Dark Secret - Mörderische Jagd / Pendergast Bd.6
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Dark Secret von Lincoln Child, Douglas Preston: Spannung pur!
Dark Secret von Douglas Preston und Lincoln Child
LESEPROBE
Dewayne Michaels saß im Hörsaal in derzweiten Reihe und starrte den Professor mit einer, wie er hoffte,interessierten Miene an. Seine Lider waren bleischwer. Sein Schädel pochte imselben Rhythmus wie sein Herz, und er hatte einen Geschmack im Mund, als wäreirgendetwas auf seiner Zunge verendet. Er war spät dran gewesen und hattefeststellen müssen, dass in dem großen Hörsaal nur noch ein einziger Platz freigewesen war: zweite Reihe Mitte, genau vor dem Rednerpult. Einfach toll.
Dewaynes Hauptfach warElektrotechnik. Er belegte die Vorlesung aus dem gleichen Grund wie alleStudenten der Ingenieurwissenschaften seit drei Jahrzehnten - man musste nichtsdafür tun. »Die englische Literatur - Eine humanistische Sichtweise« war schonimmer eine Veranstaltung gewesen, die man auch dann mit Erfolg bestand, wennman fast kein Buch aufgeschlagen hatte. Professor Mayhew, der verknöcherte alteSack, der normalerweise die Vorlesung hielt, redete monoton wie einHypnotiseur, blickte fast nie von seinem vierzig Jahre alten Vorlesungsskriptauf, und seine Stimme war das reinste Schlafmittel. Der alte Langweiler ändertenoch nicht mal seine Prüfungsfragen, undüberall in Dewaynes Studentenwohnheim lagen Kopien davon herum. Aber Pechgehabt! Denn ausgerechnet in diesem Semester hielt eine so genannte Koryphäe,ein gewisser Dr. Torrance Hamilton, die Vorlesung. Und um diesen Hamiltonwurde ein derartiger Rummel veranstaltet, als hätte sich Eric Clapton bereiterklärt, auf der Semesterabschlussfete aufzutreten. Dewayne rutschte genervtauf seinem Sitz herum. Wegen des kalten Kunststoffs war ihm schon der Hinterneingeschlafen. Er schielte nach links und rechts. Ringsherum machten sich dieanderen - hauptsächlich höhere Semester - Notizen, ließen ihre Minirecordermitlaufen, hingen geradezu an den Lippen des Professors. Es war das erste Mal,dass die Vorlesung so gut besucht war. Aber weit und breit kein Student derIngenieurwissenschaften. So ein Scheiß.
Wenigstens hatte er noch eine WocheZeit, um wieder auszusteigen. Aber er brauchte den Schein, außerdem war es jamöglich, dass man den auch bei Professor Hamilton ohne großen Aufwand kriegte.Trotzdem, die Studenten hätten sich doch nicht an einem Samstagmorgen insolchen Massen blicken lassen, wenn sie glaubten, veralbert zu werden, oder?Jedenfalls saß er nun ganz vorn in der Mitte, und da war es sicher besser, sichum einen aufgeweckten Eindruck zu bemühen.
Hamilton schritt auf dem Podium hinund her, während seine tiefe Stimme durch den Hörsaal hallte. Er sah aus wieein ergrauter Löwe, die Haare zu einer Mähne nach hinten gekämmt, und trugstatt der üblichen abgewetzten Tweedklamotten einen feinen grauen Anzug. SeinAkzent war ungewöhnlich, keiner, den man hier in New Orleans sprach, bestimmtauch kein Ostküstenakzent. Es schien allerdings auch kein britischer zu sein.Hamiltons Assistent saß in einem Stuhl hinter ihm und schrieb fleißig mit. »Unddeshalb«, sagte Professor Hamilton gerade, »behandeln wir heute Eliots Gedicht Daswüste Land, in dem sich das 20. Jahrhundert in seiner ganzen Entfremdungund Hohlheit spiegelt. Es gehört zu den bedeutendsten Gedichten, die jegeschrieben wurden.«
Das wüste Land. Ach ja, jetzt fi el es ihm wiederein. Was für ein Titel! Natürlich hatte er das Gedicht nicht gelesen. Warum auch?War ja schließlich kein Roman: Ein Gedicht konnte man auch schnell während derVorlesung überfliegen. Er nahm den Gedichtband von T. S. Eliot in die Hand, dener sich von einem Freund geliehen hatte - wieso Geld für ein Buch verplempern,das man sowieso nie wieder angucken würde? -, und schlug ihn auf. Neben demTitelblatt war ein Foto des Autors abgebildet. Der Typ sah aus wie ein echtesWeichei: Hornbrille und eine verdruckste Miene, als hätte er einen Besenstielverschluckt. Dewayne schnaubte verächtlich und blätterte weiter. Wüstes Land.Wüstes Land ah, da wars! Scheiße. Das sollte ein Gedicht sein? Dasging ja Seite um Seite!
»Die Anfangsverse sind inzwischen sobekannt, dass wir uns kaum noch vorstellen können, welche Sensation - welchen Schock- sie auslösten, als das Gedicht 1922 in The Dial erschien. So etwashielt man damals nicht für Dichtung, sondern für eine Art von Antidichtung. DiePersona des Dichters war ausgelöscht. Zu wem gehören also diese düsteren,beunruhigenden Gedanken? Im ersten Vers fi ndet sich natürlich die berühmtesarkastische Anspielung auf Chaucer. Aber es steckt noch viel mehr darin.Denken Sie mal über die Metaphern am Anfang nach: Flieder aus toter Erde,dumpfe Wurzeln, Schnee des Vergessens. Liebe Freunde, bis zu diesemZeitpunkt hatte kein Dichter in der Geschichte der Weltliteratur je auf dieseWeise über den Frühling geschrieben.« Als Dewayne bis zum Schluss des Gedichtsvorgeblättert hatte, stellte er fest, dass es mehr als vierhundert Verseumfasste. O nein. Nein
»Faszinierend ist, dass Eliot imzweiten Vers von Flieder spricht und nicht von Mohn, obwohl Letzteres naheliegender gewesen wäre. Mohn wuchs damals in Europa in einem Maße, wie man esseit Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte; denn nach dem Ersten Weltkriegdüngten zahllose verwesende Leichen die Erde. Wichtiger aber ist, dass der Mohn - mit seinen Anklängen annarkotischen Schlaf - besser in Eliots Bildsprache gepasst hätte. Warum alsohat der Autor den Flieder gewählt? Betrachten wir kurz, auf welche Weise ersich auf die literarischen Vorläufer bezieht, hier vor allem Whitmans AlsFlieder jüngst mir im Garten blühte.«
O mein Gott, das hier war der reineAlbtraum: Da saß man ganz vorn im Hörsaal und begriff kein Wort von dem, wasder Professor redete. Aber wer hätte denn gedacht, dass man ein vierhundert Zeilen langes Gedichtüber ein verdammtes »wüstes Land« schreiben konnte? Apropos wüst, gestern Abend, das war ein ziemlichwüstes Gelage gewesen. Aber geschah ihm ganz recht, er hätte ja nicht bis vierUhr morgens abhängen und sich einen Grey Goose nach dem anderen reinkippenmüssen; dann hätte er jetzt auch keinen dicken Kopf.
Plötzlich war es ringsum still; dieStimme hinter dem Pult war verstummt. Dewayne blickte auf: Dr. Hamilton stand reglosda, mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. So elegant der alte Knabe auchgekleidet war, jetzt sah er eher so aus, als hätte er sich in die Hose gemacht.Seine Gesichtszüge waren mit einem Mal merkwürdig schlaff. Unter DewaynesBlicken zog er langsam ein Taschentuch hervor und betupfte sich sorgfältig dieStirn, dann faltete er es fein säuberlich zusammen, steckte es zurück in dieBrusttasche und räusperte sich.
»Verzeihen Sie.« Er griff nach demGlas Wasser, das auf dem Pult stand, und trank einen kleinen Schluck. »Wiegesagt, betrachten wir einmal das Metrum, das Eliot im ersten Abschnittverwendet. Sein freies Versmaß weist ein aggressives Enjambement auf: dieeinzigen Zäsuren gibt es in den Versen, in denen ein Satz endet. Achten Sieauch auf die starke Betonung der ersten Silbe der Verben: brüten, mischen,sich regen. Das hört sich wie das unheilvolle, vereinzelte Schlageneiner Trommel an; es ist hässlich, eszerstört die Bedeutung des Satzes und erzeugt ein Gefühl der Beunruhigung. Undes bereitet uns darauf vor, dass etwas in diesem Gedicht geschehen wird, undzwar etwas Unschönes.«
Die Neugier, die durch dieunerwartete Pause in Dewayne geweckt worden war, legte sich wieder. Diesonderbare Leidensmiene des Professors war so schnell verschwunden, wie siegekommen war, und auch sein Gesicht war zwar immer noch blass, aber nicht mehrso aschfahl. Die Neugier, die durch die unerwartete Pause in Dewayne gewecktworden war, legte sich wieder. Die sonderbare Leidensmiene des Professors warso schnell verschwunden, wie sie gekommen war, und auch sein Gesicht war zwarimmer noch blass, aber nicht mehr so aschfahl.
Dewayne widmete sich wieder seinerLektüre. Um herauszufinden, was es bedeutete, konnte er das Gedicht ja malrasch überfliegen. Er las den Titel, dann wanderte sein Blick nach unten, zumEpigramm oder Epigraph oder wie immer man das nannte. Er stutzte. Was war dasdenn? Nam Sibyllam quidem Also Englisch war das jedenfallsnicht. Und dort, mittendrin, waren irgendwelche unentzifferbaren Schnörkel, dienicht mal Teil des normalen Alphabets waren. Er blickte auf die Anmerkungenunten auf der Seite und las, dass der erste Teil Lateinisch und der zweite TeilGriechisch war. Darunter stand die Widmung: Für Ezra Pound, il migliorfabbro. In den Anmerkungen hieß es, der letzte Teil sei Italienisch.Lateinisch, Griechisch, Italienisch. Und dabei hatte das dämliche Gedicht nochnicht einmal angefangen. Und was kam als Nächstes, Hieroglyphisch? Es warwirklich ein Albtraum.
Dewayne überflog die erste, dann diezweite Seite. Ein einziges Gefasel. »Ich zeige dir die Angst in einer Hand vollStaub.« Was sollte das denn heißen? Sein Blick fiel auf die nächste Zeile. Frischweht der Wind - schon wieder kein Englisch! Dewayne klappte das Buch zu. Erhielt das einfach nicht mehr aus. Schon in den ersten dreißig Zeilen hatte derTyp fünf verschiedene Sprachen verwendet, zum Kotzen. Gleich morgen früh würdeer sich im Geschäftszimmer melden und aus dieser beknackten Vorlesungaussteigen.
Mit dröhnendem Kopf lehnte er sichzurück. Jetzt, da er sich entschieden hatte, stellte sich nur noch die Frage,wie er die nächsten vierzig Minuten durchstehen sollte, ohne die Wandhochzugehen. Wäre doch bloß hinten noch etwas frei gewesen, dann hätte er sichunauffällig rausschleichen können Oben auf dem Podium redete der Professorweiter. »Beginnen wir also nach dieser kurzen Einführung mit der Untersuchungder « Plötzlich hielt Hamilton abermals inne. »Entschuldigen Sie.« SeineGesichtszüge erschlafften erneut. Er wirkte - ja, wie? Durcheinander? Benebelt?Nein: Er sah verängstigt aus. Dewayne richtete sich in seinem Sitz auf, das interessierte ihn.
Professor Hamilton griff nach seinemTaschentuch und fummelte es aus der Brusttasche, ließ es dann aber fallen, alser es an die Stirn halten wollte. Er blickte sich ziellos um und wedelte mitder Hand durch die Luft, als wollte er eine Fliege abwehren. Schließlich fanddie zittrige Hand sein Gesicht und er betastete es wie ein Blinder. Hamiltonberührte seine Lippen, dann die Augen, die Nase, das Haar, schließlich fuchtelte er wieder mit der Hand herum. ImHörsaal war es still geworden. Der Assistent hinter Professor Hamilton legtemit besorgter Miene den Kugelschreiber hin. Was war los?, überlegteWayne. Hatte der Professor einen Herzinfarkt?
Hamilton trat einen kleinen,unsicheren Schritt vor und taumelte gegen das Podium. Und nun flog auch dieandere Hand zum Gesicht, befingerte es überall, nur fester jetzt, sie drückteund dehnte die Haut, zog die Unterlippe nach unten, dann verabreichte sich derProfessor selbst ein paar leichte Schläge. Plötzlich hielt er inne, ließ denBlick durch den Saal schweifen und fragte: »Stimmt irgendetwas mit meinemGesicht nicht?« Totenstille.
Langsam, sehr langsam entspanntesich Dr. Hamilton. Er holte mühsam Luft, dann noch einmal, und nach und nachnormalisierten sich seine Gesichtszüge wieder. Er räusperte sich. »Wie ichsoeben sagte « Aber die Finger der einen Hand fingen wieder an zu zappeln, siezuckten und zitterten. Die Hand kehrte zum Gesicht zurück, die Finger zupftenund rupften an der Haut. Das war einfachzu irre.
»Ich «, begann Hamilton, aber dieHand störte ihn beim Sprechen. Sein Mund öffnete und schloss sich, aber erbrachte nur ein pfeifendes Geräusch heraus. Dann machte er wieder einenschlurfenden Schritt, wie ein Roboter, und stieß noch einmal gegen das Podium.»Was sind das für Dinger?« Hamiltons Stimme brach. O Gott, jetzt zerrte erauch noch so stark an seiner Gesichtshaut, dass sich die Augenlider groteskverzogen, und wühlte mit beiden Händen im Gesicht herum. Und dann hörte man daslange, gleichmäßige Kratzen eines Fingernagels, und auf Hamiltons Wangeerschien ein blutiger Strich. Eine Artbefangenes Kichern breitete sich im Hörsaal aus. »Ist Ihnen nicht gut, Herr Professor?«,fragte der Assistent.
»Ich habe eine Frage gestellt«,stieß Hamilton widerwillig knurrend hervor, und dabei hatte seine Stimme einengedämpften, verzerrten Klang, weil er mit den Händen weiter an seinem Gesichtherumzerrte. Noch ein torkelnder Schritt, dann ein plötzlicher Aufschrei: »MeinGesicht! Warum sagt mir niemand, was mit meinem Gesicht los ist?« Immernoch Totenstille im Publikum. Hamilton grub die Fingernägel in seine Wangen,dann schlug er mit der Faust so heftig auf seine Nase ein, dass ein leisesKnacken zu hören war.
»Holt die Biester von mir runter!Die zerfressen mir das Gesicht!« Scheiße! Jetzt schoss Hamilton Blut ausder Nase und spritzte auf das weiße Hemd und den grauen Anzug. Die Fingerrissen wie Klauen an seiner Haut; und jetzt krümmte sich einer von ihnen zueinem Haken und bohrte sich - Dewayne sah es mit ungeheurem Entsetzen - immertiefer in eine der Augenhöhlen.
© Droemer Knaur
Übersetzung: Michael Benthack
- Autoren: Douglas Preston , Lincoln Child
- 2007, 5. Aufl., 608 Seiten, Maße: 12,2 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael Benthack
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426636409
- ISBN-13: 9783426636404
- Erscheinungsdatum: 02.11.2007
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