Der Himmel über der Heide
Nur ungern kehrt Kati zurück in ihre alte Heimat in die Lüneburger Heide. Noch immer hat sie mit dem Tod ihrer Zwillingsschwester zu kämpfen. Und niemand weiß wirklich, was damals geschah. Nun muss sich Kati mit ihrer Mutter um den...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Himmel über der Heide “
Nur ungern kehrt Kati zurück in ihre alte Heimat in die Lüneburger Heide. Noch immer hat sie mit dem Tod ihrer Zwillingsschwester zu kämpfen. Und niemand weiß wirklich, was damals geschah. Nun muss sich Kati mit ihrer Mutter um den Familiengasthof kümmern. Dann begegnet sie durch Zufall dem attraktiven Andi wieder. Das reißt alte Wunden in ihre auf denn Andi war der Freund ihrer Schwester und der Letzte, der sie lebend gesehen hat.
Liebe Weltbild-Leserinnen und -Leser!
In meinem neuen Roman heiße ich Sie herzlich in der Lüneburger Heide willkommen. Ich zeige Ihnen die Schönheien der Landschaft und natürlich lernen Sie meine "Heldin" Kati kennen. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dem Buch!
Ihre
Sofie Cramer
Klappentext zu „Der Himmel über der Heide “
Schicksalssommer in der Heide.Seit zehn Jahren meidet Kati ihre alte Heimat. Seit zehn Jahren quälen sie schmerzhafte Erinnerungen. Jetzt hat erneut eine Tragödie ihre Familie heimgesucht. Der Vater liegt im Koma, und die Großmutter kann den kleinen Gasthof nicht allein führen, den die Weidemanns seit Generationen mitten in der Lüneburger Heide betreiben. Und die Saison hat gerade erst begonnen.
Schweren Herzens beschließt Kati, ihren Hamburger Agenturjob aufzugeben und für einige Zeit auf dem «Heidehof» auszuhelfen. Überrascht stellt sie fest, wie sehr sie die Stille und Schönheit der Heidelandschaft vermisst hat: Kati blüht auf, ihre Wunden beginnen endlich zu heilen. Bis auf einmal der Mann vor ihr steht, dessen Schicksal mit ihrem für immer verbunden ist und den sie niemals wiedersehen wollte ...
Schicksalssommer in der Heide.
Seit zehn Jahren meidet Kati ihre alte Heimat. Seit zehn Jahren quälen sie schmerzhafte Erinnerungen. Jetzt hat erneut eine Tragödie ihre Familie heimgesucht. Der Vater liegt im Koma, und die Großmutter kann den kleinen Gasthof nicht allein führen, den die Weidemanns seit Generationen mitten in der Lüneburger Heide betreiben. Und die Saison hat gerade erst begonnen.
Schweren Herzens beschließt Kati, ihren Hamburger Agenturjob aufzugeben und für einige Zeit auf dem "Heidehof" auszuhelfen. Überrascht stellt sie fest, wie sehr sie die Stille und Schönheit der Heidelandschaft vermisst hat: Kati blüht auf, ihre Wunden beginnen endlich zu heilen. Bis auf einmal der Mann vor ihr steht, dessen Schicksal mit ihrem für immer verbunden ist und den sie niemals wiedersehen wollte ...
Seit zehn Jahren meidet Kati ihre alte Heimat. Seit zehn Jahren quälen sie schmerzhafte Erinnerungen. Jetzt hat erneut eine Tragödie ihre Familie heimgesucht. Der Vater liegt im Koma, und die Großmutter kann den kleinen Gasthof nicht allein führen, den die Weidemanns seit Generationen mitten in der Lüneburger Heide betreiben. Und die Saison hat gerade erst begonnen.
Schweren Herzens beschließt Kati, ihren Hamburger Agenturjob aufzugeben und für einige Zeit auf dem "Heidehof" auszuhelfen. Überrascht stellt sie fest, wie sehr sie die Stille und Schönheit der Heidelandschaft vermisst hat: Kati blüht auf, ihre Wunden beginnen endlich zu heilen. Bis auf einmal der Mann vor ihr steht, dessen Schicksal mit ihrem für immer verbunden ist und den sie niemals wiedersehen wollte ...
Lese-Probe zu „Der Himmel über der Heide “
Der Himmel über der Heide von Sofie CramerProlog
In sanften Wellen bewegt sich das Meer aus lila Blüten bis zum Horizont. Dort, wo der Himmel über der Heide in pastellfarbenes Licht gehüllt ist, ziehen ein paar Wolken in wilden Formationen vorüber. Ihre Bewegungen sind fließend und nur von einem geduldigen Auge zu erkennen. Die untergehende Spätsommersonne verheißt einen schönen neuen Morgen. So schön, dass zahlreiche Schwalben hoch oben durch die Lüfte tanzen und den neuen Tag willkommen heißen werden.
Eindringliche Stille liegt über dem weiten Land. Vereinzelt werfen Kiefern, Birken und Wacholderbüsche ihre langen Schatten. Sie stehen vollkommen still und trotzen der Zeit. Doch im Osten kündigen die ersten Nebelschwaden bereits den Herbst an. Langsam erobern sie das Land. Wie weißer Rauch, der ein lange gehütetes Geheimnis umschließt, breiten sie sich jedes Jahr von neuem aus und wecken beim Betrachter Erinnerungen an ein tragisches Ereignis, das vor langer Zeit die Idylle erschütterte. Es sind schmerzvolle Bilder, die seit jener Oktobernacht immer wieder ihren Weg ins Bewusstsein der Beteiligten suchen: Flammen, die sich wie blutrote Zungen erbarmungslos durch die Ritzen der Mauern fressen und an den trockenen Gräsern und Büschen lecken. Und mitten in der roten Feuersglut steht eine junge Frau. Sie schreit, doch niemand kann sie hören - nicht einmal ihre Schwester, die seit der Geburt untrennbar mit ihr verbunden war. Seit jener schicksalhaften Nacht ist alles anders. Seit jener Nacht scheint der Himmel über der Heide wie mit einem Mantel des Schweigens verhüllt. Denn wie ein unerbittlicher Fluch lastet die Tragödie auf den Herzen der Betroffenen. Er nimmt ihnen die Luft zum Atmen. Und den Mut zur Liebe ...
1
... mehr
Das grelle Licht des Nachmittags blendete Kati. Sie rauschte in ihrem alten Golf über die Elbbrücken Richtung Süden, klappte die Sonnenblende nach unten und drückte weiter aufs Gaspedal, obwohl sie hier nur 80Kilometer pro Stunde fahren durfte. Ein silberfarbener Mercedes kroch auf der linken Spur. Sie überholte rechts.
Ihr Herz raste, und die Sorge um ihren Vater schnürte ihr die Kehle zu. Noch nie hatte sie es so eilig gehabt, in ihre alte Heimat, die Lüneburger Heide, zu kommen. Die Stimme der Großmutter am Telefon hatte sofort verraten, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste. Noch immer kreisten die Worte in ihrem Kopf: Zusammenbruch ... Krankenhaus ... Intensivstation ... Koma ...
Kati wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Niemandem wäre geholfen, wenn sie sich jetzt in die Rolle eines kleinen Mädchens hineinsteigern würde. Sicher war ihr Vater schon wieder bei Bewusstsein, wenn sie gleich im Krankenhaus ankäme. Sie versuchte, sich selbst Mut zu machen. Wie schlimm konnte ein Magendurchbruch sein? Schwebte ihr Vater wirklich in Lebensgefahr? Vielleicht hatte Elli in ihrer Angst übertrieben. Vielleicht war alles halb so schlimm. Die Großmutter sorgte sich verständlicherweise um ihren Sohn, aber wahrscheinlich hatte sie die Ärzte nicht richtig verstanden. Ein Magendurchbruch war schließlich kein Herzinfarkt, oder? Je schneller ein Patient versorgt wurde, desto größer war doch die Chance einer vollständigen Genesung.
Kati dachte an ihren Heimatort. Uhlendorf lag abseits der großen Verbindungsstraßen, und es musste eine halbe Ewigkeit gedauert haben, bis der Krankenwagen den langen Weg von Soltau aus geschafft hatte. Schließlich lag Uhlendorf inmitten des Naturschutzgebietes. Doch immerhin war die Großmutter sofort zur Stelle gewesen, als Katis Vater in der Küche des Landgasthofs unter Schmerzen zusammengebrochen war und beinahe das Bewusstsein verloren hatte. Sie hatte angeblich sofort den Notdienst gerufen. Kati malte sich aus, wie ihre Großmutter außer sich vor Sorge am Telefon um Hilfe gefleht hatte. Das Warten musste schlimm gewesen sein. Oder hatte es der Notarzt doch viel schneller geschafft?
Kati fiel ein, dass vor ein paar Jahren eine Rettungswache im Nachbardorf eingerichtet worden war. Der Notarzt wird also rechtzeitig da gewesen sein, mutmaßte sie. Sicher wussten auch die Ärzte im Krankenhaus genau, was sie taten.
Als Kati an diesem drückenden Julinachmittag endlich von der Autobahn abfuhr und auf die Hauptstraße nach Soltau einbog, die früher auch ihr Schulweg gewesen war, wurde sie etwas ruhiger. Irgendwie schien ihr die vertraute Heimat ein wenig Trost und Zuversicht zu spenden.
Eine Viertelstunde später erreichte sie den Parkplatz des Krankenhauses. Kati stieg aus, orientierte sich kurz und ging dann schnellen Schritts auf den Haupteingang zu.
Eine sympathisch aussehende Frau an der Informationstheke lächelte sie an und erklärte ihr den Weg zur Intensivstation. Kati hatte nicht die Ruhe, auf den Aufzug zu warten. Sie lief die Treppen hinauf bis in den ersten Stock und bog in den langen Flur der Intensivstation. Schon von weitem sah sie den weißen Haarschopf ihrer Großmutter. Neben Elli entdeckte Kati auch den rötlichen von ihrer Stiefmutter. Beide Frauen saßen angespannt auf den Wartestühlen und blickten, als sie Schritte hörten, gleichzeitig in Katis Richtung. Während Dorothee sitzen blieb, erhob sich Elli sofort und ging ihrer Enkelin ein Stück entgegen. Kati warf sich in ihre Arme und fragte: «Wie geht es ihm? Ist er wach?»
Mit sorgenvollem Blick nahm Elli das Gesicht ihrer Enkeltochter zwischen beide Hände und sprach beruhigend auf sie ein: «Es wird sicher alles wieder gut, mein Liebes.»
Kati glaubte ihrer Großmutter kein Wort. Ungeduldig wechselte sie einen besorgten Blick mit Dorothee. «Was sagen die Ärzte?»
Dorothee hatte ihre rotblonden Haare zu einem Zopf geflochten. Ihre grünen Augen sahen so aus, als hätte sie geweint. Sie bemühte sich um ein Lächeln und sagte: «Dr.Steindamm ist gerade bei ihm. Wir müssen die Untersuchungsergebnisse abwarten.»
Normalerweise hatte ihre Stimme einen leicht überheblichen Klang, den Kati nicht ausstehen konnte, weil es sich zu sehr nach Dozieren anhörte. Doch heute war es anders. Der nüchterne Ton ihrer Stiefmutter hatte seltsamerweise etwas Beruhigendes.
Kati nickte und ließ sich auf einen der freien Stühle sinken. So viele Fragen gingen ihr durch den Kopf, und doch war sie zu aufgewühlt, um Worte über die Lippen zu bringen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Vater hier irgendwo lag, an Schläuche und Geräte angeschlossen, die über sein weiteres Schicksal entschieden. So ein starker, lebenshungriger Mann wie er konnte doch nicht einfach aus dem Leben gerissen werden. Nein, nicht ihr Vater! Ihn konnte so schnell nichts aus der Fassung bringen. Außer vielleicht ein packendes Fußballspiel. Unwillkürlich musste Kati an die Zeit denken, als ihr Vater sie häufiger mit ins Stadion nach Hamburg genommen hatte. Mit all seiner Begeisterung hatte er sogar sie angesteckt. Fußball war seine ganz große Leidenschaft. Im Heidehof zeigte er regelmäßig die wichtigsten Spiele im Gastraum, in dem er public viewing organisierte. Und während einer WM kamen sogar die Fußballfans aus der gesamten Nachbarschaft zusammen. Hinrich Weidemann und sein Gasthof waren ohnehin so etwas wie der Dreh und Angelpunkt des Ortes. Und sein Heide-Barbecue war weit über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt.
Zusammen mit ihrem Freund hatte Kati bei der letzten WM das Endspiel in Uhlendorf gesehen. Zwar ergab sich nur selten die Gelegenheit, gemeinsam mit Simon aufs Land zu fahren, aber wenn, dann wurden sie während ihres Besuchs von allen Seiten maßlos verwöhnt.
Wann war sie eigentlich das letzte Mal dort gewesen? Kati fuhr sich durch die Haare. Ihr wurde schwer ums Herz.
«Es sieht nicht besonders gut aus», sagte Dorothee beinahe tonlos und sah Kati mit großen Augen an. «Sie haben ihn notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt.»
Kati stockte der Atem. Am liebsten hätte sie Dorothee in die Arme geschlossen und etwas Beruhigendes gesagt. Doch sie war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
Bitte, lieber Gott, flehte sie innerlich, bitte, lass ihn schnell wieder aufwachen!
«Und was bedeutet das?», hörte sie sich fragen. «Ich meine, die machen das doch bestimmt, damit sie ihn besser behandeln können, oder?»
Dorothee zuckte mit den Schultern. «Ich kann es dir nicht sagen, Kati.» Sie wirkte beinahe schroff. Als hätte sie sich inzwischen gesammelt und in Windeseile ihre undurchdringliche Fassade wieder aufgebaut. «Alles, was ich weiß, ist, dass er sehr viel Blut verloren hat und der Kreislauf sich erst stabilisieren muss.»
Kati hing förmlich an Dorothees Lippen. Dann fragte sie: «Wie schlimm ist es wirklich?»
«Ich weiß es nicht.» Und erst nach einer kleinen Pause fügte Dorothee noch leise einen Satz hinzu, der Kati einen Schauer über den Rücken jagte: «So, wie ich es verstanden habe, stehen seine Überlebenschancen nicht zum Besten.»
Die Vorstellung, dass ihr Vater womöglich nie wieder der souveräne und großzügige Gastwirt sein würde, als den sie ihn zeit ihres Lebens gekannt hatte, war für Kati unerträglich. Doch jetzt sollte sie einfach hier sitzen und warten. Benommen starrte sie benommen vor sich hin. Nein, ihm durfte nichts geschehen! Das Schicksal war bereits grausam genug mit ihnen umgesprungen. Sie konnte unmöglich erneut einen geliebten Menschen viel zu früh verlieren.
Die nächste Zeit erlebte Kati wie in Trance. Sie hatte die schwache Hoffnung, wenigstens einen kurzen Blick auf ihren Paps werfen zu können. Außerdem wollte sie persönlich mit den Ärzten sprechen. Gleichzeitig fühlte sie sich wie in einen Schleier gehüllt, und sie wagte nicht diesen Schleier wegzuschieben. Zu beängstigend erschien ihr die nackte Wahrheit.
«Liebes ...» Erst als ihre Großmutter sie sanft am Arm berührte und ihre Worte wiederholte, wurde sich Kati ihrer Umgebung wieder bewusst. «Wir müssen das Beste hoffen. Es wird bestimmt alles gut.»
Kati vermochte nicht zu sagen, wie lange sie dort gesessen und auf die graugrüne Wand gestarrt hatte. Ob Elli die ganze Zeit schon ihre Hand gehalten hatte? Kati sah die Großmutter liebevoll an. Wie vertraut ihr faltiges, gütiges Gesicht war!
Obwohl man Elli ihre beinahe 83 Jahre durchaus ansehen konnte, war noch immer die schöne Frau zu erahnen, die sie früher gewesen sein musste. Auch wenn sie ihre Arbeit im Heidehof nur selten ruhen ließ und kaum aus dem Dorf herauskam, hatte sie immer sehr viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt. Aber war sie auch immer schon so schmal gewesen? Kati konnte sich nicht erinnern, dass Elli je so zerbrechlich gewirkt hätte. Außer damals vielleicht ... Kati schob den Gedanken schnell beiseite und streichelte ihrer Großmutter über die Wange.
«Da kommt Dr.Steindamm.» Dorothee sprang auf und ging dem Mediziner hoffnungsvoll entgegen.
Doch der Chefarzt konnte immer noch nichts Genaues sagen. Er informierte sie lediglich darüber, dass die OP so weit gut verlaufen sei. Als wie schwerwiegend sich aber die eigentlichen Folgen des Magendurchbruchs erweisen würden, musste auch das Ärzteteam abwarten.
Einen Moment war Kati etwas eingeschüchtert von Steindamms großer Statur, seinem weißen Kittel und der randlosen Brille, die ihm zusätzlich Autorität verlieh.
«Können wir zu ihm?», fragte sie.
Dr.Steindamm legte seine hohe Stirn in Falten und räusperte sich. «Nun, wenn Sie versprechen, ruhig und gefasst zu bleiben, kann ich sie kurz zu dem Patienten lassen. Aber wirklich nur für einen Moment.»
Die drei Frauen erhoben sich und folgten ihm bis vor das Zimmer mit der Nummer 114. Vorsichtig öffnete der Arzt die Tür und ließ sie eintreten.
Der Raum strahlte eine seltsame Atmosphäre aus. Die Wände waren in zartem Hellblau gestrichen und ließen das Zimmer mit all den technischen Geräten, Maschinen und Monitoren irgendwie unmenschlich und zugleich auf eine seltsame Weise auch beruhigend erscheinen. Neben Hinrichs Bett stand noch ein zweites, mit einer durchsichtigen Plastikhülle überzogenes. Es wirkte sehr steril.
Leise näherte sich Kati dem Krankenbett. Dort lag ihr Vater scheinbar leblos auf dem Rücken, eine Sauerstoffmaske auf dem blassen Gesicht. Es war ein schrecklicher Anblick, und Kati fühlte sich plötzlich wie ein hilfloses Kind. Sie musste schwer schlucken.
Auch Dorothee war die Beklemmung ins Gesicht geschrieben. Sie trat an das Krankenbett und strich mit dem Zeigefinger behutsam über die Wange ihres Mannes und sein noch recht volles graues Haar. Diese Geste hatte etwas derart Hilfloses, dass Kati schlucken musste. Sie konnte sich nicht erinnern, die beiden jemals so vertraut miteinander erlebt zu haben. Normalerweise war Dorothee eher der geschäftige Typ, der nur wenige Gefühle zeigt. Doch wie sie jetzt dort bei ihrem kranken Mann stand, wirkte sie beinahe genauso schwach wie er.
«Du ... Sturkopf», flüsterte Dorothee mit zitternder Stimme, «ich habe es doch gewusst.»
Irritiert sah Kati ihre Großmutter an. Was meinte Dorothee damit? Doch ehe Elli etwas sagen konnte, räusperte sich Dr.Steindamm und gab mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie den Raum nun wieder verlassen mussten. Kati nickte ihm zu und streifte im Hinausgehen kurz die Decke des Krankenbettes. Sie glaubte, die Beine ihres Vaters gespürt zu haben. Ob er von dieser Geste etwas mitbekam? Kati beobachtete noch, wie Dorothee sich über ihren Vater beugte, um ihn zum Abschied sanft auf die Stirn zu küssen. Dann trat sie hinter ihrer Großmutter auf den Flur.
Dr.Steindamm versicherte ihnen, dass sie im Moment nichts für den Patienten tun konnten.
«Fahren Sie lieber nach Hause und schonen Sie Ihre Kräfte für die nächsten Tage», erklärte er. «Dann wird sich alles Weitere entscheiden. Wir halten Sie natürlich auf dem Laufenden.»
Kati ging das alles viel zu schnell. Wie lautete die genaue Diagnose? Welche Chancen hatte ihr Vater? Wann würde er aufwachen? Doch sie stand noch immer unter Schock. In ihrem Kopf wirbelten die Fragen wie Herbstlaub im Wind umher. Hilflos sah sie ihre Stiefmutter an.
Dorothee schien die Einzige zu sein, die einen klaren Gedanken fassen konnte. Ihr war offensichtlich bewusst, dass der Arzt recht hatte. Sie drehte sich bereits zum Fahrstuhl um. Da hielt Kati sie an der Schulter fest.
«Was ist mit Paps los? Was meintest du eben?»
Dorothee zuckte mit den Schultern. Ganz eindeutig war ihr die Situation unangenehm.
«Wenn es nach mir gegangen wäre», erklärte sie leise, «hättest du längst etwas erfahren. Aber ...» Sie brach ab und warf Elli einen strengen Blick zu. «Aber ich durfte ja nichts sagen.»
Kati verstand gar nichts mehr. Unsicher blickte sie von einer zur anderen. «Was -?»
«Ach, lass gut sein.» Dorothee zog bereits ihre Jacke über. «Ich nehme an, ihr fahrt zusammen zum Heidehof zurück?»
Was eigentlich eine Frage war, klang wie eine Feststellung. Schon wendete sie sich zum Gehen, ohne eine Antwort abzuwarten.
Kati drehte sich zu ihrer Großmutter. «Was durfte sie mir nicht sagen, Elli?» Ihre Stimme war leise, aber eindringlich.
Elli atmete schwer und nestelte an den Knöpfen ihrer Strickjacke. «Jetzt nicht, Liebes», seufzte sie und hakte sich bei Kati unter. «Deine Stiefmutter hat recht: Lass uns erst mal nach Hause fahren!»
Als sie in Uhlendorf auf dem malerisch gelegenen Heidehof ankamen, wunderte sich Kati, wie marode das alte Haupthaus und die kleineren Nebengebäude wirkten. Sie war schon länger nicht mehr da gewesen, und nun kam es ihr vor, als würde der Hof auch schon ein wenig unter Altersschwäche leiden.
Immerhin blickte der Gasthof auf eine über 300jährige Geschichte zurück. Kati wusste, wie viel Arbeit darin steckte. Nun aber schreckte sie der Zustand der Gebäude. Einzig die von Elli liebevoll gepflegten Blumenbeete vor dem Haupteingang machten den etwas heruntergekommenen Eindruck wett.
Dorothees Wagen stand schon auf dem großen Parkplatz direkt am Haupthaus. Als sie neben dem Rover ihrer Stiefmutter parkte, sah Kati, dass Elli einen Blick auf ihre Armbanduhr warf.
«Normalerweise würden jetzt die ersten Gäste zum Abendessen kommen», erklärte ihre Großmutter verunsichert. «Was sollen wir nur tun?»
Darauf wusste Kati auch keine Antwort. «Ach Elli, irgendwas wird uns schon einfallen», erklärte sie und stieg aus. «Zur Not müssen wir die Leute eben wieder nach Hause schicken.»
Als sie sich dem Eingang näherten, entdeckten sie an der großen Holztür einen weißen Zettel. In Druckbuchstaben stand dort geschrieben:
DER RESTAURANTBETRIEB IST AUS FAMILIÄREN GRÜNDEN
BIS AUF WEITERES EINGESTELLT.
D.WEIDEMANN
«Siehst du, Oma», sagte Kati, «wenigstens das Problem hat sich schon mal geklärt.»
Sie fragte sich allerdings, wie Dorothee sich das mit den Pensionsgästen vorstellte. Zwar dürften es noch nicht so viele Übernachtungsgäste sein, denn die Heideblüte hatte noch nicht begonnen, und die eigentliche Hochsaison würde noch zwei, drei Wochen auf sich warten lassen. Aber sollten die derzeitigen Urlauber das Gasthaus morgens etwa hungrig verlassen? Auf das berühmte Heidehof-Frühstück verzichten müssen? Andererseits: Wer sollte für die Verpflegung sorgen, jetzt wo ihr Paps im Krankenhaus lag? Elli konnte das unmöglich alles alleine stemmen. Dorothee wiederum kannte sich mehr mit Zahlen aus und war eher für Managementaufgaben zuständig.
Ob es die Küchenhilfe noch gab? Kati erinnerte sich an eine nette Frau mit dunkelblonden Haaren. Wie hieß sie noch mal? Silke? Sibylle? Kati war sich nicht sicher. Sie wusste nur eines: In den nächsten Tagen würde jede helfende Hand gebraucht werden.
Als sie das Haus betraten, wollte Elli sich sofort um die Küche kümmern und eilte geschäftig umher. Kati blieb etwas verloren in der großen Diele stehen. Mit einem Mal fühlte sie sich irgendwie fehl am Platz und wusste nicht so recht, wohin mit sich. Der Heidehof war schon lange nicht mehr ihr Zuhause.
Kurzerhand beschloss sie, sich in eine ruhige Ecke zurückzuziehen, um zu telefonieren.
«Ich rufe schnell Simon an», rief sie ihrer Großmutter hinterher und schwenkte wie zur Erklärung ihr Handy in der Luft. «Er weiß ja noch gar nicht, was los ist. Ich komme dann gleich nach und helfe dir.»
Elli nickte ihrer Enkelin zu. «Lass dir Zeit», sagte sie und war auch schon verschwunden.
Kati ging in das Büro ihres Vaters, das im Laufe der Jahre mehr und mehr von Dorothee und ihren Aktenordnern in Beschlag genommen worden war. Nachdem sie ihre Tasche abgestellt hatte, setzte sie sich an den schweren Schreibtisch und wählte Simons Nummer. Doch es folgte eine Enttäuschung. Sie musste mit seiner Mailbox vorliebnehmen. Wie so oft war er beruflich unterwegs, und Kati hatte vergessen, wo er sich gerade aufhielt. Zu häufig wechselten seine Reiseziele mittlerweile. Anfangs, vor rund drei Jahren, als sie ein Paar wurden, fand sie seinen Beruf überaus spannend: ein Wissenschaftsjournalist unterwegs zu den Brennpunkten der Welt! So war ihr Simon von der gemeinsamen Freundin vorgestellt worden, die an jenem Abend ihren 30. Geburtstag feierte. Angeregt unterhielten sie sich und nahmen die anderen Gäste immer weniger wahr. Kati hatte sich sofort in Simon verliebt. Sie bewunderte seine Weltläufigkeit und seine selbstsichere Ausstrahlung.
© Rowohlt TB. (Verlag)
Das grelle Licht des Nachmittags blendete Kati. Sie rauschte in ihrem alten Golf über die Elbbrücken Richtung Süden, klappte die Sonnenblende nach unten und drückte weiter aufs Gaspedal, obwohl sie hier nur 80Kilometer pro Stunde fahren durfte. Ein silberfarbener Mercedes kroch auf der linken Spur. Sie überholte rechts.
Ihr Herz raste, und die Sorge um ihren Vater schnürte ihr die Kehle zu. Noch nie hatte sie es so eilig gehabt, in ihre alte Heimat, die Lüneburger Heide, zu kommen. Die Stimme der Großmutter am Telefon hatte sofort verraten, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste. Noch immer kreisten die Worte in ihrem Kopf: Zusammenbruch ... Krankenhaus ... Intensivstation ... Koma ...
Kati wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Niemandem wäre geholfen, wenn sie sich jetzt in die Rolle eines kleinen Mädchens hineinsteigern würde. Sicher war ihr Vater schon wieder bei Bewusstsein, wenn sie gleich im Krankenhaus ankäme. Sie versuchte, sich selbst Mut zu machen. Wie schlimm konnte ein Magendurchbruch sein? Schwebte ihr Vater wirklich in Lebensgefahr? Vielleicht hatte Elli in ihrer Angst übertrieben. Vielleicht war alles halb so schlimm. Die Großmutter sorgte sich verständlicherweise um ihren Sohn, aber wahrscheinlich hatte sie die Ärzte nicht richtig verstanden. Ein Magendurchbruch war schließlich kein Herzinfarkt, oder? Je schneller ein Patient versorgt wurde, desto größer war doch die Chance einer vollständigen Genesung.
Kati dachte an ihren Heimatort. Uhlendorf lag abseits der großen Verbindungsstraßen, und es musste eine halbe Ewigkeit gedauert haben, bis der Krankenwagen den langen Weg von Soltau aus geschafft hatte. Schließlich lag Uhlendorf inmitten des Naturschutzgebietes. Doch immerhin war die Großmutter sofort zur Stelle gewesen, als Katis Vater in der Küche des Landgasthofs unter Schmerzen zusammengebrochen war und beinahe das Bewusstsein verloren hatte. Sie hatte angeblich sofort den Notdienst gerufen. Kati malte sich aus, wie ihre Großmutter außer sich vor Sorge am Telefon um Hilfe gefleht hatte. Das Warten musste schlimm gewesen sein. Oder hatte es der Notarzt doch viel schneller geschafft?
Kati fiel ein, dass vor ein paar Jahren eine Rettungswache im Nachbardorf eingerichtet worden war. Der Notarzt wird also rechtzeitig da gewesen sein, mutmaßte sie. Sicher wussten auch die Ärzte im Krankenhaus genau, was sie taten.
Als Kati an diesem drückenden Julinachmittag endlich von der Autobahn abfuhr und auf die Hauptstraße nach Soltau einbog, die früher auch ihr Schulweg gewesen war, wurde sie etwas ruhiger. Irgendwie schien ihr die vertraute Heimat ein wenig Trost und Zuversicht zu spenden.
Eine Viertelstunde später erreichte sie den Parkplatz des Krankenhauses. Kati stieg aus, orientierte sich kurz und ging dann schnellen Schritts auf den Haupteingang zu.
Eine sympathisch aussehende Frau an der Informationstheke lächelte sie an und erklärte ihr den Weg zur Intensivstation. Kati hatte nicht die Ruhe, auf den Aufzug zu warten. Sie lief die Treppen hinauf bis in den ersten Stock und bog in den langen Flur der Intensivstation. Schon von weitem sah sie den weißen Haarschopf ihrer Großmutter. Neben Elli entdeckte Kati auch den rötlichen von ihrer Stiefmutter. Beide Frauen saßen angespannt auf den Wartestühlen und blickten, als sie Schritte hörten, gleichzeitig in Katis Richtung. Während Dorothee sitzen blieb, erhob sich Elli sofort und ging ihrer Enkelin ein Stück entgegen. Kati warf sich in ihre Arme und fragte: «Wie geht es ihm? Ist er wach?»
Mit sorgenvollem Blick nahm Elli das Gesicht ihrer Enkeltochter zwischen beide Hände und sprach beruhigend auf sie ein: «Es wird sicher alles wieder gut, mein Liebes.»
Kati glaubte ihrer Großmutter kein Wort. Ungeduldig wechselte sie einen besorgten Blick mit Dorothee. «Was sagen die Ärzte?»
Dorothee hatte ihre rotblonden Haare zu einem Zopf geflochten. Ihre grünen Augen sahen so aus, als hätte sie geweint. Sie bemühte sich um ein Lächeln und sagte: «Dr.Steindamm ist gerade bei ihm. Wir müssen die Untersuchungsergebnisse abwarten.»
Normalerweise hatte ihre Stimme einen leicht überheblichen Klang, den Kati nicht ausstehen konnte, weil es sich zu sehr nach Dozieren anhörte. Doch heute war es anders. Der nüchterne Ton ihrer Stiefmutter hatte seltsamerweise etwas Beruhigendes.
Kati nickte und ließ sich auf einen der freien Stühle sinken. So viele Fragen gingen ihr durch den Kopf, und doch war sie zu aufgewühlt, um Worte über die Lippen zu bringen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Vater hier irgendwo lag, an Schläuche und Geräte angeschlossen, die über sein weiteres Schicksal entschieden. So ein starker, lebenshungriger Mann wie er konnte doch nicht einfach aus dem Leben gerissen werden. Nein, nicht ihr Vater! Ihn konnte so schnell nichts aus der Fassung bringen. Außer vielleicht ein packendes Fußballspiel. Unwillkürlich musste Kati an die Zeit denken, als ihr Vater sie häufiger mit ins Stadion nach Hamburg genommen hatte. Mit all seiner Begeisterung hatte er sogar sie angesteckt. Fußball war seine ganz große Leidenschaft. Im Heidehof zeigte er regelmäßig die wichtigsten Spiele im Gastraum, in dem er public viewing organisierte. Und während einer WM kamen sogar die Fußballfans aus der gesamten Nachbarschaft zusammen. Hinrich Weidemann und sein Gasthof waren ohnehin so etwas wie der Dreh und Angelpunkt des Ortes. Und sein Heide-Barbecue war weit über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt.
Zusammen mit ihrem Freund hatte Kati bei der letzten WM das Endspiel in Uhlendorf gesehen. Zwar ergab sich nur selten die Gelegenheit, gemeinsam mit Simon aufs Land zu fahren, aber wenn, dann wurden sie während ihres Besuchs von allen Seiten maßlos verwöhnt.
Wann war sie eigentlich das letzte Mal dort gewesen? Kati fuhr sich durch die Haare. Ihr wurde schwer ums Herz.
«Es sieht nicht besonders gut aus», sagte Dorothee beinahe tonlos und sah Kati mit großen Augen an. «Sie haben ihn notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt.»
Kati stockte der Atem. Am liebsten hätte sie Dorothee in die Arme geschlossen und etwas Beruhigendes gesagt. Doch sie war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
Bitte, lieber Gott, flehte sie innerlich, bitte, lass ihn schnell wieder aufwachen!
«Und was bedeutet das?», hörte sie sich fragen. «Ich meine, die machen das doch bestimmt, damit sie ihn besser behandeln können, oder?»
Dorothee zuckte mit den Schultern. «Ich kann es dir nicht sagen, Kati.» Sie wirkte beinahe schroff. Als hätte sie sich inzwischen gesammelt und in Windeseile ihre undurchdringliche Fassade wieder aufgebaut. «Alles, was ich weiß, ist, dass er sehr viel Blut verloren hat und der Kreislauf sich erst stabilisieren muss.»
Kati hing förmlich an Dorothees Lippen. Dann fragte sie: «Wie schlimm ist es wirklich?»
«Ich weiß es nicht.» Und erst nach einer kleinen Pause fügte Dorothee noch leise einen Satz hinzu, der Kati einen Schauer über den Rücken jagte: «So, wie ich es verstanden habe, stehen seine Überlebenschancen nicht zum Besten.»
Die Vorstellung, dass ihr Vater womöglich nie wieder der souveräne und großzügige Gastwirt sein würde, als den sie ihn zeit ihres Lebens gekannt hatte, war für Kati unerträglich. Doch jetzt sollte sie einfach hier sitzen und warten. Benommen starrte sie benommen vor sich hin. Nein, ihm durfte nichts geschehen! Das Schicksal war bereits grausam genug mit ihnen umgesprungen. Sie konnte unmöglich erneut einen geliebten Menschen viel zu früh verlieren.
Die nächste Zeit erlebte Kati wie in Trance. Sie hatte die schwache Hoffnung, wenigstens einen kurzen Blick auf ihren Paps werfen zu können. Außerdem wollte sie persönlich mit den Ärzten sprechen. Gleichzeitig fühlte sie sich wie in einen Schleier gehüllt, und sie wagte nicht diesen Schleier wegzuschieben. Zu beängstigend erschien ihr die nackte Wahrheit.
«Liebes ...» Erst als ihre Großmutter sie sanft am Arm berührte und ihre Worte wiederholte, wurde sich Kati ihrer Umgebung wieder bewusst. «Wir müssen das Beste hoffen. Es wird bestimmt alles gut.»
Kati vermochte nicht zu sagen, wie lange sie dort gesessen und auf die graugrüne Wand gestarrt hatte. Ob Elli die ganze Zeit schon ihre Hand gehalten hatte? Kati sah die Großmutter liebevoll an. Wie vertraut ihr faltiges, gütiges Gesicht war!
Obwohl man Elli ihre beinahe 83 Jahre durchaus ansehen konnte, war noch immer die schöne Frau zu erahnen, die sie früher gewesen sein musste. Auch wenn sie ihre Arbeit im Heidehof nur selten ruhen ließ und kaum aus dem Dorf herauskam, hatte sie immer sehr viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt. Aber war sie auch immer schon so schmal gewesen? Kati konnte sich nicht erinnern, dass Elli je so zerbrechlich gewirkt hätte. Außer damals vielleicht ... Kati schob den Gedanken schnell beiseite und streichelte ihrer Großmutter über die Wange.
«Da kommt Dr.Steindamm.» Dorothee sprang auf und ging dem Mediziner hoffnungsvoll entgegen.
Doch der Chefarzt konnte immer noch nichts Genaues sagen. Er informierte sie lediglich darüber, dass die OP so weit gut verlaufen sei. Als wie schwerwiegend sich aber die eigentlichen Folgen des Magendurchbruchs erweisen würden, musste auch das Ärzteteam abwarten.
Einen Moment war Kati etwas eingeschüchtert von Steindamms großer Statur, seinem weißen Kittel und der randlosen Brille, die ihm zusätzlich Autorität verlieh.
«Können wir zu ihm?», fragte sie.
Dr.Steindamm legte seine hohe Stirn in Falten und räusperte sich. «Nun, wenn Sie versprechen, ruhig und gefasst zu bleiben, kann ich sie kurz zu dem Patienten lassen. Aber wirklich nur für einen Moment.»
Die drei Frauen erhoben sich und folgten ihm bis vor das Zimmer mit der Nummer 114. Vorsichtig öffnete der Arzt die Tür und ließ sie eintreten.
Der Raum strahlte eine seltsame Atmosphäre aus. Die Wände waren in zartem Hellblau gestrichen und ließen das Zimmer mit all den technischen Geräten, Maschinen und Monitoren irgendwie unmenschlich und zugleich auf eine seltsame Weise auch beruhigend erscheinen. Neben Hinrichs Bett stand noch ein zweites, mit einer durchsichtigen Plastikhülle überzogenes. Es wirkte sehr steril.
Leise näherte sich Kati dem Krankenbett. Dort lag ihr Vater scheinbar leblos auf dem Rücken, eine Sauerstoffmaske auf dem blassen Gesicht. Es war ein schrecklicher Anblick, und Kati fühlte sich plötzlich wie ein hilfloses Kind. Sie musste schwer schlucken.
Auch Dorothee war die Beklemmung ins Gesicht geschrieben. Sie trat an das Krankenbett und strich mit dem Zeigefinger behutsam über die Wange ihres Mannes und sein noch recht volles graues Haar. Diese Geste hatte etwas derart Hilfloses, dass Kati schlucken musste. Sie konnte sich nicht erinnern, die beiden jemals so vertraut miteinander erlebt zu haben. Normalerweise war Dorothee eher der geschäftige Typ, der nur wenige Gefühle zeigt. Doch wie sie jetzt dort bei ihrem kranken Mann stand, wirkte sie beinahe genauso schwach wie er.
«Du ... Sturkopf», flüsterte Dorothee mit zitternder Stimme, «ich habe es doch gewusst.»
Irritiert sah Kati ihre Großmutter an. Was meinte Dorothee damit? Doch ehe Elli etwas sagen konnte, räusperte sich Dr.Steindamm und gab mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie den Raum nun wieder verlassen mussten. Kati nickte ihm zu und streifte im Hinausgehen kurz die Decke des Krankenbettes. Sie glaubte, die Beine ihres Vaters gespürt zu haben. Ob er von dieser Geste etwas mitbekam? Kati beobachtete noch, wie Dorothee sich über ihren Vater beugte, um ihn zum Abschied sanft auf die Stirn zu küssen. Dann trat sie hinter ihrer Großmutter auf den Flur.
Dr.Steindamm versicherte ihnen, dass sie im Moment nichts für den Patienten tun konnten.
«Fahren Sie lieber nach Hause und schonen Sie Ihre Kräfte für die nächsten Tage», erklärte er. «Dann wird sich alles Weitere entscheiden. Wir halten Sie natürlich auf dem Laufenden.»
Kati ging das alles viel zu schnell. Wie lautete die genaue Diagnose? Welche Chancen hatte ihr Vater? Wann würde er aufwachen? Doch sie stand noch immer unter Schock. In ihrem Kopf wirbelten die Fragen wie Herbstlaub im Wind umher. Hilflos sah sie ihre Stiefmutter an.
Dorothee schien die Einzige zu sein, die einen klaren Gedanken fassen konnte. Ihr war offensichtlich bewusst, dass der Arzt recht hatte. Sie drehte sich bereits zum Fahrstuhl um. Da hielt Kati sie an der Schulter fest.
«Was ist mit Paps los? Was meintest du eben?»
Dorothee zuckte mit den Schultern. Ganz eindeutig war ihr die Situation unangenehm.
«Wenn es nach mir gegangen wäre», erklärte sie leise, «hättest du längst etwas erfahren. Aber ...» Sie brach ab und warf Elli einen strengen Blick zu. «Aber ich durfte ja nichts sagen.»
Kati verstand gar nichts mehr. Unsicher blickte sie von einer zur anderen. «Was -?»
«Ach, lass gut sein.» Dorothee zog bereits ihre Jacke über. «Ich nehme an, ihr fahrt zusammen zum Heidehof zurück?»
Was eigentlich eine Frage war, klang wie eine Feststellung. Schon wendete sie sich zum Gehen, ohne eine Antwort abzuwarten.
Kati drehte sich zu ihrer Großmutter. «Was durfte sie mir nicht sagen, Elli?» Ihre Stimme war leise, aber eindringlich.
Elli atmete schwer und nestelte an den Knöpfen ihrer Strickjacke. «Jetzt nicht, Liebes», seufzte sie und hakte sich bei Kati unter. «Deine Stiefmutter hat recht: Lass uns erst mal nach Hause fahren!»
Als sie in Uhlendorf auf dem malerisch gelegenen Heidehof ankamen, wunderte sich Kati, wie marode das alte Haupthaus und die kleineren Nebengebäude wirkten. Sie war schon länger nicht mehr da gewesen, und nun kam es ihr vor, als würde der Hof auch schon ein wenig unter Altersschwäche leiden.
Immerhin blickte der Gasthof auf eine über 300jährige Geschichte zurück. Kati wusste, wie viel Arbeit darin steckte. Nun aber schreckte sie der Zustand der Gebäude. Einzig die von Elli liebevoll gepflegten Blumenbeete vor dem Haupteingang machten den etwas heruntergekommenen Eindruck wett.
Dorothees Wagen stand schon auf dem großen Parkplatz direkt am Haupthaus. Als sie neben dem Rover ihrer Stiefmutter parkte, sah Kati, dass Elli einen Blick auf ihre Armbanduhr warf.
«Normalerweise würden jetzt die ersten Gäste zum Abendessen kommen», erklärte ihre Großmutter verunsichert. «Was sollen wir nur tun?»
Darauf wusste Kati auch keine Antwort. «Ach Elli, irgendwas wird uns schon einfallen», erklärte sie und stieg aus. «Zur Not müssen wir die Leute eben wieder nach Hause schicken.»
Als sie sich dem Eingang näherten, entdeckten sie an der großen Holztür einen weißen Zettel. In Druckbuchstaben stand dort geschrieben:
DER RESTAURANTBETRIEB IST AUS FAMILIÄREN GRÜNDEN
BIS AUF WEITERES EINGESTELLT.
D.WEIDEMANN
«Siehst du, Oma», sagte Kati, «wenigstens das Problem hat sich schon mal geklärt.»
Sie fragte sich allerdings, wie Dorothee sich das mit den Pensionsgästen vorstellte. Zwar dürften es noch nicht so viele Übernachtungsgäste sein, denn die Heideblüte hatte noch nicht begonnen, und die eigentliche Hochsaison würde noch zwei, drei Wochen auf sich warten lassen. Aber sollten die derzeitigen Urlauber das Gasthaus morgens etwa hungrig verlassen? Auf das berühmte Heidehof-Frühstück verzichten müssen? Andererseits: Wer sollte für die Verpflegung sorgen, jetzt wo ihr Paps im Krankenhaus lag? Elli konnte das unmöglich alles alleine stemmen. Dorothee wiederum kannte sich mehr mit Zahlen aus und war eher für Managementaufgaben zuständig.
Ob es die Küchenhilfe noch gab? Kati erinnerte sich an eine nette Frau mit dunkelblonden Haaren. Wie hieß sie noch mal? Silke? Sibylle? Kati war sich nicht sicher. Sie wusste nur eines: In den nächsten Tagen würde jede helfende Hand gebraucht werden.
Als sie das Haus betraten, wollte Elli sich sofort um die Küche kümmern und eilte geschäftig umher. Kati blieb etwas verloren in der großen Diele stehen. Mit einem Mal fühlte sie sich irgendwie fehl am Platz und wusste nicht so recht, wohin mit sich. Der Heidehof war schon lange nicht mehr ihr Zuhause.
Kurzerhand beschloss sie, sich in eine ruhige Ecke zurückzuziehen, um zu telefonieren.
«Ich rufe schnell Simon an», rief sie ihrer Großmutter hinterher und schwenkte wie zur Erklärung ihr Handy in der Luft. «Er weiß ja noch gar nicht, was los ist. Ich komme dann gleich nach und helfe dir.»
Elli nickte ihrer Enkelin zu. «Lass dir Zeit», sagte sie und war auch schon verschwunden.
Kati ging in das Büro ihres Vaters, das im Laufe der Jahre mehr und mehr von Dorothee und ihren Aktenordnern in Beschlag genommen worden war. Nachdem sie ihre Tasche abgestellt hatte, setzte sie sich an den schweren Schreibtisch und wählte Simons Nummer. Doch es folgte eine Enttäuschung. Sie musste mit seiner Mailbox vorliebnehmen. Wie so oft war er beruflich unterwegs, und Kati hatte vergessen, wo er sich gerade aufhielt. Zu häufig wechselten seine Reiseziele mittlerweile. Anfangs, vor rund drei Jahren, als sie ein Paar wurden, fand sie seinen Beruf überaus spannend: ein Wissenschaftsjournalist unterwegs zu den Brennpunkten der Welt! So war ihr Simon von der gemeinsamen Freundin vorgestellt worden, die an jenem Abend ihren 30. Geburtstag feierte. Angeregt unterhielten sie sich und nahmen die anderen Gäste immer weniger wahr. Kati hatte sich sofort in Simon verliebt. Sie bewunderte seine Weltläufigkeit und seine selbstsichere Ausstrahlung.
© Rowohlt TB. (Verlag)
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Autoren-Porträt von Sofie Cramer
Sofie Cramer, geboren 1974 in Soltau, studierte Germanistik und Politik in Bonn und Hannover. Inzwischen lebt und arbeitet sie als freiberufliche Journalistin, Drehbuchautorin und Trainerin in Lüneburg und Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sofie Cramer
- 2012, 3. Aufl., 416 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499257742
- ISBN-13: 9783499257742
- Erscheinungsdatum: 19.07.2012
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