CIA
Die ganze Geschichte. Ausgezeichnet mit dem National Book Award 2007
Ein Blick hinter die Fassade des angeblich übermächtigen Geheimdienstes. Was Tim Weiner in über 20 Jahren zusammengetragen hat, lässt viele Ereignisse in neuem Licht erscheinen: vom Korea-Krieg bis zu 09/11. Er sichtete über 50.000 Dokumente, interviewte...
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Produktinformationen zu „CIA “
Ein Blick hinter die Fassade des angeblich übermächtigen Geheimdienstes. Was Tim Weiner in über 20 Jahren zusammengetragen hat, lässt viele Ereignisse in neuem Licht erscheinen: vom Korea-Krieg bis zu 09/11. Er sichtete über 50.000 Dokumente, interviewte hunderte von Politikern, Ex-Agenten und zehn ehemalige CIA-Direktoren.
Klappentext zu „CIA “
Zwielichtige Machenschaften wie Drogenhandel und Geldwäsche, Mordkomplotte, illegale Interventionen und Folter: Seit ihrer Gründung vor sechzig Jahren steht die CIA für viele dubiose Vorgänge beginnend mit dem Kalten Krieg bis zum heutigen »War on Terror«. Es gibt kaum eine Veränderung im Weltgeschehen der letzten Jahrzehnte, bei der die CIA nicht ihre Hände im Spiel hatte, ob in Südamerika, Vietnam oder Afghanistan... In zahlreichen Filmen und Thrillern wird sie als kühler, brillanter und allmächtiger Strippenzieher der Weltpolitik dargestellt.Doch das Gegenteil ist der Fall. Der zweifache Pulitzer-Preisträger Tim Weiner zeigt beängstigend und zugleich erstaunlich unterhaltsam, mit welcher Inkompetenz und Naivität der mächtigste Geheimdienst der Welt operiert. Unter anderem war man in Langley vom Fall der Sowjetunion völlig überrascht, hatte die Invasion in Kuwait übersehen und die Warnsignale vor dem 11. September ignoriert.
Lese-Probe zu „CIA “
CIA – Die ganze Geschichte von Tim Weiner43
»Was machen wir, wenn die Mauer fällt?« Als am 20. Januar 1989 George H.W. Bush als Präsident vereidigt wurde, feierte die Agency. Er war einer von ihnen. Er liebte sie. Er verstand sie. Er war, ungelogen, der erste und einzige Oberbefehlshaber, der wusste, wie die CIA funktionierte. Bush wurde sein eigener Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes. Er achtete Richter Webster, aber er wusste, dass die Belegschaft das nicht tat. Also schloss er ihn aus dem inneren Zirkel aus. Bush verlangte tägliche Unterrichtung durch professionelle Leute, und wenn er damit nicht zufrieden war, verlangte er schriftliche Berichte in Rohfassung. Wenn in Peru oder in Polen etwas im Gange war, wollte er vom dortigen Bürochef informiert werden, und zwar umgehend. Er glaubte an die Organisation mit geradezu religiöser Inbrunst. In Panama wurde sein Glaube auf eine harte Probe gestellt. Während des Wahlkampfs im Jahr 1988 leugnete Bush, General Manuel Noriega, den berüchtigten Diktator jenes Landes, je getroffen zu haben. Aber es gab Fotos, die das Gegenteil bewiesen. Noriega stand seit vielen Jahren auf der Gehaltsliste der CIA. Bill Casey hatte den Diktator alljährlich in der Zentrale willkommen geheißen und war mindestens einmal nach Panama geflogen, um ihn zu besuchen. »Casey betrachtete ihn als seinen Schützling«, erklärte Arthur H. Davis jr., der unter Reagan und Bush amerikanischer Botschafter in Panama war. Im Februar 1988 wurde Noriega in Florida als einer der Bosse des Kokainhandels angeklagt, aber er blieb an der Macht und pfiff auf die Vereinigten Staaten. Damals war Noriega bereits als Mörder und langjähriger Freund der CIA allgemein bekannt. Es kam zu einem qualvollen Patt. »Die CIA, die schon so lange mit ihm arbeitete, wollte die Beziehung nicht beenden«, berichtete der Mitarbeiter des
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Nationalen Sicherheitsrates Robert Pastorino, der in den achtziger Jahren als leitender ziviler Angestellter im Pentagon viele Stunden mit Noriega verbracht hatte. Nach der Anklageerhebung trug das Weiße Haus unter Reagan der Agency zweimal auf, einen Weg zu suchen, wie sich Noriega aus dem Amt entfernen ließe. Kurz nach seinem Amtsantritt wies Präsident Bush die CIA abermals an, den Diktator abzusetzen. Jedes Mal sträubte sie sich. General Vernon Walters, damals amerikanischer Botschafter bei den Vereinten Nationen, stand dem Gedanken besonders reserviert gegenüber. »Als früherer stellvertretender Direktor der CIA hatte er – genauso wie eine Reihe von Leuten im Pentagon, die bei SouthCom, dem Südkommando der Streitkräfte der USA, mitgewirkt hatten – wenig Interesse daran, dass Noriega in die Vereinigten Staaten gebracht und wegen irgendetwas vor Gericht gestellt wurde«, erläuterte Stephen Dachi, der sowohl General Walters als auch General Noriega persönlich kannte und im Jahr 1989 als zweithöchster Beamter in der Botschaft in Panama arbeitete. Noriegas alte Freunde in der CIA und im Militär wollten nicht, dass er in einem amerikanischen Gerichtssaal unter Eid Dinge über sie aussagte. Auf Präsident Bushs Befehl hin unterstützte die Agency bei den im Mai 1989 in Panama abgehaltenen Wahlen die Opposition. Auch diese vierte Operation der CIA gegen ihn durchkreuzte Noriega. Bush genehmigte eine fünfte verdeckte Aktion gegen Noriega, die die paramilitärische Unterstützung für einen Staatsstreich einschloss. Das sei doch Unsinn, meinten die Fachleute für verdeckte Operationen; nur durch eine richtige militärische Invasion lasse sich Noriega aus dem Amt jagen. Einige der im Bereich Lateinamerika erfahrensten Leute – unter ihnen auch der Bürochef in Panama, Don Winters – hatten nicht die geringste Lust, gegen den General vorzugehen. Wütend ließ Bush wissen, er erfahre über die Vorgänge in Panama mehr durch CNN als durch die CIA. Das war das Ende von Websters Machtstellung als Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes. Von da an machte Bush die Pläne zum Sturz Noriegas in Absprache mit Verteidigungsminister Dick Cheney, dessen Skepsis gegenüber der Agency mit jedem Tag wuchs. Dass es die CIA nicht schaffte, ihren alten Bundesgenossen still und heimlich abzuservieren, zwang die Vereinigten Staaten zu ihrer größten Militäroperation seit dem Fall Saigons. In der Weihnachtswoche des Jahres 1989 legten präzisionsgelenkte Bomben die Armenviertel von Panama City in Schutt und Asche, während sich Spezialeinheiten ihren Weg durch die Hauptstadt bahnten. Dreiundzwanzig Amerikaner und Hunderte unschuldiger panamaischer Zivilisten starben in den zwei Wochen, die es dauerte, bis man Noriega gefasst hatte und nach Miami schaffen konnte. Don Winters von der CIA sagte bei Noriegas Prozess als Entlastungszeuge für ihn aus. Im Prozess gaben die Vereinigten Staaten zu, dem Diktator durch die CIA und das amerikanische Militär mindestens 320 000 Dollar gezahlt zu haben. Winters schilderte Noriega als Vermittler zwischen Fidel Castro und den Vereinigten Staaten, der das volle Vertrauen der CIA genossen habe, sowie als treuen Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus in Mittelamerika und als Stützpfeiler für die amerikanische Außenpolitik – er hatte sogar dem exilierten Schah des Iran Asyl gewährt. Noriega wurde in acht Anklagepunkten hinsichtlich Drogenhandel und Bandenbildung schuldig gesprochen. Zum großen Teil dank der Fürsprache, die Winters nach dem Prozess für ihn einlegte, wurde die Strafe des verurteilten Kriegsgefangenen um zehn Jahre verkürzt und als neuer Termin für eine Entlassung auf Bewährung der September 2007 festgesetzt.
»Der CIA kann ich nie wieder trauen«
Im Jahre 1990 forderte ein anderer Diktator die Vereinigten Staaten heraus: Saddam Hussein. In den acht Jahren des Krieges zwischen Iran und Irak hatte Präsident Reagan Donald Rumsfeld als seinen Sondergesandten nach Bagdad geschickt, damit er Saddam die Hand reichte und ihm amerikanische Unterstützung anbot. Die CIA lieferte Saddam militärische Nachrichtentechnik, einschließlich kriegsrelevanter Informationen der Spionagesatelliten, und die Vereinigten Staaten gewährten ihm Ausfuhrlizenzen für Hochtechnologie, die der Irak für den Versuch nutzte, Massenvernichtungswaffen zu bauen. Manipulierte nachrichtendienstliche Informationen von Seiten Bill Caseys und der CIA spielten bei diesen Entscheidungen eine maßgebliche Rolle. »Saddam Hussein war als brutaler Diktator bekannt, aber viele hielten ihn für das kleinere von zwei Übeln«, erklärte Philip Wilcox, der Verbindungsmann des Außenministeriums zur CIA. »Der Nachrichtendienst lieferte Einschätzungen der vom Iran ausgehenden Gefahr, die, wie man rückblickend sagen kann, die Siegeschancen des Iran in diesem Krieg übertrieben.« Am Ende »schlugen wir uns tatsächlich auf die Seite des Irak. Wir lieferten ihm nachrichtendienstliche Informationen, strichen ihn von der Liste der Staaten, die den Terrorismus beförderten, und nahmen Äußerungen Saddams, die man so verstehen konnte, als unterstütze er den arabisch-israelischen Friedensprozess, positiv auf. Viele fingen optimistischerweise an, im Irak einen potenziellen Stabilisierungsfaktor zu sehen und in Saddam Hussein einen Mann, mit dem sich zusammenarbeiten ließ.« Die Investitionen in den Irak brachten außerordentlich wenig Ertrag. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse kamen keine zurück. Der Agency gelang es nie, den irakischen Polizeistaat zu infiltrieren. Bezüglich des Regimes Saddams besaß sie praktisch keine Informationen aus erster Hand. Ihr Agentennetz bestand aus einer Handvoll von Diplomaten und Handelsattachés ausländischer Botschaften. Diese Männer hatten wenig Einblick in die geheimen Gremien Bagdads. Irgendwann war sich die CIA nicht einmal zu schade, einen irakischen Hotelangestellten in Deutschland anzuwerben. Die CIA unterhielt aber immerhin noch ein Netz von über vierzig iranischen Agenten, unter ihnen auch Offiziere mittleren Ranges, die einige Kenntnisse über die irakische Armee besaßen. Das CIA-Büro in Frankfurt unterhielt zu ihnen mittels der uralten Technik unsichtbarer Tinte Verbindung. Im Herbst 1989 allerdings schickte ein Angestellter der CIA Briefe an sämtliche Agenten, alle zur gleichen Zeit, alle von der gleichen Poststelle, alle in der gleichen Handschrift, alle an die gleiche Adresse. Als einer der Agenten entlarvt wurde, flog das ganze Netz auf. Ein Anfängerfehler. Sämtliche iranischen Spione der CIA wurden ins Gefängnis geworfen und viele wegen Hochverrats hingerichtet. »Die verhafteten Agenten wurden zu Tode gefoltert«, erklärte Phil Giraldi, damals Stellvertretender Leiter der CIA-Station in Istanbul. »In der CIA wurde niemand bestraft«, sagte er. »Der Leiter der dafür verantwortlichen Feldeinheit wurde im Gegenteil befördert.« Mit dem Zusammenbruch des Agentennetzes schloss sich das Fenster der CIA zum Irak und zum Iran. Als Saddam im Frühjahr 1990 erneut seine Armee in Kampfbereitschaft zu versetzen begann, entging das der CIA. Die Agency teilte in einem Sonderbericht zur Einschätzung der nationalen Sicherheitslage dem Weißen Haus mit, die Streitkräfte des Irak seien erschöpft, es werde Jahre brauchen, bis sie sich von dem Krieg mit dem Iran erholt hätten, und dass Saddam sich in naher Zukunft in irgendein militärisches Abenteuer stürzen werde, sei unwahrscheinlich. Am 24. Juli 1990 brachte dann Richter Webster Präsident Bush Fotos von Spionagesatelliten, die zeigten, wie zwei Divisionen der Republikanischen Garde – irakische Truppen einer Stärke von mehreren zehntausend Mann – an der Grenze zu Kuwait zusammengezogen wurden. Die Schlagzeile im National Intelligence Daily am folgenden Tag lautete: »Blufft der Irak?« Nur ein einziger angesehener CIA-Analyst, Charles Allen, der für Warnungen zuständige Nachrichtenbeamte der Agency, schätzte die Aussichten auf einen Krieg mit über fünfzig Prozent ein. »Ich habe die Alarmglocke geläutet«, sagte Allen. »Erstaunlicherweise hat kaum jemand hingehört.« Am 31. Juli bezeichnete die CIA eine Invasion als unwahrscheinlich; Saddam wolle sich einige Ölfelder oder eine Reihe von Inseln unter den Nagel reißen, aber mehr nicht. Erst am nächsten Tag – zwanzig Stunden vor der Invasion – warnte der stellvertretende Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes, Richard J. Kerr, das Weiße Haus vor dem unmittelbar bevorstehenden irakischen Angriff. Präsident Bush glaubte seiner CIA nicht. Er rief umgehend den ägyptischen Präsidenten, den saudi-arabischen König und den Emir von Kuwait an, und sie alle versicherten ihm, Saddam werde nie und nimmer einmarschieren. König Hussein von Jordanien erklärte dem Präsidenten: »Von Seiten der Iraker lässt man Sie herzlich grüßen und versichert Sie höchster Wertschätzung, Sir.« Bush legte sich beruhigt schlafen. Wenige Stunden später ergoss sich ein Strom von 140 000 irakischen Soldaten über die Grenze und besetzte Kuwait. Bob Gates, der Berater in nachrichtendienstlichen Fragen, dem der Präsident am meisten vertraute, nahm mit seiner Familie an einem Picknick außerhalb von Washington teil. Eine Freundin seiner Frau trat zu ihm und fragte ihn, wieso er da sei. Wie er das verstehen solle, wollte Gates wissen. Die Invasion, sagte sie. Welche Invasion?, fragte Gates. Kurz, »es gab nicht viele Informationen über die Vorgänge innerhalb des Irak«, wie Außenminister James Baker notierte. Laut Chas W. Freeman jr., dem amerikanischen Botschafter in Saudi-Arabien, folgte die CIA während der nächsten zwei Monate in ihrem Verhalten »einem leider ganz typischen Schema«. Sie fiel ins andere Extrem. Am 5. August berichtete sie, Saddam werde Saudi-Arabien angreifen. Was nie geschah. Sie versicherte dem Präsidenten, der Irak besitze keine chemischen Gefechtsköpfe für seine Kurz- und Mittelstreckenraketen. Danach versicherte sie mit zunehmender Entschiedenheit, der Irak verfüge über chemische Gefechtsköpfe – und Saddam werde sie im Zweifelsfall auch einsetzen. Handfeste Beweise für diese warnenden Prognosen gab es keine. Während des Golfkrieges bestand nie ernstlich die Gefahr eines Einsatzes chemischer Waffen durch Saddam. Allerdings war die Angst groß, als irakische Scud-Raketen in Riad und Tel Aviv einzuschlagen begannen. In den Wochen, bevor am 17. Januar 1991 der siebenwöchige Luftkrieg gegen den Irak begann, forderte das Pentagon die CIA auf, Bombenziele auszusuchen. Neben vielen anderen Lokalitäten wählte die Agency auch einen unterirdischen Militärbunker in Bagdad aus. Am 13. Februar zerbombte die Luftwaffe den Bunker, der indes als Luftschutzraum für Zivilisten diente. Hunderte von Frauen und Kindern kamen ums Leben. Danach wurde die CIA bei der Auswahl der Ziele nicht mehr zu Rate gezogen. Dann brach ein hässlicher Streit zwischen der CIA und dem amerikanischen Befehlshaber der Operation »Desert Storm«, General Norman Schwarzkopf, aus. Gestritten wurde um die Beurteilung der Kriegsschäden – um die täglichen Berichte über die militärischen und politischen Auswirkungen des Bombardements. Dem Pentagon war nichts wichtiger, als dem Weißen Haus die Sicherheit zu geben, dass genug irakische Raketenabschussbasen zerstört worden waren, um Israel und Saudi-Arabien Schutz zu bieten, und genug irakische Panzer und Panzerwagen, um die amerikanischen Bodentruppen zu schützen. Der General versicherte dem Präsidenten und der Öffentlichkeit, diese Aufgabe sei erfüllt. Die Analysten der CIA erklärten dem Präsidenten, der General übertreibe den Schaden, der den irakischen Streitkräften zugefügt worden sei – und sie hatten recht. Aber indem die CIA Schwarzkopf herausforderte, grub sie sich ihr eigenes Grab. Die Agency wurde von der Beurteilung der Kriegsschäden ausgeschlossen. Das Pentagon nahm ihr die Aufgabe weg, die Fotos der Spionagesatelliten zu interpretieren. Der Kongress zwang die CIA, sich im Verhältnis zum amerikanischen Militär mit einer untergeordneten Stellung abzufinden. Nach dem Krieg wurde sie gezwungen, ein neues Amt für militärische Angelegenheiten zu schaffen, das die ausschließliche Aufgabe hatte, dem Pentagon zur Hand zu gehen. Das folgende Jahrzehnt verbrachte die CIA damit, tausende Fragen von Militärs zu beantworten: Wie breit ist die und die Straße? Wie tragfähig ist die und die Brücke? Was ist auf der anderen Seite des Berges? Fünfundvierzig Jahre lang hatte die CIA Politikern, nicht Militärs, Rede und Antwort gestanden. Sie hatte ihre Unabhängigkeit von der militärischen Befehlskette eingebüßt. Als der Krieg endete, war Saddam immer noch an der Macht, die CIA hingegen geschwächt. Den Behauptungen irakischer Exilanten Glauben schenkend, berichtete die CIA, ein Volksaufstand gegen den Diktator sei denkbar. Präsident Bush appellierte an das irakische Volk, sich zu erheben und Saddam zu stürzen. Die Schiiten im Süden und die Kurden im Norden nahmen Bush beim Wort. Die Agency nutzte alle ihr verfügbaren Mittel – hauptsächlich Propaganda und psychologische Kriegführung – um den Aufstand anzuheizen. Im Laufe der folgenden sieben Wochen schlug Saddam die Aufstände der Schiiten und Kurden erbarmungslos nieder; Tausende wurden ermordet und weitere Tausende flohen ins Exil. Die CIA begann, mit den Exilierten in London, Amman und Washington zusammenzuarbeiten, und schuf neue Netzwerke für den nächsten Staatsstreich – und den übernächsten. Nach dem Krieg ging eine Sonderkommission der Vereinten Nationen in den Irak und suchte nach chemischen, biologischen und nuklearen Waffen. Zu den Mitgliedern der Kommission zählten CIA-Beamte, die die Vereinten Nationen als Deckmantel nutzten. Richard Clarke, ein außergewöhnlich engagierter Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates, erinnerte sich an die Durchsuchung des irakischen Agrarministeriums, wo sie die Zentrale der für Atomwaffen zuständigen Verwaltung entdeckten. »Wir gingen rein, brachen Türen auf, sprengten Schlösser, kamen in das Allerheiligste«, erinnerte sich Clarke fünfzehn Jahre später im Rahmen einer Fernseh-Dokumentarsendung. »Die Iraker reagierten augenblicklich, umzingelten das Ministerium und hinderten die Inspekteure der UN am Verlassen des Gebäudes. Wir hatten damit auch gerechnet und ihnen deshalb Satellitentelefone mitgegeben. Sie übersetzten vor Ort die Nuklearunterlagen aus dem Arabischen ins Englische und lasen sie uns über Satellitentelefon vor.« Sie stellten fest, dass die Iraker vermutlich noch neun bis achtzehn Monate von ihrem ersten Atomwaffenversuch entfernt waren. »Der CIA war sie völlig entgangen«, sagte Clarke. »Wir hatten im Irak bombardiert, was wir nur konnten, aber eine riesige Anlage zur Entwicklung von Atomwaffen war uns entgangen. Wir wussten nicht, dass sie existierte, hatten keine einzige Bombe darauf geworfen. Dick Cheney sah sich den Bericht an und sagte: ›Hier haben wir die Bestätigung für das, was die Iraker selbst sagen: dass es eine riesige Anlage gibt, die im Krieg nie getroffen wurde; dass sie kurz vor der Herstellung einer Atombombe waren, und die CIA hatte keine Ahnung.‹« »Ich bin sicher«, erklärte Clarke abschließend, »dass er bei sich dachte: ›Der CIA kann ich nie wieder trauen, wenn es um die Frage geht, ob ein Land kurz davor ist, eine Atombombe zu bauen.‹ Kein Zweifel, dass sich dem Gedächtnis des Dick Cheney, der neun Jahre später wieder ins Amt kam, dies unauslöschlich eingebrannt hatte: ›Der Irak will eine Atomwaffe. Der Irak stand schon kurz davor, sie zu kriegen. Und die CIA hatte keine Ahnung.‹« »Und nun ist die Mission beendet« Die CIA »hatte im Januar 1989 keine Ahnung, dass eine historische Flutwelle über uns hereinbrechen würde«, erklärte Bob Gates, der im gleichen Monat die Zentrale verlassen hatte – für immer, wie er glaubte –, um der stellvertretende Sicherheitsberater Präsident Bushs zu werden. Just in dem Augenblick, als das diktatorische Regime der Sowjetunion dahinzuschwinden begann, hatte es der Nachrichtendienst für intakt und unantastbar erklärt. Am 1. Dezember 1988, einen Monat bevor Bush sein Amt antrat, veröffentlichte die CIA einen offiziellen Bericht, in dem sie selbstsicher behauptete: »… die Grundelemente der sowjetischen Verteidigungspolitik und Verteidigungstechnik haben sich bislang durch Gorbatschows Reformkampagne nicht verändert. « Sechs Tage später stand Michail Gorbatschow am Rednerpult der Vereinten Nationen und machte das Angebot einer einseitigen sowjetischen Truppenreduktion um 500 000 Mann. Das sei undenkbar gewesen, erklärte Doug MacEachin, damals Chef der für die Sowjetunion zuständigen Analyseabteilung der CIA, in der folgenden Woche gegenüber dem Kongress: Selbst wenn die CIA zu dem Schluss gelangt wäre, dass ein solches politisches Erdbeben die Sowjetunion in Kürze erschüttern werde, »hätten wir das doch nie veröffentlichen können, ehrlich gesagt. Hätten wir das getan, hätten alle meinen Kopf gefordert.« Während der sowjetische Staat zerfiel, kamen von der CIA »ständig Berichte über die wachsende sowjetische Wirtschaft«, erzählte Mark Palmer, einer der erfahrensten Kenner des Kreml in der Regierung Bush. »Sie nahmen einfach gewohnheitsmäßig die von den Sowjets offiziell verlautbarten Zahlen, zogen ein Prozent ab und veröffentlichten sie. Und sie waren schlichtweg falsch, und jeder, der sich in der Sowjetunion in den Dörfern und kleinen Städten umgeschaut hatte, wusste, es war absolut verrückt.« Dabei handelte es sich um das Werk der besten Köpfe der CIA – wie etwa Bob Gates, der jahrelang der Hauptanalyst für die Sowjetunion war –, und das machte Palmer rasend vor Zorn. »Er kannte die Sowjetunion gar nicht aus eigener Anschauung. Er hatte sie kein einziges Mal besucht, er, der angebliche Spitzenexperte in der CIA!« Dem Nachrichtendienst war irgendwie entgangen, dass sein Hauptgegner im Sterben lag. »Sie sprachen über die Sowjetunion, als läsen sie keine Zeitung, von anspruchsvollerem Geheimdienstmaterial ganz zu schweigen«, meinte Admiral William J. Crowe jr., der unter Bush Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte war. Als im Frühjahr 1989 die ersten tiefen Risse in den Sowjetrepubliken auftraten, holte sich die CIA tatsächlich ihre Informationen aus der Lektüre der dortigen Zeitungen, die freilich drei Wochen alt waren, wenn sie eintrafen. Niemand in der Agency stellte die Frage, die Vernon Walters, der von Bush neu ernannte Botschafter in Deutschland, im Mai 1989 seinen Mitarbeitern stellte: »Was machen wir, wenn die Mauer fällt?« Die Berliner Mauer stand seit fast dreißig Jahren, als herausragendes Symbol des Kalten Krieges. Als sie eines Abends im November 1989 durchlässig wurde, saß Milt Bearden, der Chef der für die Sowjetunion zuständigen Abteilung im Geheimdienst, sprachlos in der Zentrale und starrte auf den Fernseher, wo CNN über die Ereignisse berichtete. Der erfolgreiche Sender war für den Nachrichtendienst zu einem gewaltigen Problem geworden. In einer Krisensituation lieferte er Nachrichten, die als Echtzeit-Informationen durchgingen. Wie hätte die CIA das noch übertrumpfen können? Und schon kam ein Anruf vom Weißen Haus: Was passiert in Moskau? Was berichten unsere Spione? Es fiel schwer, zuzugeben, dass es gar keine ernst zu nehmenden Spione in der Sowjetunion mehr gab – dass sie alle zur Strecke gebracht und ermordet worden waren und dass keiner in der CIA wusste, warum. Die Agency wollte gleich als heldenhafter Eroberer gen Osten reiten und die Nachrichtendienste der Tschechoslowakei, Polens und Ostdeutschlands übernehmen, aber das Weiße Haus riet zur Vorsicht. Das Beste, was die CIA erst einmal tun konnte, war, das Sicherheitspersonal neuer politischer Führer wie des tschechischen Bühnenautors Václav Havel auszubilden und das Höchstgebot für die entwendeten Stasi-Unterlagen abzugeben, nachdem diese eines schönen Tages von einer plündernden Menschenmenge, die die Geheimpolizei überrannte, aus einem Fenster in Ostberlin auf die Straße geworfen worden waren. Die Nachrichtendienste des Sowjetkommunismus waren ebenso gigantische wie präzis arbeitende Unterdrückungsmaschinerien. Vor allem hatten sie dazu gedient, die eigene Bevölkerung auszuspionieren, einzuschüchtern und nach Möglichkeit zu kontrollieren. Größer und rücksichtsloser als die CIA, hatten diese Geheimdienste ihre Gegner in vielen Schlachten, die sie in Drittländern austrugen, besiegt, aber den Krieg hatten sie verloren, zugrunde gerichtet durch die Brutalität und Banalität des sowjetischen Staatswesens. Der Verlust der Sowjetunion traf die CIA ins Mark. Wie sollte sie ohne ihren Widerpart fortbestehen? »Vormals war es leicht für die CIA, einzigartig und geheimnisumwittert zu sein«, meinte Milt Bearden. »Sie war keine Behörde. Sie hatte eine Mission. Und ihre Mission war ein Kreuzzug. Dann nahm man uns die Sowjetunion weg, und etwas anderes hatten wir nicht. Wir haben keine Geschichte. Wir haben keine Helden. Sogar unsere Auszeichnungen sind geheim. Und nun ist die Mission beendet. Finis.« Hunderte von altgedienten Geheimdienstlern erklärten sich zu Siegern und dankten ab. Zu ihnen zählte Phil Giraldi, der als Mitarbeiter im Außendienst in Rom angefangen und es sechzehn Jahre später zum Chef der Außenstelle in Barcelona gebracht hatte. Sein Partner im Büro in Rom hatte über italienische Politik promoviert. In Barcelona war seine Partnerin eine Absolventin im Fach Anglistik, die kein Spanisch sprach. »Die eigentliche Tragödie liegt im Geistigen«, sagte er. »Viele der jüngeren Mitarbeiter, die ich kannte, haben gekündigt. Das waren die Besten und Hellsten. Achtzig oder neunzig Prozent von denen, die ich kannte, haben mitten in ihrer Karriere aufgegeben. Es gab kaum noch einen Anreiz. Die Begeisterung war weg. Als ich in die Agency eintrat, damals im Jahr ’76, gab es ein Stammesdenken. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das in der Agency existierte, speiste sich aus diesem Stammesdenken, und es diente einem guten Zweck.« Und jetzt sei es verschwunden und mit ihm der größte Teil des Geheimdienstes. Bereits 1990 »entwickelte sich das rasant in die völlig falsche Richtung «, meinte Arnold Donahue, ein altgedienter CIA-Mann, der unter Bush Haushaltsgelder für Belange der nationalen Sicherheit verwaltete. Sooft das Weiße Haus »zehn oder fünfzehn weitere Geheimagenten vor Ort gebraucht« habe, um herauszufinden, was da in Somalia oder auf dem Balkan los war, habe es die CIA gefragt: »Ist eine Gruppe einsatzbereit?« Und die Antwort habe jedes Mal gelautet: »Ganz und gar nicht.«
»Anpassung oder Tod«
Am 8. Mai 1991 ließ Präsident Bush an Bord der Präsidentenmaschine Bob Gates nach vorn in seine Kabine kommen und bat ihn, den Direktorenposten beim Zentralen Nachrichtendienst zu übernehmen. Gates war gleichermaßen fasziniert und schreckerfüllt. Die Kongress- Anhörungen zu seiner Bestätigung waren eine Tortur, die sich sechs Monate hinzog. Er steckte Prügel für die Sünden Caseys ein und wurde von seinen eigenen Leuten schlechtgemacht. Gates hatte die Zukunft der CIA ansprechen wollen, aber die Anhörungen wurden zu einer Schlacht um die Vergangenheit der Organisation. Sie gaben einer wütenden Analystenschar, die von Casey und Gates jahrelang geschurigelt worden waren, die Gelegenheit, ihrem Zorn Luft zu machen. Ihr Zorn hatte sowohl berufliche als auch persönliche Gründe. Sie griffen die allgemeine Neigung zur Täuschung und Selbsttäuschung an, die sich in der CIA eingenistet habe. Harold Ford, der vierzig Jahre lang der Organisation ehrenvoll gedient hatte, erklärte, Gates – und die CIA – hätten hinsichtlich der Lebensverhältnisse in der Sowjetunion »absolut falsch gelegen«. Damit sprach er dem Zentralen Nachrichtendienst geradezu die Existenzberechtigung ab. Schwer angeschlagen, kam sich Gates wie ein Preisboxer vor, der Mühe hat, auf das Glockenzeichen für die nächste Runde zu reagieren. Er schaffte es aber, die Senatoren davon zu überzeugen, dass er entschlossen sei, »die letzte Gelegenheit zu einer Überprüfung der Rolle, des Auftrags, der Prioritäten und des Aufbaus des Nachrichtendienstes« zu ergreifen, und dass er sie dabei als Partner ernst nehmen werde. Die Stimmen, die er für sich gewann, verdankte er zu einem nicht geringen Teil dem Stabschef und Regisseur des Senatsausschusses für die Nachrichtendienste und künftigen Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes George J. Tenet. Der siebenunddreißig Jahre alte, ungeheuer ehrgeizige und mit unerbittlichem Herdeninstinkt ausgezeichnete Tenet, Sohn griechischer Emigranten, die am Rande von Queens ein Hamburger-Lokal mit Namen 20th Century Diner betrieben, war ein Mitarbeiter, wie er im Buche steht: arbeitsam, seinen Vorgesetzten treu ergeben, begierig danach, sich lieb Kind zu machen. Er arrangierte das Material für die Senatoren, die nichts weiter als sicherstellen wollten, dass Gates ihnen Macht abtrat, damit sie besser beurteilen konnten, wie viel er selbst besaß. Während sich Gates in Washington abquälte, erlebte die CIA im Ausland eine Reihe von schwindelerregenden Momenten. Während im August 1991 ein Putsch gegen Gorbatschow im Sande verlief und der Untergang der Sowjetunion begann, berichtete die CIA live aus Moskau, aus der denkbar besten Loge – der Zentrale des sowjetischen Nachrichtendienstes am Dserdschinski-Platz. Einer der Stars der für die Sowjetunion zuständigen Abteilung des Nachrichtendienstes, Michael Sulick, fuhr mit dem Auto nach Litauen, als das Land seine Unabhängigkeit erklärte, und wurde der erste CIA-Beamte, der seinen Fuß in eine frühere Sowjetrepublik setzte. Er gab sich den neuen Führern der jungen Nation offen zu erkennen und bot ihnen seine Hilfe bei der Schaffung eines Nachrichtendienstes an. Man lud ihn ein, sich in den Amtsräumen Karol Motiekas, des neuen Vizepräsidenten, an die Arbeit zu setzen. »Ganz allein im Büro des Vizepräsidenten zu sitzen war ein surrealistisches Erlebnis für einen CIA-Beamten, der seine ganze Laufbahn mit dem Kampf gegen die Sowjetunion verbracht hatte«, schrieb Sulick in der hauseigenen Zeitschrift des Nachrichtendienstes. »Hätte ich wenige Monate zuvor im Büro des Vizepräsidenten einer Sowjetrepublik gesessen, ich hätte das Gefühl gehabt, auf eine Goldader gestoßen zu sein. Während ich an Motiekas Schreibtisch saß, auf dem jede Menge Dokumente herumlagen, galt mein ganzes Sinnen und Trachten einem Telefonat mit Warschau.« Die nachrichtendienstlichen Details, die von Spionen unter großen Mühen aus dem Land geschmuggelt worden waren, hatten nie auch nur entfernt ein Gesamtbild von der Sowjetunion liefern können. Im Laufe des Kalten Krieges hatte die CIA über insgesamt drei Agenten verfügt, die Geheimnisse von bleibendem Wert über die von der Sowjetunion ausgehende militärische Bedrohung hatten liefern können, und alle drei waren sie verhaftet und hingerichtet worden. Spionagesatelliten hatten akribisch Panzer und Raketen gezählt, aber die Zahlen schienen nun unerheblich. Wanzen und Abhörvorrichtungen hatten Milliarden von Wörtern aufgeschnappt, die jetzt jegliche Bedeutung eingebüßt hatten. »Neue Welt da draußen. Anpassung oder Tod«, notierte Gates auf einem Schreibblock, zwei Tage bevor er sich am 7. und 8. November 1991 mit den leitenden Beamten des Geheimdienstes zusammensetzte und unmittelbar nachdem er als Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes vereidigt worden war. In der folgenden Woche schickte Bush eine von ihm persönlich unterzeichnete Anweisung an die Mitglieder seines Kabinetts, den »Bericht zur Nationalen Sicherheit Nr. 29«. Gates hatte ihn während der vergangenen fünf Monate entworfen. Darin wurden alle an der Regierung Beteiligten aufgefordert, zu erklären, was sie im Laufe der kommenden fünfzehn Jahre vom amerikanischen Nachrichtendienst erwarteten. »Dieses Vorhaben« war, wie Gates einer Hunderte von CIA-Angestellten umfassenden Zuhörerschaft verkündete, »ein großartiges Unternehmen von historischen Dimensionen«. Der »Bericht zur Nationalen Sicherheit« trug Bushs Unterschrift. Aber er war eine inständige Bitte, die Gates den anderen Teilen des Regierungsapparats vortrug: Sagen Sie uns, was Sie von uns erwarten. Er wusste, dass die Organisation nur überleben konnte, wenn sie sich sichtlich veränderte. Richard Kerr, der unter Bush vier Jahre lang als stellvertretender Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes amtierte, dachte laut darüber nach, ob es in Zukunft noch eine CIA geben werde. Der Nachrichtendienst befinde sich in »einem ebenso tief greifenden Umbruch wie die Sowjetunion«, meinte er. »Wir haben die einfache Zielsetzung und den schlichten Zusammenhalt verloren, die mehr als vierzig Jahre lang die treibende Kraft nicht nur des Nachrichtenwesens, sondern mehr noch des ganzen Landes gewesen sind.« Der Konsens darüber, wo die Interessen Amerikas lägen und wie die CIA diesen Interessen dienen könne, existiere nicht mehr. Gates veröffentlichte eine Pressemeldung, in der er den »Bericht zur Nationalen Sicherheit« als »die seit 1947 weitreichendste Direktive zur Ermittlung künftiger nachrichtendienstlicher Erfordernisse und Prioritäten« bezeichnete. Aber wie sahen diese Erfordernisse aus? Im Kalten Krieg mussten sich kein Präsident und kein Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes jemals diese Frage stellen. Sollte die CIA ihr Augenmerk jetzt auf die Elenden dieser Welt oder auf den Vormarsch der globalen Märkte konzentrieren? Was war bedrohlicher – der Terror oder die Technik? Den Winter über stellte Gates seine Aufgabenliste für den Umgang mit der neuen Welt zusammen, um sie im Februar abzuschließen und am 2. April 1992 dem Kongress vorzulegen. Die Schlussfassung führte 176 Gefahren auf, angefangen vom Klimawandel bis hin zur Cyberkriminalität. Ganz oben rangierten die nuklearen, chemischen und biologischen Waffen. Dann kamen die Drogen und der Terrorismus – unter dem Schlagwort »drugs and thugs« als Zwillingspaar präsentiert; der Terrorismus war noch nicht an die erste Stelle gerückt – und anschließend Welthandel und überraschende technologische Neuentwicklungen. Aber das riesige Loch, das die Sowjetunion hinterlassen hatte, konnte all das nicht ausfüllen. Präsident Bush beschloss, den Nachrichtendienst zu verkleinern und den Umfang seiner Aktivitäten neu zu bestimmen. Gates stimmte zu. Das war eine vernünftige Reaktion auf das Ende des Kalten Krieges. Die Macht der CIA wurde also gezielt abgebaut. Alle gingen davon aus, dass die CIA durch ihre Verkleinerung an Tüchtigkeit gewinnen werde. 1991 fing das Budget an zu schrumpfen, und der Schrumpfungsprozess hielt die nächsten sechs Jahre lang an. 1992 machten sich die Einsparungen stark bemerkbar, just in dem Augenblick, in dem die CIA die Anweisung erhielt, ihre Unterstützung für laufende Militäroperationen drastisch zu verstärken. Mehr als zwanzig Außenstellen der CIA wurden dichtgemacht, einige große Büros in Hauptstädten um über 60 Prozent verkleinert und die Zahl der Geheimdienstagenten im Ausland drastisch reduziert. Die Analysten traf es noch härter. Doug MacEachin, ihr neuer Chef, erklärte, es falle ihm schwer, mit »einer alle zwei Jahre wechselnden Horde Neunzehnjähriger« ernsthafte Analysearbeit zu betreiben. Er übertrieb ein bisschen, aber nicht sehr. »Die Spannungen wachsen in dem Maße, wie das Budget sich verknappt «, schrieb Gates nicht lange nach seiner Vereidigung in ein persönliches Arbeitsjournal. Die Kürzungen gingen weiter, und Bush und viele andere gaben die Schuld daran den unverbesserlichen Liberalen. Die Akten zeigen indes, das sie genauso sein eigenes Werk waren. Sie entsprachen dem Geist der damaligen Zeit, festgehalten in einem Fernsehwerbespot, den Bill Colby zu Beginn der Wahlkampfsaison im Jahr 1992 für eine Initiative machte, die sich »Bündnis für Demokratische Werte« nannte. »Ich bin William Colby«, erklärte er dort, »und ich war Leiter der CIA. Aufgabe des Nachrichtendienstes ist es, vor militärischen Bedrohungen zu warnen. Der Kalte Krieg ist mittlerweile vorbei, und die militärische Bedrohung hat sich stark verringert. Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Rüstungsausgaben um fünfzig Prozent zu kürzen und das Geld in unsere Schulen, unser Gesundheitswesen und unsere Wirtschaft zu investieren.« Das war die berühmte Friedensdividende. Dieser Friede aber erwies sich als ebenso vergänglich wie der nach dem Zweiten Weltkrieg, nur dass es diesmal keine Siegesparaden gab und dass die Veteranen des Kalten Krieges Grund hatten, um den geschlagenen Feind zu trauern. »Wenn Sie bei der Spionage mitmachen wollen, müssen Sie wissen, worum es geht«, sagte einmal Richard Helms zu mir, wobei sich seine Augen verengten und seine Stimme leiser und dringlicher wurde. »Spionage ist nicht Jux und Dollerei. Sie ist schmutzig und gefährlich. Es besteht immer die Chance, dass Sie dabei draufgehen. Im Zweiten Weltkrieg, im OSS, wussten wir, worum es ging – die verdammten Nazis zu schlagen. Im Kalten Krieg wussten wir, worum es ging – die verdammten Russen zu schlagen. Plötzlich ist der Kalte Krieg vorbei, und worum geht es jetzt? Was könnte jemanden veranlassen, sein Leben mit so etwas zuzubringen?« Gates verbrachte ein Jahr damit, Antwort auf diese Fragen zu finden – endlose Tage, an denen er vor dem Kongress aussagte, um politische Unterstützung warb, öffentliche Vorträge hielt, Arbeitsgruppen und Gespräche am runden Tisch leitete, mehr Hilfe für das Militär zusagte, den politischen Druck auf die Analysten zu vermindern versprach, einen Generalangriff auf die zehn Hauptgefahren, eine neue CIA, eine bessere CIA in Aussicht stellte. Die Zeit, eine dieser Visionen in die Tat umzusetzen, ließ man ihm nicht. Er war gerade erst zehn Monate im Amt, als er seine Arbeit ruhen lassen und nach Little Rock fliegen musste, um den Mann in die Materie einzuführen, der nächster Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009
»Der CIA kann ich nie wieder trauen«
Im Jahre 1990 forderte ein anderer Diktator die Vereinigten Staaten heraus: Saddam Hussein. In den acht Jahren des Krieges zwischen Iran und Irak hatte Präsident Reagan Donald Rumsfeld als seinen Sondergesandten nach Bagdad geschickt, damit er Saddam die Hand reichte und ihm amerikanische Unterstützung anbot. Die CIA lieferte Saddam militärische Nachrichtentechnik, einschließlich kriegsrelevanter Informationen der Spionagesatelliten, und die Vereinigten Staaten gewährten ihm Ausfuhrlizenzen für Hochtechnologie, die der Irak für den Versuch nutzte, Massenvernichtungswaffen zu bauen. Manipulierte nachrichtendienstliche Informationen von Seiten Bill Caseys und der CIA spielten bei diesen Entscheidungen eine maßgebliche Rolle. »Saddam Hussein war als brutaler Diktator bekannt, aber viele hielten ihn für das kleinere von zwei Übeln«, erklärte Philip Wilcox, der Verbindungsmann des Außenministeriums zur CIA. »Der Nachrichtendienst lieferte Einschätzungen der vom Iran ausgehenden Gefahr, die, wie man rückblickend sagen kann, die Siegeschancen des Iran in diesem Krieg übertrieben.« Am Ende »schlugen wir uns tatsächlich auf die Seite des Irak. Wir lieferten ihm nachrichtendienstliche Informationen, strichen ihn von der Liste der Staaten, die den Terrorismus beförderten, und nahmen Äußerungen Saddams, die man so verstehen konnte, als unterstütze er den arabisch-israelischen Friedensprozess, positiv auf. Viele fingen optimistischerweise an, im Irak einen potenziellen Stabilisierungsfaktor zu sehen und in Saddam Hussein einen Mann, mit dem sich zusammenarbeiten ließ.« Die Investitionen in den Irak brachten außerordentlich wenig Ertrag. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse kamen keine zurück. Der Agency gelang es nie, den irakischen Polizeistaat zu infiltrieren. Bezüglich des Regimes Saddams besaß sie praktisch keine Informationen aus erster Hand. Ihr Agentennetz bestand aus einer Handvoll von Diplomaten und Handelsattachés ausländischer Botschaften. Diese Männer hatten wenig Einblick in die geheimen Gremien Bagdads. Irgendwann war sich die CIA nicht einmal zu schade, einen irakischen Hotelangestellten in Deutschland anzuwerben. Die CIA unterhielt aber immerhin noch ein Netz von über vierzig iranischen Agenten, unter ihnen auch Offiziere mittleren Ranges, die einige Kenntnisse über die irakische Armee besaßen. Das CIA-Büro in Frankfurt unterhielt zu ihnen mittels der uralten Technik unsichtbarer Tinte Verbindung. Im Herbst 1989 allerdings schickte ein Angestellter der CIA Briefe an sämtliche Agenten, alle zur gleichen Zeit, alle von der gleichen Poststelle, alle in der gleichen Handschrift, alle an die gleiche Adresse. Als einer der Agenten entlarvt wurde, flog das ganze Netz auf. Ein Anfängerfehler. Sämtliche iranischen Spione der CIA wurden ins Gefängnis geworfen und viele wegen Hochverrats hingerichtet. »Die verhafteten Agenten wurden zu Tode gefoltert«, erklärte Phil Giraldi, damals Stellvertretender Leiter der CIA-Station in Istanbul. »In der CIA wurde niemand bestraft«, sagte er. »Der Leiter der dafür verantwortlichen Feldeinheit wurde im Gegenteil befördert.« Mit dem Zusammenbruch des Agentennetzes schloss sich das Fenster der CIA zum Irak und zum Iran. Als Saddam im Frühjahr 1990 erneut seine Armee in Kampfbereitschaft zu versetzen begann, entging das der CIA. Die Agency teilte in einem Sonderbericht zur Einschätzung der nationalen Sicherheitslage dem Weißen Haus mit, die Streitkräfte des Irak seien erschöpft, es werde Jahre brauchen, bis sie sich von dem Krieg mit dem Iran erholt hätten, und dass Saddam sich in naher Zukunft in irgendein militärisches Abenteuer stürzen werde, sei unwahrscheinlich. Am 24. Juli 1990 brachte dann Richter Webster Präsident Bush Fotos von Spionagesatelliten, die zeigten, wie zwei Divisionen der Republikanischen Garde – irakische Truppen einer Stärke von mehreren zehntausend Mann – an der Grenze zu Kuwait zusammengezogen wurden. Die Schlagzeile im National Intelligence Daily am folgenden Tag lautete: »Blufft der Irak?« Nur ein einziger angesehener CIA-Analyst, Charles Allen, der für Warnungen zuständige Nachrichtenbeamte der Agency, schätzte die Aussichten auf einen Krieg mit über fünfzig Prozent ein. »Ich habe die Alarmglocke geläutet«, sagte Allen. »Erstaunlicherweise hat kaum jemand hingehört.« Am 31. Juli bezeichnete die CIA eine Invasion als unwahrscheinlich; Saddam wolle sich einige Ölfelder oder eine Reihe von Inseln unter den Nagel reißen, aber mehr nicht. Erst am nächsten Tag – zwanzig Stunden vor der Invasion – warnte der stellvertretende Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes, Richard J. Kerr, das Weiße Haus vor dem unmittelbar bevorstehenden irakischen Angriff. Präsident Bush glaubte seiner CIA nicht. Er rief umgehend den ägyptischen Präsidenten, den saudi-arabischen König und den Emir von Kuwait an, und sie alle versicherten ihm, Saddam werde nie und nimmer einmarschieren. König Hussein von Jordanien erklärte dem Präsidenten: »Von Seiten der Iraker lässt man Sie herzlich grüßen und versichert Sie höchster Wertschätzung, Sir.« Bush legte sich beruhigt schlafen. Wenige Stunden später ergoss sich ein Strom von 140 000 irakischen Soldaten über die Grenze und besetzte Kuwait. Bob Gates, der Berater in nachrichtendienstlichen Fragen, dem der Präsident am meisten vertraute, nahm mit seiner Familie an einem Picknick außerhalb von Washington teil. Eine Freundin seiner Frau trat zu ihm und fragte ihn, wieso er da sei. Wie er das verstehen solle, wollte Gates wissen. Die Invasion, sagte sie. Welche Invasion?, fragte Gates. Kurz, »es gab nicht viele Informationen über die Vorgänge innerhalb des Irak«, wie Außenminister James Baker notierte. Laut Chas W. Freeman jr., dem amerikanischen Botschafter in Saudi-Arabien, folgte die CIA während der nächsten zwei Monate in ihrem Verhalten »einem leider ganz typischen Schema«. Sie fiel ins andere Extrem. Am 5. August berichtete sie, Saddam werde Saudi-Arabien angreifen. Was nie geschah. Sie versicherte dem Präsidenten, der Irak besitze keine chemischen Gefechtsköpfe für seine Kurz- und Mittelstreckenraketen. Danach versicherte sie mit zunehmender Entschiedenheit, der Irak verfüge über chemische Gefechtsköpfe – und Saddam werde sie im Zweifelsfall auch einsetzen. Handfeste Beweise für diese warnenden Prognosen gab es keine. Während des Golfkrieges bestand nie ernstlich die Gefahr eines Einsatzes chemischer Waffen durch Saddam. Allerdings war die Angst groß, als irakische Scud-Raketen in Riad und Tel Aviv einzuschlagen begannen. In den Wochen, bevor am 17. Januar 1991 der siebenwöchige Luftkrieg gegen den Irak begann, forderte das Pentagon die CIA auf, Bombenziele auszusuchen. Neben vielen anderen Lokalitäten wählte die Agency auch einen unterirdischen Militärbunker in Bagdad aus. Am 13. Februar zerbombte die Luftwaffe den Bunker, der indes als Luftschutzraum für Zivilisten diente. Hunderte von Frauen und Kindern kamen ums Leben. Danach wurde die CIA bei der Auswahl der Ziele nicht mehr zu Rate gezogen. Dann brach ein hässlicher Streit zwischen der CIA und dem amerikanischen Befehlshaber der Operation »Desert Storm«, General Norman Schwarzkopf, aus. Gestritten wurde um die Beurteilung der Kriegsschäden – um die täglichen Berichte über die militärischen und politischen Auswirkungen des Bombardements. Dem Pentagon war nichts wichtiger, als dem Weißen Haus die Sicherheit zu geben, dass genug irakische Raketenabschussbasen zerstört worden waren, um Israel und Saudi-Arabien Schutz zu bieten, und genug irakische Panzer und Panzerwagen, um die amerikanischen Bodentruppen zu schützen. Der General versicherte dem Präsidenten und der Öffentlichkeit, diese Aufgabe sei erfüllt. Die Analysten der CIA erklärten dem Präsidenten, der General übertreibe den Schaden, der den irakischen Streitkräften zugefügt worden sei – und sie hatten recht. Aber indem die CIA Schwarzkopf herausforderte, grub sie sich ihr eigenes Grab. Die Agency wurde von der Beurteilung der Kriegsschäden ausgeschlossen. Das Pentagon nahm ihr die Aufgabe weg, die Fotos der Spionagesatelliten zu interpretieren. Der Kongress zwang die CIA, sich im Verhältnis zum amerikanischen Militär mit einer untergeordneten Stellung abzufinden. Nach dem Krieg wurde sie gezwungen, ein neues Amt für militärische Angelegenheiten zu schaffen, das die ausschließliche Aufgabe hatte, dem Pentagon zur Hand zu gehen. Das folgende Jahrzehnt verbrachte die CIA damit, tausende Fragen von Militärs zu beantworten: Wie breit ist die und die Straße? Wie tragfähig ist die und die Brücke? Was ist auf der anderen Seite des Berges? Fünfundvierzig Jahre lang hatte die CIA Politikern, nicht Militärs, Rede und Antwort gestanden. Sie hatte ihre Unabhängigkeit von der militärischen Befehlskette eingebüßt. Als der Krieg endete, war Saddam immer noch an der Macht, die CIA hingegen geschwächt. Den Behauptungen irakischer Exilanten Glauben schenkend, berichtete die CIA, ein Volksaufstand gegen den Diktator sei denkbar. Präsident Bush appellierte an das irakische Volk, sich zu erheben und Saddam zu stürzen. Die Schiiten im Süden und die Kurden im Norden nahmen Bush beim Wort. Die Agency nutzte alle ihr verfügbaren Mittel – hauptsächlich Propaganda und psychologische Kriegführung – um den Aufstand anzuheizen. Im Laufe der folgenden sieben Wochen schlug Saddam die Aufstände der Schiiten und Kurden erbarmungslos nieder; Tausende wurden ermordet und weitere Tausende flohen ins Exil. Die CIA begann, mit den Exilierten in London, Amman und Washington zusammenzuarbeiten, und schuf neue Netzwerke für den nächsten Staatsstreich – und den übernächsten. Nach dem Krieg ging eine Sonderkommission der Vereinten Nationen in den Irak und suchte nach chemischen, biologischen und nuklearen Waffen. Zu den Mitgliedern der Kommission zählten CIA-Beamte, die die Vereinten Nationen als Deckmantel nutzten. Richard Clarke, ein außergewöhnlich engagierter Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates, erinnerte sich an die Durchsuchung des irakischen Agrarministeriums, wo sie die Zentrale der für Atomwaffen zuständigen Verwaltung entdeckten. »Wir gingen rein, brachen Türen auf, sprengten Schlösser, kamen in das Allerheiligste«, erinnerte sich Clarke fünfzehn Jahre später im Rahmen einer Fernseh-Dokumentarsendung. »Die Iraker reagierten augenblicklich, umzingelten das Ministerium und hinderten die Inspekteure der UN am Verlassen des Gebäudes. Wir hatten damit auch gerechnet und ihnen deshalb Satellitentelefone mitgegeben. Sie übersetzten vor Ort die Nuklearunterlagen aus dem Arabischen ins Englische und lasen sie uns über Satellitentelefon vor.« Sie stellten fest, dass die Iraker vermutlich noch neun bis achtzehn Monate von ihrem ersten Atomwaffenversuch entfernt waren. »Der CIA war sie völlig entgangen«, sagte Clarke. »Wir hatten im Irak bombardiert, was wir nur konnten, aber eine riesige Anlage zur Entwicklung von Atomwaffen war uns entgangen. Wir wussten nicht, dass sie existierte, hatten keine einzige Bombe darauf geworfen. Dick Cheney sah sich den Bericht an und sagte: ›Hier haben wir die Bestätigung für das, was die Iraker selbst sagen: dass es eine riesige Anlage gibt, die im Krieg nie getroffen wurde; dass sie kurz vor der Herstellung einer Atombombe waren, und die CIA hatte keine Ahnung.‹« »Ich bin sicher«, erklärte Clarke abschließend, »dass er bei sich dachte: ›Der CIA kann ich nie wieder trauen, wenn es um die Frage geht, ob ein Land kurz davor ist, eine Atombombe zu bauen.‹ Kein Zweifel, dass sich dem Gedächtnis des Dick Cheney, der neun Jahre später wieder ins Amt kam, dies unauslöschlich eingebrannt hatte: ›Der Irak will eine Atomwaffe. Der Irak stand schon kurz davor, sie zu kriegen. Und die CIA hatte keine Ahnung.‹« »Und nun ist die Mission beendet« Die CIA »hatte im Januar 1989 keine Ahnung, dass eine historische Flutwelle über uns hereinbrechen würde«, erklärte Bob Gates, der im gleichen Monat die Zentrale verlassen hatte – für immer, wie er glaubte –, um der stellvertretende Sicherheitsberater Präsident Bushs zu werden. Just in dem Augenblick, als das diktatorische Regime der Sowjetunion dahinzuschwinden begann, hatte es der Nachrichtendienst für intakt und unantastbar erklärt. Am 1. Dezember 1988, einen Monat bevor Bush sein Amt antrat, veröffentlichte die CIA einen offiziellen Bericht, in dem sie selbstsicher behauptete: »… die Grundelemente der sowjetischen Verteidigungspolitik und Verteidigungstechnik haben sich bislang durch Gorbatschows Reformkampagne nicht verändert. « Sechs Tage später stand Michail Gorbatschow am Rednerpult der Vereinten Nationen und machte das Angebot einer einseitigen sowjetischen Truppenreduktion um 500 000 Mann. Das sei undenkbar gewesen, erklärte Doug MacEachin, damals Chef der für die Sowjetunion zuständigen Analyseabteilung der CIA, in der folgenden Woche gegenüber dem Kongress: Selbst wenn die CIA zu dem Schluss gelangt wäre, dass ein solches politisches Erdbeben die Sowjetunion in Kürze erschüttern werde, »hätten wir das doch nie veröffentlichen können, ehrlich gesagt. Hätten wir das getan, hätten alle meinen Kopf gefordert.« Während der sowjetische Staat zerfiel, kamen von der CIA »ständig Berichte über die wachsende sowjetische Wirtschaft«, erzählte Mark Palmer, einer der erfahrensten Kenner des Kreml in der Regierung Bush. »Sie nahmen einfach gewohnheitsmäßig die von den Sowjets offiziell verlautbarten Zahlen, zogen ein Prozent ab und veröffentlichten sie. Und sie waren schlichtweg falsch, und jeder, der sich in der Sowjetunion in den Dörfern und kleinen Städten umgeschaut hatte, wusste, es war absolut verrückt.« Dabei handelte es sich um das Werk der besten Köpfe der CIA – wie etwa Bob Gates, der jahrelang der Hauptanalyst für die Sowjetunion war –, und das machte Palmer rasend vor Zorn. »Er kannte die Sowjetunion gar nicht aus eigener Anschauung. Er hatte sie kein einziges Mal besucht, er, der angebliche Spitzenexperte in der CIA!« Dem Nachrichtendienst war irgendwie entgangen, dass sein Hauptgegner im Sterben lag. »Sie sprachen über die Sowjetunion, als läsen sie keine Zeitung, von anspruchsvollerem Geheimdienstmaterial ganz zu schweigen«, meinte Admiral William J. Crowe jr., der unter Bush Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte war. Als im Frühjahr 1989 die ersten tiefen Risse in den Sowjetrepubliken auftraten, holte sich die CIA tatsächlich ihre Informationen aus der Lektüre der dortigen Zeitungen, die freilich drei Wochen alt waren, wenn sie eintrafen. Niemand in der Agency stellte die Frage, die Vernon Walters, der von Bush neu ernannte Botschafter in Deutschland, im Mai 1989 seinen Mitarbeitern stellte: »Was machen wir, wenn die Mauer fällt?« Die Berliner Mauer stand seit fast dreißig Jahren, als herausragendes Symbol des Kalten Krieges. Als sie eines Abends im November 1989 durchlässig wurde, saß Milt Bearden, der Chef der für die Sowjetunion zuständigen Abteilung im Geheimdienst, sprachlos in der Zentrale und starrte auf den Fernseher, wo CNN über die Ereignisse berichtete. Der erfolgreiche Sender war für den Nachrichtendienst zu einem gewaltigen Problem geworden. In einer Krisensituation lieferte er Nachrichten, die als Echtzeit-Informationen durchgingen. Wie hätte die CIA das noch übertrumpfen können? Und schon kam ein Anruf vom Weißen Haus: Was passiert in Moskau? Was berichten unsere Spione? Es fiel schwer, zuzugeben, dass es gar keine ernst zu nehmenden Spione in der Sowjetunion mehr gab – dass sie alle zur Strecke gebracht und ermordet worden waren und dass keiner in der CIA wusste, warum. Die Agency wollte gleich als heldenhafter Eroberer gen Osten reiten und die Nachrichtendienste der Tschechoslowakei, Polens und Ostdeutschlands übernehmen, aber das Weiße Haus riet zur Vorsicht. Das Beste, was die CIA erst einmal tun konnte, war, das Sicherheitspersonal neuer politischer Führer wie des tschechischen Bühnenautors Václav Havel auszubilden und das Höchstgebot für die entwendeten Stasi-Unterlagen abzugeben, nachdem diese eines schönen Tages von einer plündernden Menschenmenge, die die Geheimpolizei überrannte, aus einem Fenster in Ostberlin auf die Straße geworfen worden waren. Die Nachrichtendienste des Sowjetkommunismus waren ebenso gigantische wie präzis arbeitende Unterdrückungsmaschinerien. Vor allem hatten sie dazu gedient, die eigene Bevölkerung auszuspionieren, einzuschüchtern und nach Möglichkeit zu kontrollieren. Größer und rücksichtsloser als die CIA, hatten diese Geheimdienste ihre Gegner in vielen Schlachten, die sie in Drittländern austrugen, besiegt, aber den Krieg hatten sie verloren, zugrunde gerichtet durch die Brutalität und Banalität des sowjetischen Staatswesens. Der Verlust der Sowjetunion traf die CIA ins Mark. Wie sollte sie ohne ihren Widerpart fortbestehen? »Vormals war es leicht für die CIA, einzigartig und geheimnisumwittert zu sein«, meinte Milt Bearden. »Sie war keine Behörde. Sie hatte eine Mission. Und ihre Mission war ein Kreuzzug. Dann nahm man uns die Sowjetunion weg, und etwas anderes hatten wir nicht. Wir haben keine Geschichte. Wir haben keine Helden. Sogar unsere Auszeichnungen sind geheim. Und nun ist die Mission beendet. Finis.« Hunderte von altgedienten Geheimdienstlern erklärten sich zu Siegern und dankten ab. Zu ihnen zählte Phil Giraldi, der als Mitarbeiter im Außendienst in Rom angefangen und es sechzehn Jahre später zum Chef der Außenstelle in Barcelona gebracht hatte. Sein Partner im Büro in Rom hatte über italienische Politik promoviert. In Barcelona war seine Partnerin eine Absolventin im Fach Anglistik, die kein Spanisch sprach. »Die eigentliche Tragödie liegt im Geistigen«, sagte er. »Viele der jüngeren Mitarbeiter, die ich kannte, haben gekündigt. Das waren die Besten und Hellsten. Achtzig oder neunzig Prozent von denen, die ich kannte, haben mitten in ihrer Karriere aufgegeben. Es gab kaum noch einen Anreiz. Die Begeisterung war weg. Als ich in die Agency eintrat, damals im Jahr ’76, gab es ein Stammesdenken. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das in der Agency existierte, speiste sich aus diesem Stammesdenken, und es diente einem guten Zweck.« Und jetzt sei es verschwunden und mit ihm der größte Teil des Geheimdienstes. Bereits 1990 »entwickelte sich das rasant in die völlig falsche Richtung «, meinte Arnold Donahue, ein altgedienter CIA-Mann, der unter Bush Haushaltsgelder für Belange der nationalen Sicherheit verwaltete. Sooft das Weiße Haus »zehn oder fünfzehn weitere Geheimagenten vor Ort gebraucht« habe, um herauszufinden, was da in Somalia oder auf dem Balkan los war, habe es die CIA gefragt: »Ist eine Gruppe einsatzbereit?« Und die Antwort habe jedes Mal gelautet: »Ganz und gar nicht.«
»Anpassung oder Tod«
Am 8. Mai 1991 ließ Präsident Bush an Bord der Präsidentenmaschine Bob Gates nach vorn in seine Kabine kommen und bat ihn, den Direktorenposten beim Zentralen Nachrichtendienst zu übernehmen. Gates war gleichermaßen fasziniert und schreckerfüllt. Die Kongress- Anhörungen zu seiner Bestätigung waren eine Tortur, die sich sechs Monate hinzog. Er steckte Prügel für die Sünden Caseys ein und wurde von seinen eigenen Leuten schlechtgemacht. Gates hatte die Zukunft der CIA ansprechen wollen, aber die Anhörungen wurden zu einer Schlacht um die Vergangenheit der Organisation. Sie gaben einer wütenden Analystenschar, die von Casey und Gates jahrelang geschurigelt worden waren, die Gelegenheit, ihrem Zorn Luft zu machen. Ihr Zorn hatte sowohl berufliche als auch persönliche Gründe. Sie griffen die allgemeine Neigung zur Täuschung und Selbsttäuschung an, die sich in der CIA eingenistet habe. Harold Ford, der vierzig Jahre lang der Organisation ehrenvoll gedient hatte, erklärte, Gates – und die CIA – hätten hinsichtlich der Lebensverhältnisse in der Sowjetunion »absolut falsch gelegen«. Damit sprach er dem Zentralen Nachrichtendienst geradezu die Existenzberechtigung ab. Schwer angeschlagen, kam sich Gates wie ein Preisboxer vor, der Mühe hat, auf das Glockenzeichen für die nächste Runde zu reagieren. Er schaffte es aber, die Senatoren davon zu überzeugen, dass er entschlossen sei, »die letzte Gelegenheit zu einer Überprüfung der Rolle, des Auftrags, der Prioritäten und des Aufbaus des Nachrichtendienstes« zu ergreifen, und dass er sie dabei als Partner ernst nehmen werde. Die Stimmen, die er für sich gewann, verdankte er zu einem nicht geringen Teil dem Stabschef und Regisseur des Senatsausschusses für die Nachrichtendienste und künftigen Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes George J. Tenet. Der siebenunddreißig Jahre alte, ungeheuer ehrgeizige und mit unerbittlichem Herdeninstinkt ausgezeichnete Tenet, Sohn griechischer Emigranten, die am Rande von Queens ein Hamburger-Lokal mit Namen 20th Century Diner betrieben, war ein Mitarbeiter, wie er im Buche steht: arbeitsam, seinen Vorgesetzten treu ergeben, begierig danach, sich lieb Kind zu machen. Er arrangierte das Material für die Senatoren, die nichts weiter als sicherstellen wollten, dass Gates ihnen Macht abtrat, damit sie besser beurteilen konnten, wie viel er selbst besaß. Während sich Gates in Washington abquälte, erlebte die CIA im Ausland eine Reihe von schwindelerregenden Momenten. Während im August 1991 ein Putsch gegen Gorbatschow im Sande verlief und der Untergang der Sowjetunion begann, berichtete die CIA live aus Moskau, aus der denkbar besten Loge – der Zentrale des sowjetischen Nachrichtendienstes am Dserdschinski-Platz. Einer der Stars der für die Sowjetunion zuständigen Abteilung des Nachrichtendienstes, Michael Sulick, fuhr mit dem Auto nach Litauen, als das Land seine Unabhängigkeit erklärte, und wurde der erste CIA-Beamte, der seinen Fuß in eine frühere Sowjetrepublik setzte. Er gab sich den neuen Führern der jungen Nation offen zu erkennen und bot ihnen seine Hilfe bei der Schaffung eines Nachrichtendienstes an. Man lud ihn ein, sich in den Amtsräumen Karol Motiekas, des neuen Vizepräsidenten, an die Arbeit zu setzen. »Ganz allein im Büro des Vizepräsidenten zu sitzen war ein surrealistisches Erlebnis für einen CIA-Beamten, der seine ganze Laufbahn mit dem Kampf gegen die Sowjetunion verbracht hatte«, schrieb Sulick in der hauseigenen Zeitschrift des Nachrichtendienstes. »Hätte ich wenige Monate zuvor im Büro des Vizepräsidenten einer Sowjetrepublik gesessen, ich hätte das Gefühl gehabt, auf eine Goldader gestoßen zu sein. Während ich an Motiekas Schreibtisch saß, auf dem jede Menge Dokumente herumlagen, galt mein ganzes Sinnen und Trachten einem Telefonat mit Warschau.« Die nachrichtendienstlichen Details, die von Spionen unter großen Mühen aus dem Land geschmuggelt worden waren, hatten nie auch nur entfernt ein Gesamtbild von der Sowjetunion liefern können. Im Laufe des Kalten Krieges hatte die CIA über insgesamt drei Agenten verfügt, die Geheimnisse von bleibendem Wert über die von der Sowjetunion ausgehende militärische Bedrohung hatten liefern können, und alle drei waren sie verhaftet und hingerichtet worden. Spionagesatelliten hatten akribisch Panzer und Raketen gezählt, aber die Zahlen schienen nun unerheblich. Wanzen und Abhörvorrichtungen hatten Milliarden von Wörtern aufgeschnappt, die jetzt jegliche Bedeutung eingebüßt hatten. »Neue Welt da draußen. Anpassung oder Tod«, notierte Gates auf einem Schreibblock, zwei Tage bevor er sich am 7. und 8. November 1991 mit den leitenden Beamten des Geheimdienstes zusammensetzte und unmittelbar nachdem er als Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes vereidigt worden war. In der folgenden Woche schickte Bush eine von ihm persönlich unterzeichnete Anweisung an die Mitglieder seines Kabinetts, den »Bericht zur Nationalen Sicherheit Nr. 29«. Gates hatte ihn während der vergangenen fünf Monate entworfen. Darin wurden alle an der Regierung Beteiligten aufgefordert, zu erklären, was sie im Laufe der kommenden fünfzehn Jahre vom amerikanischen Nachrichtendienst erwarteten. »Dieses Vorhaben« war, wie Gates einer Hunderte von CIA-Angestellten umfassenden Zuhörerschaft verkündete, »ein großartiges Unternehmen von historischen Dimensionen«. Der »Bericht zur Nationalen Sicherheit« trug Bushs Unterschrift. Aber er war eine inständige Bitte, die Gates den anderen Teilen des Regierungsapparats vortrug: Sagen Sie uns, was Sie von uns erwarten. Er wusste, dass die Organisation nur überleben konnte, wenn sie sich sichtlich veränderte. Richard Kerr, der unter Bush vier Jahre lang als stellvertretender Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes amtierte, dachte laut darüber nach, ob es in Zukunft noch eine CIA geben werde. Der Nachrichtendienst befinde sich in »einem ebenso tief greifenden Umbruch wie die Sowjetunion«, meinte er. »Wir haben die einfache Zielsetzung und den schlichten Zusammenhalt verloren, die mehr als vierzig Jahre lang die treibende Kraft nicht nur des Nachrichtenwesens, sondern mehr noch des ganzen Landes gewesen sind.« Der Konsens darüber, wo die Interessen Amerikas lägen und wie die CIA diesen Interessen dienen könne, existiere nicht mehr. Gates veröffentlichte eine Pressemeldung, in der er den »Bericht zur Nationalen Sicherheit« als »die seit 1947 weitreichendste Direktive zur Ermittlung künftiger nachrichtendienstlicher Erfordernisse und Prioritäten« bezeichnete. Aber wie sahen diese Erfordernisse aus? Im Kalten Krieg mussten sich kein Präsident und kein Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes jemals diese Frage stellen. Sollte die CIA ihr Augenmerk jetzt auf die Elenden dieser Welt oder auf den Vormarsch der globalen Märkte konzentrieren? Was war bedrohlicher – der Terror oder die Technik? Den Winter über stellte Gates seine Aufgabenliste für den Umgang mit der neuen Welt zusammen, um sie im Februar abzuschließen und am 2. April 1992 dem Kongress vorzulegen. Die Schlussfassung führte 176 Gefahren auf, angefangen vom Klimawandel bis hin zur Cyberkriminalität. Ganz oben rangierten die nuklearen, chemischen und biologischen Waffen. Dann kamen die Drogen und der Terrorismus – unter dem Schlagwort »drugs and thugs« als Zwillingspaar präsentiert; der Terrorismus war noch nicht an die erste Stelle gerückt – und anschließend Welthandel und überraschende technologische Neuentwicklungen. Aber das riesige Loch, das die Sowjetunion hinterlassen hatte, konnte all das nicht ausfüllen. Präsident Bush beschloss, den Nachrichtendienst zu verkleinern und den Umfang seiner Aktivitäten neu zu bestimmen. Gates stimmte zu. Das war eine vernünftige Reaktion auf das Ende des Kalten Krieges. Die Macht der CIA wurde also gezielt abgebaut. Alle gingen davon aus, dass die CIA durch ihre Verkleinerung an Tüchtigkeit gewinnen werde. 1991 fing das Budget an zu schrumpfen, und der Schrumpfungsprozess hielt die nächsten sechs Jahre lang an. 1992 machten sich die Einsparungen stark bemerkbar, just in dem Augenblick, in dem die CIA die Anweisung erhielt, ihre Unterstützung für laufende Militäroperationen drastisch zu verstärken. Mehr als zwanzig Außenstellen der CIA wurden dichtgemacht, einige große Büros in Hauptstädten um über 60 Prozent verkleinert und die Zahl der Geheimdienstagenten im Ausland drastisch reduziert. Die Analysten traf es noch härter. Doug MacEachin, ihr neuer Chef, erklärte, es falle ihm schwer, mit »einer alle zwei Jahre wechselnden Horde Neunzehnjähriger« ernsthafte Analysearbeit zu betreiben. Er übertrieb ein bisschen, aber nicht sehr. »Die Spannungen wachsen in dem Maße, wie das Budget sich verknappt «, schrieb Gates nicht lange nach seiner Vereidigung in ein persönliches Arbeitsjournal. Die Kürzungen gingen weiter, und Bush und viele andere gaben die Schuld daran den unverbesserlichen Liberalen. Die Akten zeigen indes, das sie genauso sein eigenes Werk waren. Sie entsprachen dem Geist der damaligen Zeit, festgehalten in einem Fernsehwerbespot, den Bill Colby zu Beginn der Wahlkampfsaison im Jahr 1992 für eine Initiative machte, die sich »Bündnis für Demokratische Werte« nannte. »Ich bin William Colby«, erklärte er dort, »und ich war Leiter der CIA. Aufgabe des Nachrichtendienstes ist es, vor militärischen Bedrohungen zu warnen. Der Kalte Krieg ist mittlerweile vorbei, und die militärische Bedrohung hat sich stark verringert. Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Rüstungsausgaben um fünfzig Prozent zu kürzen und das Geld in unsere Schulen, unser Gesundheitswesen und unsere Wirtschaft zu investieren.« Das war die berühmte Friedensdividende. Dieser Friede aber erwies sich als ebenso vergänglich wie der nach dem Zweiten Weltkrieg, nur dass es diesmal keine Siegesparaden gab und dass die Veteranen des Kalten Krieges Grund hatten, um den geschlagenen Feind zu trauern. »Wenn Sie bei der Spionage mitmachen wollen, müssen Sie wissen, worum es geht«, sagte einmal Richard Helms zu mir, wobei sich seine Augen verengten und seine Stimme leiser und dringlicher wurde. »Spionage ist nicht Jux und Dollerei. Sie ist schmutzig und gefährlich. Es besteht immer die Chance, dass Sie dabei draufgehen. Im Zweiten Weltkrieg, im OSS, wussten wir, worum es ging – die verdammten Nazis zu schlagen. Im Kalten Krieg wussten wir, worum es ging – die verdammten Russen zu schlagen. Plötzlich ist der Kalte Krieg vorbei, und worum geht es jetzt? Was könnte jemanden veranlassen, sein Leben mit so etwas zuzubringen?« Gates verbrachte ein Jahr damit, Antwort auf diese Fragen zu finden – endlose Tage, an denen er vor dem Kongress aussagte, um politische Unterstützung warb, öffentliche Vorträge hielt, Arbeitsgruppen und Gespräche am runden Tisch leitete, mehr Hilfe für das Militär zusagte, den politischen Druck auf die Analysten zu vermindern versprach, einen Generalangriff auf die zehn Hauptgefahren, eine neue CIA, eine bessere CIA in Aussicht stellte. Die Zeit, eine dieser Visionen in die Tat umzusetzen, ließ man ihm nicht. Er war gerade erst zehn Monate im Amt, als er seine Arbeit ruhen lassen und nach Little Rock fliegen musste, um den Mann in die Materie einzuführen, der nächster Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte.
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Autoren-Porträt von Tim Weiner
Tim Weiner war lange Journalist bei der »New York Times« und gilt als einer der intimsten Kenner des amerikanischen Geheimdienstsystems. Der Watergate-Skandal gab seinerzeit den Ausschlag für seinen Wunsch, investigativer Journalist zu werden. Für seine Reportagen und seine Berichterstattung über das geheime »National Security Program«, das die CIA gemeinsam mit dem Pentagon heimlich ins Leben gerufen hatte, erhielt er zwei Pulitzer-Preise. Er berichtete als Korrespondent aus Afghanistan, Pakistan, dem Sudan und weiteren 15 Staaten. Für 'CIA. Die ganze Geschichte' wurde er 2007 mit dem National Book Award und dem Los Angeles Times Book Award for History ausgezeichnet.Literaturpreise:National Book Award 2007Los Angeles Times Book Award for History 2007
Bibliographische Angaben
- Autor: Tim Weiner
- 2009, 864 Seiten, 8 Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Elke Enderwitz, Ulrich Enderwitz, Monika Noll
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596178657
- ISBN-13: 9783596178650
- Erscheinungsdatum: 07.05.2009
Kommentar zu "CIA"