Anni und Alois - Arm sind wir nicht
Ein Bauernleben
Keine Heizung, kein Bad, kein Auto, kein Urlaub - so sieht der Alltag von Anni und Alois aus. Es ist ein Leben im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten, ohne Hektik und Konsumzwang. Deshalb vermissen die beiden Selbstversorger rein gar...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Anni und Alois - Arm sind wir nicht “
Keine Heizung, kein Bad, kein Auto, kein Urlaub - so sieht der Alltag von Anni und Alois aus. Es ist ein Leben im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten, ohne Hektik und Konsumzwang. Deshalb vermissen die beiden Selbstversorger rein gar nichts. Liebevoll schildert Julia Seidl ein rundum zufriedenes altes Ehepaar und das Glück auf einem Bauernhof im Bayerischen Wald.
Klappentext zu „Anni und Alois - Arm sind wir nicht “
Einfach zufrieden lebenKeine Heizung, kein Bad, kein Auto, kein Urlaub - so sieht der Alltag von Anni und Alois aus. Es ist ein Leben im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten, ohne Hektik und Konsumzwang. Deshalb vermissen die beiden Selbstversorger rein gar nichts. Liebevoll schildert Julia Seidl ein rundum zufriedenes altes Ehepaar und das Glück auf einem Bauernhof im Bayerischen Wald.
Von klein auf kennen Anni und Alois Sigl, Mitte 70, das echte Landleben: viel Arbeit, wenig Geld, kein Komfort. Aber tauschen möchten sie mit niemandem, das Besitzstreben und der Stress der modernen Welt reizen sie überhaupt nicht. In aller Ruhe bewirtschaften sie ihren Einödhof. Der ist bevölkert von Hühnern, Enten, Gänsen und Fasanen, denn Geflügelzucht ist Annis Leidenschaft. Daneben widmet sie sich dem Veredeln von Obstbäumen, wofür sie in der ganzen Region bekannt ist. Die BR-Journalistin Julia Seidl hat die beiden schon viele Male auf ihrem Hof besucht und beschreibt ihr Leben und ihren Alltag im Jahreslauf. Der Fotograf Stefan Rosenboom hält in stimmungsvollen Bildern die malerische Landschaft, die Tiere und Pflanzen des Hofs und die unerschütterliche Harmonie des alten Paares fest. - Ein Buch für alle, die vom einfachen, zufriedenen, authentischen Leben träumen.
Lese-Probe zu „Anni und Alois - Arm sind wir nicht “
Anni und Alois - Arm sind wir nicht von Julia Seidl und Stefan Rosenboom Vorwort
»Wir sind schon seltene Vögel«, sagt die Anni über sich und ihren Mann Alois und kann dabei herzlich lachen. Anders ist das Ehepaar Sigl aus Hilgenreith im vorderen Bayerischen Wald auf jeden Fall - erfrischend anders. Entdeckt habe ich die beiden über einen Artikel, der in einer großen niederbayerischen Lokalzeitung mit der Überschrift »Der Hof, auf dem die Zeit stehenblieb« erschien. Ich wurde neugierig und besuchte die beiden vor drei Jahren zum ersten Mal. Ihr Haus, die Zimmer und ihre Kleidung sind bescheiden - aber als langjährige Filmemacherin war mir solch eine Umgebung nicht fremd. Was mich vor allem faszinierte, waren die Vitalität und der Humor von Anni und die besondere Feinsinnigkeit und Güte ihres Mannes, dem Alois. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, wie oft ich die beiden noch besuchen würde.
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Innerhalb von drei Jahren entstanden über das Leben von Anni und Alois dann drei Filme, jeweils eine halbe Stunde lang, die im Bayerischen Fernsehen gesendet wurden. Betreut von BR-Redakteur Jörg Michael Schmid, der die beiden - vor allem seit er sie selbst besucht hat - ins Herz geschlossen hat. Ihm war vor allem wichtig, ihren Lebensstil für künftige Generationen festzuhalten. Rund 18 Drehtage haben die beiden bis heute bravourös gemeistert, ohne Scheu vor der Kamera, immer ganz bei sich. So habe ich mit dem Filmteam Anni und Alois über das ganze Jahr begleiten können und ihr Leben auf dem Einödhof dokumentiert. Mit am meisten hat mich beeindruckt, wie selbstverständlich die beiden als Selbstversorger leben und wie wichtig ihnen gute Lebensmittel sind. Seit mehreren Jahren porträtiere ich im Bayerischen Fernsehen Menschen, die wieder unabhängig wirtschaften und herstellen wollen - aber sich das Wissen meist mühsam aneignen müssen, wie zum Beispiel beim Brotbacken, Kleidernähen, Bienenhalten etc.
Anni und Alois dagegen müssen niemanden fragen und sich nichts anlesen, sie leben dieses autonome Wirtschaften ganz selbstverständlich.
Seit den Filmen ist die Zahl der Anrufer bei den Sigls erheblich gestiegen und vor allem die Anni ist bekannt - so sagt sie selbst - wie ein »bunter Hund«. Dem zurückhaltenden Alois ist der Rummel manchmal schon zu viel, am liebsten würde er sein Sonntagsbier in der Dorfwirtschaft in Ruhe trinken.
Parallel zu den Filmen wurde mir bald klar, dass ich über Anni und Alois auch ein Buch schreiben wollte. So konnte ich schließlich noch mehr über ihren außergewöhnlichen Alltag erzählen. Mit dieser Idee stieß ich bei dem renommierten Fotografen Stefan Rosenboom auf offene Ohren. Sofort war er Feuer und Flamme für das Thema und wir besuchten - erst einmal ohne Verlag und Vertrag - das alte Ehepaar mehrmals im Jahr. Bepackt mit Diktiergerät, zwei Leicas und vielen Fragen, wurden wir jedes Mal herzlich empfangen auf dem Einödhof. Eierreiche Pfannkuchen, deftige Schnitzel und süße Apfelkuchen, mit denen uns die Anni großzügig bewirtete, ließen uns allerdings manchmal mehr an einen kleinen Mittagsschlaf denken als an konzentrierte Arbeit.
Das Buch, das wir entwickelt haben, begleitet Anni und Alois durch das Jahr. Es beginnt im Januar, wo die zwei gegen die Schneemassen kämpfen, und endet einen Tag vor Weihnachten, quasi am Jahresschluss. Es ist entstanden aus vielen Niederschriften, die ich von stundenlangen Monologen und Dialogen der beiden gemacht habe. Ziel war es, möglichst wirklichkeitsgetreu das Leben von Anni und Alois widerzuspiegeln. Es sollte kein romantisierender Blick auf die beiden sein. Den lässt schon die Anni nicht zu, die sagt: »Das einfache Leben macht viel Arbeit. Da fliegen einem nicht die gebratenen Tauben ins Maul.« Früh aufstehen, hart arbeiten, wenig Komfort - das muss man erst einmal schaffen und auch noch damit zufrieden zu sein. Auf viele mag dieser Lebensstil heute befremdlich wirken, aber der große chinesische Philosoph Laotse gibt den alten Menschen im Bayerischen Wald recht: »Der große Weg ist sehr einfach, aber die Menschen lieben die Umwege.«
Schnee
Im Winter ist es besonders einsam auf dem Einödhof von Anni und Alois. Vor allem, wenn der Schnee tagelang um den alten Hof weht und die Wege einschneit. Unzählige Flocken decken dann die Heimat der alten Eheleute zu mit ihrem weißen, schweren Mantel. Fast jeden Tag schaufelt sich das Ehepaar durch die Schneemassen, gräbt sich die Wege frei, legt die Fenster frei - nur damit es in der Nacht wieder alles zuschneit und am nächsten Morgen die gleiche Prozedur von vorn losgeht. Aufhören, Pause machen, krank sein gibt es nicht in der kalten Jahreszeit für Anni und Alois.
»Wenn er brennen täte, dann würde ich ihn anzünden «, sagt die Anni wild entschlossen. Seit Stunden schaufelt sie mit voller Kraft auf einen stetig wachsenden Haufen. Mit dem Anzünden - so lacht sie - meint sie natürlich nicht ihren Ehemann Alois, sondern ihren Hauptfeind: den ewigen, immerwährenden Schnee. Einen Meter fünfzig hoch liegt er heuer schon und nur auf schmalen Wegen können die beiden noch zum Hühnerstall oder zu ihrem Traktor kommen.
»Das Schlimmste ist der Pulverschnee«, erklärt uns Anni, die Expertin. »Wenn dann der Ostwind kommt, treibt es ihn von den Dächern runter, bläst ihn rund um das Haus und dann können wir gar nicht mehr aus den Fenstern schauen.« Dabei sieht man doch, wenn der Himmel klar ist, von ihrem Wohnzimmer aus fast alle Bayerwaldberge, den Rachel, den Lusen, den Arber - ihre Heimat.
Mehr als ein halbes Jahrhundert leben Anni und Alois Sigl schon hier, in einem kleinen alten Einödhof am Rande des Dorfes Innernzell im vorderen Bayerischen Wald. In dem bescheidenen Haus haben sie ihre vier Söhne großgezogen, Anni hat hier ihre Schwiegermutter bis zu deren Tode gepflegt und dabei haben Anni und Alois fast nie etwas verändert an ihrem Heim. Bis heute haben sie kein Bad, keine Toilette, keine Heizung und keine gepflasterten Wege. Aber trotzdem sind sie zufrieden damit, wie es ist. Auch ohne Auto, ohne Urlaub und mit den 550 Euro Rente, die sie im Monat bekommen.
Auf einem Zettel rechnet die Anni ihre finanzielle Lage durch. Und ihr Einmaleins der Bescheidenheit ergibt: 500 Euro brauchen die beiden monatlich für Telefon, Fernseher, Strom, Versicherungen und für ihre Lokalzeitung. So verbleiben nur noch klägliche 50 Euro für Kleidung und Essen. Wie gut, dass Anni vieles selbst anbaut und eine große Vorratshaltung betreibt. Fleisch, Kartoffeln, Äpfel, Nüsse - alles findet man in Annis großen Gefriertruhen oder Vorratsräumen. Sogar den Tabak für ihren Alois baut die resolute Bäuerin im Sommer selbst im Gemüsebeet an. Ihr sanftmütiger Ehemann raucht eben gern und verbieten würde es ihm die Anni nie. Auch wenn die Tabakpflanzen im Garten schon ein seltsamer Anblick sind - eine Lösung à la Anni, die Pflanzen und Tiere liebt und ein Händchen für sie hat.
Doch von November bis April kann Anni nur von ihren wunderbaren Blumen und ihrem üppigen Gemüsebeet träumen: »Im Bayerischen Wald gibt es ein Sprichwort: ›Ein Dreivierteljahr Winter, ein Vierteljahr kalt‹«, das ist eines von Annis Lieblingszitaten. Immer wieder kann sie sich über diesen absurden Spruch amüsieren. Seit Stunden steht sie nun schon mit ihrem Alois draußen, um den Neuschnee auf die Seite zu räumen. Der Schnee ist jedes Jahr eine Heimsuchung für Anni und Alois. Manchmal fällt sie schlimmer aus, manchmal etwas weniger schlimm. Jeder Wetterbericht ist für die beiden im Winter ein kleiner Krimi - Ausgang ungewiss.
»Uns schneit es nicht ein«, erklärt die Anni resolut und sticht dabei besonders tief und energisch in die weiße Masse hinein. »Wir kommen durch, wir sind das gewohnt«, sagt sie und lacht zum Alois rüber. »Ja, da kann man nix machen, wenn es so viel Schnee herhaut «, meint der noch gottergeben. Die alten Leute sind nicht verzweifelt und wenn sie es wären, sie würden es nicht zugeben. Jammern, das hat noch keinem geholfen. Selbst die Anni, die schon mehrere Bandscheibenvorfälle hatte, sagt nur einsilbig: »Das geht schon ins Kreuz.« Manchmal kommt sie am Abend gekrümmt daher wie ein Fragezeichen.
Eines der schlimmsten Schneejahre, an das beide sich erinnern können, war 2006. »Da ist sogar die Feuerwehr am Silvesterabend gekommen und hat uns die Dächer freigeschaufelt«, berichtet die Anni. Drei Meter hoch war damals der Schnee. Und auch Anni und Alois sind an diesem unvergesslichen Abend mit aufs Dach gestiegen, um zu helfen. Alois tief vermummt mit dickem Anorak, Handschuhen und Mütze - die rührige Anni nur mit ihrer Schürze und nackten Armen. Stunde um Stunde kämpften sie dort oben gegen den Jahrhundertschnee. Schaulustige standen rund um ihr Haus und beobachteten die alten Leute, wie sie mit ihrem ungeheuren Willen gegen den weißen Feind angingen. »Dich erfriert es dort oben am Dach noch«, schrie damals eine Frau aus dem Dorf gehässig zu der leicht bekleideten Anni hoch. Darüber kann die Anni noch heute lachen. Und zwar so herzhaft, dass man ihre spärlichen drei Zähne sehen kann. »Mir ist halt gleich zu warm«, sagt sie entschuldigend, aber auch stolz, weil sie kein Weichei ist. »Ich brauch' es warm, ich mag mich nicht erkälten«, entschuldigt sich der Alois, der nicht so stämmig gebaut ist wie die Anni. »Du hast halt mehr Speck wie ich«, setzt er noch charmant eines obendrauf. »Ja, das stört mich nicht«, lächelt die Anni selbstbewusst und auch Alois schmunzelt, weil auf seine Anni, da lässt er nichts kommen.
Wenn der Schnee draußen eine Pause einlegt, dann sitzt die Anni im Winter gern in der Stube, dem einzigen beheizten Raum auf dem Hof, und näht, strickt oder macht andere Handarbeiten. »Alles, was man noch brauchen kann, wird bei uns nicht weggeworfen«, erzählt die Anni vom Sofa her. Auf dem Boden steht eine Waschschüssel voll unbenützter Schürzen, die ihr eine Bekannte aus Innernzell weitervererbt hat. »Die Jungen ziehen so etwas sowieso nicht mehr an«, kommentiert die Anni ihre geschenkten Kleider. »Die haben heute alle nur Jeanshosen an.« Aber sie schätzt diese Omaschürzen.
Mühselig trennt sie die alten Stoffe auf, Stich für Stich. Dabei helfen der Anni ihre »Winterfenster« - so nennt sie ihre Brille - und der Alois. Geduldig hält er die Ärmel fest, denn dann tut sich die Anni leichter. »Ja mei, wenn des Sach' nichts kostet«, murmelt er vor sich hin. »Warum denn nicht.« Und die Anni fällt begeistert ein: »Das sind die billigsten Schürzeln. Umändern kann ich sie selber, die sind alle ganz neu, die hat noch keiner getragen.« - »Pass nur auf, dass du nicht reinschneidest«, warnt der Alois sie leise. Aber Anni lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, schon gar nicht von ihrem Ehemann, und erwidert nur lakonisch: »Das seh' ich schon, wenn ich ein Loch drinnen habe.«
Schon über fünfzig Jahre sind Anni und Alois verheiratet. Und wie das so ist, wenn man sich tagein, tagaus sieht und miteinander lebt - gewöhnt man sich aneinander und entwickelt gemeinsame Gewohnheiten. Anni, die Quirlige, die Lebhafte - Alois, der Sanfte, Ruhige, Beschauliche, sie sind ein Paar, das grundverschieden ist, aber trotzdem gut miteinander auskommt. Nie enden ihre Gespräche im Streit. Sie führen eine Ehe, in der Humor und Gutmütigkeit wichtig sind, und sie werden sich gut vertragen, so lange bis der Erste von ihnen endgültig gehen muss.
»Ich muss hundert Jahre alt werden, bis ich meine selbst genähten Schürzel alle auftragen kann«, hat sich die Anni ausgerechnet. Fast immer muss sie die geschenkten Sachen umnähen, weil sie kräftiger gebaut ist als die Vorgängerinnen. Die aufgetrennten Teile stückelt die Anni dann wieder von Neuem zusammen und wenn ihr der Ausgangsstoff nicht langt, dann näht sie halt einfach einen anderen Stoff mit anderem Muster in die neue Schürze rein. »Zwiefarbige Schürzel«, die hat sie gerade genug. Aber für den Werktag langen sie, erklärt die Anni pragmatisch. Und wenn eines bei der Arbeit ein Loch bekommt, dann wird es liebevoll geflickt, und zwar immer wieder.
»Des mit dem Wegwerfen haben wir nicht gelernt«, erklärt die Anni ernst. Bei den Sigls, auf ihrem Einödhof, ist die Konsumgesellschaft noch nicht angekommen. So hat die Anni ihr Lieblingsschürzel für den Sommer schon über zehn Mal geflickt und inzwischen schaut es fast aus wie ein Gemälde von Hundertwasser - so kunterbunt ist es durch die Ausbesserei geworden. Jedes Mal, so beteuert die Anni, ist es das letzte Mal, dass sie dieses Schürzel flickt. Aber so recht glauben will man ihr nicht.
An ihrer uralten Nähmaschine sitzt Anni in der bescheidenen Wohnstube und rettet mit dem Flicken ihr Weltverständnis. Von klein auf hat sie das Sparen lernen müssen. Erst wenn es gar nicht mehr anders ging, hat man Kleidung früher zusammengeschnitten und als Putzlumpen hergenommen.Warum bloß werfen die Leute heute so viel weg? Das ist für sie der Anfang vom Ende - angesichts von solcher Verschwendung muss sie fassungslos den Kopf schütteln.
Anni ist im Krieg aufgewachsen. Essen und Kleider waren damals Mangelware. Das war zwar schlimm, aber weil es allen in ihrem Heimatdorf so erging, war es vielleicht etwas weniger tragisch als heutzutage ein Hartz-IV-Empfänger in Starnberg zu sein. Ihre Kommunion fiel mitten in den Krieg, wo selbst einfache Stoffe rar waren. Deshalb hat damals ihre Mutter das Kommunionkleid aus einem schlichten, weißen Betttuch genäht. Ein »Not-Kleid«, das auch noch ihre beiden jüngeren Schwestern zur Kommunion tragen mussten.
Von ihrer Mutter hat die Anni schon als junges Mädchen Nähen und Stricken gelernt. »Ich hab' oft im Winter zwanzig bis dreißig Paar Socken stricken müssen und meine Brüder sind Schlitten gefahren«, ärgert sich die Anni noch heute über die ungerechte Behandlung. Und die Socken? »O mei, die waren alle aus Schafswolle, die haben schrecklich gekratzt«, denkt sie an ihre raue Kindheit zurück.
Copyright © 2012 by Ludwig Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Innerhalb von drei Jahren entstanden über das Leben von Anni und Alois dann drei Filme, jeweils eine halbe Stunde lang, die im Bayerischen Fernsehen gesendet wurden. Betreut von BR-Redakteur Jörg Michael Schmid, der die beiden - vor allem seit er sie selbst besucht hat - ins Herz geschlossen hat. Ihm war vor allem wichtig, ihren Lebensstil für künftige Generationen festzuhalten. Rund 18 Drehtage haben die beiden bis heute bravourös gemeistert, ohne Scheu vor der Kamera, immer ganz bei sich. So habe ich mit dem Filmteam Anni und Alois über das ganze Jahr begleiten können und ihr Leben auf dem Einödhof dokumentiert. Mit am meisten hat mich beeindruckt, wie selbstverständlich die beiden als Selbstversorger leben und wie wichtig ihnen gute Lebensmittel sind. Seit mehreren Jahren porträtiere ich im Bayerischen Fernsehen Menschen, die wieder unabhängig wirtschaften und herstellen wollen - aber sich das Wissen meist mühsam aneignen müssen, wie zum Beispiel beim Brotbacken, Kleidernähen, Bienenhalten etc.
Anni und Alois dagegen müssen niemanden fragen und sich nichts anlesen, sie leben dieses autonome Wirtschaften ganz selbstverständlich.
Seit den Filmen ist die Zahl der Anrufer bei den Sigls erheblich gestiegen und vor allem die Anni ist bekannt - so sagt sie selbst - wie ein »bunter Hund«. Dem zurückhaltenden Alois ist der Rummel manchmal schon zu viel, am liebsten würde er sein Sonntagsbier in der Dorfwirtschaft in Ruhe trinken.
Parallel zu den Filmen wurde mir bald klar, dass ich über Anni und Alois auch ein Buch schreiben wollte. So konnte ich schließlich noch mehr über ihren außergewöhnlichen Alltag erzählen. Mit dieser Idee stieß ich bei dem renommierten Fotografen Stefan Rosenboom auf offene Ohren. Sofort war er Feuer und Flamme für das Thema und wir besuchten - erst einmal ohne Verlag und Vertrag - das alte Ehepaar mehrmals im Jahr. Bepackt mit Diktiergerät, zwei Leicas und vielen Fragen, wurden wir jedes Mal herzlich empfangen auf dem Einödhof. Eierreiche Pfannkuchen, deftige Schnitzel und süße Apfelkuchen, mit denen uns die Anni großzügig bewirtete, ließen uns allerdings manchmal mehr an einen kleinen Mittagsschlaf denken als an konzentrierte Arbeit.
Das Buch, das wir entwickelt haben, begleitet Anni und Alois durch das Jahr. Es beginnt im Januar, wo die zwei gegen die Schneemassen kämpfen, und endet einen Tag vor Weihnachten, quasi am Jahresschluss. Es ist entstanden aus vielen Niederschriften, die ich von stundenlangen Monologen und Dialogen der beiden gemacht habe. Ziel war es, möglichst wirklichkeitsgetreu das Leben von Anni und Alois widerzuspiegeln. Es sollte kein romantisierender Blick auf die beiden sein. Den lässt schon die Anni nicht zu, die sagt: »Das einfache Leben macht viel Arbeit. Da fliegen einem nicht die gebratenen Tauben ins Maul.« Früh aufstehen, hart arbeiten, wenig Komfort - das muss man erst einmal schaffen und auch noch damit zufrieden zu sein. Auf viele mag dieser Lebensstil heute befremdlich wirken, aber der große chinesische Philosoph Laotse gibt den alten Menschen im Bayerischen Wald recht: »Der große Weg ist sehr einfach, aber die Menschen lieben die Umwege.«
Schnee
Im Winter ist es besonders einsam auf dem Einödhof von Anni und Alois. Vor allem, wenn der Schnee tagelang um den alten Hof weht und die Wege einschneit. Unzählige Flocken decken dann die Heimat der alten Eheleute zu mit ihrem weißen, schweren Mantel. Fast jeden Tag schaufelt sich das Ehepaar durch die Schneemassen, gräbt sich die Wege frei, legt die Fenster frei - nur damit es in der Nacht wieder alles zuschneit und am nächsten Morgen die gleiche Prozedur von vorn losgeht. Aufhören, Pause machen, krank sein gibt es nicht in der kalten Jahreszeit für Anni und Alois.
»Wenn er brennen täte, dann würde ich ihn anzünden «, sagt die Anni wild entschlossen. Seit Stunden schaufelt sie mit voller Kraft auf einen stetig wachsenden Haufen. Mit dem Anzünden - so lacht sie - meint sie natürlich nicht ihren Ehemann Alois, sondern ihren Hauptfeind: den ewigen, immerwährenden Schnee. Einen Meter fünfzig hoch liegt er heuer schon und nur auf schmalen Wegen können die beiden noch zum Hühnerstall oder zu ihrem Traktor kommen.
»Das Schlimmste ist der Pulverschnee«, erklärt uns Anni, die Expertin. »Wenn dann der Ostwind kommt, treibt es ihn von den Dächern runter, bläst ihn rund um das Haus und dann können wir gar nicht mehr aus den Fenstern schauen.« Dabei sieht man doch, wenn der Himmel klar ist, von ihrem Wohnzimmer aus fast alle Bayerwaldberge, den Rachel, den Lusen, den Arber - ihre Heimat.
Mehr als ein halbes Jahrhundert leben Anni und Alois Sigl schon hier, in einem kleinen alten Einödhof am Rande des Dorfes Innernzell im vorderen Bayerischen Wald. In dem bescheidenen Haus haben sie ihre vier Söhne großgezogen, Anni hat hier ihre Schwiegermutter bis zu deren Tode gepflegt und dabei haben Anni und Alois fast nie etwas verändert an ihrem Heim. Bis heute haben sie kein Bad, keine Toilette, keine Heizung und keine gepflasterten Wege. Aber trotzdem sind sie zufrieden damit, wie es ist. Auch ohne Auto, ohne Urlaub und mit den 550 Euro Rente, die sie im Monat bekommen.
Auf einem Zettel rechnet die Anni ihre finanzielle Lage durch. Und ihr Einmaleins der Bescheidenheit ergibt: 500 Euro brauchen die beiden monatlich für Telefon, Fernseher, Strom, Versicherungen und für ihre Lokalzeitung. So verbleiben nur noch klägliche 50 Euro für Kleidung und Essen. Wie gut, dass Anni vieles selbst anbaut und eine große Vorratshaltung betreibt. Fleisch, Kartoffeln, Äpfel, Nüsse - alles findet man in Annis großen Gefriertruhen oder Vorratsräumen. Sogar den Tabak für ihren Alois baut die resolute Bäuerin im Sommer selbst im Gemüsebeet an. Ihr sanftmütiger Ehemann raucht eben gern und verbieten würde es ihm die Anni nie. Auch wenn die Tabakpflanzen im Garten schon ein seltsamer Anblick sind - eine Lösung à la Anni, die Pflanzen und Tiere liebt und ein Händchen für sie hat.
Doch von November bis April kann Anni nur von ihren wunderbaren Blumen und ihrem üppigen Gemüsebeet träumen: »Im Bayerischen Wald gibt es ein Sprichwort: ›Ein Dreivierteljahr Winter, ein Vierteljahr kalt‹«, das ist eines von Annis Lieblingszitaten. Immer wieder kann sie sich über diesen absurden Spruch amüsieren. Seit Stunden steht sie nun schon mit ihrem Alois draußen, um den Neuschnee auf die Seite zu räumen. Der Schnee ist jedes Jahr eine Heimsuchung für Anni und Alois. Manchmal fällt sie schlimmer aus, manchmal etwas weniger schlimm. Jeder Wetterbericht ist für die beiden im Winter ein kleiner Krimi - Ausgang ungewiss.
»Uns schneit es nicht ein«, erklärt die Anni resolut und sticht dabei besonders tief und energisch in die weiße Masse hinein. »Wir kommen durch, wir sind das gewohnt«, sagt sie und lacht zum Alois rüber. »Ja, da kann man nix machen, wenn es so viel Schnee herhaut «, meint der noch gottergeben. Die alten Leute sind nicht verzweifelt und wenn sie es wären, sie würden es nicht zugeben. Jammern, das hat noch keinem geholfen. Selbst die Anni, die schon mehrere Bandscheibenvorfälle hatte, sagt nur einsilbig: »Das geht schon ins Kreuz.« Manchmal kommt sie am Abend gekrümmt daher wie ein Fragezeichen.
Eines der schlimmsten Schneejahre, an das beide sich erinnern können, war 2006. »Da ist sogar die Feuerwehr am Silvesterabend gekommen und hat uns die Dächer freigeschaufelt«, berichtet die Anni. Drei Meter hoch war damals der Schnee. Und auch Anni und Alois sind an diesem unvergesslichen Abend mit aufs Dach gestiegen, um zu helfen. Alois tief vermummt mit dickem Anorak, Handschuhen und Mütze - die rührige Anni nur mit ihrer Schürze und nackten Armen. Stunde um Stunde kämpften sie dort oben gegen den Jahrhundertschnee. Schaulustige standen rund um ihr Haus und beobachteten die alten Leute, wie sie mit ihrem ungeheuren Willen gegen den weißen Feind angingen. »Dich erfriert es dort oben am Dach noch«, schrie damals eine Frau aus dem Dorf gehässig zu der leicht bekleideten Anni hoch. Darüber kann die Anni noch heute lachen. Und zwar so herzhaft, dass man ihre spärlichen drei Zähne sehen kann. »Mir ist halt gleich zu warm«, sagt sie entschuldigend, aber auch stolz, weil sie kein Weichei ist. »Ich brauch' es warm, ich mag mich nicht erkälten«, entschuldigt sich der Alois, der nicht so stämmig gebaut ist wie die Anni. »Du hast halt mehr Speck wie ich«, setzt er noch charmant eines obendrauf. »Ja, das stört mich nicht«, lächelt die Anni selbstbewusst und auch Alois schmunzelt, weil auf seine Anni, da lässt er nichts kommen.
Wenn der Schnee draußen eine Pause einlegt, dann sitzt die Anni im Winter gern in der Stube, dem einzigen beheizten Raum auf dem Hof, und näht, strickt oder macht andere Handarbeiten. »Alles, was man noch brauchen kann, wird bei uns nicht weggeworfen«, erzählt die Anni vom Sofa her. Auf dem Boden steht eine Waschschüssel voll unbenützter Schürzen, die ihr eine Bekannte aus Innernzell weitervererbt hat. »Die Jungen ziehen so etwas sowieso nicht mehr an«, kommentiert die Anni ihre geschenkten Kleider. »Die haben heute alle nur Jeanshosen an.« Aber sie schätzt diese Omaschürzen.
Mühselig trennt sie die alten Stoffe auf, Stich für Stich. Dabei helfen der Anni ihre »Winterfenster« - so nennt sie ihre Brille - und der Alois. Geduldig hält er die Ärmel fest, denn dann tut sich die Anni leichter. »Ja mei, wenn des Sach' nichts kostet«, murmelt er vor sich hin. »Warum denn nicht.« Und die Anni fällt begeistert ein: »Das sind die billigsten Schürzeln. Umändern kann ich sie selber, die sind alle ganz neu, die hat noch keiner getragen.« - »Pass nur auf, dass du nicht reinschneidest«, warnt der Alois sie leise. Aber Anni lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, schon gar nicht von ihrem Ehemann, und erwidert nur lakonisch: »Das seh' ich schon, wenn ich ein Loch drinnen habe.«
Schon über fünfzig Jahre sind Anni und Alois verheiratet. Und wie das so ist, wenn man sich tagein, tagaus sieht und miteinander lebt - gewöhnt man sich aneinander und entwickelt gemeinsame Gewohnheiten. Anni, die Quirlige, die Lebhafte - Alois, der Sanfte, Ruhige, Beschauliche, sie sind ein Paar, das grundverschieden ist, aber trotzdem gut miteinander auskommt. Nie enden ihre Gespräche im Streit. Sie führen eine Ehe, in der Humor und Gutmütigkeit wichtig sind, und sie werden sich gut vertragen, so lange bis der Erste von ihnen endgültig gehen muss.
»Ich muss hundert Jahre alt werden, bis ich meine selbst genähten Schürzel alle auftragen kann«, hat sich die Anni ausgerechnet. Fast immer muss sie die geschenkten Sachen umnähen, weil sie kräftiger gebaut ist als die Vorgängerinnen. Die aufgetrennten Teile stückelt die Anni dann wieder von Neuem zusammen und wenn ihr der Ausgangsstoff nicht langt, dann näht sie halt einfach einen anderen Stoff mit anderem Muster in die neue Schürze rein. »Zwiefarbige Schürzel«, die hat sie gerade genug. Aber für den Werktag langen sie, erklärt die Anni pragmatisch. Und wenn eines bei der Arbeit ein Loch bekommt, dann wird es liebevoll geflickt, und zwar immer wieder.
»Des mit dem Wegwerfen haben wir nicht gelernt«, erklärt die Anni ernst. Bei den Sigls, auf ihrem Einödhof, ist die Konsumgesellschaft noch nicht angekommen. So hat die Anni ihr Lieblingsschürzel für den Sommer schon über zehn Mal geflickt und inzwischen schaut es fast aus wie ein Gemälde von Hundertwasser - so kunterbunt ist es durch die Ausbesserei geworden. Jedes Mal, so beteuert die Anni, ist es das letzte Mal, dass sie dieses Schürzel flickt. Aber so recht glauben will man ihr nicht.
An ihrer uralten Nähmaschine sitzt Anni in der bescheidenen Wohnstube und rettet mit dem Flicken ihr Weltverständnis. Von klein auf hat sie das Sparen lernen müssen. Erst wenn es gar nicht mehr anders ging, hat man Kleidung früher zusammengeschnitten und als Putzlumpen hergenommen.Warum bloß werfen die Leute heute so viel weg? Das ist für sie der Anfang vom Ende - angesichts von solcher Verschwendung muss sie fassungslos den Kopf schütteln.
Anni ist im Krieg aufgewachsen. Essen und Kleider waren damals Mangelware. Das war zwar schlimm, aber weil es allen in ihrem Heimatdorf so erging, war es vielleicht etwas weniger tragisch als heutzutage ein Hartz-IV-Empfänger in Starnberg zu sein. Ihre Kommunion fiel mitten in den Krieg, wo selbst einfache Stoffe rar waren. Deshalb hat damals ihre Mutter das Kommunionkleid aus einem schlichten, weißen Betttuch genäht. Ein »Not-Kleid«, das auch noch ihre beiden jüngeren Schwestern zur Kommunion tragen mussten.
Von ihrer Mutter hat die Anni schon als junges Mädchen Nähen und Stricken gelernt. »Ich hab' oft im Winter zwanzig bis dreißig Paar Socken stricken müssen und meine Brüder sind Schlitten gefahren«, ärgert sich die Anni noch heute über die ungerechte Behandlung. Und die Socken? »O mei, die waren alle aus Schafswolle, die haben schrecklich gekratzt«, denkt sie an ihre raue Kindheit zurück.
Copyright © 2012 by Ludwig Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Julia Seidl, Stefan Rosenboom
Seidl, JuliaJulia Seidl, Jahrgang 1965, verbrachte ihre Kindheit in Niederbayern. Einfache Menschen und besondere Lebensläufe faszinierten sie schon damals. Deshalb wurde sie Journalistin - mit Lust an der Recherche und am Porträt. Seit 1997 arbeitet sie als Filmautorin für das Bayerische Fernsehen, 2010 wurde ihr vom Münchner Presse-Club der Herwig-Weber-Preis verliehen. Mit ihren Töchtern Emma und Antonia lebt sie im Münchner Westen.Stefan Rosenboom wurde 1966 in Frankfurt am Main geboren. Seine Fotoarbeiten haben die Schwerpunkte Natur, Wildnis Afrika, Landschaft und Reportage. Er arbeitet für renommierte Magazine, Buch- und Kalenderverlage und für namhafte Firmen der Outdoorbranche. Er ist Preisträger des Dia-Festivals ElMundo in den Kategorien "beste Präsentation" (2007 und 2008) und "beste Fotografie" (2008). Stefan Rosenboom lebt mit seiner Frau Susanne Gogolok und Tochter Silja in Oberbayern.
Rosenboom, Stefan
Stefan Rosenboom wurde 1966 in Frankfurt am Main geboren. Seine Fotoarbeiten haben die Schwerpunkte Natur, Wildnis Afrika, Landschaft und Reportage. Er arbeitet für renommierte Magazine, Buch- und Kalenderverlage und für namhafte Firmen der Outdoorbranche. Er ist Preisträger des Dia-Festivals ElMundo in den Kategorien "beste Präsentation" (2007 und 2008) und "beste Fotografie" (2008). Stefan Rosenboom lebt mit seiner Frau Susanne Gogolok und Tochter Silja in Oberbayern.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
- 2012, 197 Seiten, 30 farbige Abbildungen, 30 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,3 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ludwig, München
- ISBN-10: 3453280431
- ISBN-13: 9783453280434
- Erscheinungsdatum: 29.10.2012
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