Steirerland
Kriminalroman
LKA-Ermittlerin Sandra Mohr eilt zu ihrem
fünften Fall: In einem Waldstück nahe Straden
wurde eine Leiche gefunden - ohne Hände.
Sandra fürchtet weitere Opfer. Und sie soll
recht behalten ...
fünften Fall: In einem Waldstück nahe Straden
wurde eine Leiche gefunden - ohne Hände.
Sandra fürchtet weitere Opfer. Und sie soll
recht behalten ...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Steirerland “
LKA-Ermittlerin Sandra Mohr eilt zu ihrem
fünften Fall: In einem Waldstück nahe Straden
wurde eine Leiche gefunden - ohne Hände.
Sandra fürchtet weitere Opfer. Und sie soll
recht behalten ...
fünften Fall: In einem Waldstück nahe Straden
wurde eine Leiche gefunden - ohne Hände.
Sandra fürchtet weitere Opfer. Und sie soll
recht behalten ...
Klappentext zu „Steirerland “
Sandra Mohrs Auszeit neigt sich dem Ende zu, als sie der Ruf des Chefinspektors Sascha Bergmann zu einem Leichenfund ereilt. Diensteifrig folgt die LKA-Ermittlerin diesem in ein Waldstück nahe Straden, um dort den verstümmelten Toten zu begutachten, dem beide Hände fehlen. Wenig später erfährt sie, dass es vor Kurzem einen ähnlichen Mord in der Nähe gab - der Leiche waren die Beine abgetrennt worden. Sandra befürchtet, dass der Täter bereits ein weiteres Opfer im Visier hat. Und sie soll recht behalten ...
Klappenbroschur
Lese-Probe zu „Steirerland “
Kapitel 1Sonntag, 3. November
1.
Nachts hatte sich dichter Nebel über das Steirische Vulkanland
gelegt. Gleich einer Daunendecke, die die goldgelbe
Pracht beschützen sollte. Erste Nebelfenster taten
sich spätmorgens auf. Allmählich setzte sich die Sonne
auf den Hügelkuppen durch. Baumwipfel, Dächer und
Kirchtürme glitzerten im Morgentau. Weiter unten zogen
mystische Schwaden durch Wälder, Wein- und Obstgärten,
über Wiesen, Äcker und Landstraßen. Langsam, wie
von Geisterhand, lösten sich auch die letzten Schleier in
Nichts auf, bis das Vulkanland einmal mehr in seinem farbenprächtigsten
Gewand erstrahlte.
Sandra Mohr genoss die Stille dieses Sonntagmorgens.
Die frische Herbstluft, die durch die geöffnete Balkontür
ins Hotelzimmer drang, weckte spürbar ihre Lebensgeister.
Ein weiterer Altweibersommertag kündigte sich an.
Der letzte, den sie vorwiegend mit sich selbst verbrachte.
Ihr Koffer war bereits für die Abreise gepackt. In weniger
als 24 Stunden war ihre Auszeit vorbei. Dann würde sie
den Polizeidienst im Grazer Landeskriminalamt wieder
antreten. Erholt von den Strapazen der Mordfälle, die sie
zuvor mit Chefinspektor Sascha Bergmann und den ande-
ren Kollegen aufgeklärt hatte, der Trennung von ihrem
Freund Julius und den ersten Anzeichen eines Burnouts,
die sie eine Weile kürzertreten ließen.
In den vergangenen drei Monaten hatte sich Sandra einer
Therapie unterzogen, eine Pilgerreise angetreten und viel
nachgedacht, um schließlich eine Entscheidung zu treffen.
Sie würde ihren Beruf weiterhin ausüben. Dennoch wollte
sie einiges ändern, um nicht noch einmal beinahe auszubrennen.
Sie nahm sich vor, künftig auszusprechen, was ihr
gegen den Strich ging, mehr auf sich selbst zu achten und
öfter nein zu sagen. Bevor
... mehr
sie wieder ihre Grenzen überschritt
Sandra war gerne Polizistin, wie ihr verstorbener
Vater. Sie konnte sich keinen anderen Job für sich vorstellen.
Weder wollte sie Ernährungsberaterin noch Schriftstellerin
oder gar Wunderheilerin werden, wie manche Frauen, die
sich in Krisenzeiten völlig neu erfanden. Ihr Leben war gut,
wie es war. Meistens jedenfalls. Höhen und Tiefen gehörten
nun einmal dazu und ließen sich zumeist ohnehin nicht
vorausplanen oder vermeiden. Besser war es, Probleme
anzunehmen, sie wenn möglich zu lösen und daraus zu
lernen, wie Sandra es nach ihrem Zusammenbruch getan
hatte. Die Augen-zu-und-durch-Methode, mit der sie jahrelang
gut gefahren war, funktionierte eben nicht immer.
Vor allem dann nicht, wenn einem das Schicksal ein Bein
stellte. Wie mit dem Skiunfall ihres nunmehrigen Exfreundes
Julius Czerny. An seiner Querschnittlähmung war die
Beziehung endgültig zerbrochen. Im Privatleben wollte
sich Sandra fortan nur noch mit Menschen umgeben, die
ihr guttaten. Menschen wie Andrea, die immer für sie da
waren. Auch und gerade dann, wenn es ihr schlecht ging.
Während ihrer Auszeit hatte Sandra viel Zeit mit der
Freundin verbracht, reichlich geschlafen und so viel geges-
sen wie noch nie. Gestärkt und um fünf Kilo schwerer
war sie nun wieder bereit für alles, was auf sie zukommen
würde. Mehr noch: Sie freute sich auf den Dienst und ihre
Kollegen. Sogar auf Sascha Bergmann, der – mit Abstand
betrachtet – gar kein so übler Partner war. Auch wenn sie
der Chefinspektor gelegentlich auf die Palme brachte. Dass
sie ihn früher zu Gesicht bekommen sollte, als sie glaubte,
ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
2.
»Ich habe eine Nachricht für Sie, Frau Mohr. Von einem
Herrn Bergmann. Wir konnten Sie in Ihrem Zimmer nicht
erreichen, als er vorhin angerufen hat.«
»Bergmann?« Sandra sah die Rezeptionistin verwundert
an. Nach der ersten Schrecksekunde schob sie ihre Kreditkarte
über die Empfangstheke und nahm den Briefumschlag
entgegen. »Wann hat er denn angerufen?«, erkundigte
sie sich.
»Die Uhrzeit steht vorne auf dem Kuvert drauf, neben
Ihrer Zimmernummer«, antwortete die Hotelangestellte.
Sandra entdeckte die blasse Bleistiftschrift und blickte
auf ihre Armbanduhr. Es war noch keine halbe Stunde her,
dass Bergmann versucht hatte, sie zu erreichen. Während
sie gerade beim Frühstück gesessen war, überlegte sie und
zog den Zettel aus dem Umschlag.
›Ruf mich an, bevor du nach Hause fährst. Dringend!‹,
stand da geschrieben. Sandra griff nach ihrem Handy, das
in letzter Zeit nur dann eingeschaltet war, wenn sie auch
wirklich bereit war zu telefonieren. Sie fand es heilsam,
nicht immer und überall erreichbar zu sein. Doch damit
war es demnächst wohl vorbei.
Was zum Teufel wollte Bergmann von ihr? Konnte er
nicht bis morgen warten? Woher wusste er überhaupt, dass
sie an ihrem letzten freien Wochenende in diesem Wellnesshotel
nahe Bad Gleichenberg einquartiert war? Wahrscheinlich
hatte er wieder Andrea ausgefratschelt. Außer
ihrer Freundin wusste ja niemand, dass sie hier war. Oder
etwa doch?
Den offiziellen Weg übers Meldeamt war der Chefinspektor
bestimmt nicht gegangen. Die Behörde konnte
ihren Aufenthaltsort noch gar nicht kennen. Da Sandra erst
am Freitag im Hotel eingecheckt hatte, waren ihre Meldedaten
dort gewiss noch nicht eingelangt. Handy- oder Laptop-
Ortungen waren bei ausgeschalteten Geräten ebenfalls
auszuschließen, spann sie ihre kriminalistischen Überlegungen
aus alter Gewohnheit weiter. Derlei Fahndungsmaßnahmen
wären zudem völlig unangemessen gewesen.
Obwohl man bei Sascha Bergmann nie so genau wusste.
Sandra registrierte drei versäumte Anrufe und eine neue
Nachricht von Bergmann auf ihrer Mobilbox, die ihr nicht
viel mehr verriet als die Notiz. Nach so langer Zeit wieder
seine Nummer zu wählen, fühlte sich seltsam an. Ihr
Puls beschleunigte sich, bis er abhob. »Hast du nach mir
fahnden lassen? Oder wieder mal Andrea missbraucht, um
mich zu finden?«, fragte sie, kaum, dass er sich auf seinem
Handy gemeldet hatte.
»Missbrauch würde ich das nun nicht gerade nennen.
Schließlich hat deine liebe Freundin freiwillig mitgemacht.«
Dass Bergmann sie bei der erstbesten Gelegenheit mit
einem seiner Macho-Sprüche provozieren wollte, war zu
befürchten gewesen. Sein dreckiges Grinsen hatte Sandra
deutlich vor Augen. Den Gefallen, sich darüber zu ärgern,
machte sie ihm allerdings nicht mehr. Zu ihrem eigenen Wohl
würde sie künftig nicht alles persönlich nehmen. Auch das
zählte zu den guten Vorsätzen, die sie gefasst hatte. »Was gibt
es denn so Wichtiges, dass du mich unbedingt heute schon
sprechen musst?«, bemühte sie sich, gelassen zu bleiben.
»Ich hätte dich bestimmt nicht gestört, wenn ich nicht
wüsste, dass du ganz in der Nähe bist«, schlug Bergmann
auf einmal deutlich sanftere Töne an. »Und dass du uns ab
morgen ohnehin wieder Gesellschaft leistest.«
Gleich würde ihm ein Heiligenschein wachsen, dachte
Sandra. »Soso … Ganz in der Nähe wovon eigentlich?«,
wollte sie wissen.
»Vom Leichenfundort. Was denn sonst?« Bergmann
blies hörbar Luft aus. Oder war das eben Zigarettenqualm
gewesen? Sandra hoffte inständig, dass er in ihrer Abwesenheit
nicht wieder mit dem Rauchen angefangen hatte.
»Ein Mord?«, fragte sie nach, um sicherzugehen, dass
Selbsttötung, Unfall oder ein natürlicher Tod ausgeschlossen
werden konnten.
»No na ned. Ich bin es, Sandra. Chefinspektor Sascha
Bergmann, LKA Steiermark, Abteilung Leib und Leben.
Erinnerst du dich noch an mich?« Da waren sie wieder,
die gewohnt sarkastischen Töne.
Bergmann, wie er leibt und lebt, dachte Sandra und
musste schmunzeln. »Ich erinnere mich sehr gut an dich,
Sascha. Leider. Eine Gehirnwäsche zahlt die Krankenkassa
nämlich nicht. Nur Psychotherapie.«
»Und wo ist da der Unterschied?«, ätzte Bergmann.
Sandra atmete durch, ehe sie auf den Mordfall zu sprechen
kam. »Wo wurde die Leiche denn gefunden?«
»Bezirk Südoststeiermark. In der Nähe von Straden.
Schon wieder …«
»Wieso schon wieder?« Sandra hatte keine Ahnung,
wer in ihrer Abwesenheit gewaltsam zu Tode gekommen
war. Oder wo. Während ihrer Auszeit hatte sie sich ganz
bewusst von allen Nachrichten ferngehalten. Vom LKA
und von den Kollegen sowieso.
»Du hast davon gar nichts mitbekommen?« Bergmann
klang enttäuscht. »Also doch Gehirnwäsche …«
»Nein, ich habe nichts mitbekommen. Aber du wirst
es mir bestimmt gleich erzählen. Ob ich es nun will oder
nicht.« Sandra überflog die Rechnung, die ihr die Rezeptionistin
wortlos zugeschoben hatte, und unterschrieb den
Kreditkartenbeleg.
»Du willst also nicht. Auch gut …«
»Jetzt red schon endlich, Sascha.« Bergmann konnte
einem wirklich den allerletzten Nerv rauben.
»Also doch … Möglicherweise haben wir es mit einem
Serientäter zu tun«, verkündete er.
»Was du nicht sagst … So viel konnte ich mir aus deinen
Worten schon zusammenreimen.«
»Es geht dir doch eh wieder gut. Gell ja, Sandra?«
Schon wieder diese scheinheiligen Töne, stellte Sandra
irritiert fest. »Ja. Aber wenn du mich schon fragst: Vor
deinem Anruf ging es mir bedeutend besser.«
»Aber du warst es doch, die mich angerufen hat«, korrigierte
Bergmann sie mit diesem provokanten Grinsen
in der Stimme.
»Nur, weil du es unbedingt wolltest«, entgegnete Sandra
forscher als beabsichtigt und steckte die Hotelrech-
nung ein. Um sich zu verabschieden, nickte sie der Angestellten
zu. Die grüßte lächelnd zurück und wünschte ihr
eine gute Heimreise. Von wegen … Sandra seufzte.
Während sie den schwarzen Rollkoffer neben sich her
durch die Lobby schob, gab Bergmann ihr die Wegbeschreibung
zu jenem Waldstück in Hof bei Straden durch,
in dem eine Spaziergängerin an diesem Morgen eine unbekannte
männliche Leiche aufgefunden hatte. In etwa 25
Minuten würde der Chefinspektor dort eintreffen, schätzte
er. Tatortgruppe und Gerichtsmedizinerin waren ebenfalls
auf dem Weg zum Einsatzort. Sandra konnte es in einer
knappen Viertelstunde schaffen, wenn sie wollte. Immerhin
überließ ihr Bergmann dann doch noch die Entscheidung,
ob sie sofort oder erst morgen in die Mordermittlungen
einstieg. Aber wo sie schon einmal in der Nähe
war, könne sie doch genauso gut den kurzen Umweg zum
Leichenfundort nehmen und anschließend über Mureck,
Sankt Veit am Vogau und Leibnitz nach Hause fahren,
ließ er nicht locker.
»Woher kennst du denn Sankt Veit am Vogau?«, wunderte
sich Sandra über die ungewöhnliche Ortskenntnis
des Wiener Chefinspektors, der sich noch nicht einmal
in Graz auskannte, obwohl er seit über drei Jahren in der
steirischen Landeshauptstadt lebte.
»Ich habe mir die Strecke extra angeschaut, um dich ja
nicht zu überfordern«, erwiderte er nahezu sanftmütig.
»Du kannst die Glacéhandschuhe wieder ausziehen,
Sascha. Sie passen dir nicht.«
»Ich dachte, ich versuche es mal mit Einfühlungsvermögen
«, kehrte er zum üblichen süffisanten Tonfall zurück.
Sandra lachte hell auf. »Vergiss es. Das kauft dir ohnehin
niemand ab. Ich am allerwenigsten.« Schmunzelnd stellte
sie ihren Koffer hinter dem Leihwagen ab und öffnete die
Heckklappe. »Ich bin schon unterwegs. Bis dann«, beendete
sie das Gespräch.
Ob sie jetzt gleich oder erst in ein paar Stunden ihren
Dienst wieder aufnahm, machte wirklich keinen großen
Unterschied. Außerdem wollte sie endlich wissen, was
es mit diesen mutmaßlichen Serienmorden auf sich hatte.
3.
Die weißen Folientunnel auf dem Gemüseacker zu ihrer
Linken ließen Sandra die Streifenwagen, die dahinter auf
dem Feldweg parkten, zu spät erkennen, um noch rechtzeitig
vor der Kreuzung abbremsen und abbiegen zu können.
Den Gedanken, zurückzusetzen oder den Toyota zu
wenden und zur Abzweigung zurückzufahren, verwarf sie
gleich wieder. Stattdessen stellte sie den Kleinwagen hinter
einer Funkstreife am Bankett ab. Der Forstweg, der von
dort in ein Waldstück führte, war durch das Einsatzfahrzeug
ohnehin schon blockiert. Wen störte es also, wenn
sie auch noch dahinter parkte?
Bevor Sandra den Sicherheitsgurt öffnen konnte, stand
ein Uniformierter neben dem Wagen und deutete ihr,
dass sie hier nicht stehen bleiben durfte. Sie hielt ihren
Dienstausweis gegen die Scheibe. Nur gut, dass sie ihn –
im Gegensatz zu ihrer Dienstwaffe, den Handschellen
und anderen kriminalpolizeilichen Ausrüstungsgegenständen
– auch privat stets bei sich trug. Augenblicklich wich
der Polizist zurück und kam neben seiner hageren Kollegin
zu stehen, die inzwischen ebenfalls die Funkstreife
verlassen hatte.
Sandra stieg aus dem Leihwagen aus und stellte sich
offiziell vor. »Abteilungsinspektorin Sandra Mohr, LKA
Steiermark.«
Die beiden Uniformierten von der Polizeiinspektion
Halbenrain nannten ihrerseits Namen und Dienstränge.
»Die Kollegen aus Graz sollten etwa in einer Viertelstunde
hier eintreffen. Wo ist die Leiche?«, kam Sandra
direkt zur Sache.
»Hier drin.« Der Polizist deutete in den Wald.
»Kommt wer mit zur Fundstelle oder finde ich sie
allein?«, fragte Sandra.
»Ich komm schon mit«, bot sich der Kollege an.
»Vom Feldweg, wo die anderen Einsatzwagen stehen,
ist es aber näher«, warf die Polizistin ein.
»Wir können genauso gut durch den Wald gehn«, entgegnete
ihr Partner, offenbar genervt von ihrer Besserwisserei.
»Wie weit ist die Stelle denn von hier entfernt?«, fragte
Sandra.
»Keine 300 Meter.«
»Haben Sie Handschuhe für mich?«
Die Polizistin holte ein Paar Einweghandschuhe aus
der Funkstreife und überreichte sie der LKA-Ermittlerin.
»Danke. Gehen wir.« Sandra setzte sich in Bewegung.
»Wo ist die Zeugin, die den Toten aufgefunden hat?«,
wandte sie sich an ihren Begleiter.
»Drüben am Feldweg. Beim Inspektionskommandanten
Stöckler«, sagte er. »Wir kennen die Frau. Krenn Waltraud
heißt sie, eine Pensionistin, wohnhaft in Hof bei Straden.
Nach der Sonntagsmesse war sie mit ihrem Hund spazieren.
Ohne den hätt s’ die Leich wahrscheinlich gar nicht
entdeckt.«
»Wann genau war das denn?« Erst jetzt bemerkte Sandra,
dass sie fröstelte ohne ihre Jacke, die sie im Auto
gelassen hatte. Obwohl die Herbstsonne an diesem späten
Vormittag durch die teilweise kahlen Kronen der Laubbäume
schien, war es kühl im Wald. Die leichte Brise, die
ihr um die Nase wehte, roch nach Holzrauch, als würden
in der Nähe Fleisch oder Würste geselcht werden. Sandra
beschleunigte ihre Schritte.
»Wir sind um halb zehn von der Einsatzzentrale verständigt
worden.« Sandras Begleiter passte sein Tempo
dem ihren an und streckte den Arm aus. »Der Tote liegt
dort hinten. In einem Graben unterm Laub.« Er deutete zu
einem Holzstoß, in dessen Nähe sich zwei weitere Polizisten
miteinander unterhielten. »Ihm fehlen beide Hände«,
berichtete er weiter.
»Ihm fehlen die Hände?«, hakte Sandra nach.
»Ja, sie wurden ihm abgetrennt.«
Sandra hielt vor dem brusthohen, etwa vier Meter langen
Holzstoß inne und streifte die Handschuhe über. »Sie
meinen, im Zuge seiner Ermordung?«
Der Uniformierte sah Sandra an, als wäre sie schwer
von Begriff. »Ja sicher.«
Sicher? Der Mann hätte ja auch schon vor seinem Tod
bei einem Unfall die Hände verlieren können. Oder ein
paar Waldtiere hatten nach seiner Ermordung daran genagt,
überlegte Sandra. »Könnte es sich nicht auch um Tierfraß
handeln?«, fragte sie. »Füchse, Wildschweine, Ratten, Krähen
…?« Es brauchte höchstens drei Tage, bis eine Rotte
Wildschweine einen ganzen Menschen aufgefressen hatte.
Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Glaub ich
nicht.«
»War die Leiche denn vollständig mit Laub bedeckt, als
sie aufgefunden wurde?«
»Die Kollegen wissen das besser als ich. Sie haben den
Fundort abgesichert und sind seither hier postiert.«
Sandra trat hinter den Holzstoß und wandte sich an
die Uniformierten am Absperrband, um ihnen dieselbe
Frage zu stellen. Neben dem Surren zahlreicher Fliegen
waren immer wieder Stimmen aus ihren Funkgeräten zu
vernehmen. Ebenso jene, die von den Einsatzfahrzeugen
am nahen Feldweg in den Wald herüberdrangen. Um sie
verstehen zu können, waren diese jedoch zu weit entfernt.
»Der Zeugin ihr Hund hat die Leich ausm Laub ausgegraben
«, antwortete einer der Männer. »Dann ist sie in die
Muldn einigstiegen und hat nachgschaut, ob s’ dem Mann
noch helfen kann. Die Frau Krenn war früher Hebamme.
Von dem her kennt sie sich medizinisch recht gut aus. Aber
da war nix mehr zu machen. Die Leich is ja schon am Verwesen
«, berichtete der Landpolizist gleichmütig, als stünden
derartige Leichenfunde auf der Tagesordnung.
Sandra wollte sich gerade nach dem ersten Mordopfer
erkundigen, als der andere Beamte ihrer Frage zuvorkam.
»Wir ham dann auch noch ein bissl was vom Laub
wegg’schafft, damit wir seine Taschen durchsuchen können.
Anschließend ham wir ihn wieder mit Blattln zuadeckt«,
schilderte er die Vorgänge weiter.
Wozu das denn, wunderte sich Sandra. »Irgendwelche
Hinweise auf seine Identität? Brieftasche? Ausweis?
Handy? Persönliche Gegenstände?«
Beide Polizisten schüttelten die Köpfe. »Nicht einmal
ein Schneiztiachl.«
© Gmeiner Verlag
Sandra war gerne Polizistin, wie ihr verstorbener
Vater. Sie konnte sich keinen anderen Job für sich vorstellen.
Weder wollte sie Ernährungsberaterin noch Schriftstellerin
oder gar Wunderheilerin werden, wie manche Frauen, die
sich in Krisenzeiten völlig neu erfanden. Ihr Leben war gut,
wie es war. Meistens jedenfalls. Höhen und Tiefen gehörten
nun einmal dazu und ließen sich zumeist ohnehin nicht
vorausplanen oder vermeiden. Besser war es, Probleme
anzunehmen, sie wenn möglich zu lösen und daraus zu
lernen, wie Sandra es nach ihrem Zusammenbruch getan
hatte. Die Augen-zu-und-durch-Methode, mit der sie jahrelang
gut gefahren war, funktionierte eben nicht immer.
Vor allem dann nicht, wenn einem das Schicksal ein Bein
stellte. Wie mit dem Skiunfall ihres nunmehrigen Exfreundes
Julius Czerny. An seiner Querschnittlähmung war die
Beziehung endgültig zerbrochen. Im Privatleben wollte
sich Sandra fortan nur noch mit Menschen umgeben, die
ihr guttaten. Menschen wie Andrea, die immer für sie da
waren. Auch und gerade dann, wenn es ihr schlecht ging.
Während ihrer Auszeit hatte Sandra viel Zeit mit der
Freundin verbracht, reichlich geschlafen und so viel geges-
sen wie noch nie. Gestärkt und um fünf Kilo schwerer
war sie nun wieder bereit für alles, was auf sie zukommen
würde. Mehr noch: Sie freute sich auf den Dienst und ihre
Kollegen. Sogar auf Sascha Bergmann, der – mit Abstand
betrachtet – gar kein so übler Partner war. Auch wenn sie
der Chefinspektor gelegentlich auf die Palme brachte. Dass
sie ihn früher zu Gesicht bekommen sollte, als sie glaubte,
ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
2.
»Ich habe eine Nachricht für Sie, Frau Mohr. Von einem
Herrn Bergmann. Wir konnten Sie in Ihrem Zimmer nicht
erreichen, als er vorhin angerufen hat.«
»Bergmann?« Sandra sah die Rezeptionistin verwundert
an. Nach der ersten Schrecksekunde schob sie ihre Kreditkarte
über die Empfangstheke und nahm den Briefumschlag
entgegen. »Wann hat er denn angerufen?«, erkundigte
sie sich.
»Die Uhrzeit steht vorne auf dem Kuvert drauf, neben
Ihrer Zimmernummer«, antwortete die Hotelangestellte.
Sandra entdeckte die blasse Bleistiftschrift und blickte
auf ihre Armbanduhr. Es war noch keine halbe Stunde her,
dass Bergmann versucht hatte, sie zu erreichen. Während
sie gerade beim Frühstück gesessen war, überlegte sie und
zog den Zettel aus dem Umschlag.
›Ruf mich an, bevor du nach Hause fährst. Dringend!‹,
stand da geschrieben. Sandra griff nach ihrem Handy, das
in letzter Zeit nur dann eingeschaltet war, wenn sie auch
wirklich bereit war zu telefonieren. Sie fand es heilsam,
nicht immer und überall erreichbar zu sein. Doch damit
war es demnächst wohl vorbei.
Was zum Teufel wollte Bergmann von ihr? Konnte er
nicht bis morgen warten? Woher wusste er überhaupt, dass
sie an ihrem letzten freien Wochenende in diesem Wellnesshotel
nahe Bad Gleichenberg einquartiert war? Wahrscheinlich
hatte er wieder Andrea ausgefratschelt. Außer
ihrer Freundin wusste ja niemand, dass sie hier war. Oder
etwa doch?
Den offiziellen Weg übers Meldeamt war der Chefinspektor
bestimmt nicht gegangen. Die Behörde konnte
ihren Aufenthaltsort noch gar nicht kennen. Da Sandra erst
am Freitag im Hotel eingecheckt hatte, waren ihre Meldedaten
dort gewiss noch nicht eingelangt. Handy- oder Laptop-
Ortungen waren bei ausgeschalteten Geräten ebenfalls
auszuschließen, spann sie ihre kriminalistischen Überlegungen
aus alter Gewohnheit weiter. Derlei Fahndungsmaßnahmen
wären zudem völlig unangemessen gewesen.
Obwohl man bei Sascha Bergmann nie so genau wusste.
Sandra registrierte drei versäumte Anrufe und eine neue
Nachricht von Bergmann auf ihrer Mobilbox, die ihr nicht
viel mehr verriet als die Notiz. Nach so langer Zeit wieder
seine Nummer zu wählen, fühlte sich seltsam an. Ihr
Puls beschleunigte sich, bis er abhob. »Hast du nach mir
fahnden lassen? Oder wieder mal Andrea missbraucht, um
mich zu finden?«, fragte sie, kaum, dass er sich auf seinem
Handy gemeldet hatte.
»Missbrauch würde ich das nun nicht gerade nennen.
Schließlich hat deine liebe Freundin freiwillig mitgemacht.«
Dass Bergmann sie bei der erstbesten Gelegenheit mit
einem seiner Macho-Sprüche provozieren wollte, war zu
befürchten gewesen. Sein dreckiges Grinsen hatte Sandra
deutlich vor Augen. Den Gefallen, sich darüber zu ärgern,
machte sie ihm allerdings nicht mehr. Zu ihrem eigenen Wohl
würde sie künftig nicht alles persönlich nehmen. Auch das
zählte zu den guten Vorsätzen, die sie gefasst hatte. »Was gibt
es denn so Wichtiges, dass du mich unbedingt heute schon
sprechen musst?«, bemühte sie sich, gelassen zu bleiben.
»Ich hätte dich bestimmt nicht gestört, wenn ich nicht
wüsste, dass du ganz in der Nähe bist«, schlug Bergmann
auf einmal deutlich sanftere Töne an. »Und dass du uns ab
morgen ohnehin wieder Gesellschaft leistest.«
Gleich würde ihm ein Heiligenschein wachsen, dachte
Sandra. »Soso … Ganz in der Nähe wovon eigentlich?«,
wollte sie wissen.
»Vom Leichenfundort. Was denn sonst?« Bergmann
blies hörbar Luft aus. Oder war das eben Zigarettenqualm
gewesen? Sandra hoffte inständig, dass er in ihrer Abwesenheit
nicht wieder mit dem Rauchen angefangen hatte.
»Ein Mord?«, fragte sie nach, um sicherzugehen, dass
Selbsttötung, Unfall oder ein natürlicher Tod ausgeschlossen
werden konnten.
»No na ned. Ich bin es, Sandra. Chefinspektor Sascha
Bergmann, LKA Steiermark, Abteilung Leib und Leben.
Erinnerst du dich noch an mich?« Da waren sie wieder,
die gewohnt sarkastischen Töne.
Bergmann, wie er leibt und lebt, dachte Sandra und
musste schmunzeln. »Ich erinnere mich sehr gut an dich,
Sascha. Leider. Eine Gehirnwäsche zahlt die Krankenkassa
nämlich nicht. Nur Psychotherapie.«
»Und wo ist da der Unterschied?«, ätzte Bergmann.
Sandra atmete durch, ehe sie auf den Mordfall zu sprechen
kam. »Wo wurde die Leiche denn gefunden?«
»Bezirk Südoststeiermark. In der Nähe von Straden.
Schon wieder …«
»Wieso schon wieder?« Sandra hatte keine Ahnung,
wer in ihrer Abwesenheit gewaltsam zu Tode gekommen
war. Oder wo. Während ihrer Auszeit hatte sie sich ganz
bewusst von allen Nachrichten ferngehalten. Vom LKA
und von den Kollegen sowieso.
»Du hast davon gar nichts mitbekommen?« Bergmann
klang enttäuscht. »Also doch Gehirnwäsche …«
»Nein, ich habe nichts mitbekommen. Aber du wirst
es mir bestimmt gleich erzählen. Ob ich es nun will oder
nicht.« Sandra überflog die Rechnung, die ihr die Rezeptionistin
wortlos zugeschoben hatte, und unterschrieb den
Kreditkartenbeleg.
»Du willst also nicht. Auch gut …«
»Jetzt red schon endlich, Sascha.« Bergmann konnte
einem wirklich den allerletzten Nerv rauben.
»Also doch … Möglicherweise haben wir es mit einem
Serientäter zu tun«, verkündete er.
»Was du nicht sagst … So viel konnte ich mir aus deinen
Worten schon zusammenreimen.«
»Es geht dir doch eh wieder gut. Gell ja, Sandra?«
Schon wieder diese scheinheiligen Töne, stellte Sandra
irritiert fest. »Ja. Aber wenn du mich schon fragst: Vor
deinem Anruf ging es mir bedeutend besser.«
»Aber du warst es doch, die mich angerufen hat«, korrigierte
Bergmann sie mit diesem provokanten Grinsen
in der Stimme.
»Nur, weil du es unbedingt wolltest«, entgegnete Sandra
forscher als beabsichtigt und steckte die Hotelrech-
nung ein. Um sich zu verabschieden, nickte sie der Angestellten
zu. Die grüßte lächelnd zurück und wünschte ihr
eine gute Heimreise. Von wegen … Sandra seufzte.
Während sie den schwarzen Rollkoffer neben sich her
durch die Lobby schob, gab Bergmann ihr die Wegbeschreibung
zu jenem Waldstück in Hof bei Straden durch,
in dem eine Spaziergängerin an diesem Morgen eine unbekannte
männliche Leiche aufgefunden hatte. In etwa 25
Minuten würde der Chefinspektor dort eintreffen, schätzte
er. Tatortgruppe und Gerichtsmedizinerin waren ebenfalls
auf dem Weg zum Einsatzort. Sandra konnte es in einer
knappen Viertelstunde schaffen, wenn sie wollte. Immerhin
überließ ihr Bergmann dann doch noch die Entscheidung,
ob sie sofort oder erst morgen in die Mordermittlungen
einstieg. Aber wo sie schon einmal in der Nähe
war, könne sie doch genauso gut den kurzen Umweg zum
Leichenfundort nehmen und anschließend über Mureck,
Sankt Veit am Vogau und Leibnitz nach Hause fahren,
ließ er nicht locker.
»Woher kennst du denn Sankt Veit am Vogau?«, wunderte
sich Sandra über die ungewöhnliche Ortskenntnis
des Wiener Chefinspektors, der sich noch nicht einmal
in Graz auskannte, obwohl er seit über drei Jahren in der
steirischen Landeshauptstadt lebte.
»Ich habe mir die Strecke extra angeschaut, um dich ja
nicht zu überfordern«, erwiderte er nahezu sanftmütig.
»Du kannst die Glacéhandschuhe wieder ausziehen,
Sascha. Sie passen dir nicht.«
»Ich dachte, ich versuche es mal mit Einfühlungsvermögen
«, kehrte er zum üblichen süffisanten Tonfall zurück.
Sandra lachte hell auf. »Vergiss es. Das kauft dir ohnehin
niemand ab. Ich am allerwenigsten.« Schmunzelnd stellte
sie ihren Koffer hinter dem Leihwagen ab und öffnete die
Heckklappe. »Ich bin schon unterwegs. Bis dann«, beendete
sie das Gespräch.
Ob sie jetzt gleich oder erst in ein paar Stunden ihren
Dienst wieder aufnahm, machte wirklich keinen großen
Unterschied. Außerdem wollte sie endlich wissen, was
es mit diesen mutmaßlichen Serienmorden auf sich hatte.
3.
Die weißen Folientunnel auf dem Gemüseacker zu ihrer
Linken ließen Sandra die Streifenwagen, die dahinter auf
dem Feldweg parkten, zu spät erkennen, um noch rechtzeitig
vor der Kreuzung abbremsen und abbiegen zu können.
Den Gedanken, zurückzusetzen oder den Toyota zu
wenden und zur Abzweigung zurückzufahren, verwarf sie
gleich wieder. Stattdessen stellte sie den Kleinwagen hinter
einer Funkstreife am Bankett ab. Der Forstweg, der von
dort in ein Waldstück führte, war durch das Einsatzfahrzeug
ohnehin schon blockiert. Wen störte es also, wenn
sie auch noch dahinter parkte?
Bevor Sandra den Sicherheitsgurt öffnen konnte, stand
ein Uniformierter neben dem Wagen und deutete ihr,
dass sie hier nicht stehen bleiben durfte. Sie hielt ihren
Dienstausweis gegen die Scheibe. Nur gut, dass sie ihn –
im Gegensatz zu ihrer Dienstwaffe, den Handschellen
und anderen kriminalpolizeilichen Ausrüstungsgegenständen
– auch privat stets bei sich trug. Augenblicklich wich
der Polizist zurück und kam neben seiner hageren Kollegin
zu stehen, die inzwischen ebenfalls die Funkstreife
verlassen hatte.
Sandra stieg aus dem Leihwagen aus und stellte sich
offiziell vor. »Abteilungsinspektorin Sandra Mohr, LKA
Steiermark.«
Die beiden Uniformierten von der Polizeiinspektion
Halbenrain nannten ihrerseits Namen und Dienstränge.
»Die Kollegen aus Graz sollten etwa in einer Viertelstunde
hier eintreffen. Wo ist die Leiche?«, kam Sandra
direkt zur Sache.
»Hier drin.« Der Polizist deutete in den Wald.
»Kommt wer mit zur Fundstelle oder finde ich sie
allein?«, fragte Sandra.
»Ich komm schon mit«, bot sich der Kollege an.
»Vom Feldweg, wo die anderen Einsatzwagen stehen,
ist es aber näher«, warf die Polizistin ein.
»Wir können genauso gut durch den Wald gehn«, entgegnete
ihr Partner, offenbar genervt von ihrer Besserwisserei.
»Wie weit ist die Stelle denn von hier entfernt?«, fragte
Sandra.
»Keine 300 Meter.«
»Haben Sie Handschuhe für mich?«
Die Polizistin holte ein Paar Einweghandschuhe aus
der Funkstreife und überreichte sie der LKA-Ermittlerin.
»Danke. Gehen wir.« Sandra setzte sich in Bewegung.
»Wo ist die Zeugin, die den Toten aufgefunden hat?«,
wandte sie sich an ihren Begleiter.
»Drüben am Feldweg. Beim Inspektionskommandanten
Stöckler«, sagte er. »Wir kennen die Frau. Krenn Waltraud
heißt sie, eine Pensionistin, wohnhaft in Hof bei Straden.
Nach der Sonntagsmesse war sie mit ihrem Hund spazieren.
Ohne den hätt s’ die Leich wahrscheinlich gar nicht
entdeckt.«
»Wann genau war das denn?« Erst jetzt bemerkte Sandra,
dass sie fröstelte ohne ihre Jacke, die sie im Auto
gelassen hatte. Obwohl die Herbstsonne an diesem späten
Vormittag durch die teilweise kahlen Kronen der Laubbäume
schien, war es kühl im Wald. Die leichte Brise, die
ihr um die Nase wehte, roch nach Holzrauch, als würden
in der Nähe Fleisch oder Würste geselcht werden. Sandra
beschleunigte ihre Schritte.
»Wir sind um halb zehn von der Einsatzzentrale verständigt
worden.« Sandras Begleiter passte sein Tempo
dem ihren an und streckte den Arm aus. »Der Tote liegt
dort hinten. In einem Graben unterm Laub.« Er deutete zu
einem Holzstoß, in dessen Nähe sich zwei weitere Polizisten
miteinander unterhielten. »Ihm fehlen beide Hände«,
berichtete er weiter.
»Ihm fehlen die Hände?«, hakte Sandra nach.
»Ja, sie wurden ihm abgetrennt.«
Sandra hielt vor dem brusthohen, etwa vier Meter langen
Holzstoß inne und streifte die Handschuhe über. »Sie
meinen, im Zuge seiner Ermordung?«
Der Uniformierte sah Sandra an, als wäre sie schwer
von Begriff. »Ja sicher.«
Sicher? Der Mann hätte ja auch schon vor seinem Tod
bei einem Unfall die Hände verlieren können. Oder ein
paar Waldtiere hatten nach seiner Ermordung daran genagt,
überlegte Sandra. »Könnte es sich nicht auch um Tierfraß
handeln?«, fragte sie. »Füchse, Wildschweine, Ratten, Krähen
…?« Es brauchte höchstens drei Tage, bis eine Rotte
Wildschweine einen ganzen Menschen aufgefressen hatte.
Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Glaub ich
nicht.«
»War die Leiche denn vollständig mit Laub bedeckt, als
sie aufgefunden wurde?«
»Die Kollegen wissen das besser als ich. Sie haben den
Fundort abgesichert und sind seither hier postiert.«
Sandra trat hinter den Holzstoß und wandte sich an
die Uniformierten am Absperrband, um ihnen dieselbe
Frage zu stellen. Neben dem Surren zahlreicher Fliegen
waren immer wieder Stimmen aus ihren Funkgeräten zu
vernehmen. Ebenso jene, die von den Einsatzfahrzeugen
am nahen Feldweg in den Wald herüberdrangen. Um sie
verstehen zu können, waren diese jedoch zu weit entfernt.
»Der Zeugin ihr Hund hat die Leich ausm Laub ausgegraben
«, antwortete einer der Männer. »Dann ist sie in die
Muldn einigstiegen und hat nachgschaut, ob s’ dem Mann
noch helfen kann. Die Frau Krenn war früher Hebamme.
Von dem her kennt sie sich medizinisch recht gut aus. Aber
da war nix mehr zu machen. Die Leich is ja schon am Verwesen
«, berichtete der Landpolizist gleichmütig, als stünden
derartige Leichenfunde auf der Tagesordnung.
Sandra wollte sich gerade nach dem ersten Mordopfer
erkundigen, als der andere Beamte ihrer Frage zuvorkam.
»Wir ham dann auch noch ein bissl was vom Laub
wegg’schafft, damit wir seine Taschen durchsuchen können.
Anschließend ham wir ihn wieder mit Blattln zuadeckt«,
schilderte er die Vorgänge weiter.
Wozu das denn, wunderte sich Sandra. »Irgendwelche
Hinweise auf seine Identität? Brieftasche? Ausweis?
Handy? Persönliche Gegenstände?«
Beide Polizisten schüttelten die Köpfe. »Nicht einmal
ein Schneiztiachl.«
© Gmeiner Verlag
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Autoren-Porträt von Claudia Rossbacher
Claudia Rossbacher, geboren in Wien, zog es nach ihrem Tourismusmanagementstudium in die Modemetropolen der Welt, wo sie als Model im Scheinwerferlicht stand. Danach war sie Texterin, später Kreativdirektorin in internationalen Werbeagenturen. Seit 2006 arbeitet sie als freie Autorin in Wien. In dieser Zeit entstanden unter anderem mehrere Kriminalromane und Kurzkrimis. Ihr erster Steirer-Krimi »Steirerblut« wurde von Wolfgang Murnberger für den ORF verfilmt. Die Folgebände konnten sich, wie schon Sandra Mohrs erster Fall, monatelang in den österreichischen Beststellerlisten behaupten. Der vierte Band »Steirerkreuz« wurde zudem mit dem österreichischen »Buchliebling 2014« ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Claudia Rossbacher
- 2015, 7. Aufl., 276 Seiten, Maße: 12 x 20 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Gmeiner-Verlag
- ISBN-10: 3839216834
- ISBN-13: 9783839216835
- Erscheinungsdatum: 02.02.2015
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