Älter werden
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»Älter werden« gibt persönlich erzählend, räsonierend und kommentierend einen Rückblick auf das gelebte Leben und einen Ausblick auf möglicherweise Kommendes. Diese erzählten Erinnerungen und gedanklichen Spiele fügen sich zu einem poetischen Bericht über eines der zentralen Themen unserer Zeit.
»Silvia Bovenschen erteilt uns eine elegante Lektion, wie wir dem Alter begegnen können.« (Die Zeit)
»Ein sensationelles Buch.« (Denis Scheck, ARD Druckfrisch)
Rettung meines altgewordenen Ichs?
Was habe ich mit diesem Lügengespinst meiner erinnerten Ich-Legende zu tun?
Bin ich das und nur das? Aus irgend-
einem Grund benötigt mein Geist diese Kontinuitätsveranstaltung. Ich bin eine fragwürdige Erinnerungsgeschichte.
Ich bin ein bündelndes rückkoppelndes Als-ob, das sich eine fragwürdige Erinnerungsgeschichte schafft, um dann aus ihr zu bestehen ...«
»Älter werden« gibt persönlich erzählend, räsonierend und kommentierend einen Rückblick auf das gelebte Leben und
einen Ausblick auf möglicherweise Kommendes. Diese erzählten Erinnerungen und gedanklichen Spiele fügen sich zu
einem poetischen Bericht über eines der zentralen Themen unserer Zeit.
Älter werden von Silvia Bovenschen
LESEPROBE
AnfangenAufhören
Wann habeich angefangen, bei der Ansicht älterer Filme zu registrieren, welche derSchauspieler schon gestorben sind? Wann habe ich angefangen, bewußt im Fernsehen alte deutsche Filme aus den fünfzigeroder frühen sechziger Jahren anzusehen, Filme, die mich (ihr Inhalt nicht undihre Ästhetik schon gar nicht) überhaupt nicht interessieren, nur in der Hoffnung,noch einmal den stillen Frieden kriegsverschonter Straßen in den sogenannten besseren Wohngegenden der Städte zu sehen: seltenmal ein Auto, zuweilen ein Motorrad mit Beiwagen, baumgesäumte, stille Straßenin Schwarzweiß, holpriges Pfl aster,freilaufende Hunde Ich sehe die Stille eines Sommertages. War ich als Kindglücklich, als ich das sah, oder will ich mich jetzt darin als glückliches Kindsehen?
Wann habeich angefangen, die Menschen auf der Straße einzuteilen in diese, die lebenwollen, und in jene, die leben müssen?
Als HeinerMüller in einem Interview kundgab, daß der Zeitpunkt erreichtsei, da die Zahl der gegenwärtig Lebenden größer sei als die der Toten allerVergangenheit, habe ich überlegt, wann der Zeitpunkt erreicht sein wird, da dieZahl der in mir präsenten Toten, die ich einmal mochte, gar liebte, größer seinwird als die der mir nahestehenden Lebenden.
Jahreszeiten
Einst, alsKind, nahm ich die Jahreszeiten, wie sie kamen - den Wechsel von Helligkeit undDunkelheit, Wärme und Kälte, Schulzeit und Ferienzeit. Es lohnte nicht, überdiese Ablösungen nachzudenken, das Jeweilige dauerte zu lang, unendlich lang.Im Winter konnte ich mir nicht einmal mehr sehnend vorstellen, daß es dereinst wieder Sommer werden würde. Wann habe ichangefangen, die Jahreszeiten ernst zu nehmen? Im Herbst den Anfang einesSterbens zu sehen? Mich vor dem Winter zu fürchten, wirklich zu fürchten?
Altern desLachens
Wenn ichjetzt Filme sehe, die ich in meiner Jugend schon einmal sah, schäme ich michnicht bei der Erinnerung, daß mich einst dieseSchnulze (wann wurde dieses Wort aufgegeben?) zum Weinen brachte, wohl aber beider, daß ich einmal bei jener Klamotte herzlichlachte.
DickePferde
Sieverschwanden so langsam, so schleichend aus dem Straßenbild, daß mir ihr Verschwinden erst viel später auffi el, als es sie lange schon nicht mehr gab: dieGezeichneten, die Versehrten, die Krüppel, wie man damals noch sagte. Männer anKrücken, ein leeres Hosenbein hochgebunden, ein inhaltsloser Jackenärmelschlaff herunterhängend, die starre hölzerne Hand im schwarzen Handschuh,schlecht gefl ickteGesichter. 18 wieder ins Bett gehen könnte«, sagt meine achtundachtzigjährige FreundinF. G. am Telephon. »Das kenne ich«, sage ich. »Wennich kleine Arbeitsgänge im Haushalt erledigt habe, die ich früher so nebenbeihinter mich gebracht hätte, muß ich mich gleichwieder hinlegen«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. »Für alles, wirklich füralles, was ich tue, brauche ich jetzt die doppelte, wenn nicht dreifache Zeit«,sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. »Es vergeht kein Tag, am dem ich nicht anden Tod denke«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. Dann erzählt sie mirübergangslos eine witzige Alltagsbeobachtung, die mir sagt, daßsie noch gerne lebt. Dieses Nebeneinander kenne ich auch.
So gesehen,nach Maßgabe solcher Erfahrungen, hätte ich das Buch schon vor zwanzig Jahrenschreiben können.
Verkaufsüberlegungen
Einstsollte dieses Buch den Titel »Einst« erhalten. Ich mag dieses diffuse Wort. Inseiner Unbestimmtheit entspricht es dem Zustand meines Gedächtnisses. DieseAnalogie überdeckte ein leichtes Unbehagen im Hintergrund. Bis meine Freundin S.Sch. sagte: »Nicht schlecht, aber für einen Titel doch etwas betulich.« Genau! »Älter werden« fand Gnade bei ihr. Jetzt:»Vielleicht solltest du dir doch noch einen anderen Titel überlegen«, sagt meinLektor, der ein Freund ist, am Telephon. Er istzwanzig Jahre jünger als ich. »Warum?« frage ich. »Es könntesein, daß sich von dem Titel Älter werden nurÄltere angesprochen fühlen«, sagt er. »Warum?« frageich tückisch weiter. »Älter wird man doch vom ersten Tag des Lebens an.« Er lacht etwas genervt.
Er hatnatürlich recht. Ab der Mitte des Lebens steht das Alternanders im Bewußtsein als in den vorangegangenen Jah- ren. Das Buch »Älter werden« hätte ich mir ohneEmpfehlung im Alter von dreißig Jahren wahrscheinlich nicht gekauft. Ich ändereden Titel trotzdem nicht.
»Würdest duein Buch mit dem Titel Älter werden kaufen?« frageich am gleichen Tag meinen Freund Th. J., der auch zwanzig Jahre jünger ist.»Auf keinen Fall«, sagt er. »Warum?« - »Es klingt wie ein Ratgeber-Buch.« Ich überlege, ob ich den Titel nicht doch ändern sollte. WenigeStunden später ruft mich mein Freund A. G. D. an - auch er ist erheblichjünger. Ich frage ihn, was er von dem Titel hält: »Guter Titel«, sagt er,»lakonisch und einfach.« Ich bin froh, er war mirimmer ein guter Ratgeber und Anreger für meine Texte.Wie angenehm sind doch Ratschläge, die den eigenen Neigungen entgegenkommen.
Seenot
MS. Ich wußte früh, daß dies dieAbkürzung für Motorschiff ist. Wenn ich die Abkürzung oder das Wort Motorschiffhörte, assoziierte ich eine Zeitlang ein kleines Boot, das ich als Kind besaß.Es war etwas zu groß für die Badewanne. Aber wenn wir im Sommer an einen Seefuhren, kam es zum Einsatz. Es war weiß, hatte einen großen Schornstein, einenKajütenaufbau, war bunt bewimpelt, und am Bug stand MS Esperanza. Aberdann, noch in satter Jugend, mußte ich erfahren, daß MS auch die Abkürzung für eine tückische Krankheit ist,die mich befallen hatte. Rasend schnell drehte sich der Assoziationswind. Plötzlichbefand sich das fröhlich befl aggteSchiffchen, das einst einen sommerlichen Ausfl ugsspaß verhieß, in schwerer See.
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© S.Fischer Verlag
- Autor: Silvia Bovenschen
- 2006, 8. Aufl., 160 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100035127
- ISBN-13: 9783100035127
- Erscheinungsdatum: 21.08.2006
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