Auge des Mondes
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Doch dann verschwindet Bastet, und mit ihr alle Katzen der Stadt. Mina will nicht glauben, was die Menschen sich erzählen: dass die Göttin Bastet nach einer grausamen Opfergabe verlangt. Entschlossen geht sie den ungeheuerlichen nächtlichen Vorgängen nach und entdeckt eine Intrige, die Schreckliches zum Ziel hat. Ihre Widersacher machen auch vor Mord nicht halt, doch Mina sucht mutig weiter nach der Wahrheit.
Auge des Mondes von Brigitte Riebe
LESEPROBE
Nachts gehörten die flachen Dächervon Per-Bastet den Katzen, und auch tagsüber schienen die einstmals so scheuenTiere die Stadt mehr und mehr in Besitz zu nehmen, so dreist trieben sie sichinzwischen überall herum. Nur auf dem Markt wurden sie immer verjagt, obwohl esdort so verführerisch roch. Unverrückbar blieb er Domäne der Frauen, die alleunverschämten Bettler und Räuber in Tiergestalt verscheuchten. Die erstenHändlerinnen erschienen jeden Morgen sehr früh, um sich die besten Plätze zusichern. Kaum hatte Re seine Nachtmeerfahrt beendet und stieg als glühenderSonnenball am östlichen Horizont neu empor, begannen sie schon emsig denstaubigen Boden zu fegen und ihre Waren auszulegen: manche auf leinenen Tüchern,andere auf Binsenmatten, wieder andere in Körben, die ebenfalls aus Papyrusgeflochten waren, der hier im Delta verschwenderisch wie Unkraut wucherte.
Mina kannte jede von ihnen, ebensowie das, was sie Tag für Tag feilzubieten hatten: je nach Jahreszeit Zwiebeln, Bohnen,Linsen und Hirse, dazu die grünen, frischen Lauchstangen, Gurken, Dill,Koriander, Bockshornklee und glutrote Safranfäden, die zwar sündhaft teuer, aberdennoch äußerst begehrt waren. Andere offerierten Feigen, Datteln undGranatäpfel oder schichteten kleine Kuchen aus Mehl und Honig zu klebrigenKegeln auf, während breitfüßige Bäuerinnen sich bemühten, ihre auf- gebrachtenHühner- und Entenscharen, die sich aufführten, als ahnten sie bereits, dass ihrEnde nicht mehr lange auf sich warten ließ, in den überfüllten Käfigen zubeschwichtigen.
Am späteren Vormittag gesellten sichdann die Wunderfrauen dazu, mit duftenden Kräutergirlanden um den Hals, sichbrüstend, mit ihren geheimen Rezepturen jeder nur denkbaren Unpässlichkeit denGaraus machen zu können: Von Tinkturen für Glatzköpfige, die neu sprießenden Haarwuchsverhießen, über verschiedenste Fruchtbarkeitszauber bis hin zu Medizin gegenSchlaflosigkeit und Impotenz reichte ihr Repertoire.
Danach wurde es Zeit für denSchlangenbeschwörer, einen dünnen, verwahrlosten Kerl mit verfilzten Haaren, begleitetvon einer alten Kobra, die längst ihre Giftzähne verloren hatte und mit ihremmatten Schlängeln gerade noch furchtsamen Mäusen Angst einflößen konnte. Wie vonZauberhand waren mit einem Mal auch die Akrobaten da, die sich als lebendeMenschenpyramiden mit halsbrecherischen Kunststücken aufeinanderstapelten.
Bis zuletzt schließlich das Häufleinder Geschichtenerzähler eintrudelte, unter denen Mina als ungekrönte Königingalt. Sie brauchte kein Krokodil wie Sedi, der Aufschneider, der eineneinäugigen Kaiman abgerichtet hatte, um mit seiner Hilfe die Schrecken desKrokodilgottes Sobek heraufzubeschwören; ebenso wenig hatte sie es nötig, sichstark riechender Essenzen zu bedienen, deren Dämpfe die weißhaarigenZwillingsschwestern aus ihren verbeulten Räucherbecken aufsteigen ließen, um genügendZuhörer anzulocken. Mina verließ sich ganz auf die Kraft der Sprache, für sieseit jeher die stärkste und machtvollste aller Waffen.
Sie wusste, worauf es ankam,vertraute ihrem Gespür für den richtigen Einsatz. Zu früh zu beginnen konnte bedeuten,dass die weibliche Aufmerksamkeit noch auf den Erwerb von Lauch und Zwiebelngerichtet war, zu spät, dass die Frauen sich in Gedanken bereits wieder an derheimischen Kochstelle eingefunden hatten.
Meistens überlegte sie nicht einmal,womit sie anfangen solle, sondern überließ es der Geschichte, schwerelos ausihrem Inneren aufzusteigen, wo sie ein riesiges Reservoir als ihren kostbarstenSchatz hütete. Sie begann leise, fast beiläufig, als spreche sie zu sichselber, eine vielfach erprobte Methode, um erste Neugierige anzulocken. Kaumhatten sie einen aufmerksamen Kreis um die Erzählerin gebildet, hob sie dieStimme und ließ ein paar Bewegungen einfließen. Ein zweiter Kreis formte sich, dannein dritter, bis schließlich eine dichte Traube von Zuhörerinnen Minna engumschloss. Dann erst steigerte sie Tempo, Spannung und Mimik. Wenn nun endlichalle Mina fasziniert anstarrten und kaum noch zu schlucken wagten, aus Furcht,das Wichtigste zu verpassen, dann kreiste das Glück wie starker, würziger Weinin ihrem Kopf.
Das Ende kam eigentlich immer zuschnell, egal, wie geschickt sie es auch hinausgezögert hatte. Sie sah es an denGesichtern, die plötzlich wieder verdrossen waren, an der Unwilligkeit, mit derdie Menschen sich zerstreuten, als würden sie am liebsten weiterhin Schulter anSchulter beisammenstehen und atemlos alles in sich aufsaugen. Dann überfielauch Mina Müdigkeit, der Beginn einer großen Ruhe, die langsam durch ihrenKörper rieselte.
Diese Schlacht war erfolgreich geschlagen.Jetzt galt es durchzuatmen, bevor sie sich für die nächste rüstete. Das warendie guten Momente, die sich bis in ihre Träume stahlen, doch gelegentlich ginges auch weniger erfreulich zu. So auch heute, nachdem schon der Tagesanbruch sounerträglich schwül gewesen war, als hätten die Tränen der Isis bereits dengroßen Fluss steigen lassen.
Dabei waren es noch gute drei Wochenbis zum Neujahrsfest, wo mit achet die Jahreszeit der Überschwemmung einsetzenwürde und die Bauern ihre Feldarbeit beenden mussten, um nicht in den Flutendes Nils zu ertrinken. An den Ufern traf man gerade die letzten Vorbereitungen:Dämme wurden verstärkt, Bewässerungsgräben gereinigt, neue Auffangbeckenausgehoben. Allerdings war bislang die erfrischende Brise ausgeblieben, dieMensch und Tier sonst bei der Arbeit friedlich stimmte.
Stattdessen machte die drückendeFeuchte heute alle mürrisch und gereizt, wozu auch noch das schrilleKatzengeschrei beitrug, das von der nah gelegenen Tempelanlage herüberdrang. Esmussten Aberdutzende sein, die sich dort auf engem Raum empörten, so zumindesthörte es sich an. Wieso führten sie sich so auf, wo doch ohnehin alles nachihrem Willen lief?
Schon den Kleinsten in Per-Bastetwar geläufig, wie sehr die Tempelkatzen als geliebte Kreaturen der Bastet vonder Priesterschaft verwöhnt und verhätschelt wurden. Sie tränkten und füttertensie verschwenderisch, bürsteten und streichelten sie und begruben sie sogar mitihrem Lieblingsspielzeug, während draußen in den Gassen der Stadt Menschenverhungerten, um die man sich sehr viel weniger scherte.
Minas frühere Zuneigung zu diesengeschmeidigen Fellwesen war seit einiger Zeit verflogen, genau genommen, seitdie Göttin ihr so hartnäckig die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunschesverweigert hatte. Seitdem waren ihr Katzen gleichgültig geworden, manchmalsogar lästig, und mehr und mehr überkam sie das beklemmende Gefühl, als würdensie sich buchstäblich über Nacht vermehren.
Sie zog die Stirn kraus, hob ihreStimme um eine Nuance, was die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlte, war abernoch immer nicht zufrieden. Sie hatte sich für Lüge und Wahrheit entschieden,was sie freilich schon nach den ersten Sätzen bereute, denn der Funke wollte heutenicht recht zünden. Doch jetzt war es zu spät, um noch etwas daran zu ändern.Für Liebesgeschichten war sie wahrlich nicht in Stimmung, und die wundervollen altenVerse über Isis und Osiris, die sie so liebte, waren für sie schon lange tabu.Weshalb diese Kostbarkeiten an Leute verschwenden, die sich bereitwillig unterder Perserherrschaft duckten, als sei Kemet nicht einst ein freies, stolzesReich gewesen? ()
© Diana Verlag
- Autor: Brigitte Riebe
- 2007, 303 Seiten, Maße: 11,9 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453351495
- ISBN-13: 9783453351493
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