Am Ende der Welt
Klaus Bednarz nimmt Sie mit auf eine magische Reise. Er beschreibt eindrucksvoll die raue und zugleich wunderschöne, ebenso abweisende wie faszinierende Natur Patagoniens und Feuerlands. Im...
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Klaus Bednarz nimmt Sie mit auf eine magische Reise. Er beschreibt eindrucksvoll die raue und zugleich wunderschöne, ebenso abweisende wie faszinierende Natur Patagoniens und Feuerlands. Im Mittelpunkt aber stehen die Menschen und deren Kampf ums Überleben.
Am Endeder Welt von Klaus Bednarz
LESEPROBE
Menschen der Erde
Einige Tage später, Manuel hat Wort gehalten. Er nimmt unsmit zu einem Ngillatun-Fest, der wichtigsten religiösen Zeremonie der Mapuche.Sie wird stets unter freiem Himmel begangen und aus den verschiedenstenAnlässen: am 22. Juni, dem - wie bei den Jakuten in Sibirien - Neujahrsfest, imFall von Naturkatastrophen, bei politischen Ereignissen und vorEntscheidungen, die das gesamte Volk der Mapuche angehen oder Belange ihrerRegion. Aber auch, wenn nur das Bedürfnis besteht, sich wieder einmal mit denVerwandten, Nachbarn und Freunden aus den umliegenden Dörfern zu treffen unddie neuesten Dinge zu besprechen.
Wir sind mit unserem Kleinbus von der gut ausgebauten Teerstraßeabgebogen und fast zwei Stunden einem kleinen Sandweg gefolgt, der inSchlangenlinien durch die hügelige Mapuche-Landschaft führt. Vorbei anGetreide- und Kartoffelfeldern, vereinzelten Waldstücken, abgeholzten und vomRegen ausgewaschenen Rodungsflächen und kleinen, nicht eingezäunten Wiesen, aufdenen Kinder ein paar Kühe hüten. Bisweilen taucht eine einzelne Hütte ausSpanplatten oder Wellblech auf, vor der Hunde toben. Schließlich mündet der Wegin ein weites, von flachen Hügeln umgebenes Tal, an dessen Hängen Schafe undeinige Rinder grasen. In der Mitte des Tales, auf einer lang gestreckten, nurspärlich bewachsenen Wiese, ist eine bunte Ansammlung von Menschen zu erkennen,die sich um ein hoch aufragendes, mit Fahnen geschmücktes Gebüsch gruppieren.Am Rand der Wiese sind etwa ein Dutzend Ochsenkarren abgestellt, dieausgespannten Tiere weiden in unmittelbarer Nähe.
Als wir in einiger Entfernung aus dem Bus steigen und über einenmorastigen Weg zur Mitte des Festplatzes stapfen, kommt uns ein auffallendgekleidetes Paar entgegen. Eine ältere Frau in der traditionellen Tracht derMapuche mit einer Trommel in der Hand und ein Mann mittleren Alters, der ineinen grauschwarzen Poncho gehüllt ist. Seinen Kopf ziert ein bunt besticktesBand, an dessen Stirnseite grüne Lorbeerblätter stecken. Die beiden lächeln unsan, strecken uns ihre Hände entgegen und umarmen uns. Sie freuen sich, sagensie, dass wir ihre Gäste sind.
Von Manuel erfahren wir, dass die Frau eine Machi ist, eineSchamanin, Heilerin, Seherin, eine Vermittlerin zwischen den Menschen und demKosmos, die höchste religiöse Autorität jeder Mapuche-Gemeinde. Der Mann mitdem Kopfschmuck ist der Lonko, der Dorfälteste, der gewählte weltliche Führerder Gemeinschaft, dessen Wort Gesetz ist und dessen Ansehen dem des Häuptlingsin anderen Indianerkulturen entspricht. In manchen Fällen wird das Amt desLonko auch vererbt, allerdings nur, so Manuel, wenn der Erbe des Amtes würdigist. Der Lonko und die Machi sind die zentralen Figuren jederNgillatun-Zeremonie. Auch der, die nun vor unseren Augen beginnt.
In der Stille, die über dem Festplatz liegt und die nurgelegentlich vom Brüllen eines Ochsen unterbrochen wird, erklingen zunächst leise,dann immer lauter werdende, rhythmische Schläge der Trommel. Mit ihnen gibtdie Machi das Zeichen, in Reihen zu fünf oder sechs Personen vor dem Gebüschmit den Fahnen Aufstellung zu nehmen. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich alsder Rewe, der fast mannshohe Kultpfahl der Machi, umhüllt von langen dünnen Stämmendes Canelo-Baumes, zwischen die frische Lorbeerzweige gesteckt sind. Er ist dasZentrum der Zeremonie, eine Art Altar. Aus dem Grün der Zweige und Blätter ragtdie Mapuche-Flagge. In der Mitte trägt sie einen gelben Kreis mit den rituellenZeichen für Sonne, Mond und Gestirne. Die weiße Fahne links daneben symbolisiertden Tag und die Helligkeit, die schwarze an der anderen Seite des Rewe dieNacht, aber auch den Regen. Das erklärt uns Manuel, der mit uns das Festbeobachtet.
Nachdem sich zu den dumpfen Schlägen der Trommel der etwasschrille, monotone Klang der Trutruca gesellt hat, eines schneckenförmigenBlasinstruments, an dessen Ende ein Rinderhorn als Schalltrichter steckt,setzt sich die Menge mit rhythmisch schleppenden Tanzschritten in Bewegung.Runde um Runde umkreist sie den Rewe, angeführt von der Machi und dirigiertvom Lonko, der immer wieder mit anfeuernden Rufen Trommel und Trutrucaübertönt. In der ersten Reihe neben der Machi tanzen andere ältere Frauen intraditioneller Tracht, dahinter bunt durcheinander Männer und Frauen jedenAlters, Jungen und Mädchen, Kinder an der Hand ihrer Mütter oder auf den Schulternder Väter. Manche der jüngeren Frauen haben ebenfalls die Tracht ihrer Vorfahrenangelegt, die übrigen tragen städtische Kleidung. Einige der Männer sind inbestickte Ponchos gehüllt, andere haben bunte Decken um den Körpergeschlungen. Die meisten jedoch sind in Alltagskleidung erschienen, deranzusehen ist, dass sie schon lange in Gebrauch ist.
Von Zeit zu Zeit stimmt die Machi eine kurze Liedphrase in Mapudungunan; einige der älteren Tanzenden fallen in den Gesang ein, die meisten derjüngeren bleiben stumm: Ihnen ist die Sprache ihres Volkes nicht mehr vertraut.Die Stimmung ist ernst, niemanden sehen wir lachen. Mit dem Rundtanz, derentgegen dem Uhrzeigersinn durchgeführt wird, sollen, wie Manuel uns erzählt,die bösen Geister vom Ort der Zeremonie vertrieben und fern gehalten werden.Diese nämlich seien immer in der Nähe, wenn die Mapuche die wohlgesinntenhöheren Mächte anrufen. Stets beginnt und endet der Tanz im Osten, denn auchdie Himmelsrichtungen haben - wie bei vielen Urvölkern in Sibirien undanderswo - mystische Bedeutung. Im Osten und Süden sind die positiven,helfenden Kräfte angesiedelt, im Norden und Westen die schlechten, die Unglück,Tod, Zerstörung bringen.
© 2004 by Rowohlt, Berlin
Autoren-Porträtvon Klaus Bednarz
Klaus Bednarz ist als einer der bekanntesten undvielseitigsten Journalisten seit 1967 für die ARD im Einsatz. Geboren wurde er1942 in Falkensee bei Berlin. 1955 verließ die Familie die DDR und zog nachHamburg. Bednarz studierte in Hamburg, Wien und Moskau Theaterwissenschaften,Slawistik und Osteuropäische Geschichte. Er schloss 1966 sein Studium ab mitder Promotion über den russischen Dichter Anton Cechov. Im Jahr darauf begannder Journalist seine Arbeit bei der ARD und war 1977-1982 Leiter des StudiosMoskau. Danach wurde er Redaktionsleiter des Auslandsstudios beim WDR undmoderierte die Tagesthemen. 1983 übernahm Bednarz von Gerd Ruge die Leitung despolitischen Magazins Monitor", die er 18 Jahre innehatte. Der investigativeJournalist lehrte so manchen Politiker das Fürchten und geriet ins Fadenkreuzöstlicher und westlicher Geheimdienste. Mr. Monitor" arbeitete auch alsKommentator, Sonderkorrespondent in Russland und ständiger Mitarbeiterverschiedener Tages- und Wochenzeitungen.
Seit 2002 ist Bednarz Sonderkorrespondent und Chefreporterfür das WDR-Fernsehen. Er ist maßgeblich beteiligt an Dokumentarfilmprojektenund hat das Autorenfernsehen durch seine besondere Art der Berichterstattunggeprägt. Die Filme und Bücher über Schlesien, Ostpreußen und Masuren habenLeser und Zuschauer ebenso nachhaltig beeindruckt wie der Dreiteiler über dieReise Vom Baikalsee nach Alaska" oder Am Ende der Welt", eine Reise durchFeuerland und Patagonien.
In seinem neuesten Projekt Das Kreuz des Nordens"dokumentiert Bednarz seine Reise durch Karelien, im Grenzland zwischen Finnlandund Russland. Wie bei vielen anderen Projekten kann der Zuschauer dieFernsehdokumentation mit dem reich bebilderten Buch vertiefen, vor- odernachbereiten. In fast allen Werken des Autors Bednarz wird seine Liebe zuOsteuropa und Russland spürbar: Seine Nähe zu den einfachen Menschen wie inFernes nahes Land. Begegnungen in Ostpreußen" (1995) und sein Interesse amkulturellen Leben in Mein Russland. Literarische Streifzüge durch ein weitesLand" (2006). Für seine Bücher, Filme und Berichte wurde Bednarz vielfach mitPreisen bedacht. Die Goldmedaille des Internationalen Film- undFernsehfestivals in Jalta (2003) dürfte nicht die letzte Auszeichnung gewesensein.
Interview mit Klaus Bednarz
Wann hatten Sie zum ersten Mal über eine Reise ans Ende derWelt - durch Feuerland und Patagonien - nachgedacht?
Im Sommer 2002, am Ende meinerletzten Drehreise durch Sibirien - auf der Halbinsel Tschukotka, dem äußerstenNordost-Zipfel Sibiriens. Die Russen nennen diese Landspitze am Ufer derBeringstraße "konez mira", Ende der Welt. Wir beschlossen, nun einmalzu schauen, wie das südliche Ende der Welt aussieht, "El fin delmundo", Patagonien und Feuerland. Der historische Hintergrund diesesVorhabens war die Theorie, dass die Ureinwohner Feuerlands und Patagonienseinst aus Sibirien kamen - und über die Beringstraße und Alaska bis anssüdliche Ende des amerikanischen Kontinents wanderten. Wir wollten erfahren: Wasist aus den Ureinwohnern von "El fin del mundo" geworden? Gibt esGemeinsamkeiten mit den noch existierenden Urvölkern in Sibirien und Alaska. Esgibt sie, und wir haben sie gefunden!
Was ist so geheimnisvoll und faszinierend an dieser Gegend?
Die raue Urgewalt der Natur. Dieunendliche Weite der patagonischen Pampa, die archaische Welt der Kanäle,Fjorde und Gletscher Feuerlands, das sturmumtoste Kap Hoorn, das alsschrecklichstes Seegebiet der Welt gilt.
Wie haben Sie die Begegnung mit den Menschen, die dortleben, empfunden?
Die letzten noch lebendenUreinwohner und ihre Nachkommen sind mir unbefangen und aufgeschlossenbegegnet. Sie sagten, sie seien dankbar, dass sich Leute in Europa für ihrSchicksal, ihre Probleme interessieren. Aber auch die vielen anderen Menschen,denen wir begegneten - Gauchos, Goldgräber, Missionare, Umweltschützer, Schafzüchter- hatten keine Scheu vor unserer Kamera und unseren Fragen.
Mit welchen Erinnerungen sind Sie nach Deutschlandzurückgekehrt?
Die Verbrechen der weißenKolonisatoren und Siedler an den Ureinwohnern Feuerlands und Patagoniens sinduns bei dieser Reise hautnah und auf Schritt und Tritt bewusst geworden - undwerden uns noch lange bewegen. Ebenso die Beharrlichkeit, die Stärke und die Unbeirrbarkeitder Menschen, die auch heute noch der kargen und rauen Natur an diesem Ende derWelt trotzen.
Sie haben während Ihrer Reise auch wieder gefilmt. Kurz nachWeihnachten wird diese Dokumentation ausgestrahlt. Welche Bilder erwarten denZuschauer?
Grandiose Landschaftsaufnahmenmeines russischen Kameramanns Maxim Tarasjugin, mit dem ich schon die Filmeüber Ostpreußen, Sibirien und Feuerland gedreht habe, sowie eindringlicheBilder von den Menschen, und auch Tieren - Robben, Walen, Pinguinen, Guanacos -,die in dieser Region leben.
Die Fragen stellte Mathias Voigt, literaturtest.de.
- Autor: Klaus Bednarz
- 2004, 1. Auflage, 304 Seiten, 3 Abbildungen, Maße: 14,4 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345121
- ISBN-13: 9783871345128
- Erscheinungsdatum: 24.11.2004
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