Am Fluss des Schicksals
1883: Francesca kehrt nach Echuca am Murray River zurück, wo ihr Vater Joe einen Raddampfer betreibt. Das Schiff war Francescas Zuhause, bis sie nach dem Tod der Mutter ins Internat kam.
Nun erwartet sie eine böse Überraschung: Das Transportgeschäft...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
1883: Francesca kehrt nach Echuca am Murray River zurück, wo ihr Vater Joe einen Raddampfer betreibt. Das Schiff war Francescas Zuhause, bis sie nach dem Tod der Mutter ins Internat kam.
Nun erwartet sie eine böse Überraschung: Das Transportgeschäft läuft schlecht und Konkurrent Silas Hepburn will ihren Vater ganz herausdrängen.
Doch als er Joes Tochter kennen lernt, kommt ihm eine andere Idee.
Australien 1883: Francesca kehrt Melbourne den Rücken, um nach Echuca am Murray River zu ziehen, wo ihr Vater Joe einen Raddampfer betreibt. Dieses Schiff ist ihr Zuhause gewesen, bis sie nach dem Tod ihrer Mutter auf das Internat nach Melbourne geschickt wurde. Doch sie erwartet eine böse Überraschung: Das Transportgeschäft läuft schlecht für ihren Vater; Silas Hepburn will ihn aus dem Geschäft drängen. Aber als er Joes Tochter kennen lernt, kommt ihm eine andere Idee. Zwischenzeitlich jedoch hat Francesca ihr Herz an den jungen Monty verloren. Doch zwei Menschen versuchen, ihre Verbindung zu Monty unter allen Umständen zu zerstören.Und ihr Vater verbirgt ein großes Geheimnis vor ihr ...
Am Fluss des Schicksals von Elizabeth Haran
LESEPROBE
Echuca, 1883
AlsFrancesca Callaghan aus dem Zug stieg, der aus Melbourne kam, vernahm sie mit Erstaunen den Lärmpegel im Hafen. Das Schwappendes Wassers, das durch die rotierende Bewegung der Schaufelräder entstand, undgellende Pfiffe bildeten die Hintergrundkulisse zu den Rufen der Männer, dieauf dem Pier arbeiteten. Einen Moment lang fühlte Francesca sich von demgeschäftigen Treiben geradezu überwältigt ... bis ein abscheulicher Geruch zuihr drang, sodass sie sich ihr nach Rosen duftendes Taschentuch vor die Nasehielt.
DieHafenarbeiter verluden Wollballen, Talg, Tee, Kaffee, Kleie, Zucker undRosinen. Zur Fracht gehörten aber auch Hunderte kahl geschorene Schafe. Ihreblutigen Schnittwunden sonderten Verwesungsgeruch ab und lockten MillionenFliegen an. Zu allem Unglück wurde am Ende des Piers auf dem Ufer eineKleinviehauktion veranstaltet, bei der Schafe, Ziegen, Ferkel und Hühnerversteigert wurden. Beim Bieten herrschte ein rauer Ton, und der Gestank derTiere wurde von der frischen Brise herübergetragen. Ein Glück, dass es andiesem Tag nicht so heiß war.
BevorFrancesca sich ein umfassendes Bild von ihrer Umgebung machen konnte, wurde sieplötzlich von Arbeitern zur Seite gedrängt, die sich anschickten, dieGüterwagons am Zugende zu entladen, wobei sie die Passagiere zur Eileantrieben, um mit der Arbeit anfangen zu können. Da Francesca seit vielenJahren an das Leben in der Stadt gewöhnt war - sie war in Melbourne zu Hause -,wirkten das Durcheinander und das raue, mitunter primitive Leben auf dem Landwie ein Schock auf sie. Doch Francesca genügte ein kurzer Blick auf den Fluss,der friedlich inmitten des Tumults dahinströmte, um zu wissen, dass es richtiggewesen war, ihre Stelle in Kennedy s Eisenwarenladen aufzugeben.
Francesca war am Fluss nahe Echuca geboren, ein Ort, densie trotz ihrer langen Abwesenheit als ihr wahres Zuhause betrachtete. Dennochkam sie sich wie eine Fremde vor, als sie nun zum Pier ging, ihren kleinenKoffer umklammernd. Zugleich brannte sie innerlich vor Vorfreude. Sie war ganzaufgeregt, wieder daheim zu sein - aber auch ein wenig besorgt, wie ihr Vaterreagieren würde, wenn er erfuhr, dass sie ihre Stelle bei den Kennedysaufgegeben hatte, ohne ihm Bescheid zu sagen. In ihren Briefen hatte sie ihmimmer wieder geschrieben, wie unglücklich sie sei und dass die Kennedys siezwar für die Buchführung eingestellt hätten, sie letzten Endes aber als Haus-und Kindermädchen für die schwangere Mrs Kennedy eingesetzt werde, zumal dieseseit beinahe achtzehn Jahren ein Kind nach dem anderen zur Welt brachte -mittlerweile insgesamt dreizehn an der Zahl, darunter fünf Kleinkinder.Francesca war gar nicht dazu gekommen, sich um ihre geliebte Buchführung zukümmern, da sie ständig damit beschäftigt war, die Kleinen zu füttern, zuwickeln und ihnen die winzigen Rotznasen abzuwischen. Nachdem ihr Vater aufihren letzten Brief nicht geantwortet hatte und Frank Kennedy ihr vorwarf, siewürde die Buchführung vernachlässigen, hatte Francesca nach dem letztenStrohhalm gegriffen. Sie hatte ihren Koffer gepackt und mit dem Zug dieHeimreise angetreten.
Im Alter von gerade siebzehn hatte Francesca ihreSchulausbildung im Mädcheninternat Pembroke in Malvern, einem Vorort vonMelbourne, abgeschlossen und anschließend die Stelle als Buchhalterin bei denKennedys angenommen. Die Kennedys hatten zur selben Zeit auf den Goldfelderngearbeitet wie Joe und Mary. Auch wenn wegen des erbitterten Konkurrenzkampfesund der Geheimniskrämerei auf den Goldfeldern selten Freundschaften entstanden,hatten Mary und Joe sich damals Frank und Ida Kennedys angenommen, zumal diesein ihrem jungen Alter völlig unerfahren gewesen waren. Auch nachdem Frank undIda in Melbourne ein Geschäft übernommen hatten, war der Kontakt nichtabgerissen. Joe hatte in einem Brief an die beiden erwähnt, dass Francesca ihreSchulausbildung abgeschlossen habe und eine Anstellung suche, worauf Frankgeantwortet hatte, sie bräuchten jemanden für die Buchführung, sodass Francescaversorgt schien.
Damalsschien es die perfekte Lösung zu sein, zumal Joe das Gefühl hatte, seineTochter ruhigen Gewissens den Kennedys anvertrauen zu können, die ihr überdiesein Mansardenzimmer in ihrem Haus zur Verfügung stellten. Damals hatte Joesogar die Hoffnung gehegt, Ida würde eine Art Ersatzmutter für Francescawerden, mit der sie von Frau zu Frau über die Probleme sprechen konnte, diejedes Mädchen in der Pubertät hat, wenn die Gefühlswelt auf dem Kopf steht undsich zugleich der Körper verändert.
WährendFrancesca nun über den Pier schritt und Ausschau nach der Marylou hielt,war ihr gar nicht bewusst, dass sie die Aufmerksamkeit der Hafenarbeiter aufsich zog. In ihrem bezaubernden Kleid aus burgunderfarbenem Brokatstoff und mitihrem Spitzenhäubchen stach ihr Anblick in der grauen Menschenmenge auf derschlammigen Hafenpromenade nur zu deutlich heraus.
Siewar in Gedanken bei ihrem Vater und ihrer ungewissen Zukunft, sodass sie zusammenfuhr,als ein Hafenarbeiter ihr laut zurief: "Wohin des Weges, hübscheLady?" Im ersten Moment war Francesca gar nicht bewusst, dass der Mann zuihr sprach. Vielmehr vermutete sie, dass seine Frage an eine der auffälliggekleideten Damen gerichtet war, die am Pier um "Kunden" warben. Erstals sie erkannte, dass der Hafenarbeiter ihr etwas zugerufen hatte, blieb siestehen. Keinem der Männer war entgangen, dass sie jung und ohne Begleitung warund ein wenig verloren wirkte, und so betrachteten sie Francesca alswillkommene Ablenkung von ihrer schweren Arbeit.
Mittlerweileging Francesca mit dem Rücken zum Wind, der die unangenehmen Ausdünstungen derkahlen Schafe und des übrigen Viehs zu ihr getragen hatte, sodass sie ihrTaschentuch wieder in ihre Handtasche steckte und zu dem Hafenarbeiter blickte."Haben Sie mich gemeint, Sir?"
"Naklar", entgegnete der Mann. Erfreut, dass ein solch reizendes Wesen ihmAntwort gab, grinste er sie mit abstoßend rührseligem Gesichtsausdruck an.Francesca schauderte und trat einen Schritt zurück. "Ich bezweifle, dasses Sie etwas angeht, wohin ich unterwegs bin", gab sie ziemlich schroffzurück, und das Lächeln des Mannes verflog wie Dampf in kalter Luft."Deshalb schlage ich vor, Sie gehen wieder an Ihre Arbeit." Damitwandte sie sich ab und hielt weiter unter den Schiffen, die am Pier festgemachthatten, nach der Marylou Ausschau. Sie war sicher, dass der Kerl, dersie eben belästigt hatte, in seinem verletzten Stolz nun von ihr ablassenwürde. Die anderen Arbeiter wechselten mit hochgezogenen Augenbrauen Blicke undbrachen einer nach dem anderen in Gelächter aus. Offenbar fühlte FrancescasPeiniger sich zum Narren gehalten und wollte seine Schmach nicht hinnehmen.Kurz entschlossen folgte er ihr. Seine Kameraden - ungeachtet der Tatsache,dass bis zum Sonnenuntergang noch viel Arbeit auf sie wartete - beobachtetendas Geschehen, neugierig, wie Francesca reagieren würde.
Francescaschlenderte an Säcken, Kisten und Kästen voller Waren und Handelsgüternvorüber. Sie war enttäuscht, kein bekanntes Gesicht zu entdecken. Doch am Pierlagen weitaus mehr Schiffe als vier Jahre zuvor, als sie das letzte Mal zueiner Stippvisite nach Hause gekommen war. Und nach der Anzahl der Menschen zuschließen, die sich auf dem Pier und der Uferpromenade befanden, schien dieStadt beträchtlich gewachsen zu sein, und die Geschäfte schienen zu florieren.Dieser Gedanke stimmte Francesca zuversichtlich, dass sie hier eine neue Stellefinden würde, die ihr zusprach.
Miteinem Mal wurde sie gewahr, dass sie verfolgt wurde. Abrupt blieb sie stehenund drehte sich zu dem hartnäckigen Hafenarbeiter um. "VerschwindenSie", fuhr sie ihn mit wachsendem Zorn an. "Haben Sie nichts Bessereszu tun, als mir auf die Nerven zu gehen?"
"Darfich Ihren Koffer tragen?", erbot sich der Mann mit gespieltem Charme, dochFrancesca entging nicht das böse Funkeln in seinem schielenden Blick, und siebebte innerlich vor Abscheu.
"Nein,dürfen Sie nicht. Und jetzt lassen Sie mich gefälligst in Ruhe", fauchtesie ihn an. Sie versuchte, nicht in Panik zu geraten, was ihr schwer fiel,zumal sie in Pembroke äußerst behütet und meist von einer Anstandsdamebegleitet worden war; zudem hatte sie bei den Kennedys auf jeglichesPrivatleben verzichten müssen. Noch nie war Francesca ihr Mangel anLebenserfahrung derart bewusst geworden wie jetzt. Leider kam ihr Verfolgerihrer Aufforderung nicht nach, sodass Francesca ihn trotzig anstarrte. Sie warversucht, ihn darauf hinzuweisen, dass er dringend ein Bad benötigte;stattdessen konzentrierte sie sich darauf, die Fassung zurückzuerlangen. Ihrwurde klar, dass sie sich in Zukunft mit solchen Leuten auseinander setzenmusste, wenn sie in Echuca leben wollte, was wiederum bedeutete, dass es klugwäre, an diesem Kerl ein Exempel zu statuieren, damit sie vor seinen KumpanenRuhe hätte. Aber was sollte sie tun?
WährendFrancesca über ihre Situation nachdachte, setzte sie ihren Weg auf dem Pierfort. Sie bemerkte, dass der Wasserpegel des Flusses ungefähr drei Meter unter ihnenlag - nicht sonderlich tief, aber tief genug. Ihr kam eine Idee. Mit einemraschen Blick stellte sie fest, dass die anderen Hafenarbeiter inzwischen dasInteresse an ihr verloren hatten und sich wieder ihrer Arbeit widmeten.
Kurzvor dem Ende des Piers blieb Francesca erneut stehen und betupfte sich mitihrem Taschentuch die Augen, als wäre sie völlig aufgelöst. Zufrieden bemerktesie, dass ihr aufdringlicher Verehrer mit Bestürzung reagierte. Als Nächstesließ sie absichtlich ihr Taschentuch fallen, das dicht vor den Füßen ihresVerfolgers landete. Der Mann starrte darauf, während Francesca ihn mitflehenden Blicken bedachte. Obwohl er sie eigentlich hatte aufziehen wollen,betrachtete er das Taschentuch nun als Wink des Schicksals, als günstige Gelegenheit,sich ihr als Held zu beweisen. Also bückte er sich, um es aufzuheben. Kaumhatte er nach dem Taschentuch gegriffen, hörte er Francescas schnelle Schritte.Bevor der Mann reagieren konnte, gab sie ihm einen Schubs, sodass er vom Pierin den Fluss stürzte.
AlsFrancesca das Aufspritzen des Wassers vernahm, kam ihr plötzlich einerschreckender Gedanke. Was, wenn er nicht schwimmen konnte? Angestrengt spähtesie ins Wasser. Als sie ihren einstigen Verfolger nicht entdecken konnte,befiel sie Panik. Sie blickte zu einem Mann auf einem Dampfschiff ganz in derNähe, der mit erschrockenem Gesicht auf die Wasseroberfläche starrte.
"StehenSie nicht herum, retten Sie ihn!", rief sie hinüber.
Belustigtsah er auf. "Sie haben den armen Kerl ins Wasser geschubst",erwiderte er gelassen. "Warum sollte ich da in den Fluss springen, um ihnrauszuholen?"
Francescaverschlug es vor Schreck den Atem. "Aber ... aber wenn er ertrinkt?"Sie musste an ihre Mutter denken und wurde von Gewissensbissen geplagt. Ratlosund verwirrt stand sie am Kai und wusste nicht, was sie tun sollte, während dieSekunden, die verstrichen, ihr endlos erschienen.
DemMann auf dem Schiff schien das alles gleichgültig zu sein. "Daran hättenSie vorher denken müssen."
"Aber... aber ich wollte doch nicht ..."
Miteinem Achselzucken wandte der Mann sich wieder der Arbeit zu, als wäre bloß einStück Holz ins Wasser gefallen.
SeineGleichgültigkeit erfüllte Francesca mit Entsetzen. Sie schaute sich um, objemand anderes in der Nähe war, der ihr helfen konnte, wobei sie ernsthaft dieMöglichkeit in Betracht zog, selbst in den Fluss zu springen. Plötzlich hörtesie ein Gurgeln, und gleich darauf tauchte der Kopf des Hafenarbeiters aus demWasser empor. Francesca stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, da es nichtso aussah, als wäre der Mann in Not, auch wenn er schnaufte und keuchte undwütend Wasser spuckte. Während Francesca zu ihm hinunterschaute, starrte er zuihr hoch. Erst jetzt dämmerte ihr, dass der Mann auf dem Schiff gewusst habenmusste, dass dieser Arbeiter schwimmen konnte. Bestimmt wussten es alle hier.Vor Wut wurden Francescas Augen schmal.
"Warum,zum Teufel, haben Sie das getan?", brüllte der Arbeiter wütend zu ihrhinauf.
"Ichhatte Ihnen klipp und klar gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen. Außerdemhatten Sie ein Bad dringend nötig", rief sie zu ihm hinunter. "InZukunft sollten Sie vorher nachdenken, ehe Sie mir wieder Ihre unerwünschtenAufmerksamkeiten aufzwingen." Sie hob den Blick zu dem Mann auf dem nahenDampfschiff und richtete anklagend den Zeigefinger auf ihn. "Und was Siebetrifft ..." Doch der Mann unterbrach sie, indem er herzhaft lachte,genau wie ein paar andere, die das Geschehen verfolgt hatten.
Trotzihrer Verlegenheit hatte Francesca das Gefühl, gesiegt zu haben. Noch vorwenigen Minuten hatte sie Panik und Hilflosigkeit verspürt und trotzdem einenWeg gefunden, sich eines unliebsamen Quälgeists zu entledigen; deshalb war sieder Meinung, es sich verdient zu haben, stolz auf sich zu sein. Doch der Mannauf dem Schiff machte ihr die Genugtuung zunichte, und sie ärgerte sich überihn.
Siestarrte ihn an, wobei der Kerl die Frechheit besaß, sie anzugrinsen. Er wareine attraktive Erscheinung, obwohl er einen leicht überheblichen Eindruckmachte. Vielleicht lag es an der Art, wie er den Kopf schräg legte, oder an dergroßen Selbstsicherheit, mit der er sich bewegte.
"KönnenSie mir sagen, wo die Marylou ankert?", rief sie zu ihm hinüber,während sie sich über sich selbst ärgerte, weil sie sein ansteckendes Lächelnnicht unerwidert lassen konnte.
"Werwill das wissen?", fragte er zurück, wobei er geschickt ein Seilaufrollte. Francesca fiel auf, dass er in sehr guter Kondition zu sein schien,im Gegensatz zu anderen Hafenarbeitern, die den Eindruck machten, als wären siedie meiste Zeit ihres Lebens betrunken. Sein Haar war sehr dunkel, und in demgebräunten Gesicht blitzten weiße Zähne. Francesca fragte sich, ob ervielleicht spanischer oder griechischer Abstammung war, aber er sprach ohneerkennbaren Akzent. Sein Schiff hieß Ophelia.
"WissenSie es nun, oder wissen Sie s nicht?", entgegnete Francesca, da sieunschlüssig war, ob sie dem Fremden ihren Namen nennen sollte.
"Kannschon sein, dass ich es weiß, aber Joe Callaghan hätte bestimmt etwas dagegen,wenn ich jedem x-Beliebigen erzähle, wo er sich gerade aufhält."
Francescawar erleichtert, dass er ihren Vater offenbar kannte. Dennoch missfiel ihrseine Anspielung, dass sie von zweifelhaftem Ruf sein könnte. "Ich binkeine x-Beliebige", gab sie erbost zurück, worauf er eine Augenbraue hob,als würde er ihr keinen Glauben schenken.
"Daskann ich aber nicht wissen, oder?", erwiderte er.
FrancescasEmpörung nahm zu, bis sie plötzlich bemerkte, dass ein Mundwinkel des Manneszuckte, und ihr klar wurde, dass er sie aufzog - und das, obwohl sie amBeispiel des Hafenarbeiters soeben bewiesen hatte, dass sie ein lästigesProblem aus dem Weg schaffen konnte, wenn es sein musste. Doch sie spürte, dasses nicht klug wäre, sich mit dem Fremden anzulegen, zumal er nicht nur ungemeinattraktiv, sondern auch sehr von sich eingenommen war. "Wenn Sie esunbedingt wissen müssen, ich bin Joe Callaghans Tochter."
Füreinen Augenblick wirkte der gut aussehende Fremde überrascht. Er sah, wie jungsie war, wie reizend, und er wünschte sich, sie zu küssen, obwohl sie ihnwahrscheinlich beißen würde, wenn er es darauf anlegte. "Haben Sie aucheinen Vornamen, Miss Callaghan?"
Sieüberlegte, ob sie ihm darauf antworten sollte, aber schließlich wollte sie zuihrem Vater. "Francesca."
"Francesca..." Das Wort kam ihm weich über die Lippen. "Der Name passt zuIhnen. Ich hatte keine Ahnung, dass Joe eine so hübsche Tochter hat. Hätteich s gewusst, hätte ich ihm letztens in der Schänke wohl noch ein paar Rummehr spendiert." Seine Augen schienen in der Nachmittagssonne zu tanzen,und das Glitzern auf der grünen Wasseroberfläche spiegelte sich darin.
"MeinVater ist zu klug, um sich von jemandem mit Rum beeindrucken zu lassen. Also,ist er hier in Echuca oder nicht? Am Pier kann ich die Marylou jedenfallsnicht entdecken."
DerFremde hob kurz den Blick zu ihr, bevor er den Kopf sinken ließ und lächelte."Sein Schiff ankert unten am Fluss." Er machte eine flüchtige,unbestimmte Geste in Richtung Ufer, die alles andere als hilfreich war.
"Ineiner halben Stunde lege ich in diese Richtung ab, falls Sie mitfahrenmöchten", bot er an. Die Vorstellung, sie näher kennen zu lernen, reizteihn ungemein, obwohl er entschlossen war, sich nicht wie ein ungestümerJüngling aufzuführen. Er wusste aus Erfahrung, dass sie sich ihm eher öffnenwürde, wenn er sie richtig behandelte ... und zwar bereitwillig.
Füreinen Moment war Francesca sprachlos vor Erstaunen. Obwohl sie versucht war,sein Angebot anzunehmen und auf der Ophelia mitzufahren, erschien es ihrnicht angemessen. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass seine Einladung nichtvon Herzen kam. "Da ich Sie nicht kenne, kann ich Ihr Angebot nichtannehmen."
"MeinName ist Neal Mason. So, jetzt wissen Sie, wer ich bin, und ich weiß, wer Siesind. Außerdem bin ich mit Ihrem Vater befreundet, was den Regeln des Anstandsgenügen dürfte."
FürFrancescas Begriffe war es lediglich Ausdruck seiner Überheblichkeit. "Ichhabe nichts als Ihr Wort, dass Sie meinen Vater kennen."
Seinegrünen Augen wurden schmal. "Unterstellen Sie mir, dass ich ein Lügnerbin, Miss Callaghan?"
Francescabefürchtete, ihn gekränkt zu haben, bis sie bemerkte, dass er ein Grinsen zuunterdrücken versuchte. "Ich weiß nicht ... kann schon sein." Siewurde nervös, zumal er sich daranmachte, ein weiteres Seil aufzuwickeln, alshabe er alle Zeit der Welt.
"Aberwenn Sie nicht warten möchten und lieber zu Fuß gehen ... Es liegt ganz beiIhnen."
Francescahatte eigentlich erwartet, dass er sie überreden würde - ein Angebot, das sieangenommen hätte, sie hatte wenig Lust, ihren Koffer so weit zu tragen. Dochbevor sie ihm eine spitze Antwort geben konnte, fuhr er fort: "Aberschubsen Sie bloß keine Männer mehr ins Wasser. Es warten nämlich noch jedeMenge Schiffe darauf, entladen zu werden."
SämtlicheArbeiter in Hörweite brachen in schallendes Gelächter aus, mit Ausnahme desMannes, den sie in den Fluss geschubst hatte und der unter dem Pierlamentierte, dass ihm kalt sei. Francesca spürte, wie ihre Wangen glühten.
Stolzerhobenen Hauptes bedachte sie Neal mit einem verächtlichen Blick, hob ihrenKoffer auf und stolzierte davon.
"AchtenSie auf den Weg, Miss Callaghan", rief Neal ihr hinterher. "Siekönnten ins Stolpern geraten, wenn Sie die Nase weiterhin so hoch halten."
VorZorn und Verlegenheit ging Francesca weiter, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Silas Hepburn stand in der Nähe eines Stapels Wollballen.Wie den meisten anderen Männern, die beobachtet hatten, wie Francesca aus demZug stieg, war auch ihm nicht entgangen, dass sie äußerst hübsch war. Er hatteauch gesehen, wie der Hafenarbeiter sie belästigt hatte, und hatte ihr zu Hilfekommen wollen - als der Störenfried zu Silas großem Erstaunen Augenblickespäter vom Hafendamm gesegelt war. Silas hatte schon immer etwas für schöneMädchen übrig gehabt, aber er hatte selten ein schönes Mädchen mit so vielSchneid erlebt.
"EntschuldigenSie, Miss ...", sprach er Francesca an, als sie an ihm vorüberkam.
Francesca,von zornigen Gedanken erfüllt, schrak zusammen, zumal sie Silas nicht bemerkthatte. "Ja?", erwiderte sie unfreundlich und blickte in Silas überhebliches Gesicht.
Ihrkühler Tonfall ließ ihn stutzen, aber nicht zurückschrecken. "Ich wollteIhnen eben meine Hilfe anbieten, als dieser aufdringliche Kerl Sie verfolgt hat..."
EinenMoment lang dachte Francesca, er meinte Neal Mason; dann aber wurde ihr klar,dass er von dem Hafenarbeiter sprach. "Warum haben Sie es dann nichtgetan?" Sie war immer noch wütend und nicht in der Stimmung, Höflichkeitzu wahren. "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert",fügte sie bissig hinzu, denn wäre der Mann ihr zuvor zu Hilfe gekommen, wäreihr das Gespräch mit Neal Mason erspart geblieben, und sie müsste sich jetztnicht wie ein naives Dummchen fühlen.
Wiedermusste Silas staunen. Er war es gewohnt, dass man ihm mit größtem Respektbegegnete, was auch für Fremde galt, denen sein distinguiertes Auftretenunmöglich entgehen konnte. Und nun wagte es dieses zierliche Persönchen, ihnabzukanzeln. "Ich wollte ja, aber dann ... aus unerfindlichen Gründen ...hat der Mann das Gleichgewicht verloren und ist in den Fluss gefallen. Höchstunglücklich ..."
Francescastockte der Atem. Neal Mason hatte sie bereits in die Defensive getrieben, undsie war sicher, dass im kalten Blick dieses Mannes eine versteckteAnschuldigung schimmerte. "Das war wohl kaum meine Schuld." Francescaging fest davon aus, dass niemand sie dabei beobachtet hatte, wie sie den Mannins Wasser geschubst hatte.
"Daswollte ich damit auch nicht andeuten. Offensichtlich ist der Kerl sehrungeschickt, wie viele andere hier. Vor einigen Monaten habe ich mir ausTooleybuc einen Steinway-Flügel kommen lassen, und wissen Sie was? Beim Abladenhaben die Trottel ihn fallen lassen!" Verbittert kniff er die Lippenzusammen. "Sei s drum, ich will nicht abschweifen, zumal ich lieber nichtmehr daran denken möchte. Haben Sie sich verlaufen, oder suchen Siejemanden?"
"Wedernoch. Entschuldigen Sie mich."
Francescawar der Mann vom ersten Augenblick an unsympathisch. Sie war sicher, dass seinüberhebliches Gehabe nur heiße Luft war, zumal sie bezweifelte, einen Mann vongesellschaftlichem Rang vor sich zu haben.
"ErlaubenSie mir, dass ich mich vorstelle", sagte Silas Hepburn mitstolzgeschwellter Brust, wodurch Francesca sich in ihrer Meinung bestätigt sah."Ich bin Silas Hepburn, der Gründer dieser schönen Stadt. Hier geschiehtpraktisch nichts ohne mein Wissen. Wenn Sie also jemand Bestimmten suchen, kannich Ihnen wahrscheinlich Auskunft geben." Mit seinen weichen, dickenFingern strich er sich durch den rötlich braunen Bart.
Hepburn.Francescaerinnerte sich plötzlich, dass ihr der Name von früher ein Begriff war; dennochhätte sie Silas nicht wiedererkannt. Einen flüchtigen Augenblick lang überlegtesie, ob sie sich für ihre Schroffheit entschuldigen sollte, begrub den Gedankenaber rasch wieder. Vor einem Mann, der damit prahlte, eine Stadt gegründet zuhaben, und Landmarken nach sich benannte, brauchte sie nicht zu katzbuckeln.Stattdessen hätte Silas sich entschuldigen müssen, weil er ihr nicht zu Hilfegekommen war. Die Auskunft, wo ihr Vater sich aufhielt, war eine ganz normaleGefälligkeit. Und Francesca benötigte diese Auskunft, denn Neal Mason hatte denAnkerplatz der Marylou so ungenau beschrieben, dass sie nicht wusste,wie sie dorthin kommen sollte.
Miteinem Blick über die Schulter stellte Francesca fest, dass Neal Mason ihreUnterhaltung mit Silas aufmerksam verfolgte. Da Silas in der Tat ein wichtigerMann in der Stadt war, sagte sie sich, dass es nicht schaden konnte, sich gutmit ihm zu stellen.
"Ichbin auf der Suche nach einem Raddampfer, die Marylou. Wissen Sie, wo ichsie finde?"
"DieMarylou?" Silas runzelte die Stirn und musterte ihr Gesicht genauer- die glänzenden dunklen Ringellocken unter ihrem Häubchen, ihren Porzellanteint,ihre Augen, die die Farbe des Himmels an einem klaren Tag besaßen. Doch heutewar der Himmel von einem kalten, trüben Grau, das sich nun in ihremunfreundlichen Blick widerspiegelte. "Suchen Sie etwa Joe Callaghan?"
"Ganzrecht."
VorErstaunen rutschten Silas die Worte heraus, die ihm gerade durch den Kopfgingen. "Was hat eine so hübsche und elegante junge Dame wie Sie mit eineraufsässigen irischen Sippe zu schaffen?"
"Wiebitte? Joe Callaghan ist mein Vater, und er ist bestimmt alles andere als aufsässig."
Silasverschlug es den Atem. Seine Augen traten hervor. "Oh, das wusste ichnicht ... ich meine, ich hatte vergessen, dass Joe eine Tochter hat."
"Tja,Mr Hepburn, ich bin Francesca Callaghan, und ich kann nicht gerade behaupten,dass es mir eine Freude war, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Wenn Sie michjetzt bitte entschuldigen ..." Hinter sich vernahm sie gedämpftesGelächter, was ihren Zorn nur noch weiter schürte.
Silashingegen war nun erst recht fasziniert von ihr. "Wenn Sie mir die Bemerkungerlauben, Miss Callaghan, Sie sind eine äußerst bezaubernde junge Dame",schmeichelte er ihr, während Francesca sich bereits zum Gehen wandte.Unvermittelt blieb sie stehen. Es war ihr jetzt gleichgültig, ob Neal Mason sieweiterhin beobachtete oder ob der Wind Gesprächsfetzen zu ihm trug. "WennSie s unbedingt wissen möchten - ich erlaube Ihnen die Bemerkung nicht."
OffenenMundes starrte Silas sie an. "Aber ... aber die meisten jungen Damen habennormalerweise nichts gegen ein Kompliment einzuwenden."
"Mirist eine Anschuldigung lieber als geheuchelte Schmeichelei, sofern es keineAnschuldigung gegen meinen Vater ist."
Trotzseiner Verblüffung musste Silas lachen. "Dann bitte ich Sie, meineBemerkung über Ihren Vater zu entschuldigen, Miss Callaghan. Er und ich habenwenig miteinander zu schaffen. Deshalb darf ich wohl sagen, dass Sie eineaußergewöhnliche junge Dame sind."
© Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung: Claudia Geng
- Autor: Elizabeth Haran
- 2009, 6. Aufl., 624 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. Engl. v. Claudia Geng
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404153073
- ISBN-13: 9783404153077
- Erscheinungsdatum: 19.04.2005
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Am Fluss des Schicksals".
Kommentar verfassen