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Marc Raabe: Gänsehaut-Kino für den Kopf

"Schnitt", "Schock", "Heimweh": Warum Thriller-Schreiben wie ein Sprung aus dem Flugzeug ist

Copyright: Gerald von Foris

Eine Tür öffnet sich und langsam, Schritt für Schritt steigt ein Kind die dunkle Kellertreppe hinab, magisch angezogen von dem, was dort im Verborgenen lauert… Jetzt möchten Sie am liebsten „Tu’s nicht!“ rufen? Und gleichzeitig können Sie nicht wegsehen, müssen immer weiterlesen, völlig gefesselt… Dann sollten Sie den Kölner Autor Marc Raabe (50) für sich entdecken! Wenn Sie es nicht schon längst getan haben. Denn seit 2012 veröffentlicht Raabe einen Erfolgsthriller nach dem anderen. Auch Thriller-König Sebastian Fitzek lobt ihn in den höchsten Tönen („Akute Sonnenbrandgefahr, für jeden, der dieses Buch am Strand liest“). Seinen Debüt-Roman „Schnitt“ sowie „Der Schock“ und „Heimweh“ gibt es ab sofort – nur bei Weltbild – im Dreier-Paket.

Marc Raabes große Stärke liegt vielleicht in seinem Doppelleben: Tagsüber arbeitet er hauptberuflich in der eigenen Filmproduktionsfirma. Nachts und zwischendurch (zum Beispiel im stecken gebliebenen Aufzug, wie er im Interview verrät) schreibt er an seinen haarsträubenden Thrillern. Dabei denkt der passionierte Filmemacher, der schon seit der Schulzeit vom Medium Film begeistert ist, von Anfang an in Bildern. „Ich liebe große Bilder ungefähr so sehr wie große Geheimnisse“, erzählt er im Weltbild-Interview und kurbelt bei seinen Lesern echtes Kopfkino an.

Zuletzt hat Raabe mit "Schlüssel 17" den Auftakt zu seiner ersten Thriller-Serie gestartet. Kommissar Tom Babylon vom LKA ermittelt darin gewissermaßen in eigener Sache. Als in der Kuppel des Berliner Doms die grausam zugerichtete Leiche der Pfarrerin hängt, erkennt er den Schlüssel, den sie um den Hals trägt. Genau den gleichen Schlüssel hatte Tom Babylons kleine Schwester Viola, als sie vor vielen Jahren verschwand. Auf seiner Facebook-Seite verkündete Raabe unlängst: „Gute Nachrichten! Die Filmrechte an Schlüssel 17 hat sich eine große deutsche Produktionsfirma gesichert.“ Wenn das mal kein Kassenschlager wird!

Interview | Marc Raabe: "Schreiben, bis der Notdienst kommt"

"Ich habe aber auch schon in einem steckengebliebenen Aufzug mein Laptop aus dem Rucksack geholt, mich auf den Fußboden gesetzt und geschrieben, bis der Notdienst kam"

Sie haben inzwischen vier Bestseller in Folge veröffentlicht und arbeiten dennoch hauptberuflich in der eigenen Filmproduktionsfirma. Schreiben Sie Ihre haarsträubenden Gänsehaut-Thriller tatsächlich nachts und zwischendurch? Können Sie da gut schlafen?

Marc Raabe: Ich bin schon darauf angewiesen, in gewissen „Lücken“ zu schreiben. Ich muss mir die Zeitfenster zum Schreiben suchen. Das gelingt mir meistens auf sehr unterschiedliche Weise. Tatsächlich schreibe ich auch ganz gerne vormittags und gehe dann mittags in meine Firma, um dort zu arbeiten. Der Abend und die Nacht sind dann das nächste Fenster. Nachts ist es oft besonders interessant, weil im Dunkeln tatsächlich die Welt um mich herum verschwindet und die Phantasie mehr Raum bekommt. Ich habe aber auch schon in einem steckengebliebenen Aufzug mein Laptop aus dem Rucksack geholt, mich auf den Fußboden gesetzt und geschrieben, bis der Notdienst kam. Ach, und schlafen kann ich am Ende nach dem Schreiben immer besonders gut – ich nehme meine Albträume beim Schreiben ja gewissermaßen vorweg ;-)

"Ich finde es faszinierend zu beschreiben, dass uns die Realität manchmal zu einem Horror-Trip geraten kann."

Viele Rezensenten und Fans vergleichen Ihre Thriller mit Stephen King-Romanen: Sie tauchen ab in die psychologischen Abgründe der Protagonisten, mit oft brutalen Folgen und richtigen Horrorelementen. Ist Stephen King eine Inspiration für Sie und wieviel Wahnsinn braucht ein guter Thriller?

Marc Raabe: Stephen King ist ein toller Autor mit einer wirklich irren Phantasie. Aber ich mag auch die Art, wie er Dinge beschreibt. Gerade in Bezug auf den Grenzgang zwischen dem Alltäglichen und dem Horror inspiriert er mich tatsächlich, auch wenn ich vor seinem übernatürlichen Horror Halt mache. Da ist für mich die Grenze, weil meine Geschichten die Realität nie verlassen. Ich finde es faszinierend, zu beschreiben, dass uns die Realität manchmal zu einem Horror-Trip geraten kann. Einem Trip, der fast so unglaubwürdig ist, dass man denkt: würde ich das beschreiben, würde jeder sagen, das kann nicht passiert sein. Wieviel Wahnsinn man für einen guten Thriller braucht? Ungefähr so viel Wahnsinn wie im echten Leben. Und wenn ich genau hinschaue, dann gibt es im echten Leben so viel Wahnsinn, dass es kaum auszuhalten ist.

"Mischung aus Loslassen und Kontrolle"

Sackgassen, falsche Fährten, neue Fakten, Rückblicke, überraschende Wendungen – Ihre Thriller sind immer komplex angelegt und lassen den Leser bis zum Schluss rätseln. Wie gehen Sie ran an den Plot und was steht am Anfang?

Marc Raabe: Bei den Autoren gibt es, glaube ich, grob gesagt zwei Richtungen: Die Konzept-Schreiber und die Einfach-los-Schreiber. Ich gehöre definitiv zur letzten Gattung. Ich beginne immer mit einer Situation, in die ich einen Protagonisten hinein erfinde. Nach ein paar Seiten weiß ich, ob ich die Geschichte mag und ob sie für mich genug Kraft hat. Oder anders: ob sie mich interessiert. Tatsächlich ist meine Art zu schreiben ein bisschen so, als würde ich in großer Höhe aus einem Flugzeug springen. Ja, ich habe einen Fallschirm dabei. Das ist meine Erfahrung mit Geschichten. Von da oben gucke ich mir einen Landeplatz aus, visiere ihn an, und dann drehe ich mit meinem Lenkschirm ein paar Runden nach links und rechts, bis ich ungefähr da lande, wo ich vorhatte zu landen. So habe ich immer Platz für spontane kleine Änderungen im Flug. Das Tolle an dieser Art zu schreiben ist für mich: ich kann mich beim Schreiben selbst überraschen und weiß manchmal gar nicht genau, wohin es mich gleich treibt. Ich erlebe also das Schreiben auch immer wieder als Abenteuer – zusammen mit meinen Protagonisten. Es ist eine Mischung aus Loslassen und Kontrolle. Immer wieder aufs Neue.

"Erst das Schlüsselloch – dann der Blick durch die offene Tür"

Sie sind seit Schulzeiten passionierter Filmemacher, arbeiten in der Filmbranche und haben kürzlich über Facebook verkündet, dass sich eine große deutsche Produktionsfirma die Filmrechte an Schlüssel 17 gesichert hat. Denken Sie beim Schreiben bereits in Bildern? Und haben Sie Bilder von der idealen Filmbesetzung im Kopf?

Marc Raabe: Beim Schreiben denke ich tatsächlich immer in Bildern. Ich liebe große Bilder ungefähr so sehr wie große Geheimnisse. Und tatsächlich denke ich auch oft in Schnitten und Einstellungsgrößen. Zu Beginn einer Szene (oder eines Kapitels) arbeite ich oft mit Naheinstellungen, die Details zeigen, gewissermaßen einen Blick durchs Schlüsselloch. Das macht neugierig, weil man immer wissen möchte, was sich dort verbirgt, wo man nicht hinschauen kann. Später zeige ich dann die Totale, die alles auflöst und durch die man dann versteht, wie alles zusammenhängt. Also erst das Schlüsselloch – dann der Blick durch die offene Tür. Doch trotz meines filmischen Blicks - einen Film, der nach meinem Buch gedreht wird, mit meinen Vorstellungen über den Cast einzuengen – davor werde ich mich hüten. Filme sind so anderes als Bücher, da muss oft ganz neu gedacht werden.

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"Für Tom Babylon fallen mir noch viele Geschichten ein"

Zuletzt haben Sie mit „Schlüssel 17“ den sehr erfolgreichen Auftakt zu Ihrer ersten Serie rund um den LKA-Kommissar Tom Babylon gestartet. Warum darf Tom Babylon weiterermitteln? Welches Potential steckt in ihm?

Marc Raabe: Tom ist für mich wie Berlin: jung, groß, voller Aufputschmittel und durch seine Schwester und seine Familiengeschichte mit vielen Stricken an die Vergangenheit gebunden. Tom ist gewissermaßen neues und altes Berlin. Ich liebe einfach diese komplexe Welt rund um Tom Babylon. Mir fallen ständig neue Charaktere ein, die diese Welt bevölkern, in der jeder mit jedem zu tun hat und doch für sich alleine ist. Toms Lebensthema ist Viola, seine verschwundene kleine Schwester, und dieses Thema wird ihn immer begleiten, auf die ein oder andere Weise. Mehr darf ich nicht verraten. Aber was ich besonders an Tom Babylon mag ist, dass er mit Sita Johanns dieses ungleiche Tandem bildet. Zwei, die sich immer wieder anziehen und abstoßen. Wenn ich über die Themen für weitere Bände nachdenke, fallen mir schon jetzt weitere vier oder fünf ein.

Tom Babylon ermittelt zusammen mit der ausgebufften Psychologin Sita Johanns – Sie selbst sind mit einer Psychologin verheiratet. Ist Ihre Frau bei psychologischen Fragestellungen und Details eine Quelle für Sie?

Marc Raabe: Wenn ich mal einen Termin bei ihr bekomme – unbedingt ;-) Tatsächlich habe ich schon viele meiner Figuren auf ihre Couch gelegt. Und immer davon profitiert. Das Beste daran ist allerdings, dass ich durch den Austausch mit meiner Frau über viele psychologische Themen über Jahre einen großen Erfahrungsschatz sammeln konnte, der mir inzwischen bei jeder noch so kleinen Figurenbeschreibung hilft. Ich habe nun also sozusagen dank meiner Frau eine eigene kleine Couch im Kopf.