Der Kuss des Dämons
Unwiderstehlich romantische Dark Fantasy
Dawn kann es nicht glauben. Sie hat sich ausgerechnet in ein Geschöpf der Nacht verliebt: in Julien, den coolen Neuen an der Highschool. Und ihre Gefühle werden erwidert. Doch Julien hat einen blutigen Auftrag. Und Dawn ist tiefer darin verwickelt, als sie ahnt.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Kuss des Dämons “
Dawn kann es nicht glauben. Sie hat sich ausgerechnet in ein Geschöpf der Nacht verliebt: in Julien, den coolen Neuen an der Highschool. Und ihre Gefühle werden erwidert. Doch Julien hat einen blutigen Auftrag. Und Dawn ist tiefer darin verwickelt, als sie ahnt.
Klappentext zu „Der Kuss des Dämons “
Der Vampir-Bestseller Es ist Liebe auf den zweiten Blick - doch nie im Leben hätte Dawn für möglich gehalten, dass ihre Gefühle ausgerechnet von einem Geschöpf der Nacht erwidert werden: von Julien, dem unnahbar Coolen, aber auch unheimlich schönen Neuen an der High School. Er hat einen blutigen Auftrag, in den Dawn tiefer verwickelt ist, als sie ahnt ...
Der Vampir-BestsellerEs ist Liebe auf den zweiten Blick - doch nie im Leben hätte Dawn für möglich gehalten, dass ihre Gefühle ausgerechnet von einem Geschöpf der Nacht erwidert werden: von Julien, dem unnahbar Coolen, aber auch unheimlich schönen Neuen an der High School. Er hat einen blutigen Auftrag, in den Dawn tiefer verwickelt ist, als sie ahnt ...
Lese-Probe zu „Der Kuss des Dämons “
Der Kuss des Dämons von Lynn Raven... mehr
Ein Oberlicht auf einem Flachdach über Nacht offen zu lassen war, als bettele man um einen Regenguss und die darauf folgen-
den nassen Fußböden - oder um einen Einbruch. Vor allem wenn das Sicherheitssystem so prähistorisch war wie das der MontgomeryHigh und nur ein einsamer Wachmann auf dem kleinen Campus seine Runden drehte. Und der befand sich gerade auf der anderen Seite, bei den Turnhallen.
Geschmeidig glitt er durch das Oberlicht und landete lautlos auf dem Linoleumfußboden. Der Anbau lag ebenerdig. Es wäre für ihn auch ein Leichtes gewesen, durch eines der Fenster hineinzugelangen, aber wenn jemand so freundlich war, ihm eine Hintertür offen zu lassen, warum sollte er diese dann nicht nutzen. Ohne zu zögern, bewegte er sich durch den dunklen Korridor, vorbei an metallenen Spinden, mehreren gläsernen Schaukästen, in denen Fotografien der Schulmannschaften und deren Trophäen standen, und an einem Schwarzen Brett, das mit Zetteln und Plakaten bedeckt war, zur Tür des Sekretariats. Er drückte die Klinke und grinste, als sich nichts bewegte. Offenbar gab es in dieser Schule zumindest einen verantwortungsbewussten Menschen. Nach nicht ganz einer Minute war das Schloss geöffnet und die Tür schwang mit einem leisen Schaben auf.
Der Raum dahinter hätte als Prototyp eines Highschool-Sekretariats durchgehen können. Ein Tresen trennte den Schreibtisch der Sekretärin mit Computer, Drucker, Telefon und was man sonst noch brauchte von der vorderen Hälfte des Raumes, an dessen Längswand ein paar Plastikstühle standen. Hinter dem Schreibtischsessel erhob sich ein metallener Hängeregisterschrank, auf dem sich mehrere Ordner den Platz mit Postein- und -ausgangskorb, zwei Stapeln Schulbüchern und einem Prachtexemplar von Ficus teilten.
Eine zweite Tür, auf deren oberen Hälfte aus Milchglas der Name A. J. Arrons prangte, führte in das Zimmer des Direktors. Was sich dahinter befand, interessierte ihn nicht.
Ohne Licht zu machen, glitt er am Tresen vorbei, zog die erste Schublade des Hängeregisterschrankes auf und orientierte sich kurz im Ablagesystem der Sekretärin. Dann ging er rasch die Akten des für ihn wichtigen Schülerjahrgangs durch. Sorgfältig prägte er sich die infrage kommenden Gesichter ein. Viele waren es nicht. Das bedeutete, er musste nicht die Stecknadel im Heuhaufen suchen.
Als er die Tür schließlich wieder hinter sich verschloss, lag ein großer brauner Umschlag zwischen den anderen Briefen im Posteingangskorb der Sekretärin. Sie würde ihn am nächsten Tag öffnen und danach würde alles genauso ablaufen, wie er es geplant hatte.
Hund und Katz
Bis gestern war ich der Meinung gewesen, es gäbe nichts Schlimmeres als eine Matheklausur. Seit heute wusste
ich, dass es tatsächlich etwas Schlimmeres gab: eine Matheklausur nach einer Nacht, in der man immer wieder aus Albträumen aufschreckte, an die man sich nicht erinnern konnte, und aus der man schließlich mit hämmernden Kopf- und Zahnschmerzen aufwachte, mit dem Gefühl, keine Sekunde geschlafen zu haben. Um obendrein festzustellen, dass man verschlafen hatte. Und das nicht zu knapp.
Im Bad brach ich jeden meiner bisherigen Rekorde, obwohl ich mir noch die Haare föhnte. Vor dem Kleiderschrank ließ ich bedauernd den Blick über meine Halbarmshirts und Sommerblusen gleiten und entschied mich dann für ein T-Shirt mit aufgedrucktem Löwenkopf zu meinen Jeans. Nachdem es versprach, ein trotz aller Sonne kühler Herbsttag zu werden, würde ich ohnehin eine Jacke überziehen müssen. Rasch fuhr ich noch mal mit beiden Händen durch mein dunkelblondes, schulterlanges Haar, dann hetzte ich die Treppe hinunter. In der Küche rannte ich Ella, die Haushälterin meines Onkels, fast über den Haufen, stürzte meinen Tee in vier großen Schlucken hinunter, gönnte ihren herrlichen selbst gebackenen Schokomuffins - für die ich früher getötet hätte - nur einen flüchtigen Blick und war schon aus der Haustür, ehe sie noch »Aber Dawn ...« zu Ende protestiert hatte. Ich nahm die Treppe mit zu viel Schwung, da ich vorgehabt hatte, einen kleinen Sprint zur Garage hinzulegen, sodass ich an ihrem Fuß beinah bäuchlings auf der Motorhaube meines silberblauen Audi gelandet wäre. Auf der Fahrerseite stand Simon und grinste mich an.
»Morgen, Dawn. Na, verschlafen? Soll ich dich mit dem Rolls bringen?«
Simon war der letzte in einer Kette von Quälgeistern, die mein Onkel für mich angestellt hatte. Der muskulöse Hüne mit dem stoppelkurz geschnittenen Haar war Hausmeister, Chauffeur und Leibwächter in Personalunion. Zumindest hatte er mehr Humor als die Männer, die vor ihm auf mich aufgepasst hatten. Und er nahm es glücklicherweise ziemlich gelassen, dass er mir nicht mehr Tag und Nacht folgen oder mich mit dem schwarz- und chromblitzenden Ungetüm von einem Rolls Royce - das unübersehbar hinter meinem Audi parkte - zur Schule fahren durfte.
Vor ein paar Monaten hatte ich einen heftigen Streit mit meinem Onkel zu diesem Thema gehabt. Seit meine Eltern bei einem Raubüberfall ermordet worden waren, kümmerte er sich um mich. Meine Mutter war seine jüngere Stiefschwester gewesen, die er abgöttisch geliebt haben musste. So sehr, dass er es ihr sogar verzieh, mit »einem dahergelaufenen Ausländer«, wie er meinen Vater immer nannte, durchgebrannt zu sein. Nach ihrem Tod hatte er mich bei sich aufgenommen. In dem Bestreben, mich vor jedem Übel der Welt zu beschützen, heuerte er jede Menge Kindermädchen und Leibwächter an. Bis ich es nicht mehr ertragen konnte. Gewöhnlich widersetzte man sich Samuel Gabbron nur, wenn man unter akuten Suizidabsichten litt. Aber an jenem Tag vor etwa einem Jahr war alles in mir hochgekocht. Er war schließlich nicht derjenige, der von seinen Mitschülern schräg angeschaut wurde, der ihre ewigen Sticheleien ertragen musste, der keine Freunde hatte. Er war ja nie hier, sondern immer nur unterwegs, um sich um seine millionenschweren Geschäfte zu kümmern. Ich hatte ihm durchs Telefon hindurch vorgeworfen, er würde mich wie eine Gefangene behandeln, hatte geschrien, dass ich ihn hasste und die erste sich bietende Gelegenheit nutzen würde, um davonzulaufen. Dann hatte ich aufgelegt und mich geweigert noch mal ranzugehen. In der gleichen Nacht stand er plötzlich neben meinem Bett. Wir sprachen ziemlich lange miteinander. Ich verstand seine Angst, mir könnte das Gleiche zustoßen wie meiner Mutter, aber letztendlich konnte ich ihn überzeugen. Es lenkte viel mehr Aufmerksamkeit auf mich, wenn stets irgendwelche durchtrainierten Kerle so auffällig unauffällig in meiner Nähe herumstanden. Vor allem, da ich noch nicht einmal seinen Nachnamen trug, sondern den meiner Mutter. Wer also sollte Dawn Warden mit ihm, dem steinreichen Industriellen, in Verbindung bringen? Ich war siebzehn. Ich wollte Freunde. Vielleicht sogar einen Freund. Ich wollte endlich leben! Es war kurz vor Sonnenaufgang, als er wieder in den Helikopter stieg, der hinter dem Haus auf ihn gewartet hatte. Am nächsten Morgen stand der Audi vor der Tür, damit ich von nun an alleine zur Schule fahren konnte. Außer Simon waren meine anderen Leibwächter noch in derselben Nacht abgereist. Und damit begann sich mein Leben endlich zu normalisieren. Seitdem hatte ich meinen Onkel nur zwei- oder dreimal gesehen. Im letzten Monat war er zu meiner Überraschung sogar volle zwei Wochen geblieben. Allerdings bekam ich ihn auch in dieser Zeit nicht wirklich häufig zu Gesicht. Er vergrub sich den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer und ließ sich sogar seine Mahlzeiten in sein Heiligtum bringen.
»Danke, aber ich fahr selbst.«
Simon hatte mir die Tür geöffnet und wartete, bis ich um den Audi herum war. Ich warf meine Tasche auf den Beifahrersitz - die Hälfte meiner Bücher rutschte heraus und landete im Fußraum, na prima! - und brauste davon.
Dass ich der lebende Beweis für Murphys Gesetz war, zeigte sich einmal mehr. Sämtliche Ampeln schalteten auf Rot, wenn ich auf sie zufuhr. Schülerlotsen führten ganze Herden von Grundschülern über die Straße und zu allem Überfluss hätte ich um ein Haar einem Typen auf einer dieser Rennmaschinen die Vorfahrt genommen. Zum Glück raste er in mörderischem Tempo weiter, ohne mich zu beachten. Mein Adrenalinspiegel war jedoch jenseits der Höchstmarke angelangt.
Ich fand - wie sollte es anders sein - einen Parkplatz am anderen Ende des Campus, stopfte meine Bücher in die Tasche zurück und rannte quer über den Rasen zu dem flachen Anbau des Schulgebäudes, in dem ich Mathe hatte. Vollkommen außer Atem schaffte ich es gerade noch, vor Mrs Jekens in den Raum zu schlüpfen und mich auf meinen Platz fallen zu lassen. Elizabeth Ellers, mit der ich in der Stunde zusammen an einem Tisch saß und die eine der wenigen war, die ich inzwischen zu meinen Freunden zählte, lächelte mir aufmunternd zu. Sie kannte meine Matheprobleme besser als jeder andere. Doch ehe sie etwas sagen konnte, verbannte Mrs Jekens mich an einen anderen Tisch, verbat sich weitere Gespräche und teilte die Arbeiten aus. Die nächste Stunde kämpfte ich mit den Aufgaben. Als das Schrillen der Schulglocke endlich das Ende der Stunde - und damit das Ende meiner Qual - verkündete, war ich erleichtert, dass es vorbei war. Ich stopfte Taschenrechner und Stifte zurück in meine Tasche und verließ fluchtartig den Raum. Draußen sank ich neben der Tür auf eine der metallenen Bänke, die im Korridor entlang der Wände verteilt standen, und zog die Beine an.
»So schlecht kann es doch gar nicht gelaufen sein. Du bist zumindest fertig geworden. Dass wir gestern noch zusammen gelernt haben, hat demnach geholfen.« Elizabeth setzte sich neben mich und strich ihren Rock glatt. Wie immer war jeder Zentimeter von Beths Kleidung schwarz - inklusive Lippenstift und Kajal.
Anstelle einer Antwort verdrehte ich nur die Augen, ohne mich aus meiner trüben Stimmung reißen zu lassen. Wenn ich in dieser Matheklausur nicht mindestens eine Drei hatte, drohte mir in den Ferien ein zusätzlicher Kurs. Grausiger Gedanke.
Ein helles Lachen ließ mich aufschauen. Neben mir beugte Beth sich vor, um besser sehen zu können, was bei den Spinden ein Stück den Flur hinunter vor sich ging. »Oje. Cynthia hat ihn. Was meinst du? Wie lange wird es dauern, bis sie ihn mit Haut und Haaren gefressen hat?« Beth legte den Kopf schräg. »Ob man ihn aus ihren Klauen retten sollte?«, sinnierte sie scheinbar unschuldig weiter. Auch wenn die meisten es ihr, dem zierlichen Mädchen mit dem blassen Puppengesicht und den großen, unschuldig blickenden, dunklen Augen, nicht zutrauten, konnte Beth ein richtiges Biest sein, wenn es um Cynthia Brewer ging. Dabei waren sie und die rothaarige Schulschönheit entfernte Cousinen. Doch während Elizabeth Jungs gegenüber eher zurückhaltend war, hatte Cynthia den Verschleiß einer Gottesanbeterin, was ihre Freunde betraf. Ihr jüngstes Opfer hieß Julien DuCraine und war erst seit knapp drei Wochen an der Montgomery. Er war groß, schlank und bewegte sich mit einer irgendwie gefährlichen Eleganz. Sein Haar war dunkel, fast schwarz, im Nacken ein bisschen zu lang und stand in einem scharfen Kontrast zu seiner überraschend hellen Haut. Er trug stets eine getönte Brille, die er selbst im Unterricht nicht abnahm. Aber auch sie konnte nicht ganz verbergen, dass seine Züge von einer Perfektion waren, die man auf einer Kinoleinwand zu sehen erwartete, aber nicht in einem Klassenzimmer. Julien DuCraine war auf eine klassische und zugleich beunruhigende Art schön. Er wirkte zwei oder drei Jahre älter als der Rest unseres Jahrgangs. Wenn man den Gerüchten über ihn glaubte, war er bereits von diversen Schulen geflogen und mehrmals hängen geblieben. Ein paar Leute wollten sogar erfahren haben, dass er einige Zeit im Jugendgefängnis gesessen hatte und deshalb jetzt mehrere Schuljahre hinterherhinkte. Weder Beth noch ich hatten mit ihm zusammen einen Kurs, doch laut Neal, einem Jungen aus unserer Clique, der mit ihm den gleichen Physik-, Geschichts- und Sportkurs besuchte, war Julien DuCraine ein Einzelgänger, abweisend und arrogant. Die meisten behandelten ihn mit vorsichtigem Respekt, nachdem er in der ersten Sportstunde Mike Jamis beim Volleyball das Handgelenk gebrochen hatte. Dabei war alles - nach Mikes eigener Aussage - nur ein Unfall gewesen. Er hatte versucht DuCraines Aufschlag anzunehmen. Die Wucht, mit der der Ball auf seinen Arm geprallt war, hatte Mikes Handgelenk gebrochen. Seitdem ging die gesamte gegnerische Mannschaft in Deckung, wenn DuCraine den Aufschlag hatte. Nach dem, was man sich weiter erzählte, war Julien ein begnadeter Fechter, dem selbst der Coach nicht gewachsen war. Doch bislang hatte er alle Angebote, der Schulmannschaft beizutreten, ausgeschlagen. Sehr zu Neals Erleichterung, der bis zu Juliens Erscheinen der unangefochtene Champion gewesen war. Ich selbst war DuCraine bisher nur ein paarmal auf den Fluren begegnet, ohne auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln. Beim Mittagessen in der Cafeteria hatte ich ihn noch nie getroffen. Offenbar wollte er so wenig wie möglich mit uns allen zu tun haben.
Wenn er sich mit seiner abweisenden Art auch jeden anderen an der Montgomery vom Hals halten konnte, so versagte seine Taktik bei Cynthia Brewer vollständig. Cyn hatte ihn gesehen und sofort stand er auf der Liste der Dinge, die sie unbedingt haben wollte. Ganz oben. Noch am selben Tag hatte sie die Jagd eröffnet. Und ihn jetzt endlich gestellt. Zumindest lehnte er gerade mit dem Rücken an seinem Spind am anderen Ende des Flures, während Cynthia so dicht vor ihm stand, dass ihre über ihren Büchern verschränkten Arme nur noch Zentimeter von seiner Brust entfernt waren. Ihr Lachen drang bis zu Beth und mir, während sie sich ihre dunkle Mähne zurückstrich.
Im Gegensatz zu Beth wäre ich niemals auf die Idee gekommen, DuCraine vor Cynthia retten zu wollen. Die beiden hatten einander verdient. In den drei Wochen, die er gerade mal an der Schule war, hatte er bereits mit zwei Mädchen aus unserer Stufe etwas angefangen, jede von ihnen aber schon nach ein paar Tagen wieder mit gebrochenem Herzen in die Wüste geschickt.
Zwei Jungen blieben vor der Bank stehen, auf der Beth und ich saßen, und vertraten uns dabei die Sicht.
»Und? Wie ist Mathe gelaufen?« Neal, der größere der beiden, zog den Riemen seines Rucksacks über der Schulter zurecht und grinste mich an. Neben ihm spielte Mike mit der Schlinge, in der sein eingegipstes Handgelenk lag. Obwohl er ungefähr zehn Zentimeter kleiner war als sein Freund Neal, war er in den Schultern ein gutes Stück breiter. Er begrüßte uns mit einem Nicken und einem »Hi!« und hob dann die Hand, als ein Junge aus seiner Volleyballmannschaft vorbeiging.
»Wie soll Mathe schon gelaufen sein. Schlecht natürlich.«
Ich streckte die Arme über den Knien und sah unangenehm berührt zur Seite.
Neal - das Mathe- und Computergenie - schnalzte mit der Zunge. Alles, was nur ansatzweise mit Zahlen und Logik zu tun hatte, war für ihn ein Kinderspiel, während es mir nicht in den Kopf wollte, wozu ich berechnen können sollte, welcher Punkt einer Kurve sich wo in einem Koordinatensystem befand. Und das auch noch aus der x2en Ableitung heraus. Etwas, was Neal absolut nicht nachvollziehen konnte.
»Ich dachte, Beth hätte mit dir gelernt«, stellte er mit unüberhörbarer Missbilligung in der Stimme fest. Schon im letzten Schuljahr hatten wir herausgefunden, dass seine Geduld nicht ausreichte, um mir Nachhilfe zu geben. Unsere Versuche damals hatten in Wutausbrüchen sowohl auf seiner als auch auf meiner Seite geendet und waren gnadenlos schiefgegangen.
Ehe ich etwas zu meiner Verteidigung sagen konnte, tat Beth es für mich.
»Das habe ich auch. Und sie übertreibt. Sie hat nämlich dieses Mal alle Aufgaben geschafft. - Du stehst mir im Weg, Neal. Geh mal einen Schritt nach links.«
Ein wenig verwirrt gehorchte er und blickte flüchtig in die gleiche Richtung wie Beth. Nur um einen Sekundenbruchteil später die Augen aufzureißen und zu den Spinden hinzustarren. Mike schnappte neben ihm hörbar nach Luft. Auch ich schaute wieder den Gang hinunter. Und glaubte nicht richtig zu sehen. Hatte zuvor DuCraine mit dem Rücken zu den Spinden gestanden, so drückte sich jetzt Cynthia dagegen. Sie war zwischen seinen langen Beinen gefangen. Ihre Bücher hielt sie umklammert, als hinge ihr Leben davon ab. DuCraine hatte einen Ellbogen gegen die Metalltüren gestemmt, den Kopf auf die Hand gestützt und sich so dicht zu ihr gelehnt, dass sein Gesicht nur noch ein paar Zentimeter von ihrem entfernt war. Seine andere Hand tat irgendetwas oberhalb ihrer Bücher an ihrem Hals und dem Ausschnitt ihrer Bluse. Was genau, war nicht zu erkennen. Offenbar sagte er etwas zu ihr, denn seine Lippen bewegten sich und Cynthia starrte gebannt zu ihm auf. Sie schien mehrmals krampfhaft zu schlucken. Dann schloss sie die Augen und lehnte den Kopf gegen den Spind, als DuCraine sich noch weiter vorbeugte und sein Gesicht ganz nah an ihres brachte. Doch anstatt sie zu küssen, wie sie es wohl erwartet hatte, stieß er sich von der Spindtür ab und trat zurück. Den Mund zu einem halben verächtlichen Lächeln verzogen beobachtete er, wie Cynthia verwirrt den Kopf wieder hob und ihn anblinzelte, ehe er sich mit einer kleinen, spöttischen Verbeugung von ihr abwandte und den Gang entlang davonging. Genau auf uns zu. Er gönnte uns keinen Blick, als er an uns vorbeischritt. Der höhnische Ausdruck in seinem Gesicht war verschwunden. Ich glaubte jetzt eine Mischung aus Bitterkeit und Frustration darin zu sehen. Und Wut. Selbst die Art, wie er den Flur hinuntermarschierte, wirkte zornig.
Alle Rechte dieser Ausgabe bei cbt/cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ein Oberlicht auf einem Flachdach über Nacht offen zu lassen war, als bettele man um einen Regenguss und die darauf folgen-
den nassen Fußböden - oder um einen Einbruch. Vor allem wenn das Sicherheitssystem so prähistorisch war wie das der MontgomeryHigh und nur ein einsamer Wachmann auf dem kleinen Campus seine Runden drehte. Und der befand sich gerade auf der anderen Seite, bei den Turnhallen.
Geschmeidig glitt er durch das Oberlicht und landete lautlos auf dem Linoleumfußboden. Der Anbau lag ebenerdig. Es wäre für ihn auch ein Leichtes gewesen, durch eines der Fenster hineinzugelangen, aber wenn jemand so freundlich war, ihm eine Hintertür offen zu lassen, warum sollte er diese dann nicht nutzen. Ohne zu zögern, bewegte er sich durch den dunklen Korridor, vorbei an metallenen Spinden, mehreren gläsernen Schaukästen, in denen Fotografien der Schulmannschaften und deren Trophäen standen, und an einem Schwarzen Brett, das mit Zetteln und Plakaten bedeckt war, zur Tür des Sekretariats. Er drückte die Klinke und grinste, als sich nichts bewegte. Offenbar gab es in dieser Schule zumindest einen verantwortungsbewussten Menschen. Nach nicht ganz einer Minute war das Schloss geöffnet und die Tür schwang mit einem leisen Schaben auf.
Der Raum dahinter hätte als Prototyp eines Highschool-Sekretariats durchgehen können. Ein Tresen trennte den Schreibtisch der Sekretärin mit Computer, Drucker, Telefon und was man sonst noch brauchte von der vorderen Hälfte des Raumes, an dessen Längswand ein paar Plastikstühle standen. Hinter dem Schreibtischsessel erhob sich ein metallener Hängeregisterschrank, auf dem sich mehrere Ordner den Platz mit Postein- und -ausgangskorb, zwei Stapeln Schulbüchern und einem Prachtexemplar von Ficus teilten.
Eine zweite Tür, auf deren oberen Hälfte aus Milchglas der Name A. J. Arrons prangte, führte in das Zimmer des Direktors. Was sich dahinter befand, interessierte ihn nicht.
Ohne Licht zu machen, glitt er am Tresen vorbei, zog die erste Schublade des Hängeregisterschrankes auf und orientierte sich kurz im Ablagesystem der Sekretärin. Dann ging er rasch die Akten des für ihn wichtigen Schülerjahrgangs durch. Sorgfältig prägte er sich die infrage kommenden Gesichter ein. Viele waren es nicht. Das bedeutete, er musste nicht die Stecknadel im Heuhaufen suchen.
Als er die Tür schließlich wieder hinter sich verschloss, lag ein großer brauner Umschlag zwischen den anderen Briefen im Posteingangskorb der Sekretärin. Sie würde ihn am nächsten Tag öffnen und danach würde alles genauso ablaufen, wie er es geplant hatte.
Hund und Katz
Bis gestern war ich der Meinung gewesen, es gäbe nichts Schlimmeres als eine Matheklausur. Seit heute wusste
ich, dass es tatsächlich etwas Schlimmeres gab: eine Matheklausur nach einer Nacht, in der man immer wieder aus Albträumen aufschreckte, an die man sich nicht erinnern konnte, und aus der man schließlich mit hämmernden Kopf- und Zahnschmerzen aufwachte, mit dem Gefühl, keine Sekunde geschlafen zu haben. Um obendrein festzustellen, dass man verschlafen hatte. Und das nicht zu knapp.
Im Bad brach ich jeden meiner bisherigen Rekorde, obwohl ich mir noch die Haare föhnte. Vor dem Kleiderschrank ließ ich bedauernd den Blick über meine Halbarmshirts und Sommerblusen gleiten und entschied mich dann für ein T-Shirt mit aufgedrucktem Löwenkopf zu meinen Jeans. Nachdem es versprach, ein trotz aller Sonne kühler Herbsttag zu werden, würde ich ohnehin eine Jacke überziehen müssen. Rasch fuhr ich noch mal mit beiden Händen durch mein dunkelblondes, schulterlanges Haar, dann hetzte ich die Treppe hinunter. In der Küche rannte ich Ella, die Haushälterin meines Onkels, fast über den Haufen, stürzte meinen Tee in vier großen Schlucken hinunter, gönnte ihren herrlichen selbst gebackenen Schokomuffins - für die ich früher getötet hätte - nur einen flüchtigen Blick und war schon aus der Haustür, ehe sie noch »Aber Dawn ...« zu Ende protestiert hatte. Ich nahm die Treppe mit zu viel Schwung, da ich vorgehabt hatte, einen kleinen Sprint zur Garage hinzulegen, sodass ich an ihrem Fuß beinah bäuchlings auf der Motorhaube meines silberblauen Audi gelandet wäre. Auf der Fahrerseite stand Simon und grinste mich an.
»Morgen, Dawn. Na, verschlafen? Soll ich dich mit dem Rolls bringen?«
Simon war der letzte in einer Kette von Quälgeistern, die mein Onkel für mich angestellt hatte. Der muskulöse Hüne mit dem stoppelkurz geschnittenen Haar war Hausmeister, Chauffeur und Leibwächter in Personalunion. Zumindest hatte er mehr Humor als die Männer, die vor ihm auf mich aufgepasst hatten. Und er nahm es glücklicherweise ziemlich gelassen, dass er mir nicht mehr Tag und Nacht folgen oder mich mit dem schwarz- und chromblitzenden Ungetüm von einem Rolls Royce - das unübersehbar hinter meinem Audi parkte - zur Schule fahren durfte.
Vor ein paar Monaten hatte ich einen heftigen Streit mit meinem Onkel zu diesem Thema gehabt. Seit meine Eltern bei einem Raubüberfall ermordet worden waren, kümmerte er sich um mich. Meine Mutter war seine jüngere Stiefschwester gewesen, die er abgöttisch geliebt haben musste. So sehr, dass er es ihr sogar verzieh, mit »einem dahergelaufenen Ausländer«, wie er meinen Vater immer nannte, durchgebrannt zu sein. Nach ihrem Tod hatte er mich bei sich aufgenommen. In dem Bestreben, mich vor jedem Übel der Welt zu beschützen, heuerte er jede Menge Kindermädchen und Leibwächter an. Bis ich es nicht mehr ertragen konnte. Gewöhnlich widersetzte man sich Samuel Gabbron nur, wenn man unter akuten Suizidabsichten litt. Aber an jenem Tag vor etwa einem Jahr war alles in mir hochgekocht. Er war schließlich nicht derjenige, der von seinen Mitschülern schräg angeschaut wurde, der ihre ewigen Sticheleien ertragen musste, der keine Freunde hatte. Er war ja nie hier, sondern immer nur unterwegs, um sich um seine millionenschweren Geschäfte zu kümmern. Ich hatte ihm durchs Telefon hindurch vorgeworfen, er würde mich wie eine Gefangene behandeln, hatte geschrien, dass ich ihn hasste und die erste sich bietende Gelegenheit nutzen würde, um davonzulaufen. Dann hatte ich aufgelegt und mich geweigert noch mal ranzugehen. In der gleichen Nacht stand er plötzlich neben meinem Bett. Wir sprachen ziemlich lange miteinander. Ich verstand seine Angst, mir könnte das Gleiche zustoßen wie meiner Mutter, aber letztendlich konnte ich ihn überzeugen. Es lenkte viel mehr Aufmerksamkeit auf mich, wenn stets irgendwelche durchtrainierten Kerle so auffällig unauffällig in meiner Nähe herumstanden. Vor allem, da ich noch nicht einmal seinen Nachnamen trug, sondern den meiner Mutter. Wer also sollte Dawn Warden mit ihm, dem steinreichen Industriellen, in Verbindung bringen? Ich war siebzehn. Ich wollte Freunde. Vielleicht sogar einen Freund. Ich wollte endlich leben! Es war kurz vor Sonnenaufgang, als er wieder in den Helikopter stieg, der hinter dem Haus auf ihn gewartet hatte. Am nächsten Morgen stand der Audi vor der Tür, damit ich von nun an alleine zur Schule fahren konnte. Außer Simon waren meine anderen Leibwächter noch in derselben Nacht abgereist. Und damit begann sich mein Leben endlich zu normalisieren. Seitdem hatte ich meinen Onkel nur zwei- oder dreimal gesehen. Im letzten Monat war er zu meiner Überraschung sogar volle zwei Wochen geblieben. Allerdings bekam ich ihn auch in dieser Zeit nicht wirklich häufig zu Gesicht. Er vergrub sich den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer und ließ sich sogar seine Mahlzeiten in sein Heiligtum bringen.
»Danke, aber ich fahr selbst.«
Simon hatte mir die Tür geöffnet und wartete, bis ich um den Audi herum war. Ich warf meine Tasche auf den Beifahrersitz - die Hälfte meiner Bücher rutschte heraus und landete im Fußraum, na prima! - und brauste davon.
Dass ich der lebende Beweis für Murphys Gesetz war, zeigte sich einmal mehr. Sämtliche Ampeln schalteten auf Rot, wenn ich auf sie zufuhr. Schülerlotsen führten ganze Herden von Grundschülern über die Straße und zu allem Überfluss hätte ich um ein Haar einem Typen auf einer dieser Rennmaschinen die Vorfahrt genommen. Zum Glück raste er in mörderischem Tempo weiter, ohne mich zu beachten. Mein Adrenalinspiegel war jedoch jenseits der Höchstmarke angelangt.
Ich fand - wie sollte es anders sein - einen Parkplatz am anderen Ende des Campus, stopfte meine Bücher in die Tasche zurück und rannte quer über den Rasen zu dem flachen Anbau des Schulgebäudes, in dem ich Mathe hatte. Vollkommen außer Atem schaffte ich es gerade noch, vor Mrs Jekens in den Raum zu schlüpfen und mich auf meinen Platz fallen zu lassen. Elizabeth Ellers, mit der ich in der Stunde zusammen an einem Tisch saß und die eine der wenigen war, die ich inzwischen zu meinen Freunden zählte, lächelte mir aufmunternd zu. Sie kannte meine Matheprobleme besser als jeder andere. Doch ehe sie etwas sagen konnte, verbannte Mrs Jekens mich an einen anderen Tisch, verbat sich weitere Gespräche und teilte die Arbeiten aus. Die nächste Stunde kämpfte ich mit den Aufgaben. Als das Schrillen der Schulglocke endlich das Ende der Stunde - und damit das Ende meiner Qual - verkündete, war ich erleichtert, dass es vorbei war. Ich stopfte Taschenrechner und Stifte zurück in meine Tasche und verließ fluchtartig den Raum. Draußen sank ich neben der Tür auf eine der metallenen Bänke, die im Korridor entlang der Wände verteilt standen, und zog die Beine an.
»So schlecht kann es doch gar nicht gelaufen sein. Du bist zumindest fertig geworden. Dass wir gestern noch zusammen gelernt haben, hat demnach geholfen.« Elizabeth setzte sich neben mich und strich ihren Rock glatt. Wie immer war jeder Zentimeter von Beths Kleidung schwarz - inklusive Lippenstift und Kajal.
Anstelle einer Antwort verdrehte ich nur die Augen, ohne mich aus meiner trüben Stimmung reißen zu lassen. Wenn ich in dieser Matheklausur nicht mindestens eine Drei hatte, drohte mir in den Ferien ein zusätzlicher Kurs. Grausiger Gedanke.
Ein helles Lachen ließ mich aufschauen. Neben mir beugte Beth sich vor, um besser sehen zu können, was bei den Spinden ein Stück den Flur hinunter vor sich ging. »Oje. Cynthia hat ihn. Was meinst du? Wie lange wird es dauern, bis sie ihn mit Haut und Haaren gefressen hat?« Beth legte den Kopf schräg. »Ob man ihn aus ihren Klauen retten sollte?«, sinnierte sie scheinbar unschuldig weiter. Auch wenn die meisten es ihr, dem zierlichen Mädchen mit dem blassen Puppengesicht und den großen, unschuldig blickenden, dunklen Augen, nicht zutrauten, konnte Beth ein richtiges Biest sein, wenn es um Cynthia Brewer ging. Dabei waren sie und die rothaarige Schulschönheit entfernte Cousinen. Doch während Elizabeth Jungs gegenüber eher zurückhaltend war, hatte Cynthia den Verschleiß einer Gottesanbeterin, was ihre Freunde betraf. Ihr jüngstes Opfer hieß Julien DuCraine und war erst seit knapp drei Wochen an der Montgomery. Er war groß, schlank und bewegte sich mit einer irgendwie gefährlichen Eleganz. Sein Haar war dunkel, fast schwarz, im Nacken ein bisschen zu lang und stand in einem scharfen Kontrast zu seiner überraschend hellen Haut. Er trug stets eine getönte Brille, die er selbst im Unterricht nicht abnahm. Aber auch sie konnte nicht ganz verbergen, dass seine Züge von einer Perfektion waren, die man auf einer Kinoleinwand zu sehen erwartete, aber nicht in einem Klassenzimmer. Julien DuCraine war auf eine klassische und zugleich beunruhigende Art schön. Er wirkte zwei oder drei Jahre älter als der Rest unseres Jahrgangs. Wenn man den Gerüchten über ihn glaubte, war er bereits von diversen Schulen geflogen und mehrmals hängen geblieben. Ein paar Leute wollten sogar erfahren haben, dass er einige Zeit im Jugendgefängnis gesessen hatte und deshalb jetzt mehrere Schuljahre hinterherhinkte. Weder Beth noch ich hatten mit ihm zusammen einen Kurs, doch laut Neal, einem Jungen aus unserer Clique, der mit ihm den gleichen Physik-, Geschichts- und Sportkurs besuchte, war Julien DuCraine ein Einzelgänger, abweisend und arrogant. Die meisten behandelten ihn mit vorsichtigem Respekt, nachdem er in der ersten Sportstunde Mike Jamis beim Volleyball das Handgelenk gebrochen hatte. Dabei war alles - nach Mikes eigener Aussage - nur ein Unfall gewesen. Er hatte versucht DuCraines Aufschlag anzunehmen. Die Wucht, mit der der Ball auf seinen Arm geprallt war, hatte Mikes Handgelenk gebrochen. Seitdem ging die gesamte gegnerische Mannschaft in Deckung, wenn DuCraine den Aufschlag hatte. Nach dem, was man sich weiter erzählte, war Julien ein begnadeter Fechter, dem selbst der Coach nicht gewachsen war. Doch bislang hatte er alle Angebote, der Schulmannschaft beizutreten, ausgeschlagen. Sehr zu Neals Erleichterung, der bis zu Juliens Erscheinen der unangefochtene Champion gewesen war. Ich selbst war DuCraine bisher nur ein paarmal auf den Fluren begegnet, ohne auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln. Beim Mittagessen in der Cafeteria hatte ich ihn noch nie getroffen. Offenbar wollte er so wenig wie möglich mit uns allen zu tun haben.
Wenn er sich mit seiner abweisenden Art auch jeden anderen an der Montgomery vom Hals halten konnte, so versagte seine Taktik bei Cynthia Brewer vollständig. Cyn hatte ihn gesehen und sofort stand er auf der Liste der Dinge, die sie unbedingt haben wollte. Ganz oben. Noch am selben Tag hatte sie die Jagd eröffnet. Und ihn jetzt endlich gestellt. Zumindest lehnte er gerade mit dem Rücken an seinem Spind am anderen Ende des Flures, während Cynthia so dicht vor ihm stand, dass ihre über ihren Büchern verschränkten Arme nur noch Zentimeter von seiner Brust entfernt waren. Ihr Lachen drang bis zu Beth und mir, während sie sich ihre dunkle Mähne zurückstrich.
Im Gegensatz zu Beth wäre ich niemals auf die Idee gekommen, DuCraine vor Cynthia retten zu wollen. Die beiden hatten einander verdient. In den drei Wochen, die er gerade mal an der Schule war, hatte er bereits mit zwei Mädchen aus unserer Stufe etwas angefangen, jede von ihnen aber schon nach ein paar Tagen wieder mit gebrochenem Herzen in die Wüste geschickt.
Zwei Jungen blieben vor der Bank stehen, auf der Beth und ich saßen, und vertraten uns dabei die Sicht.
»Und? Wie ist Mathe gelaufen?« Neal, der größere der beiden, zog den Riemen seines Rucksacks über der Schulter zurecht und grinste mich an. Neben ihm spielte Mike mit der Schlinge, in der sein eingegipstes Handgelenk lag. Obwohl er ungefähr zehn Zentimeter kleiner war als sein Freund Neal, war er in den Schultern ein gutes Stück breiter. Er begrüßte uns mit einem Nicken und einem »Hi!« und hob dann die Hand, als ein Junge aus seiner Volleyballmannschaft vorbeiging.
»Wie soll Mathe schon gelaufen sein. Schlecht natürlich.«
Ich streckte die Arme über den Knien und sah unangenehm berührt zur Seite.
Neal - das Mathe- und Computergenie - schnalzte mit der Zunge. Alles, was nur ansatzweise mit Zahlen und Logik zu tun hatte, war für ihn ein Kinderspiel, während es mir nicht in den Kopf wollte, wozu ich berechnen können sollte, welcher Punkt einer Kurve sich wo in einem Koordinatensystem befand. Und das auch noch aus der x2en Ableitung heraus. Etwas, was Neal absolut nicht nachvollziehen konnte.
»Ich dachte, Beth hätte mit dir gelernt«, stellte er mit unüberhörbarer Missbilligung in der Stimme fest. Schon im letzten Schuljahr hatten wir herausgefunden, dass seine Geduld nicht ausreichte, um mir Nachhilfe zu geben. Unsere Versuche damals hatten in Wutausbrüchen sowohl auf seiner als auch auf meiner Seite geendet und waren gnadenlos schiefgegangen.
Ehe ich etwas zu meiner Verteidigung sagen konnte, tat Beth es für mich.
»Das habe ich auch. Und sie übertreibt. Sie hat nämlich dieses Mal alle Aufgaben geschafft. - Du stehst mir im Weg, Neal. Geh mal einen Schritt nach links.«
Ein wenig verwirrt gehorchte er und blickte flüchtig in die gleiche Richtung wie Beth. Nur um einen Sekundenbruchteil später die Augen aufzureißen und zu den Spinden hinzustarren. Mike schnappte neben ihm hörbar nach Luft. Auch ich schaute wieder den Gang hinunter. Und glaubte nicht richtig zu sehen. Hatte zuvor DuCraine mit dem Rücken zu den Spinden gestanden, so drückte sich jetzt Cynthia dagegen. Sie war zwischen seinen langen Beinen gefangen. Ihre Bücher hielt sie umklammert, als hinge ihr Leben davon ab. DuCraine hatte einen Ellbogen gegen die Metalltüren gestemmt, den Kopf auf die Hand gestützt und sich so dicht zu ihr gelehnt, dass sein Gesicht nur noch ein paar Zentimeter von ihrem entfernt war. Seine andere Hand tat irgendetwas oberhalb ihrer Bücher an ihrem Hals und dem Ausschnitt ihrer Bluse. Was genau, war nicht zu erkennen. Offenbar sagte er etwas zu ihr, denn seine Lippen bewegten sich und Cynthia starrte gebannt zu ihm auf. Sie schien mehrmals krampfhaft zu schlucken. Dann schloss sie die Augen und lehnte den Kopf gegen den Spind, als DuCraine sich noch weiter vorbeugte und sein Gesicht ganz nah an ihres brachte. Doch anstatt sie zu küssen, wie sie es wohl erwartet hatte, stieß er sich von der Spindtür ab und trat zurück. Den Mund zu einem halben verächtlichen Lächeln verzogen beobachtete er, wie Cynthia verwirrt den Kopf wieder hob und ihn anblinzelte, ehe er sich mit einer kleinen, spöttischen Verbeugung von ihr abwandte und den Gang entlang davonging. Genau auf uns zu. Er gönnte uns keinen Blick, als er an uns vorbeischritt. Der höhnische Ausdruck in seinem Gesicht war verschwunden. Ich glaubte jetzt eine Mischung aus Bitterkeit und Frustration darin zu sehen. Und Wut. Selbst die Art, wie er den Flur hinuntermarschierte, wirkte zornig.
Alle Rechte dieser Ausgabe bei cbt/cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Lynn Raven
Lynn Raven lebte in Neuengland, USA, ehe es sie trotz ihrer Liebe zur wildromantischen Felsenküste Maines nach Deutschland verschlug. Nachdem sie zwischenzeitlich in die USA zurückgekehrt war, lebt sie nun wieder hauptsächlich in Deutschland und ist weiter in High Fantasy und Dark Fantasy unterwegs.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lynn Raven
- Altersempfehlung: 12 - 99 Jahre
- 2010, 336 Seiten, Maße: 12,5 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: cbt
- ISBN-10: 3570305546
- ISBN-13: 9783570305546
Rezension zu „Der Kuss des Dämons “
"Eine der schönsten und mitreißendsten Geschichten, die es im Vampir- und Fantasygenre gibt." LiteraTeens, www.hr-online.de
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