Alles, was er wollte
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Hoffnung und Verlangen, Konvention und Täuschung: Spannend und einfühlsam erzählt die gefeierte Autorin Anita Shreve die faszinierend zeitlose Geschichte einer ungleichen, zerstörerischen Liebe.
Bevor sich Anita Shreve ganz der Schriftstellerei widmete, arbeitete sie als Lehrerin und Journalistin.
Alles, waser wollte von Anita Shreve
LESEPROBE
Das Feuer brach in der Kücheaus und griff auf den Speisesaaldes Hotels über. Ohne Warnung, bis auf den einen erstickten Schreckensschreivielleicht, wälzte sich eine Feuerkugel (ja, wahrhaftig, eine Kugel) durch dengewölbten, mit Läden versehenen Durchgang von der Küche, ein Knäuel wildbewegterFarbe, so gewaltig, daß ihm eine bedrohliche Lebensenergie innezuwohnen schien,was selbstverständlich nicht der Fall war; es war lediglich einwissenschaftliches oder natürliches Phänomen, aber kein Zeichen Gottes. EinenMoment lang war ich wie gelähmt, und ich erinnere mich dieses Augenblicks bisins kleinste Detail: Schnell und behende wie ein Eichhörnchen schoß die Flammedie langen zinnoberroten Vorhänge empor und sprang von Volant zu Volant, denStoff zu Asche verbrennend, die auf die Speisenden herabfiel. Es war kaummöglich, als Zeuge eines solchen Ereignisses nicht auf den Gedanken zu kommen,hier sei eine Katastrophe als Strafe für vergangene oder zukünftige Sündenüber die Gäste hereingebrochen.
Wenn dieRealität des Feuers nicht sogleich zu meinem Bewußtsein vordrang, so ließ michdie Hitze schnell genug von meinem Sitzplatz aufspringen. Ich war umgeben voneinem Chaos umgestürzter Tische und Stühle, von Menschen, die zur Tür desSpeisesaals drängten, von den Geräuschen zerbrechenden Glases und Porzellans.Zum Glück hatte ein geistesgegenwärtiger Gast die Fenster zur Straßeaufgerissen - große Fenster, durch die ein menschlicher Körper ins Freiegelangen konnte. Ich erinnere mich, daß ich mich seitlich durch eins derFenster warf und mich, sobald ich draußen im Schnee gelandet war, zur Seiterollte, damit andere meinem Beispiel folgen konnten. Denn in diesem Momentbegann ich endlich an andere zu denken, und ich sprang auf, um denen zu helfen,die Schnittwunden und Blutergüsse oder sogar Knochenbrüche erlitten hatten, diein der allgemeinen Panik getreten worden waren, die zuviel Rauch eingeatmethatten. Die Gesichter der Entkommenen leuchteten im Schein der Flammen, dieheller loderten als jedes Licht, das man in der Nacht hätte erzeugen können,und ich erkannte die Benommenheit derjenigen, die sich in meiner Nähe befanden.Viele husteten, manche weinten, und alle sahen aus, als hätten sie einenSchlag auf den Kopf erhalten. Einige Männer wollten heldenhaft sein und versuchten,ins Gebäude zurückzulaufen, um die zu retten, die noch drinnen waren, und ichglaube, einem Studenten gelang es tatsächlich, eine alte Frau ins Freie zuziehen, die neben dem Büffet in Ohnmacht gefallen war; aber eigentlich warnicht daran zu denken, das Gebäude noch einmal zu betreten, dem man entkommenwar. Die Hitze war so stark, daß wir draußen Versammelten immer weiter überdie Straße zurückweichen mußten, bis wir alle unter den kahlen Bäumen - Eichen,Ulmen und stattliche Platanen - im viereckigen Hof des College standen.
Spätererfuhren wir, daß ein paar Tropfen Öl, auf dem Herd vergossen, das Feuerverursacht hatten. Eine Küchenhilfe wollte es mit einem Krug Wasser löschen,hatte aber in ihrer Aufregung die Flammen mit einem Lappen noch angefacht.Etwa zwanzig Gästen in den oberen Etagen des Hotels gelang es nicht mehr, ausden Zimmern zu fliehen; sie verbrannten alle - unter ihnen Myles Chapin vonder naturwissenschaftlichen Fakultät. Was er in einem Hotelzimmer zu suchenhatte, während sich seine Frau und sein Kind sicher und wohlbehalten daheim inder Wheelock Street aufhielten, darüber möchte ich hier keine Mutmaßungenanstellen. (Vielleicht zögerte der Mann gerade wegen der kompromittierendenUmstände, in denen er sich befand, eine Sekunde länger, als er sich erlaubenkonnte.) Erstaunlicherweise kam jedoch nur ein Angehöriger des Küchenpersonalsum, was der Tatsache zu danken war, daß die Hintertür offenstand und das Feuersich, vom Luftzug zwischen der Tür und den Fenstern getrieben, in RichtungSpeisesaal ausbreitete. So konnte das Personal unbeschadet entkommen, auch dieunselige Küchenhilfe, die durch ihre Ungeschicklichkeit die Katastrophe ausgelösthatte.
Das Hotelstand genau gegenüber vom Thrupp College, an dem ich Englische Literatur undRhetorik unterrichtete. Thrupp war und ist (auch heute noch, da ich meineGeschichte niederschreibe) eine reine Männerhochschule von, nun, sagen wir,bescheidenem Renommee. Das College besteht aus einer Ansammlung wahlloszusammengewürfelter Gebäude, unter ihnen einige wirklich häßliche, und wurde zuBeginn des vorigen Jahrhunderts von Stadtvätern erbaut, die ursprünglich einPriesterseminar gründen wollten, sich später aber mit einer kleinen Enklavegeisteswissenschaftlicher Forschung und klassischer Bildung begnügten. Zwar gabes für die Verwaltung einen imposanten Bau im georgianischen Stil, doch war erumgeben von allzu vielen düsteren Backsteingebäuden mit kleinen Fenstern undTürmchen an den merkwürdigsten Stellen, wie das für den wohl scheußlichstenamerikanischen Baustil, die viktorianische Neogotik, kennzeichnend war. Mehreredieser Gebäude umschlossen den viereckigen Hof; die übrigen uferten in dieStraßen eines Städtchens aus, das beinahe ganz im Schatten des College stand.Aber da das College Wert darauf legte, das typische Flair des neuenglischen Dorfszu bewahren, hatte man die im Kolonialstil erbauten Holzschindelhäuser in derWheelock Street zu Wohnungen für die höherrangigen Dozenten der verschiedenenFakultäten umfunktioniert. Draußen am Ortsrand, noch vor den Granithügeln,lagen die Bauernhöfe: landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümer seitGenerationen mit dem ausgemergelten felsigen Boden kämpften, um ihm ein mageresAuskommen abzuringen.
WirEntkommenen, vom Glück Begünstigten, standen im Zentrum dieser kleinen Welt,noch viel zu benommen, um unter der Einwirkung der Kälte und des Schnees, derunsere Schuhe durchnäßte, zu frösteln. Viele Menschen starrten mit zusammengekniffenenAugen in die Flammen oder wichen, die Arme über die Augen gelegt, taumelnd vorder Hitze zurück. Ich selbst schob mich in meiner Verwirrung ziellos durch dasGedränge und kam gar nicht auf den Gedanken, einfach über das Karree zur WoramHall zu gehen, wo ich mich in mein Bett hätte verkriechen können. So geschahes, daß mein Blick mitten im Durcheinander auf eine Frau fiel, die an einemLampenpfosten stand.
Ich gehöre zu den Männern, die, wenn sie einer Frau begegnen,zuerst ihr Gesicht mustern, dann die Taille (diese sanften Rundungen, die sosehr Jugend und Vitalität signalisieren), schließlich das Haar, um innerhalbeines Wimpernschlags seinen Glanz und seine Länge zu beurteilen. Ich weiß, esgibt Männer, bei denen es genau umgekehrt ist, und andere, die unweigerlichzuerst auf das Mieder eines Kleids schauen und dann auf einen Schimmer Beinhoffen. Doch diese Frau konnte ich nicht auf so klinische Art zergliedern, weilich gebannt war von ihrer ganzen Erscheinung. (...)
© Piper Verlag GmbH
Übersetzung: Mechtild Sandberg
- Autor: Anita Shreve
- 2005, 384 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Sandberg-Ciletti, Mechtild
- Übersetzer: Mechthild Sandberg
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492245668
- ISBN-13: 9783492245661
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