Das Erbe der Braumeisterin
Historischer Roman
Köln, 1260. Die junge Madlen betreibt gekonnt die vom Vater geerbte Brauerei. Nach dem Tod ihres Mannes steht jedoch ihre Zukunft auf dem Spiel: Als Witwe darf Madlen nach den Regeln der Zunft die Brauerei nur für ein Jahr allein führen,...
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Produktinformationen zu „Das Erbe der Braumeisterin “
Köln, 1260. Die junge Madlen betreibt gekonnt die vom Vater geerbte Brauerei. Nach dem Tod ihres Mannes steht jedoch ihre Zukunft auf dem Spiel: Als Witwe darf Madlen nach den Regeln der Zunft die Brauerei nur für ein Jahr allein führen, danach verliert sie ihr Braurecht - es sei denn, sie heiratet wieder.
Klappentext zu „Das Erbe der Braumeisterin “
Köln, 1260. Die eigensinnige junge Madlen betreibt mit großer Begeisterung die vom Vater geerbte Brauerei. Seit früher Jugend hat sie alles gelernt, was es über das Bierbrauen zu wissen gibt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes steht jedoch ihre Zukunft auf dem Spiel: Als Witwe darf Madlen nach den Regeln der Zunft die Brauerei nur für ein Jahr allein weiterführen, danach droht ihr der Verlust des Braurechts und damit ihres ganzen Lebensinhalts - es sei denn, sie verheiratet sich wieder. Der ehemalige Kreuzritter Johann scheint kein allzu passender Kandidat zu sein, denn er hat eine dunkle Vergangenheit und hasst Bier. Aber Madlen kann nicht wählerisch sein ...
Lese-Probe zu „Das Erbe der Braumeisterin “
Das Erbe der Braumeisterin von Charlotte ThomasProlog
Köln, März 1259
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»Fort mit euch! Ihr kriegt nichts mehr!« Lachend schob Madlen die Becher zurück, die ihr von zwei beharrlichen Gästen entgegengereckt wurden. »Für heute ist Schluss!«
Maulend zogen die beiden von dannen. Die Schankstube Zum Goldenen Fass leerte sich nur langsam. Nach den ausschweifenden Vergnügungen und den durchzechten Nächten des Karnevals mochten die üblichen Besucher der Schänke sich noch nicht recht mit den Beschränkungen der Fastenzeit abfinden, die in der Vorwoche begonnen hatte.
Konrad, Madlens Mann, machte sich an die undankbare Aufgabe, den letzten noch verbliebenen Gast aufzuwecken, der den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet hatte und laut vor sich hin schnarchte. Er war schon betrunken im Goldenen Fass aufgekreuzt und befand sich nach etlichen Bechern starken Würzbieres im Vollrausch. Ohne die tatkräftige Hilfe von Caspar, dem Knecht, wäre es Konrad nicht gelungen, den Mann nach draußen zu bugsieren.
Es war längst dunkel, vor einer Weile hatte es bereits zur Komplet geläutet, doch rechter Hand in Richtung Neumarkt war noch Fackellicht zu sehen. Konrad gab dem Betrunkenen einen Schubs in die passende Richtung. »Da drüben auf dem Platz sind noch Leuchtenmänner. Eine gute Nacht wünsche ich dir.«
»Mo-morgen komm ich wieder«, lallte der Mann. »W-weil euer B-Bier so gut ist!« Summend torkelte er davon.
»Müde?« Konrad trat zu Madlen, legte die Arme um sie und küsste sie auf die Wange.
Seufzend schmiegte sie sich an ihn. »Ja, und wie. Aber es war ein guter Tag. Wir haben viel verkauft.«
»Nie schmeckt das Bier besser als zur Fastenzeit«, bemerkte Caspar im Hintergrund.
Madlen lachte, und die Männer stimmten ein. Einträchtig und mit eingespielten Handgriffen machten sie sich ans Aufräumen. Während Konrad die leeren Trinkgefäße und fettigen Speisebretter einsammelte und in den Spülbottich legte, fegte Caspar den Steinboden und hob herabgefallene Becher auf. Wasser platschte, als Madlen mit Bürste und nassem Putzlumpen den fleckigen Bänken und Tischen zu Leibe rückte. Die Türen zur Straße und zum Hof hin standen weit offen, um die frische Abendluft hereinzulassen und den schweren Bierdunst und den Geruch verschwitzter Leiber und verqualmter Fackeln zu vertreiben.
Madlen legte die Schürze ab, verschloss die Tür zur Gasse und ging hinüber in das auf dem Hof gelegene Sudhaus, um dort nach dem Rechten zu sehen, so wie sie es immer vor dem Schlafengehen tat.
Berni und Willi, die zwei Lehrbuben, schliefen auf ihren Strohsäcken in der Braustube. Madlen ging auf Zehenspitzen an ihnen vorbei und schirmte die kleine Talgleuchte mit der Hand ab, um die beiden nicht zu stören. Der Knecht Caspar war ihr ins Brauhaus gefolgt, um sich ebenfalls zur Ruhe zu begeben. Als er die Stiege zum Boden erklomm, wo sich seine Schlafstatt befand, wünschte Madlen ihm flüsternd eine gute Nacht.
Es war still, nur das Stroh raschelte, als Berni sich auf seinem Lager herumwälzte. Der Lehrjunge stöhnte mit offenem Mund und murmelte dann eine unverständliche Verwünschung, gleichzeitig streckte er die Hand aus, als müsse er im Schlaf einen Gegner abwehren. Plötzlich fuhr er hoch und starrte mit halb offenen Augen geradeaus. »Nein!«, stöhnte er. »Tu das nicht! Lass mich los!«
Beunruhigt trat Madlen näher, doch Berni war gar nicht richtig wach. Im nächsten Moment war er auf sein Lager zurückgesunken und schlief weiter. Offensichtlich hatte er nur schlecht geträumt. Madlen verharrte und lauschte seinen ruhigen Atemzügen, dann ging sie an den großen Bottichen vorbei hinaus auf den Hof und von dort durch die Hintertür ins Wohnhaus. In der Stube roch es nach Kaminrauch und nach dem Kohlgemüse, das es heute zum Essen gegeben hatte. Aus der Kammer hinter der Feuerstelle war das Schnarchen von Madlens Großvater zu hören, er hatte sich schon am frühen Abend zur Ruhe begeben.
Unter der Stiege, die nach oben führte, hatte Irmla ihr Lager, auch sie schlief bereits seit Stunden. Gerade als Madlen die Stufen hinaufging, ließ die Magd direkt unter ihr im Schlaf knatternde Winde entweichen, deren Gestank sich mit den üblen Kohldünsten der Kochstelle vereinte. Madlen seufzte unhörbar, weil sie sich an einen lange gehegten Wunsch erinnerte.
»Ich möchte hinten im Hof ein separates Küchenhäuschen haben«, teilte sie Konrad mit, der sich schon ins Bett gelegt hatte. »Eigentlich geht mir das schon lange im Kopf herum. Wir hätten dann mehr Platz hier im Haus. In einer separaten Küche könnte Irmla ganz ungestört schalten und walten. Und auch dort schlafen.«
»Und furzen«, ergänzte Konrad belustigt.
Madlen erwiderte sein Grinsen, und als er unversehens aus dem Bett stieg und sie schwungvoll an sich zog, kicherte sie unterdrückt. »Was tust du da?«
»Meiner schönen Frau beim Ausziehen helfen.« Er war bereits nackt und schien es eilig zu haben, sie ebenfalls in diesen Zustand zu versetzen. Madlen war es nur recht; ihr Herz klopfte schneller, als sie seine zupackenden Hände auf ihrem Körper spürte. Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, doch seine Frau war sie erst seit knapp zwei Jahren, und die körperlichen Freuden der Ehe trugen viel zu ihrer Zufriedenheit bei. Während der Fastenzeit war es Sünde, allzu häufig beieinanderzuliegen, doch Madlen und Konrad nahmen es damit nicht sonderlich genau.
Irgendetwas, so hatte Konrad in seiner sorglosen Art gemeint, müssten sie ja schließlich auch zu beichten haben.
Hastig half Madlen ihm beim Hochziehen ihres Gewandes und zerrte es sich anschließend kurzerhand zusammen mit dem Unterkleid über den Kopf, wobei sich ihr Gebende löste und dem sittsam geflochtenen Zopf etliche Strähnen entwichen. Nackt stand sie vor Konrad, der beide Arme ausstreckte und sie fest an sich zog. Mit einer Hand zupfte er ihr das Band aus den Haaren, das ihren Zopf zusammenhielt, und strähnte es mit den Fingern bis zu den lockigen Spitzen, bis es sich wild um ihr Gesicht ringelte und frei bis zu ihren Hüften hinabfiel.
»Bei Gott, du bist schöner als eine Königin!«
Madlen lachte atemlos. »Du hast noch nie eine Königin gesehen!«
»Das muss ich auch nicht, denn ich habe ja dich«, erklärte er schlicht, während er den Kopf neigte, um sie zu küssen. Er war nicht viel größer als sie, kaum eine Handbreit, und ihre Körper schmiegten sich in vollkommener Harmonie aneinander, wenn er sie in den Armen hielt. Madlen hatte das Talglicht auf ihre Betttruhe gestellt, die seitlich versetzt vor dem Alkoven stand und zusammen mit einer weiteren Truhe, einem Hocker, einem kleinen Betschemel und einem zierlichen geschnitzten Eckaltar das gesamte Mobiliar der Kammer bildete.
Madlen rieb sich in wachsender Leidenschaft an Konrads Körper, während er sie begierig streichelte und küsste. Er war sehnig und stark, voll männlicher Kraft mit seinen einundzwanzig Jahren, und mit seinem hübschen Gesicht hätte er bestimmt so mancher Jungfer den Kopf verdreht, wenn Madlen nicht frühzeitig darauf geachtet hätte, dass sein Herz immer dort blieb, wo es hingehörte: bei ihr. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon viel früher heiraten können, doch ihr Vater hatte darauf bestanden, dass er zuerst seine Lehrzeit und eine Gesellenreise hinter sich brachte. Madlen hatte ihn heimlich zum Abschied geküsst und ihn beschworen, zu ihr zurückzukehren.
Er packte ihre Hüften und ging leicht in die Knie, um stehend in sie eindringen zu können. Madlen keuchte und warf den Kopf zurück. »Konrad«, stöhnte sie. »Das ist wundervoll!«
»Es wird noch besser, mein Liebes.« Sein Glied schob sich hinein und hinaus, sacht zuerst, dann mit wachsendem Nachdruck, und schließlich hielt es sie beide nicht mehr auf den Beinen, keuchend sanken sie auf der Bettstatt nieder. Er war über ihr, drängte ihre Schenkel auseinander und stieß schnell und heftig in sie. Unter den abgehackten, rhythmischen Bewegungen begann das Holzgestell erbärmlich zu knarren und zu quietschen, sodass Madlen überzeugt war, es müsse nicht nur im ganzen Haus, sondern auch drüben in der Braustube zu hören sein. Doch es war ihr völlig gleichgültig, sie war wie trunken vor Lust und erlebte wenig später einen erfüllenden Höhepunkt, der sie kraftlos und benommen zurückließ. Unmittelbar darauf bäumte auch Konrad sich ein letztes Mal über ihr auf, bevor er sich schwer atmend neben ihr auf das Lager fallen ließ und sie fest umschlang.
Für sie waren dies die kostbarsten Augenblicke des Tages: so in seinen Armen zu liegen, die Wange gegen seine Brust geschmiegt, seinen hämmernden Herzschlag in ihrem Ohr, seinen steten Atem in ihrem Nacken und ihrem Haar, seine Hände, die liebkosend über ihren Rücken strichen und sie daran erinnerten, wie sehr sie das brauchte. Wie sehr sie ihn brauchte.
»Du sollst dein Küchenhäuschen kriegen«, versprach er schläfrig. »Gleich nach Ostern mache ich mich mit Caspar an die Arbeit. Irmla wird wahre Luftsprünge machen vor Freude. Und wir können es jede Nacht treiben, ohne fürchten zu müssen, dass sie davon aufwacht und neidisch wird.«
Madlen lächelte an seiner Brust. Das Herz wollte ihr vor Liebe überfließen, und bevor sie einschlief, sandte sie ein stummes Dankesgebet zur heiligen Ursula. Und dann - man konnte nie wissen - noch eines zum heiligen Petrus von Mailand, den die Bruderschaft der Brauer unlängst zu ihrem Schutzpatron erkoren hatte. Gewiss konnte es nicht schaden, wenn sie ihre Gebete nun häufiger auch an diesen neuen Heiligen richtete. Wie es schien, war er Gottes Gnade in besonderem Maße teilhaftig geworden, weil sich in ihrem und Konrads Leben alles so wunderbar zum Guten gefügt hatte. Ein tiefes Gefühl von Glück und Dankbarkeit begleitete Madlen in den Schlaf.
Konrad wachte von einem ungewohnten Geräusch auf, doch als er sich auf einen Ellbogen aufstützte und in die Dunkelheit lauschte, hörte er nichts außer den sanften Atemzügen seiner Frau. Mondlicht fiel durch die offene Fensterluke in die Kammer und zeichnete die Umrisse ihres Oberkörpers nach. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm angewinkelt hinter dem Kopf, den anderen unter dem Laken. Ihre Hand berührte seinen Schenkel. Sie schlief immer so - mit einer Hand auf seinem Körper, als müsse sie sich auch im Schlaf noch vergewissern, dass er bei ihr war. Ihre festen, runden Brüste schimmerten verlockend im matten Licht des Mondes, und Konrad spürte das Blut in seine Lenden strömen. Madlen so nah bei sich zu haben und sie besitzen zu wollen - das war für ihn eins, in jeder Nacht, die sie in seinen Armen verbrachte. Ob das wohl jemals endete? Er hoffte und betete inständig, dass es ein Leben lang so bleiben möge. Soweit es ihn betraf, wusste er genau, dass er sie bis zu seinem Tod begehren und lieben würde. Er hatte sie schon geliebt, als sie beide noch Kinder gewesen waren und er im Alter von zwölf Jahren bei ihrem Vater in die Lehre gegeben worden war. Natürlich war es anfangs eine keusche und zaghafte Liebe gewesen, lüsterne Gedanken waren ihm erst gekommen, als seine Knabenjahre sich dem Ende zuneigten und er die ersten feuchten Träume erlebt hatte. Sie hatten einander scheue und sehnsuchtsvolle Blicke zugeworfen, sich im Vorbeigehen wie unabsichtlich berührt. Alle im Haus hatten sich darüber lustig gemacht, auf eine wohlwollende und nachsichtige Weise, die der freundlichen Zukunft, die auf die beiden jungen Leute wartete, Rechnung trug. Der Lehrbub und die Tochter des Braumeisters - eine Verbindung, die nicht nur vernünftig, sondern erwünscht war. Madlen und er waren gleichsam von Beginn an füreinander bestimmt gewesen.
Er beugte sich über sie und küsste sacht eine der verführerisch prallen Halbkugeln, als er erneut das Geräusch hörte. Diesmal gab es kein Vertun - es kam von draußen, vom Hof. Konrad hob den Kopf und versuchte, es einzuordnen. Es war das Rasseln und Schaben der Hundekette. Das war das höchste Anzeichen von Aufregung, das von dem alten Spitz noch zu erwarten war. Bellen konnte der Hund schon lange nicht mehr. Konrad schlug die Decke zurück und stand auf. Madlen bewegte sich und tastete vergeblich nach ihm. »Konrad?«, murmelte sie schlaftrunken.
»Schlaf weiter, Liebes«, flüsterte er. »Ich bin gleich zurück.«
Im Dunkeln ging er nach unten. In der Stube herrschte völlige Finsternis. Die beiden Läden zur Straße hin waren zugezogen, und das Nachtlicht, mit dem der alte Cuntz sich den Weg zur Latrine ausleuchtete, befand sich in dessen Kammer. Die Tür zu dem kleinen Schlafgemach hinter dem Kamin war geschlossen, offenbar hatte Cuntz die nötigen Gänge für diese Nacht hinter sich gebracht.
Konrad tastete sich vorwärts, an der Wand entlang bis zur Hintertür. Er stieß sie auf und trat ins Freie. Silbernes Mondlicht lag über Hof und Garten. Schwarz ragten die schemenhaften Umrisse von Brauhaus und Schuppen zu beiden Seiten des Hofs auf. Die im Hintergrund sichtbaren Silhouetten der Bäume und Büsche verschwammen mit der Nacht.
»Ist da jemand?«, rief Konrad halblaut. Vor einem kleinen Verschlag am Rand des Hofs lief der betagte Spitz hin und her und zerrte an der Kette. Etwas hatte ihn aufgescheucht, doch der Grund dafür war nirgends zu sehen. Als Hofhund taugte er nichts mehr, seine guten Jahre lagen längst hinter ihm. Konrad tätschelte ihn zwischen den Ohren. »Na, alter Bursche?«, murmelte er. »Was machst du für einen Radau? Hast du schlecht geträumt? Was sollen wir bloß mit dir anfangen, wenn wir schon nachts selber auf uns aufpassen müssen! Aber schlaf nur weiter, ich sehe nach dem Rechten.« Er umrundete den Ziehbrunnen und ging an den Latrinen vorbei zu den hölzernen Anbauten des Haupthauses. Im größten Schuppen, der auch als Wagenhaus und Pferdestall diente, stand der Gaul dösend hinter dem Gatter. Er nahm Konrads Anwesenheit kaum wahr. Dafür jedoch ein nächtlicher Eindringling: Eine Maus flitzte vor Konrads Füßen vorbei und verschwand in einer Bretterritze, dicht gefolgt von einem langen schwarzen Schatten. Gleich darauf ertönte das Kratzen von Krallen auf Holz und ein enttäuschtes Fauchen.
Konrad grinste unwillkürlich; wie der Hund hatte auch der Kater seine Dienste schon besser versehen. Madlen fütterte ihn zu gut.
Er verließ den Schuppen und ging weiter zum Hühnerstall, doch auch hier war nichts Verdächtiges zu entdecken. Im vergangenen Monat hatte ein Fuchs unter den Hennen gewütet, Folge einer versehentlich offen gelassenen Stalltür und eines losen Bretts im Zaun. Der alte Hofhund hatte den Überfall verschlafen, folglich hatte niemand den dreisten Räuber daran gehindert, vier Hühnern den Hals durchzubeißen und mit einem fünften zu verschwinden.
Konrad wandte horchend den Kopf. Hinten im Garten, zwischen den Obstbäumen und dem Zaun, der das Grundstück an der Rückseite begrenzte, raschelte es vernehmlich. Doch gleich darauf verstummte das Geräusch wieder, sicher waren es nur Wühlmäuse, die im Dunkeln nach Futter suchten. Vom Kater war weit und breit nichts zu sehen, nach der misslungenen Jagd im Stall versuchte er wohl sein Glück in der Nachbarschaft.
Konrad ging zum Haus zurück und dann in die von einem gemauerten Bogen überdachte Einfahrt. Zwischen Schank- und Wohnhaus befand sich die Falltür zum Keller, doch sie war verschlossen. Der Hund war wieder aufgestanden und lief umher, das metallische Rasseln der Kette hallte durch die Einfahrt. Konrad ging zum Tor, das die Einfahrt zur Straße hin verschloss, aber auch dieses war fest verriegelt.
Das Kettenrasseln hatte aufgehört. Vielleicht hatte sich ein fremder Kater im Garten herumgetrieben. Konrad ging zurück auf den Hof. Beim Brunnen blieb er stehen und lauschte abermals, doch alles blieb still. Die Luft war für die frühe Jahreszeit ungewöhnlich mild, fast schon frühlingshaft. Die Nacht war sternenklar, das Firmament übersät von schimmernden Lichtpunkten. Er legte die Hände auf die Einfassung des Brunnens und seufzte. Schultern und Arme taten ihm weh von dem stundenlangen Ausschank, und an der rechten Hand hatte er eine schmerzende Brandblase, weil er beim Umfüllen des heißen Suds heute unvorsichtig gewesen war. Doch er fühlte sich restlos zufrieden. Das Geschäft ging glänzend, jeden Tag war die Schankstube zum Bersten voll. Es war an der Zeit, neue Wege einzuschlagen und ein zweites Brau- und Schankhaus zu eröffnen. Madlen und er hatten bereits Verhandlungen mit einem Weinhändler aufgenommen, der eine Haushälfte in der Mühlengasse zu verpachten hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Alter Markt. Ein Gebäude, das sich großartig zum Brauen eignete, mit einem großen, kühlen Gewölbekeller als Lager ...
Ein Winseln ließ Konrad zusammenfahren. »Spitz?« Rasch umrundete er den Brunnen und ging zur Hundehütte. »Was ist mit dir?« Ein seltsam ziehendes Atemgeräusch antwortete ihm, doch der Hund rührte sich kaum, auch nicht, als Konrad neben ihm in die Hocke ging und ihm über das Fell strich. Dann spürte er die Nässe unter seinen Fingern und roch den kupfrigen, süßlichen Geruch von Blut.
Im selben Moment hörte er die Schritte hinter sich und verlor wertvolle Zeit, um sich aufzurichten statt sich einfach zur Seite zu werfen, was ihm vielleicht geholfen hätte, dem Angriff zu entgehen. So aber blieb ihm nichts weiter, als das sausende Geräusch hinter seinem Rücken dem Gegenstand zuzuordnen, der nur einen Lidschlag darauf wuchtig seinen Kopf traf, dann abrutschte und oberhalb seiner Schulter in sein Blickfeld geriet - ein schwerer Knüppel. Taumelnd drehte er sich um, aber er konnte nichts mehr erkennen, weil ihm schwarz vor Augen wurde. Weitere Hiebe fuhren auf ihn nieder. Er hörte das Knacken, mit dem sein Schädel brach, doch gnädigerweise spürte er keinen Schmerz. Seinen Mörder konnte er nicht mehr sehen.
...
Copyright Deutsche Originalausgabe © 2012
by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
»Fort mit euch! Ihr kriegt nichts mehr!« Lachend schob Madlen die Becher zurück, die ihr von zwei beharrlichen Gästen entgegengereckt wurden. »Für heute ist Schluss!«
Maulend zogen die beiden von dannen. Die Schankstube Zum Goldenen Fass leerte sich nur langsam. Nach den ausschweifenden Vergnügungen und den durchzechten Nächten des Karnevals mochten die üblichen Besucher der Schänke sich noch nicht recht mit den Beschränkungen der Fastenzeit abfinden, die in der Vorwoche begonnen hatte.
Konrad, Madlens Mann, machte sich an die undankbare Aufgabe, den letzten noch verbliebenen Gast aufzuwecken, der den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet hatte und laut vor sich hin schnarchte. Er war schon betrunken im Goldenen Fass aufgekreuzt und befand sich nach etlichen Bechern starken Würzbieres im Vollrausch. Ohne die tatkräftige Hilfe von Caspar, dem Knecht, wäre es Konrad nicht gelungen, den Mann nach draußen zu bugsieren.
Es war längst dunkel, vor einer Weile hatte es bereits zur Komplet geläutet, doch rechter Hand in Richtung Neumarkt war noch Fackellicht zu sehen. Konrad gab dem Betrunkenen einen Schubs in die passende Richtung. »Da drüben auf dem Platz sind noch Leuchtenmänner. Eine gute Nacht wünsche ich dir.«
»Mo-morgen komm ich wieder«, lallte der Mann. »W-weil euer B-Bier so gut ist!« Summend torkelte er davon.
»Müde?« Konrad trat zu Madlen, legte die Arme um sie und küsste sie auf die Wange.
Seufzend schmiegte sie sich an ihn. »Ja, und wie. Aber es war ein guter Tag. Wir haben viel verkauft.«
»Nie schmeckt das Bier besser als zur Fastenzeit«, bemerkte Caspar im Hintergrund.
Madlen lachte, und die Männer stimmten ein. Einträchtig und mit eingespielten Handgriffen machten sie sich ans Aufräumen. Während Konrad die leeren Trinkgefäße und fettigen Speisebretter einsammelte und in den Spülbottich legte, fegte Caspar den Steinboden und hob herabgefallene Becher auf. Wasser platschte, als Madlen mit Bürste und nassem Putzlumpen den fleckigen Bänken und Tischen zu Leibe rückte. Die Türen zur Straße und zum Hof hin standen weit offen, um die frische Abendluft hereinzulassen und den schweren Bierdunst und den Geruch verschwitzter Leiber und verqualmter Fackeln zu vertreiben.
Madlen legte die Schürze ab, verschloss die Tür zur Gasse und ging hinüber in das auf dem Hof gelegene Sudhaus, um dort nach dem Rechten zu sehen, so wie sie es immer vor dem Schlafengehen tat.
Berni und Willi, die zwei Lehrbuben, schliefen auf ihren Strohsäcken in der Braustube. Madlen ging auf Zehenspitzen an ihnen vorbei und schirmte die kleine Talgleuchte mit der Hand ab, um die beiden nicht zu stören. Der Knecht Caspar war ihr ins Brauhaus gefolgt, um sich ebenfalls zur Ruhe zu begeben. Als er die Stiege zum Boden erklomm, wo sich seine Schlafstatt befand, wünschte Madlen ihm flüsternd eine gute Nacht.
Es war still, nur das Stroh raschelte, als Berni sich auf seinem Lager herumwälzte. Der Lehrjunge stöhnte mit offenem Mund und murmelte dann eine unverständliche Verwünschung, gleichzeitig streckte er die Hand aus, als müsse er im Schlaf einen Gegner abwehren. Plötzlich fuhr er hoch und starrte mit halb offenen Augen geradeaus. »Nein!«, stöhnte er. »Tu das nicht! Lass mich los!«
Beunruhigt trat Madlen näher, doch Berni war gar nicht richtig wach. Im nächsten Moment war er auf sein Lager zurückgesunken und schlief weiter. Offensichtlich hatte er nur schlecht geträumt. Madlen verharrte und lauschte seinen ruhigen Atemzügen, dann ging sie an den großen Bottichen vorbei hinaus auf den Hof und von dort durch die Hintertür ins Wohnhaus. In der Stube roch es nach Kaminrauch und nach dem Kohlgemüse, das es heute zum Essen gegeben hatte. Aus der Kammer hinter der Feuerstelle war das Schnarchen von Madlens Großvater zu hören, er hatte sich schon am frühen Abend zur Ruhe begeben.
Unter der Stiege, die nach oben führte, hatte Irmla ihr Lager, auch sie schlief bereits seit Stunden. Gerade als Madlen die Stufen hinaufging, ließ die Magd direkt unter ihr im Schlaf knatternde Winde entweichen, deren Gestank sich mit den üblen Kohldünsten der Kochstelle vereinte. Madlen seufzte unhörbar, weil sie sich an einen lange gehegten Wunsch erinnerte.
»Ich möchte hinten im Hof ein separates Küchenhäuschen haben«, teilte sie Konrad mit, der sich schon ins Bett gelegt hatte. »Eigentlich geht mir das schon lange im Kopf herum. Wir hätten dann mehr Platz hier im Haus. In einer separaten Küche könnte Irmla ganz ungestört schalten und walten. Und auch dort schlafen.«
»Und furzen«, ergänzte Konrad belustigt.
Madlen erwiderte sein Grinsen, und als er unversehens aus dem Bett stieg und sie schwungvoll an sich zog, kicherte sie unterdrückt. »Was tust du da?«
»Meiner schönen Frau beim Ausziehen helfen.« Er war bereits nackt und schien es eilig zu haben, sie ebenfalls in diesen Zustand zu versetzen. Madlen war es nur recht; ihr Herz klopfte schneller, als sie seine zupackenden Hände auf ihrem Körper spürte. Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, doch seine Frau war sie erst seit knapp zwei Jahren, und die körperlichen Freuden der Ehe trugen viel zu ihrer Zufriedenheit bei. Während der Fastenzeit war es Sünde, allzu häufig beieinanderzuliegen, doch Madlen und Konrad nahmen es damit nicht sonderlich genau.
Irgendetwas, so hatte Konrad in seiner sorglosen Art gemeint, müssten sie ja schließlich auch zu beichten haben.
Hastig half Madlen ihm beim Hochziehen ihres Gewandes und zerrte es sich anschließend kurzerhand zusammen mit dem Unterkleid über den Kopf, wobei sich ihr Gebende löste und dem sittsam geflochtenen Zopf etliche Strähnen entwichen. Nackt stand sie vor Konrad, der beide Arme ausstreckte und sie fest an sich zog. Mit einer Hand zupfte er ihr das Band aus den Haaren, das ihren Zopf zusammenhielt, und strähnte es mit den Fingern bis zu den lockigen Spitzen, bis es sich wild um ihr Gesicht ringelte und frei bis zu ihren Hüften hinabfiel.
»Bei Gott, du bist schöner als eine Königin!«
Madlen lachte atemlos. »Du hast noch nie eine Königin gesehen!«
»Das muss ich auch nicht, denn ich habe ja dich«, erklärte er schlicht, während er den Kopf neigte, um sie zu küssen. Er war nicht viel größer als sie, kaum eine Handbreit, und ihre Körper schmiegten sich in vollkommener Harmonie aneinander, wenn er sie in den Armen hielt. Madlen hatte das Talglicht auf ihre Betttruhe gestellt, die seitlich versetzt vor dem Alkoven stand und zusammen mit einer weiteren Truhe, einem Hocker, einem kleinen Betschemel und einem zierlichen geschnitzten Eckaltar das gesamte Mobiliar der Kammer bildete.
Madlen rieb sich in wachsender Leidenschaft an Konrads Körper, während er sie begierig streichelte und küsste. Er war sehnig und stark, voll männlicher Kraft mit seinen einundzwanzig Jahren, und mit seinem hübschen Gesicht hätte er bestimmt so mancher Jungfer den Kopf verdreht, wenn Madlen nicht frühzeitig darauf geachtet hätte, dass sein Herz immer dort blieb, wo es hingehörte: bei ihr. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon viel früher heiraten können, doch ihr Vater hatte darauf bestanden, dass er zuerst seine Lehrzeit und eine Gesellenreise hinter sich brachte. Madlen hatte ihn heimlich zum Abschied geküsst und ihn beschworen, zu ihr zurückzukehren.
Er packte ihre Hüften und ging leicht in die Knie, um stehend in sie eindringen zu können. Madlen keuchte und warf den Kopf zurück. »Konrad«, stöhnte sie. »Das ist wundervoll!«
»Es wird noch besser, mein Liebes.« Sein Glied schob sich hinein und hinaus, sacht zuerst, dann mit wachsendem Nachdruck, und schließlich hielt es sie beide nicht mehr auf den Beinen, keuchend sanken sie auf der Bettstatt nieder. Er war über ihr, drängte ihre Schenkel auseinander und stieß schnell und heftig in sie. Unter den abgehackten, rhythmischen Bewegungen begann das Holzgestell erbärmlich zu knarren und zu quietschen, sodass Madlen überzeugt war, es müsse nicht nur im ganzen Haus, sondern auch drüben in der Braustube zu hören sein. Doch es war ihr völlig gleichgültig, sie war wie trunken vor Lust und erlebte wenig später einen erfüllenden Höhepunkt, der sie kraftlos und benommen zurückließ. Unmittelbar darauf bäumte auch Konrad sich ein letztes Mal über ihr auf, bevor er sich schwer atmend neben ihr auf das Lager fallen ließ und sie fest umschlang.
Für sie waren dies die kostbarsten Augenblicke des Tages: so in seinen Armen zu liegen, die Wange gegen seine Brust geschmiegt, seinen hämmernden Herzschlag in ihrem Ohr, seinen steten Atem in ihrem Nacken und ihrem Haar, seine Hände, die liebkosend über ihren Rücken strichen und sie daran erinnerten, wie sehr sie das brauchte. Wie sehr sie ihn brauchte.
»Du sollst dein Küchenhäuschen kriegen«, versprach er schläfrig. »Gleich nach Ostern mache ich mich mit Caspar an die Arbeit. Irmla wird wahre Luftsprünge machen vor Freude. Und wir können es jede Nacht treiben, ohne fürchten zu müssen, dass sie davon aufwacht und neidisch wird.«
Madlen lächelte an seiner Brust. Das Herz wollte ihr vor Liebe überfließen, und bevor sie einschlief, sandte sie ein stummes Dankesgebet zur heiligen Ursula. Und dann - man konnte nie wissen - noch eines zum heiligen Petrus von Mailand, den die Bruderschaft der Brauer unlängst zu ihrem Schutzpatron erkoren hatte. Gewiss konnte es nicht schaden, wenn sie ihre Gebete nun häufiger auch an diesen neuen Heiligen richtete. Wie es schien, war er Gottes Gnade in besonderem Maße teilhaftig geworden, weil sich in ihrem und Konrads Leben alles so wunderbar zum Guten gefügt hatte. Ein tiefes Gefühl von Glück und Dankbarkeit begleitete Madlen in den Schlaf.
Konrad wachte von einem ungewohnten Geräusch auf, doch als er sich auf einen Ellbogen aufstützte und in die Dunkelheit lauschte, hörte er nichts außer den sanften Atemzügen seiner Frau. Mondlicht fiel durch die offene Fensterluke in die Kammer und zeichnete die Umrisse ihres Oberkörpers nach. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm angewinkelt hinter dem Kopf, den anderen unter dem Laken. Ihre Hand berührte seinen Schenkel. Sie schlief immer so - mit einer Hand auf seinem Körper, als müsse sie sich auch im Schlaf noch vergewissern, dass er bei ihr war. Ihre festen, runden Brüste schimmerten verlockend im matten Licht des Mondes, und Konrad spürte das Blut in seine Lenden strömen. Madlen so nah bei sich zu haben und sie besitzen zu wollen - das war für ihn eins, in jeder Nacht, die sie in seinen Armen verbrachte. Ob das wohl jemals endete? Er hoffte und betete inständig, dass es ein Leben lang so bleiben möge. Soweit es ihn betraf, wusste er genau, dass er sie bis zu seinem Tod begehren und lieben würde. Er hatte sie schon geliebt, als sie beide noch Kinder gewesen waren und er im Alter von zwölf Jahren bei ihrem Vater in die Lehre gegeben worden war. Natürlich war es anfangs eine keusche und zaghafte Liebe gewesen, lüsterne Gedanken waren ihm erst gekommen, als seine Knabenjahre sich dem Ende zuneigten und er die ersten feuchten Träume erlebt hatte. Sie hatten einander scheue und sehnsuchtsvolle Blicke zugeworfen, sich im Vorbeigehen wie unabsichtlich berührt. Alle im Haus hatten sich darüber lustig gemacht, auf eine wohlwollende und nachsichtige Weise, die der freundlichen Zukunft, die auf die beiden jungen Leute wartete, Rechnung trug. Der Lehrbub und die Tochter des Braumeisters - eine Verbindung, die nicht nur vernünftig, sondern erwünscht war. Madlen und er waren gleichsam von Beginn an füreinander bestimmt gewesen.
Er beugte sich über sie und küsste sacht eine der verführerisch prallen Halbkugeln, als er erneut das Geräusch hörte. Diesmal gab es kein Vertun - es kam von draußen, vom Hof. Konrad hob den Kopf und versuchte, es einzuordnen. Es war das Rasseln und Schaben der Hundekette. Das war das höchste Anzeichen von Aufregung, das von dem alten Spitz noch zu erwarten war. Bellen konnte der Hund schon lange nicht mehr. Konrad schlug die Decke zurück und stand auf. Madlen bewegte sich und tastete vergeblich nach ihm. »Konrad?«, murmelte sie schlaftrunken.
»Schlaf weiter, Liebes«, flüsterte er. »Ich bin gleich zurück.«
Im Dunkeln ging er nach unten. In der Stube herrschte völlige Finsternis. Die beiden Läden zur Straße hin waren zugezogen, und das Nachtlicht, mit dem der alte Cuntz sich den Weg zur Latrine ausleuchtete, befand sich in dessen Kammer. Die Tür zu dem kleinen Schlafgemach hinter dem Kamin war geschlossen, offenbar hatte Cuntz die nötigen Gänge für diese Nacht hinter sich gebracht.
Konrad tastete sich vorwärts, an der Wand entlang bis zur Hintertür. Er stieß sie auf und trat ins Freie. Silbernes Mondlicht lag über Hof und Garten. Schwarz ragten die schemenhaften Umrisse von Brauhaus und Schuppen zu beiden Seiten des Hofs auf. Die im Hintergrund sichtbaren Silhouetten der Bäume und Büsche verschwammen mit der Nacht.
»Ist da jemand?«, rief Konrad halblaut. Vor einem kleinen Verschlag am Rand des Hofs lief der betagte Spitz hin und her und zerrte an der Kette. Etwas hatte ihn aufgescheucht, doch der Grund dafür war nirgends zu sehen. Als Hofhund taugte er nichts mehr, seine guten Jahre lagen längst hinter ihm. Konrad tätschelte ihn zwischen den Ohren. »Na, alter Bursche?«, murmelte er. »Was machst du für einen Radau? Hast du schlecht geträumt? Was sollen wir bloß mit dir anfangen, wenn wir schon nachts selber auf uns aufpassen müssen! Aber schlaf nur weiter, ich sehe nach dem Rechten.« Er umrundete den Ziehbrunnen und ging an den Latrinen vorbei zu den hölzernen Anbauten des Haupthauses. Im größten Schuppen, der auch als Wagenhaus und Pferdestall diente, stand der Gaul dösend hinter dem Gatter. Er nahm Konrads Anwesenheit kaum wahr. Dafür jedoch ein nächtlicher Eindringling: Eine Maus flitzte vor Konrads Füßen vorbei und verschwand in einer Bretterritze, dicht gefolgt von einem langen schwarzen Schatten. Gleich darauf ertönte das Kratzen von Krallen auf Holz und ein enttäuschtes Fauchen.
Konrad grinste unwillkürlich; wie der Hund hatte auch der Kater seine Dienste schon besser versehen. Madlen fütterte ihn zu gut.
Er verließ den Schuppen und ging weiter zum Hühnerstall, doch auch hier war nichts Verdächtiges zu entdecken. Im vergangenen Monat hatte ein Fuchs unter den Hennen gewütet, Folge einer versehentlich offen gelassenen Stalltür und eines losen Bretts im Zaun. Der alte Hofhund hatte den Überfall verschlafen, folglich hatte niemand den dreisten Räuber daran gehindert, vier Hühnern den Hals durchzubeißen und mit einem fünften zu verschwinden.
Konrad wandte horchend den Kopf. Hinten im Garten, zwischen den Obstbäumen und dem Zaun, der das Grundstück an der Rückseite begrenzte, raschelte es vernehmlich. Doch gleich darauf verstummte das Geräusch wieder, sicher waren es nur Wühlmäuse, die im Dunkeln nach Futter suchten. Vom Kater war weit und breit nichts zu sehen, nach der misslungenen Jagd im Stall versuchte er wohl sein Glück in der Nachbarschaft.
Konrad ging zum Haus zurück und dann in die von einem gemauerten Bogen überdachte Einfahrt. Zwischen Schank- und Wohnhaus befand sich die Falltür zum Keller, doch sie war verschlossen. Der Hund war wieder aufgestanden und lief umher, das metallische Rasseln der Kette hallte durch die Einfahrt. Konrad ging zum Tor, das die Einfahrt zur Straße hin verschloss, aber auch dieses war fest verriegelt.
Das Kettenrasseln hatte aufgehört. Vielleicht hatte sich ein fremder Kater im Garten herumgetrieben. Konrad ging zurück auf den Hof. Beim Brunnen blieb er stehen und lauschte abermals, doch alles blieb still. Die Luft war für die frühe Jahreszeit ungewöhnlich mild, fast schon frühlingshaft. Die Nacht war sternenklar, das Firmament übersät von schimmernden Lichtpunkten. Er legte die Hände auf die Einfassung des Brunnens und seufzte. Schultern und Arme taten ihm weh von dem stundenlangen Ausschank, und an der rechten Hand hatte er eine schmerzende Brandblase, weil er beim Umfüllen des heißen Suds heute unvorsichtig gewesen war. Doch er fühlte sich restlos zufrieden. Das Geschäft ging glänzend, jeden Tag war die Schankstube zum Bersten voll. Es war an der Zeit, neue Wege einzuschlagen und ein zweites Brau- und Schankhaus zu eröffnen. Madlen und er hatten bereits Verhandlungen mit einem Weinhändler aufgenommen, der eine Haushälfte in der Mühlengasse zu verpachten hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Alter Markt. Ein Gebäude, das sich großartig zum Brauen eignete, mit einem großen, kühlen Gewölbekeller als Lager ...
Ein Winseln ließ Konrad zusammenfahren. »Spitz?« Rasch umrundete er den Brunnen und ging zur Hundehütte. »Was ist mit dir?« Ein seltsam ziehendes Atemgeräusch antwortete ihm, doch der Hund rührte sich kaum, auch nicht, als Konrad neben ihm in die Hocke ging und ihm über das Fell strich. Dann spürte er die Nässe unter seinen Fingern und roch den kupfrigen, süßlichen Geruch von Blut.
Im selben Moment hörte er die Schritte hinter sich und verlor wertvolle Zeit, um sich aufzurichten statt sich einfach zur Seite zu werfen, was ihm vielleicht geholfen hätte, dem Angriff zu entgehen. So aber blieb ihm nichts weiter, als das sausende Geräusch hinter seinem Rücken dem Gegenstand zuzuordnen, der nur einen Lidschlag darauf wuchtig seinen Kopf traf, dann abrutschte und oberhalb seiner Schulter in sein Blickfeld geriet - ein schwerer Knüppel. Taumelnd drehte er sich um, aber er konnte nichts mehr erkennen, weil ihm schwarz vor Augen wurde. Weitere Hiebe fuhren auf ihn nieder. Er hörte das Knacken, mit dem sein Schädel brach, doch gnädigerweise spürte er keinen Schmerz. Seinen Mörder konnte er nicht mehr sehen.
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Copyright Deutsche Originalausgabe © 2012
by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Charlotte Thomas
Charlotte Thomas war Richterin und Rechtsanwältin, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, widmete. "Die Liebenden von San Marco" ist der dritte große historische Roman der versierten Venedigkennerin, die bereits mit ihren Bestsellern "Die Madonna von Murano" und "Die Lagune des Löwen" die Leser begeisterte. Charlotte Thomas lebt mit ihren Kindern am Rande der Rhön in Hessen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Charlotte Thomas
- 2012, 508 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ehrenwirth
- ISBN-10: 3431036503
- ISBN-13: 9783431036503
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