Blind
Roman
Der Rockstar Judas Coyne erwirbt über das Internet einen Geist. Was als vermeintlicher Spaß beginnt, wird bald zu einem blutigen Horrortrip auf der Straße des Todes. Mit Joe Hill betritt ein junger Autor die Szene, der - schon jetzt...
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Produktinformationen zu „Blind “
Der Rockstar Judas Coyne erwirbt über das Internet einen Geist. Was als vermeintlicher Spaß beginnt, wird bald zu einem blutigen Horrortrip auf der Straße des Todes. Mit Joe Hill betritt ein junger Autor die Szene, der - schon jetzt vielfach preisgekrönt - den Vergleich mit den Meistern des Genres nicht zu scheuen braucht.
Das phänomenale Romandebüt von Stephen Kings ältestem Sohn über einen rachsüchtigen Geist.
"Ein Trip auf dem Highway in die Hölle."
Süddeutsche Zeitung
"Gespenstisch rasanter Lesestoff."
Stern
"Hills Hightech-Märchen liest sich schnell wie ein japanischer Manga, spannend wie ein Stephen-King-Roman und ist so reich an Popkultur-Zitaten wie ein Quentin-Tarantino-Drehbuch."
Der Spiegel
Klappentext zu „Blind “
Früher oder später holen die Toten dich ...Der Rockstar Judas Coyne erwirbt über das Internet einen Geist. Was als vermeintlicher Spaß beginnt, wird bald zu einem blutigen Horrortrip auf der Straße des Todes. Mit Joe Hill betritt ein junger Autor die Szene, der - schon jetzt vielfach preisgekrönt - den Vergleich mit den
Meistern des Genres nicht zu scheuen braucht.Das phänomenale Romandebüt von Stephen Kings ältestem Sohn über einen rachsüchtigen Geist.
Früher oder später holen die Toten dich ...
Der Rockstar Judas Coyne erwirbt über das Internet einen Geist. Was als vermeintlicher Spaß beginnt, wird bald zu einem blutigen Horrortrip auf der Straße des Todes. Mit Joe Hill betritt ein junger Autor die Szene, der - schon jetzt vielfach preisgekrönt - den Vergleich mit den
Meistern des Genres nicht zu scheuen braucht.
Das phänomenale Romandebüt von Stephen Kings ältestem Sohn über einen rachsüchtigen Geist.
"Ein Trip auf dem Highway in die Hölle."
-- Süddeutsche Zeitung
"Gespenstisch rasanter Lesestoff."
-- Stern
"Hills Hightech-Märchen liest sich schnell wie ein japanischer Manga, spannend wie ein Stephen-King-Roman und ist so reich an Popkultur-Zitaten wie ein Quentin-Tarantino-Drehbuch."
-- Der Spiegel
Der Rockstar Judas Coyne erwirbt über das Internet einen Geist. Was als vermeintlicher Spaß beginnt, wird bald zu einem blutigen Horrortrip auf der Straße des Todes. Mit Joe Hill betritt ein junger Autor die Szene, der - schon jetzt vielfach preisgekrönt - den Vergleich mit den
Meistern des Genres nicht zu scheuen braucht.
Das phänomenale Romandebüt von Stephen Kings ältestem Sohn über einen rachsüchtigen Geist.
"Ein Trip auf dem Highway in die Hölle."
-- Süddeutsche Zeitung
"Gespenstisch rasanter Lesestoff."
-- Stern
"Hills Hightech-Märchen liest sich schnell wie ein japanischer Manga, spannend wie ein Stephen-King-Roman und ist so reich an Popkultur-Zitaten wie ein Quentin-Tarantino-Drehbuch."
-- Der Spiegel
Lese-Probe zu „Blind “
Blind von Joe HillLESEPROBE
Jude besaß eine Privatsammlung.
Er besaß gerahmte Zeichnungen der sieben Zwerge, die zwischen den Platinalben an der Wand seines Studios hingen. John Wayne Gacy hatte sie im Gefängnis gezeichnet und ihm geschickt. Gacy mochte die Disney- Klassiker fast so sehr, wie er es mochte, kleine Kinder zu belästigen, und fast so sehr wie Judes Alben. Jude besaß den Schädel eines Bauern, dem man im 16. Jahrhundert die Hirnschale geöffnet hatte, um die Dämonen rauszulassen. Im Loch in der Mitte der Schädeldecke steckte seine Stiftesammlung.
Er besaß ein dreihundert Jahre altes Sündenbekenntnis mit der Unterschrift einer Hexe. »Und ein schwarzer Hund gelobte, er werde Rindvieh vergiften, Gäule irre und Kinder siech machen, so ich bereit sei, ihm meine Seele zu überlassen. Ich war’s zufrieden, und dann säugte ich ihn an meiner Brust.« Die Hexe endete auf dem Scheiterhaufen.
Er besaß eine steife, ausgefranste Schlinge, mit der man um die Jahrhundertwende in England einen Menschen gehängt hatte, das Schachbrett, auf dem Aleister Crowley als Kind gespielt hatte, und einen Snuff-Film. Von allen Dingen in seiner Sammlung fühlte er sich als Eigentümer dieses Films am unwohlsten. Es war über einen Polizeibeamten, der bei ein paar seiner Konzerte in L. A. zum Security-Team gehört hatte, in seinen Besitz gelangt. Der Polizist hatte behauptet, das Video sei krank. Er sagte das mit einer gewissen Begeisterung. Jude hatte es sich angeschaut und fand, dass er recht hatte. Es war krank. Außerdem hatte es auf indirekte Weise das Ende von Judes Ehe beschleunigt. Trotzdem behielt er es.
Viele Objekte aus seiner Privatsammlung des Grotesken und Bizarren waren Geschenke von Fans. Nur selten kaufte er sich ein Stück selbst. Aber als ihm sein persönlicher Assistent Danny Wooten sagte,
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dass im Internet ein Geist zu haben sei und ob er den kaufen wolle, da zögerte Jude keine Sekunde. Es war wie im Restaurant, wenn man hörte, was das Tagesgericht war, und sich auf der Stelle dafür entschied, ohne auch nur einen Blick in die Speisekarte zu werfen. Bei manchen Eingebungen brauchte man keine Bedenkzeit.
Dannys Büro war in einem ziemlich neuen Anbau an der Nordostseite von Judes verschachteltem hundert Jahre altem Farmhaus untergebracht. Der klimatisierte Raum mit den Büromöbeln und dem milchkaffeefarbenen Teppichboden verströmte eine unpersönliche Kühle, die überhaupt nicht zum Rest des Hauses passte. Man hätte ihn für das Wartezimmer einer Zahnarztpraxis halten können, wenn da nicht die Konzertposter in den rostfreien Stahlrahmen gewesen wären. Auf einem war ein Glasbehälter zu sehen, vollgestopft mit starrenden Augäpfeln, an denen hinten blutige Nervenstränge hingen. Das war das Plakat für die ALL EYES ON YOU-Tour gewesen.
Der Anbau war kaum fertiggestellt gewesen, da hatte Jude seine Entscheidung schon wieder bereut. Wenn geschäftliche Dinge zu erledigen waren, sparte er sich jetzt zwar die Dreiviertelstunde Fahrt von Piecliff zu dem gemieteten Büro in Poughkeepsie, aber das wäre wahrscheinlich immer noch angenehmer gewesen, als dauernd Danny Wooten um sich zu haben. Danny und Dannys Arbeit saßen ihm einfach zu dicht auf der Pelle. Wenn Jude in der Küche war, konnte er die Telefone im Büro hören. Manchmal klingelte es auf beiden Büroanschlüssen gleichzeitig, und das Geräusch machte ihn wahnsinnig. Seit Jahren hatte er kein Album mehr aufgenommen, hatte seit Jeromes und Dizzys Tod (der auch das Ende der Band gewesen war) kaum noch gearbeitet, und doch klingelten die Telefone pausenlos. Er fühlte sich erdrückt von dem steten Strom an Bittstellern, die ihm seine Zeit stehlen wollten, von der nie endenden Anhäufung an rechtlichen und beruflichen Anforderungen, Vereinbarungen und Verträgen, von den Werbeaktivitäten und öffentlichen Auftritten, von der Arbeit der Judas Coyne Incorporated, die nie erledigt war, die immer weiterging. Wenn er zu Hause war, wollte er Privatmann sein und nicht ein Markenprodukt.
Die meiste Zeit hielt Danny sich vom Rest des Hauses fern. Was er auch sonst für Fehler haben mochte, er wahrte Judes Privatsphäre. Wenn Jude allerdings durchs Büro ging, was er widerwillig vier-, fünfmal am Tag tat, weil das der kürzeste Weg zu seinen Hunden in der Scheune war, betrachtete Danny ihn als willkommene Beute. Er hätte ihm aus dem Weg gehen können, indem er zur Vordertür hinaus und dann um das ganze Haus herumging, aber er weigerte sich, nur um Danny Wooten nicht begegnen zu müssen, heimlich um sein eigenes Haus herumzuschleichen.
Außerdem erschien es ihm unmöglich, dass Danny jedes Mal etwas auf dem Herzen hatte, womit er ihn belästigen konnte. Aber er hatte immer etwas. Und wenn er nichts hatte, was sofortige Erledigung erforderte, dann wollte er einfach reden. Danny stammte aus Südkalifornien, und wenn er erst einmal redete, gab es kein Halten mehr. Gegenüber vollkommen Fremden erging er sich in Lobpreisungen über die Vorteile von Weizengras, wozu unter anderem gehörte, dass es den Stuhl so wohlriechend machte wie einen frisch gemähten Rasen. Er war dreißig Jahre alt, konnte aber mit dem Jungen vom Pizzaservice über Skateboards und die neueste Playstation reden, als wäre er vierzehn. Vertrauensselig erzählte Danny den Leuten, die die Klimaanlage reparierten, wie seine Schwester als Teenager an einer Überdosis gestorben war und wie er als junger Bursche nach dem Selbstmord seiner Mutter die Leiche gefunden hatte. Nichts brachte ihn in Verlegenheit. Die Bedeutung des Begriffs Hemmungen kannte er nicht.
Jude hatte gerade Angus und Bon gefüttert, hatte Dannys Schussfeld bereits halb durchquert und glaubte schon, dass er das Büro unversehrt hinter sich lassen konnte, als Danny sagte: »He, Boss, schau dir das mal an.« Wenn Danny Judes Aufmerksamkeit einforderte, so fast immer mit exakt diesem Satz, einem Satz, den Jude fürchten und hassen gelernt hatte und der immer eine halbe Stunde verschwendeter Zeit einläutete, in der er Formulare ausfüllen oder Faxe durchlesen musste. Doch dann sagte Danny, dass jemand einen Geist verkaufe, und sofort vergaß Jude all seinen Groll. Er ging um den Schreibtisch herum und schaute über Dannys Schulter auf den Bildschirm.
Danny hatte den Geist bei einer Online-Versteigerung entdeckt, nicht bei eBay, sondern bei einer der Nachahmer-Klitschen. Judes Blick huschte über die Beschreibung des Artikels, während Danny sie laut vorlas. Danny hätte ihm das Essen auf dem Teller klein geschnitten, wenn Jude es ihm erlaubt hätte. Er neigte zur Unterwürfigkeit, eine Eigenschaft, die Jude bei einem Mann – offen gesagt – widerlich fand.
»›Geist meines Stiefvaters zu verkaufen‹«, las Danny.
»›Vor sechs Wochen verstarb überraschend mein betagter Stiefvater, der zu dieser Zeit in unserem Haus lebte.
Er hatte kein eigenes Zuhause mehr, sondern reiste von einem Verwandten zum nächsten, blieb ein, zwei Monate und zog dann weiter. Sein Ableben hat uns alle tief getroffen, vor allem meine Tochter, die ihm sehr nahestand. Wir waren völlig unvorbereitet. Er war bis zu- letzt sehr aktiv, hat nie vor dem Fernseher gesessen, hat jeden Tag ein Glas Orangensaft getrunken und hatte noch alle seine Zähne.«
»Da macht sich jemand einen Witz«, sagte Jude.
»Glaube ich nicht«, sagte Danny und las weiter. »Zwei Tage nach der Beerdigung hat meine kleine Tochter ihn im Gästezimmer gesehen, das genau gegenüber von ihrem Zimmer liegt. Danach wollte meine Tochter nicht mehr allein in ihrem Zimmer bleiben, sie wollte nicht mal mehr allein nach oben gehen. Ich habe ihr gesagt, dass Großvater ihr nie was antun würde, aber sie hat gesagt, dass seine Augen ihr Angst machten. Die wären ganz schwarz und sähen wie bekritzelt aus, so als könnte man damit nicht mehr sehen. Seitdem schläft sie bei mir im Zimmer.
Erst habe ich gedacht, dass das nur eine Schauergeschichte ist, die sie sich einbildet. Aber an der Sache ist mehr dran. Im Gästezimmer ist es immer kalt. Ich habe ein bisschen rumgeschnüffelt, und da ist mir aufgefallen, dass es am kältesten im Wandschrank ist, wo sein Sonntagsanzug hängt. Er hat immer gewollt, dass er darin begraben wird, aber als wir ihm den Anzug in der Leichenhalle anprobiert haben, hat er nicht richtig gepasst. Man schrumpft ja ein bisschen ein, wenn man stirbt. Der Körper trocknet aus. Sein bester Anzug war ihm also zu groß geworden, und so haben wir uns von dem Bestattungsunternehmer beschwatzen lassen, einen von seinen zu kaufen. Ist mir ein Rätsel, warum ich mich darauf eingelassen habe.
Letzte Nacht bin ich aufgewacht und habe gehört, wie über mir mein Stiefvater hin und her läuft. Das Bett im Gästezimmer ist immer ungemacht, zu jeder Tages- und Nachtzeit höre ich, wie die Tür aufgeht und wieder zuschlägt. Auch die Katze geht nicht mehr nach oben.
Manchmal sitzt sie am unteren Ende der Treppe und starrt was an, was ich nicht sehen kann. Sie schaut eine Zeit lang, dann jault sie auf, als wenn ihr jemand auf den Schwanz getreten wäre, und läuft weg.
Mein Stiefvater war sein Leben lang Spiritist. Ich glaube, er ist nur deshalb noch hier, weil er meiner Tochter zeigen will, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Aber sie ist erst elf und muss ein normales Leben führen, sie sollte in ihrem eigenen Zimmer schlafen und nicht in meinem. Ich kann an nichts anderes mehr denken, als dass ich für Paps ein anderes Zuhause finden muss. Es wimmelt doch nur so von Leuten, die an ein Leben nach dem Tod glauben wollen. Tja, den Beweis dafür habe ich hier bei mir im Haus. (…)
© Heyne Verlag
Übersetzung: Wolfgang Müller
Dannys Büro war in einem ziemlich neuen Anbau an der Nordostseite von Judes verschachteltem hundert Jahre altem Farmhaus untergebracht. Der klimatisierte Raum mit den Büromöbeln und dem milchkaffeefarbenen Teppichboden verströmte eine unpersönliche Kühle, die überhaupt nicht zum Rest des Hauses passte. Man hätte ihn für das Wartezimmer einer Zahnarztpraxis halten können, wenn da nicht die Konzertposter in den rostfreien Stahlrahmen gewesen wären. Auf einem war ein Glasbehälter zu sehen, vollgestopft mit starrenden Augäpfeln, an denen hinten blutige Nervenstränge hingen. Das war das Plakat für die ALL EYES ON YOU-Tour gewesen.
Der Anbau war kaum fertiggestellt gewesen, da hatte Jude seine Entscheidung schon wieder bereut. Wenn geschäftliche Dinge zu erledigen waren, sparte er sich jetzt zwar die Dreiviertelstunde Fahrt von Piecliff zu dem gemieteten Büro in Poughkeepsie, aber das wäre wahrscheinlich immer noch angenehmer gewesen, als dauernd Danny Wooten um sich zu haben. Danny und Dannys Arbeit saßen ihm einfach zu dicht auf der Pelle. Wenn Jude in der Küche war, konnte er die Telefone im Büro hören. Manchmal klingelte es auf beiden Büroanschlüssen gleichzeitig, und das Geräusch machte ihn wahnsinnig. Seit Jahren hatte er kein Album mehr aufgenommen, hatte seit Jeromes und Dizzys Tod (der auch das Ende der Band gewesen war) kaum noch gearbeitet, und doch klingelten die Telefone pausenlos. Er fühlte sich erdrückt von dem steten Strom an Bittstellern, die ihm seine Zeit stehlen wollten, von der nie endenden Anhäufung an rechtlichen und beruflichen Anforderungen, Vereinbarungen und Verträgen, von den Werbeaktivitäten und öffentlichen Auftritten, von der Arbeit der Judas Coyne Incorporated, die nie erledigt war, die immer weiterging. Wenn er zu Hause war, wollte er Privatmann sein und nicht ein Markenprodukt.
Die meiste Zeit hielt Danny sich vom Rest des Hauses fern. Was er auch sonst für Fehler haben mochte, er wahrte Judes Privatsphäre. Wenn Jude allerdings durchs Büro ging, was er widerwillig vier-, fünfmal am Tag tat, weil das der kürzeste Weg zu seinen Hunden in der Scheune war, betrachtete Danny ihn als willkommene Beute. Er hätte ihm aus dem Weg gehen können, indem er zur Vordertür hinaus und dann um das ganze Haus herumging, aber er weigerte sich, nur um Danny Wooten nicht begegnen zu müssen, heimlich um sein eigenes Haus herumzuschleichen.
Außerdem erschien es ihm unmöglich, dass Danny jedes Mal etwas auf dem Herzen hatte, womit er ihn belästigen konnte. Aber er hatte immer etwas. Und wenn er nichts hatte, was sofortige Erledigung erforderte, dann wollte er einfach reden. Danny stammte aus Südkalifornien, und wenn er erst einmal redete, gab es kein Halten mehr. Gegenüber vollkommen Fremden erging er sich in Lobpreisungen über die Vorteile von Weizengras, wozu unter anderem gehörte, dass es den Stuhl so wohlriechend machte wie einen frisch gemähten Rasen. Er war dreißig Jahre alt, konnte aber mit dem Jungen vom Pizzaservice über Skateboards und die neueste Playstation reden, als wäre er vierzehn. Vertrauensselig erzählte Danny den Leuten, die die Klimaanlage reparierten, wie seine Schwester als Teenager an einer Überdosis gestorben war und wie er als junger Bursche nach dem Selbstmord seiner Mutter die Leiche gefunden hatte. Nichts brachte ihn in Verlegenheit. Die Bedeutung des Begriffs Hemmungen kannte er nicht.
Jude hatte gerade Angus und Bon gefüttert, hatte Dannys Schussfeld bereits halb durchquert und glaubte schon, dass er das Büro unversehrt hinter sich lassen konnte, als Danny sagte: »He, Boss, schau dir das mal an.« Wenn Danny Judes Aufmerksamkeit einforderte, so fast immer mit exakt diesem Satz, einem Satz, den Jude fürchten und hassen gelernt hatte und der immer eine halbe Stunde verschwendeter Zeit einläutete, in der er Formulare ausfüllen oder Faxe durchlesen musste. Doch dann sagte Danny, dass jemand einen Geist verkaufe, und sofort vergaß Jude all seinen Groll. Er ging um den Schreibtisch herum und schaute über Dannys Schulter auf den Bildschirm.
Danny hatte den Geist bei einer Online-Versteigerung entdeckt, nicht bei eBay, sondern bei einer der Nachahmer-Klitschen. Judes Blick huschte über die Beschreibung des Artikels, während Danny sie laut vorlas. Danny hätte ihm das Essen auf dem Teller klein geschnitten, wenn Jude es ihm erlaubt hätte. Er neigte zur Unterwürfigkeit, eine Eigenschaft, die Jude bei einem Mann – offen gesagt – widerlich fand.
»›Geist meines Stiefvaters zu verkaufen‹«, las Danny.
»›Vor sechs Wochen verstarb überraschend mein betagter Stiefvater, der zu dieser Zeit in unserem Haus lebte.
Er hatte kein eigenes Zuhause mehr, sondern reiste von einem Verwandten zum nächsten, blieb ein, zwei Monate und zog dann weiter. Sein Ableben hat uns alle tief getroffen, vor allem meine Tochter, die ihm sehr nahestand. Wir waren völlig unvorbereitet. Er war bis zu- letzt sehr aktiv, hat nie vor dem Fernseher gesessen, hat jeden Tag ein Glas Orangensaft getrunken und hatte noch alle seine Zähne.«
»Da macht sich jemand einen Witz«, sagte Jude.
»Glaube ich nicht«, sagte Danny und las weiter. »Zwei Tage nach der Beerdigung hat meine kleine Tochter ihn im Gästezimmer gesehen, das genau gegenüber von ihrem Zimmer liegt. Danach wollte meine Tochter nicht mehr allein in ihrem Zimmer bleiben, sie wollte nicht mal mehr allein nach oben gehen. Ich habe ihr gesagt, dass Großvater ihr nie was antun würde, aber sie hat gesagt, dass seine Augen ihr Angst machten. Die wären ganz schwarz und sähen wie bekritzelt aus, so als könnte man damit nicht mehr sehen. Seitdem schläft sie bei mir im Zimmer.
Erst habe ich gedacht, dass das nur eine Schauergeschichte ist, die sie sich einbildet. Aber an der Sache ist mehr dran. Im Gästezimmer ist es immer kalt. Ich habe ein bisschen rumgeschnüffelt, und da ist mir aufgefallen, dass es am kältesten im Wandschrank ist, wo sein Sonntagsanzug hängt. Er hat immer gewollt, dass er darin begraben wird, aber als wir ihm den Anzug in der Leichenhalle anprobiert haben, hat er nicht richtig gepasst. Man schrumpft ja ein bisschen ein, wenn man stirbt. Der Körper trocknet aus. Sein bester Anzug war ihm also zu groß geworden, und so haben wir uns von dem Bestattungsunternehmer beschwatzen lassen, einen von seinen zu kaufen. Ist mir ein Rätsel, warum ich mich darauf eingelassen habe.
Letzte Nacht bin ich aufgewacht und habe gehört, wie über mir mein Stiefvater hin und her läuft. Das Bett im Gästezimmer ist immer ungemacht, zu jeder Tages- und Nachtzeit höre ich, wie die Tür aufgeht und wieder zuschlägt. Auch die Katze geht nicht mehr nach oben.
Manchmal sitzt sie am unteren Ende der Treppe und starrt was an, was ich nicht sehen kann. Sie schaut eine Zeit lang, dann jault sie auf, als wenn ihr jemand auf den Schwanz getreten wäre, und läuft weg.
Mein Stiefvater war sein Leben lang Spiritist. Ich glaube, er ist nur deshalb noch hier, weil er meiner Tochter zeigen will, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Aber sie ist erst elf und muss ein normales Leben führen, sie sollte in ihrem eigenen Zimmer schlafen und nicht in meinem. Ich kann an nichts anderes mehr denken, als dass ich für Paps ein anderes Zuhause finden muss. Es wimmelt doch nur so von Leuten, die an ein Leben nach dem Tod glauben wollen. Tja, den Beweis dafür habe ich hier bei mir im Haus. (…)
© Heyne Verlag
Übersetzung: Wolfgang Müller
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Autoren-Porträt von Joe Hill
Hill, JoeJoe Hill wurde 1972 in Neuengland geboren. Für seine Kurzgeschichten, die in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien erschienen, wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem "Ray Bradbury Fellowship", dem "Bram Stoker Award" und dem renommierten "World Fantasy Award". Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in New Hampshire. Seine Bücher erscheinen im Heyne Verlag, zuletzt der Roman Christmasland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joe Hill
- 2008, 429 Seiten, Maße: 11,7 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Müller, Wolfgang
- Übersetzer: Wolfgang Müller
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453565126
- ISBN-13: 9783453565128
Rezension zu „Blind “
Hills Hightech-Märchen liest sich schnell wie ein japanischer Manga, spannend wie ein Stephen-King-Roman und ist so reich an Popkultur-Zitaten wie ein Quentin-Tarantino-Drehbuch.
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