Der Christmas Cookie Club
Roman
Jedes Jahr im Dezember treffen sich 12 Frauen, alle mit köstlichen selbstgebackenen Plätzchen. Sie tauschen Rezepte aus und erzählen sich alles, was im vergangenen Jahr wichtig war: Liebe und Leid, Glück und Trauer, Hoffnung und Sehnsucht.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Christmas Cookie Club “
Jedes Jahr im Dezember treffen sich 12 Frauen, alle mit köstlichen selbstgebackenen Plätzchen. Sie tauschen Rezepte aus und erzählen sich alles, was im vergangenen Jahr wichtig war: Liebe und Leid, Glück und Trauer, Hoffnung und Sehnsucht.
Klappentext zu „Der Christmas Cookie Club “
Jedes Jahr im Dezember treffen sie sich zwölf Frauen, alle mit köstlichen selbstgebackenen Plätzchen. Sie probieren, tauschen Rezepte aus und erzählen sich alles, was im vergangenen Jahr wichtig war: Marnie hat sich unsterblich verliebt, Charlene hat durch einen tragischen Unfall ihren Sohn verloren, Laurie ein kleines Mädchen aus China adoptiert. Eine von ihnen wird fortziehen, eine andere zittert um das kranke Enkelkind. Rosie und Jeannie haben sich gestritten und reden nicht miteinander. Doch jetzt feiern sie, sie sind alle zusammen, und auf einmal sind sie einander ganz nah. Kummer und Streit sind vergessen, sie umarmen sich und lachen - Freundinnen, was immer auch passiert.
Lese-Probe zu „Der Christmas Cookie Club “
Der Christmas Cookie Club von Ann PearlmanProlog
Wir treffen uns jedes Jahr
Ich bin die Nummer eins der Cookie-Hexen, daher trifft sich der Christmas Cookie Club bei mir – immer am ersten Montag im Dezember. Streicht es euch rot im Kalender an. Zwölf Frauen versammeln sich an diesem Abend zu einer Party, und jede von uns bringt dreizehn Dutzend Plätzchen mit, hübsch verpackt und natürlich selbst gebacken. Obendrein steuert jede von uns noch etwas zu essen und eine Flasche Wein bei.
Als die Tradition vor sechzehn Jahren ihren Anfang nahm, tranken wir erst den Wein und gingen danach tanzen. Jetzt sitzen wir bei mir zu Hause gesellig beisammen, nippen an unseren Gläsern und unterhalten uns, oder wir legen Al Green auf und tanzen in meinem Wohnzimmer.
Love and Happiness ist unsere Lieblings-CD. Und wir erzählen abwechselnd die Geschichte der Cookie-Sorte, die wir gebacken haben. Aus irgendeinem Grund sind diese Geschichten immer seltsam symbolisch für das vergangene Jahr. Die Plätzchenpäckchen werden verteilt, und das dreizehnte Dutzend geht als Spende ans hiesige Hospiz. Schon von Anfang an haben wir einen Teil unserer Plätzchen gespendet, denn im Christmas Cookie Club geht es ums Geben – nicht nur darum, unser leckeres Gebäck mit Freundinnen und Familien zu teilen, sondern auch etwas abzugeben an Menschen, die wir nicht kennen, denen es nicht gutgeht und die sich vielleicht über eine nett eingepackte Kleinigkeit freuen. Denn ihr könnt mir glauben, dass der Winter im Mittelwesten ganz schön trostlos sein kann. Grauer Himmel. Fiese Kälte. Wenn es mal ein bisschen Licht gibt, dann eigentlich nur durch eine mehr oder weniger dicke Wolkendecke. Die großen Seen sorgen zwar für sensationelle Sommer, aber im Winter produzieren sie reichlich Wolken. Also empfiehlt es sich, selbst für Licht und Freude zu sorgen. Das ist doch
... mehr
schließlich der Sinn von Weihnachten und Chanukka, oder nicht? Die dunkle Jahreszeit mit Lichtern und Kerzen ein bisschen aufzuhellen. Um uns in Erinnerung zu rufen, dass die Sonne irgendwann wieder stark genug sein wird, um die Nacht Stück für Stück in ihre Grenzen zu verweisen. Der Christmas Cookie Club ist also sozusagen eine Gedächtnisstütze, damit wir vor lauter Winter und Dunkelheit den Spaß nicht vergessen. Und natürlich soll er uns auch immer wieder daran erinnern, dass Freundinnen dafür da sind, sich im alltäglichen Trott zu unterstützen und die Freuden des Lebens zu zelebrieren.
Wir haben Regeln, die im Lauf der Jahre entstanden sind. Nur damit ihr Bescheid wisst, falls ihr eure eigene Gruppe aufmachen wollt, verrate ich sie hier:
1. Keine Chocolate Chip Cookies (in einem Jahr haben nämlich gleich fünf von uns welche gebacken).
2. Keine Keksriegel (die kleben und krümeln).
3. Keine in Klarsichtfolie verpackten und mit Schleifchen verzierten Pappteller. Ihr könnt ja mal versuchen, zwölf in Plastikfolie gepackte Pappteller zu tragen. Obwohl ich früher mal gekellnert habe, schaffe ich das nicht. Außerdem sind Pappteller einfach viel zu wabbelig. Gerade wenn man etwas spenden will, müssen die Behältnisse praktisch für den Transport der Cookies sein und sich gleichzeitig als attraktive Geschenkverpackung eignen. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass man die Verpackung später für andere Geschenke wieder verwenden kann.
4. Die Gruppe sollte aus nicht mehr als zwölf Frauen bestehen. In einem Jahr waren wir fünfzehn, und alle haben sich darüber beklagt, dass es zu anstrengend ist, sechzehn Dutzend Cookies zu backen. Zwar leuchtet es mir persönlich nicht ein, dass drei Dutzend mehr so ein Problem sein sollen, aber in diesem Fall habe ich mich der Mehrheit gebeugt. Die Gruppe hat also nur zwölf Mitglieder. Und wir backen ein Bäcker dutzend, also dreizehn Dutzend. Außerdem hat dieses Zahlenarrangement etwas Poetisches.
5. Das Treffen muss jedes Jahr stattfinden, ausnahmslos, es darf niemals ausfallen. Wenn eine Teilnehmerin nicht kommen kann, muss sie ihre Cookies schicken, sonst verliert sie ihren Platz in der Gruppe und jemand von der Warteliste rückt nach. Letzteres ergibt sich aus der vorherigen Regel.
6. Nach fünf Jahren regelmäßiger Teilnahme ist man festes Mitglied der Gruppe und kann nicht mehr ausgeschlossen werden – es sei denn, die Betreffende versäumt es, ihre Cookies rechtzeitig zu bringen oder zu schicken.
7. Der Club trifft sich immer am ersten Montag im Dezember. Tragt es in euren Kalender ein, der Termin ist fest.
8. Bringt für jede Teilnehmerin eine Kopie des Rezepts mit.
Alles ist ständig im Fluss. Jackie hat sich verliebt, hat geheiratet, ist an die Ostküste gezogen und kommt nicht mehr. Donna mochte die Party, aber das Backen war ihr verhasst. Janie hatte eine Affäre mit einem Kollegen, ließ sich scheiden und wohnt jetzt in Bent Harbor. So ergeben sich offene Plätze für neue Mitglieder, für die Cookie-Jungfrauen, wie wir sie gerne nennen. Wie Ebbe und Flut kommen und gehen die Frauen. Direkt nach Thanksgiving fangen wir an zu backen, machen uns und dem Hospiz eine Freude und verteilen die vielen verschiedenen Plätzchen dann weiter an unsere Freunde, Familie, Nachbarn, Babysitter und Kosmetikerinnen. Die verwöhnen die Gäste anderer Weihnachts-, Chanukka und Wintersonnwendzusammenkünfte. In der dunkelsten Zeit des Jahres erreichen die köstlichen Knabbereien immer mehr Menschen – kleine Kräuselwellen der Freude in unserem Leben.
1
Marnie
Pecan-Butter-Bällchen
2 Tassen gehackte Pecannüsse
2 Tassen Mehl
1 Tasse zerlassene Butter
½ Tasse Zucker
2 Päckchen Vanillezucker
¼ Teelöffel Salz
Puderzucker zum Wälzen und Bestreuen
Pecannüsse im Mixer oder in der Küchenmaschine kleinhacken. Alles außer dem Puderzucker gut vermischen und zu einer Kugel kneten. Mit bemehlten Händen kirschgroße Bällchen formen und auf ein mit Backpapier belegtes, ungefettetes Blech legen. Zwanzig Minuten bei 170 Grad backen. Vom Backpapier lösen, noch warm in einer Tüte mit Puderzucker wälzen. Dann wieder aufs Papier legen und noch etwas Puderzucker zusätzlich darübergeben, während sie abkühlen. Ergibt fünf Dutzend.
Das Bett unter mir ist warm. Jim küsst meine Augenbrauen, um die Wimpern herum, die Nase hinunter. Seine Küsse schmecken nach Zimt. Ich öffne den Mund für seinen Kuss, seine Leidenschaft ist ansteckend. Sanft liegt sein Kopf an meiner Wange, ich fühle es, fühle ihn, bin durch und durch Empfindung, ganz auf Empfang eingestellt. Seine Küsse wandern über meinen Hals, meine Schlüsselbeine, hinunter zum Bauchnabel. Umkreisen ihn. Jetzt ist sein Körper auf meinem. Mein Herz schlägt schneller, ich wölbe mich ihm entgegen und spreize die Beine. Mit einer geschmeidigen Bewegung gleitet er in mich. Nur zögernd wage ich es, diese perfekte Verbindung, dieses glückliche Zueinanderfinden auszukosten.
Gemeinsam bewegen wir uns, als wären wir eins.
Wiegen, schaukeln. Die Leidenschaft steigert sich in heftigen Wogen, die mich füllen und überschwemmen. Unsere Bewegungen sind das Universum. Goldene Wärme, vereinte Erregung. Ich höre mich stöhnen, als ich den Gipfel der Lust erreiche und zerfließe. Das Gefühl weckt mich auf. Vielleicht war es aber auch mein Stöhnen. Ich strecke die Hand nach Jim aus, obwohl ich weiß, dass das Bett neben mir leer ist. Jim ist bei sich zu Hause und sorgt dafür, dass seine Söhne rechtzeitig in die Schule kommen. Der Traum überrascht mich. Wann hatte ich das letzte Mal im Schlaf einen Orgasmus? Das ist Jahre her. Jahrzehnte. Wahrscheinlich war Tara noch ein Baby. Ich dachte, mit dieser drängenden Lust, dieser hartnäckigen Einforderung von Befriedigung wäre es vorbei, Zeit und Menopause hätten mein Verlangen gedämpft.
Gleichermaßen entspannt und erfrischt liege ich da. Ich sehe Jim nicht genug. Wir haben nicht genug Zeit zusammen. Und nicht genug Sex, wegen seiner ganzen Verpflichtungen den Kindern gegenüber und wegen seiner irren Arbeitszeiten. Unsere körperliche Liebe verkommt allmählich zu einer unerfüllten Hoffnung. Aber er hat mir neues Leben eingehaucht. Es ist lange her, dass ich richtig verliebt war.
Draußen fällt der Schnee in kleinen, dichten Flocken, fast wie Nebel. Disney sitzt neben meinem Bett, lässt die Zunge heraushängen und klopft mit dem Schwanz freudig auf den Teppich. Heute ist ein großer Tag, an dem ich eine Menge zu erledigen habe, also sollte ich jetzt lieber aufstehen und damit anfangen. Widerwillig lasse ich die Überreste des Traums im warmen Bett zurück, schlüpfe in meinen lavendelfarbenen Fleece-Bademantel, lasse Disney hinaus, fülle eine Tasse mit Kaffee von gestern Abend und verfrachte sie in die Mikrowelle. Während Disney hinter der Garage verschwindet, stecke ich meine Hände in die Achselhöhlen, um sie zu wärmen. Ich habe die winterharten Stauden nicht zurückgeschnitten, und jetzt klumpt der Schnee in den Astgabeln.
Den Rasen hätte ich auch noch ein letztes Mal mähen sollen. Die Mikrowelle bimmelt, ich greife gedankenverloren nach meinem Kaffee und starre dabei weiter aus dem Fenster. Sieben Uhr. In San Diego ist es jetzt vier Uhr morgens. Ob Sky schon wach ist? Heute sagt man ihr die Ergebnisse … irgendwann nachmittags, nach ihrer Zeit natürlich. Mitten in unserer Weihnachtsplätzchenparty.
Mit flatternden schwarzen Schlappohren kommt Disney wieder hinter der Garage hervor und lässt sich vor der Terrassentür nieder. Als ich sie aufschiebe, kommt er sofort hereingerannt und schüttelt den Schnee ab. »Findest du es richtig, den Winter hier reinzuschleppen?«, frage ich ihn.
Er wedelt mit dem Schwanz.
»Guter Hund.« Auf alle meine Fragen hat er eine kurze, klare Antwort.
Langsam trinke ich meinen Kaffee und sehe mich dabei in der Küche und im Esszimmer um. Wegen der Cookie-Party habe ich schon für Weihnachten dekoriert. Am Baum draußen hängt eine schlichte Lichterkette, mein Küchenfenster umrahmt eine in Form kleiner Chilischoten.
Gestern habe ich den Tannenbaum mit den gehäkelten und Makramee-Ornamenten geschmückt, wie ich sie in meiner Hippiezeit auf dem Kunstgewerbeflohmarkt verkauft habe. Ein paar bunte Päckchen und meine Teddybärensammlung kuscheln sich um den Stamm. Dem Teddy, den Sky von Alex zum ersten Geburtstag bekommen hat, fehlt seit zwanzig Jahren ein Auge, und Sky hat ihm einen etwas schiefen roten Pulli gestrickt, als sie zehn war. Ein Steiff-Bär, den ich von meinem Deutschlandurlaub mit Stephen mitgebracht habe, breitet die Pfoten aus, als warte er auf eine Umarmung. Taras Teddybärin trägt ein rosa Kleid und eine Tiara, sehr hübsch, aber ungeliebt.
Ich stecke das Kabel der Lichterkette in die Steckdose, und schon sieht alles weihnachtlich aus.
Nachdem ich den Thermostat hochgestellt habe, mache ich mein Bett, räume das Zimmer ein bisschen auf und schlüpfe in eine Jeans und ein rotes T-Shirt. Dann binde ich mir die Cookie-Chefin-Schürze um, die Allie genäht und mit den Cookie-Regeln bemalt hat.
Zuerst machen die Pecannüsse, die wild in der Küchenmaschine herumgeschleudert werden, ein ziemlich gefährliches Geräusch, aber sobald sie etwas zerkleinert sind, benehmen sie sich anständig. Dieses Jahr bekommen Sky und Tara auch jeweils ein Dutzend Pecan-Bällchen, demzufolge muss ich das Rezept mit dreieinhalb multiplizieren. Ich gebe die Butter – siebenhundertfünfzig Gramm – in einen Glasbehälter und stelle die Mikrowelle an. Das abgemessene Mehl, Zucker, Vanillezucker und Salz kommen in den KitchenAid-Mixer meiner Mutter, der auf der Anrichte steht. Als die Mikrowelle bimmelt, gieße ich die zerlassene Butter in die Rührschüssel und stelle den Mixer an. Während er rührt, hole ich die Backbleche und das Backpapier aus der Schublade. Dann schabe ich den hochgespritzten Teig vom Rand der Schüssel und klopfe ihn ab. Fertig. Damit mir nicht langweilig wird, stelle ich meinen iPod auf die Rock-Playlist, und sofort fragt sich Tina Turner, was Liebe eigentlich damit zu tun hat. Alles, erkläre ich ihr. Aber dann fällt mir mein Traum wieder ein, und ich überlege, ob ich ihn hatte, weil ich Jim liebe, oder einfach nur, weil ich gern mehr tollen Sex mit ihm hätte. Vielleicht stimmt beides.
Aber es ist mir ein bisschen unheimlich, dass ich mich so in ihn verliebt habe.
Mit etwas Mehl verhindere ich, dass der Teig allzu sehr an meinen Händen klebt, und widme mich mit Hingabe dem systematischen, rhythmischen Rollen der Bällchen, die ich anschließend in Viererreihen auf dem Blech auslege. Drei Dutzend auf jedes Blech. Die schlichte Schönheit des Rechenexempels erinnert mich an andere traditionelle Frauenarbeiten: spinnen, Teig kneten, Beeren ernten, nähen, weben, Mehl mahlen. Ich fühle mich mit all diesen Frauen verbunden, mit den Frauen von früher, mit den Frauen auf der ganzen Welt, die Essen zubereiten, Kleider nähen, Werkzeug herstellen. Das erste Blech kommt in den Ofen, und ich beginne mit dem nächsten. Der leichte Teil ist erledigt. Ein paar Minuten kehre ich zum friedlichen Rollen zurück, stelle das Blech in den Ofen, überprüfe den Timer. Noch fünf Minuten. Jetzt lege ich Backpapier auf dem Esstisch aus, fülle eine Plastiktüte mit Puderzucker und lege ein paar Topflappen auf die Mitte des Tischs. Der Timer klingelt. Ich hole das Blech heraus und stelle es auf die Topflappen. Die Cookies sind hellbraun wie herbstliche Eichenblätter, der Duft gebackener Pecannüsse erfüllt die Küche. Bob Seger singt vom hereinbrechenden Herbst, und hier ist Winter. Schon. Wie ist das bloß so schnell gegangen?
Wieder einmal sinniere ich über den Wechsel der Jahreszeiten und welche Sitten und Bräuche wir damit verbinden. Dabei beginne ich schon mit den Bällchen für die dritte Ladung. Zwischendurch lasse ich das plätzchenbeladene Backpapier vorsichtig von dem noch heißen zweiten Blech auf den Tisch rutschen, stelle das Blech zum Abkühlen auf den Herd und lege die Bällchen sanft in den Puderzucker.
Diese Arbeit muss rasch erledigt werden, denn wenn die Cookies kalt sind, zieht der Puderzucker nicht mehr ein. Aber wenn sie zu heiß sind, verbrennt man sich die Finger. Das zweite Blech ist fertig, und ich gehe in die Küche, um es aus dem Ofen zu holen. Da klingelt das Telefon. Ich fahre herum, angle hektisch nach dem tragbaren Gerät, das neben der leeren Butterdose auf der Anrichte liegt, und stoße dabei mit der Wange heftig gegen die Ecke einer offenen Hängeschranktür. Die Tür knallt zu, ein stechender Schmerz durchfährt meine Wange und breitet sich rasant aus.
»Mom?«
»Du kannst nicht schlafen, was?«
Und ich kann keine Backpause einlegen, deshalb klemme ich das Telefon zwischen Schulter und Ohr, während ich die Pecan-Bällchen in die Zuckertüte fülle.
»Nein. Ich wälze mich bloß noch von einer Seite auf die andere. Und hab Angst, Troy zu wecken.« Skys Stimme zittert leicht.
Die Cookies rollen im Zucker herum. »Ich hab mich schon gefragt, ob du wohl noch schläfst.«
»Ich dachte, du bist bestimmt schon auf und backst.«
»Richtig geraten. Gerade hab ich das erste Blech aus dem Ofen geholt und wälze die Cookies jetzt in Puderzucker. «
»Ah. Nanas Pecan-Bällchen.«
»Meine Lieblingsplätzchen.«
»Meine auch.«
Als Sky und Troy vor drei Jahren zum ersten Mal versuchten, schwanger zu werden, wusste ich nichts davon. Schließlich waren sie beide noch mitten im Jurastudium, und Skys Lebensplanung ist ansonsten sehr zielorientiert.
Aber sie rief an und prahlte am Telefon lauthals damit, dass es auf Anhieb geklappt hatte. »Wir sind gleich beim ersten Versuch schwanger geworden«, verkündete sie und kicherte – das klang beinahe so, als hätten die beiden davor nie Sex gehabt.
Ich kaufte Stoff, um für mein erstes Enkelkind einen Quilt zu nähen, aber als ich vom Einkaufen zurückkam, rief Sky an. Sie weinte. Sie hatte eine Fehlgeburt gehabt und das Baby verloren.
»Das tut mir schrecklich leid, Darling«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Ich fürchte, du wirst ein paar Monate ganz schön traurig sein.«
»Das hat die Ärztin auch gemeint. Und wir sollen es in sechs Monaten noch mal probieren. Was für eine höllisch lange Zeit!« Sky schniefte und versuchte sich ein Lachen abzuringen. »Anscheinend ist eine Fehlgeburt nichts Ungewöhnliches. Vor allem bei der ersten Schwangerschaft. Sagt die Ärztin.«
»Ich komme zu euch.«
»Das brauchst du nicht.« Aber ich hörte die Erleichterung in ihrer Stimme.
Im nächsten Jahr hatte sie die zweite Fehlgeburt. Wieder rief sie mich an, um es mir zu erzählen, wieder flog ich zu ihr. »Ich wünschte, du würdest nicht so weit weg wohnen.«
»Ich auch.«
Als sie dann zum dritten Mal schwanger wurde, hielten wir alle den Atem an. Ich versuchte den besorgten Unterton aus meiner Stimme zu verbannen, wenn wir miteinander sprachen. Sie blieb schwanger. »Vielleicht sollte ich aufhören zu arbeiten«, überlegte sie. »Aber ich werde ständig überwacht.« Im vierten Monat wagte ich wieder zu atmen. Aber im achten Monat hörte das Baby auf sich zu bewegen, und bei einer Ultraschalluntersuchung zeigte sich, dass es tot war. Die Ärzte sagten Sky, im Hinblick auf eine zukünftige Schwangerschaft wäre es am besten, trotzdem bis zum errechneten Geburtstermin zu warten und das Baby erst zu entbinden, wenn die Wehen einsetzten.
»Das Baby verwest in mir.«
»Ich komme morgen.«
»Nein, warte lieber, bis die Wehen einsetzen. Dann brauche ich dich wirklich.«
»Wie geht es Troy?«
»Er hat Angst. Und ist total durcheinander. Genau wie ich.« Sie seufzte. »Irgendwie muss ich den nächsten Monat überstehen. Wahrscheinlich sollte ich das Kinderzimmer ausräumen und es wieder als Gästezimmer oder Büro oder was einrichten.«
»Wollt ihr aufhören, es zu versuchen?« Ich stellte mir vor, wie sie auf und ab wanderte, das schnurlose Telefon am Ohr, vorbei an der Couch und am Esstisch, eine halbe Drehung in der Küche, und die Runde begann von vorn. Das tut Sky immer, wenn sie aufgeregt ist. Sie bewegt sich.
»Ich weiß nicht, ob ich das noch mal durchstehe.«
»Du hast ja reichlich Zeit für die Entscheidung.«
»Ich weiß nicht mal, ob ich den Monat überstehe. Wie ich einen Monat mit einem toten, missgebildeten Baby in mir leben soll.«
»Missgebildet?«
»Das haben sie beim Ultraschall gesagt. Irgendwas stimmt nicht mit dem Baby. Deshalb hatte ich wahrscheinlich auch die Fehlgeburten.«
»Das verstehe ich nicht. Wie kann eine Missbildung die früheren Fehlgeburten erklären?«
»Es könnte etwas Genetisches sein. Womöglich haben Troy und ich ein genetisches Problem.«
Ich zermarterte mir den Kopf nach einem tröstlichen Zauberspruch. »Aber jetzt können sie wenigstens nachschauen, was schiefgelaufen ist. Und dir helfen. Euch beiden. «
»Ja. Stimmt.«
»Möchtest du heimkommen?«
»Nein. Ich möchte so tun, als wäre alles okay und normal. Ich möchte mein Leben. So weit das eben geht.«
Ihrer Bitterkeit hatte ich nichts entgegenzusetzen.
Sobald die Wehen einsetzten, rief sie an. Ich stieg ins nächste Flugzeug und kam gerade rechtzeitig zum Beginn der Austreibungsphase. Ich hielt Skys Hand. Troy wanderte ruhelos auf und ab. Ich wischte ihr den Schweiß von der Stirn. Sie kniff die Augen zusammen und hechelte.
Ächzte. Drückte meine Hand ganz fest. Schrie. Sie ertrug alle Qualen der Geburt, aber ohne das befreiende Happy End. Denn es würde nicht den berühmten ersten Schrei des Neugeborenen geben, mit dem aller Schmerz vergessen war. Unter Tränen presste sie das tote Baby heraus. Blau. Wir sahen die Missbildungen, die der Ultraschall bereits angedeutet hatte. Es hatte sehr kurze Arme und ein zerknautschtes Gesicht. Aber wir konnten nur einen raschen Blick auf das Baby werfen, dann wurde es zu den genetischen Untersuchungen gebracht.
»Wenigstens ist es vorbei.« Sky sank in sich zusammen, als wollte sie durch den Operationstisch fallen und im Erdboden versinken. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe.«
»Hast du aber. Und zwar wie ein echter Champ.« Ich drückte ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Warum hast du mich nicht gewarnt?« Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, schockiert, als hätte ich sie hintergangen und ihr absichtlich etwas verheimlicht.
»Weil man den Schmerz vergisst, sobald man das Baby in den Armen hält.«
Sie schniefte. »Vermutlich werde ich ihn dann also nicht vergessen.«
»Ich liebe dich so sehr«, sagte Troy leise, küsste sie, und die Tränen liefen ihm in Strömen über die Wangen.
»Unser armes Baby. Du bist so tapfer.«
Sie unterdrückte ein Schluchzen.
»Ja, ihr seid wirklich tapfer, alle beide.« Ich hielt ihr das Wasserglas zum Trinken hin, während der Arzt noch dabei war, den Dammschnitt zu nähen. Dann bekam sie eine Spritze, damit die Milchdrüsen ihre Arbeit einstellten. Uns allen fehlten die Worte. Unter den grellen Operationslampen weinten wir, jeder für sich. Und der Arzt nähte.
»Wir alle haben das Baby verloren, nicht wahr?« Sky sah uns mit ihren grauen Augen an, deren Pupillen durch die Tränen riesig wirkten.
»Wir sind alle bei dir, Schätzchen«, sagte ich und küsste sie wieder.
Troy strich ihr die schweißnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
So weinten wir, und wir weinten auch später, als ich wieder zu Hause war, am Telefon. Irgendwann standen wir dann wieder einen Anruf ohne Tränen durch. Und da war Sky wieder schwanger.
Jetzt ist sie im vierten Monat. »Ich hab mir schon immer Kinder gewünscht«, flüstert sie, als wollte sie sich entschuldigen. »Ich meine, das ist doch das Wichtigste. Verstehst du?«
Ich fülle noch ein paar Plätzchen in die Puderzuckertüte. »Ja.« Diese Erklärung höre ich häufig von ihr, und manchmal habe ich das Gefühl, sie denkt, wenn sie es nur oft genug sagt, werden ihre Gebete erhört und alles geht gut.
Als kleines Mädchen hat sie sich Babypuppen gewünscht, obwohl ihre Freundinnen Barbies sammelten. Sie trug Matilda in ihrem alten Snugly-Babytragesäckchen herum, sang ihr Schlaflieder vor und ließ sie bei sich im Bett schlafen. Sogar ihrem Plüschhund zog sie eine Windel an. Keine Ahnung, ob sie sich schon vor Taras Geburt nach mehr Nähe zu uns gesehnt hat oder ob sie wegen Tara eifersüchtig war. Vielleicht kommt es auch daher, dass sie gespürt hat, wie gern ich Mutter war. Oder es ist einfach eine biologische Geschichte: Sie liebt Troy und möchte, dass diese Liebe sich in Fleisch und Blut manifestiert.
Jedenfalls ist Muttersein der Höhepunkt von Skys ehrgeizigen Lebensplänen. Vielleicht muss ich einfach akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind.
Ich lege die Cookies ordentlich nebeneinander. Sechs in einer Reihe. »Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Mutter zu werden.«
»Aber ich möchte einfach nur, dass es endlich vorbei ist. Ich möchte die Testergebnisse haben, und zwar sofort. Vier Monate auf die Folter gespannt sein reicht mir. Jetzt wissen irgendwelche Leute etwas, was für mich lebenswichtig ist, und ich sitze dumm rum und muss warten. Ich will mich endlich der Realität stellen können.«
»Oder dich freuen, auf die Schwangerschaft und die Geburt.« Ich lasse die Bällchen vorsichtig im Puderzucker herumrollen. »Die Ärztin wird dich bestimmt sofort anrufen, sobald sie Bescheid weiß.«
Sky schweigt. Meine Wange tut weh, und ich müsste die Prellung eigentlich kühlen, aber das geht leider nicht.
Im Moment jedenfalls nicht. Wenn wir fertig telefoniert haben, hole ich mir einen Eiswürfel. Wenn ich mit dieser Ladung Cookies durch bin.
Übersetzung: Christine Strüh
© der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Wir haben Regeln, die im Lauf der Jahre entstanden sind. Nur damit ihr Bescheid wisst, falls ihr eure eigene Gruppe aufmachen wollt, verrate ich sie hier:
1. Keine Chocolate Chip Cookies (in einem Jahr haben nämlich gleich fünf von uns welche gebacken).
2. Keine Keksriegel (die kleben und krümeln).
3. Keine in Klarsichtfolie verpackten und mit Schleifchen verzierten Pappteller. Ihr könnt ja mal versuchen, zwölf in Plastikfolie gepackte Pappteller zu tragen. Obwohl ich früher mal gekellnert habe, schaffe ich das nicht. Außerdem sind Pappteller einfach viel zu wabbelig. Gerade wenn man etwas spenden will, müssen die Behältnisse praktisch für den Transport der Cookies sein und sich gleichzeitig als attraktive Geschenkverpackung eignen. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass man die Verpackung später für andere Geschenke wieder verwenden kann.
4. Die Gruppe sollte aus nicht mehr als zwölf Frauen bestehen. In einem Jahr waren wir fünfzehn, und alle haben sich darüber beklagt, dass es zu anstrengend ist, sechzehn Dutzend Cookies zu backen. Zwar leuchtet es mir persönlich nicht ein, dass drei Dutzend mehr so ein Problem sein sollen, aber in diesem Fall habe ich mich der Mehrheit gebeugt. Die Gruppe hat also nur zwölf Mitglieder. Und wir backen ein Bäcker dutzend, also dreizehn Dutzend. Außerdem hat dieses Zahlenarrangement etwas Poetisches.
5. Das Treffen muss jedes Jahr stattfinden, ausnahmslos, es darf niemals ausfallen. Wenn eine Teilnehmerin nicht kommen kann, muss sie ihre Cookies schicken, sonst verliert sie ihren Platz in der Gruppe und jemand von der Warteliste rückt nach. Letzteres ergibt sich aus der vorherigen Regel.
6. Nach fünf Jahren regelmäßiger Teilnahme ist man festes Mitglied der Gruppe und kann nicht mehr ausgeschlossen werden – es sei denn, die Betreffende versäumt es, ihre Cookies rechtzeitig zu bringen oder zu schicken.
7. Der Club trifft sich immer am ersten Montag im Dezember. Tragt es in euren Kalender ein, der Termin ist fest.
8. Bringt für jede Teilnehmerin eine Kopie des Rezepts mit.
Alles ist ständig im Fluss. Jackie hat sich verliebt, hat geheiratet, ist an die Ostküste gezogen und kommt nicht mehr. Donna mochte die Party, aber das Backen war ihr verhasst. Janie hatte eine Affäre mit einem Kollegen, ließ sich scheiden und wohnt jetzt in Bent Harbor. So ergeben sich offene Plätze für neue Mitglieder, für die Cookie-Jungfrauen, wie wir sie gerne nennen. Wie Ebbe und Flut kommen und gehen die Frauen. Direkt nach Thanksgiving fangen wir an zu backen, machen uns und dem Hospiz eine Freude und verteilen die vielen verschiedenen Plätzchen dann weiter an unsere Freunde, Familie, Nachbarn, Babysitter und Kosmetikerinnen. Die verwöhnen die Gäste anderer Weihnachts-, Chanukka und Wintersonnwendzusammenkünfte. In der dunkelsten Zeit des Jahres erreichen die köstlichen Knabbereien immer mehr Menschen – kleine Kräuselwellen der Freude in unserem Leben.
1
Marnie
Pecan-Butter-Bällchen
2 Tassen gehackte Pecannüsse
2 Tassen Mehl
1 Tasse zerlassene Butter
½ Tasse Zucker
2 Päckchen Vanillezucker
¼ Teelöffel Salz
Puderzucker zum Wälzen und Bestreuen
Pecannüsse im Mixer oder in der Küchenmaschine kleinhacken. Alles außer dem Puderzucker gut vermischen und zu einer Kugel kneten. Mit bemehlten Händen kirschgroße Bällchen formen und auf ein mit Backpapier belegtes, ungefettetes Blech legen. Zwanzig Minuten bei 170 Grad backen. Vom Backpapier lösen, noch warm in einer Tüte mit Puderzucker wälzen. Dann wieder aufs Papier legen und noch etwas Puderzucker zusätzlich darübergeben, während sie abkühlen. Ergibt fünf Dutzend.
Das Bett unter mir ist warm. Jim küsst meine Augenbrauen, um die Wimpern herum, die Nase hinunter. Seine Küsse schmecken nach Zimt. Ich öffne den Mund für seinen Kuss, seine Leidenschaft ist ansteckend. Sanft liegt sein Kopf an meiner Wange, ich fühle es, fühle ihn, bin durch und durch Empfindung, ganz auf Empfang eingestellt. Seine Küsse wandern über meinen Hals, meine Schlüsselbeine, hinunter zum Bauchnabel. Umkreisen ihn. Jetzt ist sein Körper auf meinem. Mein Herz schlägt schneller, ich wölbe mich ihm entgegen und spreize die Beine. Mit einer geschmeidigen Bewegung gleitet er in mich. Nur zögernd wage ich es, diese perfekte Verbindung, dieses glückliche Zueinanderfinden auszukosten.
Gemeinsam bewegen wir uns, als wären wir eins.
Wiegen, schaukeln. Die Leidenschaft steigert sich in heftigen Wogen, die mich füllen und überschwemmen. Unsere Bewegungen sind das Universum. Goldene Wärme, vereinte Erregung. Ich höre mich stöhnen, als ich den Gipfel der Lust erreiche und zerfließe. Das Gefühl weckt mich auf. Vielleicht war es aber auch mein Stöhnen. Ich strecke die Hand nach Jim aus, obwohl ich weiß, dass das Bett neben mir leer ist. Jim ist bei sich zu Hause und sorgt dafür, dass seine Söhne rechtzeitig in die Schule kommen. Der Traum überrascht mich. Wann hatte ich das letzte Mal im Schlaf einen Orgasmus? Das ist Jahre her. Jahrzehnte. Wahrscheinlich war Tara noch ein Baby. Ich dachte, mit dieser drängenden Lust, dieser hartnäckigen Einforderung von Befriedigung wäre es vorbei, Zeit und Menopause hätten mein Verlangen gedämpft.
Gleichermaßen entspannt und erfrischt liege ich da. Ich sehe Jim nicht genug. Wir haben nicht genug Zeit zusammen. Und nicht genug Sex, wegen seiner ganzen Verpflichtungen den Kindern gegenüber und wegen seiner irren Arbeitszeiten. Unsere körperliche Liebe verkommt allmählich zu einer unerfüllten Hoffnung. Aber er hat mir neues Leben eingehaucht. Es ist lange her, dass ich richtig verliebt war.
Draußen fällt der Schnee in kleinen, dichten Flocken, fast wie Nebel. Disney sitzt neben meinem Bett, lässt die Zunge heraushängen und klopft mit dem Schwanz freudig auf den Teppich. Heute ist ein großer Tag, an dem ich eine Menge zu erledigen habe, also sollte ich jetzt lieber aufstehen und damit anfangen. Widerwillig lasse ich die Überreste des Traums im warmen Bett zurück, schlüpfe in meinen lavendelfarbenen Fleece-Bademantel, lasse Disney hinaus, fülle eine Tasse mit Kaffee von gestern Abend und verfrachte sie in die Mikrowelle. Während Disney hinter der Garage verschwindet, stecke ich meine Hände in die Achselhöhlen, um sie zu wärmen. Ich habe die winterharten Stauden nicht zurückgeschnitten, und jetzt klumpt der Schnee in den Astgabeln.
Den Rasen hätte ich auch noch ein letztes Mal mähen sollen. Die Mikrowelle bimmelt, ich greife gedankenverloren nach meinem Kaffee und starre dabei weiter aus dem Fenster. Sieben Uhr. In San Diego ist es jetzt vier Uhr morgens. Ob Sky schon wach ist? Heute sagt man ihr die Ergebnisse … irgendwann nachmittags, nach ihrer Zeit natürlich. Mitten in unserer Weihnachtsplätzchenparty.
Mit flatternden schwarzen Schlappohren kommt Disney wieder hinter der Garage hervor und lässt sich vor der Terrassentür nieder. Als ich sie aufschiebe, kommt er sofort hereingerannt und schüttelt den Schnee ab. »Findest du es richtig, den Winter hier reinzuschleppen?«, frage ich ihn.
Er wedelt mit dem Schwanz.
»Guter Hund.« Auf alle meine Fragen hat er eine kurze, klare Antwort.
Langsam trinke ich meinen Kaffee und sehe mich dabei in der Küche und im Esszimmer um. Wegen der Cookie-Party habe ich schon für Weihnachten dekoriert. Am Baum draußen hängt eine schlichte Lichterkette, mein Küchenfenster umrahmt eine in Form kleiner Chilischoten.
Gestern habe ich den Tannenbaum mit den gehäkelten und Makramee-Ornamenten geschmückt, wie ich sie in meiner Hippiezeit auf dem Kunstgewerbeflohmarkt verkauft habe. Ein paar bunte Päckchen und meine Teddybärensammlung kuscheln sich um den Stamm. Dem Teddy, den Sky von Alex zum ersten Geburtstag bekommen hat, fehlt seit zwanzig Jahren ein Auge, und Sky hat ihm einen etwas schiefen roten Pulli gestrickt, als sie zehn war. Ein Steiff-Bär, den ich von meinem Deutschlandurlaub mit Stephen mitgebracht habe, breitet die Pfoten aus, als warte er auf eine Umarmung. Taras Teddybärin trägt ein rosa Kleid und eine Tiara, sehr hübsch, aber ungeliebt.
Ich stecke das Kabel der Lichterkette in die Steckdose, und schon sieht alles weihnachtlich aus.
Nachdem ich den Thermostat hochgestellt habe, mache ich mein Bett, räume das Zimmer ein bisschen auf und schlüpfe in eine Jeans und ein rotes T-Shirt. Dann binde ich mir die Cookie-Chefin-Schürze um, die Allie genäht und mit den Cookie-Regeln bemalt hat.
Zuerst machen die Pecannüsse, die wild in der Küchenmaschine herumgeschleudert werden, ein ziemlich gefährliches Geräusch, aber sobald sie etwas zerkleinert sind, benehmen sie sich anständig. Dieses Jahr bekommen Sky und Tara auch jeweils ein Dutzend Pecan-Bällchen, demzufolge muss ich das Rezept mit dreieinhalb multiplizieren. Ich gebe die Butter – siebenhundertfünfzig Gramm – in einen Glasbehälter und stelle die Mikrowelle an. Das abgemessene Mehl, Zucker, Vanillezucker und Salz kommen in den KitchenAid-Mixer meiner Mutter, der auf der Anrichte steht. Als die Mikrowelle bimmelt, gieße ich die zerlassene Butter in die Rührschüssel und stelle den Mixer an. Während er rührt, hole ich die Backbleche und das Backpapier aus der Schublade. Dann schabe ich den hochgespritzten Teig vom Rand der Schüssel und klopfe ihn ab. Fertig. Damit mir nicht langweilig wird, stelle ich meinen iPod auf die Rock-Playlist, und sofort fragt sich Tina Turner, was Liebe eigentlich damit zu tun hat. Alles, erkläre ich ihr. Aber dann fällt mir mein Traum wieder ein, und ich überlege, ob ich ihn hatte, weil ich Jim liebe, oder einfach nur, weil ich gern mehr tollen Sex mit ihm hätte. Vielleicht stimmt beides.
Aber es ist mir ein bisschen unheimlich, dass ich mich so in ihn verliebt habe.
Mit etwas Mehl verhindere ich, dass der Teig allzu sehr an meinen Händen klebt, und widme mich mit Hingabe dem systematischen, rhythmischen Rollen der Bällchen, die ich anschließend in Viererreihen auf dem Blech auslege. Drei Dutzend auf jedes Blech. Die schlichte Schönheit des Rechenexempels erinnert mich an andere traditionelle Frauenarbeiten: spinnen, Teig kneten, Beeren ernten, nähen, weben, Mehl mahlen. Ich fühle mich mit all diesen Frauen verbunden, mit den Frauen von früher, mit den Frauen auf der ganzen Welt, die Essen zubereiten, Kleider nähen, Werkzeug herstellen. Das erste Blech kommt in den Ofen, und ich beginne mit dem nächsten. Der leichte Teil ist erledigt. Ein paar Minuten kehre ich zum friedlichen Rollen zurück, stelle das Blech in den Ofen, überprüfe den Timer. Noch fünf Minuten. Jetzt lege ich Backpapier auf dem Esstisch aus, fülle eine Plastiktüte mit Puderzucker und lege ein paar Topflappen auf die Mitte des Tischs. Der Timer klingelt. Ich hole das Blech heraus und stelle es auf die Topflappen. Die Cookies sind hellbraun wie herbstliche Eichenblätter, der Duft gebackener Pecannüsse erfüllt die Küche. Bob Seger singt vom hereinbrechenden Herbst, und hier ist Winter. Schon. Wie ist das bloß so schnell gegangen?
Wieder einmal sinniere ich über den Wechsel der Jahreszeiten und welche Sitten und Bräuche wir damit verbinden. Dabei beginne ich schon mit den Bällchen für die dritte Ladung. Zwischendurch lasse ich das plätzchenbeladene Backpapier vorsichtig von dem noch heißen zweiten Blech auf den Tisch rutschen, stelle das Blech zum Abkühlen auf den Herd und lege die Bällchen sanft in den Puderzucker.
Diese Arbeit muss rasch erledigt werden, denn wenn die Cookies kalt sind, zieht der Puderzucker nicht mehr ein. Aber wenn sie zu heiß sind, verbrennt man sich die Finger. Das zweite Blech ist fertig, und ich gehe in die Küche, um es aus dem Ofen zu holen. Da klingelt das Telefon. Ich fahre herum, angle hektisch nach dem tragbaren Gerät, das neben der leeren Butterdose auf der Anrichte liegt, und stoße dabei mit der Wange heftig gegen die Ecke einer offenen Hängeschranktür. Die Tür knallt zu, ein stechender Schmerz durchfährt meine Wange und breitet sich rasant aus.
»Mom?«
»Du kannst nicht schlafen, was?«
Und ich kann keine Backpause einlegen, deshalb klemme ich das Telefon zwischen Schulter und Ohr, während ich die Pecan-Bällchen in die Zuckertüte fülle.
»Nein. Ich wälze mich bloß noch von einer Seite auf die andere. Und hab Angst, Troy zu wecken.« Skys Stimme zittert leicht.
Die Cookies rollen im Zucker herum. »Ich hab mich schon gefragt, ob du wohl noch schläfst.«
»Ich dachte, du bist bestimmt schon auf und backst.«
»Richtig geraten. Gerade hab ich das erste Blech aus dem Ofen geholt und wälze die Cookies jetzt in Puderzucker. «
»Ah. Nanas Pecan-Bällchen.«
»Meine Lieblingsplätzchen.«
»Meine auch.«
Als Sky und Troy vor drei Jahren zum ersten Mal versuchten, schwanger zu werden, wusste ich nichts davon. Schließlich waren sie beide noch mitten im Jurastudium, und Skys Lebensplanung ist ansonsten sehr zielorientiert.
Aber sie rief an und prahlte am Telefon lauthals damit, dass es auf Anhieb geklappt hatte. »Wir sind gleich beim ersten Versuch schwanger geworden«, verkündete sie und kicherte – das klang beinahe so, als hätten die beiden davor nie Sex gehabt.
Ich kaufte Stoff, um für mein erstes Enkelkind einen Quilt zu nähen, aber als ich vom Einkaufen zurückkam, rief Sky an. Sie weinte. Sie hatte eine Fehlgeburt gehabt und das Baby verloren.
»Das tut mir schrecklich leid, Darling«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Ich fürchte, du wirst ein paar Monate ganz schön traurig sein.«
»Das hat die Ärztin auch gemeint. Und wir sollen es in sechs Monaten noch mal probieren. Was für eine höllisch lange Zeit!« Sky schniefte und versuchte sich ein Lachen abzuringen. »Anscheinend ist eine Fehlgeburt nichts Ungewöhnliches. Vor allem bei der ersten Schwangerschaft. Sagt die Ärztin.«
»Ich komme zu euch.«
»Das brauchst du nicht.« Aber ich hörte die Erleichterung in ihrer Stimme.
Im nächsten Jahr hatte sie die zweite Fehlgeburt. Wieder rief sie mich an, um es mir zu erzählen, wieder flog ich zu ihr. »Ich wünschte, du würdest nicht so weit weg wohnen.«
»Ich auch.«
Als sie dann zum dritten Mal schwanger wurde, hielten wir alle den Atem an. Ich versuchte den besorgten Unterton aus meiner Stimme zu verbannen, wenn wir miteinander sprachen. Sie blieb schwanger. »Vielleicht sollte ich aufhören zu arbeiten«, überlegte sie. »Aber ich werde ständig überwacht.« Im vierten Monat wagte ich wieder zu atmen. Aber im achten Monat hörte das Baby auf sich zu bewegen, und bei einer Ultraschalluntersuchung zeigte sich, dass es tot war. Die Ärzte sagten Sky, im Hinblick auf eine zukünftige Schwangerschaft wäre es am besten, trotzdem bis zum errechneten Geburtstermin zu warten und das Baby erst zu entbinden, wenn die Wehen einsetzten.
»Das Baby verwest in mir.«
»Ich komme morgen.«
»Nein, warte lieber, bis die Wehen einsetzen. Dann brauche ich dich wirklich.«
»Wie geht es Troy?«
»Er hat Angst. Und ist total durcheinander. Genau wie ich.« Sie seufzte. »Irgendwie muss ich den nächsten Monat überstehen. Wahrscheinlich sollte ich das Kinderzimmer ausräumen und es wieder als Gästezimmer oder Büro oder was einrichten.«
»Wollt ihr aufhören, es zu versuchen?« Ich stellte mir vor, wie sie auf und ab wanderte, das schnurlose Telefon am Ohr, vorbei an der Couch und am Esstisch, eine halbe Drehung in der Küche, und die Runde begann von vorn. Das tut Sky immer, wenn sie aufgeregt ist. Sie bewegt sich.
»Ich weiß nicht, ob ich das noch mal durchstehe.«
»Du hast ja reichlich Zeit für die Entscheidung.«
»Ich weiß nicht mal, ob ich den Monat überstehe. Wie ich einen Monat mit einem toten, missgebildeten Baby in mir leben soll.«
»Missgebildet?«
»Das haben sie beim Ultraschall gesagt. Irgendwas stimmt nicht mit dem Baby. Deshalb hatte ich wahrscheinlich auch die Fehlgeburten.«
»Das verstehe ich nicht. Wie kann eine Missbildung die früheren Fehlgeburten erklären?«
»Es könnte etwas Genetisches sein. Womöglich haben Troy und ich ein genetisches Problem.«
Ich zermarterte mir den Kopf nach einem tröstlichen Zauberspruch. »Aber jetzt können sie wenigstens nachschauen, was schiefgelaufen ist. Und dir helfen. Euch beiden. «
»Ja. Stimmt.«
»Möchtest du heimkommen?«
»Nein. Ich möchte so tun, als wäre alles okay und normal. Ich möchte mein Leben. So weit das eben geht.«
Ihrer Bitterkeit hatte ich nichts entgegenzusetzen.
Sobald die Wehen einsetzten, rief sie an. Ich stieg ins nächste Flugzeug und kam gerade rechtzeitig zum Beginn der Austreibungsphase. Ich hielt Skys Hand. Troy wanderte ruhelos auf und ab. Ich wischte ihr den Schweiß von der Stirn. Sie kniff die Augen zusammen und hechelte.
Ächzte. Drückte meine Hand ganz fest. Schrie. Sie ertrug alle Qualen der Geburt, aber ohne das befreiende Happy End. Denn es würde nicht den berühmten ersten Schrei des Neugeborenen geben, mit dem aller Schmerz vergessen war. Unter Tränen presste sie das tote Baby heraus. Blau. Wir sahen die Missbildungen, die der Ultraschall bereits angedeutet hatte. Es hatte sehr kurze Arme und ein zerknautschtes Gesicht. Aber wir konnten nur einen raschen Blick auf das Baby werfen, dann wurde es zu den genetischen Untersuchungen gebracht.
»Wenigstens ist es vorbei.« Sky sank in sich zusammen, als wollte sie durch den Operationstisch fallen und im Erdboden versinken. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe.«
»Hast du aber. Und zwar wie ein echter Champ.« Ich drückte ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Warum hast du mich nicht gewarnt?« Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, schockiert, als hätte ich sie hintergangen und ihr absichtlich etwas verheimlicht.
»Weil man den Schmerz vergisst, sobald man das Baby in den Armen hält.«
Sie schniefte. »Vermutlich werde ich ihn dann also nicht vergessen.«
»Ich liebe dich so sehr«, sagte Troy leise, küsste sie, und die Tränen liefen ihm in Strömen über die Wangen.
»Unser armes Baby. Du bist so tapfer.«
Sie unterdrückte ein Schluchzen.
»Ja, ihr seid wirklich tapfer, alle beide.« Ich hielt ihr das Wasserglas zum Trinken hin, während der Arzt noch dabei war, den Dammschnitt zu nähen. Dann bekam sie eine Spritze, damit die Milchdrüsen ihre Arbeit einstellten. Uns allen fehlten die Worte. Unter den grellen Operationslampen weinten wir, jeder für sich. Und der Arzt nähte.
»Wir alle haben das Baby verloren, nicht wahr?« Sky sah uns mit ihren grauen Augen an, deren Pupillen durch die Tränen riesig wirkten.
»Wir sind alle bei dir, Schätzchen«, sagte ich und küsste sie wieder.
Troy strich ihr die schweißnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
So weinten wir, und wir weinten auch später, als ich wieder zu Hause war, am Telefon. Irgendwann standen wir dann wieder einen Anruf ohne Tränen durch. Und da war Sky wieder schwanger.
Jetzt ist sie im vierten Monat. »Ich hab mir schon immer Kinder gewünscht«, flüstert sie, als wollte sie sich entschuldigen. »Ich meine, das ist doch das Wichtigste. Verstehst du?«
Ich fülle noch ein paar Plätzchen in die Puderzuckertüte. »Ja.« Diese Erklärung höre ich häufig von ihr, und manchmal habe ich das Gefühl, sie denkt, wenn sie es nur oft genug sagt, werden ihre Gebete erhört und alles geht gut.
Als kleines Mädchen hat sie sich Babypuppen gewünscht, obwohl ihre Freundinnen Barbies sammelten. Sie trug Matilda in ihrem alten Snugly-Babytragesäckchen herum, sang ihr Schlaflieder vor und ließ sie bei sich im Bett schlafen. Sogar ihrem Plüschhund zog sie eine Windel an. Keine Ahnung, ob sie sich schon vor Taras Geburt nach mehr Nähe zu uns gesehnt hat oder ob sie wegen Tara eifersüchtig war. Vielleicht kommt es auch daher, dass sie gespürt hat, wie gern ich Mutter war. Oder es ist einfach eine biologische Geschichte: Sie liebt Troy und möchte, dass diese Liebe sich in Fleisch und Blut manifestiert.
Jedenfalls ist Muttersein der Höhepunkt von Skys ehrgeizigen Lebensplänen. Vielleicht muss ich einfach akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind.
Ich lege die Cookies ordentlich nebeneinander. Sechs in einer Reihe. »Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Mutter zu werden.«
»Aber ich möchte einfach nur, dass es endlich vorbei ist. Ich möchte die Testergebnisse haben, und zwar sofort. Vier Monate auf die Folter gespannt sein reicht mir. Jetzt wissen irgendwelche Leute etwas, was für mich lebenswichtig ist, und ich sitze dumm rum und muss warten. Ich will mich endlich der Realität stellen können.«
»Oder dich freuen, auf die Schwangerschaft und die Geburt.« Ich lasse die Bällchen vorsichtig im Puderzucker herumrollen. »Die Ärztin wird dich bestimmt sofort anrufen, sobald sie Bescheid weiß.«
Sky schweigt. Meine Wange tut weh, und ich müsste die Prellung eigentlich kühlen, aber das geht leider nicht.
Im Moment jedenfalls nicht. Wenn wir fertig telefoniert haben, hole ich mir einen Eiswürfel. Wenn ich mit dieser Ladung Cookies durch bin.
Übersetzung: Christine Strüh
© der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
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Autoren-Porträt von Ann Pearlman
Ann Pearlman wurde in Washington, D.C. geboren. Sie lebt als Schriftstellerin und Psychotherapeutin in Ann Arbor, Michigan.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ann Pearlman
- 2009, 358 Seiten, Maße: 12,3 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Strüh, Christine
- Übersetzer: Christine Strüh
- Verlag: MARION VON SCHRÖDER
- ISBN-10: 3547711584
- ISBN-13: 9783547711585
Rezension zu „Der Christmas Cookie Club “
»Ein berührender Lesespaß zur Einstimmung auf die Weihnachtszeit.« TV Familia, 23/2009 »Perfekt für lange Abende« Mini, 25.11.09 »Optimistisch und voller Wärme. Dazu gibt es noch leckere Rezepte und Wissenswertes über Backzutaten.« Schwäbische Post, Anja Rettenmaier, 10.12.09 »Großes Gefühlskino« Woman in the City, Dezember 2009
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