Damien / Schattenwandler Bd.4
Roman. Deutsche Erstausgabe
Der Krieg zwischen den Nekromanten und den Schattenwandlern eskaliert immer mehr. Als die Prinzessin der Lykanthropen, die schöne Syreena, von Nekromanten entführt wird, begibt sich der Vampirprinz Damien auf die Suche nach ihr. Es gelingt ihm,...
Leider schon ausverkauft
Taschenbuch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Damien / Schattenwandler Bd.4 “
Der Krieg zwischen den Nekromanten und den Schattenwandlern eskaliert immer mehr. Als die Prinzessin der Lykanthropen, die schöne Syreena, von Nekromanten entführt wird, begibt sich der Vampirprinz Damien auf die Suche nach ihr. Es gelingt ihm, sie zu retten, doch auf die alles verzehrende Leidenschaft, die ihre sinnliche Schönheit in ihm entfacht, ist er nicht vorbereitet. Eine Verbindung mit der Prinzessin der Lykanthropen würde in der Welt der Schattenwandler jedoch zu ernsten Verwerfungen führen und in die Hände ihrer Feinde spielen.
Klappentext zu „Damien / Schattenwandler Bd.4 “
Der Krieg zwischen den Nekromanten und den Schattenwandlern eskaliert immer mehr. Als die Prinzessin der Lykanthropen, die schöne Syreena, von Nekromanten entführt wird, begibt sich der Vampirprinz Damien auf die Suche nach ihr. Es gelingt ihm, sie zu retten, doch auf die alles verzehrende Leidenschaft, die ihre sinnliche Schönheit in ihm entfacht, ist er nicht vorbereitet. Eine Verbindung mit der Prinzessin der Lykanthropen würde in der Welt der Schattenwandler jedoch zu ernsten Verwerfungen führen und in die Hände ihrer Feinde spielen ...
Lese-Probe zu „Damien / Schattenwandler Bd.4 “
Schattenwandler - Damien von Jacquelyn Frank... mehr
Ihr stockte der Atem.
Damien.
Syreena war dem Vampirprinzen schon einmal begegnet, und sie kannte ihn vom Sehen. Es war unmöglich, ihn zu vergessen. Selbst wenn er momentan seine Fähigkeit, ein Netz von Wahrnehmungsverzerrung und Furcht um sich herum zu spinnen, nicht einsetzte, begegnete sie seiner eindrucksvollen Erscheinung mit vorsichtigem Respekt. Er war so groß wie ein Dämon und gertenschlank, gleichzeitig athletisch mit sehr breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Doch er bewegte sich mit der lässigen Anmut, die allen Vampiren eigen zu sein schien. Er machte den Eindruck von träger Sorglosigkeit und Entspanntheit. Eine Tarnung. Der Prinz war mit tödlicher Schnelligkeit bereit zum Zuschlagen.
Siena hatte ihn im Einsatz gesehen, und sie hatte Syreena mit unverhohlener Bewunderung davon erzählt. Die Königin hatte gesagt, dass sie noch nie jemanden gesehen habe, der sich so schnell bewegte und der mit einer so natürlichen Freude tötete. Für die Königin einer Gattung, die ihr halbes Leben in der Gestalt verschiedener Tiere mit räuberischen Instinkten gelebt hatte, war das ein recht ungewöhnliches Kompliment.
Syreenas Eindruck war ein anderer gewesen.
Er hatte sie verunsichert, um es vorsichtig auszudrücken. Nicht ganz so sehr, wie er Aria gerade verunsicherte, aber immerhin genug, dass sie so wenig Zeit wie möglich mit ihm in einem Raum verbringen wollte.
Das Bedürfnis, einen Rückzieher zu machen, irritierte sie. Sie war von Natur aus nicht sehr ängstlich, vor allem dann nicht, wenn es keinen konkreten Grund dazu gab. Das wäre ein ziemlich schwacher Beginn ihrer neuen Aufgabe, wenn sie zulassen würde, dass er sie einschüchterte. Das Einzige, was ihr zugutekam, war, dass er nicht wusste, was sie fühlte. Zumindest nicht, solange sie die Gedanken schnell genug wieder löschte, um der telepathischen Entdeckung zu entgehen, falls der selbstherrliche Prinz beabsichtigte, in ihrem Kopf herumzustöbern. Sie ging davon aus, dass jemand wie Damien nicht zögerte, in die private Sphäre fremder Gedanken einzudringen. Für sie war er genau so ein machtvolles männliches Wesen, das daran nichts Schlimmes fand.
Die Prinzessin drehte sich um und stellte fest, dass Aria verschwunden war. Kluges Mädchen! Vampire waren unberechenbar und manchmal flegelhaft. In diesem Augenblick wünschte sich Syreena, sie hätte die Freiheit, sich eilig zurückzuziehen. Stattdessen wandte sie sich zu dem Vampirprinzen und der anmutigen Frau an seiner Seite hin. Sie war unverkennbar ein weiblicher Vampir, groß und dunkelhaarig, ziemlich normal für diese Gattung. Es gab nur sehr wenige blonde Vampire in dieser Welt. Syreena musste zugeben, dass sie eine ausgesprochene Schönheit war, nur dass da etwas sehr Altes und sehr Ernüchtertes in ihren dunkelbraunen Augen lag. Ihre angespannte Haltung und ihre abwehrende Körpersprache machten deutlich, dass sie nicht gerade begeistert davon war, hier zu sein.
Da Syreena keine Abgesandten der Vampire erwartet hatte, ging sie zu ihnen, um herauszufinden, was sie wünschten. Natürlich waren sie willkommen, im Rahmen derselben unklaren Vorgaben wie alle anderen auch, doch hatte Noah am Abend zuvor bei einer Zusammenkunft anlässlich der endgültigen Öffnung der Bibliothek für die Forscher gesagt, dass Damien die Einladung ausgeschlagen hätte.
Als sie näher trat, bemerkte sie, dass in der Vampirin eine Verwandlung vorging. Beim Betreten der Bibliothek huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, den zweifellos alle beim ersten Mal gehabt hatten. Die Leere in ihren Augen schien zu verschwinden, und eine Gier blitzte auf, die Syreena recht vertraut war.
Der gierige Hunger zu lernen.
Eine Vampirforscherin? Darin lag ein amüsanter Widerspruch. Sie waren zwar eine der interessantesten und klügsten Spezies der Schattenwandler. Doch normalerweise benutzten sie diesen Verstand und diese Energie eher für ... körperliche und schnell zu befriedigende Bedürfnisse. Sie waren gierige Genussmenschen. Nichts konnte ihr Interesse lange wachhalten, wenn es nicht alle ihre Sinne auf einmal beschäftigte. Ein Raum voller Bücher würde diesen Anspruch kaum erfüllen. Syreena vermutete allerdings, dass man Lust und Sinnesfreuden auch mit Lesen und mit dem Erwerb von Wissen befriedigen konnte. Dann wäre das hier der ideale Ort für eine Orgie.
Damien bemerkte sie sofort. Auch unabhängig von ihrer harlekinartigen Färbung war sie kaum zu übersehen. Sie war nicht besonders groß und wirkte nicht besonders sexy, anders als ihre einer Löwin gleichende Schwester, doch sie war eine ebenso unerschütterliche Erscheinung. Sie kam direkt und mit sicherem Schritt auf ihn zu, wiegte sich nur leicht in den Hüften. Er mochte das, wie er feststellen musste. Keine überflüssigen Bewegungen, keine verschwendete Energie. Er wusste nicht so recht, warum ihn das so in Entzücken versetzte. Bis jetzt hatte ihn noch keine Frau mit ihren sinnlichen Bewegungen aus der Fassung gebracht. Doch an dieser Frau war etwas, das ihn anzog. Aber in Anbetracht des kühlen Ausdrucks in ihren Augen war es wohl besser, wenn er sich ein anerkennendes Lächeln verkniff.
Doch er tat es nicht.
„Syreena", sagte er, und sein Tonfall war bei Weitem nicht so kühl wie ihr Ausdruck. Seine Stimme klang warm und verheißungsvoll, und er sah, wie sie irritiert den Rücken straffte. „Jasmine, das ist Prinzessin Syreena. Syreena, das ist Jasmine. Sie ist ..." Er verstummte, als er bemerkte, dass Jasmine Syreena lustlos zuwinkte, bevor sie sich dem ersten Stapel Bücher zuwandte, den sie entdeckte. „Sie kann es anscheinend gar nicht mehr erwarten ...", murmelte er, um das unhöfliche Benehmen seiner Begleiterin zu entschuldigen, und lachte in sich hinein, als er sah, wie sie in den Regalen stöberte. Jasmine war noch nie bekannt für ihre gewinnende Art im Umgang mit anderen gewesen, und ihr Wissensdurst wurde nur noch übertroffen von ihrem Blutdurst.
Es kam Syreena so vor, als wäre der Vampirprinz der flinken Schwarzhaarigen zugetan. „Ich hatte nur Kelsey oder dich erwartet", sagte sie unumwunden. „Warum hat sich das plötzlich geändert?"
„Jasmine ist eine hervorragende Studentin und mir treu ergeben", sagte er zur Erklärung, „etwas, das Kelsey bei aller Loyalität nicht mitbringt. Wenn du Zweifel hast, gebe ich dir mein Wort darauf, dass sie keinen Ärger machen wird."
„Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ein Vampir, der keinen Ärger macht?"
Syreena hatte das eigentlich nicht sagen wollen. Zumindest nicht laut. Daher war sie überrascht, als er lachte. Sie ertappte sich dabei, dass sie ihn ziemlich attraktiv fand, wenn er lachte. Oh, er war überhaupt ein attraktives Geschöpf; seine Schattenwandlergene sorgten dafür. Er hatte schimmernde weiße Zähne, nichts zu sehen von den Reißzähnen, die gerade eingezogen waren, so ähnlich wie eine Katze ihre Krallen versteckte. Er trug einen sorgfältig gestutzten Bart, der sein markantes männliches Kinn betonte. Und noch eine Abweichung stellte sie fest. Vampire hatten im Allgemeinen ein Milchgesicht, um möglichst jugendlich zu wirken. Selten entwickelte einer eine Gesichtsbehaarung wie der Prinz. Das und die anderen etwas ungewöhnlichen Merkmale an ihm brachten sie auf die Frage, ob er sich absichtlich nicht an kulturelle Normen hielt, und wenn ja, warum?
Seine sehr dunkelblauen Augen strahlten eine Heiterkeit aus, die seine Züge lebendig machte. Ein dicker, geflochtener Zopf fiel ihm über die Schulter bis auf den wohlgeformten Brustmuskel. In diesem Moment wirkte er in seiner makellosen Schönheit so, als sei er das harmloseste Wesen auf der Welt.
Wahrscheinlich war es das, was Syreena frösteln machte.
Sie traute ihm nicht.
Sie durfte ihm nicht trauen, sagte sie sich selbst. Auch wenn relativer Frieden herrschte zwischen Vampiren und Lykanthropen - konnte irgendjemand, der bei Verstand war, jemandem aus einem Volk trauen, das so großes Vergnügen daran fand, Vertrauen aufzubauen und ihnen dann etwas auszusaugen, mit dem sie nur zu ihrem Vergnügen herumspielten? Syreena hatte Geschichten gehört, Geschichten von Ausbeutung und Missbrauch, die selbst Damien beunruhigten und die ihr die Haare zu Berge stehen ließen.
„Hier gibt es keinen Schutz", stellte Damien plötzlich fest.
Wenn man bedachte, dass die einzigen Personen dort Wissenschaftler waren und dass ein paar sehr entschlossene Feinde nach genau diesem Ort gegraben hatten, war das eine begründete Sorge. Doch obwohl sie ihm zustimmte, fühlte sie sich angegriffen.
„Ich bin hier", sagte sie kalt.
„Ja", stellte er langsam fest, während er sie mit prüfenden Blicken von Kopf bis Fuß musterte. „Das bist du." Er schwieg eine Weile und verzog den Mund zu einem gereizten Lächeln. „Ohne deine Fähigkeiten infrage stellen zu wollen, meine Liebe, aber mir ist nicht klar, wie du eine Horde Zauberer und Menschenjäger, angeführt von einem abtrünnigen Teufel, abwehren willst, falls sie beschließen zurückzukommen."
„Nun, mein Lieber", entgegnete sie bissig. „Ich nehme an, ich muss mich darauf verlassen, dass ihr erster Versuch fehlgeschlagen ist und dass sie keine Ahnung haben von diesem Ort ..."
„Trotzdem", entgegnete er.
„ ... und auf die bestens gerüsteten Schattenwandler, die gleichzeitig in der Bibliothek sein werden", schloss sie mit einem spöttischen und feindseligen Ton.
„Und wie viele werden das sein? Zehn? Fünf? Jasmine eingeschlossen, sehe ich nur vier. Es ist kaum damit zu rechnen, dass sie einen Frontalangriff überleben werden. Wir sind gezwungen, am Tag zu schlafen; unsere menschlichen Gegner haben solche Einschränkungen nicht. Womöglich nicht einmal die abtrünnige Dämonin, so mächtig, wie sie inzwischen geworden ist."
Wieder hatte er recht, erkannte Syreena. Doch im Grunde war er nur schneller zu einem Schluss gekommen. Sie widersprach seinen Feststellungen nicht. Warum fühlte sie sich nur so angegriffen?
Damien musste sich eingestehen, dass er sie absichtlich geärgert hatte. Er hatte diese Ruhe und diese betonte Selbstsicherheit erschüttern wollen, in die sie sich einhüllte wie in einen Umhang. Er erinnerte sich an einen Abend vor nicht allzu langer Zeit, an dem er sie grimmig und entschlossen gesehen hatte, als sie mit kalter Wut ihre Schwester schützen wollte. Die Vorstellung, sie zu treffen und ihre zur Schau getragene Gelassenheit zu erschüttern, erregte ihn. Er konnte spüren, wenn ihre Gefühle in Wallung gerieten und wenn sie erregt feststellte, dass sie ihn nicht ausstehen konnte und dass sie ihm eher den Kopf abreißen würde, als ihm trauen.
Da sein Drang befriedigt war, wandte er sich mit einem Winken und mit einer respektlosen Drehung von ihr ab, bevor sie antworten konnte.
Der Prinz ging in die Bibliothek zu der Frau, die mit ihm gekommen war. Er schob eine Hand um ihren Brustkorb, legte die Fingerspitzen direkt unter ihre Brüste und beugte sich vor, um ihr etwas zuzuflüstern; ein wütendes Zischen und ein kurzer Blick in Richtung Syreena, was ihr das Gefühl gab, dass er sie verhöhnte.
Syreena holte tief Luft und versuchte, ihre Wut zu zügeln. Es war fast so, als wäre sie auf einen richtigen Kampf aus. Zumindest musste sie sich eingestehen, dass es ihr große Genugtuung verschafft hätte, dem Vampirprinzen das Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. Abgesehen von den politischen Konsequenzen hätte sogar Siena eingesehen, dass er es verdiente.
Syreena war jetzt nicht in der Stimmung, sich in ein Buch zu vertiefen. Die Bibliothek füllte sich noch immer, und die vielen verschiedenen Schattenwandler waren zahlenmäßig ausgewogen, damit der Frieden weiterhin erhalten blieb. Oder zumindest sagte sie sich das, um eine Rechtfertigung dafür zu haben, wenn sie frische Luft schnappen ging. Sie marschierte durch den Bibliothekseingang hinaus und blieb stehen, um die drei anderen Höhlen zu betrachten, die von dieser abgingen.
Das Netz aus Höhlen führte kilometerlang weiter, und ein paar Gänge waren so schmal, dass höchstens ein mittelgroßes Tier hindurchpasste. Aus diesem Grund genossen die Lykanthropen die Höhlen so sehr. Der Zugang war schwierig, frisches Wasser und heiße Quellen gab es im Überfluss. Und es war zu jeder Jahreszeit stets angenehm kühl. Außerdem, vielleicht das Beste daran, war es immer dunkel. In gewisser Weise jedenfalls. Man konnte bei Tageslicht kilometerweit durch dieses dunkle Labyrinth wandern und bekam doch nie die Sonne zu sehen.
Da Sonneneinstrahlung bei Lykanthropen rasch zu einer Vergiftung führte - und sie mit einer gefährlichen Sonnenkrankheit schlug, an der sie ganz leicht sterben konnten -, lag der Vorteil der Höhlen auf der Hand. Ein Lykanthrop, der durch die Sonne starke Vergiftungserscheinungen davongetragen hatte, rang tagelang unter schrecklichen Schmerzen mit dem Tod, bevor er schließlich starb. Syreena wäre diesen schrecklichen Tod erst vor einem Monat beinahe gestorben.
In der Welt draußen war jetzt Winter. Ein russischer Winter, was das Lykanthropenterritorium betraf. Die Höhlen hatten Dutzende von Ausgängen, bekannte und unbekannte, die hinauf
zu dem winterlichen Ort führten. Syreena war durch einen Gang gekommen, der früher zu der Höhle führte, in der eine Lykanthropin namens Jinaeri überwintert hatte. Doch Jinaeri hatte die Höhle verlassen in Erwartung des geschäftigen Treibens in der Bibliothek, das womöglich ihren Winterschlaf gestört hätte.
Syreena wünschte, sie könnte auch Winterschlaf halten. Sie hätte die Einsamkeit und die Ruhe gebraucht. Der Falke und das zweite Element, der Delfin, waren beides Tiere, die auf Wanderschaft gingen. Sie wechselten den Ort, es zog sie in wärmere Zonen, statt dass sie sich zu einem langen Schlaf niederlegten. Vielleicht war das der Grund, warum sie in letzter Zeit nicht stillsitzen konnte. Vielleicht fühlte sie sich deshalb so rastlos und war so leicht aus der Fassung zu bringen.
In ihrer Rastlosigkeit schlug sie einen der Höhlenpfade ein.
Als Damien aufblickte, war die Lykanthropenprinzessin verschwunden.
Er wandte sich von Jasmine ab, um sich in dem riesigen Raum umzuschauen, und runzelte verwirrt die Stirn. Die Prinzessin war ihm nicht vorgekommen wie jemand, der wegrannte und schmollte, doch er dachte kurz darüber nach, ob seine Sticheleien sie vielleicht dazu bewogen hatten. Er legte den Kopf leicht schräg, während er all seine übernatürlichen Sinne einsetzte, um sie zu suchen. Es half nicht viel; die Höhlen erzeugten ein seltsames Echo in seinem sensorischen Netzwerk und reflektierten Geister und Schatten von Wesenheiten, die er nur schwer durchdrang. Das Einzige, was er sicher sagen konnte, war, dass sie sich nicht mehr direkt im Bibliotheksraum befand.
Er wusste nicht, warum ihn das beschäftigte. Noch immer suchend ging er zum Bibliothekseingang. Syreena ging durch den Ausgang, den sie unverhofft gefunden hatte, und trat in den unberührten, knirschenden Schnee und in die beißende Kälte der Winterluft.
Doch die Luft war klar und erfrischend, und sie sog sie genüsslich ein. Sie schlang die Arme fest um sich, um ihren Körper warm zu halten. Sie trug ein Kleid aus Kaschmir, das nur an ihren Schultern zusammengehalten wurde und das knapp bis zum Knie reichte. Sie hatte nur einfache Slipper an, die nicht dazu geeignet waren, durch den Schnee zu stapfen.
Doch sie war zum Teil ein Tier und dafür geschaffen, solche Widrigkeiten auszuhalten. Es machte ihr nicht so viel aus wie einem menschlichen Wesen oder wie einem Schattenwandler.
Sie war in einem Waldgebiet, und die eine Hälfte der Bäume stand nackt und kahl in der Landschaft, das andere waren Schatten von Fichten und anderen Nadelbäumen. Sie marschierte los; das Knirschen des Schnees war das einzige Geräusch um sie herum. Darunter waren natürlich die normalen Geräusche des Waldes zu hören. Doch selbst die dürften bald verstummen. Sie war ein Raubtier, etwas, das man fürchten musste. Während sie sich verwandelte, stellte sie allerdings nur für kleinere Tiere eine Bedrohung dar.
Sie war versucht, ihre Kleidung abzulegen und sich in den Falken zu verwandeln. Sie genoss das Fliegen am klaren Nachthimmel. Doch man erwartete von ihr, dass sie sich an diesem ersten Abend, da die Bibliothek geöffnet war, um bestimmte Dinge kümmerte. Es war schon schlimm genug, dass sie einfach davonmarschiert war. Sie würde sich einen kurzen, erfrischenden Spaziergang im Schnee genehmigen und dann zurückkehren. Sie wollte einen klaren Kopf bekommen, um ihren Blickwinkel wieder zurechtzurücken. Die Natur hatte etwas Meditatives, daher hoffte sie, sie könnte so etwas zur Ruhe kommen. Die Stimmung, in der sie den Vampirprinzen begrüßt hatte, konnte sie sich nicht erlauben. Es war ihre Pflicht, sich genau gegenteilig zu verhalten, höflich und diplomatisch zu allen Schattenwandlern zu sein, die keine Bedrohung für sie darstellten.
Denn es gab keine Möglichkeit, Politik außen vor zu lassen. Eine Beleidigung, egal, ob es um jemand so Mächtigen ging wie Damien oder um einen einfachen Bewohner der Schattenwandlerwelt, konnte weitreichende Folgen haben und einen Krieg heraufbeschwören.
Syreena ging langsam durch die finstere Nacht. Es gab keinen Mond am Himmel, jedenfalls drang er nicht durch die dunkle Wolkenschicht, die tief über den Baumwipfeln hing.
Sie musste ernsthaft herausfinden, was mit ihr nicht stimmte. Es war, als hätte sie sich in das verwirrte, launische Kind zurückverwandelt, das sie gewesen war, bevor man sie zu The Pride geschickt hatte. Doch sie war kein Kind mehr. Sie war hundert-acht Jahre alt, gut ausgebildet, hochintelligent und emotional ausgeglichen.
Normalerweise.
Sie wusste, dass Frieden bessere Wirkungen zeigte als Krieg. Sie wusste, dass Streit und Missmut sich selbst vermehrten, so wie eine sanfte Stimme und ein ebenso sanfter Umgang miteinander durch Respekt erwidert wurden.
Syreena blieb unvermittelt stehen, weil sie meinte, hinter sich ein Geräusch gehört zu haben. Jäh drehte sie sich um und spähte mit ihren scharfen Augen in die Dunkelheit. Es war nichts zu sehen. Nicht einmal ein Tier.
Sie dachte, es sei irgendein Echo oder eine Sinnestäuschung gewesen.
Sie zitterte jetzt heftig vor Kälte, achtete jedoch nicht auf das unbehagliche Gefühl. In ihrer menschlichen Gestalt fühlte sie sich tatsächlich am angreifbarsten und verbrachte deshalb einen Großteil ihrer Zeit als Falke. Sie würde die Delfingestalt öfter wählen, wenn es, abgesehen von dem Höhlensee, eine Wasserquelle gäbe, die tief genug wäre. In diesen beiden Tiergestalten war sie wenigstens geschützt vor solch extremen Temperaturen.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Ihr stockte der Atem.
Damien.
Syreena war dem Vampirprinzen schon einmal begegnet, und sie kannte ihn vom Sehen. Es war unmöglich, ihn zu vergessen. Selbst wenn er momentan seine Fähigkeit, ein Netz von Wahrnehmungsverzerrung und Furcht um sich herum zu spinnen, nicht einsetzte, begegnete sie seiner eindrucksvollen Erscheinung mit vorsichtigem Respekt. Er war so groß wie ein Dämon und gertenschlank, gleichzeitig athletisch mit sehr breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Doch er bewegte sich mit der lässigen Anmut, die allen Vampiren eigen zu sein schien. Er machte den Eindruck von träger Sorglosigkeit und Entspanntheit. Eine Tarnung. Der Prinz war mit tödlicher Schnelligkeit bereit zum Zuschlagen.
Siena hatte ihn im Einsatz gesehen, und sie hatte Syreena mit unverhohlener Bewunderung davon erzählt. Die Königin hatte gesagt, dass sie noch nie jemanden gesehen habe, der sich so schnell bewegte und der mit einer so natürlichen Freude tötete. Für die Königin einer Gattung, die ihr halbes Leben in der Gestalt verschiedener Tiere mit räuberischen Instinkten gelebt hatte, war das ein recht ungewöhnliches Kompliment.
Syreenas Eindruck war ein anderer gewesen.
Er hatte sie verunsichert, um es vorsichtig auszudrücken. Nicht ganz so sehr, wie er Aria gerade verunsicherte, aber immerhin genug, dass sie so wenig Zeit wie möglich mit ihm in einem Raum verbringen wollte.
Das Bedürfnis, einen Rückzieher zu machen, irritierte sie. Sie war von Natur aus nicht sehr ängstlich, vor allem dann nicht, wenn es keinen konkreten Grund dazu gab. Das wäre ein ziemlich schwacher Beginn ihrer neuen Aufgabe, wenn sie zulassen würde, dass er sie einschüchterte. Das Einzige, was ihr zugutekam, war, dass er nicht wusste, was sie fühlte. Zumindest nicht, solange sie die Gedanken schnell genug wieder löschte, um der telepathischen Entdeckung zu entgehen, falls der selbstherrliche Prinz beabsichtigte, in ihrem Kopf herumzustöbern. Sie ging davon aus, dass jemand wie Damien nicht zögerte, in die private Sphäre fremder Gedanken einzudringen. Für sie war er genau so ein machtvolles männliches Wesen, das daran nichts Schlimmes fand.
Die Prinzessin drehte sich um und stellte fest, dass Aria verschwunden war. Kluges Mädchen! Vampire waren unberechenbar und manchmal flegelhaft. In diesem Augenblick wünschte sich Syreena, sie hätte die Freiheit, sich eilig zurückzuziehen. Stattdessen wandte sie sich zu dem Vampirprinzen und der anmutigen Frau an seiner Seite hin. Sie war unverkennbar ein weiblicher Vampir, groß und dunkelhaarig, ziemlich normal für diese Gattung. Es gab nur sehr wenige blonde Vampire in dieser Welt. Syreena musste zugeben, dass sie eine ausgesprochene Schönheit war, nur dass da etwas sehr Altes und sehr Ernüchtertes in ihren dunkelbraunen Augen lag. Ihre angespannte Haltung und ihre abwehrende Körpersprache machten deutlich, dass sie nicht gerade begeistert davon war, hier zu sein.
Da Syreena keine Abgesandten der Vampire erwartet hatte, ging sie zu ihnen, um herauszufinden, was sie wünschten. Natürlich waren sie willkommen, im Rahmen derselben unklaren Vorgaben wie alle anderen auch, doch hatte Noah am Abend zuvor bei einer Zusammenkunft anlässlich der endgültigen Öffnung der Bibliothek für die Forscher gesagt, dass Damien die Einladung ausgeschlagen hätte.
Als sie näher trat, bemerkte sie, dass in der Vampirin eine Verwandlung vorging. Beim Betreten der Bibliothek huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, den zweifellos alle beim ersten Mal gehabt hatten. Die Leere in ihren Augen schien zu verschwinden, und eine Gier blitzte auf, die Syreena recht vertraut war.
Der gierige Hunger zu lernen.
Eine Vampirforscherin? Darin lag ein amüsanter Widerspruch. Sie waren zwar eine der interessantesten und klügsten Spezies der Schattenwandler. Doch normalerweise benutzten sie diesen Verstand und diese Energie eher für ... körperliche und schnell zu befriedigende Bedürfnisse. Sie waren gierige Genussmenschen. Nichts konnte ihr Interesse lange wachhalten, wenn es nicht alle ihre Sinne auf einmal beschäftigte. Ein Raum voller Bücher würde diesen Anspruch kaum erfüllen. Syreena vermutete allerdings, dass man Lust und Sinnesfreuden auch mit Lesen und mit dem Erwerb von Wissen befriedigen konnte. Dann wäre das hier der ideale Ort für eine Orgie.
Damien bemerkte sie sofort. Auch unabhängig von ihrer harlekinartigen Färbung war sie kaum zu übersehen. Sie war nicht besonders groß und wirkte nicht besonders sexy, anders als ihre einer Löwin gleichende Schwester, doch sie war eine ebenso unerschütterliche Erscheinung. Sie kam direkt und mit sicherem Schritt auf ihn zu, wiegte sich nur leicht in den Hüften. Er mochte das, wie er feststellen musste. Keine überflüssigen Bewegungen, keine verschwendete Energie. Er wusste nicht so recht, warum ihn das so in Entzücken versetzte. Bis jetzt hatte ihn noch keine Frau mit ihren sinnlichen Bewegungen aus der Fassung gebracht. Doch an dieser Frau war etwas, das ihn anzog. Aber in Anbetracht des kühlen Ausdrucks in ihren Augen war es wohl besser, wenn er sich ein anerkennendes Lächeln verkniff.
Doch er tat es nicht.
„Syreena", sagte er, und sein Tonfall war bei Weitem nicht so kühl wie ihr Ausdruck. Seine Stimme klang warm und verheißungsvoll, und er sah, wie sie irritiert den Rücken straffte. „Jasmine, das ist Prinzessin Syreena. Syreena, das ist Jasmine. Sie ist ..." Er verstummte, als er bemerkte, dass Jasmine Syreena lustlos zuwinkte, bevor sie sich dem ersten Stapel Bücher zuwandte, den sie entdeckte. „Sie kann es anscheinend gar nicht mehr erwarten ...", murmelte er, um das unhöfliche Benehmen seiner Begleiterin zu entschuldigen, und lachte in sich hinein, als er sah, wie sie in den Regalen stöberte. Jasmine war noch nie bekannt für ihre gewinnende Art im Umgang mit anderen gewesen, und ihr Wissensdurst wurde nur noch übertroffen von ihrem Blutdurst.
Es kam Syreena so vor, als wäre der Vampirprinz der flinken Schwarzhaarigen zugetan. „Ich hatte nur Kelsey oder dich erwartet", sagte sie unumwunden. „Warum hat sich das plötzlich geändert?"
„Jasmine ist eine hervorragende Studentin und mir treu ergeben", sagte er zur Erklärung, „etwas, das Kelsey bei aller Loyalität nicht mitbringt. Wenn du Zweifel hast, gebe ich dir mein Wort darauf, dass sie keinen Ärger machen wird."
„Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ein Vampir, der keinen Ärger macht?"
Syreena hatte das eigentlich nicht sagen wollen. Zumindest nicht laut. Daher war sie überrascht, als er lachte. Sie ertappte sich dabei, dass sie ihn ziemlich attraktiv fand, wenn er lachte. Oh, er war überhaupt ein attraktives Geschöpf; seine Schattenwandlergene sorgten dafür. Er hatte schimmernde weiße Zähne, nichts zu sehen von den Reißzähnen, die gerade eingezogen waren, so ähnlich wie eine Katze ihre Krallen versteckte. Er trug einen sorgfältig gestutzten Bart, der sein markantes männliches Kinn betonte. Und noch eine Abweichung stellte sie fest. Vampire hatten im Allgemeinen ein Milchgesicht, um möglichst jugendlich zu wirken. Selten entwickelte einer eine Gesichtsbehaarung wie der Prinz. Das und die anderen etwas ungewöhnlichen Merkmale an ihm brachten sie auf die Frage, ob er sich absichtlich nicht an kulturelle Normen hielt, und wenn ja, warum?
Seine sehr dunkelblauen Augen strahlten eine Heiterkeit aus, die seine Züge lebendig machte. Ein dicker, geflochtener Zopf fiel ihm über die Schulter bis auf den wohlgeformten Brustmuskel. In diesem Moment wirkte er in seiner makellosen Schönheit so, als sei er das harmloseste Wesen auf der Welt.
Wahrscheinlich war es das, was Syreena frösteln machte.
Sie traute ihm nicht.
Sie durfte ihm nicht trauen, sagte sie sich selbst. Auch wenn relativer Frieden herrschte zwischen Vampiren und Lykanthropen - konnte irgendjemand, der bei Verstand war, jemandem aus einem Volk trauen, das so großes Vergnügen daran fand, Vertrauen aufzubauen und ihnen dann etwas auszusaugen, mit dem sie nur zu ihrem Vergnügen herumspielten? Syreena hatte Geschichten gehört, Geschichten von Ausbeutung und Missbrauch, die selbst Damien beunruhigten und die ihr die Haare zu Berge stehen ließen.
„Hier gibt es keinen Schutz", stellte Damien plötzlich fest.
Wenn man bedachte, dass die einzigen Personen dort Wissenschaftler waren und dass ein paar sehr entschlossene Feinde nach genau diesem Ort gegraben hatten, war das eine begründete Sorge. Doch obwohl sie ihm zustimmte, fühlte sie sich angegriffen.
„Ich bin hier", sagte sie kalt.
„Ja", stellte er langsam fest, während er sie mit prüfenden Blicken von Kopf bis Fuß musterte. „Das bist du." Er schwieg eine Weile und verzog den Mund zu einem gereizten Lächeln. „Ohne deine Fähigkeiten infrage stellen zu wollen, meine Liebe, aber mir ist nicht klar, wie du eine Horde Zauberer und Menschenjäger, angeführt von einem abtrünnigen Teufel, abwehren willst, falls sie beschließen zurückzukommen."
„Nun, mein Lieber", entgegnete sie bissig. „Ich nehme an, ich muss mich darauf verlassen, dass ihr erster Versuch fehlgeschlagen ist und dass sie keine Ahnung haben von diesem Ort ..."
„Trotzdem", entgegnete er.
„ ... und auf die bestens gerüsteten Schattenwandler, die gleichzeitig in der Bibliothek sein werden", schloss sie mit einem spöttischen und feindseligen Ton.
„Und wie viele werden das sein? Zehn? Fünf? Jasmine eingeschlossen, sehe ich nur vier. Es ist kaum damit zu rechnen, dass sie einen Frontalangriff überleben werden. Wir sind gezwungen, am Tag zu schlafen; unsere menschlichen Gegner haben solche Einschränkungen nicht. Womöglich nicht einmal die abtrünnige Dämonin, so mächtig, wie sie inzwischen geworden ist."
Wieder hatte er recht, erkannte Syreena. Doch im Grunde war er nur schneller zu einem Schluss gekommen. Sie widersprach seinen Feststellungen nicht. Warum fühlte sie sich nur so angegriffen?
Damien musste sich eingestehen, dass er sie absichtlich geärgert hatte. Er hatte diese Ruhe und diese betonte Selbstsicherheit erschüttern wollen, in die sie sich einhüllte wie in einen Umhang. Er erinnerte sich an einen Abend vor nicht allzu langer Zeit, an dem er sie grimmig und entschlossen gesehen hatte, als sie mit kalter Wut ihre Schwester schützen wollte. Die Vorstellung, sie zu treffen und ihre zur Schau getragene Gelassenheit zu erschüttern, erregte ihn. Er konnte spüren, wenn ihre Gefühle in Wallung gerieten und wenn sie erregt feststellte, dass sie ihn nicht ausstehen konnte und dass sie ihm eher den Kopf abreißen würde, als ihm trauen.
Da sein Drang befriedigt war, wandte er sich mit einem Winken und mit einer respektlosen Drehung von ihr ab, bevor sie antworten konnte.
Der Prinz ging in die Bibliothek zu der Frau, die mit ihm gekommen war. Er schob eine Hand um ihren Brustkorb, legte die Fingerspitzen direkt unter ihre Brüste und beugte sich vor, um ihr etwas zuzuflüstern; ein wütendes Zischen und ein kurzer Blick in Richtung Syreena, was ihr das Gefühl gab, dass er sie verhöhnte.
Syreena holte tief Luft und versuchte, ihre Wut zu zügeln. Es war fast so, als wäre sie auf einen richtigen Kampf aus. Zumindest musste sie sich eingestehen, dass es ihr große Genugtuung verschafft hätte, dem Vampirprinzen das Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. Abgesehen von den politischen Konsequenzen hätte sogar Siena eingesehen, dass er es verdiente.
Syreena war jetzt nicht in der Stimmung, sich in ein Buch zu vertiefen. Die Bibliothek füllte sich noch immer, und die vielen verschiedenen Schattenwandler waren zahlenmäßig ausgewogen, damit der Frieden weiterhin erhalten blieb. Oder zumindest sagte sie sich das, um eine Rechtfertigung dafür zu haben, wenn sie frische Luft schnappen ging. Sie marschierte durch den Bibliothekseingang hinaus und blieb stehen, um die drei anderen Höhlen zu betrachten, die von dieser abgingen.
Das Netz aus Höhlen führte kilometerlang weiter, und ein paar Gänge waren so schmal, dass höchstens ein mittelgroßes Tier hindurchpasste. Aus diesem Grund genossen die Lykanthropen die Höhlen so sehr. Der Zugang war schwierig, frisches Wasser und heiße Quellen gab es im Überfluss. Und es war zu jeder Jahreszeit stets angenehm kühl. Außerdem, vielleicht das Beste daran, war es immer dunkel. In gewisser Weise jedenfalls. Man konnte bei Tageslicht kilometerweit durch dieses dunkle Labyrinth wandern und bekam doch nie die Sonne zu sehen.
Da Sonneneinstrahlung bei Lykanthropen rasch zu einer Vergiftung führte - und sie mit einer gefährlichen Sonnenkrankheit schlug, an der sie ganz leicht sterben konnten -, lag der Vorteil der Höhlen auf der Hand. Ein Lykanthrop, der durch die Sonne starke Vergiftungserscheinungen davongetragen hatte, rang tagelang unter schrecklichen Schmerzen mit dem Tod, bevor er schließlich starb. Syreena wäre diesen schrecklichen Tod erst vor einem Monat beinahe gestorben.
In der Welt draußen war jetzt Winter. Ein russischer Winter, was das Lykanthropenterritorium betraf. Die Höhlen hatten Dutzende von Ausgängen, bekannte und unbekannte, die hinauf
zu dem winterlichen Ort führten. Syreena war durch einen Gang gekommen, der früher zu der Höhle führte, in der eine Lykanthropin namens Jinaeri überwintert hatte. Doch Jinaeri hatte die Höhle verlassen in Erwartung des geschäftigen Treibens in der Bibliothek, das womöglich ihren Winterschlaf gestört hätte.
Syreena wünschte, sie könnte auch Winterschlaf halten. Sie hätte die Einsamkeit und die Ruhe gebraucht. Der Falke und das zweite Element, der Delfin, waren beides Tiere, die auf Wanderschaft gingen. Sie wechselten den Ort, es zog sie in wärmere Zonen, statt dass sie sich zu einem langen Schlaf niederlegten. Vielleicht war das der Grund, warum sie in letzter Zeit nicht stillsitzen konnte. Vielleicht fühlte sie sich deshalb so rastlos und war so leicht aus der Fassung zu bringen.
In ihrer Rastlosigkeit schlug sie einen der Höhlenpfade ein.
Als Damien aufblickte, war die Lykanthropenprinzessin verschwunden.
Er wandte sich von Jasmine ab, um sich in dem riesigen Raum umzuschauen, und runzelte verwirrt die Stirn. Die Prinzessin war ihm nicht vorgekommen wie jemand, der wegrannte und schmollte, doch er dachte kurz darüber nach, ob seine Sticheleien sie vielleicht dazu bewogen hatten. Er legte den Kopf leicht schräg, während er all seine übernatürlichen Sinne einsetzte, um sie zu suchen. Es half nicht viel; die Höhlen erzeugten ein seltsames Echo in seinem sensorischen Netzwerk und reflektierten Geister und Schatten von Wesenheiten, die er nur schwer durchdrang. Das Einzige, was er sicher sagen konnte, war, dass sie sich nicht mehr direkt im Bibliotheksraum befand.
Er wusste nicht, warum ihn das beschäftigte. Noch immer suchend ging er zum Bibliothekseingang. Syreena ging durch den Ausgang, den sie unverhofft gefunden hatte, und trat in den unberührten, knirschenden Schnee und in die beißende Kälte der Winterluft.
Doch die Luft war klar und erfrischend, und sie sog sie genüsslich ein. Sie schlang die Arme fest um sich, um ihren Körper warm zu halten. Sie trug ein Kleid aus Kaschmir, das nur an ihren Schultern zusammengehalten wurde und das knapp bis zum Knie reichte. Sie hatte nur einfache Slipper an, die nicht dazu geeignet waren, durch den Schnee zu stapfen.
Doch sie war zum Teil ein Tier und dafür geschaffen, solche Widrigkeiten auszuhalten. Es machte ihr nicht so viel aus wie einem menschlichen Wesen oder wie einem Schattenwandler.
Sie war in einem Waldgebiet, und die eine Hälfte der Bäume stand nackt und kahl in der Landschaft, das andere waren Schatten von Fichten und anderen Nadelbäumen. Sie marschierte los; das Knirschen des Schnees war das einzige Geräusch um sie herum. Darunter waren natürlich die normalen Geräusche des Waldes zu hören. Doch selbst die dürften bald verstummen. Sie war ein Raubtier, etwas, das man fürchten musste. Während sie sich verwandelte, stellte sie allerdings nur für kleinere Tiere eine Bedrohung dar.
Sie war versucht, ihre Kleidung abzulegen und sich in den Falken zu verwandeln. Sie genoss das Fliegen am klaren Nachthimmel. Doch man erwartete von ihr, dass sie sich an diesem ersten Abend, da die Bibliothek geöffnet war, um bestimmte Dinge kümmerte. Es war schon schlimm genug, dass sie einfach davonmarschiert war. Sie würde sich einen kurzen, erfrischenden Spaziergang im Schnee genehmigen und dann zurückkehren. Sie wollte einen klaren Kopf bekommen, um ihren Blickwinkel wieder zurechtzurücken. Die Natur hatte etwas Meditatives, daher hoffte sie, sie könnte so etwas zur Ruhe kommen. Die Stimmung, in der sie den Vampirprinzen begrüßt hatte, konnte sie sich nicht erlauben. Es war ihre Pflicht, sich genau gegenteilig zu verhalten, höflich und diplomatisch zu allen Schattenwandlern zu sein, die keine Bedrohung für sie darstellten.
Denn es gab keine Möglichkeit, Politik außen vor zu lassen. Eine Beleidigung, egal, ob es um jemand so Mächtigen ging wie Damien oder um einen einfachen Bewohner der Schattenwandlerwelt, konnte weitreichende Folgen haben und einen Krieg heraufbeschwören.
Syreena ging langsam durch die finstere Nacht. Es gab keinen Mond am Himmel, jedenfalls drang er nicht durch die dunkle Wolkenschicht, die tief über den Baumwipfeln hing.
Sie musste ernsthaft herausfinden, was mit ihr nicht stimmte. Es war, als hätte sie sich in das verwirrte, launische Kind zurückverwandelt, das sie gewesen war, bevor man sie zu The Pride geschickt hatte. Doch sie war kein Kind mehr. Sie war hundert-acht Jahre alt, gut ausgebildet, hochintelligent und emotional ausgeglichen.
Normalerweise.
Sie wusste, dass Frieden bessere Wirkungen zeigte als Krieg. Sie wusste, dass Streit und Missmut sich selbst vermehrten, so wie eine sanfte Stimme und ein ebenso sanfter Umgang miteinander durch Respekt erwidert wurden.
Syreena blieb unvermittelt stehen, weil sie meinte, hinter sich ein Geräusch gehört zu haben. Jäh drehte sie sich um und spähte mit ihren scharfen Augen in die Dunkelheit. Es war nichts zu sehen. Nicht einmal ein Tier.
Sie dachte, es sei irgendein Echo oder eine Sinnestäuschung gewesen.
Sie zitterte jetzt heftig vor Kälte, achtete jedoch nicht auf das unbehagliche Gefühl. In ihrer menschlichen Gestalt fühlte sie sich tatsächlich am angreifbarsten und verbrachte deshalb einen Großteil ihrer Zeit als Falke. Sie würde die Delfingestalt öfter wählen, wenn es, abgesehen von dem Höhlensee, eine Wasserquelle gäbe, die tief genug wäre. In diesen beiden Tiergestalten war sie wenigstens geschützt vor solch extremen Temperaturen.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
... weniger
Autoren-Porträt von Jacquelyn Frank
Jacquelyn Frank wurde in New York geboren und lebt heute mit ihren Katzen in einem großen Haus in North Carolina. Zu ihren Lieblingsautorinnen gehören Christine Feehan, J. R. Ward, Kresley Cole und Sherrilyn Kenyon.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jacquelyn Frank
- 2010, 400 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Beate Bauer
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802583299
- ISBN-13: 9783802583292
- Erscheinungsdatum: 10.11.2010
Kommentare zu "Damien / Schattenwandler Bd.4"
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 3Schreiben Sie einen Kommentar zu "Damien / Schattenwandler Bd.4".
Kommentar verfassen