Das verbotene Zimmer
Roman. Deutsche Erstausgabe
In einer Internatsschule geschieht Schreckliches: Kinder werden in dunkle Zimmer gebracht, wo sie ein unheimlicher Mann erwartet. Eine Zeugin sagt aus - und muss untertauchen. Viele Jahre später muss sich eine ehemalige Schülerin ihrer traumatischen Vergangenheit stellen.
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Produktinformationen zu „Das verbotene Zimmer “
In einer Internatsschule geschieht Schreckliches: Kinder werden in dunkle Zimmer gebracht, wo sie ein unheimlicher Mann erwartet. Eine Zeugin sagt aus - und muss untertauchen. Viele Jahre später muss sich eine ehemalige Schülerin ihrer traumatischen Vergangenheit stellen.
Klappentext zu „Das verbotene Zimmer “
In einem Kinderheim geschehen schreckliche Dinge. Kinder werden in dunkle Zimmer gebracht, von Männern, denen sie vertrauen sollen. Eine Zeugin sagt aus und muss untertauchen. Jahre später: Nina führt mit Mick und Tochter Josie ein sorgloses Leben. Bis ein Mann auftaucht, und Ninas Vergangenheit auf einmal wieder lebendig wird. Doch dann verschwindet Josie, und Nina steht vor dem schwersten Weg ihres Lebens.
Lese-Probe zu „Das verbotene Zimmer “
Das verbotene Zimmer von Sam Hayes1
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Nina Kennedy streifte sich die Schuhe ab und mas-
sierte ihre wunden Füße. »Hol mir bitte eine Kopfschmerztablette, mein Schatz.« Sie schloss die Augen.
»Hier, Mum.« Josie reichte ihr die Tablette mit einem Glas Wasser. »Alles in Ordnung?«
Nina lächelte trotz der Schmerzen. »Ja, klar.« Sie rieb sich die Stirn. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, doch sie hatte jede Minute genossen. »Ich spüre meine Füße nicht mehr, und mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen, aber das war die Sache auf jeden Fall wert.« Nina umarmte ihre Tochter. »Mit dieser Präsentation habe ich es geschafft!«
»Du meinst ... du hast den Vertrag bekommen?« Josie blinzelte ein paar Mal - ein Tick, der sie schon seit Jahren plagte - und wagte vor Spannung kaum zu atmen. Als sie sich das lange Haar zurückstrich, kam ein schmales Gesicht zum Vorschein, dessen Züge nicht mehr ganz zu einem Kind, aber auch noch nicht zu einer Frau passten.
»Genau. Damit ist Chamäleon Special Effects offiziell für Maske und Effekte der nächsten drei Filme von Charterhouse Productions zuständig.«
Josie presste die Lippen aufeinander und dachte für einen Augenblick schweigend nach. »In den Pinewood-Studios?«, fragte sie schließlich.
Nina nickte und schluckte die Tablette. »Mit Grab geht es los. Die Aufnahmen beginnen in zwei Wochen. Weil dann ja noch Ferien sind, kannst du mich zum Set begleiten.« Nina ließ die Jacke von den Schultern auf die Sessellehne gleiten. Ihre Tochter war geradezu besessen von der Schauspielerei, aber es war eine harmlose Schwärmerei und gab dem jungen Mädchen die Möglichkeit, seine Ängste und Emotionen auszudrücken. Jedenfalls besser, als zu rauchen oder Drogen zu nehmen, fand Nina.
Josie sagte kein Wort. Ihre Augen wurden groß, und sie blies die Backen auf. Dann rannte sie aus dem Zimmer. Einige Sekunden später hörte Nina, wie sie Dampf abließ, indem sie all ihren Freundinnen am Telefon die Neuigkeit mitteilte. Ihre Mum würde berühmte Leute schminken!
Nina ging in die Küche und packte die Lebensmittel aus, die sie auf dem Heimweg gekauft hatte. Dann schenkte sie sich ein Glas Wein ein und setzte sich an den Küchentisch. Sie hätte gern gewusst, ob ihr Grinsen wirklich so breit war, wie es sich anfühlte.
Mick wusste noch nichts von ihrem Erfolg. Sie wollte es ihm erzählen, sobald er zurückkam. Es war der bisher größte Auftrag für Chamäleon. Normalerweise arbeitete sie für Thea terproduktionen, Fotoshootings mit Models, Werbeaufnahmen und hin und wieder fürs Fernsehen. Einige Spielfilme waren auch dabei gewesen, doch das war schon eine Weile her, und sie hatte dabei nur assistiert. Ninas größter Ehrgeiz war es, Chamäleon zu einem herausragenden Namen auf einem hart umkämpften Markt zu machen. Für sie war der neue Auftrag die große Chance, ihr Talent unter Beweis zu stellen, indem sie Schauspieler in Charaktere, Realität in Fiktion verwandelte. Immer ging es um Verwandlung, und darin war Nina am allerbesten.
»Wir fangen schrecklich früh an. Um sieben muss ich schon am Set sein«, erklärte Nina, als sie eine Stunde später das Abendessen auftrug. Sie hatte Bohnensalat und Lamm mit Couscous gekocht. Vom Hunger ins Haus gelockt, hatte Mick für heute Feierabend gemacht. »Wir schaffen das doch, oder?«
»Na klar«, erwiderte Mick und schaute seine Frau begeistert an. Nachdem er eine Weile lang stumm gekaut hatte, fügte er hinzu: »Wegen uns brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« Er blickte seine Tochter liebevoll an und lud ihr eine Portion Bohnen auf den Teller. »Was meinst du, Kürbis, kommen wir beide zurecht?«
Josie zuckte die Achseln und hob angesichts der Bohnenmenge abwehrend die Hände. Sie mochte es nicht, wenn er sie so nannte. Und außerdem gab er ihr immer so viel zu essen, als wollte er sie mästen. Was Josie betraf, hätte ihre Mutter ruhig die ganze Nacht wegbleiben können, solange sie sich nur in den Pinewood-Studios aufhielt. Seit jenem Samstag, als sie im Alter von fünf Jahren ihre Mutter zum ersten Mal zu einer Schauspielgruppe begleiten durfte, wollte Josie Schauspielerin werden. Nie war sie glücklicher, als wenn sie vorgeben konnte, sie sei jemand anderes.
»Du hast es dir wirklich verdient«, sagte Mick und nahm Ninas Hand. »Ich bin stolz auf dich«, fügte er hinzu und verstärkte den Griff um ihr Handgelenk. Dann beugte er sich vor und gab ihr einen Kuss auf den Hals. Alles fügte sich so, wie sie beide es immer geplant hatten.
Später, als Josie in ihr Zimmer gegangen war, setzten sich Nina und Mick nach draußen. Die Abendluft war warm und duftete nach Jasmin, unterlegt mit einem leichten Geruch nach Salz und Watt, der jetzt bei Ebbe von der Flussmündung herüberwehte. Nina atmete tief durch. Es war noch nicht ganz dunkel. Sie lachte im Zwielicht der Dämmerung, und ihr Herz machte vor Freude einen kleinen Hüpfer. »Jetzt haben wir es geschafft.« Nina konnte es kaum abwarten, Laura am nächsten Morgen anzurufen. Ihre Freundin würde sich schrecklich über die Neuigkeit freuen.
»Was geschafft?«, fragte Mick geistesabwesend. Seit Wochen hatte er sich ganz und gar auf seine Arbeit konzentriert. Er verfolgte mit den Augen ein Flugzeug auf seinem Weg aufs offene Meer hinaus. Doch sein Grinsen verriet Nina, dass er sehr wohl wusste, was sie meinte.
»Das alles hier.« Nina lehnte sich zurück und blickte auf ihr Haus. Die Doppelhaushälfte aus den dreißiger Jahren war zwar - wenn auch modernisiert und behaglich - kein Palast, aber für Nina fehlte nicht viel daran. »Dass wir ein eigenes Haus haben, zum Beispiel.«
»Mal abgesehen von der Hypothek«, erwiderte Mick und verdrehte die Augen.
»Wir haben eine schöne Tochter.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung.« Mick war ein hingebungsvoller Vater, ganz im Gegensatz zu den Vätern vieler von Josies Freundinnen, die ihre Kinder nur ab und an bei den gemeinsamen Mahlzeiten, einem Geburtstagsfest oder wenn eine Standpauke fällig war zu Gesicht bekamen.
»Und ich habe einen tollen, gutaussehenden und talentierten Mann«, fuhr Nina mit ihrer Aufzählung fort und unterdrückte dabei ein Lächeln, weil sie genau wusste, was jetzt kam.
»Das kann ich nur voll und ganz unterstreichen.« Mick stellte sein Weinglas ab. Auf dem Tisch flackerte eine Kerze. »Komm her!« Er streckte die Arme nach ihr aus. Sie wusste, Widerstand war zwecklos. Was sie betraf, bekam Mick immer seinen Willen.
Mit den Worten: »Außerdem dürfen wir deine gute Nachricht nicht vergessen«, trank Nina ihren Wein aus und stand auf. »Sie soll nicht wegen meiner unter den Tisch fallen.« Der Holzstuhl knarrte, als sie sich rittlings auf dem Schoß ihres Mannes niederließ. »Endlich läuft es einmal gut für uns. Ich bin so glücklich, Mick!« Sie schaute ihm tief in die Augen, um das Geheimnis darin zu ergründen. Sie war verliebter denn je.
»Für mich lief es von dem Augenblick an gut, als ich dich kennenlernte.« Mick vergrub die Hände in Ninas dichter Mähne und zog ihren Kopf zu sich heran. Sie küssten sich. Nina stieß einen tiefen Seufzer aus - er kam wie aus einer geheimen Quelle von Liebe, die nur für ihn reserviert war. Mick bog den Hals ein wenig zurück und sagte: »Ich möchte dir etwas zeigen.«
»Was denn?« Nina stand auf, als Mick sich bewegte. Sie war aufgeregt. Das war das Schöne an Mick - bei ihm fühlte sie sich so lebendig! Einige von ihren Freunden beklagten sich darüber, dass ihre Ehe schon nach wenigen Jahren in eingefahrenen Gleisen verlief. Untreue, Langeweile, Disharmonie, Arbeitsstress - all das war schuld daran. Nichts dergleichen jedoch bei den Kennedys.
Nina hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, weil ihr Ehemann leidenschaftlich und spontan war und sie noch immer heiß und innig liebte. Sie erinnerte sich daran, wie sie dies eines Abends Laura bei der zweiten Flasche Wein erzählt hatte. Dabei wollte Nina nicht angeben oder die Ehe ihrer Freundin schlechtmachen, doch Mick besaß nun einmal das Talent, ihrer Beziehung frische, aufregende Impulse zu geben. Nina hatte ihre Gefühle einfach nicht für sich behalten können.
»Ich wollte es dir eigentlich erst zeigen, wenn es fertig ist, aber ich kann nicht länger warten«, sagte Mick feierlich.
»Da bin ich aber gespannt, Mr Kennedy.« An der Hand ließ sich Nina durch den Garten zum Atelier führen. Bei ihrem Einzug vor fünf Jahren hatte Mick das Holzhaus aufstellen lassen, und mittlerweile war es praktisch sein zweites Zuhause geworden.
Mitten auf dem Rasen blieben sie stehen, und plötzlich wurde es dunkel vor Ninas Augen. »He, was soll das?«, rief sie, als ihr Mann ihr die Augen zuhielt. Seine Finger rochen nach Nikotin. Nach einem kurzen Moment des Erschreckens lachte sie.
»Folge mir in meine düstere Behausung«, knurrte er übertrieben bedrohlich. »Dort will ich verruchte Dinge mit dir tun.«
Kichernd ließ sich Nina über den Rasen führen. Unter ihren Füßen hörte sie einen Zweig knacken und roch den übersüßen Duft der Teerose, die sie erst vor kurzem gesetzt hatte. »Mick Kennedy, du bist ein übler Schurke, aber ich liebe dich trotzdem.«
Es war der passende Abschluss eines bedeutenden Tages. Sie hörte ihren Mann atmen, als er die Tür aufschloss. Den Schlüssel zu der Hütte mitsamt ihren Schätzen trug er stets bei sich.
In der Hütte roch es nach Micks Eau de Cologne und den Utensilien seiner Arbeit. Die Augen noch immer von seinen Händen verdeckt, hörte Nina, wie er mit dem Ellbogen die Tür zudrückte und das Licht einschaltete. Es war erregend, seine warmen Finger in ihrem Gesicht zu spüren. »Was ist es denn, Mick?«, fragte sie. »Ich komme fast um vor Neugier. Bitte, sag es mir doch!«
Das Licht wirkte grell, als er sie losließ. Sie blinzelte.
»Na, was hältst du davon?« Mit ausgebreiteten Armen trat Mick vor eine große Leinwand. Nina stockte der Atem, ihr ganzer Brustkorb war wie eingeschnürt. Endlich sagte sie: »Es ist wundervoll. Einfach schön.« Tränen traten ihr in die Augen, während sie den lebensgroßen Akt, den er von ihr gemalt hatte, betrachtete. »Es gefällt mir sehr. Aber warum hast du ausgerechnet mich gemalt?«
»Damit ich dich bei der Arbeit immer anschauen kann. In allen Einzelheiten.« Er lächelte mit gespitzten Lippen. Ninas Herz begann zu rasen. »Jetzt, wo der Vertrag mit der MarleyGalerie in London unter Dach und Fach ist, habe ich alle Hände voll zu tun.« Er seufzte. Vielleicht wegen der vielen zusätzlichen Arbeit, dachte Nina. Er stand in letzter Zeit sehr unter Stress. »Du kannst mir ja heute Nacht Gesellschaft leisten«, schlug er vor und freute sich, als sie einverstanden war.
»Es ist so ... so lebensecht!« Nina errötete, als sie näher an das Bild trat und jede einzelne Linie genau betrachtete. Glieder gingen ineinander über, Strähnen von langem Haar lenkten den Blick auf andere Körperteile. Leicht abstrakt wie die meisten seiner Bilder und dennoch mit erlesener Klarheit, hatte Mick Seiten von ihr eingefangen, die ihr schon lange nicht mehr bewusst waren - die Frau und zugleich das junge Mädchen, das Kind, das sie einmal gewesen war.
»Hattest du nicht mehr genug Farbe, um mir Kleider zu malen?« Nina trat zu ihrem Mann und legte ihm die Arme um den Hals.
»So sehe ich dich eben. Frei, schön, nackt. Verletzlich wie ein neugeborenes Kind.«
»Wenigstens hast du mir einen Schal gemalt.« Nina deutete auf den langen Stoffstreifen, der sich lose um ihre beiden Handgelenke schlang. »Hübsch ist der. So einen hätte ich gern.« Dunkellila und rot hob sich der dünne Stoff von ihrer Haut ab. »Aber findest du nicht, dass ich zu mager aussehe?«, fügte sie ein wenig verlegen hinzu.
»So bist du eben«, erwiderte Mick und schraubte einige Farbtuben auf. Kritik konnte er nicht gut vertragen.
»Das finde ich nicht. Ein bisschen dicker, als du mich gemalt hast, bin ich schon.« Nina betrachtete eingehend die Farbschichten, die ihren Körper darstellten. An manchen Stellen hatte Mick mit dem Palettmesser gearbeitet, an anderen dagegen mit einem ganz feinen Pinsel.
»Beweise es mir.« Micks Augen schimmerten blauschwarz.
Für einen Augenblick dachte Nina, er sei sauer wegen ihrer Kommentare, doch dann zog sie die Augenbrauen hoch und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. »Dir ist doch hoffentlich klar, dass du jeden Zentimeter meines Körpers inspizieren musst, um zu überprüfen, ob ich gut getroffen bin.«
Mick grinste. Niemand wurde Zeuge ihrer Leidenschaft, als sie vor dem Bild auf dem Boden lagen. Niemand konnte ihr Glück nachempfinden.
Als Nina mit unsicheren Schritten zum Haus zurückging, war es schon spät. Sie blies die Kerze aus, die noch immer auf der hinteren Terrasse brannte. Mick, der häufig nachts arbeitete, war in seinem hell erleuchteten Atelier geblieben, um zu malen.
Im Badezimmer betrachtete sich Nina im Spiegel. Dann nickte sie langsam. Das Bild sah ihr wirklich ähnlich. Als sie im Bett lag, schaute sie an die Decke, bis sie lächelnd in einen friedlichen Schlummer fiel.
Nina Kennedy streifte sich die Schuhe ab und mas-
sierte ihre wunden Füße. »Hol mir bitte eine Kopfschmerztablette, mein Schatz.« Sie schloss die Augen.
»Hier, Mum.« Josie reichte ihr die Tablette mit einem Glas Wasser. »Alles in Ordnung?«
Nina lächelte trotz der Schmerzen. »Ja, klar.« Sie rieb sich die Stirn. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, doch sie hatte jede Minute genossen. »Ich spüre meine Füße nicht mehr, und mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen, aber das war die Sache auf jeden Fall wert.« Nina umarmte ihre Tochter. »Mit dieser Präsentation habe ich es geschafft!«
»Du meinst ... du hast den Vertrag bekommen?« Josie blinzelte ein paar Mal - ein Tick, der sie schon seit Jahren plagte - und wagte vor Spannung kaum zu atmen. Als sie sich das lange Haar zurückstrich, kam ein schmales Gesicht zum Vorschein, dessen Züge nicht mehr ganz zu einem Kind, aber auch noch nicht zu einer Frau passten.
»Genau. Damit ist Chamäleon Special Effects offiziell für Maske und Effekte der nächsten drei Filme von Charterhouse Productions zuständig.«
Josie presste die Lippen aufeinander und dachte für einen Augenblick schweigend nach. »In den Pinewood-Studios?«, fragte sie schließlich.
Nina nickte und schluckte die Tablette. »Mit Grab geht es los. Die Aufnahmen beginnen in zwei Wochen. Weil dann ja noch Ferien sind, kannst du mich zum Set begleiten.« Nina ließ die Jacke von den Schultern auf die Sessellehne gleiten. Ihre Tochter war geradezu besessen von der Schauspielerei, aber es war eine harmlose Schwärmerei und gab dem jungen Mädchen die Möglichkeit, seine Ängste und Emotionen auszudrücken. Jedenfalls besser, als zu rauchen oder Drogen zu nehmen, fand Nina.
Josie sagte kein Wort. Ihre Augen wurden groß, und sie blies die Backen auf. Dann rannte sie aus dem Zimmer. Einige Sekunden später hörte Nina, wie sie Dampf abließ, indem sie all ihren Freundinnen am Telefon die Neuigkeit mitteilte. Ihre Mum würde berühmte Leute schminken!
Nina ging in die Küche und packte die Lebensmittel aus, die sie auf dem Heimweg gekauft hatte. Dann schenkte sie sich ein Glas Wein ein und setzte sich an den Küchentisch. Sie hätte gern gewusst, ob ihr Grinsen wirklich so breit war, wie es sich anfühlte.
Mick wusste noch nichts von ihrem Erfolg. Sie wollte es ihm erzählen, sobald er zurückkam. Es war der bisher größte Auftrag für Chamäleon. Normalerweise arbeitete sie für Thea terproduktionen, Fotoshootings mit Models, Werbeaufnahmen und hin und wieder fürs Fernsehen. Einige Spielfilme waren auch dabei gewesen, doch das war schon eine Weile her, und sie hatte dabei nur assistiert. Ninas größter Ehrgeiz war es, Chamäleon zu einem herausragenden Namen auf einem hart umkämpften Markt zu machen. Für sie war der neue Auftrag die große Chance, ihr Talent unter Beweis zu stellen, indem sie Schauspieler in Charaktere, Realität in Fiktion verwandelte. Immer ging es um Verwandlung, und darin war Nina am allerbesten.
»Wir fangen schrecklich früh an. Um sieben muss ich schon am Set sein«, erklärte Nina, als sie eine Stunde später das Abendessen auftrug. Sie hatte Bohnensalat und Lamm mit Couscous gekocht. Vom Hunger ins Haus gelockt, hatte Mick für heute Feierabend gemacht. »Wir schaffen das doch, oder?«
»Na klar«, erwiderte Mick und schaute seine Frau begeistert an. Nachdem er eine Weile lang stumm gekaut hatte, fügte er hinzu: »Wegen uns brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« Er blickte seine Tochter liebevoll an und lud ihr eine Portion Bohnen auf den Teller. »Was meinst du, Kürbis, kommen wir beide zurecht?«
Josie zuckte die Achseln und hob angesichts der Bohnenmenge abwehrend die Hände. Sie mochte es nicht, wenn er sie so nannte. Und außerdem gab er ihr immer so viel zu essen, als wollte er sie mästen. Was Josie betraf, hätte ihre Mutter ruhig die ganze Nacht wegbleiben können, solange sie sich nur in den Pinewood-Studios aufhielt. Seit jenem Samstag, als sie im Alter von fünf Jahren ihre Mutter zum ersten Mal zu einer Schauspielgruppe begleiten durfte, wollte Josie Schauspielerin werden. Nie war sie glücklicher, als wenn sie vorgeben konnte, sie sei jemand anderes.
»Du hast es dir wirklich verdient«, sagte Mick und nahm Ninas Hand. »Ich bin stolz auf dich«, fügte er hinzu und verstärkte den Griff um ihr Handgelenk. Dann beugte er sich vor und gab ihr einen Kuss auf den Hals. Alles fügte sich so, wie sie beide es immer geplant hatten.
Später, als Josie in ihr Zimmer gegangen war, setzten sich Nina und Mick nach draußen. Die Abendluft war warm und duftete nach Jasmin, unterlegt mit einem leichten Geruch nach Salz und Watt, der jetzt bei Ebbe von der Flussmündung herüberwehte. Nina atmete tief durch. Es war noch nicht ganz dunkel. Sie lachte im Zwielicht der Dämmerung, und ihr Herz machte vor Freude einen kleinen Hüpfer. »Jetzt haben wir es geschafft.« Nina konnte es kaum abwarten, Laura am nächsten Morgen anzurufen. Ihre Freundin würde sich schrecklich über die Neuigkeit freuen.
»Was geschafft?«, fragte Mick geistesabwesend. Seit Wochen hatte er sich ganz und gar auf seine Arbeit konzentriert. Er verfolgte mit den Augen ein Flugzeug auf seinem Weg aufs offene Meer hinaus. Doch sein Grinsen verriet Nina, dass er sehr wohl wusste, was sie meinte.
»Das alles hier.« Nina lehnte sich zurück und blickte auf ihr Haus. Die Doppelhaushälfte aus den dreißiger Jahren war zwar - wenn auch modernisiert und behaglich - kein Palast, aber für Nina fehlte nicht viel daran. »Dass wir ein eigenes Haus haben, zum Beispiel.«
»Mal abgesehen von der Hypothek«, erwiderte Mick und verdrehte die Augen.
»Wir haben eine schöne Tochter.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung.« Mick war ein hingebungsvoller Vater, ganz im Gegensatz zu den Vätern vieler von Josies Freundinnen, die ihre Kinder nur ab und an bei den gemeinsamen Mahlzeiten, einem Geburtstagsfest oder wenn eine Standpauke fällig war zu Gesicht bekamen.
»Und ich habe einen tollen, gutaussehenden und talentierten Mann«, fuhr Nina mit ihrer Aufzählung fort und unterdrückte dabei ein Lächeln, weil sie genau wusste, was jetzt kam.
»Das kann ich nur voll und ganz unterstreichen.« Mick stellte sein Weinglas ab. Auf dem Tisch flackerte eine Kerze. »Komm her!« Er streckte die Arme nach ihr aus. Sie wusste, Widerstand war zwecklos. Was sie betraf, bekam Mick immer seinen Willen.
Mit den Worten: »Außerdem dürfen wir deine gute Nachricht nicht vergessen«, trank Nina ihren Wein aus und stand auf. »Sie soll nicht wegen meiner unter den Tisch fallen.« Der Holzstuhl knarrte, als sie sich rittlings auf dem Schoß ihres Mannes niederließ. »Endlich läuft es einmal gut für uns. Ich bin so glücklich, Mick!« Sie schaute ihm tief in die Augen, um das Geheimnis darin zu ergründen. Sie war verliebter denn je.
»Für mich lief es von dem Augenblick an gut, als ich dich kennenlernte.« Mick vergrub die Hände in Ninas dichter Mähne und zog ihren Kopf zu sich heran. Sie küssten sich. Nina stieß einen tiefen Seufzer aus - er kam wie aus einer geheimen Quelle von Liebe, die nur für ihn reserviert war. Mick bog den Hals ein wenig zurück und sagte: »Ich möchte dir etwas zeigen.«
»Was denn?« Nina stand auf, als Mick sich bewegte. Sie war aufgeregt. Das war das Schöne an Mick - bei ihm fühlte sie sich so lebendig! Einige von ihren Freunden beklagten sich darüber, dass ihre Ehe schon nach wenigen Jahren in eingefahrenen Gleisen verlief. Untreue, Langeweile, Disharmonie, Arbeitsstress - all das war schuld daran. Nichts dergleichen jedoch bei den Kennedys.
Nina hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, weil ihr Ehemann leidenschaftlich und spontan war und sie noch immer heiß und innig liebte. Sie erinnerte sich daran, wie sie dies eines Abends Laura bei der zweiten Flasche Wein erzählt hatte. Dabei wollte Nina nicht angeben oder die Ehe ihrer Freundin schlechtmachen, doch Mick besaß nun einmal das Talent, ihrer Beziehung frische, aufregende Impulse zu geben. Nina hatte ihre Gefühle einfach nicht für sich behalten können.
»Ich wollte es dir eigentlich erst zeigen, wenn es fertig ist, aber ich kann nicht länger warten«, sagte Mick feierlich.
»Da bin ich aber gespannt, Mr Kennedy.« An der Hand ließ sich Nina durch den Garten zum Atelier führen. Bei ihrem Einzug vor fünf Jahren hatte Mick das Holzhaus aufstellen lassen, und mittlerweile war es praktisch sein zweites Zuhause geworden.
Mitten auf dem Rasen blieben sie stehen, und plötzlich wurde es dunkel vor Ninas Augen. »He, was soll das?«, rief sie, als ihr Mann ihr die Augen zuhielt. Seine Finger rochen nach Nikotin. Nach einem kurzen Moment des Erschreckens lachte sie.
»Folge mir in meine düstere Behausung«, knurrte er übertrieben bedrohlich. »Dort will ich verruchte Dinge mit dir tun.«
Kichernd ließ sich Nina über den Rasen führen. Unter ihren Füßen hörte sie einen Zweig knacken und roch den übersüßen Duft der Teerose, die sie erst vor kurzem gesetzt hatte. »Mick Kennedy, du bist ein übler Schurke, aber ich liebe dich trotzdem.«
Es war der passende Abschluss eines bedeutenden Tages. Sie hörte ihren Mann atmen, als er die Tür aufschloss. Den Schlüssel zu der Hütte mitsamt ihren Schätzen trug er stets bei sich.
In der Hütte roch es nach Micks Eau de Cologne und den Utensilien seiner Arbeit. Die Augen noch immer von seinen Händen verdeckt, hörte Nina, wie er mit dem Ellbogen die Tür zudrückte und das Licht einschaltete. Es war erregend, seine warmen Finger in ihrem Gesicht zu spüren. »Was ist es denn, Mick?«, fragte sie. »Ich komme fast um vor Neugier. Bitte, sag es mir doch!«
Das Licht wirkte grell, als er sie losließ. Sie blinzelte.
»Na, was hältst du davon?« Mit ausgebreiteten Armen trat Mick vor eine große Leinwand. Nina stockte der Atem, ihr ganzer Brustkorb war wie eingeschnürt. Endlich sagte sie: »Es ist wundervoll. Einfach schön.« Tränen traten ihr in die Augen, während sie den lebensgroßen Akt, den er von ihr gemalt hatte, betrachtete. »Es gefällt mir sehr. Aber warum hast du ausgerechnet mich gemalt?«
»Damit ich dich bei der Arbeit immer anschauen kann. In allen Einzelheiten.« Er lächelte mit gespitzten Lippen. Ninas Herz begann zu rasen. »Jetzt, wo der Vertrag mit der MarleyGalerie in London unter Dach und Fach ist, habe ich alle Hände voll zu tun.« Er seufzte. Vielleicht wegen der vielen zusätzlichen Arbeit, dachte Nina. Er stand in letzter Zeit sehr unter Stress. »Du kannst mir ja heute Nacht Gesellschaft leisten«, schlug er vor und freute sich, als sie einverstanden war.
»Es ist so ... so lebensecht!« Nina errötete, als sie näher an das Bild trat und jede einzelne Linie genau betrachtete. Glieder gingen ineinander über, Strähnen von langem Haar lenkten den Blick auf andere Körperteile. Leicht abstrakt wie die meisten seiner Bilder und dennoch mit erlesener Klarheit, hatte Mick Seiten von ihr eingefangen, die ihr schon lange nicht mehr bewusst waren - die Frau und zugleich das junge Mädchen, das Kind, das sie einmal gewesen war.
»Hattest du nicht mehr genug Farbe, um mir Kleider zu malen?« Nina trat zu ihrem Mann und legte ihm die Arme um den Hals.
»So sehe ich dich eben. Frei, schön, nackt. Verletzlich wie ein neugeborenes Kind.«
»Wenigstens hast du mir einen Schal gemalt.« Nina deutete auf den langen Stoffstreifen, der sich lose um ihre beiden Handgelenke schlang. »Hübsch ist der. So einen hätte ich gern.« Dunkellila und rot hob sich der dünne Stoff von ihrer Haut ab. »Aber findest du nicht, dass ich zu mager aussehe?«, fügte sie ein wenig verlegen hinzu.
»So bist du eben«, erwiderte Mick und schraubte einige Farbtuben auf. Kritik konnte er nicht gut vertragen.
»Das finde ich nicht. Ein bisschen dicker, als du mich gemalt hast, bin ich schon.« Nina betrachtete eingehend die Farbschichten, die ihren Körper darstellten. An manchen Stellen hatte Mick mit dem Palettmesser gearbeitet, an anderen dagegen mit einem ganz feinen Pinsel.
»Beweise es mir.« Micks Augen schimmerten blauschwarz.
Für einen Augenblick dachte Nina, er sei sauer wegen ihrer Kommentare, doch dann zog sie die Augenbrauen hoch und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. »Dir ist doch hoffentlich klar, dass du jeden Zentimeter meines Körpers inspizieren musst, um zu überprüfen, ob ich gut getroffen bin.«
Mick grinste. Niemand wurde Zeuge ihrer Leidenschaft, als sie vor dem Bild auf dem Boden lagen. Niemand konnte ihr Glück nachempfinden.
Als Nina mit unsicheren Schritten zum Haus zurückging, war es schon spät. Sie blies die Kerze aus, die noch immer auf der hinteren Terrasse brannte. Mick, der häufig nachts arbeitete, war in seinem hell erleuchteten Atelier geblieben, um zu malen.
Im Badezimmer betrachtete sich Nina im Spiegel. Dann nickte sie langsam. Das Bild sah ihr wirklich ähnlich. Als sie im Bett lag, schaute sie an die Decke, bis sie lächelnd in einen friedlichen Schlummer fiel.
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Autoren-Porträt von Sam Hayes
Sam Hayes ist im englischen Coventry geboren. Nach dem Schulabschluss wollte sie Pilotin werden und lernte fliegen, war dann aber in anderen Berufen, u.a. als Privatdetektivin, Buchhalterin und Kellnerin tätig. Sie lebte in Australien und den USA und kehrte schließlich mit ihrem australischen Ehemann und den drei Kindern in ihre westenglische Heimat zurück. Für ihre Kurzgeschichten hat sie mehrere Preise erhalten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sam Hayes
- 2011, 512 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. Engl. v. Carola Kasperek
- Übersetzer: Carola Kasperek
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548610250
- ISBN-13: 9783548610252
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