Gebt den Juden Schleswig-Holstein! (ePub)
Wenn Deutsche Israel kritisieren - ein Streit - Ein SPIEGEL-Buch
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Ob beim Antrittsbesuch des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin im Sommer 2009 und dessen hinter den Kulissen erhobenen Forderung, die Frage der möglicherweise völkerrechtswidrigen Siedlungen im besetzten Gebiet auszuklammern; ob während des Gaza-Kriegs und der Aufarbeitung seiner Gräuel, die der Uno-Bericht Richard Goldstones wie die Recherchen der meisten Menschenrechtsorganisationen neben der Hamas auch und vor allem der israelischen Armee anlasten; ob beim Besuch des israelischen Kabinetts bei den deutschen Amtskollegen zur gemeinschaftlichen Sitzung in Berlin Anfang 2010, eine Ehre, die ansonsten nur den Franzosen gewährt wird und bei dem strittige Punkte zum Ärger mancher und zur Freude vieler in einer Harmonie-Sauce ertränkt wurden: Wenn es um Israel geht, kochen in Deutschland die Emotionen hoch. Darf man, soll man, muss man als Deutscher den Judenstaat kritisieren - und in welcher Form? Zwingt die deutsche Geschichte uns zu besonderer Rücksichtnahme - oder erfordert sie, im Gegenteil, besondere Klarheit im Umgang mit Israel? Messen die Israel-Kritiker mit zweierlei Maß - oder die Israel-Verteidiger? Vor allem aber: Ab wann nimmt die Kritik an Israel antisemitische Züge an und verletzt so ein Tabu, das kein Deutscher gebrochen sehen sollte - und welche Institution, welche Person entscheidet darüber? Wie fixiert wirken manche deutsche Politiker besonders von der Linken auf eine scharfe Israel-Kritik und scheuen dabei oft vor Formulierungen aus der Nazi-Zeit nicht zurück. Gegen die Palästinenser würde ein »Vernichtungsfeldzug« geführt, äußerte beispielsweise Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm nach einem Nahostbesuch; auch hochrangige Vertreter der evangelischen Kirche scheuen nicht davor zurück, die Zustände im Westjordanland mit dem Attribut der »Ghettoisierung« zu belegen; der katholische Kardinal Meisner fand nichts dabei, legalisierte Abtreibungen mit dem Holocaust zu vergleichen. Kein sprachliches Minenfeld bleibt unberührt. Wenn Worte zu
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Waffen werden, fehlt freilich auch die andere Seite nicht. Denn den Radikalkritikern gegenüber stehen die Apologeten: Israel als Unschuldslamm. »Europa dämonisiert Israels sechs Millionen Juden, obwohl sie sich nur gegen einen von blindem religiösen Hass angetriebenen Feind wehren«, besonders die Deutschen seien geradezu »besessen von arabischem Leid«, schreibt der holländische Schriftsteller Leon de Winter in der »Zeit«. Vertreter konservativer deutscher Parteien äußern, wenn überhaupt, nur extrem vorsichtig Kritik an der Regierung in Jerusalem, als gelte es, sie in Watte zu packen. Und auch die deutsche Presse bleibt bei ihrer Verurteilung israelischer Übergriffe gegen Palästinenser weit hinter dem zurück, was in Israel täglich in Zeitungen erscheint - in besonderem Maß gilt das für die Organe aus dem Springer-Verlag, der immer vorneweg ist, wenn es darum geht, Israels Politik ohne Wenn und Aber zu verteidigen. Die »Aussöhnung mit Israel« zählt zu den Grundregeln, für die sich jeder Angestellte des Verlags einsetzen muss. Das Diktum des Axel Caesar Springer wird offensichtlich bis heute weitgehend als bedingungsloser Einsatz für die jeweilige Regierung in Jerusalem verstanden. Als stünde Israels Existenz noch genauso in Frage wie zu Lebzeiten des 1985 verstorbenen Verlegers, als sei Israel nicht längst Atommacht und stärkste militärische Kraft in Nahost - und zumindest teilweise und zeitweise in der Region nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Aber kann, soll, darf der Judenstaat für Deutsche inzwischen wirklich ein x-beliebiger Staat sein? Welche Lehren aus der Shoah müssen wir ziehen, wenn es um unser Verhältnis zu Israel geht? Dramatisieren oder verharmlosen wir den Antisemitismus - und in welchem Verhältnis steht dieses Phänomen zu unserer Kritik am Judenstaat? Denn auch das ist Teil der deutschen Wahrheit in den Jahren 2009 und 2010: Ein Gericht in München verhandelt im vielleicht letzten aller Nazi-Prozesse gegen den greisen John Demjanjuk, wegen Beihilfe zum Mord an 279 000 Menschen im Vernichtungslager Sobibor - und der Wahlverteidiger Ulrich Busch wagt es in aller Öffentlichkeit, den gebürtigen Ukrainer Demjanjuk mit den jüdischen Opfern des Holocaust zu vergleichen; »auf gleicher Stufe« stehe der angeblich zu seinen Taten gezwungene Angeklagte mit dem anwesenden Nebenkläger Thomas Blatt. Und nicht weniger bestürzend: gewalttätige Demonstranten verhindern in Hamburg die Vorführung eines Films über Israel, den der berühmte »Shoah«-Regisseur Claude Lanzmann gedreht hat. »Vermummte Demonstranten, bespuckte Kinobesucher, ein geschmähter jüdischer Regisseur«, berichten die Medien. Und das auf St. Pauli, und keinesfalls ausgelöst von einem rechtsradikalen Mob, sondern von sich als »links« verstehenden Anti-Israel-Demonstranten. Dass es im marxistischen Spektrum eine Tradition des Antisemitismus gibt, lässt sich kaum bestreiten. Er ist bei den Frühsozialisten, der europäischen Arbeiterbewegung des I9. und 20. Jahrhunderts ebenso dokumentiert wie in den Ostblockstaaten nach 1945 mit ihren stalinistischen Kampagnen und Schauprozessen gegen »Zionismus und Kosmopolitismus«. Im Nachkriegsdeutschland war ein besonders erschreckendes Beispiel der Anschlag der »Tupamaros Westberlin« - einer Vorläufergruppe der terroristischen »Bewegung 2. Juni« auf das jüdische Gemeindehaus in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1969. Auch später haben Radikale aus dem »progressiven« Spektrum wie die Gruppe »Linksruck« sich mehr oder weniger offen auf die Seite derer gestellt, die Israel zerstört sehen wollten. Auf der anderen Seite wurde erst vor wenigen Monaten dem israelischen Historiker Ilan Pappé auf Betreiben der jüdischen Gemeinde vom Münchner Oberbürgermeister die Erlaubnis entzogen, an der Universität einen Vortrag zu halten. Der Grund: Pappés kritische Ansichten zur Gründung des Staates Israels. Aber was hat das mit harter, womöglich auch fundamentaler Kritik an Positionen israelischer Regierungen zu tun? Ist zum Grundstock des alten Antisemitismus ein neuer Antisemitismus dazugekommen, womöglich durch israelische Politik provoziert? Verharmlost allein schon diese Frage den Antisemitismus, oder ist er tatsächlich vergleichbar mit der »Islamophobie«, der Hetze gegen alles Islamische? Darüber ist ein bitterer Streit unter deutschen Antisemitismusforschern entstanden, der bis heute weiterschwelt. Die eine Seite warf der anderen inflationären Gebrauch des Wortes vor, die andere sah ideologische Blindheit am Werk - Wissenschaftler echauffierten sich so, dass sie im Jahr 2006 nicht mehr miteinander reden mochten. Viele kluge Bücher sind zu dieser Problematik geschrieben worden. Der Publizist und Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann ist Herausgeber eines Sammelbandes mit dem bezeichnenden Titel: »Es muss doch in diesem Land wieder möglich sein« - eine beliebte Formulierung der Israel-Hasser. Professor Wolfgang Benz, der in Berlin Geschichte lehrt und das Zentrum für Antisemitismusforschung leitet, hat sich in mehreren seiner Werke mit Stereotypen, Klischees und Geschichtsklitterungen befasst. Er hält eine maßvoll kritische Berichterstattung über Israels Politik zwar für gerade noch erlaubt, aber möchte gern selbst Grenzen ziehen, weil er eine »Brückenfunktion der Judenfeindschaft zwischen der Mitte der Gesellschaft und dem Rechtsextremismus« erkannt zu haben glaubt. Vor wenigen Monaten erst erschienen sind zwei Bücher jüdischer Autoren, die Israel kritischer sehen und Deutsche zumindest indirekt ermutigen, dies auch zu tun. Avraham Burg, Wohnsitz Jerusalem, linksliberaler »Peace-Now«-Aktivist und ehemaliger Knesset-Sprecher, wagt in »Hitler besiegen« einen provokanten Vergleich: Das heutige Israel, schreibt der Mittfünfziger, weise bedrückende Parallelen zum Deutschland der Weimarer Zeit auf - es sei ein »militaristisches, fremdenfeindliches Land, besessen vom Trauma des Holocaust«. Alfred Grosser, Politologe und Publizist mit Wohnsitz Paris und Mitte achtzig, bezichtigt in seinem Buch » Von Auschwitz nach Jerusalem« die deutsche Politik der Duckmäuserei gegenüber Israel: »Deutschland könnte sehr leicht Druck ausüben, indem es etwa die Finanzierung israelischer U-Boote in Frage stellt. Die nationalsozialistische Ideologie war nicht nur antisemitisch, sie war insgesamt rassenverachtend. Warum macht man sich also nicht dafür stark, dass die Würde der Menschen für alle gilt - ob Jude oder Palästinenser? Wer das nicht tut, ist dem Anti-Nazismus nicht treu.« Grossers meinungsstarkes Buch bleibt allerdings wie so viele andere ein eher trockenes Kompendium, eine sich weitgehend im Theoretischen erschöpfende Meinungsäußerung. Und es nimmt nicht Stellung zu Meldungen, die uns Anfang 20I0 erreichen: Danach haben sich in Folge des GazaKrieges weltweit die antisemitischen Vorfälle gemehrt - nach einem Bericht der Jewish Agency waren es mehr als in jedem anderen Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber die Maßstäbe verrutschten erschreckend auf allen Seiten. So nannte der bekannte amerikanische neokonservative Publizist Norman Podhoretz den US-Präsidenten Barack Obama einen »schwarzen Antisemiten«. Eher durch Zufall entstanden ist ein Briefwechsel zwischen Erich Follath und Henryk M. Broder, zweier SPIEGEL-Autoren, die beide aus eigenem Erleben viel von dem Thema verstehen - und diametral unterschiedlicher Meinung sind. Der Briefwechsel ist keine Streitschrift, die von den Autoren zur Veröffentlichung gedacht war, er hat alle Kennzeichen einer privaten Auseinandersetzung und Standortbestimmung; vielleicht hat er gerade deshalb die Kraft, die Diskussion entscheidend zu beleben und die Fronten abzustecken. Beide Autoren sind nicht nur Israel-Kenner, sondern wurden für ihre journalistische Arbeit insgesamt mehrfach ausgezeichnet: Follath wurde im Jahr 1998 vom renommierten German Marshall Fund zum Woodrow Wilson Fellow ernannt und ausgewählt, um an ausgesuchten amerikanischen Universitäten Gastvorträge zu halten. Er bekam in Moskau, von dort ansässigen Journalisten gewählt, im Jahr 2007 den von der Deutschen Industrie- und Handelskammer ausgeschriebenen Preis für die beste Reportage über die russische Wirtschaft. Ende 2009 wählten ihn 60 Verleger, Publizisten und Kollegen im Auftrag des journalistischen Fachorgans »Medium Magazins« zu einem der drei deutschen »Reporter des Jahres«. Broder erhielt einige der wichtigsten Auszeichnungen, die hierzulande an Journalisten und Schriftsteller vergeben werden: den Ludwig-Börne-Preis in der Frankfurter Paulskirche 2007 und 2008 den Hildegard- von-Bingen-Preis für Publizistik. Zusammen mit Dirk Maxeiner und Michael Miersch tritt er im Internet als die »Achse des Guten« auf, eine Hardcore-Plattform für die Verteidigung bürgerlicher Freiheiten und gegen Appeasement und vorauseilende Kapitulation. »Zwei alternde Reporter, die zu großer Form auflaufen«, schrieb ein Kollege, als ihre Auseinandersetzung über deutsche Israel-Kritik in Auszügen im SPIEGEL in SPIEGEL ONLINE erschienen war. Erich Follath, Jahrgang I949, in Esslingen geborener Sohn ungarndeutscher Flüchtlinge, ist als i8-Jähriger zum ersten Mal nach Israel gereist. Er hat dort sechs Wochen als Freiwilliger in einem Kibbutz bei Haifa gearbeitet - wie ihm bei seinem Abschied ein älterer Israeli erzählte, als erster Deutscher: Die Kibbutz-Bewohner, unter denen es einige KZ-Überlebende gab, hatten sich vor seiner Ankunft bei einer Abstimmung knapp dafür entschieden, einen Studenten aus dem Land zu empfangen, in dem ihnen so viel Leid zugefügt worden war. Follath blieb Israel auch als Journalist besonders verbunden: Mehrmals jedes Jahr hat er nach 1968 den Judenstaat bereist, 1980 ein vielbeachtetes Buch über den Geheimdienst Mossad geschrieben (»Das Auge Davids. Israels geheime Kommandounternehmen«) und sehr viele wichtige israelische Politiker interviewt: die Staatspräsidenten Chaim Herzog, Ezer Weizman und Schimon Peres, die Premierminister Jitzchak Schamir, Jitzchak Rabin, Ehud Barak und Benjamin Netanjahu. Mit dem linksliberalen Publizisten Uri Avnery ist Follath 1982 nach Tunis geflogen, traf den damals dort residierenden PLO-Chef Jassir Arafat und hat ihn gemeinsam mit Avnery eine halbe Nacht lang interviewt - für den Israeli war das Treffen damals ein strafbarer Akt: Israels Regierung verbot den »Feindkontakt«. Immer wieder ging es bei Follaths Gesprächen mit den führenden israelischen Politikern um den Holocaust und die Lehren für die Geschichte, um den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit - und ihr Verhältnis zu Israel. Menachem Begin, der einen Großteil seiner Familie in der Shoah verloren hatte, mochte keinem deutschen Journalisten ein Interview geben, mit Follath spielte er auf dem langen Flug nach Camp David immerhin stundenlang Schach - und schenkte ihm nachher das Schachbrett mit seinem Namenszug: »Lost twice - Menachem Begin«. Das gerahmte Brett mit dem Verlust-Geständnis des israelischen Premiers hängt heute noch in dem Büro des Journalisten. Dem damaligen Verteidigungsminister Ezer Weizman, der in Niedersachsen seine Ausbildung als Kampfpilot vervollständigt hatte und später als Präsident im Bundestag von der Pflicht jedes Juden auf eine Heimkehr nach Israel sprach, brachte er mehrfach den Schnaps mit, den Weizman dort liebgewonnen hatte: einen Hochprozentigen mit dem Namen »Ratzeputz«. Auch bei den SPIEGEL-Gesprächen mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seinem iranischen Amtskollegen Mahmud Ahmadinedschad in den letzten Monaten hat sich Follath intensiv mit der Nahostproblematik und dem »Umgang« mit Israel beschäftigt. In seinem Sachbuch »Die letzten Diktatoren« (1993) porträtierte er die Nahost-Herrscher Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein; »Das Vermächtnis des Dalai Lama« (2007), eine kritisch würdigende Biografie des tibetischen Friedensnobelpreisträgers, wurde zum Bestseller. Sein jüngstes Buch widmete er Kambodscha; es handelt auch von einem Völkermord und seinen schmerzlichen Folgen: »Die Kinder der Killing Fields« (2009). Follath ist erst vor wenigen Wochen wieder von einer Israel-Reportage zurückgekehrt - ein Land, zu dem er eine besondere Nähe empfindet. »Das macht ja die notwendige Kritik an den Irrwegen der Politik einschließlich der schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Israelis gelegentlich so schmerzvoll«, sagt er. Henryk M. Broder, 1946 im polnischen Kattowitz geboren, schreibt über sein jüdisches Elternhaus: »Um ein Haar wäre auch ich ein Terrorist geworden. Alle Voraussetzungen waren gegeben. Meine Eltern hatten beide unter abenteuerlichen Umständen den Krieg überlebt, fielen sich nach der Befreiung in die Arme und setzten mich in die Welt. Sie waren in höchstem Maße traumatisiert und ich diente ihnen als Beweis, dass es ein Leben nach dem Überleben geben konnte. Entsprechend waren ihre Erwartungen, die ich nicht erfüllen konnte. Wollte ich keinen Spinat essen, bekam ich zu hören: >Was hätten wir dafür gegeben, wenn es im Lager Gemüse gegeben hätte.Und dafür haben wir überlebt? Broder gilt seit den Siebzigerjahren als einer der profiliertesten und streitbarsten deutschen Autoren. Schon frühzeitig brach er mit der deutschen Linken, der er einen blinden Antiamerikanismus und Antizionismus vorwarf. Sein Buch »Der ewige Antisemit« (1986), in dem er seine Analysen nicht auf den extremistischen Rand der Gesellschaft, sondern auf ihre bürgerliche Mitte konzentrierte, löste heftige Reaktionen aus. Spätere Werke wie die »Irren von Zion« (1998) und »Kein Krieg - nirgends. Die Deutschen und der Terror« (2002) polarisierten die Öffentlichkeit weiter. Mit seinem Buch »Hurra, wir kapitulieren«, in dem er Europa eine Appeasementpolitik gegenüber den Islamisten vorwarf, wurde 2006 zu einem Bestseller. Danach erschien »Kritik der reinen Toleranz« (2008). Und wieder spaltete der Autor mit seiner geschliffenen, polemischen Argumentation die deutsche Öffentlichkeit in begeisterte Fans und befremdete Kritiker. Broder trat im vergangenen Jahr bei einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages zum Thema »Kampf gegen den Antisemitismus« als Experte auf. Von manchen angefeindet und kritisiert, erntete Broder wegen seiner ungeschminkter Angriffe und seiner kämpferischen Standfestigkeit auch großes Lob. Gemeinsam mit zwei Kollegen hat Broder einen Internet-Blog gegründet: »Die Achse des Guten« geht mit Israel-Kritikern und »blauäugigen Islam-Verstehern« hart ins Gericht und gehört inzwischen zu den meistbesuchten deutschen Websites. Anfang der 80er siedelte er nach Jerusalem um, blieb dort fast ein Jahrzehnt (»Das war die beste Zeit meines Lebens«), dann zog es ihn ins vereinigte Deutschland zurück; er reist aber nach wie vor regelmäßig ins Heilige Land, um Reportagen zu schreiben und alte Freunde zu besuchen. Am 8. Dezember 2005 machte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad einen Vorschlag, wie der Nahost-Konflikt gelöst werden könnte: Deutschland und Österreich sollten »eine, zwei oder egal wie viele ihrer Provinzen« zur Verfügung stellen, um den jüdischen Staat dort zu errichten, wo einst die »Judenfrage« gestellt wurde. Damit wäre »das Problem an der Wurzel« gepackt. »Ihr habt sie (die Juden) unterdrückt, also gebt dem zionistischen Regime einen Teil Europas, damit sie dort die Regierung einsetzen, die sie wollen.« Am 9. Dezember erschien auf SPIEGEL online ein Text von Henryk M. Broder, der den Vorschlag des iranischen Präsidenten aufgriff und ins Satirische steigerte: »Ahmadinedschads Überlegung mag zu kurz greifen, aber im Prinzip ist sie richtig ^ Wenn es so etwas wie eine historische Gerechtigkeit in dieser Welt geben würde, wäre der jüdische Staat in Schleswig-Holstein oder in Bayern errichtet worden, nicht in Palästina.« Entsprechend lautete die Überschrift des Artikels: »Gebt den Juden Schleswig-Holstein!« Die Autoren dieses Buches sind sich ausnahmsweise einig: Die Idee mag abenteuerlich sein, aber sie bringt den Inhalt der von Broder und Follath geführten Kontroverse auf den Punkt. Follath und Broder kennen und schätzen sich, sie sehen sich öfter in der SPIEGEL-Redaktion, begegnen sich bei den Buchmessen in Frankfurt oder Leipzig, und schon auch mal zufällig auf den Straßen von Tel Aviv. Zuletzt haben sie gemeinsam zu dem im Herbst 2009 bei DVA erschienenen SPIEGEL-Buch »Jerusalem« beigetragen - Follath schrieb in dem von Annette Großbongardt und Dietmar Pieper herausgegebenen Sammelband unter anderem über seine beiden Lieblingshotels in der heiligen Stadt, das »jüdische« King David und das »palästinensische« American Colony: »Beide trennen kaum zwei Kilometer - und doch Welten.« Broder schilderte den »Rummelplatz der Religionen«, an dem auch Atheisten ihre Freude haben könnten, und zitiert seinen alten Freund Gad Granach: »Würde man die Stadt überdachen, wäre sie eine geschlossene Anstalt.« Das alles hindert die beiden Autoren jetzt aber nicht daran, in ihrem E-Mail-Briefverkehr völlig unterschiedliche Positionen einzunehmen: Es ist ein kontroverser, scharfzüngiger, mal lustiger, mal traurig-bitterer, auch Grenzen überschreitender Meinungsaustausch, bei dem sich die Kontrahenten nichts schenken - sie fetzen sich mit unbändigem Engagement und jenseits aller »Ausgewogenheit«. Es gibt ohne Zweifel andere, konventionellere, »sichere« Möglichkeiten, sich diesem Thema zu nähern. Aber vielleicht wird so am deutlichsten, worum es geht. Die SPIEGEL-Chefredaktion hat sich im November 2009 dazu entschlossen, diesen Briefwechsel in stark gekürzter Form, aber unredigiert und unkommentiert, zu veröffentlichen. Die Reaktionen auf die Publikation waren überwältigend: Innerhalb weniger Stunden hatte der Beitrag mehr als 100 000 Klicks im Internet, gehörte 48 Stunden lang zu den Top-Drei-Themen im umkämpften Nachrichtenmarkt. Hunderte Online-Leser diskutierten die Thesen zur deutschen Israelkritik und ihren Wurzeln - engagiert und amüsiert, gelegentlich auch bitter und bissig und mit einer befremdlichen persönlichen Schärfe: eine würdige Weiterentwicklung des Autoren-Streitgesprächs. Offensichtlich haben Broder und Follath einen Nerv getroffen. Deshalb dieses Buch, indem erstmals ausführlich die Vorgeschichte des Streits mitsamt dem ungekürzten Briefwechsel dokumentiert wird. Jeweils zwei dokumentarische Texte von Broder und Follath, die den Autoren wichtig sind, runden das Streitgespräch ab. In Auszügen werden dann noch einige Stellungnahmen von Lesern gedruckt, die auf die SPIEGEL-Publikation eingegangen sind. I. VORSPIEL Rede und Widerrede > Rassisten sind in Berlin nicht willkommenEine fiktive Rede von Frank-Walter Steinmeier an Israels Außenminister Avigdor Lieberman Von Erich Follath Schon bei seiner Antrittsrede fuhr Israels Außenminister Avigdor Lieberman schwere Geschütze auf. Im Mai 2009 empfing der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Ultranationalisten. SPIEGEL-Redakteur Erich Follath hatte aus diesem Anlass eine Ansprache formuliert, die der Bundesaußenminister beim Besuch seines Kollegen unter vier Augen so bestimmt nicht gehalten hat - aber vielleicht hätte halten sollen. Ich begrüße Sie hiermit nochmals in Berlin, sehr verehrter Herr Außenminister, und bitte glauben Sie es mir: Es ist mehr als ein Gebot der Höflichkeit, Sie hier willkommen zu heißen: Sie sind der höchste Diplomat eines uns befreundeten Staates, mehr noch: eines Staates, mit dem uns aus historischen Gründen immer eine besondere Beziehung verbinden wird und dessen Existenzrecht zu bewahren unsere Staatsräson ist. Da wir uns jetzt aber nach dem offiziellen Empfang in meinem Amtszimmer befinden, da niemand hier ist, der das, was ich Ihnen mitteilen möchte, hinaustragen und entweder bewusst oder unbewusst aus dem Zusammenhang reißen und zu einer Krise in unseren Beziehungen hochstilisieren könnte, lassen Sie mich es deutlich sagen: Ich halte Ihre politischen Vorstellungen für katastrophal, Ihre kriegshetzerischen Ausbrüche für eine Zumutung, Ihren Umgang mit den Palästinensern für untolerierbar.
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Erich Follath , Henryk M. Broder
- 2010, 176 Seiten, Deutsch
- Verlag: Random House ebook
- ISBN-10: 3641045029
- ISBN-13: 9783641045029
- Erscheinungsdatum: 06.07.2010
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