Das System
Als Mark Helius zwei Mitarbeiter seiner Softwarefirma tot auffindet, weiß er, dass im Internet etwas Mörderisches vorgeht. Stecken Cyber-Terroristen dahinter?...
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Als Mark Helius zwei Mitarbeiter seiner Softwarefirma tot auffindet, weiß er, dass im Internet etwas Mörderisches vorgeht. Stecken Cyber-Terroristen dahinter? Oder hat das Datennetz ein Eigenleben entwickelt? Eine Jagd auf Leben und Tod beginnt, während rund um den Globus das Chaos ausbricht.
Dieser atemberaubende Thriller zeigt beklemmend realistisch, wie schnell unsere technisierte Welt aus den Fugen geraten kann.
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Das System von Karl Olsberg
LESEPROBE
1 .
InternationaleRaumstation ISS,
Mittwoch14:58 Uhr
Dasschrille Pulsieren der Sirene gellte durch die Station. Der Ton signalisiertedie zweithöchste Alarmstufe: einen schwerwiegenden Systemausfall, der einensofortigen menschlichen Eingriff erforderlich machte.
Andrea Cantoni zuckte zusammen. Nicht schon wieder! DerKugelschreiber, mit dem er gerade den aktuellen Zustand seinerHefepilz-Kolonien notierte, glitt ihm aus der Hand. In einer langsamenKreiselbewegung schwebte er davon. Cantoni griffhastig danach, versetzte dem Stift aber nur einen Stoß, so dass er umsoschneller rotierte und wie eine taumelnde Minirakete davonjagte, gegen einender Laptops prallte, die an der Wand des Labors befestigt waren, und irgendwoim Chaos aus Apparaturen, experimentellem Material, Werkzeug undPlastikschläuchen verschwand.
Zum Teufelmit dem Kugelschreiber. Es war bereits der dritte, den er an Bord derInternationalen Raumstation verloren hatte, aber Kulis waren eines der wenigenDinge, von denen hier kein Mangel herrschte. Cantonihatte immer geglaubt, normale Kugelschreiber könnten in der Schwerelosigkeitnicht funktionieren, und eines dieser teuren, druckbetriebenen Schreibgerätemit an Bord genommen. Juri Orlov, der russischeKommandant der Station, hatte nur gelächelt und ihm eine billigePlastikvariante mit dem Werbeaufdruck einer russischen Fluggesellschaft in dieHand gedrückt, die tatsächlich tadellos schrieb. Das war vor einhundertvierTagen gewesen. Bei Gott, er war schon viel zu lange hier!
Er stießsich mit den Händen vorsichtig ab und versuchte, mit der Eleganz eines Fischesdurch den Raum zu schwimmen, aber in all der Zeit hatte er es nicht geschafft,jene fließenden Bewegungen zu erlernen, mit denen sich Orlovin weniger als zwanzig Sekunden von einem Ende der fünfzig Meter langen Stationzum anderen begeben konnte, ohne auch nur eines der engen Schotts zu berühren.Er stieß sich die Schulter an dem engen Durchlass, der vom Destiny-Laborin das Unity-Verbindungselement führte. Dann zog er sichdurch das Zarya-Modul, das früher einmal das Herz derStation gewesen war, heute jedoch hauptsächlich als Lagerraum benutzt wurde.Es war so vollgestopft mit allen möglichen Dingen,die man zum Leben und Arbeiten an Bord brauchte, dass man sich darin vorkam wiein einem fliegenden Besenschrank.
Endlicherreichte er Zvezda. Der etwa zehn Meter lange und imDurchmesser drei Meter breite Raum war genauso angefüllt mit elektronischemGerät und durch Klettband befestigten Utensilien wie der Rest der Station. Nurmit Hilfe des Computers war es noch möglich, die Position der mehr alszehntausend Gegenstände an Bord zu bestimmen.
Orlov warnicht da. Sein Schlafsack, befestigt an der Decke des Wohnmoduls, war leer.Verblüfft sah Cantoni sich um, bevor ihm klar wurde,dass der Russe gerade auf der Toilette sein musste, dem einzigen Ort, an dem manso etwas wie eine Privatsphäre hatte.
Sein Blickfiel auf den Bildschirm des Zentralcomputers. »System overload«stand dort. Eine Fehlermeldung, die er noch nie gesehen hatte. Er konnte sichauch nicht erinnern, dass sie jemals beim technischen Training erwähnt worden wäre.Er zog sich zu der Schaltkonsole herab und deaktivierte den blinkendenAlarmknopf. Die Sirene verstummte, aber dafür signalisierte ein mehrstimmigesPiepen, dass Mission Control dringend mit derBesatzung sprechen wollte.
Cantoni wolltegerade den Telefonhörer neben dem Schaltpult aufnehmen, als ein schlürfendesGeräusch ertönte. Kurz darauf öffnete sich die Tür zu der kleinenToilettenkabine, und Orlov schwebte zu ihm. Seinzerzaustes schwarzes Haar stand in alle Richtungen ab und verlieh ihm einenwilden Ausdruck.
»Was hastdu gemacht?«, fragte er mit schwerem Akzent. Seinebraunen Augen unter den dicken Brauen funkelten böse.
»Gar nichtshabe ich gemacht!«, antwortete Cantoni,eine Spur zu defensiv. Er mochte den grobschlächtigen Russen mit seiner oftunflätigen Art nicht besonders.
Orlovsagte nichts. Er ignorierte das Piepen der Kommunikationsleitungen, schubste Cantoni grob zur Seite, so dass dieser gegen den Klapptischan der Wand stieß, und machte sich an der Tastatur des Computers zu schaffen.Unter einem Schwall russischer Flüche versuchte er vergeblich, die Fehlermeldungzum Verschwinden zu bringen und in das Hauptmenü zu kommen. Endlich gab er aufund nahm den Hörer ab. »Orlov hier ... ja ... keineAhnung, warum ... System overload ... nein ... weißich auch nicht ... Ich mache jetzt System reset okay.«
Er legteauf und drückte einen Moment lang einige Tasten gleichzeitig. Nichts geschah.Er fluchte noch einmal, dann öffnete er eine kleine Klappe an der Seite derKonsole und betätigte einen roten Knopf. Endlich verschwand die Fehlermeldung.Der Bildschirm wurde schwarz, und die Startsequenz des Systems erschien.
Orlovwandte sich zu Cantoni um. »Das ist jetzt das dritte Malin den letzten zwei Wochen, dass der Computer abstürzt!«Seine Stimme klang zornig.
»Ich weiß«,sagte Cantoni. Es war ziemlich schwierig, einenSystemabsturz nicht zu bemerken, wenn man in einem gottverdammten Blechsargdreihundert Kilometer über der Erde schwebte und das eigene Leben davon abhing,dass die Technik funktionierte.
»Mission Control kann sich die Fehlfunktion nicht erklären«, fuhr Orlov fort. »Die Hardware ist in Ordnung, sagen sie, undein Softwarefehler kann es auch nicht sein. Die Fehlermeldung tritt nur auf,wenn der Computer mit komplizierten Rechenaufgaben überlastet ist. Das Systemist auf die sechzehnfache Rechenkapazität dessen ausgelegt, was im schlimmstenFall, bei gleichzeitiger Grenzfalloptimierung aller Systeme an Bord, gebrauchtwerden könnte. Es kann also eigentlich gar nicht überlastet sein.«
Cantonizuckte mit den Schultern. »Computer ...«
»Ich glaubenicht mehr an ein Computerproblem«, sagte Orlovlangsam. »Ich denke an Sabotage.«
Cantoniglaubte einen Moment, nicht richtig verstanden zu haben. Aber der Blick desRussen verriet tiefes Misstrauen und kaum im Zaum gehaltene Wut.
»Sabotage?Was ... was willst du damit sagen?«
»Was ichsagen will, ist, dass irgendjemand den Computer manipuliert haben muss.«
»Juri,außer uns beiden ist niemand hier.«
»Das stimmt.«
»Meinst du,jemand von außen hat sich irgendwie hier reingehackt? Du weißt, dass dasunmöglich ist!«
»KeineAhnung. Komisch ist nur: Ich war jedes Mal nicht da, als es passierte. Beimersten Mal habe ich geschlafen. Beim zweiten Mal war ich in Destiny.Und jetzt auf der Toilette. Ist vielleicht Zufall. Aber ich glaube nicht anZufälle. Nicht mehr!«
Cantonispürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Er ballte seine Hände zu Fäustenund schloss für einen Moment die Augen. Ruhig bleiben. Er atmete tief aus. Dannsagte er: »Juri, warum in Gottes Namen hätte ich absichtlich den Computer zumAbsturz bringen sollen?«
Orlovgrinste, was sein Gesicht mit dem struppigen schwarzen Bart nur noch wilderwirken ließ. »Du bist Italiener. Schlau, aber feige. Du hast Angst hier oben.Angst vor dem Versagen der Technik. Du willst nach Hause. Du weißt, dieVorschrift sagt, wenn die Technik nicht funktioniert, müssen wir die Stationevakuieren und mit der Sojus-Rettungs
kapsel zur Erde zurückkehren. Mission Controlist kurz davor, den Befehl zu geben. Du hast erreicht, was du wolltest.« Seine Hand schoss vor, packte den Kragen von Cantonis blauem Overall und zog ihn zu sich heran. Cantoni roch Orlovs schlechtenAtem und die Ausdünstungen seines ungewaschenen Körpers. »Aber ich bin derKommandant, und ich sage dir, diese Station wird nicht aufgegeben! Wir bleiben hier,bis die nächste Besatzung uns abholt! Kapiert!«
Cantonirang mit der Fassung. Er unterdrückte den Impuls, Orlovin sein bärtiges Gesicht zu schlagen. Er durfte sich nicht provozieren lassen.Ein ernsthafter Streit zwischen den einzigen beiden Besatzungsmitgliedern derStation konnte katastrophale Folgen haben.
»Juri, ichhabe den Computer nicht sabotiert«, sagte er und konnte das Zittern der Wutüber die ungeheure Anschuldigung nicht ganz unterdrücken. »Ich weiß nicht, wasschiefgegangen ist, aber ich war es nicht. Das musstdu mir glauben!« Er blickte in Orlovsdunkle Augen. »Ja, ich will nach Hause, zu meiner Frau und meinen Kindern. Ichbin schon viel zu lange hier. Aber deshalb riskiere ich doch nicht unser Lebenund die Zukunft der Station! Das kannst du mir doch nicht ernsthaft zutrauen!«
Dass erschon viel länger als die ursprünglich geplanten dreizehn Tage an Bordausharrte, hatte Cantoni dem Umstand zu verdanken,dass das zweite ständige Besatzungsmitglied der Station, der Amerikaner Nick Fletcher, krank geworden und mit CantonisShuttle-Mission zur Erde zurückgekehrt war. Bei der Frage, wer stattdessen biszur nächsten Mission an Bord bleiben sollte, war die Wahl von Mission Control auf ihn gefallen, weil er die Europäische RaumfahrtagenturESA vertrat, die dank einer Budgetkürzung der Amerikaner nun der wichtigsteGeldgeber der Station war.
Alle gingensie davon aus, er sei begeistert, länger an Bord bleiben zu dürfen. SelbstCilia hatte sich gefreut und war stolz auf ihn gewesen. Er hatte geschluckt,versucht, fröhlich zu grinsen, und sich dabei mit dem Gedanken getröstet, dass dienächste Shuttle-Mission außerplanmäßig schon nach zwei Monaten starten würde,um ihn abzuholen. Doch die Amerikaner hatten das Shuttle wieder einmal nicht indie Luft gekriegt, und aus den geplanten vierundsechzig Tagen waren inzwischenüber hundert geworden. Der nächste Start war in zwei Wochen geplant. Cantoni betete jeden Tag dafür, dass es diesmal klappenwürde.
Er hasstedie Enge der Station, den Geruch nach Gummi, Desinfektionsmittel, undmenschlichen Ausdünstungen. Er hasste die Schwerelosigkeit, die einem hin undwieder die Orientierung raubte und immer noch Übelkeitsschübe bei ihm auslöste.Er hasste die langweiligen Workouts, die seine degeneriertenMuskeln straffen sollten, den eintönigen Tagesablauf, die Experimente, die ihmoft wie reine Beschäftigungstherapie vorkamen.
Er hasstedas Gefühl, nur durch eine wenige Millimeter dünne Metallschicht von einerabsolut tödlichen Umgebung getrennt zu sein. Den meisten Menschen auf der Erdewar kaum bewusst, dass Raumfahrt immer noch ein gefährliches Abenteuer war, beidem man sich ständig an der Grenze des technisch Machbaren bewegte. Dabeigenügte schon ein daumennagelgroßer Meteorit oder ein Stück Weltraumschrott, umein faustgroßes Loch in diese Hülle zu reißen und ihn auf der Stelle zu töten.
Am meistenjedoch hasste er es, mit diesem ungehobelten Grobian Juri Orlovhier eingesperrt zu sein. Der Kommandant war einer der erfahrenstenAstronauten der Welt. Er war sogar schon an Bord der MIR gewesen. Aber er warlaunisch und machte aus seiner Abneigung gegen Cantonikeinen Hehl. Nun wurde er auch noch paranoid und stieß abenteuerlicheVerdächtigungen aus, und von Cantoni wurde erwartet,in dieser Situation die Nerven zu behalten. Dabei war er Biologe und keinprofessioneller Astronaut.
»Verschwinde!«, zischte Orlov.
»Juni, ich...«
»Verschwinde!«, brüllte der Russe. »Ich will dich hier nicht mehr sehen!«
Jetztreichte es! »Du dämlicher russischer Idiot!«, schrie Cantoni zurück. »Du gehst mir schon lange auf den Geist mitdeiner rechthaberischen Art, und jetzt fängst du auch noch an durchzudrehen!Reiß dich zusammen, verdammt noch mal! Nur, weil du der Kommandant bist, heißtdas nicht, dass du ...«
Orlovstieß einen langen russischen Fluch aus. Dann nahm er eines der Bordhandbücheraus einem Wandschrank und warf es in CantonisRichtung. »Verschwinde, Saboteur!«, brüllte er, außersich vor Wut. »Wenn ich dich noch einmal in der Nähe des Zentralcomputerserwische, breche ich dir eigenhändig das Genick!«
Cantoniversuchte, dem schweren Gegenstand auszuweichen, doch da er frei im Raumschwebte, konnte er nur hilflos mit den Armen rudern. Das Plastikbuch traf ihnhart an der Stirn und ließ ihn zurücktaumeln. Ein paar winzige rote Kügelchenschwebten zitternd davon.
Cantonifasste sich an den Kopf und starrte ungläubig auf seine blutverschmiertenFinger. Er warf Orlov einen hasserfüllten Blick zu,doch der hatte sich wieder dem Computer zugewandt und ignorierte ihn. Cantoni unterdrückte den Impuls, das Buch zurückzuwerfen.Langsam zog er sich durch das Schott in das Zarya-Modul,suchte eine Weile nach dem Verbandskasten, fand ihn schließlich unter einemtransparenten Wäschesack aus Plastik und klebte sich ein Pflaster auf. Es warnur eine kleine Platzwunde, aber doch ein schwerwiegender Vorfall.
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Autoren-Porträt von Karl Olsberg
KarlOlsberg arbeitet als Unternehmensberater und lebt mit seiner Frau und dreiSöhnen in Hamburg. Geboren wurde er 1960 und studierte in MünsterBetriebswirtschaft. Nebenher eignete er sich verschiedene Programmiersprachenan und war erfolgreich als Erfinder von Computerspielen. "Anwendungenkünstlicher Intelligenz" war das Thema, mit dem er 1988 promovierte. Nach demStudium arbeitete er bei McKinsey, war Marketingleiter eines Fernsehsenders undgründete eine der ersten deutschen Multimedia-Agenturen (1993). Mit dem Aufbaueiner Softwarefirma (1999) erregte er in Fachkreisen Aufsehen und wurde von der"Wirtschaftswoche" als "Start Up des Jahres 2000" ausgezeichnet.
EineAuszeichnung ganz anderer Art bekam Olsberg 2005, als er mit der Kurzgeschichte"Taubers Sammlung" den Wettbewerb des "Buchjournals" gewann. Er schrieb auchdie lustige Geschichte "Hier kommt Elbot!", das Buch zu dem von ihm kreiertenInternet-Roboter. Zu der dreiteiligen ZDF - Dokumentation, die sich wissenschaftlichund fiktional mit unserem Alltag in 50 Jahren beschäftigt, verfasste erzusammen mit Claudia Ruby und Ulf Marquardt das Begleitbuch "2057 - Unser Lebenin der Zukunft".
Nun war dieZeit reif für den ersten Roman von Karl Olsberg, es entstand der Thriller "DasSystem". Die Geschichte spielt in der Welt des Autors, einer Softwarefirma, undbeschreibt, wie ein neu geschaffenes Kommunikationssystem aus den Fugen gerät.Der Protagonist Mark Helius gerät unter Mordverdacht, seine Frau will ihnverlassen, und pleite ist er auch. Hat sich das System DINA verselbstständigt,oder hat jemand nachgeholfen? Der Leser darf mitzittern, auch wenn er keinComputerspezialist ist, denn Olsen schreibt verständlich und erklärt, wenn esnotwendig erscheint. Mancher aber wird nach der Lektüre des Buches über dieaußer Kontrolle geratenen Computersysteme an Goethes Zauberlehrling denken undsich die Zeilen in Erinnerung rufen: "Die ich rief, die Geister, werd ich nunnicht los."
- Autor: Karl Olsberg
- 2013, 10. Aufl., 403 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746623677
- ISBN-13: 9783746623672
- Erscheinungsdatum: 06.09.2007
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