert Meilen schmollen ?«, fragte Lydia gereizt. »Ich habe doch gesagt, dass ich die Maut auf der M6 bezahle.« »Darum geht es nicht, und das weißt du auch«, sagte Stephen, der stur auf die Straße sah. »Es ist unser erstes Weihnachten.« »Nein, ist es nicht.« Lydia seufzte. »Das zweite, oder warst das nicht du letztes Jahr bei meiner Mum - der Betrunkene mit der Weihnachtsmannmütze ?« Lydia verzog das Gesicht bei der Erinnerung an ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest : Ihre Mutter, die beim Frühstück mit Whiskeylikör anfi ng, auf dem Schoß von Lydias Stiefvater hockte und ihm das Gesicht ableckte, während im Hintergrund die Queen ihre Ansprache hielt. Der arme Stephen hatte sich durch einen verschmorten Truthahn und halb gare Kartoffeln kämpfen müssen. »Es sollte unser erstes Weihnachten zu zweit werden«, erwiderte Stephen. »Keine Familie dieses Jahr, hast du gesagt. Keine Marathontour von Kent nach Birmingham und zurück, nur damit du deine sämtlichen Eltern und Halbgeschwister siehst. Dieses Jahr, das waren deine Worte, wollten wir so feiern, wie es uns gefällt. Offenbar war gemeint, dass wir so feiern, wie es dir gefällt. Mein Fehler, dass ich etwas anderes dachte.« »Sämtliche Eltern ? Na hör mal, ich komme nicht aus einer Mormonenfamilie oder einer verrückten Hippiekommune ! Man nennt das heute Patchwork-Familie, Stephen. Das solltest du eigentlich wissen, Mr Familienrecht !« »Du weißt, was ich meine. Was war denn letztes Jahr ? Deine Mum und Greg, die es praktisch auf dem Fernsehsessel deiner Großmutter trieben. Und dann mussten wir am zweiten Feiertag vor Tau und Tag losfahren, damit wir zum Mittagessen bei deinem Dad und Janie waren. Daselbst erwarteten uns so viele Halb- und Halb-Halb-Geschwister von dir, dass es mir wie ein Ausfl ug in eine Kinderkrippe vorkam. Wie alt ist dein Dad eigentlich ? Und woher nimmt er die Energie ?« »Keine Ahnung. Kannst ihn ja mal fragen«, murmelte Lydia. »Du weißt, wie meine Familie ist.« Lydias Kindheit war alles andere als idyllisch gewesen, und sie hatte sich redliche Mühe gegeben, Stephen darauf vorzubereiten, als es mit ihnen ernst wurde. Über kurz oder lang würde er ihre Familie ja kennenlernen müssen. Lydia liebte sie alle - meistens jedenfalls. Dennoch war es nicht die Sorte Familie, die man dringend seinem ersten richtigen Freund vorstellen wollte. Ihre Eltern hatten eine turbulente Beziehung geführt, einen Monat nach ihrem Kennenlernen geheiratet und erst bemerkt, dass sie einander nicht ausstehen konnten, als Lydia unterwegs war. Die Weihnachtsfeste in Lydias Kindertagen hatten nichts mit ihren heiß geliebten Filmszenen gemein gehabt, in denen es schneite, sich alle liebten und am Ende immer alles gut war. Lydias Kinder-Weihnachten waren von einem Albtraum- Soundtrack aus zornigen Worten, bitteren Vorwürfen und knallenden Türen untermalt, bis Lydia zwölf war und ihr Vater sie und ihre Mutter an Weihnachten verließ. Das dürfte wohl das übelste von all den enttäuschenden Weihnachtsfesten gewesen sein. Für die nächsten Jahre wurde Lydia zu einem Druckmittel im zunehmend hässlicheren Kleinkrieg ihrer Eltern, wechselte während der Feiertage von einem zum anderen und fühlte sich nirgends zu Hause. Inzwischen war ihre Mutter wieder verheiratet - vielleicht ein bisschen zu glücklich für Lydias Geschmack, bedachte man den Zwischenfall beim letzten Weihnachtsfest. Und ihr Vater schien an einem Wettbewerb für die häufi gsten Eheschließungen teilzunehmen. »Dad hat Probleme. Er steckt schon sein ganzes Leben in einer Midlife-Crisis. Sei froh, dass du ihn in der Janie-Phase kennengelernt hast. Sie ist wenigstens nett. Seine zweite Frau war eine Schreckschraube. Sie hat von mir immer als ›das Mädchen‹ gesprochen. Nie hat sie meinen Namen gesagt, immer nur ›das Mädchen‹ mit so einem Naserümpfen. Mir graute jedes Mal davor, wenn sie dran waren, mich über Weihnachten zu nehmen.« Lydia tat ihr Bestes, ihrem Dad die Karen-Jahre nicht vorzuhalten. Dass sie während des Weihnachtsessens allein im Wohnzimmer vorm Fernseher hockte. Dass er nie daran dachte, ihr ein Geschenk zu besorgen. Wahrscheinlich konnte er es nicht, denn er gab jeden Penny, den er nicht besaß, für Karen aus. Und dann hatte er zugestimmt, als Karen verlangte, dass Lydia an Weihnachten gar nicht mehr zu kommen bräuchte. Oder an Ostern oder überhaupt. Lydia hatte entschieden, ihrem Dad nicht die Schuld dafür zu geben, dass Karen sie aus seinem Leben drängte. Schließlich hatte er die Ziege verlassen, ehe es zu spät war. Und danach hatte er sich angestrengt, seine Beziehung zu Lydia wieder aufleben zu lassen. Zumindest bis er sich mit der sehr vollbusigen und weit netteren Janie einließ. Lydia fand es gut, dass Karen weg war. Janie machte ihren Dad glücklich, und sie dachte daran, Lydia hübsche Seifen oder Duftwässerchen zu besorgen, was doch immerhin etwas war. Als sie bemerkte, dass Stephens Miene ein bisschen weicher wurde, legte Lydia ihm für einen Moment eine Hand auf den Schenkel. »Es ist ja nicht so, dass wir nur die Familie abklappern, oder ? Wir fahren nicht von Broadstairs nach Birmingham, sondern haben ein richtiges Erwachsenen-Weihnachten im herrlichen Lake District, nur wir zwei.« »Ja, nur wir zwei und alle deine Freunde«, grummelte Stephen. »Ich habe meiner Mum erzählt, dass wir dieses Jahr nicht zu ihr kommen, weil wir unser eigenes Ding machen.« Stephen verstummte, und Lydia hielt es angesichts der Alarmglocken, die in ihrem Innern schrillten, für besser, nicht nachzuhaken. Nachdem sie Stephens Mutter inzwischen bei mehreren Anlässen begegnet war, würde Lydia sich lieber mit einem rostigen Nagel die Augen ausstechen, als noch mehr von diesen Du-bist-nicht-gut-genug-für-meinen-Sohn-Blicken zu ertragen. Ein völliges Meiden dürfte indes schwierig werden, wenn sie Stephen heiratete. Im Geiste fügte Lydia »Stephens Mum« ihrer Liste von Pro und Kontra hinzu. Defi nitiv ein Kontra. Sein Dad war allerdings nett, wenn auch auf eine stille, unaufdringliche Art. Seine Kuh von Ehefrau hatte ihm sämtliches Leben und jeden Humor ausgetrieben. Genau genommen konnte er nicht als Pro zählen. »Es tut mir leid, dass ich die Einladung von Katy und Jim angenommen habe, ohne dich vorher zu fragen«, entschuldigte Lydia sich zum wiederholten Male. »Als sie anrief, war sie so aus dem Häuschen. Sechs Monate ist es her, dass sie mit Jim und den Kindern das Hotel übernommen hat, und ... na ja, ich fürchte, das ist ein ziemliches Groschengrab. Ich weiß auch nicht, was die beiden geritten hat. Ich meine, Jim ist Investmentbanker, und die einzigen Erfahrungen im Gastgewerbe, die Katy aufweisen kann, sind die Toasts, die sie uns nach einer durchzechten Nacht in Studententagen gemacht hat. Sie haben jeden Penny ins Heron's Pike gesteckt, den sie besaßen. Wenn das nicht hinhaut, sind sie erledigt. Katy hat gesagt, Silvester sind sie ausgebucht, und sie muss üben. Wer ist da geeigneter als ihre drei besten Freundinnen und deren gut aussehende Männer ?« Stephen sagte nichts und starrte weiter auf die Straße, wo die Flocken dichter fielen. Lydia blickte durchs Seitenfenster. Ihr lief ein wohliger Schauer über den Rücken, als sie an die Fotos dachte, die Katy ihr geschickt hatte. Heron's Pike sah wie die perfekte Weihnachtskulisse aus. »Und überleg doch mal, Stephen, es ist der Lake District! Heron's Pike ist ein wunderschönes altes Herrenhaus direkt am Derwentwater Lake. Sie haben ein eigenes Bootshaus, und Katy sagt, das Dorf in der Nähe ist eine echte Postkartenidylle.« Lydia seufzte. »Das wird wie in der Szene in Musik, Musik, in der Bing White Christmas singt und bei der ich immer heulen muss. Es wird sogar ein weißes Weihnachten mit Schnee, knisternden Kaminfeuern, gutem Essen, Wein und Leuten, die sich tatsächlich mögen. Ich jedenfalls kann es gar nicht erwarten, Weihnachten mit dir und meinen besten Freunden zu feiern. Ich wünschte nur, du hättest sie genauso gern wie ich.« »Es ist ja nicht so, als würde ich deine Freunde nicht mögen «, sagte Stephen vorsichtig. »Alex ist klasse, auch wenn sie die furchteinflößendste Frau sein dürfte, die ich kenne, vor allem seit sie schwanger ist. Und David ist okay, solange es einem nichts ausmacht, über Römer oder Normannen oder ein anderes seiner Vorlesungsthemen zu reden. Katy und Jim habe ich nur auf Alex' Hochzeit gesehen und kaum mit ihnen geredet. Wie du dich vielleicht erinnerst, hatte Katy sich etwas zu sehr über den kostenlosen Champagner gefreut, brach in Tränen aus und kippte bewusstlos in ihr Dessert. Trotzdem bin ich sicher, dass die beiden ein nettes Paar sind. Auch ihre Kinder und ihre Großeltern sind bestimmt allerliebst. Aber Weihnachten mit Joanna Summers, der Königin des Homeshopping-Senders ? Bei aller Liebe, Lydia, das steht weit, weit unten auf meinem Wunschzettel. Das rangiert hinter einem Schiffbruch vor einer einsamen Insel.« »Hör auf !« Lydia musste kichern. »Ich weiß ja, dass Joanna speziell ist. Aber wir vier sind seit der Uni befreundet, und sie ist mir immer eine gute, nein, die beste Freundin gewesen.« Die vier Mädchen hatten sich in der ersten Studienwoche kennengelernt, weil sie zufällig auf demselben Flur im Wohnheim gelandet waren. Und in den letzten zwei Studienjahren hatten sie zusammen ein Haus gemietet gehabt. Jungsgeschichten, Prüfungen, Familiendramen und eine echte Tragödie hatten sie zusammengeschweißt, zu Freundinnen fürs Leben gemacht. »Außerdem wäre ich geliefert gewesen, hätte Joanna mich nicht während des Referendariats umsonst bei sich wohnen lassen.« »Aber sie ist derart von sich eingenommen, stolziert herum, als würde ihr alles gehören.« »So ist sie im Fernsehen, nicht in Wirklichkeit. Sie musste sich eben behaupten.« Von ihnen allen war Joanna der Einstieg ins Studium fernab von zu Hause am leichtesten gefallen. Sie scherzte gern, dass sie von Wölfen aufgezogen worden war. In Wahrheit hatten ihre Eltern sie in diversen Internaten geparkt, seit sie vier war. Ihr war gar nichts anderes übrig geblieben, als sich durchzubeißen. »In ihrem Job braucht man starke Nerven. Um sie herum spielen sich dauernd Dramen ab, und es geht vor allem darum, den Schein zu wahren.« »Sie ist oberflächlich«, konterte Stephen. »Sie verkauft billigen Schrott an Leute, die ihn sich nicht leisten können, Lydia. Und wozu braucht man starke Nerven, wenn man den Leuten vorquatscht, dass sie sich einen echten Plastikdiamanten für neunundvierzigneunundneunzig kaufen können, den sie bequem in zwei Raten bezahlen ?« »Mann, du bist so ein Snob«, entgegnete Lydia. Nun schneite es richtig. Ein Leuchtschild bedeutete ihnen, nicht schneller als fünfzig Meilen zu fahren. »Es kann nicht jeder rumrennen und die Welt retten wie du.« »Nein, aber manche Leute könnten sich ein bisschen mehr bemühen.« Stephen sah zu Lydia hinüber, und sie biss sich auf die Unterlippe. Sie tat ihr Bestes, mit ihm mitzuhalten, engagierte sich in der öffentlichen Rechtsberatung und arbeitete an den Wochenenden ehrenamtlich. Aber es schien nie genug für ihn zu sein. Stephen vergaß, dass er bereits die ersten Stufen der Karriereleiter genommen hatte, wohingegen sie erst anfi ng. Sie musste die Arbeit machen, die ihr die Kanzlei zuteilte, egal, wann. Das ließ ihr kaum Zeit zum Verschnaufen, geschweige denn die Kraft, unermüdlich jede freie Minute Gutes zu tun. Doch sie beschloss, seine Spitze zu ignorieren. »Außerdem möchte ich dich mal live im Fernsehen sehen. Joanna muss am laufenden Band improvisieren. Weil sie das kann, ist sie die Beste in ihrem Job, nicht nur wegen ihres Aussehens. Macht mich ein Fall besonders nervös, denke ich manchmal an sie, und das macht mir Mut.« »Wer hätte gedacht, dass das Verkaufen von Schund so inspirierend sein kann«, murmelte Stephen. Wieder ging Lydia nicht darauf ein. Obwohl sie Joanna heiß und innig liebte und bis aufs Messer verteidigen würde, war sie insgeheim ziemlich froh gewesen, dass Stephen nicht sofort ihrer umwerfenden, langbeinigen Freundin mit dem tizianroten Haar verfallen war. In dieser Beziehung hatten sie einige ihrer früheren Freunde herb enttäuscht. Auch wenn Lydia wusste, dass Joanna niemals gegen die goldene Regel verstoßen würde, die Finger vom Freund der Freundin zu lassen, hätten manche ihrer Ex-Freunde gewiss keine solchen Skrupel geplagt. Was üble Beziehungen anging, schlug Lydia ihren Eltern nach. Früher verliebte sie sich immer Hals über Kopf, und ihr unverwüstlicher romantischer Optimismus hatte leider schon viele Dämpfer einstecken müssen. Bis sie den einfühlsamen, verlässlichen Stephen kennenlernte. Nach kurzem Überlegen fügte Lydia »Hat sich nicht in Joanna verknallt« der Pro-Liste in ihrem Kopf hinzu. »Ich bin gespannt auf den Mann, den Joanna mitbringt«, fuhr Lydia fort. »Alex sagt, sie ist völlig verrückt nach ihm und wird ihn garantiert heiraten.« »Garantiert, wenn sie einen großen, teuren Verlobungsring bekommen hat, der nicht bei ihrem Sender gekauft wurde«, sagte Stephen zynisch. »Danach wird er denselben Weg gehen wie ihre anderen Kurzzeit-Verlobten, und sie hat einen dicken Diamanten mehr in ihrer Sammlung.« Lydia streckte sich auf ihrem Sitz und riss an dem Gurt, der nach zu vielen Stunden in dieser Haltung in ihren Hals zu schneiden begann. Zudem begann das Gespräch bedenklich an einen Streit zu erinnern, was sie sehr beunruhigte. In den letzten zwei Wochen war ihr der Ring in Stephens Schublade wie eine tickende Zeitbombe in einem schlechten Film vorgekommen. Aber Stephen hatte eisern an seinem Plan festgehalten, seinen Antrag geheim zu halten. Selbst als Lydia seinen Vorschlag abwies, zu zweit in einem abgelegenen Cottage Weihnachten zu feiern, und ihn anflehte, die Feiertage mit ihren Freunden zu verbringen, hatte er seine Enttäuschung meisterhaft verborgen. Bevor sie heute Morgen losfuhren, war Lydia unter einem Vorwand zurück in die Wohnung geflitzt und hatte nachgesehen. Offenbar hatte er die Bombe mitgenommen. Gerade deshalb wurde Lydia dieses Gerede über Ringe ein bisschen zu viel. »Ich finde es mutig von ihr, nicht bloß zu heiraten, weil sie einen Antrag bekommt oder es sich gut machen würde. Es ist mutig, nicht gleich Ja zu sagen, erst einmal zu überlegen. Ihr wurde jedes Mal klar, dass etwas nicht stimmte, und darum hat sie sich dagegen entschieden. Ich wünschte, meine Eltern hätten das damals auch gemacht. Dann wären sie beide sehr viel früher sehr viel glücklicher geworden.« »Tja, ich nicht«, sagte Stephen und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. »Denn dann würde es dich nicht geben. Ich hoffe für den armen Kerl, dass er weiß, worauf er sich mit Joanna einlässt. Andererseits, wenn er Weihnachten mit euch vieren übersteht, dürfte er so ziemlich mit allem fertig werden.« »Sind wir wirklich so schlimm ?«, fragte Lydia. Natürlich war ihr bewusst, dass sie und ihre drei Freundinnen als Gruppe sowohl um zehn Jahre unreifer wirkten als auch jedes Geräusch im Umkreis von fünf Kilometern übertönten, weil sie sich so viel zu erzählen hatten. So war es schon in ihrer überfüllten Studentenbude gewesen. »Nein«, antwortete Stephen versöhnlich. »Ihr seid überhaupt nicht schlimm, nicht mal Joanna, schätze ich. Es ist bloß ... Na ja, ich dachte, dieses Jahr wäre es anders, keine Familie, keine Freunde, nur du und ich. So hatte ich mir das vorgestellt.« »Ich weiß, und es wäre auch schön gewesen, ehrlich«, sagte Lydia, die ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie verhindert hatte, dass es zu einer potenziellen Situation für einen romantischen Antrag kam. Sie hatte Angst, dass er sie fragte und dass sie noch nicht bereit zur Antwort war. Nun schmollte er, weil sie ihn überredet hatte, Weihnachten mit ihren Freunden zu verbringen. Er ahnte ja nicht, dass sie es eigentlich für ihn tat. Es wäre doch viel schöner, wenn sie bei seinem Antrag voller Gewissheit Ja sagen könnte, anstatt herumzustottern : »Ähm, tja ... die Sache ist die, ich bin mir nicht sicher. Darf ich noch einen Monat oder ein oder zwei Jahre darüber nachdenken ?« Vor allem musste Lydia sich ihrer sicher sein, bevor Stephen ihr den wunderschönen Ring präsentierte. Ja, Stephen war zweifellos gut aussehend : ein nordischer Typ mit hellblondem Haar, hellblauen Augen und einem maskulinen, kantigen Kinn. Er wäre der ideale Vater für die hübschen Kinder, die Lydia eines Tages haben wollte. Und er war ein wirklich netter Mann, dem wichtig war, was auf der Welt passierte, und der hart arbeitete, um sie ein wenig besser zu machen. Vor allem aber liebte sie ihn. Dieses Zögern passte gar nicht zu Lydia. Wenn es um Liebe ging, stürzte Lydia sich normalerweise mit einem Eifer ins Geschehen, der selbst die blindwütigsten Romantiker in den Schatten stellte. Nachdem sie Stephen kennengelernt hatte, stürzte sie sich mit Haut und Haaren in die Beziehung mit ihm und war seit über einem Jahr ganz zufrieden. Wieso kamen ihr auf einmal Bedenken ? Vielleicht war es die Erinnerung an das Gesicht ihrer Mutter, die mit leerem Blick auf den verbrannten Truthahn in der Küchenspüle starrte, nachdem ihr Vater sie verlassen hatte. Eventuell schreckte sie wegen dieses Bilds davor zurück, sich endgültig an einen Mann zu binden. Oder die Freunde ihrer Mutter vor Greg waren schuld daran. Damals hatte Lydia das Gefühl gehabt, es säße jedes Weihnachten ein anderer Mann am Tisch, den ihre Mum mit übertriebener Dankbarkeit umsorgte, während sie von Lydia verlangte, ihn wie ein festes Mitglied ihrer kleinen Halbfamilie zu behandeln. Ihre Mum war so sicher gewesen, dass der nächste Mann der richtige wäre, dass sie mit ihm glücklich würde. Am Ende hatte sie einiges Herzeleid ertragen müssen. Wenn ihre Mutter schon nicht wusste, wann sie einen schrecklichen Fehler beging, wie konnte Lydia es dann wissen ? Ehrlich gesagt, war es aber wohl eher die jüngste Vergangenheit, die Lydia zweifeln ließ. Dazu gehörte der Umstand, dass sie gerade unter entsetzlichem Liebeskummer litt, als sie Stephen begegnete.
Übersetzung: Sabine Schilasky
Besuchen Sie uns im Internet: www.weltbild.de Copyright der Originalausgabe © 2011 by Scarlett Bailey Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
4. Dezember Lydia Grant hatte nicht vorgehabt, an diesem feuchten, vernieselten Dezembermorgen ihren Verlobungsring zu finden, doch sie fand ihn. Ihr Freund Stephen war lange vor dem Morgengrauen aufgestanden, sodass Lydia das breite Bett ganz für sich hatte. Das kam selten vor, und sie kostete es aus, indem sie sich richtig breitmachte und viermal den Radiowecker ausschaltete. Immer wieder nickte sie genüsslich ein, bis es zehn vor sieben war. Kaum wurde ihr bewusst, wer sie in Wirklichkeit war, setzte sie sich kerzengerade auf. Nachts war Lydia eine hoffnungslose Romantikerin, die jede Sekunde nutzte, um sich in die goldenen Zeiten der Hollywoodfilme zurückzuversetzen, die sie seit Kindertagen liebte. Jedes Mal aufs Neue verliebte sie sich in Cary Grant oder Trevor Howard. Und manchmal sogar in ihren Freund, wenn auch in letzter Zeit nicht mehr ganz so oft. Tagsüber allerdings - Lydias Tag hätte um Punkt halb sieben beginnen sollen - war sie Lydia Grant, eine erfolgshungrige junge Anwältin auf dem Kreuzzug für die Gerechtigkeit. In einer guten Stunde musste sie vor Gericht erscheinen und eine sechsundvierzigjährige Arztgattin vertreten. Die Frau war wegen Kreditkartenbetrugs in Höhe von mehreren zehntausend Pfund angeklagt. Lydia hatte den Schriftsatz erst gestern Abend um halb neun bekommen. Sie musste sich beeilen, wollte sie rechtzeitig im Gericht sein. Sie musste unbedingt vor der Verhandlung noch kurz mit der Angeklagten sprechen und Mrs Harris versichern, dass alles gut werden würde. Denn wenn es eine Anwältin gab, die jeden Richter davon überzeugen konnte, dass eine Frau zweihundert Paar Designerschuhe brauchte, dann war es Lydia Grant. Falls das nicht klappte, würde sie auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädieren. Wer war nicht schon mal wegen eines Paars Schuhe ausgefl ippt, weil es leider unbezahlbar war ? Lydia dankte ihrem Glücksstern, dass Stephens Wohnung in Holborn nur fünfzehn Minuten Fußweg vom Gericht entfernt lag. Es war auch ihre Wohnung, doch das vergaß sie dauernd, obwohl sie seit sechs Monaten dort wohnte. Für sich bezeichnete sie sie immer noch als Stephens Wohnung. Sie sprang aus dem Bett und gönnte sich fünf Minuten unter der Dusche, ehe sie ihr dunkelbraunes Haar geübt zu einem kleinen Knoten schlang. Anschließend zog sie ihre weiße Bluse und den schwarzen Hosenanzug an, den sie sich vor dem Schlafengehen rausgelegt hatte, und polierte ihre Lieblingsstiefel mit den Mörderabsätzen. Ein rascher Blick in den Dielenspiegel folgte. Lydia zog ein Gesicht. Sie bestärkte sich laut darin, dass sie eine starke, selbstbewusste und kompetente Frau war. Eine Frau, die nie auch nur eine Sekunde an sich zweifelte. Sie würde dem Richter und den Geschworenen klarmachen, wie lachhaft die Anklage war. Das eigentliche Opfer in diesem Prozess war ihre Mandantin. Ja, Mrs Harris war das Opfer ihres reichen Ehemannes, der sich weigerte, ihr ausreichend Schuhe zu kaufen. Leider fand Lydia keine schwarzen Strümpfe mehr in der Schublade, die Stephen ihr feierlich freigeräumt hatte, als er sie bat, zu ihm zu ziehen. »Ich fi nde«, hatte er ernst erklärt, als er ihr den Wohnungsschlüssel reichte, »dass es Zeit wird, Nägel mit Köpfen zu machen, meinst du nicht ?« Es war vielleicht nicht gerade der romantischste Moment in Lydias Leben gewesen, aber ein bedeutsamer allemal. Ein Schritt hin zu einer festen Bindung, die sie bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten hätte. Aber man sollte nicht zu viel Wind deswegen machen, denn immerhin ging es nur um eine Schublade. In Letzterer fanden sich Sportsocken, bunte Socken und rosa Socken mit Glitzer, die Lydia von ihrer elfjährigen Halbschwester aus der dritten Ehe ihres Vaters zum Geburtstag bekommen hatte, sowie ein Wust von Feinstrumpfhosen direkt aus der Waschmaschine. Kein einziges Paar Strümpfe, das sie in ihren Glücksstiefeln tragen konnte. Da es bedenklich spät wurde, tat Lydia, was jede starke, selbstbewusste und kompetente Frau tun würde. Sie beschloss, sich ein Paar Socken von ihrem Freund zu leihen. Also riss sie die oberste Schublade auf und erlitt den Schock ihres Lebens. Oben auf Stephens ordentlich sortierten Socken, kein bisschen versteckt, lag das Schmuckkästchen. Es war eine kleine, viereckige Schachtel im unverwechselbaren Türkis und mit dem schwarzen Aufdruck Tiffany & Co. auf dem Deckel. Ohne über die Bedeutung nachzudenken, nahm Lydia das Schmuckkästchen und öffnete es mit der Ungeduld eines Kindes, das eine Tüte mit Süßigkeiten aufreißt. Da funkelte er sie im Lampenschein an : ein einkarätiger, platingefasster Diamantverlobungsring, klassischer Tiffany-Bezet-Prinzess- Schliff. Lydia rang nach Luft. Der Ring war perfekt, wunderschön und vor allem genauso, wie sie ihn sich immer erträumt hatte. Ausgesucht von einem Mann, der Zeit und Mühe investiert hatte, ihren Geschmack zu ergründen. Ein Mann, der wusste, dass sie stets eine zerfledderte Ausgabe von Frühstück bei Tiffany mit sich herumtrug und dass es für sie der Gipfel der Romantik wäre, exakt so einen Ring in dieser wundervollen Schachtel zu bekommen. Diesen Ring konnte nur ein Mann aussuchen, der sie genügend liebte, um alles richtig machen zu wollen. Ja, der sie sogar sehr lieben musste, dachte Lydia, denn wie sonst hätte er es so perfekt hinbekommen sollen ? Schließlich wusste er, dass ein Antrag zu dieser besonderen Jahreszeit einen weiteren Traum Lydias wahr machte : Endlich würde Lydia ihr ganz besonderes Weihnachtsfest bekommen. Deshalb war es seltsam, dass ihr beim Betrachten des Rings ein völlig anderer Gedanke in den Sinn kam. Lydia Grant war sich überhaupt nicht mehr sicher, ob sie heiraten wollte.
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21. Dezember Lydia blickte zu Stephen, der seit dem letzten Tanken mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte. »Wie es aussieht, schaffen wir es locker, bevor es richtig schlimm wird.« Sie sah durch die Windschutzscheibe zu den bleigrauen Wolken, die tief über dem Horizont hingen und Schnee ankündigten. »Im Wetterbericht hieß es Schnee, Schnee, noch mehr Schnee und schreckliche Straßenverhältnisse. Aber guck mal, es fängt gerade erst an zu schneien.« Lydia wies mit dem Kinn nach vorn. Draußen schwebten die ersten zarten Flocken herab, legten sich aufs Glas und wurden sogleich brutal weggewischt. Stephen schwieg. »Willst du die ganzen dreihundert Meilen schmollen ?«, fragte Lydia gereizt. »Ich habe doch gesagt, dass ich die Maut auf der M6 bezahle.« »Darum geht es nicht, und das weißt du auch«, sagte Stephen, der stur auf die Straße sah. »Es ist unser erstes Weihnachten.« »Nein, ist es nicht.« Lydia seufzte. »Das zweite, oder warst das nicht du letztes Jahr bei meiner Mum - der Betrunkene mit der Weihnachtsmannmütze ?« Lydia verzog das Gesicht bei der Erinnerung an ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest : Ihre Mutter, die beim Frühstück mit Whiskeylikör anfi ng, auf dem Schoß von Lydias Stiefvater hockte und ihm das Gesicht ableckte, während im Hintergrund die Queen ihre Ansprache hielt. Der arme Stephen hatte sich durch einen verschmorten Truthahn und halb gare Kartoffeln kämpfen müssen. »Es sollte unser erstes Weihnachten zu zweit werden«, erwiderte Stephen. »Keine Familie dieses Jahr, hast du gesagt. Keine Marathontour von Kent nach Birmingham und zurück, nur damit du deine sämtlichen Eltern und Halbgeschwister siehst. Dieses Jahr, das waren deine Worte, wollten wir so feiern, wie es uns gefällt. Offenbar war gemeint, dass wir so feiern, wie es dir gefällt. Mein Fehler, dass ich etwas anderes dachte.« »Sämtliche Eltern ? Na hör mal, ich komme nicht aus einer Mormonenfamilie oder einer verrückten Hippiekommune ! Man nennt das heute Patchwork-Familie, Stephen. Das solltest du eigentlich wissen, Mr Familienrecht !« »Du weißt, was ich meine. Was war denn letztes Jahr ? Deine Mum und Greg, die es praktisch auf dem Fernsehsessel deiner Großmutter trieben. Und dann mussten wir am zweiten Feiertag vor Tau und Tag losfahren, damit wir zum Mittagessen bei deinem Dad und Janie waren. Daselbst erwarteten uns so viele Halb- und Halb-Halb-Geschwister von dir, dass es mir wie ein Ausfl ug in eine Kinderkrippe vorkam. Wie alt ist dein Dad eigentlich ? Und woher nimmt er die Energie ?« »Keine Ahnung. Kannst ihn ja mal fragen«, murmelte Lydia. »Du weißt, wie meine Familie ist.« Lydias Kindheit war alles andere als idyllisch gewesen, und sie hatte sich redliche Mühe gegeben, Stephen darauf vorzubereiten, als es mit ihnen ernst wurde. Über kurz oder lang würde er ihre Familie ja kennenlernen müssen. Lydia liebte sie alle - meistens jedenfalls. Dennoch war es nicht die Sorte Familie, die man dringend seinem ersten richtigen Freund vorstellen wollte. Ihre Eltern hatten eine turbulente Beziehung geführt, einen Monat nach ihrem Kennenlernen geheiratet und erst bemerkt, dass sie einander nicht ausstehen konnten, als Lydia unterwegs war. Die Weihnachtsfeste in Lydias Kindertagen hatten nichts mit ihren heiß geliebten Filmszenen gemein gehabt, in denen es schneite, sich alle liebten und am Ende immer alles gut war. Lydias Kinder-Weihnachten waren von einem Albtraum- Soundtrack aus zornigen Worten, bitteren Vorwürfen und knallenden Türen untermalt, bis Lydia zwölf war und ihr Vater sie und ihre Mutter an Weihnachten verließ. Das dürfte wohl das übelste von all den enttäuschenden Weihnachtsfesten gewesen sein. Für die nächsten Jahre wurde Lydia zu einem Druckmittel im zunehmend hässlicheren Kleinkrieg ihrer Eltern, wechselte während der Feiertage von einem zum anderen und fühlte sich nirgends zu Hause. Inzwischen war ihre Mutter wieder verheiratet - vielleicht ein bisschen zu glücklich für Lydias Geschmack, bedachte man den Zwischenfall beim letzten Weihnachtsfest. Und ihr Vater schien an einem Wettbewerb für die häufi gsten Eheschließungen teilzunehmen. »Dad hat Probleme. Er steckt schon sein ganzes Leben in einer Midlife-Crisis. Sei froh, dass du ihn in der Janie-Phase kennengelernt hast. Sie ist wenigstens nett. Seine zweite Frau war eine Schreckschraube. Sie hat von mir immer als ›das Mädchen‹ gesprochen. Nie hat sie meinen Namen gesagt, immer nur ›das Mädchen‹ mit so einem Naserümpfen. Mir graute jedes Mal davor, wenn sie dran waren, mich über Weihnachten zu nehmen.« Lydia tat ihr Bestes, ihrem Dad die Karen-Jahre nicht vorzuhalten. Dass sie während des Weihnachtsessens allein im Wohnzimmer vorm Fernseher hockte. Dass er nie daran dachte, ihr ein Geschenk zu besorgen. Wahrscheinlich konnte er es nicht, denn er gab jeden Penny, den er nicht besaß, für Karen aus. Und dann hatte er zugestimmt, als Karen verlangte, dass Lydia an Weihnachten gar nicht mehr zu kommen bräuchte. Oder an Ostern oder überhaupt. Lydia hatte entschieden, ihrem Dad nicht die Schuld dafür zu geben, dass Karen sie aus seinem Leben drängte. Schließlich hatte er die Ziege verlassen, ehe es zu spät war. Und danach hatte er sich angestrengt, seine Beziehung zu Lydia wieder aufleben zu lassen. Zumindest bis er sich mit der sehr vollbusigen und weit netteren Janie einließ. Lydia fand es gut, dass Karen weg war. Janie machte ihren Dad glücklich, und sie dachte daran, Lydia hübsche Seifen oder Duftwässerchen zu besorgen, was doch immerhin etwas war. Als sie bemerkte, dass Stephens Miene ein bisschen weicher wurde, legte Lydia ihm für einen Moment eine Hand auf den Schenkel. »Es ist ja nicht so, dass wir nur die Familie abklappern, oder ? Wir fahren nicht von Broadstairs nach Birmingham, sondern haben ein richtiges Erwachsenen-Weihnachten im herrlichen Lake District, nur wir zwei.« »Ja, nur wir zwei und alle deine Freunde«, grummelte Stephen. »Ich habe meiner Mum erzählt, dass wir dieses Jahr nicht zu ihr kommen, weil wir unser eigenes Ding machen.« Stephen verstummte, und Lydia hielt es angesichts der Alarmglocken, die in ihrem Innern schrillten, für besser, nicht nachzuhaken. Nachdem sie Stephens Mutter inzwischen bei mehreren Anlässen begegnet war, würde Lydia sich lieber mit einem rostigen Nagel die Augen ausstechen, als noch mehr von diesen Du-bist-nicht-gut-genug-für-meinen-Sohn-Blicken zu ertragen. Ein völliges Meiden dürfte indes schwierig werden, wenn sie Stephen heiratete. Im Geiste fügte Lydia »Stephens Mum« ihrer Liste von Pro und Kontra hinzu. Defi nitiv ein Kontra. Sein Dad war allerdings nett, wenn auch auf eine stille, unaufdringliche Art. Seine Kuh von Ehefrau hatte ihm sämtliches Leben und jeden Humor ausgetrieben. Genau genommen konnte er nicht als Pro zählen. »Es tut mir leid, dass ich die Einladung von Katy und Jim angenommen habe, ohne dich vorher zu fragen«, entschuldigte Lydia sich zum wiederholten Male. »Als sie anrief, war sie so aus dem Häuschen. Sechs Monate ist es her, dass sie mit Jim und den Kindern das Hotel übernommen hat, und ... na ja, ich fürchte, das ist ein ziemliches Groschengrab. Ich weiß auch nicht, was die beiden geritten hat. Ich meine, Jim ist Investmentbanker, und die einzigen Erfahrungen im Gastgewerbe, die Katy aufweisen kann, sind die Toasts, die sie uns nach einer durchzechten Nacht in Studententagen gemacht hat. Sie haben jeden Penny ins Heron's Pike gesteckt, den sie besaßen. Wenn das nicht hinhaut, sind sie erledigt. Katy hat gesagt, Silvester sind sie ausgebucht, und sie muss üben. Wer ist da geeigneter als ihre drei besten Freundinnen und deren gut aussehende Männer ?« Stephen sagte nichts und starrte weiter auf die Straße, wo die Flocken dichter fielen. Lydia blickte durchs Seitenfenster. Ihr lief ein wohliger Schauer über den Rücken, als sie an die Fotos dachte, die Katy ihr geschickt hatte. Heron's Pike sah wie die perfekte Weihnachtskulisse aus. »Und überleg doch mal, Stephen, es ist der Lake District! Heron's Pike ist ein wunderschönes altes Herrenhaus direkt am Derwentwater Lake. Sie haben ein eigenes Bootshaus, und Katy sagt, das Dorf in der Nähe ist eine echte Postkartenidylle.« Lydia seufzte. »Das wird wie in der Szene in Musik, Musik, in der Bing White Christmas singt und bei der ich immer heulen muss. Es wird sogar ein weißes Weihnachten mit Schnee, knisternden Kaminfeuern, gutem Essen, Wein und Leuten, die sich tatsächlich mögen. Ich jedenfalls kann es gar nicht erwarten, Weihnachten mit dir und meinen besten Freunden zu feiern. Ich wünschte nur, du hättest sie genauso gern wie ich.« »Es ist ja nicht so, als würde ich deine Freunde nicht mögen «, sagte Stephen vorsichtig. »Alex ist klasse, auch wenn sie die furchteinflößendste Frau sein dürfte, die ich kenne, vor allem seit sie schwanger ist. Und David ist okay, solange es einem nichts ausmacht, über Römer oder Normannen oder ein anderes seiner Vorlesungsthemen zu reden. Katy und Jim habe ich nur auf Alex' Hochzeit gesehen und kaum mit ihnen geredet. Wie du dich vielleicht erinnerst, hatte Katy sich etwas zu sehr über den kostenlosen Champagner gefreut, brach in Tränen aus und kippte bewusstlos in ihr Dessert. Trotzdem bin ich sicher, dass die beiden ein nettes Paar sind. Auch ihre Kinder und ihre Großeltern sind bestimmt allerliebst. Aber Weihnachten mit Joanna Summers, der Königin des Homeshopping-Senders ? Bei aller Liebe, Lydia, das steht weit, weit unten auf meinem Wunschzettel. Das rangiert hinter einem Schiffbruch vor einer einsamen Insel.« »Hör auf !« Lydia musste kichern. »Ich weiß ja, dass Joanna speziell ist. Aber wir vier sind seit der Uni befreundet, und sie ist mir immer eine gute, nein, die beste Freundin gewesen.« Die vier Mädchen hatten sich in der ersten Studienwoche kennengelernt, weil sie zufällig auf demselben Flur im Wohnheim gelandet waren. Und in den letzten zwei Studienjahren hatten sie zusammen ein Haus gemietet gehabt. Jungsgeschichten, Prüfungen, Familiendramen und eine echte Tragödie hatten sie zusammengeschweißt, zu Freundinnen fürs Leben gemacht. »Außerdem wäre ich geliefert gewesen, hätte Joanna mich nicht während des Referendariats umsonst bei sich wohnen lassen.« »Aber sie ist derart von sich eingenommen, stolziert herum, als würde ihr alles gehören.« »So ist sie im Fernsehen, nicht in Wirklichkeit. Sie musste sich eben behaupten.« Von ihnen allen war Joanna der Einstieg ins Studium fernab von zu Hause am leichtesten gefallen. Sie scherzte gern, dass sie von Wölfen aufgezogen worden war. In Wahrheit hatten ihre Eltern sie in diversen Internaten geparkt, seit sie vier war. Ihr war gar nichts anderes übrig geblieben, als sich durchzubeißen. »In ihrem Job braucht man starke Nerven. Um sie herum spielen sich dauernd Dramen ab, und es geht vor allem darum, den Schein zu wahren.« »Sie ist oberflächlich«, konterte Stephen. »Sie verkauft billigen Schrott an Leute, die ihn sich nicht leisten können, Lydia. Und wozu braucht man starke Nerven, wenn man den Leuten vorquatscht, dass sie sich einen echten Plastikdiamanten für neunundvierzigneunundneunzig kaufen können, den sie bequem in zwei Raten bezahlen ?« »Mann, du bist so ein Snob«, entgegnete Lydia. Nun schneite es richtig. Ein Leuchtschild bedeutete ihnen, nicht schneller als fünfzig Meilen zu fahren. »Es kann nicht jeder rumrennen und die Welt retten wie du.« »Nein, aber manche Leute könnten sich ein bisschen mehr bemühen.« Stephen sah zu Lydia hinüber, und sie biss sich auf die Unterlippe. Sie tat ihr Bestes, mit ihm mitzuhalten, engagierte sich in der öffentlichen Rechtsberatung und arbeitete an den Wochenenden ehrenamtlich. Aber es schien nie genug für ihn zu sein. Stephen vergaß, dass er bereits die ersten Stufen der Karriereleiter genommen hatte, wohingegen sie erst anfi ng. Sie musste die Arbeit machen, die ihr die Kanzlei zuteilte, egal, wann. Das ließ ihr kaum Zeit zum Verschnaufen, geschweige denn die Kraft, unermüdlich jede freie Minute Gutes zu tun. Doch sie beschloss, seine Spitze zu ignorieren. »Außerdem möchte ich dich mal live im Fernsehen sehen. Joanna muss am laufenden Band improvisieren. Weil sie das kann, ist sie die Beste in ihrem Job, nicht nur wegen ihres Aussehens. Macht mich ein Fall besonders nervös, denke ich manchmal an sie, und das macht mir Mut.« »Wer hätte gedacht, dass das Verkaufen von Schund so inspirierend sein kann«, murmelte Stephen. Wieder ging Lydia nicht darauf ein. Obwohl sie Joanna heiß und innig liebte und bis aufs Messer verteidigen würde, war sie insgeheim ziemlich froh gewesen, dass Stephen nicht sofort ihrer umwerfenden, langbeinigen Freundin mit dem tizianroten Haar verfallen war. In dieser Beziehung hatten sie einige ihrer früheren Freunde herb enttäuscht. Auch wenn Lydia wusste, dass Joanna niemals gegen die goldene Regel verstoßen würde, die Finger vom Freund der Freundin zu lassen, hätten manche ihrer Ex-Freunde gewiss keine solchen Skrupel geplagt. Was üble Beziehungen anging, schlug Lydia ihren Eltern nach. Früher verliebte sie sich immer Hals über Kopf, und ihr unverwüstlicher romantischer Optimismus hatte leider schon viele Dämpfer einstecken müssen. Bis sie den einfühlsamen, verlässlichen Stephen kennenlernte. Nach kurzem Überlegen fügte Lydia »Hat sich nicht in Joanna verknallt« der Pro-Liste in ihrem Kopf hinzu. »Ich bin gespannt auf den Mann, den Joanna mitbringt«, fuhr Lydia fort. »Alex sagt, sie ist völlig verrückt nach ihm und wird ihn garantiert heiraten.« »Garantiert, wenn sie einen großen, teuren Verlobungsring bekommen hat, der nicht bei ihrem Sender gekauft wurde«, sagte Stephen zynisch. »Danach wird er denselben Weg gehen wie ihre anderen Kurzzeit-Verlobten, und sie hat einen dicken Diamanten mehr in ihrer Sammlung.« Lydia streckte sich auf ihrem Sitz und riss an dem Gurt, der nach zu vielen Stunden in dieser Haltung in ihren Hals zu schneiden begann. Zudem begann das Gespräch bedenklich an einen Streit zu erinnern, was sie sehr beunruhigte. In den letzten zwei Wochen war ihr der Ring in Stephens Schublade wie eine tickende Zeitbombe in einem schlechten Film vorgekommen. Aber Stephen hatte eisern an seinem Plan festgehalten, seinen Antrag geheim zu halten. Selbst als Lydia seinen Vorschlag abwies, zu zweit in einem abgelegenen Cottage Weihnachten zu feiern, und ihn anflehte, die Feiertage mit ihren Freunden zu verbringen, hatte er seine Enttäuschung meisterhaft verborgen. Bevor sie heute Morgen losfuhren, war Lydia unter einem Vorwand zurück in die Wohnung geflitzt und hatte nachgesehen. Offenbar hatte er die Bombe mitgenommen. Gerade deshalb wurde Lydia dieses Gerede über Ringe ein bisschen zu viel. »Ich finde es mutig von ihr, nicht bloß zu heiraten, weil sie einen Antrag bekommt oder es sich gut machen würde. Es ist mutig, nicht gleich Ja zu sagen, erst einmal zu überlegen. Ihr wurde jedes Mal klar, dass etwas nicht stimmte, und darum hat sie sich dagegen entschieden. Ich wünschte, meine Eltern hätten das damals auch gemacht. Dann wären sie beide sehr viel früher sehr viel glücklicher geworden.« »Tja, ich nicht«, sagte Stephen und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. »Denn dann würde es dich nicht geben. Ich hoffe für den armen Kerl, dass er weiß, worauf er sich mit Joanna einlässt. Andererseits, wenn er Weihnachten mit euch vieren übersteht, dürfte er so ziemlich mit allem fertig werden.« »Sind wir wirklich so schlimm ?«, fragte Lydia. Natürlich war ihr bewusst, dass sie und ihre drei Freundinnen als Gruppe sowohl um zehn Jahre unreifer wirkten als auch jedes Geräusch im Umkreis von fünf Kilometern übertönten, weil sie sich so viel zu erzählen hatten. So war es schon in ihrer überfüllten Studentenbude gewesen. »Nein«, antwortete Stephen versöhnlich. »Ihr seid überhaupt nicht schlimm, nicht mal Joanna, schätze ich. Es ist bloß ... Na ja, ich dachte, dieses Jahr wäre es anders, keine Familie, keine Freunde, nur du und ich. So hatte ich mir das vorgestellt.« »Ich weiß, und es wäre auch schön gewesen, ehrlich«, sagte Lydia, die ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie verhindert hatte, dass es zu einer potenziellen Situation für einen romantischen Antrag kam. Sie hatte Angst, dass er sie fragte und dass sie noch nicht bereit zur Antwort war. Nun schmollte er, weil sie ihn überredet hatte, Weihnachten mit ihren Freunden zu verbringen. Er ahnte ja nicht, dass sie es eigentlich für ihn tat. Es wäre doch viel schöner, wenn sie bei seinem Antrag voller Gewissheit Ja sagen könnte, anstatt herumzustottern : »Ähm, tja ... die Sache ist die, ich bin mir nicht sicher. Darf ich noch einen Monat oder ein oder zwei Jahre darüber nachdenken ?« Vor allem musste Lydia sich ihrer sicher sein, bevor Stephen ihr den wunderschönen Ring präsentierte. Ja, Stephen war zweifellos gut aussehend : ein nordischer Typ mit hellblondem Haar, hellblauen Augen und einem maskulinen, kantigen Kinn. Er wäre der ideale Vater für die hübschen Kinder, die Lydia eines Tages haben wollte. Und er war ein wirklich netter Mann, dem wichtig war, was auf der Welt passierte, und der hart arbeitete, um sie ein wenig besser zu machen. Vor allem aber liebte sie ihn. Dieses Zögern passte gar nicht zu Lydia. Wenn es um Liebe ging, stürzte Lydia sich normalerweise mit einem Eifer ins Geschehen, der selbst die blindwütigsten Romantiker in den Schatten stellte. Nachdem sie Stephen kennengelernt hatte, stürzte sie sich mit Haut und Haaren in die Beziehung mit ihm und war seit über einem Jahr ganz zufrieden. Wieso kamen ihr auf einmal Bedenken ? Vielleicht war es die Erinnerung an das Gesicht ihrer Mutter, die mit leerem Blick auf den verbrannten Truthahn in der Küchenspüle starrte, nachdem ihr Vater sie verlassen hatte. Eventuell schreckte sie wegen dieses Bilds davor zurück, sich endgültig an einen Mann zu binden. Oder die Freunde ihrer Mutter vor Greg waren schuld daran. Damals hatte Lydia das Gefühl gehabt, es säße jedes Weihnachten ein anderer Mann am Tisch, den ihre Mum mit übertriebener Dankbarkeit umsorgte, während sie von Lydia verlangte, ihn wie ein festes Mitglied ihrer kleinen Halbfamilie zu behandeln. Ihre Mum war so sicher gewesen, dass der nächste Mann der richtige wäre, dass sie mit ihm glücklich würde. Am Ende hatte sie einiges Herzeleid ertragen müssen. Wenn ihre Mutter schon nicht wusste, wann sie einen schrecklichen Fehler beging, wie konnte Lydia es dann wissen ? Ehrlich gesagt, war es aber wohl eher die jüngste Vergangenheit, die Lydia zweifeln ließ. Dazu gehörte der Umstand, dass sie gerade unter entsetzlichem Liebeskummer litt, als sie Stephen begegnete.
Übersetzung: Sabine Schilasky
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Autoren-Porträt von Scarlet Bailey
Scarlett Bailey schreibt schon seit ihrer Kindheit Geschichten. Aber bevor sie das Schreiben zum Beruf machte, hat sie als Kellnerin, Platzanweiserin im Kino und Buchhändlerin gearbeitet. Sie liebt alte Filme und genießt nichts so sehr wie einen regnerischen Sonntagnachmittag mit ihrem Lieblingsfilm und Massen von Schokolade. Scarlett Bailey lebt im englischen Hertfordshire - zusammen mit ihrem Hund und einem wirklich großen Schuhschrank.
Bibliographische Angaben
- Autor: Scarlet Bailey
- 2012, 400 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild GmbH & Co. KG
- ISBN-10: 3863655664
- ISBN-13: 9783863655662
- Erscheinungsdatum: 01.10.2012
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