Darf's ein bisschen Sommer sein?
Originalausgabe
Das lesen Frauen diesen Sommer:
Geschichten, mal gefühlvoll, mal heiter und amüsant, erzählt von ihren Lieblingsautorinnen Mia Morgowski, Tessa Hennig, Anna McPartlin, Stefanie Gerstenberger, Gisa Pauly, Anne Hertz u.a.
So kann der Sommer kommen!
Geschichten, mal gefühlvoll, mal heiter und amüsant, erzählt von ihren Lieblingsautorinnen Mia Morgowski, Tessa Hennig, Anna McPartlin, Stefanie Gerstenberger, Gisa Pauly, Anne Hertz u.a.
So kann der Sommer kommen!
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Darf's ein bisschen Sommer sein? “
Das lesen Frauen diesen Sommer:
Geschichten, mal gefühlvoll, mal heiter und amüsant, erzählt von ihren Lieblingsautorinnen Mia Morgowski, Tessa Hennig, Anna McPartlin, Stefanie Gerstenberger, Gisa Pauly, Anne Hertz u.a.
So kann der Sommer kommen!
Geschichten, mal gefühlvoll, mal heiter und amüsant, erzählt von ihren Lieblingsautorinnen Mia Morgowski, Tessa Hennig, Anna McPartlin, Stefanie Gerstenberger, Gisa Pauly, Anne Hertz u.a.
So kann der Sommer kommen!
Klappentext zu „Darf's ein bisschen Sommer sein? “
Der Herzschlag des Sommers.Romanzen unterm Sonnenschirm, Pärchenurlaub mit Tante Käthe im Schlepptau, Selbstversuch mit Selbstbräuner: 22 Autorinnen erzählen vom Sommer und seinen großen und kleinen Katastrophen - amüsant, gefühlvoll, nachdenklich oder heiter.
Mit Geschichten von Martina André, Lilli Beck, Isabel Beto, Sofie Cramer, Carla Federico, Stefanie Gerstenberger, Anja Goerz, Anette Göttlicher, Gaby Hauptmann, Tessa Hennig, Anne Hertz, Elisabeth Kabatek, Anna McPartlin, Mia Morgowski, Petra Oelker, Gisa Pauly, Britta Sabbag, Kim Schneyder, Emma Sternberg, Jana Voosen, Sibylle Weischenberg und Steffi von Wolff.
Lese-Probe zu „Darf's ein bisschen Sommer sein? “
Darf's ein bisschen Sommer sein? von Mia Morgowski, Tessa Hennig, Anna McPartlin u.a.Herausgegeben von Carolin Klemenz und Friederike Ney
Mia Morgowski
Ein Mann sieht rot
... mehr
«Felix, hier ist Steff, kannst du bitte vorbeikommen? Bei mir gibt es einen Notfall.» Mit aufkommender Panik betrachte ich die rotbraunen Flecken, die ein Eigenleben auf meiner milchig weißen Haut zu führen scheinen. Wie eine mitteldeutsche Milchkuh sehe ich aus. Notfall ist hierfür nun wirklich keine Übertreibung.
«Steff ? Was für ein Steff ?» Mein Kumpel Felix am anderen Ende der Leitung klingt verschlafen. An einem Mittwochabend um 00 : 30 Uhr nicht weiter verwunderlich. Und bei Felix schon gar nicht. Seit er mit Anja verheiratet ist, geht er pünktlich um 23 Uhr ins Bett. Jedenfalls, wenn Anja zu Hause ist. Befindet sie sich auf Geschäftsreise, ordert Felix um diese Zeit meist den ersten Schnaps zum Bier.
«Steff. Stefan. Dein guter Freund und Arbeitskollege. Du erinnerst dich?» Ich bemühe mich, nicht eingeschnappt zu klingen, frage mich aber, ob ich von einem Freund, der am Telefon meine Stimme nicht erkennt, tatsächlich fachmännische Hilfe bei einem Notfall erwarten kann.
Felix bemerkt seinen Fauxpas und rudert zurück. «Natürlich weiß ich, wer du bist. Ich wollte auch eigentlich sagen: Was für ein Notfall? »
Na bitte. Geht doch. Trotzdem ...
«Reicht es nach all den Jahren, die wir uns kennen, nicht, wenn ich sage, dass ich Hilfe benötige? Allein das Wort Notfall sollte ausreichen, damit du dir deinen Flanellpyjama vom Leib reißt und dich sofort auf den Weg zu mir machst.»
Felix gähnt. «Jetzt?!? Hat das nicht Zeit bis morgen? Ich meine, wir sehen uns doch ohnehin in ein paar Stunden am Flughafen. Außerdem schläft Anja schon.»
Morgen ist alles zu spät. Zumal es ja wohl vollkommen egal ist, ob Anja schläft, häkelt oder gerade Bratkartoffeln brät. Schließlich soll nicht SIE kommen, sondern Felix.
«Anja solltest du besser zu Hause lassen, es ist nämlich ein ... äh ... männlicher Notfall.»
«Bitte? Und was soll das jetzt heißen?»
Ich rolle mit den Augen. «Mann, Felix, jetzt komm einfach her und sieh es dir selbst an. Ich brauche Hilfe, wirklich.»
«Und was sage ich Anja, wenn sie fragt?»
«Ich denke, die schläft!?» Meine Güte, dieser Schisshase. «Wenn sie fragt, dann sagst du ihr, bei mir gäbe es einen Chemieunfall.»
Ich kann förmlich sehen, wie Felix die verschlafenen Augen aufreißt. «Einen Chemieunfall? Solltest du dann nicht Katastrophenalarm auslösen? Oder bei der Feuerwehr anrufen?» Er klingt jetzt nicht nur wach, sondern beinahe panisch.
Endlich eine angemessene Reaktion auf meine Misere. «Ich kann zurzeit keine fremden Leute im Haus gebrauchen. Ich bin ... nackt.» Kurze Pause, dann hake ich noch einmal nach: «Also, kommst du jetzt?»
«Du bist doch nicht betrunken, oder?»
«Noch nicht, aber es ist nicht auszuschließen, dass das heute noch geschehen wird.»
Felix ist noch nicht restlos überzeugt. «Ist es irgendwie gefährlich? Ich meine, bist du kontaminiert?» «Nein.»
«Sicher?»
«Mann, Felix!»
«Okay, okay. Bin schon unterwegs.»
Erleichtert lege ich auf. Gleich darauf betrachte ich noch einmal eingehend meinen Körper, dann lese ich zum zwölften Mal den Aufdruck der Tube Selbstbräuner, die vor mir auf dem Wannenrand steht. Das heißt, genau genommen betrachte ich nur die Buchstaben, lesen kann ich die kleingedruckten Zeilen nämlich nicht, da sie auf Türkisch verfasst sind.
Bereits seit meiner Kindheit hege ich eine Abneigung gegenüber Gebrauchsanweisungen, doch seit heute hasse ich sie regelrecht. Zwar ist es mir in mühevoller Puzzlearbeit gelungen, die türkischen Wörter in meinen Computer einzugeben und anschließend mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms in eine Art Deutsch zu verwandeln. Doch was dabei herauskam, hat nicht nur nicht geholfen, es macht mir regelrecht Angst:
Für Glossy Tan zunächst rohe Haut schriftlich von abgestorbenen Zellen reiben. Haut schält. Danach Sprühregen von Bronzeler. Verteilen Sie sich und Tube, dann entfernen. Browning zeigt nun Ergebnis von Selbsttest. Regelmäßige Wartung erforderlich. Gesamte Anwendung auf zwei oder drei Tage zu halten. Am Ende Falten und Hände waschen.
Also, wenn das kein Notfall ist, dann weiß ich es auch nicht. Verteilen Sie sich und Tube? Warum? Und woran soll ich meine rohe Haut reiben? Und wie soll das schriftlich gehen?
Argh, wer hätte überhaupt gedacht, dass es einer Gebrauchsanweisung bedarf, um seinem Körper eine leichte, gesunde Sommerbräune zu verleihen? Ich meine, Rasenmäher, Handy, Auto - all das funktioniert doch auch, ohne stundenlanges Studieren des Kleingedruckten. Warum sollte ausgerechnet Kosmetik so kompliziert sein?
Und alles nur wegen dieser bescheuerten Reise. Und natürlich wegen Filiz, meiner türkischen Nachbarin.
Als sie mir heute Morgen die Tube mit den Worten «Du musst das Zeug einfach überall dort auftragen, wo du braun werden möchtest» überreichte, konnte ich ja nicht wissen, dass ich mich bei unsachgemäßer Anwendung bereits am Abend in einen gefleckten Grottenolm verwandele. Aus Filiz' Mund klang auch alles irgendwie ganz einfach. «Es ist ein Kinderspiel», behauptete sie sogar und lächelte dabei so nett und wunderbar, dass mir, wie immer, wenn ich mit ihr spreche, fast schwarz vor Augen wurde.
Filiz ist eine Göttin, und ich liebe sie. Sie hat goldbraunes Haar, Augen wie mit dunkler Schokolade überzogen und eine Haut, die man andauernd anfassen möchte, was ich jedoch tunlichst lasse, da uns eine nachbarschaftliche Freundschaft verbindet, auf die sich ein solches Gegrabsche sicher störend, wenn nicht gar verheerend auswirken würde. Für ein Geständnis meiner Gefühle fehlte mir bislang schlicht der Mut. Ehe in dieser Richtung nicht ein aufmunterndes Zeichen von ihr kommt, werde ich mich in die Rolle des guten Freundes fügen. Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel, sich nicht mehr in andere Frauen verlieben zu können.
«Das ist doch Schwachsinn», sagte Felix, dem ich als Einzigem von meiner Misere erzählt habe. «Du kannst nicht ewig auf ein Zeichen von dieser Frau warten. Die hat todsicher einen Freund. Such dir eine Tussi, die erreichbar ist.» Und in Hinblick auf unsere bevorstehende Reise fügte er letzte Woche hinzu: «Solche Trips sind ideal zum Flirten. Du wirst schon sehen: In null Komma nix hast du dich in eine andere verguckt. Auf Gran Canaria kann man quasi gar nicht allein ins Bett gehen.»
Das bezweifele ich nach wie vor. Zum einen hat er Filiz noch nie gesehen und weiß somit nicht, wie wunderbar sie ist. Zum anderen ist die Auswahl derer, in die ich mich auf unserer Reise vergucken könnte, überschaubar. Denn die meisten haben eines gemeinsam: Sie sind meine Arbeitskolleginnen. Mein Kumpel Felix und ich arbeiten in einer Werbeagentur, die im letzten Jahr außergewöhnlich gut gewirtschaftet hat und deren Chef ein netter Mann ist. Nun möchte er sich bei seinen Angestellten für diesen Erfolg bedanken und lädt alle Mitarbeiter - statt einer Weihnachtsfeier - zu einem Kurztrip nach Gran Canaria ein. Von Donnerstag bis Sonntag. Mit allem, was dazugehört: Wellness, surfen, schlemmen. Partner sind willkommen, müssen aber einen Unkostenbeitrag von 500 € leisten. Ein bisschen Sparsamkeit ist auch unter Werbern angebracht.
«Weißt du», sagte Felix, als die Reiseplanung begann, «auf der Fahrt machen wir ordentlich einen drauf. Ich lasse Anja zu Hause, und wir feiern richtig ab. Wie früher! Ich meine, hey, Gran Canaria - 25 Grad und Sonne - , da werden wir schon eine Braut finden, die dich wieder in die Spur bringt.»
Mir war zwar nicht ganz klar, warum Felix glaubte, ich wäre neben der Spur, aber ich vermutete insgeheim, dass er eher von sich sprach und während der vier Tage ohne Anja mal einen Spurwechsel ins Auge fasste. Andererseits habe ich ja nichts zu verlieren. Im Grunde genommen ist es vielleicht wirklich eine Gelegenheit, mir ein Abenteuer zu suchen und auf diesem Weg mein Herz von Filiz zu lösen.
«Mit Malia könnte ich ja vielleicht mal einen Cocktail trinken», schlug ich Felix nach reiflicher Überlegung vor, und mein Kumpel atmete einmal tief und geräuschvoll aus.
«Einen Cocktail trinken? Du liebe Güte, Steff ! Wir fahren doch keine vier Wochen weg. Du musst schon ein bisschen temporeicher vorgehen. Allerdings finde ich nicht, dass Malia zu dir passt.»
«Ach, und warum nicht? Ich glaube nämlich, sie mag mich.»
Statt einer Antwort schnaufte mein Kumpel noch einmal abfällig und schwieg beharrlich.
Keine Ahnung, wo sein Problem liegt. Malia ist nett. Und hübsch. Sie hat die Hautfarbe eines afrikanischen Hürdenläufers und einen ähnlich durchtrainierten Körper. Ob das allerdings ausreichen würde, um mich von Filiz abzulenken, wage ich zu bezweifeln. Aber einen Versuch wäre es sicher wert. Schließlich kann mein Liebesleben nicht ewig brachliegen.
Das einzige Problem bei der Sache ist: Ich bin körperlich nicht so richtig gut in Schuss. Also, nicht dass ich dick wäre oder so, das ist es nicht. Nur bin ich eben auch nicht gerade ein Herkules. Seit einer Woche absolviere ich deshalb morgens ein strammes Hanteltraining, doch von sichtbaren Erfolgen bin ich weit entfernt. Was man hingegen sehr wohl sieht, ist, dass meine Hautfarbe - auch wohlwollend betrachtet - einem satten Signalweiß entspricht. Für Baumarktgänger: RAL 9003.
Malia und ich nackt nebeneinander - wir sähen aus wie das Kinderschokolade- Pärchen. Wie Milch und Schokolade. Wie gesund und krank. Wie Seal und Heidi Klum. Und wo das hingeführt hat, weiß man ja.
Beim Anblick meines entblößten Körpers würde Malia mit Sicherheit davon ausgehen, ich sei radioaktiv verseucht, meine Blutkörperchen wären abgestorben und eine gemeinsame Nacht mit mir sei ihr sicheres Todesurteil.
Und auch wenn ich frauentechnisch bislang nicht gerade auf der Überholspur unterwegs war, weiß ich sehr wohl, dass sie nur einen von beiden Zuständen verzeihen: keine Muskeln oder keine Farbe. Auf keinen Fall beides.
Leider kam mir diese schmerzliche Erkenntnis erst sehr spät. Genau genommen kam sie mir erst vor einer Woche, und ganz genau genommen kam sie auch nicht mir, sondern Filiz. Als ich ihr nämlich letzte Woche nur in ein Handtuch gewickelt die Tür öffnete und sie mit teilnahmsvollem Blick auf meinen entblößten Oberkörper starrte, sagte sie, dass man sich mit Leukämie auf keinen Fall aufgeben dürfe!
Nach Klärung des Missverständnisses erzählte ich ihr von meinem Wunsch nach einer gesunden Sommerbräune. Natürlich, ohne Malia zu erwähnen, ich bin ja nicht blöd. Stattdessen faselte ich etwas von einem Fotoshooting auf Gran Canaria, was ja nicht komplett gelogen war.
Filiz begriff sofort den Ernst der Lage und schlug vor: «Geh am besten auf die Sonnenbank. Dreimal reicht, dann siehst du aus wie mein Bruder.» Meinen Einwand, dass man davon Hautkrebs bekäme, wischte sie mit lapidarer Geste fort. «Doch nicht von dreimal.»
Von dreimal wurde ich allerdings auch nicht braun. Ich schaffte es lediglich, mich von RAL 9003 auf RAL 9010 hochzuarbeiten, was der Volksmund leider immer noch Reinweiß nennt.
Heute Morgen, als Filiz bei mir Kleingeld für eine Busfahrkarte wechseln wollte, wanderte ihr Blick zwischen meinem verzweifelten Gesicht und meinen käsigen Beinen hin und her, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand in ihre Wohnung. Sekunden später drückte sie mir jene Cremetube in die Hand, wegen der ich jetzt halbnackt auf die Hilfe meines Kumpels warte. Dabei hatte ich extra gefragt, ob auf etwas zu achten sei. Doch Filiz schüttelte mit dem Kopf. «Nein. Steht aber notfalls alles auf der Tube.»
Die bronzefarbene Creme, die mir kurze Zeit später im Bad nach leichtem Drücken entgegenkroch, sah auch eigentlich sehr vielversprechend aus. Ich machte einen Test auf meinem Handrücken und stellte fest, dass das Ergebnis eine leichte, fluffige Sommerbräune simulierte. Da ich aber gern eine kräftige männliche Urlaubsbräune vorweisen wollte, schmierte ich mich - getreu dem Motto: Viel hilft viel - noch mal von oben bis unten damit ein und ging zur Arbeit.
Seit 15 Uhr weiß ich: Das war ein Fehler. Die leichte, fluffige Sommerbräune ist einem krassen, fleckigen Amber-Rot gewichen, das mich aussehen lässt wie einen Indianer mit Schuppenflechte. Ein amtliches RAL 602180297048, würde ich sagen, falls es das gäbe. Eine Mischung aus Masernrot, Perlkupfer und Blutorange.
Um 16 Uhr ging ich unter Vorspiegelung einer Allergie eher von der Arbeit nach Hause, und seit 17 Uhr spiele ich mit dem Gedanken, in Wasserstoffperoxid zu baden. Eines jedenfalls ist sicher: Hätte ich mit meiner käsefarbenen Haut bei Malia noch den Hauch einer Chance gehabt - mit dieser gesprenkelten Tönung würde sie mich schlichtweg zum Teufel jagen.
Seit 18 Uhr weiß ich: Waschen Sie sich und Tube hilft nicht, weshalb ich um Punkt 19 Uhr all meinen Mut zusammennahm und bei Filiz anrief, die aber weder zu Hause war noch an ihr Handy ging. Vermutlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mir versehentlich die Tube mit der Möbelpolitur gegeben hat. Oder aber sie hat sich ihren Bruder noch einmal genau angesehen, und ihr ist klar geworden, dass ich - falls ich nach der Anwendung tatsächlich so aussehen sollte - einen Grund hätte, sie zu verklagen.
Ein bisschen bin ich allerdings auch froh, dass Filiz mich in diesem Zustand nicht sieht. Immerhin ist sie eine Göttin. Und ich bin ein Honk. Ein tiefroter Honk.
Endlich klingelt es. Felix! Erleichtert reiße ich die Tür auf, ziehe ihn schnell ins Dunkle und lasse hinter uns die Tür ins Schloss fallen.
Fassungslosigkeit spiegelt sich auf dem Gesicht meines Kumpels wider, als er meinen entstellten Körper sieht. Einen Moment scheint es, als suche er nach den geeigneten Worten. Natürlich will er mich nicht verletzen, er ist ein wahrer Freund.
«Spinnst du jetzt total?», nölt er plötzlich los. «DESWEGEN sollte ich mitten in der Nacht herkommen?»
Empört deute ich auf meinen gefleckten Bauch. «Wie würdest du das denn bezeichnen, wenn nicht als Notfall?» War ja klar, dass Felix in Sachen Katastrophenbehebung nicht der richtige Mann ist. Erwähnte ich, dass er in der Werbeagentur als Buchhalter arbeitet? Die können vielleicht Excel-Tabellen verwursteln, aber wortgewandtes Auftreten in Notfällen ist nicht ihre Stärke.
Ich bäume mich auf. «Wie soll ich mich denn bitte in diesem Zustand an den Pool legen? Geschweige denn, zurück in die Spur finden, wie du es nennst? Mal abgesehen vom Flirten. Ehrlich, Felix: Wer will sich schon von einem verbrannten Grottenolm ansprechen lassen? » Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich offenbar doch stark auf die Reise gefreut habe.
Felix winkt ab. Nachdem er mich stumm zweimal umrundet und wie einen verkäuflichen Zuchtbullen begutachtet hat, fragt er: «Warum bist du so ... gefleckt?»
Es gelingt ihm nicht, den Ekel auf seinem Gesicht zu verbergen. Ich überlege ernsthaft, ihn wieder nach Hause zu schicken. «Das ist Selbstbräuner», sage ich bemüht selbstbewusst. «Und du musst mir helfen, die Verfärbung wieder loszuwerden.» Zur Erklärung halte ich ihm die Tube vor die Nase, die mein Kumpel nun fachmännisch unter die Lupe nimmt.
«Ist das Zeug vielleicht abgelaufen?», will er wissen und bringt damit den ersten vernünftigen Satz seit seinem Eintreffen hervor, auch wenn der uns nicht wirklich weiterhilft.
«Keine Ahnung. Ist doch aber auch egal, oder? Fakt ist: Ich sehe aus wie ein Eichhörnchen mit Pigmentstörungen. Also, lass dir bitte etwas einfallen.»
Mein Kumpel nickt, als seien Verfärbungen auf menschlicher Haut sein Spezialgebiet. Mit fester Stimme fordert er dann: «Gib mir mal die Gebrauchsanweisung.»
Stumm überreiche ich ihm den DIN-A4-Ausdruck mit der Übersetzung. Eine Weile liest Felix schweigend, wobei sich die Falten auf seiner Stirn von Zeile zu Zeile vertiefen.
Als alles komplett zusammengefurcht ist, blickt er hoch und fragt: «Hast du die Creme in einem afghanischen Bordell gekauft?»
Ich verziehe das Gesicht. «Das ist Türkisch.»
Felix übergeht meinen Einwand. «Was meinen die denn mit regelmäßige Wartung erforderlich? Hast du das gemacht?»
«Wie denn, bitte?», brause ich auf. «Ich hab doch keine Ahnung, was das bedeuten soll.»
«Waschen Sie sich und Tube», liest Felix vor und kann sich ein Kichern nicht verkneifen. «Sprühregen Bronzeler.» Jetzt gluckst er wie ein altes Auto. «Ist das krass!»
Mir reicht es. «Kannst du bitte mal wieder ernst werden? So kommen wir hier nicht weiter.»
Felix beißt sich auf die Lippen und sagt - nachdem er mich noch einmal fachmännisch begutachtet hat - halbherzig: «Also soooo schlimm ist es nun auch wieder nicht.»
BITTE??? Ich möchte wirklich mal wissen, wo bei ihm schlimm anfängt. Offenbar noch nicht bei den Grottenolmen. «Das ist nicht dein Ernst!»
«Na, du sagst doch immer, dass es auf Äußerlichkeiten nicht so ankommt.»
DAS habe ich gesagt? Donnerwetter.
«Nun», setze ich an, meine altruistischen Worte wieder in realitätsnahe Bahnen zu lenken, «das mag vielleicht zutreffen, wenn jemand einen Leberfleck im Gesicht hat, ihm ein Zeh fehlt oder ...» Ich denke an Filiz. «... eine schiefe Nase hat. Aber dass geschlechtsreife Frauen beim Flirten über Flecken im Gesicht eines Kerls hinwegsehen, wage ich zu bezweifeln.»
«Beim Küssen schließt man doch aber die Augen. Außerdem ...» Felix macht eine Pause, und ich hoffe, danach kommt er mit einer besseren Ansage rüber. «Eine halbe Stunde im Salzwasser, und der Kram hat sich abgewaschen. Garantiert.»
Tatsächlich scheint mir das eine Überlegung wert zu sein.
Als er gerade ein weiteres Mal den Mund öffnet - vermutlich um auf den Salzgehalt des Atlantiks einzugehen - , klingelt es an der Haustür.
Erschreckt starren wir uns an.
«Hast du noch mehr Leute herbestellt?», fragt Felix und muss schon wieder losprusten. «Vielleicht damit wir deine rohe Haut gemeinsam schriftlich waschen?» Er klopft sich auf die Schenkel.
Ich könnte ihm den Hals umdrehen. Erst macht er mir diese Reise schmackhaft, und nun verhält er sich wie ein Idiot. Nach der Fahrt werde ich mich definitiv nach einem neuen Freund umsehen.
Genervt stürme ich zur Haustür und reiße sie auf. Ein Fehler. Ein Riesenfehler. Vor allem, weil ich noch immer nackt bin.
Vor mir steht Anja, Felix' Ehefrau. Bei meinem Anblick schreit sie auf.
Endlich einmal eine angemessene Reaktion auf mein Elend, denke ich, doch ehe ich zu einer Erklärung ansetzen kann, drängt Anja sich an mir vorbei in die Wohnung.
«Ist Felix hier?», ruft sie alarmiert, und ich weiß, dass weder «ja» noch «nein» eine befriedigende Antwort für sie wären. In beiden Fällen müsste Anja sich nämlich wundern, was genau ihr Mann gerade treibt.
«Schnuckel!», höre ich meinen Kumpel überrascht ausrufen, als Anja bei ihrer Razzia durch meine Zwei-Zimmer-Wohnung das Bad erreicht. «Was machst du denn hier?»
«Dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen.» Die Verwirrung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. «Du im Bad und Stefan nackt an der Tür - was hat das zu bedeuten?»
Genau, wie ich befürchtet hatte: Es wird schwierig.
«Also, ich wohne hier», sage ich in einem Tonfall, der keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass ich in meiner Wohnung ja wohl machen kann, was und mit wem ich will.
«Schon klar», entgegnet Anja, ohne mich eines Blickes zu würdigen. «Ich meinte auch eigentlich: Warum ist mein Mann in deinem Badezimmer, wenn du nackt bist, wo er mir doch einen Zettel hinterlassen hat, auf dem stand, er würde zu seiner Großmutter fahren, weil sie Herzrhythmusstörungen hat?»
Nun ja. DAS weiß ich allerdings auch nicht.
Andererseits ist eine herzkranke Großmutter ja auch nicht so verdammt abwegig, oder? Es sei denn ...
«Ich dachte, du hast gar keine Großeltern mehr?», frage ich Felix erstaunt.
Er rollt mit den Augen. «Mann, Stefan. Mir ist auf die Schnelle nun mal nichts Besseres eingefallen.»
Ich sag es ja: Buchhalter. Unkreativ bis in die Geheimratsecken.
«Ist doch jetzt auch egal», wiegelt mein Kumpel ab und kommt stattdessen zum Wesentlichen. «Schnuckel, der Steff hat Selbstbräuner benutzt. Was dabei rausgekommen ist, sieht man ja. Hättest du mir DAS geglaubt?» Er deutet erst mit dem Kopf auf mich und tippt sich dann an die Stirn.
«Keine Ahnung», antwortet sie ehrlich, «aber dass ich dir dann nicht hinterhergefahren wäre, das weiß ich. So musste ich ja annehmen, du hast ein Geheimnis.»
Ich denke, dass sie damit auch gar nicht sooo falsch liegt, schweige aber lieber. Stattdessen nutze ich den Moment, um mir schnell eine Unterhose überzustreifen. Plötzlich wünsche ich mir nur noch, allein zu sein. Vielleicht um der Sache mit dem Salzwasser eine Chance zu geben. Eine bessere Alternative werden wir auch zu dritt kaum finden.
Anja unterbricht meine Gedanken. «Du willst mit der verfärbten Haut ja wohl hoffentlich nicht morgen im Meer baden, oder?» Es klingt beinahe so, als würde sie sich mit Selbstbräunern auskennen. «Davon würde ich dir jedenfalls dringend abraten.» Sie hebt warnend eine Augenbraue. «Es sei denn, du möchtest hinterher einen Grünstich haben.»
Du liebe Güte, nimmt das denn nie ein Ende? Fassungslos starre ich die frisch gekürte Bräunungsexpertin an. «Du meinst, ich kann damit nicht ins Wasser?» Panisch schaue ich von ihr zu Felix. «Und was mache ich dann den ganzen Tag?»
Felix, der offenbar befürchtet, ich könnte ihn bei der fetten Sause auf Gran Canaria alleine lassen, schlägt halbherzig vor: «Spiel doch Beach-Ball. Oder Schach. Mit Toby zum Beispiel.»
Sehr witzig. «Du weißt ganz genau, dass Toby seine Frau mitnimmt und vermutlich keinen Finger ohne sie heben wird. Und selbst wenn die nicht mitkäme, wäre er vermutlich damit beschäftigt, Malia anzubaggern.»
Der Satz ist noch nicht vollständig im Badezimmer verklungen, da weiß ich, dass ich Scheiße gebaut habe. Felix und Anja starren mich gleichermaßen entgeistert an.
Anja findet als Erste ihre Sprache wieder. «Aha», sagt sie beinahe tonlos, und ich möchte jetzt nicht in Felix' Haut stecken, «heißt das, Ehefrauen dürfen also doch mitfahren?»
Schweigen.
«Dann bedeutet das wohl auch, dass du mich nicht dabeihaben wolltest, wie?», schlussfolgert sie weiter.
Die nun folgende Stille im Badezimmer ist fast schon unheimlich. Aber Anja ist noch nicht fertig: «Und diese Malia - ist das nicht die neue hübsche Arbeitskollegin, auf die alle scharf sind? Alle außer dir, natürlich?» Sie pikst ihrem Mann fragend den Zeigefinger in die Brust. «Komisch. Warum nur gehst du dann seit einem Monat jeden Morgen um sechs joggen?»
Na, sieh mal einer an. DAS hat Felix mir nicht erzählt. Jetzt verstehe ich aber, warum er fand, dass Malia nicht zu mir passt. Der alte Schwerenöter! Vermutlich kommt ihm meine Verfärbung sogar ganz gelegen, die erhöht natürlich seine Chancen.
Ich fasse es nicht. «Weißt du, was?», sage ich und will gerade ebenfalls meinen Zeigefinger in Felix' Brust rammen, da klingelt es erneut an der Haustür.
Anja sieht mich fragend an. «Vielleicht ist das ja Malia», unkt sie und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Dann wendet sie sich an Felix und faucht: «Oder möglicherweise kommt jetzt doch deine Großmutter?»
«Äh ... Ich schau mal schnell nach», sage ich, froh, der angespannten Stimmung entfliehen zu können. Vielleicht hätte ich mich bezüglich der fluffigen Sommerbräune doch besser von Sylvie van der Vaart als von Filiz beraten lassen sollen. Die hat doch jetzt wieder mehr Zeit. Da ich erstens inzwischen eine Unterhose anhabe und mir zweitens sicher bin, dass weder Malia noch Felix' Großmutter vor meiner Haustür stehen, und man drittens seit Anfang des Jahres auch keine Angst mehr vor einem Spontanbesuch der GEZ haben muss, reiße ich forsch die Tür auf.
Vor mir steht Filiz! Sie hat meine Nachricht abgehört und kommt, um mich zu retten! Mein Herz hat vor Freude einen Aussetzer.
Filiz hingegen sieht nicht ganz so glücklich aus. Mit aufgerissenen Schokoladenaugen starrt sie auf meine gepunktete Brust. «Du liebe Güte, Steff! War das etwa der Selbstbräuner?»
Ich nicke stumm.
Filiz hält sich die Hand vor den Mund. «Hast du vorher denn kein Peeling gemacht?»
«Kein was?»
Filiz kräuselt das schiefe Näschen. «Ein Peeling. Um abgestorbene Hautschüppchen zu entfernen. Danach trägt man eine Bodylotion auf und erst dann die Bräunungscreme.»
Ach. Na, herzlichen Dank für die Info. Wäre super gewesen, wenn sie das heute Morgen schon erwähnt hätte.
Doch ich kann ihr nicht böse sein. Sie sieht mich so süß und schuldbewusst an, dass ich am liebsten sie trösten würde und nicht umgekehrt.
«Was ist jetzt mit deiner Reise?», will sie teilnahmsvoll wissen. «Ich meine, das ... Fotoshooting ...» Sie gerät ins Stocken.
«Ich werde hierbleiben.» Filiz' Anblick hat gereicht, um mir eines klarzumachen: Nie könnte ich etwas mit einer anderen Frau anfangen. Niemals.
«Geht das denn so einfach?»
Ich nicke. «Kein Problem. Das muss dann ... äh ... ein Kollege übernehmen. »
Filiz' Blick wird immer reumütiger. «Echt? Ja, dann ...» Sie sieht mich verlegen an und beißt sich auf die Lippen. «... dann hättest du also morgen Abend Zeit?»
«Ich?» Sicherheitshalber tippe ich mir an die eigene Brust.
«Ja. Du.» Filiz verkneift sich ein Lachen. «Dann würde ich dich als Entschädigung zu mir zum Essen einladen. Also ... falls du magst. Ich würde uns etwas kochen und anschließend ...»
Ich erfahre nicht mehr, was Filiz anschließend mit mir vorhat, und das ist vielleicht auch gut so, denn meine Knie sind bereits derart weich, dass ich kurz vor einer Ohnmacht stehe. Aber in meinem Bad wird es gerade laut. Sehr laut. So laut, dass Filiz den Satz nicht beendet, sondern mich fragend ansieht.
Tatsächlich hört es sich an, als würde jemand mit Shampooflaschen um sich werfen. Ich lasse Filiz in der Tür stehen, strecke die Puddingknie durch und hechte ins Badezimmer. Gerade noch rechtzeitig, um Anja daran zu hindern, mit meinem Nasenhaarschneider auf ihren Mann loszugehen.
«Stopp!», brülle ich. «Schluss mit dem Quatsch!»
Anja sieht mich an, als sei das ein zutiefst abwegiger Vorschlag. Allerdings lässt sie die Hand mit dem Elektrogerät sinken, als sie Filiz im Türrahmen erblickt.
«Ist das Malia?», will sie von Felix wissen, der daraufhin heftig mit dem Kopf schüttelt.
«Nein, die Frau kenne ich nicht», jammert er. «Ehrlich. Ich schwöre!»
Als würde ihm das helfen! Idiot. Möglicherweise ist es an der Zeit, ihm mal einen kleinen Denkzettel zu verpassen.
Kurzerhand baue ich mich vor Anja auf und erkläre: «Das ist meine Nachbarin Filiz. Sie ist hier, weil sie dir etwas geben möchte.» Ich renne in mein Schlafzimmer, wühle in meiner gepackten Reisetasche und bin Sekunden später mit einem Ausdruck zurück im Badezimmer. «Genau genommen ist Filiz eigentlich hier, damit ICH dir etwas gebe.» Ich überreiche Anja den Zettel. «Mein Flugticket. Sicher kann man das spontan morgen früh am Flughafen umbuchen. Dann kannst du dir mit deinem Mann ein paar schöne Tage auf Gran Canaria machen. Die 500 € kann Felix sicher nachreichen. Ich bleibe lieber hier und pflege meine Haut. Außerdem habe ich etwas Besseres vor ...»
Kurz zwinkere ich meinem Kumpel zu und genieße seinen wütenden Blick. Dann erkläre ich: «Morgen Abend bin ich nämlich zum Essen eingeladen. Und anschließend ...»
Ich lächele Filiz vielsagend an.
Anne Hertz
Französisch küssen
Eigentlich war Ariane selbst schuld. Oder, genauer gesagt, ihre ausgeprägte Leidenschaft für lächerlich teure und dabei völlig unpraktische Schuhe. Zusammen mit ihrer unglaublichen Sturheit eine beinahe tödliche Kombination: Denn niemand sonst wäre wohl auf die Idee gekommen, mit mörderischen Stilettos bei einem Charity-Empfang auf einem Leuchtturm zu erscheinen. 142 Stufen auf bleistiftdünnen Zehn-Zentimeter-Absätzen - für Ariane Littermann kein Thema. Hauptsache, der Schuh passte zum Kleid. 141 Stufen ging es auch gut. Nr. 142 erwies sich allerdings als fatal. Ich hatte es ihr ja schon prophezeit. Aber da hatte eben ihre berüchtigte Sturheit eingesetzt ...
Als ich den Flur zu ihrem Krankenzimmer heruntergehe, kann ich Ariane bereits auf 30 Meter Entfernung und durch die geschlossene Tür hören. Nicht einzelne Worte, vielmehr ein Klangteppich aus ihrer melodiösen Stimme und ihrem hellem Lachen. Irgendwen becirct sie doch gerade wieder - vor meinem geistigen Auge sehe ich sie umringt von Chefarzt, Oberarzt, sämtlichen Assistenzärzten und Krankenpflegern. Jedenfalls ist es normalerweise so, dass Ariane wie ein Magnet alle Männer im Umkreis von zehn Kilometern anzuziehen scheint. Na, wenigstens ist sie offensichtlich guter Dinge, denke ich, was in Anbetracht ihrer Lage nicht selbstverständlich ist. Immerhin hatte sie sich bei ihrem Treppensturz vor zwei Tagen das linke Handgelenk und mehrere Rippen gebrochen. Ich klopfe kurz und öffne die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten.
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«Felix, hier ist Steff, kannst du bitte vorbeikommen? Bei mir gibt es einen Notfall.» Mit aufkommender Panik betrachte ich die rotbraunen Flecken, die ein Eigenleben auf meiner milchig weißen Haut zu führen scheinen. Wie eine mitteldeutsche Milchkuh sehe ich aus. Notfall ist hierfür nun wirklich keine Übertreibung.
«Steff ? Was für ein Steff ?» Mein Kumpel Felix am anderen Ende der Leitung klingt verschlafen. An einem Mittwochabend um 00 : 30 Uhr nicht weiter verwunderlich. Und bei Felix schon gar nicht. Seit er mit Anja verheiratet ist, geht er pünktlich um 23 Uhr ins Bett. Jedenfalls, wenn Anja zu Hause ist. Befindet sie sich auf Geschäftsreise, ordert Felix um diese Zeit meist den ersten Schnaps zum Bier.
«Steff. Stefan. Dein guter Freund und Arbeitskollege. Du erinnerst dich?» Ich bemühe mich, nicht eingeschnappt zu klingen, frage mich aber, ob ich von einem Freund, der am Telefon meine Stimme nicht erkennt, tatsächlich fachmännische Hilfe bei einem Notfall erwarten kann.
Felix bemerkt seinen Fauxpas und rudert zurück. «Natürlich weiß ich, wer du bist. Ich wollte auch eigentlich sagen: Was für ein Notfall? »
Na bitte. Geht doch. Trotzdem ...
«Reicht es nach all den Jahren, die wir uns kennen, nicht, wenn ich sage, dass ich Hilfe benötige? Allein das Wort Notfall sollte ausreichen, damit du dir deinen Flanellpyjama vom Leib reißt und dich sofort auf den Weg zu mir machst.»
Felix gähnt. «Jetzt?!? Hat das nicht Zeit bis morgen? Ich meine, wir sehen uns doch ohnehin in ein paar Stunden am Flughafen. Außerdem schläft Anja schon.»
Morgen ist alles zu spät. Zumal es ja wohl vollkommen egal ist, ob Anja schläft, häkelt oder gerade Bratkartoffeln brät. Schließlich soll nicht SIE kommen, sondern Felix.
«Anja solltest du besser zu Hause lassen, es ist nämlich ein ... äh ... männlicher Notfall.»
«Bitte? Und was soll das jetzt heißen?»
Ich rolle mit den Augen. «Mann, Felix, jetzt komm einfach her und sieh es dir selbst an. Ich brauche Hilfe, wirklich.»
«Und was sage ich Anja, wenn sie fragt?»
«Ich denke, die schläft!?» Meine Güte, dieser Schisshase. «Wenn sie fragt, dann sagst du ihr, bei mir gäbe es einen Chemieunfall.»
Ich kann förmlich sehen, wie Felix die verschlafenen Augen aufreißt. «Einen Chemieunfall? Solltest du dann nicht Katastrophenalarm auslösen? Oder bei der Feuerwehr anrufen?» Er klingt jetzt nicht nur wach, sondern beinahe panisch.
Endlich eine angemessene Reaktion auf meine Misere. «Ich kann zurzeit keine fremden Leute im Haus gebrauchen. Ich bin ... nackt.» Kurze Pause, dann hake ich noch einmal nach: «Also, kommst du jetzt?»
«Du bist doch nicht betrunken, oder?»
«Noch nicht, aber es ist nicht auszuschließen, dass das heute noch geschehen wird.»
Felix ist noch nicht restlos überzeugt. «Ist es irgendwie gefährlich? Ich meine, bist du kontaminiert?» «Nein.»
«Sicher?»
«Mann, Felix!»
«Okay, okay. Bin schon unterwegs.»
Erleichtert lege ich auf. Gleich darauf betrachte ich noch einmal eingehend meinen Körper, dann lese ich zum zwölften Mal den Aufdruck der Tube Selbstbräuner, die vor mir auf dem Wannenrand steht. Das heißt, genau genommen betrachte ich nur die Buchstaben, lesen kann ich die kleingedruckten Zeilen nämlich nicht, da sie auf Türkisch verfasst sind.
Bereits seit meiner Kindheit hege ich eine Abneigung gegenüber Gebrauchsanweisungen, doch seit heute hasse ich sie regelrecht. Zwar ist es mir in mühevoller Puzzlearbeit gelungen, die türkischen Wörter in meinen Computer einzugeben und anschließend mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms in eine Art Deutsch zu verwandeln. Doch was dabei herauskam, hat nicht nur nicht geholfen, es macht mir regelrecht Angst:
Für Glossy Tan zunächst rohe Haut schriftlich von abgestorbenen Zellen reiben. Haut schält. Danach Sprühregen von Bronzeler. Verteilen Sie sich und Tube, dann entfernen. Browning zeigt nun Ergebnis von Selbsttest. Regelmäßige Wartung erforderlich. Gesamte Anwendung auf zwei oder drei Tage zu halten. Am Ende Falten und Hände waschen.
Also, wenn das kein Notfall ist, dann weiß ich es auch nicht. Verteilen Sie sich und Tube? Warum? Und woran soll ich meine rohe Haut reiben? Und wie soll das schriftlich gehen?
Argh, wer hätte überhaupt gedacht, dass es einer Gebrauchsanweisung bedarf, um seinem Körper eine leichte, gesunde Sommerbräune zu verleihen? Ich meine, Rasenmäher, Handy, Auto - all das funktioniert doch auch, ohne stundenlanges Studieren des Kleingedruckten. Warum sollte ausgerechnet Kosmetik so kompliziert sein?
Und alles nur wegen dieser bescheuerten Reise. Und natürlich wegen Filiz, meiner türkischen Nachbarin.
Als sie mir heute Morgen die Tube mit den Worten «Du musst das Zeug einfach überall dort auftragen, wo du braun werden möchtest» überreichte, konnte ich ja nicht wissen, dass ich mich bei unsachgemäßer Anwendung bereits am Abend in einen gefleckten Grottenolm verwandele. Aus Filiz' Mund klang auch alles irgendwie ganz einfach. «Es ist ein Kinderspiel», behauptete sie sogar und lächelte dabei so nett und wunderbar, dass mir, wie immer, wenn ich mit ihr spreche, fast schwarz vor Augen wurde.
Filiz ist eine Göttin, und ich liebe sie. Sie hat goldbraunes Haar, Augen wie mit dunkler Schokolade überzogen und eine Haut, die man andauernd anfassen möchte, was ich jedoch tunlichst lasse, da uns eine nachbarschaftliche Freundschaft verbindet, auf die sich ein solches Gegrabsche sicher störend, wenn nicht gar verheerend auswirken würde. Für ein Geständnis meiner Gefühle fehlte mir bislang schlicht der Mut. Ehe in dieser Richtung nicht ein aufmunterndes Zeichen von ihr kommt, werde ich mich in die Rolle des guten Freundes fügen. Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel, sich nicht mehr in andere Frauen verlieben zu können.
«Das ist doch Schwachsinn», sagte Felix, dem ich als Einzigem von meiner Misere erzählt habe. «Du kannst nicht ewig auf ein Zeichen von dieser Frau warten. Die hat todsicher einen Freund. Such dir eine Tussi, die erreichbar ist.» Und in Hinblick auf unsere bevorstehende Reise fügte er letzte Woche hinzu: «Solche Trips sind ideal zum Flirten. Du wirst schon sehen: In null Komma nix hast du dich in eine andere verguckt. Auf Gran Canaria kann man quasi gar nicht allein ins Bett gehen.»
Das bezweifele ich nach wie vor. Zum einen hat er Filiz noch nie gesehen und weiß somit nicht, wie wunderbar sie ist. Zum anderen ist die Auswahl derer, in die ich mich auf unserer Reise vergucken könnte, überschaubar. Denn die meisten haben eines gemeinsam: Sie sind meine Arbeitskolleginnen. Mein Kumpel Felix und ich arbeiten in einer Werbeagentur, die im letzten Jahr außergewöhnlich gut gewirtschaftet hat und deren Chef ein netter Mann ist. Nun möchte er sich bei seinen Angestellten für diesen Erfolg bedanken und lädt alle Mitarbeiter - statt einer Weihnachtsfeier - zu einem Kurztrip nach Gran Canaria ein. Von Donnerstag bis Sonntag. Mit allem, was dazugehört: Wellness, surfen, schlemmen. Partner sind willkommen, müssen aber einen Unkostenbeitrag von 500 € leisten. Ein bisschen Sparsamkeit ist auch unter Werbern angebracht.
«Weißt du», sagte Felix, als die Reiseplanung begann, «auf der Fahrt machen wir ordentlich einen drauf. Ich lasse Anja zu Hause, und wir feiern richtig ab. Wie früher! Ich meine, hey, Gran Canaria - 25 Grad und Sonne - , da werden wir schon eine Braut finden, die dich wieder in die Spur bringt.»
Mir war zwar nicht ganz klar, warum Felix glaubte, ich wäre neben der Spur, aber ich vermutete insgeheim, dass er eher von sich sprach und während der vier Tage ohne Anja mal einen Spurwechsel ins Auge fasste. Andererseits habe ich ja nichts zu verlieren. Im Grunde genommen ist es vielleicht wirklich eine Gelegenheit, mir ein Abenteuer zu suchen und auf diesem Weg mein Herz von Filiz zu lösen.
«Mit Malia könnte ich ja vielleicht mal einen Cocktail trinken», schlug ich Felix nach reiflicher Überlegung vor, und mein Kumpel atmete einmal tief und geräuschvoll aus.
«Einen Cocktail trinken? Du liebe Güte, Steff ! Wir fahren doch keine vier Wochen weg. Du musst schon ein bisschen temporeicher vorgehen. Allerdings finde ich nicht, dass Malia zu dir passt.»
«Ach, und warum nicht? Ich glaube nämlich, sie mag mich.»
Statt einer Antwort schnaufte mein Kumpel noch einmal abfällig und schwieg beharrlich.
Keine Ahnung, wo sein Problem liegt. Malia ist nett. Und hübsch. Sie hat die Hautfarbe eines afrikanischen Hürdenläufers und einen ähnlich durchtrainierten Körper. Ob das allerdings ausreichen würde, um mich von Filiz abzulenken, wage ich zu bezweifeln. Aber einen Versuch wäre es sicher wert. Schließlich kann mein Liebesleben nicht ewig brachliegen.
Das einzige Problem bei der Sache ist: Ich bin körperlich nicht so richtig gut in Schuss. Also, nicht dass ich dick wäre oder so, das ist es nicht. Nur bin ich eben auch nicht gerade ein Herkules. Seit einer Woche absolviere ich deshalb morgens ein strammes Hanteltraining, doch von sichtbaren Erfolgen bin ich weit entfernt. Was man hingegen sehr wohl sieht, ist, dass meine Hautfarbe - auch wohlwollend betrachtet - einem satten Signalweiß entspricht. Für Baumarktgänger: RAL 9003.
Malia und ich nackt nebeneinander - wir sähen aus wie das Kinderschokolade- Pärchen. Wie Milch und Schokolade. Wie gesund und krank. Wie Seal und Heidi Klum. Und wo das hingeführt hat, weiß man ja.
Beim Anblick meines entblößten Körpers würde Malia mit Sicherheit davon ausgehen, ich sei radioaktiv verseucht, meine Blutkörperchen wären abgestorben und eine gemeinsame Nacht mit mir sei ihr sicheres Todesurteil.
Und auch wenn ich frauentechnisch bislang nicht gerade auf der Überholspur unterwegs war, weiß ich sehr wohl, dass sie nur einen von beiden Zuständen verzeihen: keine Muskeln oder keine Farbe. Auf keinen Fall beides.
Leider kam mir diese schmerzliche Erkenntnis erst sehr spät. Genau genommen kam sie mir erst vor einer Woche, und ganz genau genommen kam sie auch nicht mir, sondern Filiz. Als ich ihr nämlich letzte Woche nur in ein Handtuch gewickelt die Tür öffnete und sie mit teilnahmsvollem Blick auf meinen entblößten Oberkörper starrte, sagte sie, dass man sich mit Leukämie auf keinen Fall aufgeben dürfe!
Nach Klärung des Missverständnisses erzählte ich ihr von meinem Wunsch nach einer gesunden Sommerbräune. Natürlich, ohne Malia zu erwähnen, ich bin ja nicht blöd. Stattdessen faselte ich etwas von einem Fotoshooting auf Gran Canaria, was ja nicht komplett gelogen war.
Filiz begriff sofort den Ernst der Lage und schlug vor: «Geh am besten auf die Sonnenbank. Dreimal reicht, dann siehst du aus wie mein Bruder.» Meinen Einwand, dass man davon Hautkrebs bekäme, wischte sie mit lapidarer Geste fort. «Doch nicht von dreimal.»
Von dreimal wurde ich allerdings auch nicht braun. Ich schaffte es lediglich, mich von RAL 9003 auf RAL 9010 hochzuarbeiten, was der Volksmund leider immer noch Reinweiß nennt.
Heute Morgen, als Filiz bei mir Kleingeld für eine Busfahrkarte wechseln wollte, wanderte ihr Blick zwischen meinem verzweifelten Gesicht und meinen käsigen Beinen hin und her, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand in ihre Wohnung. Sekunden später drückte sie mir jene Cremetube in die Hand, wegen der ich jetzt halbnackt auf die Hilfe meines Kumpels warte. Dabei hatte ich extra gefragt, ob auf etwas zu achten sei. Doch Filiz schüttelte mit dem Kopf. «Nein. Steht aber notfalls alles auf der Tube.»
Die bronzefarbene Creme, die mir kurze Zeit später im Bad nach leichtem Drücken entgegenkroch, sah auch eigentlich sehr vielversprechend aus. Ich machte einen Test auf meinem Handrücken und stellte fest, dass das Ergebnis eine leichte, fluffige Sommerbräune simulierte. Da ich aber gern eine kräftige männliche Urlaubsbräune vorweisen wollte, schmierte ich mich - getreu dem Motto: Viel hilft viel - noch mal von oben bis unten damit ein und ging zur Arbeit.
Seit 15 Uhr weiß ich: Das war ein Fehler. Die leichte, fluffige Sommerbräune ist einem krassen, fleckigen Amber-Rot gewichen, das mich aussehen lässt wie einen Indianer mit Schuppenflechte. Ein amtliches RAL 602180297048, würde ich sagen, falls es das gäbe. Eine Mischung aus Masernrot, Perlkupfer und Blutorange.
Um 16 Uhr ging ich unter Vorspiegelung einer Allergie eher von der Arbeit nach Hause, und seit 17 Uhr spiele ich mit dem Gedanken, in Wasserstoffperoxid zu baden. Eines jedenfalls ist sicher: Hätte ich mit meiner käsefarbenen Haut bei Malia noch den Hauch einer Chance gehabt - mit dieser gesprenkelten Tönung würde sie mich schlichtweg zum Teufel jagen.
Seit 18 Uhr weiß ich: Waschen Sie sich und Tube hilft nicht, weshalb ich um Punkt 19 Uhr all meinen Mut zusammennahm und bei Filiz anrief, die aber weder zu Hause war noch an ihr Handy ging. Vermutlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mir versehentlich die Tube mit der Möbelpolitur gegeben hat. Oder aber sie hat sich ihren Bruder noch einmal genau angesehen, und ihr ist klar geworden, dass ich - falls ich nach der Anwendung tatsächlich so aussehen sollte - einen Grund hätte, sie zu verklagen.
Ein bisschen bin ich allerdings auch froh, dass Filiz mich in diesem Zustand nicht sieht. Immerhin ist sie eine Göttin. Und ich bin ein Honk. Ein tiefroter Honk.
Endlich klingelt es. Felix! Erleichtert reiße ich die Tür auf, ziehe ihn schnell ins Dunkle und lasse hinter uns die Tür ins Schloss fallen.
Fassungslosigkeit spiegelt sich auf dem Gesicht meines Kumpels wider, als er meinen entstellten Körper sieht. Einen Moment scheint es, als suche er nach den geeigneten Worten. Natürlich will er mich nicht verletzen, er ist ein wahrer Freund.
«Spinnst du jetzt total?», nölt er plötzlich los. «DESWEGEN sollte ich mitten in der Nacht herkommen?»
Empört deute ich auf meinen gefleckten Bauch. «Wie würdest du das denn bezeichnen, wenn nicht als Notfall?» War ja klar, dass Felix in Sachen Katastrophenbehebung nicht der richtige Mann ist. Erwähnte ich, dass er in der Werbeagentur als Buchhalter arbeitet? Die können vielleicht Excel-Tabellen verwursteln, aber wortgewandtes Auftreten in Notfällen ist nicht ihre Stärke.
Ich bäume mich auf. «Wie soll ich mich denn bitte in diesem Zustand an den Pool legen? Geschweige denn, zurück in die Spur finden, wie du es nennst? Mal abgesehen vom Flirten. Ehrlich, Felix: Wer will sich schon von einem verbrannten Grottenolm ansprechen lassen? » Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich offenbar doch stark auf die Reise gefreut habe.
Felix winkt ab. Nachdem er mich stumm zweimal umrundet und wie einen verkäuflichen Zuchtbullen begutachtet hat, fragt er: «Warum bist du so ... gefleckt?»
Es gelingt ihm nicht, den Ekel auf seinem Gesicht zu verbergen. Ich überlege ernsthaft, ihn wieder nach Hause zu schicken. «Das ist Selbstbräuner», sage ich bemüht selbstbewusst. «Und du musst mir helfen, die Verfärbung wieder loszuwerden.» Zur Erklärung halte ich ihm die Tube vor die Nase, die mein Kumpel nun fachmännisch unter die Lupe nimmt.
«Ist das Zeug vielleicht abgelaufen?», will er wissen und bringt damit den ersten vernünftigen Satz seit seinem Eintreffen hervor, auch wenn der uns nicht wirklich weiterhilft.
«Keine Ahnung. Ist doch aber auch egal, oder? Fakt ist: Ich sehe aus wie ein Eichhörnchen mit Pigmentstörungen. Also, lass dir bitte etwas einfallen.»
Mein Kumpel nickt, als seien Verfärbungen auf menschlicher Haut sein Spezialgebiet. Mit fester Stimme fordert er dann: «Gib mir mal die Gebrauchsanweisung.»
Stumm überreiche ich ihm den DIN-A4-Ausdruck mit der Übersetzung. Eine Weile liest Felix schweigend, wobei sich die Falten auf seiner Stirn von Zeile zu Zeile vertiefen.
Als alles komplett zusammengefurcht ist, blickt er hoch und fragt: «Hast du die Creme in einem afghanischen Bordell gekauft?»
Ich verziehe das Gesicht. «Das ist Türkisch.»
Felix übergeht meinen Einwand. «Was meinen die denn mit regelmäßige Wartung erforderlich? Hast du das gemacht?»
«Wie denn, bitte?», brause ich auf. «Ich hab doch keine Ahnung, was das bedeuten soll.»
«Waschen Sie sich und Tube», liest Felix vor und kann sich ein Kichern nicht verkneifen. «Sprühregen Bronzeler.» Jetzt gluckst er wie ein altes Auto. «Ist das krass!»
Mir reicht es. «Kannst du bitte mal wieder ernst werden? So kommen wir hier nicht weiter.»
Felix beißt sich auf die Lippen und sagt - nachdem er mich noch einmal fachmännisch begutachtet hat - halbherzig: «Also soooo schlimm ist es nun auch wieder nicht.»
BITTE??? Ich möchte wirklich mal wissen, wo bei ihm schlimm anfängt. Offenbar noch nicht bei den Grottenolmen. «Das ist nicht dein Ernst!»
«Na, du sagst doch immer, dass es auf Äußerlichkeiten nicht so ankommt.»
DAS habe ich gesagt? Donnerwetter.
«Nun», setze ich an, meine altruistischen Worte wieder in realitätsnahe Bahnen zu lenken, «das mag vielleicht zutreffen, wenn jemand einen Leberfleck im Gesicht hat, ihm ein Zeh fehlt oder ...» Ich denke an Filiz. «... eine schiefe Nase hat. Aber dass geschlechtsreife Frauen beim Flirten über Flecken im Gesicht eines Kerls hinwegsehen, wage ich zu bezweifeln.»
«Beim Küssen schließt man doch aber die Augen. Außerdem ...» Felix macht eine Pause, und ich hoffe, danach kommt er mit einer besseren Ansage rüber. «Eine halbe Stunde im Salzwasser, und der Kram hat sich abgewaschen. Garantiert.»
Tatsächlich scheint mir das eine Überlegung wert zu sein.
Als er gerade ein weiteres Mal den Mund öffnet - vermutlich um auf den Salzgehalt des Atlantiks einzugehen - , klingelt es an der Haustür.
Erschreckt starren wir uns an.
«Hast du noch mehr Leute herbestellt?», fragt Felix und muss schon wieder losprusten. «Vielleicht damit wir deine rohe Haut gemeinsam schriftlich waschen?» Er klopft sich auf die Schenkel.
Ich könnte ihm den Hals umdrehen. Erst macht er mir diese Reise schmackhaft, und nun verhält er sich wie ein Idiot. Nach der Fahrt werde ich mich definitiv nach einem neuen Freund umsehen.
Genervt stürme ich zur Haustür und reiße sie auf. Ein Fehler. Ein Riesenfehler. Vor allem, weil ich noch immer nackt bin.
Vor mir steht Anja, Felix' Ehefrau. Bei meinem Anblick schreit sie auf.
Endlich einmal eine angemessene Reaktion auf mein Elend, denke ich, doch ehe ich zu einer Erklärung ansetzen kann, drängt Anja sich an mir vorbei in die Wohnung.
«Ist Felix hier?», ruft sie alarmiert, und ich weiß, dass weder «ja» noch «nein» eine befriedigende Antwort für sie wären. In beiden Fällen müsste Anja sich nämlich wundern, was genau ihr Mann gerade treibt.
«Schnuckel!», höre ich meinen Kumpel überrascht ausrufen, als Anja bei ihrer Razzia durch meine Zwei-Zimmer-Wohnung das Bad erreicht. «Was machst du denn hier?»
«Dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen.» Die Verwirrung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. «Du im Bad und Stefan nackt an der Tür - was hat das zu bedeuten?»
Genau, wie ich befürchtet hatte: Es wird schwierig.
«Also, ich wohne hier», sage ich in einem Tonfall, der keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass ich in meiner Wohnung ja wohl machen kann, was und mit wem ich will.
«Schon klar», entgegnet Anja, ohne mich eines Blickes zu würdigen. «Ich meinte auch eigentlich: Warum ist mein Mann in deinem Badezimmer, wenn du nackt bist, wo er mir doch einen Zettel hinterlassen hat, auf dem stand, er würde zu seiner Großmutter fahren, weil sie Herzrhythmusstörungen hat?»
Nun ja. DAS weiß ich allerdings auch nicht.
Andererseits ist eine herzkranke Großmutter ja auch nicht so verdammt abwegig, oder? Es sei denn ...
«Ich dachte, du hast gar keine Großeltern mehr?», frage ich Felix erstaunt.
Er rollt mit den Augen. «Mann, Stefan. Mir ist auf die Schnelle nun mal nichts Besseres eingefallen.»
Ich sag es ja: Buchhalter. Unkreativ bis in die Geheimratsecken.
«Ist doch jetzt auch egal», wiegelt mein Kumpel ab und kommt stattdessen zum Wesentlichen. «Schnuckel, der Steff hat Selbstbräuner benutzt. Was dabei rausgekommen ist, sieht man ja. Hättest du mir DAS geglaubt?» Er deutet erst mit dem Kopf auf mich und tippt sich dann an die Stirn.
«Keine Ahnung», antwortet sie ehrlich, «aber dass ich dir dann nicht hinterhergefahren wäre, das weiß ich. So musste ich ja annehmen, du hast ein Geheimnis.»
Ich denke, dass sie damit auch gar nicht sooo falsch liegt, schweige aber lieber. Stattdessen nutze ich den Moment, um mir schnell eine Unterhose überzustreifen. Plötzlich wünsche ich mir nur noch, allein zu sein. Vielleicht um der Sache mit dem Salzwasser eine Chance zu geben. Eine bessere Alternative werden wir auch zu dritt kaum finden.
Anja unterbricht meine Gedanken. «Du willst mit der verfärbten Haut ja wohl hoffentlich nicht morgen im Meer baden, oder?» Es klingt beinahe so, als würde sie sich mit Selbstbräunern auskennen. «Davon würde ich dir jedenfalls dringend abraten.» Sie hebt warnend eine Augenbraue. «Es sei denn, du möchtest hinterher einen Grünstich haben.»
Du liebe Güte, nimmt das denn nie ein Ende? Fassungslos starre ich die frisch gekürte Bräunungsexpertin an. «Du meinst, ich kann damit nicht ins Wasser?» Panisch schaue ich von ihr zu Felix. «Und was mache ich dann den ganzen Tag?»
Felix, der offenbar befürchtet, ich könnte ihn bei der fetten Sause auf Gran Canaria alleine lassen, schlägt halbherzig vor: «Spiel doch Beach-Ball. Oder Schach. Mit Toby zum Beispiel.»
Sehr witzig. «Du weißt ganz genau, dass Toby seine Frau mitnimmt und vermutlich keinen Finger ohne sie heben wird. Und selbst wenn die nicht mitkäme, wäre er vermutlich damit beschäftigt, Malia anzubaggern.»
Der Satz ist noch nicht vollständig im Badezimmer verklungen, da weiß ich, dass ich Scheiße gebaut habe. Felix und Anja starren mich gleichermaßen entgeistert an.
Anja findet als Erste ihre Sprache wieder. «Aha», sagt sie beinahe tonlos, und ich möchte jetzt nicht in Felix' Haut stecken, «heißt das, Ehefrauen dürfen also doch mitfahren?»
Schweigen.
«Dann bedeutet das wohl auch, dass du mich nicht dabeihaben wolltest, wie?», schlussfolgert sie weiter.
Die nun folgende Stille im Badezimmer ist fast schon unheimlich. Aber Anja ist noch nicht fertig: «Und diese Malia - ist das nicht die neue hübsche Arbeitskollegin, auf die alle scharf sind? Alle außer dir, natürlich?» Sie pikst ihrem Mann fragend den Zeigefinger in die Brust. «Komisch. Warum nur gehst du dann seit einem Monat jeden Morgen um sechs joggen?»
Na, sieh mal einer an. DAS hat Felix mir nicht erzählt. Jetzt verstehe ich aber, warum er fand, dass Malia nicht zu mir passt. Der alte Schwerenöter! Vermutlich kommt ihm meine Verfärbung sogar ganz gelegen, die erhöht natürlich seine Chancen.
Ich fasse es nicht. «Weißt du, was?», sage ich und will gerade ebenfalls meinen Zeigefinger in Felix' Brust rammen, da klingelt es erneut an der Haustür.
Anja sieht mich fragend an. «Vielleicht ist das ja Malia», unkt sie und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Dann wendet sie sich an Felix und faucht: «Oder möglicherweise kommt jetzt doch deine Großmutter?»
«Äh ... Ich schau mal schnell nach», sage ich, froh, der angespannten Stimmung entfliehen zu können. Vielleicht hätte ich mich bezüglich der fluffigen Sommerbräune doch besser von Sylvie van der Vaart als von Filiz beraten lassen sollen. Die hat doch jetzt wieder mehr Zeit. Da ich erstens inzwischen eine Unterhose anhabe und mir zweitens sicher bin, dass weder Malia noch Felix' Großmutter vor meiner Haustür stehen, und man drittens seit Anfang des Jahres auch keine Angst mehr vor einem Spontanbesuch der GEZ haben muss, reiße ich forsch die Tür auf.
Vor mir steht Filiz! Sie hat meine Nachricht abgehört und kommt, um mich zu retten! Mein Herz hat vor Freude einen Aussetzer.
Filiz hingegen sieht nicht ganz so glücklich aus. Mit aufgerissenen Schokoladenaugen starrt sie auf meine gepunktete Brust. «Du liebe Güte, Steff! War das etwa der Selbstbräuner?»
Ich nicke stumm.
Filiz hält sich die Hand vor den Mund. «Hast du vorher denn kein Peeling gemacht?»
«Kein was?»
Filiz kräuselt das schiefe Näschen. «Ein Peeling. Um abgestorbene Hautschüppchen zu entfernen. Danach trägt man eine Bodylotion auf und erst dann die Bräunungscreme.»
Ach. Na, herzlichen Dank für die Info. Wäre super gewesen, wenn sie das heute Morgen schon erwähnt hätte.
Doch ich kann ihr nicht böse sein. Sie sieht mich so süß und schuldbewusst an, dass ich am liebsten sie trösten würde und nicht umgekehrt.
«Was ist jetzt mit deiner Reise?», will sie teilnahmsvoll wissen. «Ich meine, das ... Fotoshooting ...» Sie gerät ins Stocken.
«Ich werde hierbleiben.» Filiz' Anblick hat gereicht, um mir eines klarzumachen: Nie könnte ich etwas mit einer anderen Frau anfangen. Niemals.
«Geht das denn so einfach?»
Ich nicke. «Kein Problem. Das muss dann ... äh ... ein Kollege übernehmen. »
Filiz' Blick wird immer reumütiger. «Echt? Ja, dann ...» Sie sieht mich verlegen an und beißt sich auf die Lippen. «... dann hättest du also morgen Abend Zeit?»
«Ich?» Sicherheitshalber tippe ich mir an die eigene Brust.
«Ja. Du.» Filiz verkneift sich ein Lachen. «Dann würde ich dich als Entschädigung zu mir zum Essen einladen. Also ... falls du magst. Ich würde uns etwas kochen und anschließend ...»
Ich erfahre nicht mehr, was Filiz anschließend mit mir vorhat, und das ist vielleicht auch gut so, denn meine Knie sind bereits derart weich, dass ich kurz vor einer Ohnmacht stehe. Aber in meinem Bad wird es gerade laut. Sehr laut. So laut, dass Filiz den Satz nicht beendet, sondern mich fragend ansieht.
Tatsächlich hört es sich an, als würde jemand mit Shampooflaschen um sich werfen. Ich lasse Filiz in der Tür stehen, strecke die Puddingknie durch und hechte ins Badezimmer. Gerade noch rechtzeitig, um Anja daran zu hindern, mit meinem Nasenhaarschneider auf ihren Mann loszugehen.
«Stopp!», brülle ich. «Schluss mit dem Quatsch!»
Anja sieht mich an, als sei das ein zutiefst abwegiger Vorschlag. Allerdings lässt sie die Hand mit dem Elektrogerät sinken, als sie Filiz im Türrahmen erblickt.
«Ist das Malia?», will sie von Felix wissen, der daraufhin heftig mit dem Kopf schüttelt.
«Nein, die Frau kenne ich nicht», jammert er. «Ehrlich. Ich schwöre!»
Als würde ihm das helfen! Idiot. Möglicherweise ist es an der Zeit, ihm mal einen kleinen Denkzettel zu verpassen.
Kurzerhand baue ich mich vor Anja auf und erkläre: «Das ist meine Nachbarin Filiz. Sie ist hier, weil sie dir etwas geben möchte.» Ich renne in mein Schlafzimmer, wühle in meiner gepackten Reisetasche und bin Sekunden später mit einem Ausdruck zurück im Badezimmer. «Genau genommen ist Filiz eigentlich hier, damit ICH dir etwas gebe.» Ich überreiche Anja den Zettel. «Mein Flugticket. Sicher kann man das spontan morgen früh am Flughafen umbuchen. Dann kannst du dir mit deinem Mann ein paar schöne Tage auf Gran Canaria machen. Die 500 € kann Felix sicher nachreichen. Ich bleibe lieber hier und pflege meine Haut. Außerdem habe ich etwas Besseres vor ...»
Kurz zwinkere ich meinem Kumpel zu und genieße seinen wütenden Blick. Dann erkläre ich: «Morgen Abend bin ich nämlich zum Essen eingeladen. Und anschließend ...»
Ich lächele Filiz vielsagend an.
Anne Hertz
Französisch küssen
Eigentlich war Ariane selbst schuld. Oder, genauer gesagt, ihre ausgeprägte Leidenschaft für lächerlich teure und dabei völlig unpraktische Schuhe. Zusammen mit ihrer unglaublichen Sturheit eine beinahe tödliche Kombination: Denn niemand sonst wäre wohl auf die Idee gekommen, mit mörderischen Stilettos bei einem Charity-Empfang auf einem Leuchtturm zu erscheinen. 142 Stufen auf bleistiftdünnen Zehn-Zentimeter-Absätzen - für Ariane Littermann kein Thema. Hauptsache, der Schuh passte zum Kleid. 141 Stufen ging es auch gut. Nr. 142 erwies sich allerdings als fatal. Ich hatte es ihr ja schon prophezeit. Aber da hatte eben ihre berüchtigte Sturheit eingesetzt ...
Als ich den Flur zu ihrem Krankenzimmer heruntergehe, kann ich Ariane bereits auf 30 Meter Entfernung und durch die geschlossene Tür hören. Nicht einzelne Worte, vielmehr ein Klangteppich aus ihrer melodiösen Stimme und ihrem hellem Lachen. Irgendwen becirct sie doch gerade wieder - vor meinem geistigen Auge sehe ich sie umringt von Chefarzt, Oberarzt, sämtlichen Assistenzärzten und Krankenpflegern. Jedenfalls ist es normalerweise so, dass Ariane wie ein Magnet alle Männer im Umkreis von zehn Kilometern anzuziehen scheint. Na, wenigstens ist sie offensichtlich guter Dinge, denke ich, was in Anbetracht ihrer Lage nicht selbstverständlich ist. Immerhin hatte sie sich bei ihrem Treppensturz vor zwei Tagen das linke Handgelenk und mehrere Rippen gebrochen. Ich klopfe kurz und öffne die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten.
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... weniger
Autoren-Porträt von Mia Morgowski, Tessa Hennig, Anna McPartlin, u. a.
Morgowski, MiaMia Morgowski ist gebürtige Hamburgerin. Viele Jahre hat sie als Grafik-Designerin in verschiedenen Werbeagenturen gearbeitet, bevor 2008 ihr Debütroman erschien: «Kein Sex ist auch keine Lösung» war ein Bestseller und wurde erfolgreich fürs Kino verfilmt. Es folgten zahlreiche weitere Romane, die sich alle ihrem größten Hobby widmen: dem modernen Mann und seinen Macken. Denn Mia kennt sich aus mit Männern. Einen hat sie sogar geheiratet.
McPartlin, Anna
Anna McPartlin wurde 1972 in Dublin geboren und verbrachte dort ihre frühe Kindheit. Wegen einer Krankheit in ihrer engsten Familie zog sie als Teenager nach Kerry, wo Onkel und Tante sie als Pflegekind aufnahmen. Nach der Schule studierte Anna ziemlich unwillig Marketing. Nebenbei stand sie auch als Comedienne auf der Bühne, doch ihre wahre Liebe galt dem Schreiben, das sie bald zum Beruf machte. Bei der künstlerischen Arbeit lernte sie ihren späteren Ehemann Donal kennen. Mit ihm lebt sie heute in Dublin. Bereits ihr Debüt «Weil du bei mir bist» war international ein Bestseller. Mit dem Roman «Die letzten Tage von Rabbit Hayes», in dem Anna McPartlin viel von ihrer eigenen Vergangenheit verarbeitet hat, rührte und begeisterte sie unzählige Leserinnen und Leser und landete einen Riesenerfolg.Beck, Lilli
Lilli Beck, Jahrgang 1950, wurden in Weiden/Oberpfalz geboren. Sie hat als Model, Schauspielerin und Visagistin gearbeitet und kocht für ihr Leben gern. Lilli Beck hat eine Tochter und lebt heute in München.
Mehr über die Autorin unter: www.lilli-beck.de
Bibliographische Angaben
- Autoren: Mia Morgowski , Tessa Hennig , Anna McPartlin , u. a.
- 2013, Neuausg., 288 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben von Klemenz, Carolin; Ney, Friederike; Mitarbeit: Morgowski, Mia; Hennig, Tessa; McPartlin, Anna
- Herausgegeben: Carolin Klemenz, Friederike Ney
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499235587
- ISBN-13: 9783499235580
- Erscheinungsdatum: 01.06.2013
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