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  • 5 Sterne

    7 von 10 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Jashrin, 05.10.2016

    Johannes Kehr hat inzwischen ein hohes Alter erreicht und geht mit 91 Jahren freiwillig in ein Altersheim. Zum einen möchte er niemandem, besonders nicht seiner Enkelin, zu Last fallen, zum anderen hofft er, dass er dort seine Ruhe haben wird. Aus diesem Grund täuscht er auch eine Demenz vor. Auf dieser Weise braucht er sich um nichts zu kümmern, und wenn ihm irgendetwas nicht gefällt, dann hat er das leider vergessen.

    Er nutzt seine vorgetäuschte Demenz zum Beispiel dafür, sich auch mal einen zusätzlichen Nachtisch zu stibitzen oder er nimmt ganz aus Versehen die Gehhilfe einer anderen Bewohnerin mit – wenn diese dann den anderen eine Weile nicht auf die Nerven gehen kann, ist das doch nicht so schlimm, oder?

    Doch mit den Wochen wird es immer schwieriger den Schein zu wahren und als dann auch noch seine Jugendliebe Annemarie ins Heim kommt, fällt es ihm besonders schwer nicht mit ihr in alten Erinnerungen zu schwelgen.
    Wie lange kann er seine Mitmenschen täuschen? Oder täuscht er am Ende sich selber?

    Frédéric Zwicker greift in seinem Debütroman ein sensibles und auch aktuelles Thema auf. Wie geht es den Menschen in den Pflege- und Altersheimen? Was bestimmt ihr Leben und inwieweit können die Pflegekräfte auf den einzelnen eingehen?
    In einer Zeit, in der viele Menschen pflegebedürftig sind und oft händeringend nach genügend Personal gesucht wird, trifft der Autor dieses feinfühlig erzählten Buches den richtigen Ton und schafft es, dem Leser ganz unauffällig vielerlei Denkanstöße zu geben.

    Der Alltag im Pflegeheim wird authentisch beschrieben, mit einem ebenso genauen Blick wie ihn auch die Figur von Herrn Kehr hat: es geht um die Pflegekräfte, die nicht auf alles eingehen können und zum Teil auch nicht wollen, die Bewohner, die sich oft in hohem Alter noch einmal ganz umstellen müssen und in Ansätzen auch um die Familien, die einen Angehörigen im Heim besuchen. Die Erzählweise und vor allem die Worte, die der Autor Herrn Kehr in den Mund legt, sind teils zynisch und erscheinen in manchen Passagen fast menschenverachtend, doch für mich sind sie das keinesfalls. Frédéric Zwicker fängt meines Erachtens nach zwar teils schonungslos, doch niemals abwertend, die Realität in einem Pflegeheim ein. Viele Aspekte lassen sich einfach nicht Schönreden und man sollte es auch nicht krampfhaft versuchen.

    Das Buch dreht sich ausschließlich um Herrn Kehr. Die Perspektive wechselt immer wieder zwischen seinen Gedanken und Erinnerungen, aktuellen Situationen aus der Ich -Perspektive und Erzählungen aus Sicht eines neutralen Erzählers, der sich aber auch immer auf Situationen mit Herrn Kehr beschränkt. Die vielen kurzen Kapitel, manche nicht mal eine halbe Seite lang, erzählen eine eindringliche Geschichte und werfen - jedes für sich - neue Aspekte auf.

    So entsteht ein Mosaik von Herrn Kehrs bewegtem Leben. Sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart werden geschildert, jedoch nicht in chronologischer Reihenfolge. Gerade seine Gedanken springen hin und her auch seine Beweggründe ins Heim zu gehen werden erst nach und nach deutlicher. Seine Enkelin Sophie ist für ihn der wichtigste Mensch und wie er sagt, erzählt er seine Geschichte für sie.

    Neben seiner Familie und einigen anderen für ihn wichtigen Personen, gibt es auch viele Heimbewohner, die der Leser nach und nach kennenlernt. Sei es die eher unbeliebte und zickige Frau Tüsser, der schizophrene Herr Konrad oder auch Frau Hülster, die stets die eine, gleiche Geschichte erzählt. Alle haben ihre Eigenheiten, sind beliebt, schrullig, einsam oder überfordert. Vor allem der demente Herr Müller hat mich sehr berührt. Immer wieder steht er auf dem Flur, doch niemand nennt ihm die Zahlenkombination für die Stationstür und so steht er regelmäßig dort und versucht vergeblich hinauszukommen - bis ihn eine Pflegekraft wieder zurückbringt. Auch das Schicksal von Frau Fassbinder hat mich betroffen gemacht und wirft die Frage auf, ob es eigentlich eine Alternative zu den üblichen Pflegeheimen gibt, die nicht nur bezahlbar, sondern auch praktikabel ist.

    Mein Fazit: Durch die ständig wechselnde Perspektive war das Buch anfangs eine Herausforderung für mich, doch es hat sich gelohnt, sich darauf einzulassen. Ein sprachlich interessantes Buch, das sich auf eine ungewöhnliche Weise dem Thema Alter und Demenz nähert und dass mich letztlich voll und ganz überzeugen konnte. Ein gelungenes Debüt, das gut unterhält und seine Leser zum Nachdenken animiert.

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  • 5 Sterne

    2 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    JDaizy, 21.09.2016

    "Früher konnte man noch rechtzeitig sterben. Irgendwann hat man das verlernt. Man hatte keine Zeit mehr für den Tod, weil man noch Direktor, Millionär oder vierfacher Ehemann werden wollte. Man hat angefangen, sich selbst so wichtig zu nehmen, dass man vergessen hat, nur das zu bedeuten, was man jenen bedeutet, die einen etwas bedeuten. Man hat den Tod in unserer Gesellschaft aus dem Leben vertrieben."


    "Hier können sie im Kreis gehen" ist das Debüt des dreiunddreißigjährigen Schweizers Frederic Zwicker. Der vielseitige, studierte Germanist ist unter anderem auch Komponist, Texter und Musiker und trat auch schon als Slammer, Blogger und Kolumnist in Erscheinung.

    Humorvoll, trotzdem feinfühlig, manchmal auch mit berechnender Offenheit erzählt der Autor in seinem ersten Roman die Geschichte des 91-jährigen Johannes Kehr, der sich inkognito als dementer, greiser Mann ins Pflegeheim begibt. Doch diese Demenz ist nur gespielt und so bekommt man ungetrübte Einblicke in den Alltag im Pflegeheim und Rückblicke auf die Lebensgeschichte des Protagonisten, der seine vorgetäuschte Demenz nicht selten auch für heimliche Ausflüge zum Türken um die Ecke nutzt, unliebsamen "Mitinsassen" Streiche spielt oder das ein oder andere Dessert raubt.
    Die Idee zum Buch kommt nicht von ungefähr, denn der Autor leistete seinen Zivildienst in einem Pflegeheim und bekam so Einblicke und unbezahlbare Anregungen.
    Mit einem feinen Gespür für die Thematik macht er seine (Haupt-)Figur zum Erzähler und verpackt so sensible Themen wie die Betreuung von Angehörigen, den Pflegenotstand und das nahende Alter bzw. den Tod mit erfrischender Offenheit, manchmal auch mit zynischem Humor.
    Ich persönlich hätte mir ein anderes Ende gewünscht. Aber es ist wie im richtigen Leben. Nicht alles kommt so, wie man es sich erhofft.

    Die Figuren sind gut gezeichnet, auch wenn sie außer Johannes Kehr, selbst nicht - oder nur selten - in Erscheinung treten. So habe ich Herr Kehr und seine Enkelin Sophie sofort in mein Herz schließen können. Zwischen beiden besteht eine so intensive Bindung, dass man die Liebe in jedem Wort, in jeder Geste und in jedem Blick spüren kann. Auch zu Annemarie und Paul konnte ich als Leser eine Bindung aufbauen, die zu nachhaltigen Gedanken angeregt hat.
    Sehr gern möchte ich jedem, der offen ist für sich selbst und für das Älter werden mit allem was dazu gehört, aber auch pflegenden Personal oder Angehörigen von Pflegeheimbewohnern dieses wirklich bereichernde Buch ans Herz legen.

    Das Buch ist 2016 als kleines Hardcover im Nagel & Kimche Verlag erschienen. Dieser kleine schweizer Verlag (unter dem Dach der Hanser Literaturverlage) veröffentlich jährlich nur achtzehn erlesene, ausgesuchte Neuerscheinungen. Deshalb war ich wirklich gespannt ,was mich erwartet, weil auch der Klappentext wirklich vielversprechend klang.
    Cover und Titel haben mich zuerst etwas verwundert, obwohl ich das Cover von der Farbgestaltung sofort sehr ansprechend fand. Nach dem Lesen bekommt beides, durch seinen engen Bezug zur Geschichte, jedoch eine große Bedeutung. Ich glaube es ist nicht zuviel verraten, wenn ich vermute, dass der Titel "Hier können sie im Kreis gehen" dadurch zustande kommt, dass sich alte Menschen im Pflegeheim oft wie ein (gefangener) Goldfisch im Wasserglas fühlen. Das macht der kurzweilige "Rundgang" im Hof oder Garten auch nicht wirklich besser. Zumal auch dort nicht mehr als eine oder zwei Runden ums Areal möglich sind - ganz abhängig von der Lust und Zeit des Pflegepersonals.
    Genau dieser Empfindung entspricht auch das Cover, das einen älteren Herr auf einer Parkbank zeigt, mit einem geliebten Foto in der Hand, eingeschränkt in seinem Bewegungsradius, auf den Gehstock angewiesen und dem als einzige Ablenkung eine scheue Katze bleibt.

    Das Buch überzeugt neben seinem Hardcover, dem hochwertigen, umgeschlagenen Einband außerdem mit einer angenehmen Schriftgröße und mit (hundertneunzehn) kurzen Kapiteln.
    Der Hauptprotagonist erzählt aus der Ich-Perspektive über seinen Lebensweg und seine Erlebnisse im Pflegeheim. Diese werden ab und an kurz und prägnant durch Beobachtungen einer unbekannten außenstehenden, dritten Person unterbrochen, die ihren Blick auf Herr Kehr richtet. Diese Perspektivwechsel haben mir sehr gut gefallen. Auch der Schreibstil des Autors ist anders als gewöhnlich. Auch wenn er sich nur schwer beschreiben lässt, fand ich ihn erfrischend anders und leicht zu lesen, was das Buch zu einer kurzweiligen Lektüre macht, die man, einmal angefangen, nicht mehr aus der Hand legt.


    Fazit:
    Eine kurzweiliger, unterhaltsamer Roman, der erfrischend anders erzählt und trotzdem nachdenklich stimmt.

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