Der Gehilfe des Malers
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Der Gehilfe des Malers von Alexandra Guggenheim
LESEPROBE
Oktober 1668
Mein Herzklopfte vor Aufregung, als am Horizont die Silhouette von Amsterdam auftauchte.Der Fuhrmann, der uns im Morgengrauen mitgenommen hatte, zog die Zügel straffund ließ seinen alten, klapprigen Gaul anhalten. Wir stiegen aus, unsere Wegesollten sich an diesem schmalen Feldweg trennen.
In derFerne sahen wir die Türme der Kirchen, die hoch über das Häusermeerhinausragten. Bald schon konnten wir riesige Windmühlenflügel erkennen und dieMasten der großen Handelsschiffe, die im Hafen lagen. Wir blieben einenAugenblick stehen.
«Dortdrüben wirst du also die nächsten Jahre deines Lebens verbringen.» Mein Vaterblickte besorgt zu mir herüber. «Du musst wachsam sein, Samuel. Amsterdam isteine Stadt voller Verlockungen und Gefahren. Schließlich warst du noch nie vonzu Hause fort.»
«AberVater», entgegnete ich etwas zu hastig, «ich werde bald siebzehn Jahre alt undmöchte endlich den Beruf erlernen, der meiner Natur entspricht. In unseremDorf gibt es niemanden, der mich unterrichten könnte. Da ist es für uns alledoch ein großes Glück, dass Pastor Goltzius mir eine Anstellung in Amsterdamvermittelt hat.»
In Wahrheitwollte ich nicht nur meinem Vater, sondern auch mir selbst Mut machen. Dennnatürlich war mir ein wenig bang vor dem neuen Leben weit weg von meinen Elternund Geschwistern. Bisher kannte ich nur Muiderkamp, mein Heimatdorf, und seineBewohner.
Wir warensechs Geschwister, vier weitere Kinder waren kurz nach der Geburt gestorben.Mein Vater züchtete Blumen und handelte damit. Ab und zu verdiente meine Mutterals Leichenwäscherin etwas hinzu. Doch das Geld war für acht hungrige Mäulerimmer knapp. Fleisch kam nur selten auf den Tisch, wir Kinder teilten uns zudritt ein Bett, und unsere Schuhe hatten Löcher. Trotzdem haderten wir nichtmit unserem Schicksal. Es wurde viel gelacht und gesungen in unserem Haus.Jeden Abend dankten wir beim gemeinsamen Nachtgebet unserem Herrn, dass er unsGesundheit und ein Dach über dem Kopf geschenkt hatte.
Das Lebenin Muiderkamp verlief meist ruhig und gleichförmig. Manchmal kamen Fremde inKutschen mit vergoldeten Wappen und Beschlägen. Sie nächtigten in der Herberge«Het Gouden Anker» gegenüber der Kirche. Alle Kinder aus dem Dorf standen danngaffend am Straßenrand und staunten die riesigen schwarzen Hüte der Reisenden an,ihre blank geputzten Schuhe und eleganten Mäntel mit großen, weißen Spitzenkragen.Bei uns in Muiderkamp trug niemand derartige Kleider.
Wir hörten,dass diese Männer Kaufleute aus Amsterdam waren, die im ganzen Landumherreisten, um Geschäfte zu machen. Während die Fremden im Wirtshaus aßen undtranken, schlichen wir uns in den Stall zu den Pferden. Wir streichelten ihrglattes, seidiges Fell, das sich so anders anfühlte als das unserer Pferde.Diese waren struppig, denn sie zogen im Frühling und Herbst den Pflug auf denFeldern und brachten im Sommer das Heu auf schweren Karren in die Scheunen.
Als meineSchulzeit zu Ende war, wurde ich zu meinem Onkel Albert Flinck in die Lehregegeben, einem Kleider und Strumpfmacher. Er wohnte nur zwei Straßen weiter. Einganzes Jahr lang war ich von morgens bis nachmittags damit beschäftigt, dieWerkstatt sauber zu halten, dem Onkel Nadel und Faden bereitzuhalten undHemden zu plätten. Danach durfte ich auch Beinlinge zuschneiden undgewöhnliche Filzkappen nähen.
Die Leuteauf dem Land brauchten nicht mehr als ein paar derbe Kleidungsstücke: Hemd,Beinkleider, Wams, Kopfbedeckung und einen Bauernrock. Für den Kirchgang amSonntag zogen die Männer einen Oberrock an, im Sommer aus Leinen, im Winteraus Wolle. Die Frauen trugen über ihrem Hemd Rock und Mieder, außerdemKopftücher und am Kirchtag Hauben. Bei grimmiger Kälte zogen sie einfachmehrere Kleidungsstücke übereinander an.
Die Arbeitin der Werkstatt war eintönig und machte mir keine rechte Freude. MeineFingerkuppen waren wund und zerstochen von den spitzen Nadeln. Doch den Lohn, denich nach dem zweiten Lehrjahr verdiente, konnte die Familie gut gebrauchen.Auch wenn es nicht viel war.
ZuJahresbeginn kam ein neuer Pastor mit Namen Jan Goltzius in unsere Gemeinde. Erwar ein kleiner, untersetzter Mann mit Spitzbart und wachsamen Augen. EinesNachmittags brachte ich ihm einen neuen Kragen, den er bei meinem Onkelbestellt hatte. Der Pastor fragte mich, ob ich ihm wohl dabei helfen könne, einpaar Bilder und Bücher von einem Karren zu entladen und in sein Haus zu tragen.
Zum Dankschenkte er mir ein Blatt Papier, auf dem eine Muschel mit einem Mustergezeichnet war, das an feinste Spitzenklöppelei erinnerte. Ich legte dieZeichnung zu Hause in meine Bibel und hütete sie wie einen Schatz. (...)
© RowohltVerlag GmbH
- Autor: Alexandra Guggenheim
- 2006, 1, 272 Seiten, Maße: 13,3 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463404923
- ISBN-13: 9783463404929
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