Den Wahnsinn überlebt
Erschütterndes Zeitdokument!
Als 18-Jähriger wird Alois Schwaiger unfreiwillig in die Deutsche Wehrmacht eingezogen und nach Russland versetzt. Erst nach fünf Jahren sieht er seine Heimat Österreich wieder tief traumatisiert....
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Erschütterndes Zeitdokument!
Als 18-Jähriger wird Alois Schwaiger unfreiwillig in die Deutsche Wehrmacht eingezogen und nach Russland versetzt. Erst nach fünf Jahren sieht er seine Heimat Österreich wieder tief traumatisiert. Und erst im Alter kann Alois Schwaiger über seine furchtbaren Erlebnisse im Krieg sprechen, die sein Sohn hier aufgezeichnet hat.
Vom 3. bis 4. dieses Monats übernachteten wir in einemBunker nahe der Ortschaft Prochorwka. Bis 3 Uhr Früh wares relativ ruhig, als plötzlich russisches Trommelfeuer der Artillerieeinsetzte. Es wurde unterstützt durch Stalinorgeln* (Mehrfachraketenwerfer).Zusätzlich tauchten Schlachtflieger auf und deckten uns mit Bomben und MG-Feuerein. Die Erde erzitterte, sie wurde regelrecht umgepflügt, das Getöse war kaumauszuhalten, doch das noch Schrecklichere daran war, dass es für viele von unsTod oder Verstümmelung brachte. Es war fürchterlich. In den wildestenAlbträumen hätte ich mir dieses Szenarium, in welches wir hier geraten waren,nicht vorstellen können. Wir kauerten uns noch tiefer in die Löcher und sahenschon unser Ende nahen. Ich gestehe, die Angst war grenzenlos, jede Minuterechneten wir mit einem Volltreffer.
Es schien, als hätte die Rote Armee unsere Angriffe dieganze Zeit erwartet, um erst jetzt ihre Überlegenheit zu demonstrieren und nuneine entscheidende Wende in diesem Krieg herbeizuführen.
Nach einiger Zeit erreichte uns der Befehl: "Zu denGeschützen, Abwehrfeuer!" Wir wurden aber so von den Einschlägen eingedeckt,dass dies nicht möglich war. Alle waren gezwungen, in den Bunkern auszuharren.Auch hatte niemand eine Ahnung, wie viele Leute von unserer Abteilung überhauptnoch am Leben waren, denn es war immer wieder das Geschrei von Getroffenen zuhören. Ob es in diesem Chaos gelang, alle Verletzten zu bergen und zuversorgen, wagte ich zu bezweifeln.
Um 18 Uhr schien sich das Inferno etwas zu beruhigen. Wirlugten aus den Löchern, um etwas auszuatmen, aber nach kurzer Zeit rücktenschon T-34-Panzer auf uns zu. Wieder hieß es: "Raus aus den Löchern, zu denGeschützen, Abwehrfeuer!"
Zitternd vor lauter Angst richteten wir unsere nochfunktionierenden Geschütze aus und begannen zu feuern. Der Überlebenstriebmobilisierte alle Reserven. Uns gelang es auch, einige Panzer abzuschießen.Aber es tauchten immer mehr auf und sie fuhren im Zickzackkurs, damit sie einschlechtes Ziel böten. Sie beschossen uns mit den Bordkanonen und begannenunsere Stellungen zu überrollen. Eine Verteidigung des Territoriums war imAngesicht dieser Übermacht aussichtslos, alle die noch unversehrt waren,mussten es sofort fluchtartig verlassen. In Panik sprang ich aus dem nochschützenden Bunker. Ich hatte keine Zeit, mich auch nur umzudrehen, ich rannteum mein Leben. Rund um mich spritzte die Erde von den Einschlägen hoch, diePanzer im Nacken hatte ich nur einen Gedanken: "Weg von hier!" Viele andereKameraden, die noch lebten, versuchten sich auch zu retten. Man stolperte überleblose Körper. Es hatte nichts mit einem geordneten Rückzug zu tun, die Fluchtnach hinten war ein Lauf auf Leben und Tod, bei dem man nur auf sich alleinegestellt war. Ich hatte keine Ahnung, wie lange oder wie viele Kilometer ichschon gelaufen war, in dieser Angst hatte ich auch keine Zeit, auf meinenKörper zu horchen, ob er noch durchhalten würde oder nicht. Aber es zeichnetesich ab, dass ich vorerst das Ärgste überstanden hatte. Ich war außerReichweite der Einschläge angelangt. Auch der Lärm war nur mehr inabgeschwächter Form zu hören. Aber noch wiegte ich mich nicht in Sicherheit,unverzüglich hetzte ich weiter.
Nach zirka zwanzig Kilometern fiel mir fast das Herz in dieHose. Auf unserem Fluchtweg kamen uns Panzer entgegen. "Jetzt war allesumsonst", dachte ich, "das kann es ja nicht geben." Ein Kamerad rief: "He, dassind ja unsere!" Und er hatte Recht. Es war eine Tigerpanzereinheit, die denrussischen Durchbruch aufhalten sollte, was auch kurzfristig gelang und unsereweitere Flucht ermöglichte.
Ich hatte an diesem 4. August sehr viel Glück, dass ichnicht zu den Toten gehörte.
Mein Regiment 332 unter der Führung des Majors Lodt setzte sich weiter nach Westen ab. Wir hatten alleGeschütze und einen Großteil der Kameraden verloren.
Ein paar Tage war es ruhig, in einer kleinen Ortschaft konntenwir uns erholen. In den Gärten machten wir uns über die Tomaten und Melonenher. Leider bekamen die meisten, wie auch ich, Durchfall. In diesen "ruhigenTagen" wurde das Regiment mit Ersatzgeschützen ausgerüstet. Es waren diesBeutestücke von den Feinden. Ich hatte Zweifel, ob wir da noch etwas ausrichtenkonnten. Die sofortige Flucht nach hinten wäre sinnvoller gewesen.
Am 13. August um 4 Uhr nachmittags verfinsterte sich aufeinmal der Himmel. Sowjetische Schlachtflieger tauchten auf und luden ihre Bombenfrachtüber dem Ort ab. Schon zitterte die Erde, Einschläge in unserer unmittelbarenNähe. Es wurde sofortiger Stellungswechsel befohlen: "Absetzen nach hinten mitsämtlichem Kriegsgerät!" Für Gegenwehr blieb keine Zeit, denn gleichzeitigsahen wir auch schon wieder die ersten russischen Panzer auf uns zukommen undwieder begann der Wettlauf mit dem Tod.
Das Regiment verzeichnete bis zu 50 Prozent an Ausfällen vonMensch und Material. Am meisten zu schaffen machten uns die Tiefflieger. Sietauchten immer wieder ganz unverhofft auf und dezimierten die Truppe mit ihrenMG-Feuern.
Durch die enorme Schrumpfung legte man mein achtes mit demsiebenten Regiment zusammen. Dort übernahm ich ein pferdebespanntes Geschützund weiter ging es zurück Richtung Kiew. September 1943
Beim Rückzug durch die Ukraine wurden wir am 9. September um9 Uhr vormittags erneut von den Russen aufgerieben. Geschütze, Ausrüstung,alles wurde liegen gelassen und von den Panzern überrollt. Uns Landsern bliebnur die Flucht ums nackte Überleben. Unzähligen gelang dies nicht und siemussten am Schlachtfeld liegen bleiben. Wiederum hatte ich Glück und konntemich mit meinen Pferden retten.
Warum wir immer wiederüberraschenden Feindangriffen ausgesetzt waren
Unser Nachrichten- und Aufklärungsdienst seitens derOffiziere hatte total versagt. Sie waren nicht mehr in der Lage, sich einGesamtbild vom Frontverlauf zu machen und so vielleicht Maßnahmen zu treffenund die Verluste einigermaßen in Grenzen zu halten. Wir Soldaten hattennatürlich über den allgemeinen Kriegszustand in dieser Zeit wenig Ahnung, warenwir doch nur als Kanonenfutter für Führer und Vaterland bestimmt.
Nächtelang kein Schlaf, wochenlang keine Körperpflege,überall Läuse, miserable Verpflegung, ständig unter Feindbeschuss. DasEinzelschicksal spielte überhaupt keine Rolle. Der allgemeine Tenor lautetenur: "Rette sich wer kann!" Immer wieder gab es Tote und Verwundete. BeimRückzug wurden von Vernichtungstrupps Kornfelder, Sonnenblumenfelder, geerntetesGetreide und ganze Dörfer in Brand gesteckt. Wenn man nachts Richtung Ostenzurückblickte, wurde man von Schaudern gepackt. Das Flammenmeer wirkte in derFinsternis noch unheimlicher. Die von Hitler befohlene Taktik der "verbranntenErde" wurde rücksichtslos angewandt.
Am 28. September erreichten wir den Dnjepr.Die Brücke über den riesigen Fluss war Gott sei Dank nicht gesprengt. In derNacht kamen wir endlich in der ukrainischen Hauptstadt Kiew an, die sich nochin deutscher Hand befand. In einer Kaserne bezogen wir Verpflegung, Konserven,Zigaretten und Schnaps. Endlich kamen wir etwas zur Ruhe.
Am nächsten Morgen mussten wir uns am Stadtrand sammeln. Vonmeiner Batterie sind von 250 Mann nur 120 übrig geblieben, das bedeutete dieAuflösung des Regimentes 332.Oktober 1943
Zwischen Kiew und Shitomirnahe der Rollbahn, es war Partisanengebiet, bezogen wir, die 120 Mann,Quartier. Die Zivilbevölkerung war sehr freundlich zu uns Soldaten.
Am 3. Oktober war Erntedank, wir musstenmit den Mädchen tanzen, sie spielten mit der Balalaika. Die Russen versorgtenuns mit Schnaps, Keksen und Mohnstrudel. Das Wichtigste war aber, dass wir unsvon den Strapazen erholen und endlich einmal ausschlafen konnten.
Nach einer Woche ging es schon wieder los. Einsatz 20Kilometer nördlich der Pripet-Sümpfe. Es hielten sichdort angeblich Partisanen in den Wäldern verschanzt, die schon während desVorstoßes der deutschen Wehrmacht, hinter deren Rücken, Sabotageaktedurchführten, um deren Nachschub lahmzulegen. Zwei Ortschaftenwurden besetzt und vor den Wäldern eine Verteidigungslinie aufgebaut. Wirmussten dann auch alle Zivilisten regelmäßig kontrollieren.
Ich und mein Kamerad Klein kamen nach einer Woche zurück insQuartier. Wachmeister Schmidt sagte: "Ihr beide könnt in den Urlaub fahren."Natürlich war die Freude groß. Es war der 22. Oktober 1943. Am nächsten Tagbekamen wir vom Spieß* (Kompaniekommandant) denUrlaubsschein. Ein russischer Zivilist fuhr uns mit einem Panjewagen*(einfacher Holzwagen, meist von Pferd oder Ochsen gezogen), gezogen von zweiPonys, zur zwanzig Kilometer entfernten Rollbahn. Wir schenkten ihm Zigaretten,bevor er wieder zurückfuhr. Auf der Rollbahn fuhren wir mit einemNachschublastwagen nach Shitomir, ab da reisten wirmit der Eisenbahn bis nach Kobel bei der polnischen Grenze. Dort meldeten wiruns bei der Frontleitstelle. Die anschließende Körperpflege und Entlausunghatten wir dringend nötig. Dann konnten wir kaum die Weiterfahrt nach Hauseerwarten. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade aus dem Schlund der Hölleentkommen. Urlaub
Am 27. Oktober kam ich zu Hause in Großramingan, ich hatte Urlaub bis 19. November 1943. Vom Bahnhof bis in den Rodelsbach, Langergraben, hatte ich noch eine Stunde Fußmarsch vor mir.Am Heimweg stieß ich auf eine Gruppe KZ-Häftlinge, die auf der BachböschungReparaturarbeiten durchführen mussten. Sie machten mir schon einen sehrdesolaten Eindruck. Ich verlangsamte meinen Schritt und warf ihnen einigeZigaretten zu. Der Bewacher, der alles mitbekommen hatte, flog michherausfordernd an: "Wenn du willst, kannst du gleich mit ihnen mitarbeiten!"Ich erwiderte aufgebracht: "Und du kannst mit mir in ein paar Wochen nachRussland fahren, anstatt dir hier den Arsch zu wärmen!" In diesem Augenblickder Rage war mir gar nicht bewusst, welche Folgen meine Antwort gegenüber einemder SS-Kapos hätte haben können. Aber es blieb bei dem Wortwechsel und ich gingweiter. Große Freude bei meinen Eltern und Schwestern darüber, dass ich gesundwar und es ein Wiedersehen gab. Mein älterer Bruder Bert war bei der 100.Jägerdivision in Stalingrad eingerückt. Die letzte Nachricht aus dem Felde vonihm stammte vom 1. Januar 1943. Nach allem, was ich bisher an der Front gesehenhatte, kamen in mir Zweifel auf, ob er auch so viel Glück gehabt hatte wie ich.Wir hofften es. Meine Familie wollte natürlich von mir wissen, wie es mirergangen sei. Über meine Erlebnisse war ich eher wortkarg. Wollte ich dochnicht, dass sie sich noch mehr Sorgen machten, als sie es ohnehin schon taten. Außerdemkonnte man die Szenen, die sich wirklich abgespielt hatten, nur schwer in Wortefassen und ich versuchte einfach, die Tatsachen etwas herunterzuspielen.
In den eher ärmlichen Verhältnissen, in denen wir lebten(wir wohnten in einem kleinen, aus Steinen gemauerten Haus, das von denBundesforsten vermietet wurde), fühlte ich mich jetzt trotzdem wie im Paradies.(Bild Haus einfügen) Keine Tiefflieger, kein Geschützlärm, kein Wettrennen mitdem Tod, nur das Vogelgezwitscher und das Plätschern des Baches waren zu hören.Ich war zu Hause in meinem friedlichen Rodelsbach-Tal. Die Zeit konnte von miraus stehen bleiben.
In unserer kleinen Landwirtschaft gab es genug zu tun. Esmusste auch Brennholz für den kommenden Winter gemacht werden, da war ich einewillkommene Hilfe. Kontaktaufnahme zu ehemaligen Kollegen war mir in diesenWochen kaum möglich, denn auch diese mussten weiß Gott wo ihren Kriegsdienstleisten und um ihr Leben zittern. Viele GroßramingerSoldaten waren schon gefallen, der Bevölkerung war dies anzumerken.
Die Tage vergingen immer schneller und langsam rückteunbarmherzig das Urlaubsende näher. Man war machtlos,diesem Irrsinn zu entkommen. Zurück an die Front
Am 19. Novembermusste ich schweren Herzens wieder Abschied von zu Hause nehmen. Ich fuhr mitdem Zug zurück an die Ostfront. Der 21. war der Meldetermin. Um spätestens 24Uhr musste ich in Kobel bei der Frontleitstelle sein.
Mit dem Mittagszugfuhr ich von Großraming über Wien Nordbahnhof nach Lodz.Dort musste ich in den Urlauberzug, der aus Leipzig kam, umsteigen. Dann solltees über Warschau nach Kobel gehen. In Warschau stiegen dreißig schwerbewaffnete deutsche Infanteristen zu. Sie sagten uns: "Auf dieser Streckewerden die Züge oft von Partisanen angegriffen." Mitten in der Nacht, Richtung Lublin, hörten wir auf einmal Detonationen, ein heftigesRütteln ging durch die Garnitur. Die meisten flogen von den Sitzbänken. Nacheinem ungleichmäßigen Rucken kam sie zum Stehen. Es herrschte hellsteAufregung. Mit den Waffen im Anschlag stiegen alle aus, um zu sehen, waspassiert war. Wir waren auf Minen aufgefahren. Waggons waren aus den Gleisengesprungen, die Achsen abgerissen. Plötzlich wurden wir beschossen, Fensterglaszersplitterte, Querschläger heulten furchteinflößendumher. Zwischen den Gleisen, hinter den Rädern gingen wir in Deckung. Wegen derFinsternis war der Feind nur schwer auszumachen. Nachdem sich die Lage etwasberuhigt hatte, wurde ich einem Spähtrupp zugeteilt, der die Gleise in weitererFahrtrichtung auskundschaften sollte. Wir hatten Angst, in einen Hinterhalt zugeraten. Mit entsichertem Gewehr begutachteten wir die Strecke, jederzeitdarauf vorbereitet, beschossen zu werden. Nichts rührte sich. Nach einer Stundekehrten wir um. Erst jetzt bemerkten wir, dass dieser Zwischenfall einigenKameraden das Leben gekostet hatte, und Verwundete waren auch zu beklagen. DieStrecke war zweigleisig. Wir konnten erst am nächsten Nachmittag mit einemErsatzzug ohne neuen Zwischenfall weiterfahren.
Schließlich in Kobel angekommen, wurde mir gesagt, der Restmeiner Einheit 332 befände sich bei Tscherkassy am Dnjepr, knapp 150 Kilometer südlich von Kiew im Einsatz.Ich wurde mit meinen überlebenden Kameraden zum 86. Artillerieregimentzugeteilt, das zur 112. Infanterie-Division gehörte.
Ich hatte bei der Frontleitstelle meinen Kameraden JohannResch getroffen, er war auch auf Urlaub, ich dachte, er sei vermisst. Wirfuhren gemeinsam an die Front. Die Fahrt führte über Rowno,Berditschew und Zwekowonach Tscherkassy.
Johann Resch lebt heute in Randegg,in der Nähe von Waidhofen an der Ybbs, in Niederösterreich. Wir hatten dasganze Leben regelmäßig Kontakt. Alle paar Jahre besuchten wir uns auchgegenseitig.
Am Bahnhof Zwekowo traf ichHermann Kapeller. Er war der einzige Großraminger, dem ich im Russlandfeldzug begegnet bin. Inder kurzen Zeit, die uns zur Verfügung stand, konnten wir nur einige Wortewechseln. Leider überlebte auch er den Krieg nicht.Dezember 1943
Ab 8. Dezember war ich in Tscherkassy,Korsun wieder im Einsatz. Mir wurden zwei Pferdezugeteilt. Ich sollte Geschütz-, später Funk- und Nachrichtenfahrer bei der 7.Batterie, im 86. Regiment sein.
Die Front am Dnjepr-Knie verliefhufeisenförmig und wir befanden uns auf einer großen Ebene, umgeben vonleichten Hügeln. Wir hatten Stellungskrieg. Die Feuerstellung musste oftgewechselt werden, weil die Russen auf manchen Abschnitten durchbrachen undsich auf feste Ziele einschossen. Bis jetzt konnten sie immer wiederzurückgeschlagen werden. Die Dörfer waren leer. Zivilisten waren schon langegeflüchtet. Wir hatten Schießbefehl auf alle Personen wegen des Verdachts aufPartisanen. Die Front schien beiderseits festgefahren zu sein. Trotzdem warenimmer wieder Verluste zu beklagen.
Seit ich im Russlandkrieg war, wollte es der Zufall, dassich meistens mit den Kameraden Klein, Steger und Gutmayrzusammen war. Auch sie waren zum Glück noch nicht umgekommen. Johann Resch kamzur Schweren Batterie. Wenn es die Umstände zuließen, trafen wir uns öfter.
Im Verband der kämpfenden deutschen Divisionen, Dnjepr-Knie, Korsun, Tscherkassy waren 56.000 deutsche Soldaten im Kesseleingesetzt.
Unter dem Stab der 112. Infanteriedivision, geführt vonGeneral Lieb und General Trowitz, waren die Restemeiner schlesischen 332. Division zusammengeführt:
Das bayrische Grenadierregiment 331,
das schlesische Regiment 417,
das sächsische Regiment 255,
das Pionier-Bataillon 168,
das Panzer-Regiment 167,
die 108., 72., 57., 323. Infanteriedivision,
Splittergruppen der 389. Infanteriedivision,
die Sicherungsdivision 213,
die 14. Panzer-Division,
die 5. SS-Panzer-Division.
Bei 18 Grad unter null feierten wir Weihnachten in einemBunker. An der Frontlinie war es ruhig. Es wurden ein Christbaum und ein paar Kerzenorganisiert. Auch Marketenderware, wie Zigaretten, Schnaps und Schokolade,kauften wir.
Zu Neujahr war Schluss mit dem Weihnachtsfrieden. An derganzen Front setzen uns die Sowjets schwer zu. Wir befanden uns in dauerndemAbwehrkampf gegen Panzer, Artillerie und Granatwerfer. Ab jetzt gab es keineErholung mehr. Die Situation wurde immer bedrohlicher. Januar 1944
Zu Beginn des Jahres befanden sich an allen Frontabschnittensämtliche Verbände der deutschen Wehrmacht bereits auf dem Rückzug.
Auch wir mussten der Übermacht der Roten Armee Stück fürStück weichen und versuchten uns, so gut es ging, immer weiter nach hintenabzusetzen.
Auf einmal, über Nacht, schwenkte ganz unverhofft das Wetterum. Es wurde warm und das Thermometer zeigte 15 Grad plus an. Schnee und Eisschmolzen, die Erde verwandelte sich wieder in eine Sumpflandschaft.
Es war an einem Nachmittag, wieder gezwungenerStellungswechsel, nachdem wir den Russen nichts mehr entgegenzusetzen hattenund unter schweres Feuer gerieten. Wir fuhren mit unserem Gerät zurück. Nachdemwir eine verwaiste Ortschaft passiert hatten, versanken wir plötzlich mit demGeschütz samt den Pferden im Schlamm. Der Boden schien grundlos zu sein. DiePferde waren schon bis zu Brust versunken. Wir spannten zusätzlich Pferde dazu.Stundenlang versuchten wir, das Geschütz rauszukriegen, es war vergeblich.Todesangst paarte sich mit Flüchen, wir erwarteten, dass jede Minute feindlichePanzer auftauchen würden. Die Kanoniere und wir Fahrer waren voller Dreck. DasGeschütz versank immer tiefer, keiner wusste, was geschehen sollte. OhneFeindeinwirkung durften wir kein Material zurücklassen. Es wurde schon Nacht.Auf der Ostseite stiegen russische Leuchtkugeln auf. Geschrei und Schüsse warenschon wieder zu hören. Die Russen konnten schon in Dorfnähe sein, alsoausspannen und schnell zurück. Wenigstens versuchten wir, die Pferde und uns zuretten. So schnell es ging, flüchteten wir aus diesem Schlammloch. Fast dieganze Nacht waren wir unterwegs. Bei einem Kolchosenstadel trafen wir aufunsere Batterie, die dort übernachtete. Es war bereits 4 Uhr früh, als wir unsbei der Wache meldeten. Wir schilderten unser Missgeschick. Der Wachoffizierfing an zu schreien: "Ihr müsst das Geschütz sofort holen!" Gutmaar und Stegersagten: "Das ist unmöglich, die Russen sind schon im Dorf." Ich sagte: "ZehnStunden haben wir geschuftet, um das Geschütz aus dem Schlamm auszugraben, eswar zwecklos. Die Pferde bekamen kein Wasser und nichts zu fressen und sind amEnde, wir haben alles versucht." "Im Krieg darf nichts unmöglich sein", meintedieser Schweinehund und gab uns den Befehl, das Geschütz zu holen. Wir wussten,Befehl ist Befehl, wenn er verweigert wird, setzte es gleich das Todesurteil."Ansonsten werden uns halt die Russen abknallen, macht auch keinenUnterschied", sagte Steger. So marschierten wir mit unseren Pferden wieder denganzen Weg zurück, in dem Wissen, den Russen direkt in die Arme zu laufen.Vorher gaben wir den Tieren noch Wasser und etwas Futter. Gutmaar, Steger undich hatten Tag und Nacht auch noch keine Verpflegung bekommen. Das spielte aberjetzt keine Rolle, sondern nur, wie wir aus dieser Situation wieder rauskommenwürden.
Der Tag graute und Gefechtslärm war schon wieder verstärktzu hören. Nach einigen Kilometern kamen uns Infanteristen und ein Offizierentgegen. Der Offizier fragte: "Wohin wollt ihr denn?" Ich sagte: "Wir müssenein verlorenes Geschütz holen." Der Offizier sagte: "Seid ihr wahnsinnig, dieRussen haben das Dorf schon besetzt, schnell alles zurück, das ist ein Befehl!"So sind wir doch noch einmal heil aus dieser Sache herausgekommen.
Ich war am Ende, aber doch noch am Leben. Zwei, drei Tagenichts zu essen, wochenlang keine Körperpflege, von Kopf bis Fuß voller Läuse,keine Möglichkeit, eine Nacht durchzuschlafen. Die Uniform voller Dreck. Immeram Rückzug.
Der Kessel Tscherkassy wurde füruns immer kleiner. 50 Kilometer westlich vor Korsunhatte die ganze Division versucht, eine Verteidigungslinie aufzubauen. EineNacht war es einmal ruhig und wir Landser* (einfacher deutscherSoldat) konnten uns mal ausschlafen.
An einem Morgen - wir hatten in einer Hütte geschlafen -,als wir ins Freie traten, bemerkten wir, dass das Tauwetter wieder vorbei war,eisiger Wind blies und der Boden war gefroren. Auf einmal fiel uns auf, dassunzählige bunte Flugzettel im Wind herumflatterten. Ein Kamerad nahm einen undlas laut vor, was darauf stand:
Lesen und weitergeben!
An alle Soldaten undOffiziere der deutschen Tscherkassy-Divisionen!
Ihr seid eingekesselt!
Die Truppen der RotenArmee haben um eure Divisionen einen festen eisernen Ring geschlossen. Alleeure Versuche, aus der Einkesselung herauszukommen, werden scheitern.
Es geschah das, wovorwir euch schon lange gewarnt haben.
Eure Führung warf euch in sinnlose Gegenangriffe und hoffte,dadurch die unvermeidliche Katastrophe hinauszuschieben, in die Hitler dieganze Wehrmacht geführt hat. Tausende deutsche Soldaten sind schon gefallen, umder Naziherrschaft die Möglichkeit zu geben, die Stunde der Vergeltung nocheine kurze Zeit aufzuschieben. Jeder vernünftig denkende Mensch muss einsehen,dass weiterer Widerstand zwecklos ist. Ihr seid Opfer der Unvernunft eurerGeneräle und eures blinden Gehorsams gegenüber eurem Führer.
Das Hitlerkommando hat euch in eine Falle geführt, aus deres kein Entrinnen gibt. Eure einzige Rettung ist die russischeKriegsgefangenschaft. Einen anderen Ausweg gibt es nicht.
Ihr werdet schonungslos vernichtet, von den Ketten unsererPanzer zermalmt, den Geschossen zerrissen, den Maschinengewehren niedergemäht,wenn ihr den sinnlosen Kampf fortsetzt.
Das Kommando der Roten Armee fordert von euch: "Streckt dieWaffen, ergebt euch gruppenweise mit euren Offizieren!"
Die Rote Armee garantiert allen, die sich gefangen nehmen lassen,das Leben, gute Behandlung, ausreichende Verpflegung und Rückkehr in die Heimatnach Kriegsende. Jeder, der aber weiterkämpft, wird vernichtet werden.
Das Kommando der Roten Armee.
Ein Offizier fingan zu schreien: "Das ist doch nur sowjetische Propaganda, ihr sollt die Zettelnicht beachten."
Wir sollten janicht wissen, dass wir bereits eingeschlossen waren, um in der Kampfmoral nichtbeeinträchtigt zu werden.
© Ennsthaler
- Autor: Otto Schwaiger
- 2007, 152 Seiten, 4 Abbildungen, Maße: 12,1 x 19,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ennsthaler
- ISBN-10: 385068685X
- ISBN-13: 9783850686853
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