Mediävistische Kulturwissenschaft (PDF)
Ausgewählte Studien
This book examines vernacular literary texts of the Middle Ages and the Early Modern Age from a cultural studies perspective, focusing on the context of their origin and effect, their media preconditions, their concepts of cultural systems and the...
sofort als Download lieferbar
eBook (pdf)
129.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenloser tolino webreader
Produktdetails
Produktinformationen zu „Mediävistische Kulturwissenschaft (PDF)“
This book examines vernacular literary texts of the Middle Ages and the Early Modern Age from a cultural studies perspective, focusing on the context of their origin and effect, their media preconditions, their concepts of cultural systems and the discussion and transformation of social norms. A wide spectrum of texts is covered from the 12th to the 16th centuries including the heroic epic, novellas, religious drama, satire and the encyclopedia. The starting point and objective of this book are to understand the literary text as a medium to reflect cultural configurations.
Lese-Probe zu „Mediävistische Kulturwissenschaft (PDF)“
Mimesis und Ritual (S. 135-136) Dass das Geistliche Spiel nicht in den Kategorien theatrali scher Mimesis beschrieben werden kann, ist eine Binsenweisheit. Weit weniger einig ist man sich, welchen Status und welche Funk tion man ihm zuzuschreiben hat. Ein Großteil der Spätmittelalterforschung hat sich mit der Formel beruhigt, das Spiel diene der religiösen Verkündigung: der memoria des Heilsgeschehens, der Belehrung über bestimmte Glaubensinhalte und der Erweckung von compassio, emotionaler Anteilnahme am Leiden Jesu. So scheinen es die Verfasser der Spiele beabsichtigt zu haben, und so werden sie von ihren Apologeten gerechtfertigt. Daher kommt es, dass Rainer Warnings Buch von 1974, das einer solchen Lesart entschieden widersprach, in der germanistischen Forschung zu mindest hauptsächlich Abwehrreflexe auslöste – sofern man sich überhaupt dem Anspruch seiner Thesen stellte –, so dass Warning sich 1995 noch einmal veranlasst sah, vor den »her meneutischen Fallen« zu warnen, in die der moderne Interpret tappt, wenn er sich mit den beruhigenden Formeln der Belehrung und Erbau ung durch die Spiele zufrieden gibt. Meist verlässt man sich nämlich auf den religiösen Rahmen der Darstellung, das heilsgeschichtliche Geschehen, durch das nach Meinung der Interpreten burleske wie schockierende Aktionen, die Obszönitäten des Salbenkaufs wie die Grausamkeiten bei der Folter schon in die ›richtige‹ religiöse Perspektive gerückt werden. Nicht beachtet wurde meist, dass solche ›Rahmungen‹ ebenso gut nur der Lizenzierung des andernfalls Verbotenen dienen können, so dass sich unter ihrem Schutz abweichende Intentionen ausagieren können, ein Umstand, der der Massenpsychologie geläufig ist. Dass solch ein Umkippen tatsächlich stattfand, ist zwar vom Textder überlieferten Spiele her nicht beweisbar, wird aber
... mehr
durch Berichte von Aufführungen dokumentiert, die vom Bruch des sakralen Zusammenhangs erzählen.
Warning hatte – verein facht gesprochen – die Spiele und ihren Verkündigungsanspruch am theologischen Kerygma gemessen und ihren uneingestandenen Rückfall in den Mythos betont. Unter der Oberfläche der Darstellung des Passionsgeschehens z. B. liege ein archaisches Sündenbockritual verborgen, in dem die Erlösung am Kreuz nur Deckmantel für die Aggression gegen das Lamm Gottes sei, das blutig geopfert werde. Das unblutige Opfer der Eucharistie werde in den (theologisch überwundenen) mythischen Ursprung des Blutopfers zurückgespielt. Spuren jener dementierten eigentlichen Funktion zeigten sich auf der Textoberfläche in den bis zum Exzess getriebenen, dabei kunstvoll rhythmisierten und rituell geformten Worten und Aktionen der Folterung.
Warnings Überlegungen werfen fundamentale Probleme spät mittelalterlicher Frömmigkeit wie auch spätmittelalterlicher Theatralität auf. Ich möchte an sie anknüpfen und sie in Beziehung setzen zu einigen Einwänden, die gegen sie erhoben wurden. Mein Ziel ist es zu zeigen, wie in der Tat die Spiele den durch Liturgie und Verkündigung gesetzten Rahmen zu sprengen drohen, andererseits aber immer wieder Strategien entwickelt werden, sie in den Kontext von Liturgie und Verkündigung zurückzuspielen. Dies beruht auf ihrem ambivalenten Status zwischen – schlagwort artig verkürzt: – ›Kult‹ und ›Theater‹. Indem Warning zuerst ihre kultische Unbedenklichkeit vor dem Hintergrund der elaborierten Theologie in Frage gestellt hatte, rückte er dieses für eine Genealogie literarischer Formen zentrale Problem in den Blick: eine Freisetzung der Imagination aus rituellen Vollzügen. Bevor ich diese Überlegungen an überlieferten Texten überprüfe, möchte ich einige Prämissen nennen, von denen ich ausgehe.
Warning hatte – verein facht gesprochen – die Spiele und ihren Verkündigungsanspruch am theologischen Kerygma gemessen und ihren uneingestandenen Rückfall in den Mythos betont. Unter der Oberfläche der Darstellung des Passionsgeschehens z. B. liege ein archaisches Sündenbockritual verborgen, in dem die Erlösung am Kreuz nur Deckmantel für die Aggression gegen das Lamm Gottes sei, das blutig geopfert werde. Das unblutige Opfer der Eucharistie werde in den (theologisch überwundenen) mythischen Ursprung des Blutopfers zurückgespielt. Spuren jener dementierten eigentlichen Funktion zeigten sich auf der Textoberfläche in den bis zum Exzess getriebenen, dabei kunstvoll rhythmisierten und rituell geformten Worten und Aktionen der Folterung.
Warnings Überlegungen werfen fundamentale Probleme spät mittelalterlicher Frömmigkeit wie auch spätmittelalterlicher Theatralität auf. Ich möchte an sie anknüpfen und sie in Beziehung setzen zu einigen Einwänden, die gegen sie erhoben wurden. Mein Ziel ist es zu zeigen, wie in der Tat die Spiele den durch Liturgie und Verkündigung gesetzten Rahmen zu sprengen drohen, andererseits aber immer wieder Strategien entwickelt werden, sie in den Kontext von Liturgie und Verkündigung zurückzuspielen. Dies beruht auf ihrem ambivalenten Status zwischen – schlagwort artig verkürzt: – ›Kult‹ und ›Theater‹. Indem Warning zuerst ihre kultische Unbedenklichkeit vor dem Hintergrund der elaborierten Theologie in Frage gestellt hatte, rückte er dieses für eine Genealogie literarischer Formen zentrale Problem in den Blick: eine Freisetzung der Imagination aus rituellen Vollzügen. Bevor ich diese Überlegungen an überlieferten Texten überprüfe, möchte ich einige Prämissen nennen, von denen ich ausgehe.
... weniger
Autoren-Porträt von Jan-Dirk Müller
Jan-Dirk Müller, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jan-Dirk Müller
- 2010, 1. Auflage, 316 Seiten, Deutsch
- Verlag: Walter de Gruyter
- ISBN-10: 311023095X
- ISBN-13: 9783110230956
- Erscheinungsdatum: 26.05.2010
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: PDF
- Größe: 1.75 MB
- Ohne Kopierschutz
Kommentar zu "Mediävistische Kulturwissenschaft"
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Mediävistische Kulturwissenschaft".
Kommentar verfassen