Das 8. Geständnis
Thriller
Detective Lindsay Boxer jagt eine psychopathische Schlangenmörderin, die keine Spuren hinterlässt. Dann wird ein schwarzer Obdachloser brutal ermordet. Journalistin Cindy wittert eine heiße Story, die keine ist. Und der ''Women's Murder Club'' steht vor einer harten Aufgabe.
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Produktinformationen zu „Das 8. Geständnis “
Detective Lindsay Boxer jagt eine psychopathische Schlangenmörderin, die keine Spuren hinterlässt. Dann wird ein schwarzer Obdachloser brutal ermordet. Journalistin Cindy wittert eine heiße Story, die keine ist. Und der ''Women's Murder Club'' steht vor einer harten Aufgabe.
Klappentext zu „Das 8. Geständnis “
Denn das Böse hat eine gespaltene Zunge ...Eine mysteriöse Mordserie erschüttert San Francisco, ein Obdachloser wird gnadenlos exekutiert, und die Explosion eines Drogenlabors fordert viele Opfer
Die Herausforderungen für Detective Lindsay Boxer waren nie größer: Da treibt eine psychopathische Schlangenmörderin ihr Unwesen, die es vor allem auf die Upper Class abgesehen hat und so gut wie keine Spuren hinterlässt. Selbst Pathologin Claire Washburn findet keine Hinweise. Dann wird ein schwarzer Obdachloser, der unter Seinesgleichen als Heiland galt, brutal hingerichtet, und Journalistin Cindy Thomas wittert eine große Story. Doch je mehr sie über den Toten erfährt, desto schmutziger erscheint seine Weste. Und nicht zuletzt steht der "Women s Murder Club" vor einer Zerreißprobe ganz anderer Art: Zwischen Cindy und Lindsays Partner Rich Conklin vibriert die Luft. Bringt die Liebe all das zum Einsturz, was die Freundinnen über die Jahre aufgebaut haben?
Detective Lindsay Boxer ermittelt wieder!
"Virtuos verknüpft James Patterson seine einzelnen Handlungsstränge und schürt den Spannungsbogen bis ins Unerträgliche." -- dapd
'James Patterson wird zu recht 'King of Thrill' genannt!' Das macht Spaß!'Starkstrom-Spannung.' -- TVstar (Schweiz)
'James Patterson wird zu recht 'King of Thrill' genannt!' Das macht Spaß!'Starkstrom-Spannung.' -- TVstar (Schweiz)
Lese-Probe zu „Das 8. Geständnis “
Das 8. Geständnis on James PattersonProlog
Bushaltestelle
1
An einem Morgen im Mai schob sich ein alter, chromgelber Schulbus
langsam in südlicher Richtung die Market Street entlang.
Die Seitenfenster waren ebenso wie die Heckscheibe schwarz getönt,
und ein Hip-Hop-Song bohrte sich wummernd durch den Bodennebel,
der wie ein Seidenschleier zwischen der Sonne und San Francisco
schwebte.
Got my ice
Got my smoke
Got my ride
Ain't got no hope
Hold ya heads up high
Don't know when
Ya gonna die ...
Die Ampel an der Kreuzung von Fourth und Market Street
sprang auf Gelb. Auf der Fahrerseite des Busses klappte die
Stopp-Kelle aus, die bernsteinfarbenen Warnlichter blinkten,
und das Fahrzeug kam zum Stehen.
Zur Rechten des Busses lag ein großes Einkaufszentrum:
Bloomingdale's, Nordstrom, die Schaufenster mit riesigen
Aber crombie-Plakaten beklebt, die provozierende Schwarz-Weiß-
Aufnahmen von halbnackten Teenagern zeigten.
Links neben dem Bus stand ein blauer Ford-Lieferwagen,
da neben befand sich eine von zwei Verkehrsinseln, die die
Straße unterteilten - eine Sammelstelle für Buspassagiere und
Touristen.
Zwei Wagen hinter dem Schulbus trat Louise Lindenmeyer
auf die Bremse ihres alten, grauen Volvo. Sie ließ das Seitenfenster
herunter und starrte den Bus wütend an.
Schon seit dem Buena Vista Park hing die Büroleiterin hinter
diesem Ding da fest. An der Kreuzung von Fifth und Market
Street hatte sie zugesehen, wie er sich einen kleinen Vorsprung
verschafft hatte, als ein ganzer Schwung Autos um die
Kurve gekommen und sich vor sie gesetzt hatte.
Aber jetzt zwang dieser Bus sie vor einer Ampel zum Halten
... schon wieder.
Louise hörte einen Schrei.
»He, du Arschloch!«
... mehr
Ein Mann in Hemdärmeln und mit flatternder Krawatte,
das Gesicht in zahllose Falten gelegt und mit getrocknetem
Rasierschaum unterhalb des linken Ohrs, ging an ihrem Wagen
vorbei, um dem Busfahrer so richtig die Hölle heißzumachen.
Eine Hupe ertönte, dann noch eine, und schließlich brach
eine ganze Kakofonie los.
Die Ampel sprang auf Grün.
Louise nahm den Fuß von der Bremse. Im selben Augenblick
spürte sie eine heftige Erschütterung. Mit klingelnden
Ohren sah sie zu, wie das Dach des Schulbusses mit roher
Gewalt nach oben gerissen wurde.
Brennende Metallklumpen, Stahl- und Glassplitter spritzten
in alle Himmelsrichtungen. Über dem Bus entstand eine
pilzförmige Wolke, wie bei einer kleinen Atombombe, und
das quaderförmige Fahrzeug verwandelte sich in einen Feuerball.
Öliger Rauch verdunkelte die Luft.
Louise registrierte, wie der blaue Lieferwagen auf der Spur
neben dem Bus in Flammen aufging und dann vor ihren Augen
schwarz wurde.
Da kommt niemand mehr lebend raus!
Und jetzt packte das Feuer den silbernen Toyota Camry direkt
vor ihr. Der Benzintank explodierte, Feuerzungen tänzelten
über den Wagen und verschlangen ihn schließlich in einer
hoch aufschießenden Stichflamme.
Der Mann mit den vielen Falten im Gesicht war auf den
Gehweg gestürzt und versuchte jetzt, sich aufzurappeln. Dazu
hielt er sich an dem Loch fest, wo einst ihr Beifahrerfenster
gewesen war. Sein Hemd war nicht mehr vorhanden. Seine
Haare waren schwarz gekräuselt. Seine Gesichtshaut lag wie
ein Papiertuch ausgebreitet auf seinem Schlüsselbein.
Louise zuckte zurück und machte sich an ihrem Türgriff
zu schaffen, während das Feuer auf die Motorhaube ihres Wagens
übergriff. Die Fahrertür klappte auf, und die Hitze drang
herein.
In diesem Augenblick sah sie die Haut ihres Arms am Lenkrad
kleben wie einen nach außen gekehrten Handschuh. Sie
konnte weder die entsetzten Schreie des Geschäftsmanns
noch ihre eigenen hören. Es war, als ob ihre Ohren mit Wachs
verstopft wären. Ihr Blick nahm nur tanzende Punkte und verschwommene
Schatten wahr.
Und dann wurde sie von einem schwarzen Abgrund verschlungen.
2
Mein Partner Rich Conklin saß am Steuer unseres zivilen Polizeifahrzeugs,
und ich kippte gerade
Zucker in meinen Kaffee, als ich die Erschütterung spürte.
Das Armaturenbrett zitterte. Heißer Kaffee lief mir über
die Hand. Ich rief: »Was zum Teufel ...?« Wenige Augen blicke
später krächzte es aus dem Funkgerät: »Angeblich Explosion,
Ecke Market und Fourth. Alle Einheiten in der Nähe bitte
melden.«
Ich schüttete meinen Kaffee zum Seitenfenster raus,
schnappte mir das Mikro und teilte der Zentrale mit, dass wir
nur zwei Querstraßen entfernt waren. Gleichzeitig beschleunigte
Conklin bergauf und bremste dann wieder, sodass unser
Wagen sich auf der Fourth Street quer stellte und den Verkehr
in beide Richtungen blockierte.
Wir sprangen aus dem Auto, und Conklin rief: »Lindsay,
pass auf! Kann sein, dass es noch Folgeexplosionen gibt!«
Dunkler Rauch hing in der Luft, und es roch nach verbranntem
Gummi, Plastik und menschlichem Fleisch. Ich
blieb stehen, rieb mir mit dem Ärmel die brennenden Augen
und kämpfte gegen den Brechreiz an. Dann besah ich mir das
ganze Inferno, und meine Nackenhaare stellten sich auf.
Die Market Street ist eine Hauptverkehrsader. Sie dient
um diese Zeit eigentlich dem pulsierenden Strom der Berufspendler,
aber jetzt sah es hier aus wie in Bagdad unmittelbar
nach einem Selbstmordattentat. Die Menschen rannten kreischend
im Kreis, blind vor Panik und einer dichten Wolke aus
Rauch und Nebel.
Ich rief Chief Tracchio an und meldete mich als erste Beamtin
vor Ort.
»Was ist da los, Sergeant?«
Ich sagte ihm, was ich sah: fünf Tote auf der Straße, zwei an
der Bushaltestelle. »Es gibt noch weitere Opfer, genaue Anzahl
unbekannt. Sie sitzen in ihren Autos, tot oder lebendig«, bellte
ich ins Telefon.
»Sind Sie so weit in Ordnung, Boxer?«
»Ja, Sir.«
Ich legte auf. Gleichzeitig kamen Streifenwagen, Feuerwehren
und Notarztwagen mit heulenden Sirenen herangerast
und sperrten die Market Street zwischen der Third und der
Fifth Street komplett ab. Wenige Augenblicke später war das
Kommandofahrzeug da, und die Angehörigen des Bombensuchtrupps,
von Kopf bis Fuß in graue Schutzanzüge gehüllt,
verteilten sich über das Trümmerfeld.
Eine Frau, deren Alter genauso undefinierbar war wie ihre
Hautfarbe, stolperte blutüberströmt auf mich zu. Ihre Knie
gaben nach, und ich fing sie auf. Conklin half mir, sie auf eine
Trage zu legen.
»Ich hab's gesehen«, flüsterte sie und deutete auf einen geschwärzten
Rumpf an der Kreuzung. »Dieser Schulbus da war
eine Bombe.«
»Ein Schulbus? Oh, bitte, Gott, bloß keine Kinder!«
Ich schaute mich nach allen Seiten um, aber nirgendwo waren
Kinder zu entdecken.
Waren sie womöglich alle bei lebendigem Leib verbrannt?
3
Mit dicken Schläuchen rückte die Feuerwehr den Flammen zu Leibe.
Metall zischte, und ein widerlicher Gestank lag in der Luft.
Ich sah Chuck Hanni, Brandursachenermittler
und Fachmann für Explosionen, gebückt vor
der Seitentür des Schulbusses stehen. Er hatte die Haare nach
hinten gegelt und trug eine Khakihose und ein Jeanshemd mit
aufgekrempelten Ärmeln, sodass man die alte Brandnarbe sehen
konnte, die sich von seinem rechten Daumen bis hinauf
zum Ellbogen zog.
Hanni hob den Blick und sagte: »Ein gottverdammtes Desaster,
Lindsay.«
Er führte mich durch den Schauplatz der, wie er es nannte,
»katastrophalen Explosion«, zeigte mir die beiden allem Anschein
nach erwachsenen »Schoko-Krossies«, die zusammengekrümmt
zwischen zwei Sitzbänken in der Nähe des Fahrersitzes
lagen, machte mich darauf aufmerksam, dass die Vorderreifen
des Busses immer noch prall, die hinteren jedoch platt waren.
»Die Explosion hat im Heck stattgefunden, nicht im Motor-
raum. Und das hier habe ich gefunden.«
Hanni zeigte hinter die Bustür, wo rundliche Glasscherben,
Heizungsschläuche und blaue Plastiksplitter zu einer einzigen
Masse verschmolzen waren.
»Stell dir vor, was diese Explosion für eine Wucht gehabt
haben muss«, sagte er und deutete auf ein Metallstück, das
wie ein Projektil in der Wand steckte. »Das ist ein Waagebalken
von einer Balkenwaage mit verschiebbaren Gewichten«,
sagte er, »und die blauen Plastikteile stammen vermutlich von
einer Kühlbox. Ein paar Liter Äther und einen Funken, mehr
hat es nicht gebraucht, um das alles hier anzurichten ...«
Eine Armbewegung, die das drei Straßenblocks umfassende
Zerstörungswerk einschließen sollte.
Ich hörte bellendes Husten und Stiefelsohlen auf Glasscherben.
Conklins große Gestalt schälte sich aus dem Nebel. »Das
hier solltet ihr euch anschauen, bevor die Bombensucher uns
verscheuchen.«
Hanni und ich gingen hinter Conklin über die Kreuzung zu
einer männlichen Leiche, die sich um einen Laternenpfahl gewickelt
hatte.
Conklin sagte: »Ein Zeuge hat gesehen, wie dieser Kerl da
bei der Explosion zur Windschutzscheibe des Busses rausgeflogen
ist.«
Der Tote war ein Latino mit zerschnittenem Gesicht
und rot gefärbten, blutgetränkten Locken. Sein neonblaues
T-Shirt und die Jeans hingen ihm in Fetzen vom Leib, und
sein Schädel war beim Zusammenprall mit dem Laternenpfahl
zerschmettert worden. Den Falten in seinem Gesicht
nach zu urteilen musste der Mann vierzig harte Lebensjahre
hinter sich gehabt haben. Ich zog das Portemonnaie aus
seiner Gesäßtasche und klappte das Sichtfenster mit dem
Führer schein auf.
»Er heißt Juan Gomez. Hier steht, dass er erst dreiundzwanzig
war.«
Hanni bückte sich und schob die Lippen des Toten zurück.
Anstelle der Zähne waren lediglich zwei Reihen mit verfaulten
Stümpfen zu sehen.
»Methamphetamin«, sagte Hanni. »Das war wahrscheinlich
der Drogenkoch. Lindsay, das ist ein Fall für die Rauschgiftabteilung,
vielleicht sogar für die DEA.«
Hanni wählte eine Nummer auf seinem Handy, während ich
auf Juan Gomez' Leiche starrte. Das erste sichtbare Anzei chen
für Methamphetamin-Missbrauch sind die fauligen Zähne.
Ein paar Jahre mit zu wenig Essen und zu wenig Schlaf rei-
chen aus, um einen Meth-Junkie zwanzig Jahre altern zu lassen,
während die Droge große Teile seines Gehirns zerstört.
Gomez hatte sich schon vor der Explosion aus diesem Leben
verabschiedet.
»Dann war der Bus also ein fahrendes Meth-Labor?«, fragte
Conklin.
Hanni wartete, dass bei der Rauschgiftabteilung jemand
ans Telefon ging.
»Ja«, erwiderte er. »Bis der ganze Scheiß in die Luft geflogen
ist.«
Erster Teil
Bagman Jesus
1
Cindy Thomas knöpfte ihren leichten Burberry-Trenchcoat
zu und sagte: »Guten Morgen, Pinky«, während der Türsteher
ihr die Eingangstür des Blakely Arms aufhielt. Er tippte sich
an den Mützenschirm und blickte Cindy in die Augen.
»Einen schönen Tag, Ms. Thomas. Passen Sie auf sich auf.«
Cindy konnte nicht gerade behaupten, dass sie Schwierigkeiten
konsequent aus dem Weg ging. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin
bei der San Francisco Chronicle und sagte immer: »Für mich sind
schlechte Nachrichten gute Nachrichten.«
Doch vor ungefähr anderthalb Jahren hatte ein durchgeknallter
illegaler Untermieter mit einer schweren Aggressionsstörung,
der zwei Stockwerke über ihr gewohnt hatte, sich in
diverse Wohnungen geschlichen und eine brutale Mordserie
gestartet.
Der Killer war letztendlich festgenommen, vor Gericht gestellt
und verurteilt worden und saß im Augenblick in einer
Todeszelle in St. Quentin.
Trotzdem waren die Nachwirkungen im Blakely Arms im mer
noch spürbar. Die Bewohner verriegelten ihre Wohnungs tü ren
am Abend dreifach, zuckten bei unerwarteten Geräu schen zusammen,
erlebten, was es bedeutete, das ganz normale, alltägliche
Gefühl der Sicherheit zu verlieren.
Cindy war fest entschlossen, sich von dieser Angst nicht beherrschen
zu lassen.
Sie lächelte den Türsteher an. »Ich bin wild und gefährlich,
Pinky. Die Ganoven sollten sich lieber vor mir in Acht nehmen.«
Dann schwebte sie hinaus in den Maimorgen.
Ihr Weg führte sie von der Third Street die Townsend entlang
bis zur Fifth. Das waren zwei sehr lange Straßenzüge,
und Cindy ließ dabei das alte San Francisco hinter sich und
gelangte in das neue. Sie ging an dem Schnapsladen gleich
neben ihrem Wohnhaus vorbei, passierte ein Fast-Food-Lokal
auf der anderen Straßenseite, einen neuen Hochhaus-Wohnblock
mit einem Starbucks und einer Buchhandlung im Erdgeschoss
und nutzte die Zeit, um Telefonate zu erledigen,
Termine zu machen und den vor ihr liegenden Tag zu organisieren.
In der Nähe des erst kürzlich renovierten Anfangs- und
Endbahnhofs des Caltrain, des Pendlerzuges, der bis hinunter
nach San Jose und noch weiter nach Süden fuhr, blieb sie
stehen. Früher war das hier eine Art Vorhölle für obdachlose
Junkies gewesen, doch mit der Sanierung der umliegenden
Wohngegenden hatte sich auch die Situation hier stark verbessert.
Hinter dem Bahnhof jedoch, direkt neben den Gleisen, verlief
ein abgezäunter, unebener Fußweg, und auf der Straße
davor waren verrostete Schrottkarren und Busse aus der JimiHendrix-
Ära abgestellt. Sie dienten Obdachlosen als notdürftige
Unterkunft.
Während Cindy sich innerlich auf den Marsch durch diese
»No-Go-Zone« vorbereitete, bemerkte sie direkt vor sich einen
Haufen Obdachloser ... und etliche davon schienen zu
weinen.
Cindy zögerte.
Dann holte sie ihren laminierten Presseausweis aus der
Man teltasche, hielt ihn wie eine Dienstmarke in der ausgestreckten
Hand, ging direkt auf die Menschenmenge zu ... und
sie wich zur Seite.
Die Götterbäume, die aus den kleinen Spalten im Asphalt
sprossen, warfen netzartige Schatten auf einen Haufen aus
Lumpen, alten Zeitungen und Fast-Food-Verpackungen am
Fuß des Maschendrahtzauns.
Cindy spürte aufsteigenden Brechreiz und hielt den Atem
an.
Der Lumpenhaufen war in Wirklichkeit ein toter Mensch.
Seine Kleider waren so voller Blut und sein Gesicht so von
Schlägen entstellt, dass Cindy überhaupt nichts erkennen
konnte.
Sie fragte eine der Umstehenden. »Was ist denn da passiert?
Wer ist das?«
Die schwerfällige Frau besaß keine Zähne und war in sehr
viele unterschiedliche Kleiderschichten gehüllt. Ihre Beine
wa ren bis zu den Knien bandagiert, und ihre Nase war vom
Weinen rosarot.
Sie schaute Cindy von der Seite her an.
»Das ist B-B-Bagman Jesus. Irgendjemand hat ihn umgebracht!«
Cindy zückte ihr Smartphone, wählte die Notrufnummer,
meldete einen Mord und wartete auf das Eintreffen der Polizei.
Währenddessen sammelten sich immer mehr Obdachlose um sie herum.
Das hier waren die Ungewaschenen, die Unerfassten, die
Unbemerkten, die Menschen am Rand der Gesellschaft, die
durch die Lücken im System schlüpften und dort lebten, wo
das Meldeamt sich nicht hinwagte.
Sie stanken und stammelten, sie zuckten und juckten sich
und rückten Cindy immer dichter auf die Pelle. Sie streckten
die Hände aus, wollten sie berühren, fielen sich gegenseitig
ins Wort und verbesserten einander unablässig.
Sie wollten gehört werden.
Und obwohl Cindy noch vor einer halben Stunde jedem
Kontakt mit ihnen aus dem Weg gegangen wäre, wollte sie
jetzt unbedingt jedes Wort hören, das sie zu sagen hatten. Die
Zeit verging, und die Polizei tauchte nicht auf, aber Cindy
spürte, wie da eine Geschichte anfing zu knospen und kurz
davor war, Blüten zu treiben.
Sie griff erneut nach ihrem Handy und rief ihre Freundin
Lindsay zu Hause an.
Es klingelte sechsmal, dann meldete sich eine heisere Männerstimme.
»Hallo?« Hörte sich fast so an, als hätte sie Lindsay
und Joe in einem ungünstigen Moment erwischt.
»Tolles Timing, Cindy«, keuchte Joe.
»Tut mir leid, Joe, ehrlich«, sagte Cindy. »Aber ich muss mit
Lindsay sprechen.«
2
»Nicht böse sein«, sagte ich, zog die Decke bis unter Joes Kinn,
streichelte ihm über die stoppeligen Wangen und drückte ihm
einen gerade noch jugendfreien Kuss auf den Mund. Ich wollte nicht,
dass er Fahrt aufnahm, weil ich einfach nicht genügend Zeit hatte,
um selbst noch mal in Stimmung zu kommen.
»Ich bin dir nicht böse«, sagte er mit geschlossenen Augen.
»Aber heute Abend verlange ich eine Entschädigung, also stell
dich schon mal drauf ein.«
Ich lachte und meinte: »Ehrlich gesagt kann ich's kaum erwarten.«
»Cindy ist kein guter Umgang für dich.«
Ich lachte noch mehr.
Cindy ist ein Pitbull im Schafspelz. Nach außen wirkt sie
wie ein Bilderbuch-Girlie, ist aber gleichzeitig absolut unerbitt
lich. Genau so hat sie sich vor sechs Jahren Zutritt zu
einem grausigen Tatort verschafft, an dem ich die Ermittlungen
geführt habe, und dann hat sie so lange nicht lockergelassen,
bis sie ihre Geschichte im Kasten und ich meinen Fall
gelöst hatte. Ich wünschte, alle meine Cops wären wie Cindy.
»Cindy ist klasse«, sagte ich zu meinem Geliebten. »Sie
wächst dir bestimmt noch ans Herz, langsam, aber sicher.«
»Ach ja? Dann muss ich dir das wohl glauben.« Joe grinste.
»Liebling, würde es dir was ausmachen ...?«
»Mit Martha rauszugehen? Nein. Weil ich ja zu Hause arbeite
und du einen richtigen Job hast.«
»Danke, Joe«, sagte ich. »Und ... kannst du das bald machen?
Ich glaube nämlich, sie muss dringend mal.«
Deutsch von Leo Strohm
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
»The 8th Confession« bei Little, Brown and Company,
a division of Hachette Book Group, Inc., New York.
Zert.-Nr. SGS-COC-001940
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das FSC-zertifizierte Papier Munken Premium für dieses Buch
liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009 by James Patterson
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Limes Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-8090-2551-1
www.limes-verlag.de
Ein Mann in Hemdärmeln und mit flatternder Krawatte,
das Gesicht in zahllose Falten gelegt und mit getrocknetem
Rasierschaum unterhalb des linken Ohrs, ging an ihrem Wagen
vorbei, um dem Busfahrer so richtig die Hölle heißzumachen.
Eine Hupe ertönte, dann noch eine, und schließlich brach
eine ganze Kakofonie los.
Die Ampel sprang auf Grün.
Louise nahm den Fuß von der Bremse. Im selben Augenblick
spürte sie eine heftige Erschütterung. Mit klingelnden
Ohren sah sie zu, wie das Dach des Schulbusses mit roher
Gewalt nach oben gerissen wurde.
Brennende Metallklumpen, Stahl- und Glassplitter spritzten
in alle Himmelsrichtungen. Über dem Bus entstand eine
pilzförmige Wolke, wie bei einer kleinen Atombombe, und
das quaderförmige Fahrzeug verwandelte sich in einen Feuerball.
Öliger Rauch verdunkelte die Luft.
Louise registrierte, wie der blaue Lieferwagen auf der Spur
neben dem Bus in Flammen aufging und dann vor ihren Augen
schwarz wurde.
Da kommt niemand mehr lebend raus!
Und jetzt packte das Feuer den silbernen Toyota Camry direkt
vor ihr. Der Benzintank explodierte, Feuerzungen tänzelten
über den Wagen und verschlangen ihn schließlich in einer
hoch aufschießenden Stichflamme.
Der Mann mit den vielen Falten im Gesicht war auf den
Gehweg gestürzt und versuchte jetzt, sich aufzurappeln. Dazu
hielt er sich an dem Loch fest, wo einst ihr Beifahrerfenster
gewesen war. Sein Hemd war nicht mehr vorhanden. Seine
Haare waren schwarz gekräuselt. Seine Gesichtshaut lag wie
ein Papiertuch ausgebreitet auf seinem Schlüsselbein.
Louise zuckte zurück und machte sich an ihrem Türgriff
zu schaffen, während das Feuer auf die Motorhaube ihres Wagens
übergriff. Die Fahrertür klappte auf, und die Hitze drang
herein.
In diesem Augenblick sah sie die Haut ihres Arms am Lenkrad
kleben wie einen nach außen gekehrten Handschuh. Sie
konnte weder die entsetzten Schreie des Geschäftsmanns
noch ihre eigenen hören. Es war, als ob ihre Ohren mit Wachs
verstopft wären. Ihr Blick nahm nur tanzende Punkte und verschwommene
Schatten wahr.
Und dann wurde sie von einem schwarzen Abgrund verschlungen.
2
Mein Partner Rich Conklin saß am Steuer unseres zivilen Polizeifahrzeugs,
und ich kippte gerade
Zucker in meinen Kaffee, als ich die Erschütterung spürte.
Das Armaturenbrett zitterte. Heißer Kaffee lief mir über
die Hand. Ich rief: »Was zum Teufel ...?« Wenige Augen blicke
später krächzte es aus dem Funkgerät: »Angeblich Explosion,
Ecke Market und Fourth. Alle Einheiten in der Nähe bitte
melden.«
Ich schüttete meinen Kaffee zum Seitenfenster raus,
schnappte mir das Mikro und teilte der Zentrale mit, dass wir
nur zwei Querstraßen entfernt waren. Gleichzeitig beschleunigte
Conklin bergauf und bremste dann wieder, sodass unser
Wagen sich auf der Fourth Street quer stellte und den Verkehr
in beide Richtungen blockierte.
Wir sprangen aus dem Auto, und Conklin rief: »Lindsay,
pass auf! Kann sein, dass es noch Folgeexplosionen gibt!«
Dunkler Rauch hing in der Luft, und es roch nach verbranntem
Gummi, Plastik und menschlichem Fleisch. Ich
blieb stehen, rieb mir mit dem Ärmel die brennenden Augen
und kämpfte gegen den Brechreiz an. Dann besah ich mir das
ganze Inferno, und meine Nackenhaare stellten sich auf.
Die Market Street ist eine Hauptverkehrsader. Sie dient
um diese Zeit eigentlich dem pulsierenden Strom der Berufspendler,
aber jetzt sah es hier aus wie in Bagdad unmittelbar
nach einem Selbstmordattentat. Die Menschen rannten kreischend
im Kreis, blind vor Panik und einer dichten Wolke aus
Rauch und Nebel.
Ich rief Chief Tracchio an und meldete mich als erste Beamtin
vor Ort.
»Was ist da los, Sergeant?«
Ich sagte ihm, was ich sah: fünf Tote auf der Straße, zwei an
der Bushaltestelle. »Es gibt noch weitere Opfer, genaue Anzahl
unbekannt. Sie sitzen in ihren Autos, tot oder lebendig«, bellte
ich ins Telefon.
»Sind Sie so weit in Ordnung, Boxer?«
»Ja, Sir.«
Ich legte auf. Gleichzeitig kamen Streifenwagen, Feuerwehren
und Notarztwagen mit heulenden Sirenen herangerast
und sperrten die Market Street zwischen der Third und der
Fifth Street komplett ab. Wenige Augenblicke später war das
Kommandofahrzeug da, und die Angehörigen des Bombensuchtrupps,
von Kopf bis Fuß in graue Schutzanzüge gehüllt,
verteilten sich über das Trümmerfeld.
Eine Frau, deren Alter genauso undefinierbar war wie ihre
Hautfarbe, stolperte blutüberströmt auf mich zu. Ihre Knie
gaben nach, und ich fing sie auf. Conklin half mir, sie auf eine
Trage zu legen.
»Ich hab's gesehen«, flüsterte sie und deutete auf einen geschwärzten
Rumpf an der Kreuzung. »Dieser Schulbus da war
eine Bombe.«
»Ein Schulbus? Oh, bitte, Gott, bloß keine Kinder!«
Ich schaute mich nach allen Seiten um, aber nirgendwo waren
Kinder zu entdecken.
Waren sie womöglich alle bei lebendigem Leib verbrannt?
3
Mit dicken Schläuchen rückte die Feuerwehr den Flammen zu Leibe.
Metall zischte, und ein widerlicher Gestank lag in der Luft.
Ich sah Chuck Hanni, Brandursachenermittler
und Fachmann für Explosionen, gebückt vor
der Seitentür des Schulbusses stehen. Er hatte die Haare nach
hinten gegelt und trug eine Khakihose und ein Jeanshemd mit
aufgekrempelten Ärmeln, sodass man die alte Brandnarbe sehen
konnte, die sich von seinem rechten Daumen bis hinauf
zum Ellbogen zog.
Hanni hob den Blick und sagte: »Ein gottverdammtes Desaster,
Lindsay.«
Er führte mich durch den Schauplatz der, wie er es nannte,
»katastrophalen Explosion«, zeigte mir die beiden allem Anschein
nach erwachsenen »Schoko-Krossies«, die zusammengekrümmt
zwischen zwei Sitzbänken in der Nähe des Fahrersitzes
lagen, machte mich darauf aufmerksam, dass die Vorderreifen
des Busses immer noch prall, die hinteren jedoch platt waren.
»Die Explosion hat im Heck stattgefunden, nicht im Motor-
raum. Und das hier habe ich gefunden.«
Hanni zeigte hinter die Bustür, wo rundliche Glasscherben,
Heizungsschläuche und blaue Plastiksplitter zu einer einzigen
Masse verschmolzen waren.
»Stell dir vor, was diese Explosion für eine Wucht gehabt
haben muss«, sagte er und deutete auf ein Metallstück, das
wie ein Projektil in der Wand steckte. »Das ist ein Waagebalken
von einer Balkenwaage mit verschiebbaren Gewichten«,
sagte er, »und die blauen Plastikteile stammen vermutlich von
einer Kühlbox. Ein paar Liter Äther und einen Funken, mehr
hat es nicht gebraucht, um das alles hier anzurichten ...«
Eine Armbewegung, die das drei Straßenblocks umfassende
Zerstörungswerk einschließen sollte.
Ich hörte bellendes Husten und Stiefelsohlen auf Glasscherben.
Conklins große Gestalt schälte sich aus dem Nebel. »Das
hier solltet ihr euch anschauen, bevor die Bombensucher uns
verscheuchen.«
Hanni und ich gingen hinter Conklin über die Kreuzung zu
einer männlichen Leiche, die sich um einen Laternenpfahl gewickelt
hatte.
Conklin sagte: »Ein Zeuge hat gesehen, wie dieser Kerl da
bei der Explosion zur Windschutzscheibe des Busses rausgeflogen
ist.«
Der Tote war ein Latino mit zerschnittenem Gesicht
und rot gefärbten, blutgetränkten Locken. Sein neonblaues
T-Shirt und die Jeans hingen ihm in Fetzen vom Leib, und
sein Schädel war beim Zusammenprall mit dem Laternenpfahl
zerschmettert worden. Den Falten in seinem Gesicht
nach zu urteilen musste der Mann vierzig harte Lebensjahre
hinter sich gehabt haben. Ich zog das Portemonnaie aus
seiner Gesäßtasche und klappte das Sichtfenster mit dem
Führer schein auf.
»Er heißt Juan Gomez. Hier steht, dass er erst dreiundzwanzig
war.«
Hanni bückte sich und schob die Lippen des Toten zurück.
Anstelle der Zähne waren lediglich zwei Reihen mit verfaulten
Stümpfen zu sehen.
»Methamphetamin«, sagte Hanni. »Das war wahrscheinlich
der Drogenkoch. Lindsay, das ist ein Fall für die Rauschgiftabteilung,
vielleicht sogar für die DEA.«
Hanni wählte eine Nummer auf seinem Handy, während ich
auf Juan Gomez' Leiche starrte. Das erste sichtbare Anzei chen
für Methamphetamin-Missbrauch sind die fauligen Zähne.
Ein paar Jahre mit zu wenig Essen und zu wenig Schlaf rei-
chen aus, um einen Meth-Junkie zwanzig Jahre altern zu lassen,
während die Droge große Teile seines Gehirns zerstört.
Gomez hatte sich schon vor der Explosion aus diesem Leben
verabschiedet.
»Dann war der Bus also ein fahrendes Meth-Labor?«, fragte
Conklin.
Hanni wartete, dass bei der Rauschgiftabteilung jemand
ans Telefon ging.
»Ja«, erwiderte er. »Bis der ganze Scheiß in die Luft geflogen
ist.«
Erster Teil
Bagman Jesus
1
Cindy Thomas knöpfte ihren leichten Burberry-Trenchcoat
zu und sagte: »Guten Morgen, Pinky«, während der Türsteher
ihr die Eingangstür des Blakely Arms aufhielt. Er tippte sich
an den Mützenschirm und blickte Cindy in die Augen.
»Einen schönen Tag, Ms. Thomas. Passen Sie auf sich auf.«
Cindy konnte nicht gerade behaupten, dass sie Schwierigkeiten
konsequent aus dem Weg ging. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin
bei der San Francisco Chronicle und sagte immer: »Für mich sind
schlechte Nachrichten gute Nachrichten.«
Doch vor ungefähr anderthalb Jahren hatte ein durchgeknallter
illegaler Untermieter mit einer schweren Aggressionsstörung,
der zwei Stockwerke über ihr gewohnt hatte, sich in
diverse Wohnungen geschlichen und eine brutale Mordserie
gestartet.
Der Killer war letztendlich festgenommen, vor Gericht gestellt
und verurteilt worden und saß im Augenblick in einer
Todeszelle in St. Quentin.
Trotzdem waren die Nachwirkungen im Blakely Arms im mer
noch spürbar. Die Bewohner verriegelten ihre Wohnungs tü ren
am Abend dreifach, zuckten bei unerwarteten Geräu schen zusammen,
erlebten, was es bedeutete, das ganz normale, alltägliche
Gefühl der Sicherheit zu verlieren.
Cindy war fest entschlossen, sich von dieser Angst nicht beherrschen
zu lassen.
Sie lächelte den Türsteher an. »Ich bin wild und gefährlich,
Pinky. Die Ganoven sollten sich lieber vor mir in Acht nehmen.«
Dann schwebte sie hinaus in den Maimorgen.
Ihr Weg führte sie von der Third Street die Townsend entlang
bis zur Fifth. Das waren zwei sehr lange Straßenzüge,
und Cindy ließ dabei das alte San Francisco hinter sich und
gelangte in das neue. Sie ging an dem Schnapsladen gleich
neben ihrem Wohnhaus vorbei, passierte ein Fast-Food-Lokal
auf der anderen Straßenseite, einen neuen Hochhaus-Wohnblock
mit einem Starbucks und einer Buchhandlung im Erdgeschoss
und nutzte die Zeit, um Telefonate zu erledigen,
Termine zu machen und den vor ihr liegenden Tag zu organisieren.
In der Nähe des erst kürzlich renovierten Anfangs- und
Endbahnhofs des Caltrain, des Pendlerzuges, der bis hinunter
nach San Jose und noch weiter nach Süden fuhr, blieb sie
stehen. Früher war das hier eine Art Vorhölle für obdachlose
Junkies gewesen, doch mit der Sanierung der umliegenden
Wohngegenden hatte sich auch die Situation hier stark verbessert.
Hinter dem Bahnhof jedoch, direkt neben den Gleisen, verlief
ein abgezäunter, unebener Fußweg, und auf der Straße
davor waren verrostete Schrottkarren und Busse aus der JimiHendrix-
Ära abgestellt. Sie dienten Obdachlosen als notdürftige
Unterkunft.
Während Cindy sich innerlich auf den Marsch durch diese
»No-Go-Zone« vorbereitete, bemerkte sie direkt vor sich einen
Haufen Obdachloser ... und etliche davon schienen zu
weinen.
Cindy zögerte.
Dann holte sie ihren laminierten Presseausweis aus der
Man teltasche, hielt ihn wie eine Dienstmarke in der ausgestreckten
Hand, ging direkt auf die Menschenmenge zu ... und
sie wich zur Seite.
Die Götterbäume, die aus den kleinen Spalten im Asphalt
sprossen, warfen netzartige Schatten auf einen Haufen aus
Lumpen, alten Zeitungen und Fast-Food-Verpackungen am
Fuß des Maschendrahtzauns.
Cindy spürte aufsteigenden Brechreiz und hielt den Atem
an.
Der Lumpenhaufen war in Wirklichkeit ein toter Mensch.
Seine Kleider waren so voller Blut und sein Gesicht so von
Schlägen entstellt, dass Cindy überhaupt nichts erkennen
konnte.
Sie fragte eine der Umstehenden. »Was ist denn da passiert?
Wer ist das?«
Die schwerfällige Frau besaß keine Zähne und war in sehr
viele unterschiedliche Kleiderschichten gehüllt. Ihre Beine
wa ren bis zu den Knien bandagiert, und ihre Nase war vom
Weinen rosarot.
Sie schaute Cindy von der Seite her an.
»Das ist B-B-Bagman Jesus. Irgendjemand hat ihn umgebracht!«
Cindy zückte ihr Smartphone, wählte die Notrufnummer,
meldete einen Mord und wartete auf das Eintreffen der Polizei.
Währenddessen sammelten sich immer mehr Obdachlose um sie herum.
Das hier waren die Ungewaschenen, die Unerfassten, die
Unbemerkten, die Menschen am Rand der Gesellschaft, die
durch die Lücken im System schlüpften und dort lebten, wo
das Meldeamt sich nicht hinwagte.
Sie stanken und stammelten, sie zuckten und juckten sich
und rückten Cindy immer dichter auf die Pelle. Sie streckten
die Hände aus, wollten sie berühren, fielen sich gegenseitig
ins Wort und verbesserten einander unablässig.
Sie wollten gehört werden.
Und obwohl Cindy noch vor einer halben Stunde jedem
Kontakt mit ihnen aus dem Weg gegangen wäre, wollte sie
jetzt unbedingt jedes Wort hören, das sie zu sagen hatten. Die
Zeit verging, und die Polizei tauchte nicht auf, aber Cindy
spürte, wie da eine Geschichte anfing zu knospen und kurz
davor war, Blüten zu treiben.
Sie griff erneut nach ihrem Handy und rief ihre Freundin
Lindsay zu Hause an.
Es klingelte sechsmal, dann meldete sich eine heisere Männerstimme.
»Hallo?« Hörte sich fast so an, als hätte sie Lindsay
und Joe in einem ungünstigen Moment erwischt.
»Tolles Timing, Cindy«, keuchte Joe.
»Tut mir leid, Joe, ehrlich«, sagte Cindy. »Aber ich muss mit
Lindsay sprechen.«
2
»Nicht böse sein«, sagte ich, zog die Decke bis unter Joes Kinn,
streichelte ihm über die stoppeligen Wangen und drückte ihm
einen gerade noch jugendfreien Kuss auf den Mund. Ich wollte nicht,
dass er Fahrt aufnahm, weil ich einfach nicht genügend Zeit hatte,
um selbst noch mal in Stimmung zu kommen.
»Ich bin dir nicht böse«, sagte er mit geschlossenen Augen.
»Aber heute Abend verlange ich eine Entschädigung, also stell
dich schon mal drauf ein.«
Ich lachte und meinte: »Ehrlich gesagt kann ich's kaum erwarten.«
»Cindy ist kein guter Umgang für dich.«
Ich lachte noch mehr.
Cindy ist ein Pitbull im Schafspelz. Nach außen wirkt sie
wie ein Bilderbuch-Girlie, ist aber gleichzeitig absolut unerbitt
lich. Genau so hat sie sich vor sechs Jahren Zutritt zu
einem grausigen Tatort verschafft, an dem ich die Ermittlungen
geführt habe, und dann hat sie so lange nicht lockergelassen,
bis sie ihre Geschichte im Kasten und ich meinen Fall
gelöst hatte. Ich wünschte, alle meine Cops wären wie Cindy.
»Cindy ist klasse«, sagte ich zu meinem Geliebten. »Sie
wächst dir bestimmt noch ans Herz, langsam, aber sicher.«
»Ach ja? Dann muss ich dir das wohl glauben.« Joe grinste.
»Liebling, würde es dir was ausmachen ...?«
»Mit Martha rauszugehen? Nein. Weil ich ja zu Hause arbeite
und du einen richtigen Job hast.«
»Danke, Joe«, sagte ich. »Und ... kannst du das bald machen?
Ich glaube nämlich, sie muss dringend mal.«
Deutsch von Leo Strohm
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
»The 8th Confession« bei Little, Brown and Company,
a division of Hachette Book Group, Inc., New York.
Zert.-Nr. SGS-COC-001940
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das FSC-zertifizierte Papier Munken Premium für dieses Buch
liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009 by James Patterson
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Limes Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-8090-2551-1
www.limes-verlag.de
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Autoren-Porträt von James Patterson
James Patterson wuchs in Newburgh, New York, auf, studierte englische Literatur am Manhattan College und an der Vanderbilt University. Während seines Studiums, das er mit Auszeichnung abschloss, jobbte er in einer psychiatrischen Klinik. Danach war Patterson lange Zeit Chef einer großen New Yorker Werbeagentur. Nebenher begann er mit dem Schreiben von Kriminalromanen und das mit großem Erfolg. Denn bereits für seinen Debütroman erhielt er den begehrten Edgar Allan Poe Award, Amerikas wichtigsten Krimipreis. Mittlerweile gilt James Patterson als der Mann, der nur Bestseller schreibt: In den letzten Jahren standen 63 seiner Bücher auf der New York Times Hardcover-Bestsellerliste. Seine Romane wurden bisher in 38 Sprachen übersetzt und erreichten weltweit eine Gesamtauflage von über 260 Millionen Exemplaren. James Patterson lebt heute mit seiner Familie in Palm Beach, Florida.
Bibliographische Angaben
- Autor: James Patterson
- 2010, 1, 349 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Leo Strohm
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 3809025518
- ISBN-13: 9783809025511
- Erscheinungsdatum: 22.07.2010
Rezension zu „Das 8. Geständnis “
"Starkstrom-Spannung."
Kommentar zu "Das 8. Geständnis"
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