Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt
Roman. Originalausgabe
Endlich hat das Warten ein Ende! Nach "Tante Inge haut ab" und "Urlaub mit Papa" nimmt uns Dora Heldt wieder mit auf Reisen. Neues Personal, neues Glück, neue Vergnüglichkeit!
Doris wird bald 50. Das ist schon Katastrophe...
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Taschenbuch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt “
Endlich hat das Warten ein Ende! Nach "Tante Inge haut ab" und "Urlaub mit Papa" nimmt uns Dora Heldt wieder mit auf Reisen. Neues Personal, neues Glück, neue Vergnüglichkeit!
Doris wird bald 50. Das ist schon Katastrophe genug. Da ist das Letzte, was sie will, mit ihrer ganzen Familie in einem Spießer-Restaurant essen zu gehen und so zu tun, als wäre alles gut. Noch dazu, wo sie doch immer diese inneren Hitzen hat und sich fühlt, als wäre sie ein erstklassiger Pelletofen. Nein, da haut sie lieber ab und gönnt sich mit ihren Schulfreundinnen Katja und Anke ein Wellness-Wochenende an der Ostsee. Ob Dampfbad und Pediküre helfen, ihr Leiden zu verringern? Vorerst schon. Doch dann - wie sollte es auch anders sein? - platzt die Bombe. Ausgerechnet bei Erdbeeren und dem guten Champagner.
Klappentext zu „Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt “
Sauna, Hot Stones, Schweißausbrüche Ein köstlich unterhaltender Frauenroman in einem Wellnesshotel an der Ostsee.
Eine humorvolle Geschichte über das, was Frauen in den Wechseljahren umtreibt, was sie verdrängen oder mit allen Tricks bekämpfen, wie sie leiden und sich lächerlich machen im verzweifelten Versuch, der Natur ein Schnippchen zu schlagen.
Kurzweilig und voll sprühendem Wortwitz: von Bestsellerautorin Dora Heldt
Gibt es etwas Schlimmeres, als den 50. Geburtstag in einem spießigen Lokal mit der Familie feiern zu müssen, Geschäftskollegen des Mannes und Nachbarn inklusive? Doris (49) sucht ihr Heil in der Flucht: Dem gefürchteten Datum will sie lieber mit ihren ehemaligen Schulfreundinnen Katja und Anke die Stirn bieten - bei einem Wellness-Wochenende an der Ostsee, mit allem Drum und Dran. Früher, zu Schulzeiten, waren die Erwartungen der drei ans Leben hoch. Aber wer gibt schon gerne zu, dass nicht alles nach Wunsch gelaufen ist? Den großen Knall kann dann aber selbst die beste Hot-Stone-Massage nicht verhindern ...
»Der 50. Geburtstag: ein Graus? Nicht mit diesem Buch!« Gesa Kiecksee in der 'Laura'
Lese-Probe zu „Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt “
Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt von Dora Heldt EINLADUNG
Liebe Familie und liebe Freunde,
wie Ihr hoffentlich alle wisst, wird Doris am 27. Mai flotte fünfzig. Das ist für mich ein Anlass, alle alten Freunde einmal wieder um uns zu versammeln, damit dieses Fest auch gebührend gefeiert wird. Doris würde das bestimmt genauso sehen, wenn sie es denn wüsste. Das Schöne an dieser Überraschungsparty ist aber: Das Geburtstagskind hat noch keine Ahnung. Damit das so bleibt, bitte ich Euch, an diesem Tag um 12 Uhr pünktlich am Gasthof Hanske bei uns in der Straße zu sein. Natürlich feiern wir nicht dort, sondern machen mit dem bereitstehenden Bus eine kleine Fahrt (ca. 45 Minuten) zur eigentlichen Location. Das klingt umständlich, aber wir wollen Doris ja überraschen. Ich hoffe, Ihr unterstützt mich bei diesem Plan, kommt alle zum Feiern und freut Euch genauso wie
Euer Torsten
... mehr
Im Treppenhaus roch es nach angebratenen Zwiebeln. Anke stellte ihren Einkaufskorb auf dem Boden ab und schloss den Briefkasten auf. Drei Wurfsendungen und mehrere kleine Umschläge fielen ihr entgegen. Den Aufkleber »Keine Werbung« hätte sie sich auch sparen können, er wurde von diesen Zustelltrotteln mit einer Konsequenz ignoriert, die sie zur Mörderin machen könnte. Sie schloss die kleine Metalltür und stopfte die gesamte Post zwischen ihre Einkäufe, bevor sie die sechsundvierzig Stufen zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Ihr rechtes Knie knirschte. »Arthrose«, hatte der Hausarzt vor einem halben Jahr diagnostiziert, »das kann mit fast fünfzig schon mal sein. Gehen Sie schwimmen, Bewegung hilft.« Seitdem ging sie jeden zweiten Tag ins Hallenbad. Ihr Knie knirschte trotzdem. Dafür war sie jetzt öfter erkältet. Und jeden Monat um zwanzig Euro ärmer, so viel kostete das Frühschwimmerticket. Sie würde es Ende des Monats kündigen. Sie konnte Chlorgeruch um halb sieben sowieso nicht leiden.
In ihrer Wohnung angekommen ließ sie die Tür hinter sich zufallen und lehnte sich schwer atmend dagegen. Irgendwann, das wusste sie, irgendwann würde sie in eine Wohnung umziehen, zu der höchstens vier Stufen führten. Oder ein Fahrstuhl. Sie schlüpfte aus den Sandalen, drückte die Taste für den Anrufbeantworter und lief barfuß unter der Stimme ihrer Schwester in die Küche. »Hallo, Anke, ich bin es, Martina. Du, Jörg und ich sind am Samstag eingeladen und kriegen keinen Babysitter für Jasper. Kannst du ihn abholen? Sei doch so gut und ruf mal zurück. Wir machen es auch wieder gut. Bis später. Tschüss, tschüss.« Mit einem Seufzer begann Anke, ihre Einkäufe wegzuräumen. Ob ihre Schwester jemals einen Gedanken darauf verschwendete, sie, Anke, könnte einfach mal etwas vorhaben? Es war doch nicht selbstverständlich, dass Jaspers Patentante jeden Samstag allein auf dem Sofa verbrachte. Davon ging Martina aber aus. Bereits zum dritten Mal in diesem Monat sollte sie als Babysitter für ihren siebenjährigen Neffen einspringen. Der ja nichts dafür konnte und zauberhaft war. Nur deshalb ließ sie sich jedes Mal darauf ein. Trotzdem hatte sie überhaupt keine Lust, sich von Martina dauernd ausnutzen zu lassen. Das Los der Älteren, dachte sie kopfschüttelnd, sie war eben immer noch Babysitter. Früher für die kleine Schwester, jetzt für deren Sohn. Die perfekte kleine Martina, inzwischen schön, klug, reich, Ärztin, Ehefrau, Mutter war immer noch die beste aller Töchter. Die alles locker unter einen Hut brachte, ob Praxis, Kind oder Partys im Tennisclub. Dass die wunderbare Martina aber auch Gott und die Welt und vor allen Dingen ihre Schwester ständig einspannte, dagegen konnte man nichts sagen. Das war einfach gute Organisation. Anke bekam ganz langsam schlechte Laune. So wie meistens, wenn sie über Martina nachdachte. Weil diese Gedanken dann weiterliefen und irgendwann bei ihrer Mutter endeten. Entschlossen ließ sie die Kühlschranktür zufallen und wandte sich zurück. Dabei fiel ihr Blick auf den Poststapel, den sie achtlos auf den Küchentisch geworfen hatte. Als sie den obersten Brief umdrehte, zuckte sie zusammen. Er war handschriftlich adressiert, die Schrift war schwungvoll und energisch. Sie hätte sie auch erkannt, wenn der Absender gefehlt hätte. Mit dem Brief in der Hand füllte sie Wasser in die Kaffeemaschine und löffelte Kaffeepulver in die Filtertüte. Eins, zwei, drei, einen für die Kanne. Nach dem Knopfdruck setzte sie sich langsam, immer noch den Brief in der Hand, an den Tisch, starrte auf das Kuvert und warf es auf den Stapel. Sie würde warten, bis der Kaffee durchgelaufen wäre. Der Rest der Post bestand aus Rechnungen. Anke überflog die Summen und legte alles zur Seite. Sie musste sich mal wieder etwas ausdenken, die Nachzahlung ans Gaswerk hatte sie nicht auf dem Zettel gehabt. Das finale Gurgeln der Kaffeemaschine stoppte ihre Überlegungen. Sie stand auf, warf noch einen Blick auf den cremefarbenen Umschlag, nahm einen Becher aus dem Schrank und zog langsam die Kaffeekanne von der Wärmeplatte. Während sie die Milch in den Kaffee rührte, griff sie wieder nach dem Brief, wendete ihn und starrte auf den Absender. Nach all den Jahren war ihr immer noch komisch zumute, wenn sie den Namen las. Es war eine Melange aus Herzklopfen und Widerwillen, sehr seltsam. Mit angehaltenem Atem nahm sie ein Obstmesser und schlitzte den Umschlag auf. Sie überflog die Einladung und las danach die zweite Seite, atmete aus und las alles noch einmal langsam.
Hallo, Anke, jetzt ist unser dreißigjähriges Abiturtreffen schon wieder ein Jahr her und somit auch unser letztes Treffen. Müssen wir eigentlich immer Anlässe haben, um uns alle zu sehen? Das ist doch dämlich, oder? Aber wenigstens gibt es mal wieder einen Anlass. Ich weiß nicht, wann Du das letzte Mal mit Doris telefoniert hast und ob Du auf dem Laufenden bist, aber meine Frau weigert sich kategorisch, diesen Geburtstag zu feiern. Sie findet es demütigend, fünfzig zu werden. (Das waren tatsächlich ihre Worte.) Mir ist es ein Rätsel, warum sie sich solche Gedanken macht, also habe ich beschlossen, dass sie feiern muss. Wohin es geht, sage ich nicht, seid sicher, dass es ein toller Tag wird. Ich habe ja unsere ganze alte Clique eingeladen und bin mir sicher, die Stimmung wird wie früher sein, als wir noch alle jung und unerschrocken waren. Deswegen müsst Ihr dabei sein, Du und Katja, Ihr seid doch das Traumtrio gewesen. Also dann, denkt daran, dass alles topsecret ist, nicht, dass Doris doch noch etwas ahnt und einfach vorher durchbrennt. Jedenfalls freue ich mich auf ihr Gesicht. Liebe Grüße, Torsten P.S. Und bitte: Nichts verraten! Ich freue mich.
Anke ließ den Brief sinken und starrte aus dem Fenster. Was für eine bescheuerte Idee. Wenn Doris nicht feiern wollte, dann wollte sie eben nicht. Und es war klar, dass Torsten nicht kapierte, warum seine Frau diesen Geburtstag als demütigend empfand. Er war eben ein Mann und hatte früher
schon selten nachgedacht. Anke überlegte, wie lange sie sich eigentlich kannten. Es mussten fast fünfunddreißig Jahre sein. Großer Gott. Wie das schon klang. Uralt. Sie hatten zusammen Abitur gemacht. Doris, Katja und sie waren in einer Schülerzeitungsredaktion gewesen. Drei völlig unterschiedliche Mädchen, die sich gut ergänzten. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings waren sie ein gutes Team. Drei Preise hatte ihre Zeitung bekommen. Sie hieß ›Wilde Wörter‹. Chefredaktion Anke Kerner, Layout und Fotos Doris Goldstein, Text Katja Severin. Es war gefühlte zweihundert Jahre her. Mittlerweile hieß Doris nicht mehr Goldstein, sondern Goldstein-Wagner, natürlich ein Doppelname, so viel Zeit muss sein, und die Farbe von Katjas mahagonifarbener Mähne kam aus der Tube. Anke schob ihren Kaffeebecher zur Seite und strich den Brief glatt. Wirklich eine blöde Idee. Wie kam Torsten nur auf einen solchen Schwachsinn? Jetzt würde sie ihn auch noch anrufen müssen, um ihm zu sagen ... ja, was eigentlich? Dass sie an diesem Tag keine Zeit hätte? Und keine Lust? Das fehlte ihr noch: ein ganzer Tag sentimentales Geschwätz über alte Zeiten. Das Abitreffen vor einem Jahr und das Essen, zu dem Torsten kurz danach eingeladen hatte, waren ihr schon zu viel gewesen. Wie Doris wohl reagierte? Und ob Katja kommen würde? Mit Doris telefonierte sie ab und zu, allerdings rief sie selbst nie an. Immer nur Doris. Bei den letzten Telefonaten hatte Anke das Gefühl gehabt, Doris wäre ein bisschen angetrunken gewesen. Es war aber nur so ein Gefühl, das Telefonat hatte nicht lange genug gedauert. Sie hatten sich nicht mehr richtig viel zu erzählen. Mit Katja hatte sie tatsächlich bis zu diesem Abitreffen überhaupt keinen Kontakt gehabt. Katja Severin. Die Schönste der Schule. Alle Typen waren in sie verknallt, es war kaum auszuhalten gewesen. Und dann hatte sie natürlich die ganz große Karriere gemacht. Volontariat, Studium und anschließend Moderatorin eines täglichen Boulevardmagazins im Fernsehen. Anke hatte sie jeden Abend gesehen. Vor zwei Jahren war Katja dann plötzlich weg vom Bildschirm. Auf dem Treffen hatte sie erzählt, dass sie jetzt das Regionalbüro in Kiel leite, sie sei es leid, auf der Straße ständig erkannt zu werden. Wer's glaubt ..., hatte Anke im Stillen gedacht, aber zugeben müssen, dass Katja sich wirklich kaum verändert hatte. Sie sah aus wie Mitte dreißig und redete auch so. Anke fühlte sich alt und grau neben ihr, obwohl Katja ein halbes Jahr älter war. Manchmal werden Gene ungerecht verteilt, genauso wie das Geld, das man für Schönheitskorrekturen ausgeben muss. Entschlossen faltete Anke den Brief zusammen und schob ihn unter die Obstschale. Sie würde diese Albernheit nicht mitmachen, Sentimentalitäten wollte sie sich nicht leisten. Sie nicht. Mit einem Knirschen in den Knien stand sie auf und ging in den Flur, um ihre Schwester anzurufen. Bevor sie sich mit alten Geschichten herumschlüge, könnte sie auch telefonieren. Martina meldete sich nach dem zweiten Freizeichen. »Hallo, Anke, hast du deinen AB abgehört?« Wenn Anke irgendetwas nicht leiden konnte, dann waren es diese affigen Abkürzungen. »Ich höre den Anrufbeantworter immer ab. Wann müsst ihr denn am Samstag los?« Martinas Stimme klang wie immer gehetzt. »Spätestens um vier. Wir sind zu einer Gartenparty eingeladen, ein ehemaliger Studienkollege von Jörg. Die haben sich ein irres Haus direkt am Meer gekauft, das muss traumhaft sein, aber es sind sonst überhaupt keine Kinder da, und du weißt ja, wie Jasper nervt, wenn er sich langweilt. Also, du kannst ihn nehmen, ja?« Ankes Blick fiel auf ein Foto ihres Neffen, das im Regal stand. Er grinste in die Kamera, seine Zahnlücke war nicht zu übersehen, das blonde Haar verwuschelt. Er konnte ein Satansbraten sein, aber er wickelte Anke um den Finger. Martina war die Pause zu lang. »Mama hat Opernkarten, sie kann nicht. Was soll ich denn machen?« ›Absagen?‹, dachte Anke, hatte aber keine Lust, in eine Diskussion mit ihrer Schwester einzusteigen, die sie sowieso verlieren würde. »Okay, ich hole ihn gegen drei ab und bringe ihn Sonntagmittag wieder zurück. Und du ...« »Super«, unterbrach Martina sie, »auf dich ist doch Verlass. Jasper freut sich. Und irgendwann mache ich es auch mal gut und wir zwei gehen schön essen. Ich denk mir was aus!« Anke verzichtete auf einen Kommentar und verabschiedete sich.
Resigniert stieß Doris die Luft aus und musterte sich im Schlafzimmerspiegel. Der Knopf würde vielleicht zugehen, aber in keinem Fall der Reißverschluss, egal, wie sehr sie den Bauch einzöge oder den Atem anhielte. Dieser dämliche Rock war definitiv zu eng. Und zwar mindestens eine Größe. Und ausschließlich auf der Hüfte. Doris schob das Teil unwirsch an sich hinunter und ließ die zusammengerollte Stoffwurst achtlos auf dem Boden liegen. ›Jetzt wirst du auch noch fett‹, dachte sie wütend. Und das trotz Yoga und gesunder Ernährung. Diese verfluchten Hormone. Sie griff zu einer Jeans, die über dem Stuhl hing und schlüpfte hinein. Wenigstens die passte noch. Es wäre sowieso übertrieben, zu einem Friseurbesuch ein Designerkostüm anzuziehen. Trotzdem hatte sie diesen Rock nur einmal getragen, und das war erst ein Jahr her. Sie atmete tief aus, knöpfte die weiße Bluse zu und zog die Jacke an. Obenrum war alles in Ordnung, die Jacke ließ sich locker schließen. Es klingelte an der Haustür, das war wohl schon Frau Kröger, die nie ihren Schlüssel benutzte, wenn sie eines der Autos vor dem Haus parken sah. Doris warf einen abschließenden Blick in den Spiegel und ging nach unten, um ihre Putzfrau reinzulassen. »Guten Morgen, Frau Goldstein-Wagner, ich habe Ihren Wagen gesehen. Ich dachte, Sie wären mit Ihrem Mann bis Mittwoch verreist.« Doris ging ein Stück zur Seite, ließ Frau Kröger vorbei und folgte ihr in die Küche. Sie putzte schon seit fünfzehn Jahren bei ihnen, jeden Dienstag und Freitag. Mittlerweile hatte sie das Rentenalter erreicht, zum Glück war bislang kein Wort darüber gefallen, dass sie mit der Arbeit hier aufhören wollte. Obwohl es eigentlich übertrieben war, dass sie immer noch zweimal in der Woche kam, zumal Moritz, Doris' zweiter Sohn, seit einem halben Jahr auch ausgezogen und so aus einer vierköpfigen Familie ein Paar geworden war, das in einem viel zu großen Haus lebte. »Ich bin doch nicht mit nach Berlin gefahren. Mein Mann hat den ganzen Tag auf der Messe zu tun und ich hatte irgendwie keine Lust, drei Tage allein durch die Stadt zu laufen.« Frau Kröger schüttelte ungläubig den Kopf. »Also wirklich. Sie sind doch sonst immer mitgefahren. Berlin ist so eine tolle Stadt, ich war letztes Jahr mit dem Roten Kreuz da, mit so einer Bustour und zwei Übernachtungen. Also, das war sehr interessant, ich will da unbedingt noch mal hin.« »Tja, meine Liebe«, Doris lehnte sich an den Küchenblock und sah zu, wie ihr guter Geist die blaue Strickjacke auszog und über einen Stuhl hängte, »hätte ich das gewusst, hätte ich meinen Mann gebeten, Sie mitzunehmen. Er schnarcht auch nicht.« »Frau Goldstein-Wagner ...« Unter der Strickjacke trug Frau Kröger ein enges T-Shirt, unter dem sich drei Rollen abzeichneten. Mit entrüstetem Gesicht sah sie hoch. »Das fehlt ja wohl noch. Haben Sie schon gefrühstückt? Soll ich oben anfangen?« Doris dachte kurz an ihren Rock und fragte sich, im Hinblick auf die Krögerschen Speckrollen, ob die Unzufriedenheit mit der Figur vielleicht im Rentenalter aufhörte. Sie würde heute jedenfalls nicht frühstücken. »Sie können hier anfangen, ich bin fertig. Ich fahre auch gleich zum Friseur.« »Gut.« Frau Kröger stellte einen kleinen Eimer in die Spüle und ließ Wasser einlaufen. Während sie wartete, drehte sie sich zu Doris um und musterte sie. »Sie sehen abgespannt aus. Ist alles in Ordnung?« »Ja, ja. Ein bisschen Kopfschmerzen. Habe ich meistens, wenn das Wetter umschlägt.« ›Und wenn ich abends mehr als eine Flasche Weißwein auf der Terrasse trinke‹, fügte sie in Gedanken hinzu und vergewisserte
sich mit einem Blick, dass sie die leeren Flaschen in den Altglaskorb gestellt hatte. »Dann fahre ich mal los. Ich will nach dem Friseur noch einkaufen, dann sehen wir uns nicht mehr. Also, einen schönen Tag.« »Ihnen auch. Bis Freitag.« Frau Krögers Konzentration galt wieder dem Wassereimer. Doris griff nach Handtasche und Schlüssel und verließ das Haus. »Noch nicht ganz.« Im Friseursalon drückte Maren die Aluminiumfolie, die um die Strähne gewickelt war, vorsichtig wieder zu. »Zehn Minuten musst du noch.« Doris zerrte am Halsausschnitt des Plastikumhangs, um ihn zu lockern. »Dann lass aber bitte dieses Wärmeteil weg. Mir kocht schon der Kopf.« Dabei war es nicht nur der Kopf, sie spürte den Schweiß auch zwischen den Brüsten kribbeln und am Rücken. So musste sich ein Huhn in einem Bratschlauch fühlen. Viel Hitze, viel Plastik. »Es ist doch heute gar nicht so heiß. Und so warm hatte ich es auch gar nicht eingestellt.« Maren schob das Wärmegerät zur Seite. »Geht aber auch ohne. Willst du was Neues zu lesen?« »Nein danke. Aber wenn du ein Wasser hättest ...« Während Maren ein Glas holte, schloss Doris die Augen und versuchte, die Hitzewellen zu beherrschen. Sie hatte das immer öfter. Ganz plötzlich wurde ihr Körper zum Ofen und der Schweiß brach aus. Sie stellte sich die dunklen Flecken auf der Kleidung vor, die alle sehen könnten, sobald sie, vom Umhang befreit, aufstehen müsste, um zu bezahlen. Es war peinlich. Und grauenvoll. Die Welle ebbte langsam wieder ab. Doris öffnete die Augen und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht glänzte, sie wischte mit der Hand schnell über Oberlippe und Schläfen, in der Hoffnung, niemand würde sie dabei beobachten. »Hier, bitte.« Ein Wasserglas wurde auf den Beistelltisch gestellt, Maren stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Und sonst? Kommst du heute Abend zum Literaturkreis? Sag mal, schwitzt du so?« »Geht das vielleicht noch ein bisschen lauter?« Doris drehte sich zu ihrer Sitznachbarin. Deren Trockenhaube verhinderte zum Glück ein Mithören. »Das kommt von diesem Plastikumhang. Ich kann heute nicht, Moritz kommt zum Essen, und er war seit zwei Monaten nicht zu Hause.« »Ach so, schade. Wie geht es ihm denn? Er studiert in Hamburg, oder?« »Ja.« Dankbar registrierte Doris, dass ihr Körper wieder zu seiner normalen Betriebstemperatur zurückfand. »Es geht ihm gut, er hat halt viel mit dem Studium zu tun. Und jetzt auch noch eine neue Freundin. Die bringt er mit.« »Ach was. Und? Wird Mutti eifersüchtig?« »Quatsch. Ich bin ja froh, dass er endlich eine hat. Er ist ein richtiger Spätzünder, ging nie los, saß immer nur zu Hause vor dem Computer, und das mit vierundzwanzig. Jetzt wird er mal normal.« Maren lachte leise und wickelte wieder eine Strähne aus. »Ganz anders als der große Bruder, was? Wie geht es Sascha denn eigentlich? Den habe ich ewig nicht gesehen.« ›Ich auch nicht.‹ Der Gedanke kam mit Wucht, Doris brach wieder der Schweiß aus, diesmal hatten die Hormone nichts damit zu tun. »Auch gut. Er hat so wenig Zeit, wir telefonieren aber regelmäßig.« »Hat er denn ...« Erleichtert hörte Doris das Telefon klingeln. Maren schob die Strähne an ihren Platz zurück und ging zur Rezeption, um das Gespräch anzunehmen. Doris fuhr mit der Hand über ihren Hals, alles war gut. Irgendwann würde auch mit Sascha alles wieder gut. Sie müsste nur Geduld haben. Krisen gab es in den besten Familien, bei manchen dauerten sie einfach nur länger. Auf dem Rückweg zum Auto schaute sie noch in zwei Boutiquen nach einem Rock, der genauso aussah wie der alte, aber besser geschnitten war. Sie fand keinen, was ihre Laune sinken ließ. Also konnte sie auch nach Hause fahren. Im Flur roch es nach Reinigungsmittel. Frau Kröger war davon überzeugt, dass viel Chemie viel Sauberkeit ergibt. Doris ließ die Haustür hinter sich offen, um durchzulüften. Sie stellte ihre Handtasche neben die Garderobe und ging in die Küche, warf die Kaffeemaschine an und stellte mit wenigen Handgriffen die Kaffeedose, die Obstschale und zwei Vasen um. Seit fünfzehn Jahren nun dekorierte Frau Kröger nach dem Putzen Gegenstände neu und Doris räumte anschließend alles wieder zurück. Sie hatte mittlerweile aufgegeben zu glauben, dass die Putzfrau irgendwann selbst darauf käme, dass Doris immer wieder die alte Anordnung herstellte. Es war egal, Doris hatte ja auch sonst nichts zu tun. Sie zog die Zeitung aus dem Poststapel, nahm ihren Kaffee und setzte sich auf die Terrasse. Heute war der 27. April, in genau vier Wochen war ihr Geburtstag. Der Fünfzigste. Als ihre Mutter fünfzig geworden war, hatte die ganze Familie in einem damals sehr angesagten Hotel gefeiert. Es war eine der furchtbarsten Feiern, die Doris je mitgemacht hatte. Sie war damals mit Moritz schwanger, Sascha war drei und gerade in seiner ersten bockigen Phase. Doris' Vater hielt eine Rede, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, die aber dazu führte, dass ihre Mutter in Tränen ausbrach. Die Stimmung war dann endgültig auf dem Tiefpunkt, als Sascha seiner Oma seinen Apfelsaft auf die teure neue Seidenbluse kippte und Doris ihre Schwangerschaftsübelkeit nicht mehr in den Griff bekam. Fast zwei Stunden lang musste sie sich immer wieder auf der Damentoilette übergeben. Während der gesamten Zeit brüllte Sascha im Restaurant, was seinen Vater, der mit zwei von Doris' Cousins am Tresen saß und Cognac trank, nicht allzu sehr bekümmerte. Hinterher hatte Torsten zerknirscht mitgeteilt, dass er die Feier und Doris' Mutter nüchtern einfach nicht überlebt hätte. Vermutlich hatte er damit recht. Und jetzt war sie in vier Wochen dran. Doris überlegte, ob sie auf ihre Familie mittlerweile genauso wirkte wie ihre Mutter damals. Sie hoffte inständig, dass es nicht so wäre. Auf keinen Fall würde sie so ein Debakel an diesem Tag zulassen. Es würde keine Feier geben. Keine Reden, keine furchtbaren Geschenke, niemanden, der Cognac trinken musste, um die zu überleben. Das würde sie nicht zulassen.
© 2011 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Im Treppenhaus roch es nach angebratenen Zwiebeln. Anke stellte ihren Einkaufskorb auf dem Boden ab und schloss den Briefkasten auf. Drei Wurfsendungen und mehrere kleine Umschläge fielen ihr entgegen. Den Aufkleber »Keine Werbung« hätte sie sich auch sparen können, er wurde von diesen Zustelltrotteln mit einer Konsequenz ignoriert, die sie zur Mörderin machen könnte. Sie schloss die kleine Metalltür und stopfte die gesamte Post zwischen ihre Einkäufe, bevor sie die sechsundvierzig Stufen zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Ihr rechtes Knie knirschte. »Arthrose«, hatte der Hausarzt vor einem halben Jahr diagnostiziert, »das kann mit fast fünfzig schon mal sein. Gehen Sie schwimmen, Bewegung hilft.« Seitdem ging sie jeden zweiten Tag ins Hallenbad. Ihr Knie knirschte trotzdem. Dafür war sie jetzt öfter erkältet. Und jeden Monat um zwanzig Euro ärmer, so viel kostete das Frühschwimmerticket. Sie würde es Ende des Monats kündigen. Sie konnte Chlorgeruch um halb sieben sowieso nicht leiden.
In ihrer Wohnung angekommen ließ sie die Tür hinter sich zufallen und lehnte sich schwer atmend dagegen. Irgendwann, das wusste sie, irgendwann würde sie in eine Wohnung umziehen, zu der höchstens vier Stufen führten. Oder ein Fahrstuhl. Sie schlüpfte aus den Sandalen, drückte die Taste für den Anrufbeantworter und lief barfuß unter der Stimme ihrer Schwester in die Küche. »Hallo, Anke, ich bin es, Martina. Du, Jörg und ich sind am Samstag eingeladen und kriegen keinen Babysitter für Jasper. Kannst du ihn abholen? Sei doch so gut und ruf mal zurück. Wir machen es auch wieder gut. Bis später. Tschüss, tschüss.« Mit einem Seufzer begann Anke, ihre Einkäufe wegzuräumen. Ob ihre Schwester jemals einen Gedanken darauf verschwendete, sie, Anke, könnte einfach mal etwas vorhaben? Es war doch nicht selbstverständlich, dass Jaspers Patentante jeden Samstag allein auf dem Sofa verbrachte. Davon ging Martina aber aus. Bereits zum dritten Mal in diesem Monat sollte sie als Babysitter für ihren siebenjährigen Neffen einspringen. Der ja nichts dafür konnte und zauberhaft war. Nur deshalb ließ sie sich jedes Mal darauf ein. Trotzdem hatte sie überhaupt keine Lust, sich von Martina dauernd ausnutzen zu lassen. Das Los der Älteren, dachte sie kopfschüttelnd, sie war eben immer noch Babysitter. Früher für die kleine Schwester, jetzt für deren Sohn. Die perfekte kleine Martina, inzwischen schön, klug, reich, Ärztin, Ehefrau, Mutter war immer noch die beste aller Töchter. Die alles locker unter einen Hut brachte, ob Praxis, Kind oder Partys im Tennisclub. Dass die wunderbare Martina aber auch Gott und die Welt und vor allen Dingen ihre Schwester ständig einspannte, dagegen konnte man nichts sagen. Das war einfach gute Organisation. Anke bekam ganz langsam schlechte Laune. So wie meistens, wenn sie über Martina nachdachte. Weil diese Gedanken dann weiterliefen und irgendwann bei ihrer Mutter endeten. Entschlossen ließ sie die Kühlschranktür zufallen und wandte sich zurück. Dabei fiel ihr Blick auf den Poststapel, den sie achtlos auf den Küchentisch geworfen hatte. Als sie den obersten Brief umdrehte, zuckte sie zusammen. Er war handschriftlich adressiert, die Schrift war schwungvoll und energisch. Sie hätte sie auch erkannt, wenn der Absender gefehlt hätte. Mit dem Brief in der Hand füllte sie Wasser in die Kaffeemaschine und löffelte Kaffeepulver in die Filtertüte. Eins, zwei, drei, einen für die Kanne. Nach dem Knopfdruck setzte sie sich langsam, immer noch den Brief in der Hand, an den Tisch, starrte auf das Kuvert und warf es auf den Stapel. Sie würde warten, bis der Kaffee durchgelaufen wäre. Der Rest der Post bestand aus Rechnungen. Anke überflog die Summen und legte alles zur Seite. Sie musste sich mal wieder etwas ausdenken, die Nachzahlung ans Gaswerk hatte sie nicht auf dem Zettel gehabt. Das finale Gurgeln der Kaffeemaschine stoppte ihre Überlegungen. Sie stand auf, warf noch einen Blick auf den cremefarbenen Umschlag, nahm einen Becher aus dem Schrank und zog langsam die Kaffeekanne von der Wärmeplatte. Während sie die Milch in den Kaffee rührte, griff sie wieder nach dem Brief, wendete ihn und starrte auf den Absender. Nach all den Jahren war ihr immer noch komisch zumute, wenn sie den Namen las. Es war eine Melange aus Herzklopfen und Widerwillen, sehr seltsam. Mit angehaltenem Atem nahm sie ein Obstmesser und schlitzte den Umschlag auf. Sie überflog die Einladung und las danach die zweite Seite, atmete aus und las alles noch einmal langsam.
Hallo, Anke, jetzt ist unser dreißigjähriges Abiturtreffen schon wieder ein Jahr her und somit auch unser letztes Treffen. Müssen wir eigentlich immer Anlässe haben, um uns alle zu sehen? Das ist doch dämlich, oder? Aber wenigstens gibt es mal wieder einen Anlass. Ich weiß nicht, wann Du das letzte Mal mit Doris telefoniert hast und ob Du auf dem Laufenden bist, aber meine Frau weigert sich kategorisch, diesen Geburtstag zu feiern. Sie findet es demütigend, fünfzig zu werden. (Das waren tatsächlich ihre Worte.) Mir ist es ein Rätsel, warum sie sich solche Gedanken macht, also habe ich beschlossen, dass sie feiern muss. Wohin es geht, sage ich nicht, seid sicher, dass es ein toller Tag wird. Ich habe ja unsere ganze alte Clique eingeladen und bin mir sicher, die Stimmung wird wie früher sein, als wir noch alle jung und unerschrocken waren. Deswegen müsst Ihr dabei sein, Du und Katja, Ihr seid doch das Traumtrio gewesen. Also dann, denkt daran, dass alles topsecret ist, nicht, dass Doris doch noch etwas ahnt und einfach vorher durchbrennt. Jedenfalls freue ich mich auf ihr Gesicht. Liebe Grüße, Torsten P.S. Und bitte: Nichts verraten! Ich freue mich.
Anke ließ den Brief sinken und starrte aus dem Fenster. Was für eine bescheuerte Idee. Wenn Doris nicht feiern wollte, dann wollte sie eben nicht. Und es war klar, dass Torsten nicht kapierte, warum seine Frau diesen Geburtstag als demütigend empfand. Er war eben ein Mann und hatte früher
schon selten nachgedacht. Anke überlegte, wie lange sie sich eigentlich kannten. Es mussten fast fünfunddreißig Jahre sein. Großer Gott. Wie das schon klang. Uralt. Sie hatten zusammen Abitur gemacht. Doris, Katja und sie waren in einer Schülerzeitungsredaktion gewesen. Drei völlig unterschiedliche Mädchen, die sich gut ergänzten. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings waren sie ein gutes Team. Drei Preise hatte ihre Zeitung bekommen. Sie hieß ›Wilde Wörter‹. Chefredaktion Anke Kerner, Layout und Fotos Doris Goldstein, Text Katja Severin. Es war gefühlte zweihundert Jahre her. Mittlerweile hieß Doris nicht mehr Goldstein, sondern Goldstein-Wagner, natürlich ein Doppelname, so viel Zeit muss sein, und die Farbe von Katjas mahagonifarbener Mähne kam aus der Tube. Anke schob ihren Kaffeebecher zur Seite und strich den Brief glatt. Wirklich eine blöde Idee. Wie kam Torsten nur auf einen solchen Schwachsinn? Jetzt würde sie ihn auch noch anrufen müssen, um ihm zu sagen ... ja, was eigentlich? Dass sie an diesem Tag keine Zeit hätte? Und keine Lust? Das fehlte ihr noch: ein ganzer Tag sentimentales Geschwätz über alte Zeiten. Das Abitreffen vor einem Jahr und das Essen, zu dem Torsten kurz danach eingeladen hatte, waren ihr schon zu viel gewesen. Wie Doris wohl reagierte? Und ob Katja kommen würde? Mit Doris telefonierte sie ab und zu, allerdings rief sie selbst nie an. Immer nur Doris. Bei den letzten Telefonaten hatte Anke das Gefühl gehabt, Doris wäre ein bisschen angetrunken gewesen. Es war aber nur so ein Gefühl, das Telefonat hatte nicht lange genug gedauert. Sie hatten sich nicht mehr richtig viel zu erzählen. Mit Katja hatte sie tatsächlich bis zu diesem Abitreffen überhaupt keinen Kontakt gehabt. Katja Severin. Die Schönste der Schule. Alle Typen waren in sie verknallt, es war kaum auszuhalten gewesen. Und dann hatte sie natürlich die ganz große Karriere gemacht. Volontariat, Studium und anschließend Moderatorin eines täglichen Boulevardmagazins im Fernsehen. Anke hatte sie jeden Abend gesehen. Vor zwei Jahren war Katja dann plötzlich weg vom Bildschirm. Auf dem Treffen hatte sie erzählt, dass sie jetzt das Regionalbüro in Kiel leite, sie sei es leid, auf der Straße ständig erkannt zu werden. Wer's glaubt ..., hatte Anke im Stillen gedacht, aber zugeben müssen, dass Katja sich wirklich kaum verändert hatte. Sie sah aus wie Mitte dreißig und redete auch so. Anke fühlte sich alt und grau neben ihr, obwohl Katja ein halbes Jahr älter war. Manchmal werden Gene ungerecht verteilt, genauso wie das Geld, das man für Schönheitskorrekturen ausgeben muss. Entschlossen faltete Anke den Brief zusammen und schob ihn unter die Obstschale. Sie würde diese Albernheit nicht mitmachen, Sentimentalitäten wollte sie sich nicht leisten. Sie nicht. Mit einem Knirschen in den Knien stand sie auf und ging in den Flur, um ihre Schwester anzurufen. Bevor sie sich mit alten Geschichten herumschlüge, könnte sie auch telefonieren. Martina meldete sich nach dem zweiten Freizeichen. »Hallo, Anke, hast du deinen AB abgehört?« Wenn Anke irgendetwas nicht leiden konnte, dann waren es diese affigen Abkürzungen. »Ich höre den Anrufbeantworter immer ab. Wann müsst ihr denn am Samstag los?« Martinas Stimme klang wie immer gehetzt. »Spätestens um vier. Wir sind zu einer Gartenparty eingeladen, ein ehemaliger Studienkollege von Jörg. Die haben sich ein irres Haus direkt am Meer gekauft, das muss traumhaft sein, aber es sind sonst überhaupt keine Kinder da, und du weißt ja, wie Jasper nervt, wenn er sich langweilt. Also, du kannst ihn nehmen, ja?« Ankes Blick fiel auf ein Foto ihres Neffen, das im Regal stand. Er grinste in die Kamera, seine Zahnlücke war nicht zu übersehen, das blonde Haar verwuschelt. Er konnte ein Satansbraten sein, aber er wickelte Anke um den Finger. Martina war die Pause zu lang. »Mama hat Opernkarten, sie kann nicht. Was soll ich denn machen?« ›Absagen?‹, dachte Anke, hatte aber keine Lust, in eine Diskussion mit ihrer Schwester einzusteigen, die sie sowieso verlieren würde. »Okay, ich hole ihn gegen drei ab und bringe ihn Sonntagmittag wieder zurück. Und du ...« »Super«, unterbrach Martina sie, »auf dich ist doch Verlass. Jasper freut sich. Und irgendwann mache ich es auch mal gut und wir zwei gehen schön essen. Ich denk mir was aus!« Anke verzichtete auf einen Kommentar und verabschiedete sich.
Resigniert stieß Doris die Luft aus und musterte sich im Schlafzimmerspiegel. Der Knopf würde vielleicht zugehen, aber in keinem Fall der Reißverschluss, egal, wie sehr sie den Bauch einzöge oder den Atem anhielte. Dieser dämliche Rock war definitiv zu eng. Und zwar mindestens eine Größe. Und ausschließlich auf der Hüfte. Doris schob das Teil unwirsch an sich hinunter und ließ die zusammengerollte Stoffwurst achtlos auf dem Boden liegen. ›Jetzt wirst du auch noch fett‹, dachte sie wütend. Und das trotz Yoga und gesunder Ernährung. Diese verfluchten Hormone. Sie griff zu einer Jeans, die über dem Stuhl hing und schlüpfte hinein. Wenigstens die passte noch. Es wäre sowieso übertrieben, zu einem Friseurbesuch ein Designerkostüm anzuziehen. Trotzdem hatte sie diesen Rock nur einmal getragen, und das war erst ein Jahr her. Sie atmete tief aus, knöpfte die weiße Bluse zu und zog die Jacke an. Obenrum war alles in Ordnung, die Jacke ließ sich locker schließen. Es klingelte an der Haustür, das war wohl schon Frau Kröger, die nie ihren Schlüssel benutzte, wenn sie eines der Autos vor dem Haus parken sah. Doris warf einen abschließenden Blick in den Spiegel und ging nach unten, um ihre Putzfrau reinzulassen. »Guten Morgen, Frau Goldstein-Wagner, ich habe Ihren Wagen gesehen. Ich dachte, Sie wären mit Ihrem Mann bis Mittwoch verreist.« Doris ging ein Stück zur Seite, ließ Frau Kröger vorbei und folgte ihr in die Küche. Sie putzte schon seit fünfzehn Jahren bei ihnen, jeden Dienstag und Freitag. Mittlerweile hatte sie das Rentenalter erreicht, zum Glück war bislang kein Wort darüber gefallen, dass sie mit der Arbeit hier aufhören wollte. Obwohl es eigentlich übertrieben war, dass sie immer noch zweimal in der Woche kam, zumal Moritz, Doris' zweiter Sohn, seit einem halben Jahr auch ausgezogen und so aus einer vierköpfigen Familie ein Paar geworden war, das in einem viel zu großen Haus lebte. »Ich bin doch nicht mit nach Berlin gefahren. Mein Mann hat den ganzen Tag auf der Messe zu tun und ich hatte irgendwie keine Lust, drei Tage allein durch die Stadt zu laufen.« Frau Kröger schüttelte ungläubig den Kopf. »Also wirklich. Sie sind doch sonst immer mitgefahren. Berlin ist so eine tolle Stadt, ich war letztes Jahr mit dem Roten Kreuz da, mit so einer Bustour und zwei Übernachtungen. Also, das war sehr interessant, ich will da unbedingt noch mal hin.« »Tja, meine Liebe«, Doris lehnte sich an den Küchenblock und sah zu, wie ihr guter Geist die blaue Strickjacke auszog und über einen Stuhl hängte, »hätte ich das gewusst, hätte ich meinen Mann gebeten, Sie mitzunehmen. Er schnarcht auch nicht.« »Frau Goldstein-Wagner ...« Unter der Strickjacke trug Frau Kröger ein enges T-Shirt, unter dem sich drei Rollen abzeichneten. Mit entrüstetem Gesicht sah sie hoch. »Das fehlt ja wohl noch. Haben Sie schon gefrühstückt? Soll ich oben anfangen?« Doris dachte kurz an ihren Rock und fragte sich, im Hinblick auf die Krögerschen Speckrollen, ob die Unzufriedenheit mit der Figur vielleicht im Rentenalter aufhörte. Sie würde heute jedenfalls nicht frühstücken. »Sie können hier anfangen, ich bin fertig. Ich fahre auch gleich zum Friseur.« »Gut.« Frau Kröger stellte einen kleinen Eimer in die Spüle und ließ Wasser einlaufen. Während sie wartete, drehte sie sich zu Doris um und musterte sie. »Sie sehen abgespannt aus. Ist alles in Ordnung?« »Ja, ja. Ein bisschen Kopfschmerzen. Habe ich meistens, wenn das Wetter umschlägt.« ›Und wenn ich abends mehr als eine Flasche Weißwein auf der Terrasse trinke‹, fügte sie in Gedanken hinzu und vergewisserte
sich mit einem Blick, dass sie die leeren Flaschen in den Altglaskorb gestellt hatte. »Dann fahre ich mal los. Ich will nach dem Friseur noch einkaufen, dann sehen wir uns nicht mehr. Also, einen schönen Tag.« »Ihnen auch. Bis Freitag.« Frau Krögers Konzentration galt wieder dem Wassereimer. Doris griff nach Handtasche und Schlüssel und verließ das Haus. »Noch nicht ganz.« Im Friseursalon drückte Maren die Aluminiumfolie, die um die Strähne gewickelt war, vorsichtig wieder zu. »Zehn Minuten musst du noch.« Doris zerrte am Halsausschnitt des Plastikumhangs, um ihn zu lockern. »Dann lass aber bitte dieses Wärmeteil weg. Mir kocht schon der Kopf.« Dabei war es nicht nur der Kopf, sie spürte den Schweiß auch zwischen den Brüsten kribbeln und am Rücken. So musste sich ein Huhn in einem Bratschlauch fühlen. Viel Hitze, viel Plastik. »Es ist doch heute gar nicht so heiß. Und so warm hatte ich es auch gar nicht eingestellt.« Maren schob das Wärmegerät zur Seite. »Geht aber auch ohne. Willst du was Neues zu lesen?« »Nein danke. Aber wenn du ein Wasser hättest ...« Während Maren ein Glas holte, schloss Doris die Augen und versuchte, die Hitzewellen zu beherrschen. Sie hatte das immer öfter. Ganz plötzlich wurde ihr Körper zum Ofen und der Schweiß brach aus. Sie stellte sich die dunklen Flecken auf der Kleidung vor, die alle sehen könnten, sobald sie, vom Umhang befreit, aufstehen müsste, um zu bezahlen. Es war peinlich. Und grauenvoll. Die Welle ebbte langsam wieder ab. Doris öffnete die Augen und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht glänzte, sie wischte mit der Hand schnell über Oberlippe und Schläfen, in der Hoffnung, niemand würde sie dabei beobachten. »Hier, bitte.« Ein Wasserglas wurde auf den Beistelltisch gestellt, Maren stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Und sonst? Kommst du heute Abend zum Literaturkreis? Sag mal, schwitzt du so?« »Geht das vielleicht noch ein bisschen lauter?« Doris drehte sich zu ihrer Sitznachbarin. Deren Trockenhaube verhinderte zum Glück ein Mithören. »Das kommt von diesem Plastikumhang. Ich kann heute nicht, Moritz kommt zum Essen, und er war seit zwei Monaten nicht zu Hause.« »Ach so, schade. Wie geht es ihm denn? Er studiert in Hamburg, oder?« »Ja.« Dankbar registrierte Doris, dass ihr Körper wieder zu seiner normalen Betriebstemperatur zurückfand. »Es geht ihm gut, er hat halt viel mit dem Studium zu tun. Und jetzt auch noch eine neue Freundin. Die bringt er mit.« »Ach was. Und? Wird Mutti eifersüchtig?« »Quatsch. Ich bin ja froh, dass er endlich eine hat. Er ist ein richtiger Spätzünder, ging nie los, saß immer nur zu Hause vor dem Computer, und das mit vierundzwanzig. Jetzt wird er mal normal.« Maren lachte leise und wickelte wieder eine Strähne aus. »Ganz anders als der große Bruder, was? Wie geht es Sascha denn eigentlich? Den habe ich ewig nicht gesehen.« ›Ich auch nicht.‹ Der Gedanke kam mit Wucht, Doris brach wieder der Schweiß aus, diesmal hatten die Hormone nichts damit zu tun. »Auch gut. Er hat so wenig Zeit, wir telefonieren aber regelmäßig.« »Hat er denn ...« Erleichtert hörte Doris das Telefon klingeln. Maren schob die Strähne an ihren Platz zurück und ging zur Rezeption, um das Gespräch anzunehmen. Doris fuhr mit der Hand über ihren Hals, alles war gut. Irgendwann würde auch mit Sascha alles wieder gut. Sie müsste nur Geduld haben. Krisen gab es in den besten Familien, bei manchen dauerten sie einfach nur länger. Auf dem Rückweg zum Auto schaute sie noch in zwei Boutiquen nach einem Rock, der genauso aussah wie der alte, aber besser geschnitten war. Sie fand keinen, was ihre Laune sinken ließ. Also konnte sie auch nach Hause fahren. Im Flur roch es nach Reinigungsmittel. Frau Kröger war davon überzeugt, dass viel Chemie viel Sauberkeit ergibt. Doris ließ die Haustür hinter sich offen, um durchzulüften. Sie stellte ihre Handtasche neben die Garderobe und ging in die Küche, warf die Kaffeemaschine an und stellte mit wenigen Handgriffen die Kaffeedose, die Obstschale und zwei Vasen um. Seit fünfzehn Jahren nun dekorierte Frau Kröger nach dem Putzen Gegenstände neu und Doris räumte anschließend alles wieder zurück. Sie hatte mittlerweile aufgegeben zu glauben, dass die Putzfrau irgendwann selbst darauf käme, dass Doris immer wieder die alte Anordnung herstellte. Es war egal, Doris hatte ja auch sonst nichts zu tun. Sie zog die Zeitung aus dem Poststapel, nahm ihren Kaffee und setzte sich auf die Terrasse. Heute war der 27. April, in genau vier Wochen war ihr Geburtstag. Der Fünfzigste. Als ihre Mutter fünfzig geworden war, hatte die ganze Familie in einem damals sehr angesagten Hotel gefeiert. Es war eine der furchtbarsten Feiern, die Doris je mitgemacht hatte. Sie war damals mit Moritz schwanger, Sascha war drei und gerade in seiner ersten bockigen Phase. Doris' Vater hielt eine Rede, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, die aber dazu führte, dass ihre Mutter in Tränen ausbrach. Die Stimmung war dann endgültig auf dem Tiefpunkt, als Sascha seiner Oma seinen Apfelsaft auf die teure neue Seidenbluse kippte und Doris ihre Schwangerschaftsübelkeit nicht mehr in den Griff bekam. Fast zwei Stunden lang musste sie sich immer wieder auf der Damentoilette übergeben. Während der gesamten Zeit brüllte Sascha im Restaurant, was seinen Vater, der mit zwei von Doris' Cousins am Tresen saß und Cognac trank, nicht allzu sehr bekümmerte. Hinterher hatte Torsten zerknirscht mitgeteilt, dass er die Feier und Doris' Mutter nüchtern einfach nicht überlebt hätte. Vermutlich hatte er damit recht. Und jetzt war sie in vier Wochen dran. Doris überlegte, ob sie auf ihre Familie mittlerweile genauso wirkte wie ihre Mutter damals. Sie hoffte inständig, dass es nicht so wäre. Auf keinen Fall würde sie so ein Debakel an diesem Tag zulassen. Es würde keine Feier geben. Keine Reden, keine furchtbaren Geschenke, niemanden, der Cognac trinken musste, um die zu überleben. Das würde sie nicht zulassen.
© 2011 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Dora Heldt
Dora Heldt, 1961 auf Sylt geboren, hat sich mit ihren Romanen und Krimis auf die Spitzenplätze der Bestsellerlisten und in die Herzen von Millionen von Leserinnen und Lesern geschrieben. Wie kaum eine andere Autorin in Deutschland kennt sie den Buchmarkt von allen Seiten: Die gelernte Buchhändlerin war über 30 Jahre lang Verlagsvertreterin für einen großen Publikumsverlag. Neben humorvollen Familien- und Frauenromanen (u.a. 'Urlaub mit Papa', 'Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt' oder 'Drei Frauen am See', 'Drei Frauen, vier Leben') begeistert sie ihr Publikum mit lustig-skurrilen Sylt-Krimis, Erzählungen und Kolumnen. Die Liebe zu ihrer norddeutschen Heimat ebenso wie die zu den Menschen dort fängt Dora Heldt auf unnachahmliche Weise in all ihren Büchern ein.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dora Heldt
- 2011, 9. Aufl., 336 Seiten, Maße: 13,5 x 20,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423248572
- ISBN-13: 9783423248570
- Erscheinungsdatum: 23.09.2011
Rezension zu „Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt “
»Bestseller-Autorin Dora Heldt versteht es nach ihrem Bestseller >Urlaub mit Papa< auch diesmal, humorvoll eine Vielzahl von kleinen Szenen zu schildern, die jede kennt. « Sabine Lennartz, Schwäbische Zeitung 04.08.2012
Pressezitat
Dora Heldt schreibt über das, was Frauen bewegt und worüber sie schmunzeln. Roger Lindhorst NDR 1 Niedersachsen 20170903
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