Kann Töten erlaubt sein? / Ullstein eBooks (ePub)
Ein Soldat auf der Suche nach Antworten
"Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten." Dieser Satz von Angela Merkel zum Tod Osama bin Ladens provozierte einen Aufschrei in Deutschland. Die gezielte Tötung eines Menschen mit staatlicher Legitimation löst Unbehagen aus. Doch...
sofort als Download lieferbar
eBook (ePub)
16.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenloser tolino webreader
Produktdetails
Produktinformationen zu „Kann Töten erlaubt sein? / Ullstein eBooks (ePub)“
"Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten." Dieser Satz von Angela Merkel zum Tod Osama bin Ladens provozierte einen Aufschrei in Deutschland. Die gezielte Tötung eines Menschen mit staatlicher Legitimation löst Unbehagen aus. Doch was ist, wenn man dadurch ein Menschenleben retten kann? Der ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann geht der Frage nach, unter welchen Umständen die Tötung eines Menschen von Staats wegen gerechtfertigt sein kann. In anderen Ländern, etwa den USA, werden Drohnen eingesetzt, um Menschen zu töten, ohne die eigenen Streitkräfte in Gefahr zu bringen. Diese Automatisierung des Krieges sorgt dafür, dass die Einsätze für Soldaten abstrakt werden: Ein Pilot sitzt in den USA am Bildschirm und steuert eine Drohne in Afghanistan. Marc Lindemann versucht eine genaue Abwägung der moralischen und ethischen Dimension dieser komplexen Thematik. Ein kluges Buch über eine schwierige Frage.
Lese-Probe zu „Kann Töten erlaubt sein? / Ullstein eBooks (ePub)“
KANN TÖTEN ERLAUBT SEIN? von Marc LindemannEin Soldat auf der Suche nach Antworten
Meine eigenen Urteile sind seit der Veröffentlichung meines Buches »Just and Unjust Wars« 1977 ziemlich beständig. Doch ich habe meine Meinung oder die Gewichtung meiner Argumente zu ein paar Dingen geändert. Konfrontiert mit der schieren Anzahl der letzten Greuel - den Massakern und ethnischen Säuberungen in Bosnien und im Kosovo, in Ruanda, im Sudan, in Sierra Leone, im Kongo und in Liberia, in Osttimor und davor in Kambodscha und Bangladesch -, wurde ich langsam williger, nach militärischer Intervention zu rufen.
Michael Walzer, Arguing about War
Prolog
... mehr
Die Drohnen kommen - auch nach Deutschland. Die Vereinigten Staaten setzen sie bereits seit Jahren in ihren Kriegen und zur Jagd auf Terroristen ein; ein Großteil der Führungsriege al- Qaidas wurde damit getötet. Selten hat ein neues Waffensystem bei vielen Menschen solches Unbehagen ausgelöst, wie es die ferngesteuerten Kampfflieger tun. Und schon bald soll auch die Bundeswehr mit diesen Hightech-Systemen ausgerüstet werden. Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte dazu: »Unbemannte, bewaffnete Luftfahrzeuge unterscheiden sich in der Wirkung nicht von bemannten. Immer entscheidet ein Mensch, eine Rakete abzuschießen.« Aber auf wen soll eine solche - dann deutsche - Rakete eigentlich abgeschossen werden? Und wer gibt den Befehl dafür: der Minister selbst, die Bundeskanzlerin oder ein diensthabender Offizier?
Bewaffnete Drohnen sind eine Antwort auf den heutigen Krieg, der längst seine Grenzen verloren hat. Gleichzeitig revolutionieren sie ihn, weil sie dafür gemacht sind, einzelne Personen zu identifizieren und zu töten, ohne auch nur einen Schritt auf das Schlachtfeld setzen zu müssen. Sie ziehen den Gegner aus der fernen Sicht des Frontsoldaten hin ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Wir können zu Hause am Bildschirm verfolgen, wen wir töten, und immer öfter kennen wir sogar Namen und Gesichter. Es stimmt: Drohnen unterscheiden sich in ihrer Wirkung nicht von anderen Waffen - sie töten, wenn jemand den Auslöser drückt. Doch in der Art, wie sie dies tun, nehmen sie dem Sterben die Anonymität. Der Krieg wird persönlicher, als er es je zuvor war. Aber befinden wir uns überhaupt im Krieg?
Die Technik zwingt uns, nun zu tun, was wir schon längst hätten tun sollen: Wir müssen unser Verhältnis zur militärischen Gewalt neu bewerten. Wir müssen klären, wie wir auf die Bedrohungen unserer Zeit reagieren wollen und was wir im Dienst des Gewaltverzichts zu akzeptieren bereit sind. Als die Bundeswehr 2002 nach Afghanistan geschickt wurde, sprach niemand von Krieg. Es sollte ein Land aufgebaut werden, das andere zerstört hatten. Plötzlich aber waren auch deutsche Soldaten in schwere Gefechte verwickelt, und die politische Lebenslüge vom »Friedenseinsatz« zerbrach. Mit dem Angriff auf die Tanklaster von Kundus im September 2009 wurde spätestens offenbar, was in Deutschland lange verleugnet wurde: Auch unsere Soldaten töten. Aber wollten wir das je wieder?
Die Anschaffung bewaffneter Drohnen wirft zweifelsfrei neue Fragen auf: Enthemmen sie das Töten von Gegnern, weil das Risiko für die eigenen Soldaten verschwindet? Sind sie der Einstieg in eine Sicherheitspolitik, die weltweit Jagd auf Terroristen macht? Die Politik wird sich einer breiten gesellschaftlichen Diskussion stellen müssen. Doch schon in die amerikanischen Drohneneinsätze gegen mutmaßliche Terroristen in Pakistan, Jemen oder Somalia ist die Bundesrepublik Deutschland weit mehr involviert, als offiziell zugegeben wird. Deutschland kooperiert mit den USA eng auf geheimdienstlicher Ebene: Informationen, die deutsche Behörden in der Terrorabwehr gewinnen, werden an Amerikaner weitergeleitet. Führen sie zur Tötung eines Terrorverdächtigen, tragen auch wir Verantwortung dafür. Im Afghanistaneinsatz wirken deutsche Soldaten sogar direkt an der Erstellung von Ziellisten mit, auf denen Taliban- Kommandeure und al-Qaida-Führer zur Tötung freigegeben werden.
Der Einsatz am Hindukusch wird bald zu Ende sein, doch im Nahen Osten und in Afrika warten schon neue Einsatzgebiete auf deutsche Beteiligung. Ob wir uns zukünftig an einem multinationalen Einsatzkontingent mit Bodentruppen beteiligen werden oder Drohnen zur Bekämpfung von Terroristen und Aufständischen schicken: Wir sollten endlich die Frage klären, wann die deutsche Außenpolitik auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden soll. Wann darf Töten erlaubt sein?
Gezielte Tötungen im Krieg gegen den Terror
Tod eines Internet-Islamisten
Als sich der kleine Konvoi am Morgen des 30. September 2011 auf den Weg nach Südosten machte, war das Schicksal seiner Insassen bereits besiegelt. Eigentlich war es das schon, als die kleine Gruppe aus der Tür des Hauses in der nordjemenitischen Provinz al-Dschauf trat. Denn der ummauerte Gebäudekomplex in dem Örtchen Khasfah wurde bereits seit Monaten durch amerikanische Satelliten und Aufklärungsflugzeuge überwacht. Die Treffen im Hof, die Fahrzeugbewegungen, wer kam und wer ging: Alles wurde genau beobachtet und akribisch ausgewertet. Die Bewohner des Gebäudes bekamen von alldem nichts mit. Wie auch? Die Späher flogen außerhalb jedweder Sicht- und Hörweite. Zwar wussten die Überwachten sehr genau, dass man hinter ihnen her war, und sie kannten auch den Grund dafür, doch vermittelte ihnen die Abgeschiedenheit dieser Region mit der Zeit ein leidliches Gefühl der Sicherheit. Denn da oben, unweit der saudischen Grenze, war Stammesgebiet, ihr Gebiet.
Die Landschaft ist der Orient eines Karl May: idyllisch und unerschlossen, warm und gleichzeitig wehrhaft. Windschiefe Lehmhäuser mit weißgekalkten Fensterumrandungen schmiegen sich an steil aufragende Felswände, die nach Südwesten hin zu stattlichen Gebirgszügen werden. Dazwischen die grobsteinigen Geröllmäander, jene berühmten Wadis, die höchstens einmal im Jahr Wasser führen und in der trockenen Zeit die fehlenden Straßen ersetzen. Fremde haben keine Chance, unentdeckt zu bleiben. Wenn sich etwas bewegt, wird das sofort bemerkt und gemeldet. Selbst die autoritäre Zentralregierung aus Sanaa kann sich in diesem Teil des Landes nur mit Hilfe ihres Militärs durchsetzen. Die ganze Region wird durch ein komplexes Gerüst aus Abhängigkeiten und Loyalität zusammengehalten, das jeden mit jedem verbindet. So entsteht ein soziales Gefüge, das in anderen Teilen der Welt seit Jahrhunderten der Vergangenheit angehört. In sich ist dieses System stimmig und konsequent, für die Gemeinschaft vielleicht sogar die einzige Möglichkeit zu überleben, doch bei genauerem Hinsehen offenbart es seinen archaischen Charakter und seine innewohnende Brutalität. Denn zugleich ist es ein gut kombiniertes Wehrsystem: Feinde werden auf Abstand gehalten, Gästen hingegen bietet es Versorgung und Schutz.
Ein solcher Gast, ein im US-Bundesstaat New Mexico geborener Mann mit arabischen Wurzeln, der bereits seit vielen Jahren jene Obhut der Clans und Stämme genoss, trat am Morgen des
30. September vor die Tür des überwachten Gebäudes. Sein Name: Anwar al-Awlaki, ein Führungsmitglied al-Qaidas, auch bekannt als »bin Laden des Internets«. Seit Monaten hatte er das Haus nicht verlassen - aus gutem Grund. Der Vierzigjährige war bereits im Mai desselben Jahres auf eine Weise gewarnt worden, die er unmöglich missverstehen konnte: dem Versuch, ihn mit einer Drohne zu töten. Damals verfehlte die Rakete nur knapp ihr Ziel und schlug auf der Ladefläche seines Pick-ups ein; im brennenden Fahrzeug konnte er gerade noch entkommen. Er kannte also sein Risiko und handelte deshalb meist sehr vorsichtig. Warum er an jenem Tag dennoch ins Freie trat, bleibt unklar. Ein Clantreffen ist denkbar, möglicherweise eine Zusammenkunft zur Planung neuer Projekte und Strategien, vielleicht aber auch nur eine Hochzeitseinladung bei Verwandten oder noch schlichter: einfach einmal das Haus verlassen, um den mild-warmen Septembertag in den Gebirgsausläufern an der alten Weihrauchstraße zu genießen. Wer sich über Monate verstecken muss, wird schließlich auch als bekennender Asket auf eine harte Prüfung gestellt - das Risiko zu relativieren wäre daher nur allzu menschlich.
Am anderen Ende des Globus, im Örtchen Langley bei Washington, löste Awlakis Schritt nach draußen hektische Betriebsamkeit aus. Trotz nachtschlafender Stunde eilten immer mehr Personen in die zuständige Operationszentrale im Hauptquartier des CIA. Der fensterlose Raum im Herzstück des größten und mächtigsten amerikanischen Geheimdienstes, vollgestopft mit Monitoren und modernster Kommunikationstechnik, verwandelte sich innerhalb von Sekunden vom eintönigen Beobachtungsstand zur hektischen Kommandozentrale. Die Befehle waren zwar schon lange erteilt und abgesegnet, die Abläufe bekannt und trainiert, aber dennoch war die Anspannung in jener Nacht mit Händen zu greifen. Was nun in Bewegung kam, war keine Routineoperation mehr, es war der letzte Akt einer fast zweijährigen Jagd, die sich ihrem Ende näherte.
Als sich die Fahrzeuge mit Awlaki und seiner Entourage an Bord in Bewegung setzten, blieben ihm seine Verfolger per Satellitenüberwachung dicht auf den Fersen. Über staubige Straßen und ausgetrocknete Wadis fuhren die Pick-ups in Richtung Schabwah, der Stammprovinz des Verfolgten. In Langley wurde währenddessen rasch der nächste Schritt angeordnet: Zwei mit Hellfire-Raketen bewaffnete Drohnen des Typs Predator, die sich bereits im Luftraum befanden, wurden an die fahrenden Autos herangeführt und ergänzten von nun an die Überwachung aus dem All. Zusätzlich näherten sich auch Kampfjets als Reserve, um das gewünschte Ziel keinesfalls zu verfehlen.
Die Bilder, welche die unbemannten Flugzeuge auf die Monitore der Piloten brachten, waren glasklar. Das Multispektral- Zielsystem, das im vorderen Rumpfteil der Drohne eingebaut ist, kombiniert eine hochauflösende Tageslichtkamera mit einem Infrarotsensor, einem Röntgenbildverstärker und einer Laserbeleuchtung. Dunkelste Nacht, morgendlicher Nebel oder das grüne Dach eines Palmenhains - nichts böte dem Konvoi Awlakis Schutz vor den Augen seiner Verfolger. Selbst die Nummernschilder der Autos würden die Optiken der Drohnen noch aus mehreren Kilometern Höhe erkennbar machen. Doch darum ging es zu dieser Stunde schon längst nicht mehr.
Ein vager Augenzeuge, ein angeblicher Bekannter eines Clanchefs aus der Region, wird später berichten, dass er Awlaki und seine Begleiter noch beim Picknick in der Wüste beobachtet habe. Sie seien gerade beim Essen gewesen, als sie plötzlich das helle Brummen der Drohnen am Himmel über sich bemerkt hätten. Sofort seien sie zu ihren Autos gestürmt und geflohen.
In der Operationszentrale der CIA wechselten sich da nur noch Statusmeldungen und Befehle ab. Die Analysten standen im Hintergrund, nun waren die Techniker dran. Die Piloten begannen damit, die beiden Drohnen in ihre letzte Position zu lenken - Maximalhöhe, um unentdeckt zu bleiben, war jetzt nicht mehr nötig. Als die beiden »Raubvögel« ihre optimale Kampfentfernung erreicht hatten, markierte ein Waffensystemoffizier das Fahrzeug Awlakis mit dem Laserzielgerät und gab auf Befehl des Operationsleiters um 9.55 Uhr Ortszeit per Knopfdruck die erste Rakete des unbemannten Fliegers frei. Zwei Sekunden später starben Anwar al-Awlaki und drei seiner Begleiter, darunter ein Terrorverdächtiger namens Samir Khan, im Feuerball ihres zerberstenden Autos. Um ganz sicherzugehen, wurden zwei weitere Raketen abgefeuert.
Die Drohnenpiloten von Langley ließen ihre beiden Predators noch einige Male über das zerstörte Fahrzeug kreisen. Doch die »Wirkaufklärung«, das sogenannte »Battle Damage Assessment «, war eindeutig: In dem rauchenden Wrack konnte niemand überlebt haben. Später zogen Dörfler aus den umliegenden Weilern die Leichname der Getöteten aus dem zerschossenen Auto und begruben sie noch am selben Tag nach islamischem Brauch. Im CIA-Hauptquartier in Virginia war da bereits der Schichtwechsel in der Operationszentrale erfolgt: Das Team, das die Operation geleitet und durchgeführt hatte, war nach Hause gefahren. Eine lange Nacht und eine fast zweijährige Jagd waren damit zu Ende gegangen. Zwei Welten gingen wieder auf Abstand.
In der Sprache der Geheimdienste war Anwar al-Awlaki so etwas wie der Leiter der »Abteilung für aktive Maßnahmen« von al-Qaida: ein eloquenter Propagandist und geschickter Verführer. In ausgewählten Fällen kümmerte er sich sogar persönlich um seine Anhänger und verleitete sie zum Morden. Auf YouTube und Facebook betrieb er eine ganze Reihe von islamistischen Propagandaseiten mit selbstgedrehten Filmen, in denen er Muslime, vor allem in den Vereinigten Staaten, an ihre heilige Pflicht erinnerte: Ungläubige zu töten, wo immer sie welche träfen. Die Bedrohung, die dabei von Awlaki ausging, waren keine Bomben oder Sprengstoffgürtel, sondern seine Sprache. Da er in den USA aufgewachsen war und deren Bildungseinrichtungen genossen hatte, wusste er genau, wie er zu argumentieren und zu reden hatte, um Unzufriedene und Fehlgeleitete anzustacheln. Er erreichte seine willigen Helfer über das Internet. Mit Hilfe der Spaß- und Werbeportale gelang ihm unter anderem die Rekrutierung des Attentäters von Fort Hood, des US-Majors Nidal Malik Hasan. Der Truppenpsychologe mit palästinensischen Wurzeln erschoss in einem Amoklauf im November 2009 dreizehn Soldaten auf dem texanischen Stützpunkt, wofür ihm die Todesstrafe droht. Auch die geistige Leitung des sogenannten »Unterhosen-Bombers«, Omar Faruk Abdulmutallab, der am ersten Weihnachtstag desselben Jahres ein vollbesetztes Linienflugzeug in Detroit sprengen wollte, und die des verhinderten Times-Square-Bombers Faisal Shahzad vom Mai 2010 gingen auf Awlakis Konto.
Der US-Jemenit Awlaki war zweifelsfrei einer der führenden Köpfe der auf der Arabischen Halbinsel aktiven al-Qaida (AQAP). Er verleitete Glaubensbrüder zum Morden und erklärte dies zur religiösen Pflicht, die jeder Muslim erfüllen müsse. Er tat dies in der typischen Terminologie der Dschihadisten, an die sich die westliche Welt schon lange gewöhnt hat. Doch das reichte nicht aus, um ihn über ein interessiertes Publikum hinaus bekannt zu machen, und damit auch nicht, um seinen Tod an sich zu einem historischen Ereignis zu verklären - er war eben nicht Osama bin Laden, dessen Ableben Stoff für einen Hollywood- Streifen bot. Zu viele dieser Hass-Prediger gibt es mittlerweile, als dass einer von ihnen noch besonders hervorstechen würde, denn über zehn Jahre nach 9/11 hat sich die Welt mit den permanenten Drohungen und der bösartigen Agitation solcher Dschihadisten abgefunden.
Awlaki war also sicher keine Ikone des Terrors, und das machte die Operation gegen ihn geradezu zum Paradebeispiel eines Phänomens, welches seit einigen Jahren immer stärker auf die Bühne der internationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik drängt: gezielte Tötungen von mutmaßlichen Terroristen unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit.
Die Praxis gezielter Tötungen
Schon lange vor der Tötung Awlakis antwortete der amerikanische Justizminister Eric Holder auf die Frage, ob er den Radikalen töten, gefangen nehmen oder strafrechtlich verfolgen wolle: »Wir wollen ihn auf jeden Fall neutralisieren. Und wir werden alles tun, um das sicherzustellen.« »Alles« schloss in diesem Fall eindeutig auch die Tötung ein, da gab es selbst bei dem interviewenden Journalisten überhaupt keine Zweifel.
Nachdem die angekündigte »Neutralisierung« am 30. September 2011 erfolgt war, setzte sich die Offenheit in der Causa Awlaki fort. Ohne Umschweife nannte der amerikanische Präsident die Operation in einem ersten Pressestatement, das er am Rande der Verabschiedung eines Vier-Sterne-Admirals gab, einen »bedeutenden Schlag gegen den Ableger der Terrororganisation al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel«. Nach kurzem Applaus der Anwesenden fuhr Barack Obama fort und nannte die Tötung Awlakis »eine Auszeichnung für seine Geheimdienste und für die jemenitischen Sicherheitsorgane, die in diesem Fall eng mit den Amerikanern zusammenarbeiteten«.4 Was Obama an seinem Präsidentenpult auf einem Militärstützpunkt in Virginia tat, war nichts Geringeres, als in völliger Selbstverständlichkeit zu bestätigen, dass eine amerikanische Behörde auf Befehl ihres obersten Dienstherrn, also ihm selbst, einen Menschen in einem anderen Land zur Strecke gebracht hat, weil dieser beschuldigt wurde, terroristische Taten organisiert, unterstützt und weitere solcher geplant zu haben. Auch im Vorfeld hatte Obama Fragen nach seiner Tötungsautorisierung nie dementiert. Von Verschleierung, wie sie vielen seinen Vorgängerregierungen in solchen und ähnlichen Fällen noch vorgeworfen wurde, konnte überhaupt keine Rede mehr sein.
Die Drohnen kommen - auch nach Deutschland. Die Vereinigten Staaten setzen sie bereits seit Jahren in ihren Kriegen und zur Jagd auf Terroristen ein; ein Großteil der Führungsriege al- Qaidas wurde damit getötet. Selten hat ein neues Waffensystem bei vielen Menschen solches Unbehagen ausgelöst, wie es die ferngesteuerten Kampfflieger tun. Und schon bald soll auch die Bundeswehr mit diesen Hightech-Systemen ausgerüstet werden. Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte dazu: »Unbemannte, bewaffnete Luftfahrzeuge unterscheiden sich in der Wirkung nicht von bemannten. Immer entscheidet ein Mensch, eine Rakete abzuschießen.« Aber auf wen soll eine solche - dann deutsche - Rakete eigentlich abgeschossen werden? Und wer gibt den Befehl dafür: der Minister selbst, die Bundeskanzlerin oder ein diensthabender Offizier?
Bewaffnete Drohnen sind eine Antwort auf den heutigen Krieg, der längst seine Grenzen verloren hat. Gleichzeitig revolutionieren sie ihn, weil sie dafür gemacht sind, einzelne Personen zu identifizieren und zu töten, ohne auch nur einen Schritt auf das Schlachtfeld setzen zu müssen. Sie ziehen den Gegner aus der fernen Sicht des Frontsoldaten hin ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Wir können zu Hause am Bildschirm verfolgen, wen wir töten, und immer öfter kennen wir sogar Namen und Gesichter. Es stimmt: Drohnen unterscheiden sich in ihrer Wirkung nicht von anderen Waffen - sie töten, wenn jemand den Auslöser drückt. Doch in der Art, wie sie dies tun, nehmen sie dem Sterben die Anonymität. Der Krieg wird persönlicher, als er es je zuvor war. Aber befinden wir uns überhaupt im Krieg?
Die Technik zwingt uns, nun zu tun, was wir schon längst hätten tun sollen: Wir müssen unser Verhältnis zur militärischen Gewalt neu bewerten. Wir müssen klären, wie wir auf die Bedrohungen unserer Zeit reagieren wollen und was wir im Dienst des Gewaltverzichts zu akzeptieren bereit sind. Als die Bundeswehr 2002 nach Afghanistan geschickt wurde, sprach niemand von Krieg. Es sollte ein Land aufgebaut werden, das andere zerstört hatten. Plötzlich aber waren auch deutsche Soldaten in schwere Gefechte verwickelt, und die politische Lebenslüge vom »Friedenseinsatz« zerbrach. Mit dem Angriff auf die Tanklaster von Kundus im September 2009 wurde spätestens offenbar, was in Deutschland lange verleugnet wurde: Auch unsere Soldaten töten. Aber wollten wir das je wieder?
Die Anschaffung bewaffneter Drohnen wirft zweifelsfrei neue Fragen auf: Enthemmen sie das Töten von Gegnern, weil das Risiko für die eigenen Soldaten verschwindet? Sind sie der Einstieg in eine Sicherheitspolitik, die weltweit Jagd auf Terroristen macht? Die Politik wird sich einer breiten gesellschaftlichen Diskussion stellen müssen. Doch schon in die amerikanischen Drohneneinsätze gegen mutmaßliche Terroristen in Pakistan, Jemen oder Somalia ist die Bundesrepublik Deutschland weit mehr involviert, als offiziell zugegeben wird. Deutschland kooperiert mit den USA eng auf geheimdienstlicher Ebene: Informationen, die deutsche Behörden in der Terrorabwehr gewinnen, werden an Amerikaner weitergeleitet. Führen sie zur Tötung eines Terrorverdächtigen, tragen auch wir Verantwortung dafür. Im Afghanistaneinsatz wirken deutsche Soldaten sogar direkt an der Erstellung von Ziellisten mit, auf denen Taliban- Kommandeure und al-Qaida-Führer zur Tötung freigegeben werden.
Der Einsatz am Hindukusch wird bald zu Ende sein, doch im Nahen Osten und in Afrika warten schon neue Einsatzgebiete auf deutsche Beteiligung. Ob wir uns zukünftig an einem multinationalen Einsatzkontingent mit Bodentruppen beteiligen werden oder Drohnen zur Bekämpfung von Terroristen und Aufständischen schicken: Wir sollten endlich die Frage klären, wann die deutsche Außenpolitik auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden soll. Wann darf Töten erlaubt sein?
Gezielte Tötungen im Krieg gegen den Terror
Tod eines Internet-Islamisten
Als sich der kleine Konvoi am Morgen des 30. September 2011 auf den Weg nach Südosten machte, war das Schicksal seiner Insassen bereits besiegelt. Eigentlich war es das schon, als die kleine Gruppe aus der Tür des Hauses in der nordjemenitischen Provinz al-Dschauf trat. Denn der ummauerte Gebäudekomplex in dem Örtchen Khasfah wurde bereits seit Monaten durch amerikanische Satelliten und Aufklärungsflugzeuge überwacht. Die Treffen im Hof, die Fahrzeugbewegungen, wer kam und wer ging: Alles wurde genau beobachtet und akribisch ausgewertet. Die Bewohner des Gebäudes bekamen von alldem nichts mit. Wie auch? Die Späher flogen außerhalb jedweder Sicht- und Hörweite. Zwar wussten die Überwachten sehr genau, dass man hinter ihnen her war, und sie kannten auch den Grund dafür, doch vermittelte ihnen die Abgeschiedenheit dieser Region mit der Zeit ein leidliches Gefühl der Sicherheit. Denn da oben, unweit der saudischen Grenze, war Stammesgebiet, ihr Gebiet.
Die Landschaft ist der Orient eines Karl May: idyllisch und unerschlossen, warm und gleichzeitig wehrhaft. Windschiefe Lehmhäuser mit weißgekalkten Fensterumrandungen schmiegen sich an steil aufragende Felswände, die nach Südwesten hin zu stattlichen Gebirgszügen werden. Dazwischen die grobsteinigen Geröllmäander, jene berühmten Wadis, die höchstens einmal im Jahr Wasser führen und in der trockenen Zeit die fehlenden Straßen ersetzen. Fremde haben keine Chance, unentdeckt zu bleiben. Wenn sich etwas bewegt, wird das sofort bemerkt und gemeldet. Selbst die autoritäre Zentralregierung aus Sanaa kann sich in diesem Teil des Landes nur mit Hilfe ihres Militärs durchsetzen. Die ganze Region wird durch ein komplexes Gerüst aus Abhängigkeiten und Loyalität zusammengehalten, das jeden mit jedem verbindet. So entsteht ein soziales Gefüge, das in anderen Teilen der Welt seit Jahrhunderten der Vergangenheit angehört. In sich ist dieses System stimmig und konsequent, für die Gemeinschaft vielleicht sogar die einzige Möglichkeit zu überleben, doch bei genauerem Hinsehen offenbart es seinen archaischen Charakter und seine innewohnende Brutalität. Denn zugleich ist es ein gut kombiniertes Wehrsystem: Feinde werden auf Abstand gehalten, Gästen hingegen bietet es Versorgung und Schutz.
Ein solcher Gast, ein im US-Bundesstaat New Mexico geborener Mann mit arabischen Wurzeln, der bereits seit vielen Jahren jene Obhut der Clans und Stämme genoss, trat am Morgen des
30. September vor die Tür des überwachten Gebäudes. Sein Name: Anwar al-Awlaki, ein Führungsmitglied al-Qaidas, auch bekannt als »bin Laden des Internets«. Seit Monaten hatte er das Haus nicht verlassen - aus gutem Grund. Der Vierzigjährige war bereits im Mai desselben Jahres auf eine Weise gewarnt worden, die er unmöglich missverstehen konnte: dem Versuch, ihn mit einer Drohne zu töten. Damals verfehlte die Rakete nur knapp ihr Ziel und schlug auf der Ladefläche seines Pick-ups ein; im brennenden Fahrzeug konnte er gerade noch entkommen. Er kannte also sein Risiko und handelte deshalb meist sehr vorsichtig. Warum er an jenem Tag dennoch ins Freie trat, bleibt unklar. Ein Clantreffen ist denkbar, möglicherweise eine Zusammenkunft zur Planung neuer Projekte und Strategien, vielleicht aber auch nur eine Hochzeitseinladung bei Verwandten oder noch schlichter: einfach einmal das Haus verlassen, um den mild-warmen Septembertag in den Gebirgsausläufern an der alten Weihrauchstraße zu genießen. Wer sich über Monate verstecken muss, wird schließlich auch als bekennender Asket auf eine harte Prüfung gestellt - das Risiko zu relativieren wäre daher nur allzu menschlich.
Am anderen Ende des Globus, im Örtchen Langley bei Washington, löste Awlakis Schritt nach draußen hektische Betriebsamkeit aus. Trotz nachtschlafender Stunde eilten immer mehr Personen in die zuständige Operationszentrale im Hauptquartier des CIA. Der fensterlose Raum im Herzstück des größten und mächtigsten amerikanischen Geheimdienstes, vollgestopft mit Monitoren und modernster Kommunikationstechnik, verwandelte sich innerhalb von Sekunden vom eintönigen Beobachtungsstand zur hektischen Kommandozentrale. Die Befehle waren zwar schon lange erteilt und abgesegnet, die Abläufe bekannt und trainiert, aber dennoch war die Anspannung in jener Nacht mit Händen zu greifen. Was nun in Bewegung kam, war keine Routineoperation mehr, es war der letzte Akt einer fast zweijährigen Jagd, die sich ihrem Ende näherte.
Als sich die Fahrzeuge mit Awlaki und seiner Entourage an Bord in Bewegung setzten, blieben ihm seine Verfolger per Satellitenüberwachung dicht auf den Fersen. Über staubige Straßen und ausgetrocknete Wadis fuhren die Pick-ups in Richtung Schabwah, der Stammprovinz des Verfolgten. In Langley wurde währenddessen rasch der nächste Schritt angeordnet: Zwei mit Hellfire-Raketen bewaffnete Drohnen des Typs Predator, die sich bereits im Luftraum befanden, wurden an die fahrenden Autos herangeführt und ergänzten von nun an die Überwachung aus dem All. Zusätzlich näherten sich auch Kampfjets als Reserve, um das gewünschte Ziel keinesfalls zu verfehlen.
Die Bilder, welche die unbemannten Flugzeuge auf die Monitore der Piloten brachten, waren glasklar. Das Multispektral- Zielsystem, das im vorderen Rumpfteil der Drohne eingebaut ist, kombiniert eine hochauflösende Tageslichtkamera mit einem Infrarotsensor, einem Röntgenbildverstärker und einer Laserbeleuchtung. Dunkelste Nacht, morgendlicher Nebel oder das grüne Dach eines Palmenhains - nichts böte dem Konvoi Awlakis Schutz vor den Augen seiner Verfolger. Selbst die Nummernschilder der Autos würden die Optiken der Drohnen noch aus mehreren Kilometern Höhe erkennbar machen. Doch darum ging es zu dieser Stunde schon längst nicht mehr.
Ein vager Augenzeuge, ein angeblicher Bekannter eines Clanchefs aus der Region, wird später berichten, dass er Awlaki und seine Begleiter noch beim Picknick in der Wüste beobachtet habe. Sie seien gerade beim Essen gewesen, als sie plötzlich das helle Brummen der Drohnen am Himmel über sich bemerkt hätten. Sofort seien sie zu ihren Autos gestürmt und geflohen.
In der Operationszentrale der CIA wechselten sich da nur noch Statusmeldungen und Befehle ab. Die Analysten standen im Hintergrund, nun waren die Techniker dran. Die Piloten begannen damit, die beiden Drohnen in ihre letzte Position zu lenken - Maximalhöhe, um unentdeckt zu bleiben, war jetzt nicht mehr nötig. Als die beiden »Raubvögel« ihre optimale Kampfentfernung erreicht hatten, markierte ein Waffensystemoffizier das Fahrzeug Awlakis mit dem Laserzielgerät und gab auf Befehl des Operationsleiters um 9.55 Uhr Ortszeit per Knopfdruck die erste Rakete des unbemannten Fliegers frei. Zwei Sekunden später starben Anwar al-Awlaki und drei seiner Begleiter, darunter ein Terrorverdächtiger namens Samir Khan, im Feuerball ihres zerberstenden Autos. Um ganz sicherzugehen, wurden zwei weitere Raketen abgefeuert.
Die Drohnenpiloten von Langley ließen ihre beiden Predators noch einige Male über das zerstörte Fahrzeug kreisen. Doch die »Wirkaufklärung«, das sogenannte »Battle Damage Assessment «, war eindeutig: In dem rauchenden Wrack konnte niemand überlebt haben. Später zogen Dörfler aus den umliegenden Weilern die Leichname der Getöteten aus dem zerschossenen Auto und begruben sie noch am selben Tag nach islamischem Brauch. Im CIA-Hauptquartier in Virginia war da bereits der Schichtwechsel in der Operationszentrale erfolgt: Das Team, das die Operation geleitet und durchgeführt hatte, war nach Hause gefahren. Eine lange Nacht und eine fast zweijährige Jagd waren damit zu Ende gegangen. Zwei Welten gingen wieder auf Abstand.
In der Sprache der Geheimdienste war Anwar al-Awlaki so etwas wie der Leiter der »Abteilung für aktive Maßnahmen« von al-Qaida: ein eloquenter Propagandist und geschickter Verführer. In ausgewählten Fällen kümmerte er sich sogar persönlich um seine Anhänger und verleitete sie zum Morden. Auf YouTube und Facebook betrieb er eine ganze Reihe von islamistischen Propagandaseiten mit selbstgedrehten Filmen, in denen er Muslime, vor allem in den Vereinigten Staaten, an ihre heilige Pflicht erinnerte: Ungläubige zu töten, wo immer sie welche träfen. Die Bedrohung, die dabei von Awlaki ausging, waren keine Bomben oder Sprengstoffgürtel, sondern seine Sprache. Da er in den USA aufgewachsen war und deren Bildungseinrichtungen genossen hatte, wusste er genau, wie er zu argumentieren und zu reden hatte, um Unzufriedene und Fehlgeleitete anzustacheln. Er erreichte seine willigen Helfer über das Internet. Mit Hilfe der Spaß- und Werbeportale gelang ihm unter anderem die Rekrutierung des Attentäters von Fort Hood, des US-Majors Nidal Malik Hasan. Der Truppenpsychologe mit palästinensischen Wurzeln erschoss in einem Amoklauf im November 2009 dreizehn Soldaten auf dem texanischen Stützpunkt, wofür ihm die Todesstrafe droht. Auch die geistige Leitung des sogenannten »Unterhosen-Bombers«, Omar Faruk Abdulmutallab, der am ersten Weihnachtstag desselben Jahres ein vollbesetztes Linienflugzeug in Detroit sprengen wollte, und die des verhinderten Times-Square-Bombers Faisal Shahzad vom Mai 2010 gingen auf Awlakis Konto.
Der US-Jemenit Awlaki war zweifelsfrei einer der führenden Köpfe der auf der Arabischen Halbinsel aktiven al-Qaida (AQAP). Er verleitete Glaubensbrüder zum Morden und erklärte dies zur religiösen Pflicht, die jeder Muslim erfüllen müsse. Er tat dies in der typischen Terminologie der Dschihadisten, an die sich die westliche Welt schon lange gewöhnt hat. Doch das reichte nicht aus, um ihn über ein interessiertes Publikum hinaus bekannt zu machen, und damit auch nicht, um seinen Tod an sich zu einem historischen Ereignis zu verklären - er war eben nicht Osama bin Laden, dessen Ableben Stoff für einen Hollywood- Streifen bot. Zu viele dieser Hass-Prediger gibt es mittlerweile, als dass einer von ihnen noch besonders hervorstechen würde, denn über zehn Jahre nach 9/11 hat sich die Welt mit den permanenten Drohungen und der bösartigen Agitation solcher Dschihadisten abgefunden.
Awlaki war also sicher keine Ikone des Terrors, und das machte die Operation gegen ihn geradezu zum Paradebeispiel eines Phänomens, welches seit einigen Jahren immer stärker auf die Bühne der internationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik drängt: gezielte Tötungen von mutmaßlichen Terroristen unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit.
Die Praxis gezielter Tötungen
Schon lange vor der Tötung Awlakis antwortete der amerikanische Justizminister Eric Holder auf die Frage, ob er den Radikalen töten, gefangen nehmen oder strafrechtlich verfolgen wolle: »Wir wollen ihn auf jeden Fall neutralisieren. Und wir werden alles tun, um das sicherzustellen.« »Alles« schloss in diesem Fall eindeutig auch die Tötung ein, da gab es selbst bei dem interviewenden Journalisten überhaupt keine Zweifel.
Nachdem die angekündigte »Neutralisierung« am 30. September 2011 erfolgt war, setzte sich die Offenheit in der Causa Awlaki fort. Ohne Umschweife nannte der amerikanische Präsident die Operation in einem ersten Pressestatement, das er am Rande der Verabschiedung eines Vier-Sterne-Admirals gab, einen »bedeutenden Schlag gegen den Ableger der Terrororganisation al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel«. Nach kurzem Applaus der Anwesenden fuhr Barack Obama fort und nannte die Tötung Awlakis »eine Auszeichnung für seine Geheimdienste und für die jemenitischen Sicherheitsorgane, die in diesem Fall eng mit den Amerikanern zusammenarbeiteten«.4 Was Obama an seinem Präsidentenpult auf einem Militärstützpunkt in Virginia tat, war nichts Geringeres, als in völliger Selbstverständlichkeit zu bestätigen, dass eine amerikanische Behörde auf Befehl ihres obersten Dienstherrn, also ihm selbst, einen Menschen in einem anderen Land zur Strecke gebracht hat, weil dieser beschuldigt wurde, terroristische Taten organisiert, unterstützt und weitere solcher geplant zu haben. Auch im Vorfeld hatte Obama Fragen nach seiner Tötungsautorisierung nie dementiert. Von Verschleierung, wie sie vielen seinen Vorgängerregierungen in solchen und ähnlichen Fällen noch vorgeworfen wurde, konnte überhaupt keine Rede mehr sein.
... weniger
Autoren-Porträt von Marc Lindemann
Marc Lindemann, *1977, ist Politologe und war 2005 und 2009 als Nachrichtenoffizier für die Bundeswehr in Afghanistan. 2010 erschien sein Buch »Unter Beschuss - Warum Deutschland in Afghanistan scheitert«, mit dem er es auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Heute arbeitet Marc Lindemann als Journalist und Medienberater in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Marc Lindemann
- 2013, 1. Auflage, 256 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 384370418X
- ISBN-13: 9783843704182
- Erscheinungsdatum: 14.05.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.06 MB
- Ohne Kopierschutz
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
Kommentar zu "Kann Töten erlaubt sein? / Ullstein eBooks"
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Kann Töten erlaubt sein? / Ullstein eBooks".
Kommentar verfassen