Nur eine Frau (DVD)

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Mitten in Berlin wird Aynur (Almila Bagriacik) von ihrem Bruder Nuri (Rauand Taleb) auf offener Straße erschossen. Arglos hat sie ihn zur Bushaltestelle begleitet, wenige hundert Meter entfernt in der Wohnung schläft ihr fünfjähriger...
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Kommentare zu "Nur eine Frau"
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    9 von 15 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    MaRe, 05.11.2019

    Am 07. Februar 2005 um 20.38 Uhr wird eine junge Frau in Berlin-Tempelhof auf offener Straße erschossen. Der Täter: ihr jüngster Bruder. Nun hören wir ihr, der Toten, Hatun Sürücü, von allen „Aynur“ genannt (geb. 1982, zum Zeitpunkt ihres Todes 23 Jahre alt), zu. Sie erzählt uns per Voiceover im umgangssprachlichen Plauderton ihre (Familien)Geschichte, wie es zu dem „Ehrenmord“ kommen konnte, vom Gerichtsprozess gegen ihre Brüder und den folgenreichen Auswirkungen, die diese Tat auf das Leben einiger Nicht-Familienmitglieder hatte.

    Aynur wuchs als älteste Tochter von insgesamt neun Kindern (fünf Brüdern und drei Schwestern) in einem streng nach sunnitisch-kurdischen Traditionen in Berlin-Kreuzberg lebenden Elternhaus auf.

    Mit 16 Jahren unterwarf sie sich zunächst dem Willen ihres Vaters und heiratete den für sie vorgesehenen Mann in der Türkei. Weil dieser ihr Gewalt antat, floh sie hochschwanger zu ihrer Familie nach Deutschland und in beengte Lebensverhältnisse zurück. Dann versuchte sie, sich daraus zu befreien, löste sich von ihrer Familie und begann, für sich selbst und ihren Sohn Can zu sorgen.

    Der erzählerische Kniff mit den Kommentaren aus dem Jenseits hilft dabei zu verstehen, was in der Folge passierte, wie und weshalb Aynur mit ihrem Drang, ein freies, selbstbestimmtes Leben führen zu wollen, „zu einer Schande“ wurde und zu einem ehrabschneidenden Gesichtsverlust bezüglich ihrer Familie beitrug. Gleichzeitig federn sie, oft mit Vergleichen versehen, die Heftigkeit des Themas ab, machen es „verdaulicher“, weil der Zuschauer quasi von Aynur selbst begleitet, an die Hand genommen wird und sie manches Ereignis vorwegnimmt.

    „Nur eine Frau“ (internationaler Titel: „A Regular Woman“, erschienen 2019) ist ein Kino-Spielfilm „mit dokumentarischen Ankern“, so die Produzentin Sonja Maischberger. Er wurde an Originalschauplätzen gedreht und enthält zum Beispiel Videoaufnahmen und Fotos der realen Aynur. Regie führte die Deutsch-Amerikanerin Sherry Hormann (Jahrgang 1960, u.a. die TV-Produktionen „Operation Zucker: Jagdgesellschaft“ - 2016, „Vermisst in Berlin“ - 2018). Das Drehbuch von Florian Oeller basiert vor allem auf dem Sachbuch von Matthias Deiß und Jo Goll, die mit der Familie Sürücü Interviews geführt hatten. Außerdem wälzte er die umfangreichen Gerichtsakten, um möglichst nah an den ermittelbaren bzw. ermittelten Fakten zu bleiben.

    Der mehrdeutige Titel löst, je nach Betonung, unterschiedliche Assoziationen aus: Er kann als „Nur eine Frau, keine Bedrohung“ gelesen werden oder als „Nur eine Frau“, stellvertretend für viele andere mit ähnlichem Schicksal (Zwangsverheiratung, Unterdrückung, Unfreiheit) oder „Nur eine Frau“ im Sinne von: „daher wert- und willenlos“ bedeuten. Genauso verschieden kann man den Film interpretieren.

    Er stellt weder eine in irgendeine Richtung zielende Anklage noch eine Rechtfertigung dar, er schildert vielmehr sachlich die Drucksituationen auf allen Seiten, erstellt ein Familienpsychogramm und nimmt dazu Aynurs Perspektive ein. Sie wird von den Machern zwar als eine Art „Jeanne D‘Arc der Berliner Hinterhöfe“ (siehe Bonusmaterial der DVD) oder „Kriegerin“ wahrgenommen, aber nie als Märtyrerin glorifiziert, sondern bleibt ganz Mensch.

    Dass auch die deutsche „Draufsicht“ auf die Thematik, das „Nichts- oder Nicht-Genug-Wissen und Verstehen“ von dieser Kultur, die Überforderung damit in Person von Aynurs Freund Tim (Jacob Matschenz) oder in einer Bahnszene einfließen, finde ich wichtig, denn es handelt sich um einen Problemkreis mitten aus unserer Gesellschaft, der jeden von uns etwas angeht.

    Almila Bagriacik, seit 2018 im Kieler „Tatort“ („Borowski und das Haus der Geister“ und „Borowski und das Glück der Anderen“) als Kommissarin Mila Sahin oder in „4 Blocks“ zu sehen, ist nicht nur ein Off-Kommentar-Sprachrohr Aynurs, sondern zeigt überzeugend ihre Zerrissenheit zwischen dem Streben nach Freiheit und ihrer innigen Liebe zu ihrer Familie und stellt glaubhaft ihre große Entwicklung hin zu einer starken, selbstbewussten, im Leben stehenden Persönlichkeit, ihre Kraft, Ausstrahlung und Lebensfreude, ihre Wünsche und Träume sowie ihre Hoffnung, eine Brücke zwischen sich und der Familie bauen zu können, dar.

    Auch Rauand Taleb (Zeki in „4 Blocks“) als ihr jüngster Bruder Nuri verdeutlicht nachvollziehbar dessen Wandlung und die ihn antreibenden, traditionsbedingten, unheilvollen „Sachzwänge“.

    Fazit: „Nur eine Frau“ ist eindringlich, hat eine radikal deutliche Bildsprache und bleibt doch inhaltlich ausgewogen. Dieser Film entlässt mit einem Plädoyer, genau und aufmerksam in unsere facettenreiche, inhomogene Gesellschaft hineinzuschauen und sowohl als Bürger als auch als Staat funktionierende Reaktionsmechanismen zu entwickeln sowie mit unbändig viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren (vielleicht auch in Schulen) über Werte und Regeln des Zusammenlebens und die Rechte von Frauen und Mädchen.

    PS: Als Bonusmaterial gibt es u.a. Interviews mit Sandra Maischberger, Almila Bagriacik und Sherry Hormann.

    Nach dem im Film erwähnten Freispruch aus Mangel an Beweisen im Mai 2017 in Istanbul, wurde am 22. Februar 2018 bekannt, dass ein Berufungsgericht in Istanbul aufgrund einer Beschwerde des türkischen Familienministeriums entschieden hätte, den Prozess gegen die Sürücü-Brüder wieder zu eröffnen. Das Familienministerium war nicht über den Beginn des Istanbuler Prozesses informiert worden. Nach türkischem Gesetz hätte jedoch ein Vertreter daran teilnehmen müssen. Wann ein erster Gerichtstermin stattfände, wurde noch nicht bekannt gegeben.

    In Deutschland finden jährlich mindestens 13 „Ehrenmorde“ statt, wobei die Dunkelziffer hoch ist.

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