Amy Angel
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Mit seinem zweiten Teenagerroman ist Bestsellerautor Thomas Brezina eine aufwühlende Geschichte von großer erzählerischer Kraft gelungen.
Amy Angelvon Thomas Brezina
LESEPROBE
Aus ihrem Mund drang zuerst nur einQuieken. Nachdem sie heftig nach Luft geschnappt hatte, konnte sie schreien.Das tat sie auch. Sie schrie ungefähr so laut, so schrill und so überdreht, wie
Frauen es in alten Horrorfilmen tun.Dr Magnus und Amys Mutter stürzten zurück in dasZimmer, in dem Amy im Bett saß, zum Schreibtisch starrte und noch immer schrie.Als sie keine Luft mehr hatte, presste sie die Hände auf den Mund. Ihre Augenwaren weit aufgerissen und in ihnen stand, wie groß Amys Entsetzen war. Dr Magnus war sofort bei ihr und nahm sie an den Schultern.
"Ganz ruhig, Amy, ganz ruhig." Siestrich ihr über die aschblonden Haare und drückte sie sanft auf das Kissenzurück.
"Du bist in Sicherheit hier. DeineMutter ist da."
Amys Mutter sah sich langsam imZimmer ihrer Tochter um. Ohne die Poster, die sie immer abscheulich gefundenhatte, wirkte der Raum viel größer. Einen Grund für Amys Ausbruch konnte sienicht erkennen.
"Ich kann dir etwas geben, das dichberuhigt und eine Weile schlafen lässt. Ich finde, du solltest es nehmen."
Dr Magnus hatte einen Tonfall, der aufihre Patienten wie Hypnose wirkte. Sie konnte richtig spüren, dass sich AmysMuskeln unter ihren Händen entspannten.
"Versuche zu schlafen. Aber wenn esnicht geht, dann nimmst du diese Tablette."
Die Ärztin trennte eine einzelneTablette von einem Streifen, auf dem mehrere in Alufolie eingeschweißt waren.
"Deine Mutter bringt dir ein GlasWasser."
Noch immer starrte Amy zu der Stelleneben dem Schreibtisch, an der sonst immer er gestanden hatte. Vorhin hatte sieMatt M dort gesehen. Matt M mit schwarzen Schwingen auf dem Rücken. Er hattenur ein ausgeleiertes weißes Baumwoll-T-Shirt und zerlöcherte Jeans getragen. Undausgetretene, fleckige Tennisschuhe. Auf keinem Poster und in keinemFernsehauftritt hatte Matt M nur ein weißes T-Shirt und Jeans angehabt. Amy warsich sicher, dass das T-Shirt am Kragen ausgeleiert war und auf einer Seitetiefer herabgehangen hatte. Die Ärztin stand auf, drehte sich in der Tür nocheinmal zu ihr zurück. Amy sah ihr nach, sah ihr Lächeln, erwiderte es sehrschwach. Sogar im Gesicht ihrer Mutter stand Sorge. Die beiden Frauen verließenden Raum. Die Türe wurde ins Schloss gezogen, der Schnapper rastete ein.
Es blieb still.
Die Fenster waren beideheruntergeschoben und geschlossen. Vor den Scheiben bewegten sich die Ästeeines Oleanders im Wind. Ihre Augen waren an die Decke gerichtet. Langsamdrehte Amy den Kopf und sah auf dem Würfel neben dem aufgeschlagenen Buch dieTablette liegen und ein Glas Wasser stehen. Sie konnte nicht anders. Sie musstenoch einmal zum Schreibtisch sehen. Um sich aber zu schonen, hielt sie dieAugen zuerst geschlossen, und erst, als sie das Gefühl hatte, ihr Gesicht seirichtig ausgerichtet, blinzelte sie durch die Wimpern. Erleichtert sank siezurück in ihr Kissen und zog den Rand
der Decke zu ihrem Kinn hoch. Es warnur Einbildung gewesen. Natürlich war es nur Einbildung gewesen. Es konntenichts anderes als Einbildung sein. Ihre Nerven spielten ihr Streiche, wie Dr Magnus es vorhin ausgedrückt hatte. Sie meinte, beiMädchen ihres Alters könne das schon mal vorkommen. Eine Weile lag sie nurstill da und starrte zur Decke hoch. Kein einziger Riss. Kein Fleck imAnstrich. Keine Spinnweben. So etwas gab es im Haus ihrer Mutter nicht. Mitbeiden Händen fuhr sie sich über das Gesicht, als würde sie es ohne Wasserwaschen. Das Rubbeln tat gut, regte die Durchblutung an.
Angst und Verzweiflung aber wurdenwieder stärker. Sie würde die Tablette nehmen. Bestimmt half sie ihr einbisschen. Als Amy sich aufrichtete und auf den rechten Ellbogen stützte, fühltesich ihr Körper bleischwer an. Mit der linken Hand griff sie nach der Tablette.Neben dem Nachtkästchen standen zwei Beine.
In Jeans.
In löchrigen Jeans.
Über den Hosenbund hing derausgeleierte Saum eines weißen T-Shirts.
Amy öffnete den Mund, um zu schreien
"Halt die Klappe", wurde sieangefaucht.
Dieses Kreischen! Immer diesesKreischen! Konnte diese graue platte Maus nicht einfach die Klappe halten undsich ausnahmsweise nützlich machen? Wie Matt solche Mädchen verabscheute!
Sie starrte ihn an. Ihre Augen warengroß und rund, als wäre sie aus einem Mangacomicgefallen. Ein bisschen mehr essen würde ihr auch nicht schaden. Matt mochteschlanke Frauen, aber er hasste es, sich an ihren vorstehenden Knochen anzuschlagen.Irgendwie tat ihm das Mädchen auf einmal leid.Sie starrte ihn an, als wäre er ein Geist. Moment mal. Auch wenn er sich nochimmer fühlte wie früher, war er nicht mehr wie früher.
ER WAR EIN GEIST!
Ein Geist mit Rückenschmerzen, weilman ihm diese entsetzlich schweren Dinger auf den Rücken gepflanzt hatte. Siezogen ihn nach hinten und er hatte ständig das Gefühl vorgebeugt gehen zumüssen wie ein uralter Mann am Stock. Obwohl er genau spürte, dass die Flügelnoch da waren, griff er mit der rechten Hand nach hinten und strich über dieFedern. Die Kante der Schwingen, aus der die Federn wuchsen, fühlte sich an derOberfläche samtig an, fast wie kurzhaariges Fell. Darunter spürte Matt einenrunden Knorpel. Die Federn, die oben lagen, waren lang und hart. Bohrte er dieFingerspitzen zwischen ihnen durch, stieß er auf immer kürzere und immerweichere Federn. Eine zupfte er aus und zog sie nach vorne. Es war eine kleine,gebogene Daune wie aus einem Kopfkissen. Nur schwarz. Matt warf sie in die Höheund pustete. Der Luftzug erfasste die leichte Feder und wirbelte sie in dieHöhe. Hin und her schaukelnd sank sie wieder herunter, genau auf das Mädchenzu. Sie starrte der Feder entgegen, hob dann die Hand und wollte sie fangen.Als sie die Finger öffnete, lag aber nichts auf ihrer Handfläche. Die kleineschwarze Daune hatte sich aufgelöst. Sie konnte nicht berührt werden.
"Du musst mir helfen!", sagte Mattdrängend, aber nicht sehr laut. Vielleicht konnten die anderen Frauen ihn nichtsehen, aber trotzdem hören. Dann würden sie bestimmt auch hysterische Anfällebekommen, auf die er wirklich verzichten konnte. Das Mädchen war zum Kopfende gerutschtund saß gegen die Wand gelehnt da. Die Decke hatte sie bis zum Halshochgezogen. Noch immer fassungslos glotzte sie ihn an.
"Du kannst mich sehen und hören unddu musst mir helfen!"
Matt formulierte es nicht als Bitte,sondern als Befehl. Schließlich hatte diese zitternde unscheinbare Fee dort imBett auch Schuld an seinem Unfall. Sie begann zu sprechen. Sehr langsam, sehrheiser.
"Wieso bist du hier?"
Das konnte Matt ihr erklären. Aberer hatte wirklich keinen Bock, die ganze Zeit an ihrem Bett zu stehen. Suchendsah er sich nach einer Sitzgelegenheit um, entschied sich für den weißen Stuhlan ihrem Schreibtisch und wollte ihn umdrehen. Seine Hand fuhr durch dascremefarbene Holz, als wäre es gar nicht da. Da er es nicht wahrhaben wollte,fasste er mit beiden Händen links und rechts nach der Stuhllehne. Die Fingerglitten durch und schlugen aneinander, als wollte er applaudieren. Ein leisesKlatschen war zu hören. Matt war so verblüfft, dass er mit aneinandergepresstenHänden verharrte. Er atmete mit einem genervten Ächzen aus. Ihm war genaugesagt worden, was er jetzt erlebte, aber er hatte nur halb hingehört.Gegenstände zu bewegen, war ihm nicht mit physischer Kraft möglich. Er konntedie Sachen in Gedanken bitten, für ihn zu tun, was er sich wünschte. Es bliebden Dingen überlassen, ob sie dazu bereit waren. Benutzen konnte er sieallerdings schon. Er konnte auf einem Stuhl sitzen, an einem Tisch lehnen oderauf einem schreiben. Einen Stuhl zu bitten, sich doch näher an das Bett zubewegen, kam ihm unter seiner Würde vor. Deshalb schwang er sich mitgegrätschten Beinen auf den Sitz wie auf einen Sattel und stützte die Arme aufdie gebogene Kante der Lehne. Seine Schultern waren verspannt. Er brauchte eineMassage. Nur würde er keine bekommen. Und anfassen konnte ihn auch niemand. Umdie Muskeln zu lockern, zog er die Achseln etwas hoch und ließ die Schulternein wenig kreisen. Die Flügel machten jede Bewegung mit. Die runden Kuppenklopften sogar gegen seinen Hinterkopf. Als er die Arme vorstreckte, kipptendie Spitzen nach außen und dann in die Höhe. Links und rechts von seinem Körperstanden die Flügel zur Seite. Er breitete die Arme aus, um sie wieder nachunten zu drücken, und musste feststellen, dass die Flügel über seineFingerspitzen hinausragten.
© EGMONT Verlag
- Autor: Thomas Brezina
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2007, 1, 350 Seiten, Maße: 15,5 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Birgit Arteaga
- Verlag: Schneiderbuch
- ISBN-10: 3505123765
- ISBN-13: 9783505123764
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