Der Mann, der wirklich liebte
Roman nach einer wahren Geschichte. Originalausgabe
Nachdem Angela einen Hirnschlag erleidet, lautet die furchtbare Diagnose: Locked-In-Syndrom. Von nun an ist Angela in ihrem eigenen Körper eingeschlossen. Doch ihr Mann Michael unternimmt alles Erdenkliche, um seine geliebte Frau wieder ins Leben zurückzuholen.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Mann, der wirklich liebte “
Nachdem Angela einen Hirnschlag erleidet, lautet die furchtbare Diagnose: Locked-In-Syndrom. Von nun an ist Angela in ihrem eigenen Körper eingeschlossen. Doch ihr Mann Michael unternimmt alles Erdenkliche, um seine geliebte Frau wieder ins Leben zurückzuholen.
Klappentext zu „Der Mann, der wirklich liebte “
»In guten wie in schlechten Tagen« - Ein Mann glaubt nicht an das Todesurteil der Ärzte und holt seine Frau zurück ins Leben"Du bist meine Hoffnung"
Als Michael Röhrdanz Angela kennenlernt, weiß er, dass sie die Liebe seines Lebens ist. Acht Jahre nach der Traumhochzeit ist sie zum dritten Mal schwanger, und beide sind immer noch so glücklich wie am ersten Tag. Bis das Unfassbare passiert. Angela erleidet einen schweren Gehirnschlag. Fortan ist sie wie eingeschlossen in ihrem eigenen Körper. Doch Michael Röhrdanz will nicht wahrhaben, wovon die Ärzte überzeugt sind: Angela leidet an dem "Locked-in-Syndrom" und wird sterben. Was nun folgt, ist die Geschichte eines Mannes, dessen aufrichtige Liebe Berge versetzt. Dank seines Einsatzes bringt Angela einen gesunden Sohn zur Welt. Und sie überlebt ...
In ihrem neuen Roman erzählt Bestsellerautorin Hera Lind eine wahre Geschichte, die ans Herz und nie wieder aus dem Kopf geht.
"Dieses Buch geht direkt ins Herz!" -- MDR Riverboat über "Der Mann, der wirklich liebte"
Lese-Probe zu „Der Mann, der wirklich liebte “
Der Mann, der wirklich liebte von Hera Lind1
Nebenan klingelte das Telefon, und kurz darauf öffnete sich die Bürotür einen Spalt weit.
»Herr Röhrdanz, Ihre Frau auf Leitung drei!« Ein kalter Windzug streifte seinen Nacken.
»Stellen Sie durch«, sagte Michael Röhrdanz zu der wasserstoffblonden Vorzimmerdame und scheuchte sie mit einer Handbewegung hinaus. Er saß gerade angespannt über eine komplizierte Kalkulation gebeugt, aber um mit seiner Angela sprechen zu können, würde Röhrdanz den Bau eines Weltimperiums unterbrechen. Er vermisste sie immer noch in der Firma.
Vor seinem inneren Auge sah er wieder vor sich, wie sie damals als Auszubildende erstmals schüchtern an seine Türe geklopft hatte. Mit ihr war nie ein eiskalter Luftzug ins Zimmer gekommen im Gegenteil: Es war ihm immer warm ums Herz geworden, wenn Angela erschienen war. Jetzt war sie seit acht Jahren seine Frau und die Mutter seiner zwei, ja bald drei Kinder!
Er grinste unwillkürlich, als er daran dachte, wie er sie angestarrt hatte, während sie versuchte, mit den schweren Bowlingkugeln zu hantieren. Und wie er sich nachher zu ihr und ihrem Freund in das winzige Auto gequetscht hatte, um noch in eine andere Kneipe zu fahren. Wie er sie dem Grünschnabel ausgespannt hatte. Wie er bei ihren Eltern, die nur wenige Jahre älter waren als er selbst, um ihre Hand angehalten hatte. Jetzt war sie längst keine schüchterne Person mehr! Ein erwartungsvolles Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er zum Hörer griff.
»Hallo, Liebes! Wie geht es meiner schönen schwangeren Frau?!«
»Nicht so toll«, kam es ziemlich bedrückt aus der Leitung. »Ich hab irgendwas am Arm.«
»Am Arm? Ich dachte, schwanger ist man im Bauch?«
Röhrdanz verzog den Mund zu einem
... mehr
spitzbübischen Lächeln, klemmte die Sprechmuschel zwischen Kinn und Schulter und spitzte in Erwartung eines netten Plausches seinen Bleistift. Kleine rotrandige Schnitzfetzen bildeten eine Schlange auf seiner Schreibtischplatte.
»Ich kann ihn nicht mehr bewegen!« Michael Röhrdanz nahm einen Schluck von seinem abgestandenen Kaffee und verzog ratlos das Gesicht.
»Michael, ich habe wirklich Angst!« Moment mal. Sie weinte doch nicht? Röhrdanz änderte sofort den Tonfall. Seine Stimme wurde ganz sanft.
»Brauchst du nicht, Liebes. Welcher Arm ist es?« Röhrdanz pustete die Bleistiftfetzen vom Schreibtischrand.
»Der linke! Ich kann ihn nicht hochheben! Er hängt an mir herunter, als gehörte er nicht zu mir!« Angela schluchzte. Sie hörte sich hilflos an. Wie ein verletzter kleiner Vogel, dachte Röhrdanz.
Einer, der bis eben noch gesungen und gezwitschert hat und jetzt nicht mehr fliegen kann.
Röhrdanz sah nervös auf die Uhr. Nein, unmöglich. Um diese Zeit konnte er nicht weg.
»Hör zu, Liebes. Dann bringst du jetzt die Kinder zu deiner Mutter und gehst sofort zum Arzt!«
»Zu was für einem Arzt soll ich denn gehen?«, wimmerte Angela. Immerhin hatte es nichts mit dem Baby zu tun, dachte Röhrdanz erleichtert.
»Zum Orthopäden, würde ich sagen.«
Nachdenklich drehte er sich in seinem Schreibtischstuhl einmal im Kreis, bis er den Hörer an das andere Ohr halten musste.
»Da ist doch einer direkt an der Ecke zur Hauptstraße«, fiel ihm ein. »Über der Drogerie im ersten Stock.« Er tupfte mit der Fingerkuppe die letzten Bleistiftkrümel von seiner Kalkulation und pustete sie sauber.
»Der Name steht auf dem Schild an der Hauswand. Heimer heißt der oder so ähnlich. Heimhuber, Heimann. Irgendwas mit Heim.«
»Das fühlt sich total komisch an«, unterbrach Angela ihn aufgeregt. Im Hintergrund hörte Röhrdanz seinen einjährigen Sohn brabbeln, und Denise rief irgendwas dazwischen.
»Ich kann Philip nicht mehr halten, mein Arm ist wie ein fremdes Anhängsel.«
»Es ist bestimmt nichts Ernstes«, versuchte Röhrdanz die Sache abzutun.
»Geh jetzt zum Arzt, und danach rufst du mich an.« Er führte erneut die Tasse zum Mund, als ihm einfiel, wie ekelhaft die abgestandene Brühe inzwischen schmeckte, und ließ sie zerstreut wieder sinken.
»Schau, Liebes, dauernd schleppst du die Kinder in den dritten Stock und wieder runter und klappst den Kinderwagen immer mit dem linken Arm zusammen. Der ist dir bestimmt nur eingeschlafen, der Arm!«
Röhrdanz putzte sich die Brille. »Ich muss mich mehr um dich kümmern. Du darfst eigentlich sowieso keine schweren Sachen mehr schleppen. Liebes, du hast dich einfach übernommen! Sag deiner Mutter, dass sie dir von nun an mehr helfen muss. Fast fünf Kinder in fünf Jahren, da muss sie doch auch mal mit zupacken!«
»Gut«, kam es dünn aus dem Hörer. »Ich geh dann mal ...«
Sie ist erst neunundzwanzig, dachte Röhrdanz kopfschüttelnd, und ich habe ihr nicht nur Christian und Oliver aus meiner ersten Ehe aufgebrummt, die sie ohne mit der Wimper zu zucken aufgenommen hat, obwohl sie als Teenager nicht gerade einfach sind.
Dann kamen kurz hintereinander unsere gemeinsamen Kinder Denise und Philip zur Welt, und jetzt ist sie schon wieder schwanger.
Klar, dass sie irgendwann schlappmacht. Plötzlich hatte er ein richtig schlechtes Gewissen.
»Hör zu, Liebes, wenn du willst, kann ich auch mit deiner Mutter reden. Ich weiß doch, wie ungern du sie um Hilfe bittest. Sie soll mal ihre beiden jüngsten Enkel für ein paar Stunden nehmen. Oliver kann sich alleine versorgen, wenn er aus der Schule kommt. Und du kümmerst dich mal nur um dich! Okay? Ich muss jetzt hier weitermachen.«
»Ja«, schniefte Angela, klang aber getröstet. »Ich liebe dich. Sei tapfer und mach dir keinen Kopf.«
»Ich dich auch«, hörte er Angela noch sagen, bevor er den Hörer auflegte, um seine Schwiegermutter anzurufen.
Vier Stunden später hatte er immer noch nichts von Angela gehört. Zu Hause hatte er es inzwischen drei Dutzend Mal durchklingeln lassen. Das monotone Tuten zerrte an seinen Nerven.
Wo steckte Angela nur? Vielleicht hatte sie sich im Anschluss an den Arztbesuch mit ihren Freundinnen von früher getroffen? War im Café oder im Kino? Beunruhigt wählte er die Nummer seiner Schwiegermutter, wenn auch widerwillig.
Er hatte Helga am Morgen gebeten, ihrer Tochter mit den Kindern zu helfen. Helga hatte eingewilligt, ihm aber zu verstehen gegeben, dass sie sich Sorgen um ihre Tochter machte.
»Ja, ja! Aber wenn sie doch die Richtige ist!«, hatte Röhrdanz matt geantwortet. »Für dich vielleicht, Michael, schließlich bist du sechzehn Jahre älter als sie und hast dich nach einer gescheiterten Ehe nach einer Mutter für deine Kinder gesehnt. Aber war es für Angela auch das Richtige?«
Röhrdanz raufte sich die Haare. Na toll. Jetzt musste er auch noch zu Kreuze kriechen.
»Hallo, Helga, ich bin's. Wollte nur fragen, wo Angela steckt.«
»Das wollte ich DICH gerade fragen.« Sie klang aufgeregt.
»Ich habe eure Kinder wirklich gern um mich, aber dass ihr mich so lange braucht, hätten wir vorher absprechen müssen. Die Kinder halten mich voll auf Trab ... nicht, Denise! Lass das stehen! Das geht kaputt ...«
»Helga!«, unterbrach Röhrdanz seine Schwiegermutter. »Willst du damit sagen, dass Angela immer noch nicht vom Arzt zurück ist?!«
»Nein, ist sie nicht! Aber du hast ihr ja selbst gesagt, sie soll sich mal nur um sich kümmern!«
»Aber sie würde doch nie einfach so bummeln gehen oder ins Kino! Du hast nicht zufällig die Nummer von dem Orthopäden?«
»Nein, leider nicht. Was mache ich nur? Was glaubst du, was Denise hier mit meiner Bastelschere alles zerschnitten hat ... Denise! NICHT! Das geht kaputt!«
»Und was ist mit Dagmar? Kann deine andere Tochter sich nicht um die Kinder kümmern? Dann wärst du entlastet ...«, versuchte Röhrdanz die Wogen zu glätten.
»Dagmar ackert gerade für die Nachprüfung in Englisch. Das geht leider nicht!«
»Ist ja gut, Helga, ich wollte ja bloß ...«
»Ich weiß, Michael, aber seit der Papa tot ist, ist überhaupt nichts mehr gut ... Ich bin manchmal etwas überfordert und ...«
Nun weinte sie. Ihr Mann war erst vor wenigen Jahren völlig überraschend gestorben: Nachbarn hatten den bis dahin kerngesunden Endvierziger mit dem Gesicht nach unten tot im Garten gefunden. Im Gemüsebeet. Was für eine grässliche Art zu sterben! Und was für ein furchtbarer Schock für Helga. Vielleicht sollte er ihr die Kinder wirklich nicht zumuten?
»Helga, bitte beruhige dich! Ich hole Angela jetzt vom Arzt ab, und dann kommen wir auf eine schöne Tasse Kaffee zu dir, ja? Bitte sei nicht wieder traurig wegen Gerd, wir sind eine Familie und halten zusammen, wir sind immer für dich da, ja,?«
»Ich dank dir, jetzt schau erst mal, wo Angela steckt ...«
Röhrdanz schüttelte den Kopf und legte auf. Seine Schwiegermutter tat ihm leid, aber er hatte jetzt andere Sorgen und sah ein, dass Dagmar, Angelas kleine Schwester, ihm in dieser Situation auch nicht helfen konnte.
Mit plötzlicher Wut riss er das alte zerfledderte Telefonbuch aus dem Regal und blätterte darin, wobei er bemerkte, dass seine Finger leicht zitterten.
Wo schaue ich denn jetzt nach, dachte er zerstreut, unter Ä wie Ärzte oder O wie Orthopäden oder H wie Heimann? Verdammt. Er hätte doch etwas frühstücken sollen.
Und dieser grässliche Kaffee von der Neuen war ein Granatenhagel für seine Magenwände. Er stieß einen genervten Seufzer aus. Nein, Angela war nicht zu ersetzen. Weder im Büro noch zu Hause. Er würde sie immer auf Händen tragen.
2
»Praxis Dr. Heimwald, Sie rufen leider außerhalb der Sprechzeiten an. In dringenden Fällen hinterlassen Sie bitte eine Nachricht auf Band ...«, leierte eine unpersönliche Frauenstimme ihren Spruch herunter.
Röhrdanz knallte verärgert den Hörer auf die Gabel, schnappte sich sein Sakko und beschloss, kurzerhand mit dem Auto zur Orthopädiepraxis zu fahren. Irgendwo dort musste Angela schließlich stecken. Vielleicht saß sie wirklich im Café an der Ecke und gönnte sich mal wieder ein ruhiges Stündchen mit Kaffee und Kuchen und einer Illustrierten.
Es sollte ihr von Herzen vergönnt sein. Danach könnte er gleich Denise und Philip von der Oma abholen und seiner Schwiegermutter die Tränen trocknen.
Tja, Röhrdanz, dachte er, du hast das Gesamtpaket geheiratet. Schade, dass Angelas Vater Gerd schon tot ist. Jetzt bin ich der einzige Mann in der Familie, und an mir bleibt letztlich alles hängen. Oliver steckte mitten in der Pubertät, und Christian war bereits ausgezogen.
Im Moment war er ohnehin nicht greifbar, er machte gerade mit seiner Freundin Urlaub in Mexiko. Ungehalten legte er auf dem Parkplatz des Verlagsgebäudes den Rückwärtsgang ein.
»Dabei hat der Tag so schön angefangen«, murmelte er, während er mit quietschenden Reifen wendete. »Ich war so gut wie fertig mit der verdammten Kalkulation. Und jetzt muss ich mich morgen wieder um den Blödsinn kümmern!«
Zum Glück hatte Richard, sein verständnisvoller Chef, nichts dagegen, dass er sich heute Nachmittag freinahm.
»Stress mit der Familie, was?«, hatte er lächelnd angemerkt, und Röhrdanz hatte versprochen, die versäumten Stunden gleich morgen früh nachzuholen.
»Kein Problem, Michael, du bist einer unserer zuverlässigsten Mitarbeiter. Grüß mir die Angela, sie soll sich ein bisschen schonen.«
»Genau meine Rede«, hatte Röhrdanz noch im Weggehen gemurmelt und heimlich einen Dankesgruß zum Himmel geschickt, weil er so einen tollen Chef hatte.
Die Praxis des Orthopäden hatte gerade wieder aufgemacht, jedenfalls war die Tür nur angelehnt. Die beiden Arzthelferinnen schienen soeben mit ein paar kleinen Einkaufstüten aus der Mittagspause zurückgekehrt zu sein.
»Na, das war ja ein Ding«, sagte die eine gerade, »ich bin total geschafft.«
Sie ließ sich auf ihren Drehstuhl hinter der Anmeldung fallen, suchte nach ihrem Taschenspiegel und sah prüfend hinein.
»So was erlebst du nicht alle Tage.«
»Aber die war ja völlig zu«, hörte Röhrdanz die andere sagen, die sich gerade ihren weißen Kittel zuknöpfte. Prüfend senkte sie ihr Kinn und öffnete dann den Knopf über dem Busen wieder.
»Der eine Sani war aber ein Schnuckel, was?«
»Welcher?«, fragte die mit dem Taschenspiegel desinteressiert und schürzte die Lippen, um sie sich nachzuziehen.
»Ach komm schon, du weißt genau, welchen ich meine! Bestimmt nicht den dicken Pickeligen mit dem Stoppelbart!«
»Na ja, der andere war bestimmt ein Zivi ... voll süß irgendwie. Ich glaub, den habe ich schon mal in der Disco gesehen, der hat aber eine Freundin, soviel ich weiß.«
»Aber wie der mich angeguckt hat! Der wollte doch eindeutig was von mir.«
»Da ist jemand ...«, zischte die mit dem Spiegel und ordnete mit einer fahrigen Handbewegung ihre rötliche Lockenpracht.
»Wir haben ab 14 Uhr wieder geöffnet«, sagte sie in geschäftsmäßigem Ton.
»Röhrdanz«, sagte Röhrdanz. »Ich will nur meine Frau abholen.«
Die Reaktion der beiden Grazien hätte ihn irritieren müssen. Beide senkten rasch den Blick und beschäftigten sich plötzlich mit irgendwelchen Unterlagen. Ihre fahrigen Handbewegungen verrieten, dass sie urplötzlich nervös geworden waren.
»Der Doktor ist noch zu Tisch«, sagte die mit dem Kittel gestelzt.
»Aber nicht mit meiner Frau, oder?«
»Nee, die ist schon vorher abgeholt worden«, platzte die Rothaarige heraus. »Na, dann ist ja gut«, sagte Röhrdanz erleichtert und wandte sich zum Gehen.
In der Tür drehte er sich noch einmal um: »Sie wissen nicht zufällig von wem? Ich meine, war es ein großer junger Mann, so eins fünfundachtzig,«
Röhrdanz zeigte seine eigene Größe an, »dann war es nämlich mein Sohn Oliver ...« Verwundert hielt er inne, als er den Gesichtsausdruck der beiden Arzthelferinnen sah.
»Von der Rettung«, rang sich schließlich die mit dem Kittel durch.
»Wie, von der Rettung?« Röhrdanz stand einen Moment lang da wie erstarrt, machte dann aber noch einen seiner üblichen Scherze.
»Vor wem musste meine Frau denn gerettet werden?«
»Sie ist uns hier zusammengeklappt.«
»Sie ist was?« Röhrdanz raufte sich die Haare.
»Zusammengeklappt?! Und das sagen Sie erst jetzt? Und lassen mich hier fröhlich mit Ihnen rumschäkern?«
»Wir wollten es Ihnen gerade mitteilen«, hob die eine an, und ihre Lippen zitterten. »Aber dazu sind wir gar nicht befugt. Dafür ist unser Chef zuständig, und der ist noch zu Tisch.«
Röhrdanz machte einen großen Schritt nach vorn und hätte das dumme Mädel am liebsten am offenen Kittelkragen gepackt.
»Der Chef ist zu Tisch, während meine schwangere Frau hier zusammenklappt?«
»Ja, er meinte, schon wieder so'n Junkie, und das ist nicht seine Baustelle ...«
»Die hatte ja Schaum vor dem Mund«, piepste die andere, die sich vorsichtshalber in die hinterste Ecke des Anmeldebereichs zurückgezogen hatte.
»Die hat die Augen verdreht und irgendwie gekrampft. Dann ist sie umgekippt und hat so geröchelt ...«
»Ja, außerdem sind wir eine orthopädische Praxis, also für Drogenabhängige gar nicht zuständig. Und da hat der Chef gemeint, er geht jetzt zu Tisch, wir sollten die Rettung alarmieren.«
Röhrdanz sah fassungslos zwischen den beiden Mädchen hin und her, die sich gegenseitig die Bälle zuspielten wie bei einem Tennismatch: »Und das haben wir dann auch gemacht. Aber in der Zwischenzeit ist uns die hier fast abgekackt, so hat die gezittert.«
»Und dann bin ich schnell rauf und hab den Internisten von oben geholt.«
»Ja, und der ist dann gleich mitgefahren mit der Frau ... mit Ihrer Frau ... also mit der Dame.«
Die Arzthelferin wischte sich ihre vor Aufregung feuchten Hände am Kittel ab und drehte dann hilfesuchend an einem der Knöpfe, als könnte sie so ein anderes Programm einstellen, eines, das sie besser beherrschte als dieses hier.
»Die Dame also Ihre Frau konnte gar nichts mehr sagen. Wir haben ihren Ausweis aus ihrer Handtasche geholt, und der Doktor von oben ist dann wie gesagt mit ins Krankenhaus.«
Röhrdanz nickte, unfähig, ein Wort herauszubringen.
»Es tut mir leid ...«, wimmerte die mit dem Kittel. Sie schwenkte ihre langen künstlichen Fingernägel, als ob sie noch nicht ganz trocken wären.
»In welches Krankenhaus?«, rang sich Röhrdanz von den ausgetrockneten Lippen. Es pochte in seinen Schläfen. Irgendwas war hier aus dem Ruder gelaufen. Er wusste nur noch nicht was.
Alles, was er wusste, war, dass er gleich seine Schwiegermutter trösten musste. Wegen Gerd. Und dass er seine Kleinen abholen wollte.
»Ich weiß nicht, in welches ...«, quiekte die Erste. »Bestimmt ins Maria Hilf!«
Röhrdanz wollte gerade kopflos davonstürmen, als er mit dem aus der Mittagspause zurückkehrenden Orthopäden zusammenstieß.
»Was ist denn hier los?«, fragte der blonde Hüne und sah irritiert in die Runde. Er war um die fünfzig, groß und massig, hatte einen grauen Bürstenhaarschnitt, hellgrüne Augen und nach unten hängende Mundwinkel.
»Das ist der Mann von der ... ähm ... Frau ...« Die Arzthelferin zeigte auf den Fußboden, vermutlich auf die Stelle, wo seine Angela krampfend und röchelnd gelegen hatte.
»Er wusste von nichts.«
»Er wollte sie abholen«, vervollständigte die andere den Bericht.
»Kommen Sie bitte kurz mit«, befahl Dr. Heimwald, warf seinen Damen einen warnenden Blick zu und schritt vor Röhrdanz her.
»Bitte hier hinein.« Röhrdanz betrat ein aufgeräumtes Sprechzimmer, in dem ein Skelett und mehrere Röntgenbilder davon zeugten, dass man es hier eindeutig mit einem Orthopäden zu tun hatte. »Nehmen Sie Platz.«
»Nein danke. Was ist mit meiner Frau?«
»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Sie ist mir schon im Empfangsbereich zusammengeklappt, hatte Schaum vor dem Mund, hat die Augen verdreht und war zu keiner Auskunft mehr fähig. Ich habe sie sofort ins Krankenhaus bringen lassen.«
»Und sind dann essen gegangen.«
17
»Warum nicht? Eine solche Patientin fällt nicht in meinen Bereich. Ich repariere Knie und renke ausgekugelte Schultern wieder ein.«
Der Arzt zuckte gleichgültig die Schultern. »Ich hatte allerdings den Verdacht, dass sie unter Drogen steht, auf Entzug ist oder so etwas. Wie gesagt, das ist nicht mein Fachgebiet. Das überlasse ich erfahrenen Kollegen.«
Er wich dem wütenden Blick von Röhrdanz aus, vergrub seine Hände in den Kitteltaschen und kehrte ihm den Rücken zu. Während er beiläufig aus dem Fenster schaute, sagte er über die Schulter hinweg: »Für mich lag der Verdacht nahe, dass sie eigentlich zum Kollegen Internisten wollte und sich entweder in der Tür geirrt oder es einfach nicht mehr in den zweiten Stock geschafft hat.«
Röhrdanz spürte ein seltsames Ziehen und Stechen in der Herzgegend und wusste nicht, ob es die nackte Wut, panische Angst, kindliche Hilflosigkeit oder die pure Fassungslosigkeit war. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Weil seine Beine zitterten und sein Magen rebellierte, ließ er sich nun doch auf dem Patientenstuhl vor dem Schreibtisch des Orthopäden nieder.
»In welches Krankenhaus ...«, begann er, aber ein unkontrollierbarer Schluckreflex brach ihm die Stimme.
»Ich meine, wohin ...« Er räusperte sich, wurde aber den riesigen Kloß in seiner Kehle nicht los. »Keine Ahnung«, sagte der Arzt, wirbelte herum und griff nach dem Telefon.
»Gabi! Wohin hat man die Frau gebracht?« Angespanntes Schweigen. Röhrdanz sah, wie es im
Gesicht des Arztes zuckte, so ungeduldig mahlten seine Kiefer.
»Dann fragen Sie! Rufen Sie oben an! Aber ein bisschen plötzlich!«, bellte er in den Hörer. Ohne mit Röhrdanz zu sprechen, vergrub er wieder die Hände in den Kitteltaschen und starrte an die gegenüberliegende Wand.
Dort hing ein Plakat, auf dem sämtliche Wirbel und Knorpel eines Rückens abgebildet waren. Das Telefon klingelte.
»Ja? Was? Sankt Matthäus, aha. Leverkusen. Warum denn nicht gleich.«
Er legte wieder auf, sah Röhrdanz triumphierend an.
»Leverkusen, Sankt Matthäus. Na bitte.« Er breitete die Arme aus, als hätte er gerade Wasser in Wein verwandelt, und wartete offensichtlich auf ein überschwängliches Lob oder einen warmen Dank. Röhrdanz sprang auf, stürmte grußlos aus der Praxis und rannte die Treppe hinunter. Leverkusen also. So ungefähr wusste er, wo die Klinik war. Schätzungsweise die Gynäkologie.
Bitte keine Fehlgeburt. Auch wenn das Dritte nicht geplant war. Aber es war doch ein Kind der Liebe wie die anderen auch.
»Lieber Gott, bitte lass nichts mit dem Baby sein«, flehte er, als er Sekunden später in seinem Opel Kadett saß und in Richtung Autobahn brauste.
»Wir sind doch so glücklich! Bitte lass es uns auch bleiben!«
Copyright © 2010 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Ich kann ihn nicht mehr bewegen!« Michael Röhrdanz nahm einen Schluck von seinem abgestandenen Kaffee und verzog ratlos das Gesicht.
»Michael, ich habe wirklich Angst!« Moment mal. Sie weinte doch nicht? Röhrdanz änderte sofort den Tonfall. Seine Stimme wurde ganz sanft.
»Brauchst du nicht, Liebes. Welcher Arm ist es?« Röhrdanz pustete die Bleistiftfetzen vom Schreibtischrand.
»Der linke! Ich kann ihn nicht hochheben! Er hängt an mir herunter, als gehörte er nicht zu mir!« Angela schluchzte. Sie hörte sich hilflos an. Wie ein verletzter kleiner Vogel, dachte Röhrdanz.
Einer, der bis eben noch gesungen und gezwitschert hat und jetzt nicht mehr fliegen kann.
Röhrdanz sah nervös auf die Uhr. Nein, unmöglich. Um diese Zeit konnte er nicht weg.
»Hör zu, Liebes. Dann bringst du jetzt die Kinder zu deiner Mutter und gehst sofort zum Arzt!«
»Zu was für einem Arzt soll ich denn gehen?«, wimmerte Angela. Immerhin hatte es nichts mit dem Baby zu tun, dachte Röhrdanz erleichtert.
»Zum Orthopäden, würde ich sagen.«
Nachdenklich drehte er sich in seinem Schreibtischstuhl einmal im Kreis, bis er den Hörer an das andere Ohr halten musste.
»Da ist doch einer direkt an der Ecke zur Hauptstraße«, fiel ihm ein. »Über der Drogerie im ersten Stock.« Er tupfte mit der Fingerkuppe die letzten Bleistiftkrümel von seiner Kalkulation und pustete sie sauber.
»Der Name steht auf dem Schild an der Hauswand. Heimer heißt der oder so ähnlich. Heimhuber, Heimann. Irgendwas mit Heim.«
»Das fühlt sich total komisch an«, unterbrach Angela ihn aufgeregt. Im Hintergrund hörte Röhrdanz seinen einjährigen Sohn brabbeln, und Denise rief irgendwas dazwischen.
»Ich kann Philip nicht mehr halten, mein Arm ist wie ein fremdes Anhängsel.«
»Es ist bestimmt nichts Ernstes«, versuchte Röhrdanz die Sache abzutun.
»Geh jetzt zum Arzt, und danach rufst du mich an.« Er führte erneut die Tasse zum Mund, als ihm einfiel, wie ekelhaft die abgestandene Brühe inzwischen schmeckte, und ließ sie zerstreut wieder sinken.
»Schau, Liebes, dauernd schleppst du die Kinder in den dritten Stock und wieder runter und klappst den Kinderwagen immer mit dem linken Arm zusammen. Der ist dir bestimmt nur eingeschlafen, der Arm!«
Röhrdanz putzte sich die Brille. »Ich muss mich mehr um dich kümmern. Du darfst eigentlich sowieso keine schweren Sachen mehr schleppen. Liebes, du hast dich einfach übernommen! Sag deiner Mutter, dass sie dir von nun an mehr helfen muss. Fast fünf Kinder in fünf Jahren, da muss sie doch auch mal mit zupacken!«
»Gut«, kam es dünn aus dem Hörer. »Ich geh dann mal ...«
Sie ist erst neunundzwanzig, dachte Röhrdanz kopfschüttelnd, und ich habe ihr nicht nur Christian und Oliver aus meiner ersten Ehe aufgebrummt, die sie ohne mit der Wimper zu zucken aufgenommen hat, obwohl sie als Teenager nicht gerade einfach sind.
Dann kamen kurz hintereinander unsere gemeinsamen Kinder Denise und Philip zur Welt, und jetzt ist sie schon wieder schwanger.
Klar, dass sie irgendwann schlappmacht. Plötzlich hatte er ein richtig schlechtes Gewissen.
»Hör zu, Liebes, wenn du willst, kann ich auch mit deiner Mutter reden. Ich weiß doch, wie ungern du sie um Hilfe bittest. Sie soll mal ihre beiden jüngsten Enkel für ein paar Stunden nehmen. Oliver kann sich alleine versorgen, wenn er aus der Schule kommt. Und du kümmerst dich mal nur um dich! Okay? Ich muss jetzt hier weitermachen.«
»Ja«, schniefte Angela, klang aber getröstet. »Ich liebe dich. Sei tapfer und mach dir keinen Kopf.«
»Ich dich auch«, hörte er Angela noch sagen, bevor er den Hörer auflegte, um seine Schwiegermutter anzurufen.
Vier Stunden später hatte er immer noch nichts von Angela gehört. Zu Hause hatte er es inzwischen drei Dutzend Mal durchklingeln lassen. Das monotone Tuten zerrte an seinen Nerven.
Wo steckte Angela nur? Vielleicht hatte sie sich im Anschluss an den Arztbesuch mit ihren Freundinnen von früher getroffen? War im Café oder im Kino? Beunruhigt wählte er die Nummer seiner Schwiegermutter, wenn auch widerwillig.
Er hatte Helga am Morgen gebeten, ihrer Tochter mit den Kindern zu helfen. Helga hatte eingewilligt, ihm aber zu verstehen gegeben, dass sie sich Sorgen um ihre Tochter machte.
»Ja, ja! Aber wenn sie doch die Richtige ist!«, hatte Röhrdanz matt geantwortet. »Für dich vielleicht, Michael, schließlich bist du sechzehn Jahre älter als sie und hast dich nach einer gescheiterten Ehe nach einer Mutter für deine Kinder gesehnt. Aber war es für Angela auch das Richtige?«
Röhrdanz raufte sich die Haare. Na toll. Jetzt musste er auch noch zu Kreuze kriechen.
»Hallo, Helga, ich bin's. Wollte nur fragen, wo Angela steckt.«
»Das wollte ich DICH gerade fragen.« Sie klang aufgeregt.
»Ich habe eure Kinder wirklich gern um mich, aber dass ihr mich so lange braucht, hätten wir vorher absprechen müssen. Die Kinder halten mich voll auf Trab ... nicht, Denise! Lass das stehen! Das geht kaputt ...«
»Helga!«, unterbrach Röhrdanz seine Schwiegermutter. »Willst du damit sagen, dass Angela immer noch nicht vom Arzt zurück ist?!«
»Nein, ist sie nicht! Aber du hast ihr ja selbst gesagt, sie soll sich mal nur um sich kümmern!«
»Aber sie würde doch nie einfach so bummeln gehen oder ins Kino! Du hast nicht zufällig die Nummer von dem Orthopäden?«
»Nein, leider nicht. Was mache ich nur? Was glaubst du, was Denise hier mit meiner Bastelschere alles zerschnitten hat ... Denise! NICHT! Das geht kaputt!«
»Und was ist mit Dagmar? Kann deine andere Tochter sich nicht um die Kinder kümmern? Dann wärst du entlastet ...«, versuchte Röhrdanz die Wogen zu glätten.
»Dagmar ackert gerade für die Nachprüfung in Englisch. Das geht leider nicht!«
»Ist ja gut, Helga, ich wollte ja bloß ...«
»Ich weiß, Michael, aber seit der Papa tot ist, ist überhaupt nichts mehr gut ... Ich bin manchmal etwas überfordert und ...«
Nun weinte sie. Ihr Mann war erst vor wenigen Jahren völlig überraschend gestorben: Nachbarn hatten den bis dahin kerngesunden Endvierziger mit dem Gesicht nach unten tot im Garten gefunden. Im Gemüsebeet. Was für eine grässliche Art zu sterben! Und was für ein furchtbarer Schock für Helga. Vielleicht sollte er ihr die Kinder wirklich nicht zumuten?
»Helga, bitte beruhige dich! Ich hole Angela jetzt vom Arzt ab, und dann kommen wir auf eine schöne Tasse Kaffee zu dir, ja? Bitte sei nicht wieder traurig wegen Gerd, wir sind eine Familie und halten zusammen, wir sind immer für dich da, ja,?«
»Ich dank dir, jetzt schau erst mal, wo Angela steckt ...«
Röhrdanz schüttelte den Kopf und legte auf. Seine Schwiegermutter tat ihm leid, aber er hatte jetzt andere Sorgen und sah ein, dass Dagmar, Angelas kleine Schwester, ihm in dieser Situation auch nicht helfen konnte.
Mit plötzlicher Wut riss er das alte zerfledderte Telefonbuch aus dem Regal und blätterte darin, wobei er bemerkte, dass seine Finger leicht zitterten.
Wo schaue ich denn jetzt nach, dachte er zerstreut, unter Ä wie Ärzte oder O wie Orthopäden oder H wie Heimann? Verdammt. Er hätte doch etwas frühstücken sollen.
Und dieser grässliche Kaffee von der Neuen war ein Granatenhagel für seine Magenwände. Er stieß einen genervten Seufzer aus. Nein, Angela war nicht zu ersetzen. Weder im Büro noch zu Hause. Er würde sie immer auf Händen tragen.
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»Praxis Dr. Heimwald, Sie rufen leider außerhalb der Sprechzeiten an. In dringenden Fällen hinterlassen Sie bitte eine Nachricht auf Band ...«, leierte eine unpersönliche Frauenstimme ihren Spruch herunter.
Röhrdanz knallte verärgert den Hörer auf die Gabel, schnappte sich sein Sakko und beschloss, kurzerhand mit dem Auto zur Orthopädiepraxis zu fahren. Irgendwo dort musste Angela schließlich stecken. Vielleicht saß sie wirklich im Café an der Ecke und gönnte sich mal wieder ein ruhiges Stündchen mit Kaffee und Kuchen und einer Illustrierten.
Es sollte ihr von Herzen vergönnt sein. Danach könnte er gleich Denise und Philip von der Oma abholen und seiner Schwiegermutter die Tränen trocknen.
Tja, Röhrdanz, dachte er, du hast das Gesamtpaket geheiratet. Schade, dass Angelas Vater Gerd schon tot ist. Jetzt bin ich der einzige Mann in der Familie, und an mir bleibt letztlich alles hängen. Oliver steckte mitten in der Pubertät, und Christian war bereits ausgezogen.
Im Moment war er ohnehin nicht greifbar, er machte gerade mit seiner Freundin Urlaub in Mexiko. Ungehalten legte er auf dem Parkplatz des Verlagsgebäudes den Rückwärtsgang ein.
»Dabei hat der Tag so schön angefangen«, murmelte er, während er mit quietschenden Reifen wendete. »Ich war so gut wie fertig mit der verdammten Kalkulation. Und jetzt muss ich mich morgen wieder um den Blödsinn kümmern!«
Zum Glück hatte Richard, sein verständnisvoller Chef, nichts dagegen, dass er sich heute Nachmittag freinahm.
»Stress mit der Familie, was?«, hatte er lächelnd angemerkt, und Röhrdanz hatte versprochen, die versäumten Stunden gleich morgen früh nachzuholen.
»Kein Problem, Michael, du bist einer unserer zuverlässigsten Mitarbeiter. Grüß mir die Angela, sie soll sich ein bisschen schonen.«
»Genau meine Rede«, hatte Röhrdanz noch im Weggehen gemurmelt und heimlich einen Dankesgruß zum Himmel geschickt, weil er so einen tollen Chef hatte.
Die Praxis des Orthopäden hatte gerade wieder aufgemacht, jedenfalls war die Tür nur angelehnt. Die beiden Arzthelferinnen schienen soeben mit ein paar kleinen Einkaufstüten aus der Mittagspause zurückgekehrt zu sein.
»Na, das war ja ein Ding«, sagte die eine gerade, »ich bin total geschafft.«
Sie ließ sich auf ihren Drehstuhl hinter der Anmeldung fallen, suchte nach ihrem Taschenspiegel und sah prüfend hinein.
»So was erlebst du nicht alle Tage.«
»Aber die war ja völlig zu«, hörte Röhrdanz die andere sagen, die sich gerade ihren weißen Kittel zuknöpfte. Prüfend senkte sie ihr Kinn und öffnete dann den Knopf über dem Busen wieder.
»Der eine Sani war aber ein Schnuckel, was?«
»Welcher?«, fragte die mit dem Taschenspiegel desinteressiert und schürzte die Lippen, um sie sich nachzuziehen.
»Ach komm schon, du weißt genau, welchen ich meine! Bestimmt nicht den dicken Pickeligen mit dem Stoppelbart!«
»Na ja, der andere war bestimmt ein Zivi ... voll süß irgendwie. Ich glaub, den habe ich schon mal in der Disco gesehen, der hat aber eine Freundin, soviel ich weiß.«
»Aber wie der mich angeguckt hat! Der wollte doch eindeutig was von mir.«
»Da ist jemand ...«, zischte die mit dem Spiegel und ordnete mit einer fahrigen Handbewegung ihre rötliche Lockenpracht.
»Wir haben ab 14 Uhr wieder geöffnet«, sagte sie in geschäftsmäßigem Ton.
»Röhrdanz«, sagte Röhrdanz. »Ich will nur meine Frau abholen.«
Die Reaktion der beiden Grazien hätte ihn irritieren müssen. Beide senkten rasch den Blick und beschäftigten sich plötzlich mit irgendwelchen Unterlagen. Ihre fahrigen Handbewegungen verrieten, dass sie urplötzlich nervös geworden waren.
»Der Doktor ist noch zu Tisch«, sagte die mit dem Kittel gestelzt.
»Aber nicht mit meiner Frau, oder?«
»Nee, die ist schon vorher abgeholt worden«, platzte die Rothaarige heraus. »Na, dann ist ja gut«, sagte Röhrdanz erleichtert und wandte sich zum Gehen.
In der Tür drehte er sich noch einmal um: »Sie wissen nicht zufällig von wem? Ich meine, war es ein großer junger Mann, so eins fünfundachtzig,«
Röhrdanz zeigte seine eigene Größe an, »dann war es nämlich mein Sohn Oliver ...« Verwundert hielt er inne, als er den Gesichtsausdruck der beiden Arzthelferinnen sah.
»Von der Rettung«, rang sich schließlich die mit dem Kittel durch.
»Wie, von der Rettung?« Röhrdanz stand einen Moment lang da wie erstarrt, machte dann aber noch einen seiner üblichen Scherze.
»Vor wem musste meine Frau denn gerettet werden?«
»Sie ist uns hier zusammengeklappt.«
»Sie ist was?« Röhrdanz raufte sich die Haare.
»Zusammengeklappt?! Und das sagen Sie erst jetzt? Und lassen mich hier fröhlich mit Ihnen rumschäkern?«
»Wir wollten es Ihnen gerade mitteilen«, hob die eine an, und ihre Lippen zitterten. »Aber dazu sind wir gar nicht befugt. Dafür ist unser Chef zuständig, und der ist noch zu Tisch.«
Röhrdanz machte einen großen Schritt nach vorn und hätte das dumme Mädel am liebsten am offenen Kittelkragen gepackt.
»Der Chef ist zu Tisch, während meine schwangere Frau hier zusammenklappt?«
»Ja, er meinte, schon wieder so'n Junkie, und das ist nicht seine Baustelle ...«
»Die hatte ja Schaum vor dem Mund«, piepste die andere, die sich vorsichtshalber in die hinterste Ecke des Anmeldebereichs zurückgezogen hatte.
»Die hat die Augen verdreht und irgendwie gekrampft. Dann ist sie umgekippt und hat so geröchelt ...«
»Ja, außerdem sind wir eine orthopädische Praxis, also für Drogenabhängige gar nicht zuständig. Und da hat der Chef gemeint, er geht jetzt zu Tisch, wir sollten die Rettung alarmieren.«
Röhrdanz sah fassungslos zwischen den beiden Mädchen hin und her, die sich gegenseitig die Bälle zuspielten wie bei einem Tennismatch: »Und das haben wir dann auch gemacht. Aber in der Zwischenzeit ist uns die hier fast abgekackt, so hat die gezittert.«
»Und dann bin ich schnell rauf und hab den Internisten von oben geholt.«
»Ja, und der ist dann gleich mitgefahren mit der Frau ... mit Ihrer Frau ... also mit der Dame.«
Die Arzthelferin wischte sich ihre vor Aufregung feuchten Hände am Kittel ab und drehte dann hilfesuchend an einem der Knöpfe, als könnte sie so ein anderes Programm einstellen, eines, das sie besser beherrschte als dieses hier.
»Die Dame also Ihre Frau konnte gar nichts mehr sagen. Wir haben ihren Ausweis aus ihrer Handtasche geholt, und der Doktor von oben ist dann wie gesagt mit ins Krankenhaus.«
Röhrdanz nickte, unfähig, ein Wort herauszubringen.
»Es tut mir leid ...«, wimmerte die mit dem Kittel. Sie schwenkte ihre langen künstlichen Fingernägel, als ob sie noch nicht ganz trocken wären.
»In welches Krankenhaus?«, rang sich Röhrdanz von den ausgetrockneten Lippen. Es pochte in seinen Schläfen. Irgendwas war hier aus dem Ruder gelaufen. Er wusste nur noch nicht was.
Alles, was er wusste, war, dass er gleich seine Schwiegermutter trösten musste. Wegen Gerd. Und dass er seine Kleinen abholen wollte.
»Ich weiß nicht, in welches ...«, quiekte die Erste. »Bestimmt ins Maria Hilf!«
Röhrdanz wollte gerade kopflos davonstürmen, als er mit dem aus der Mittagspause zurückkehrenden Orthopäden zusammenstieß.
»Was ist denn hier los?«, fragte der blonde Hüne und sah irritiert in die Runde. Er war um die fünfzig, groß und massig, hatte einen grauen Bürstenhaarschnitt, hellgrüne Augen und nach unten hängende Mundwinkel.
»Das ist der Mann von der ... ähm ... Frau ...« Die Arzthelferin zeigte auf den Fußboden, vermutlich auf die Stelle, wo seine Angela krampfend und röchelnd gelegen hatte.
»Er wusste von nichts.«
»Er wollte sie abholen«, vervollständigte die andere den Bericht.
»Kommen Sie bitte kurz mit«, befahl Dr. Heimwald, warf seinen Damen einen warnenden Blick zu und schritt vor Röhrdanz her.
»Bitte hier hinein.« Röhrdanz betrat ein aufgeräumtes Sprechzimmer, in dem ein Skelett und mehrere Röntgenbilder davon zeugten, dass man es hier eindeutig mit einem Orthopäden zu tun hatte. »Nehmen Sie Platz.«
»Nein danke. Was ist mit meiner Frau?«
»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Sie ist mir schon im Empfangsbereich zusammengeklappt, hatte Schaum vor dem Mund, hat die Augen verdreht und war zu keiner Auskunft mehr fähig. Ich habe sie sofort ins Krankenhaus bringen lassen.«
»Und sind dann essen gegangen.«
17
»Warum nicht? Eine solche Patientin fällt nicht in meinen Bereich. Ich repariere Knie und renke ausgekugelte Schultern wieder ein.«
Der Arzt zuckte gleichgültig die Schultern. »Ich hatte allerdings den Verdacht, dass sie unter Drogen steht, auf Entzug ist oder so etwas. Wie gesagt, das ist nicht mein Fachgebiet. Das überlasse ich erfahrenen Kollegen.«
Er wich dem wütenden Blick von Röhrdanz aus, vergrub seine Hände in den Kitteltaschen und kehrte ihm den Rücken zu. Während er beiläufig aus dem Fenster schaute, sagte er über die Schulter hinweg: »Für mich lag der Verdacht nahe, dass sie eigentlich zum Kollegen Internisten wollte und sich entweder in der Tür geirrt oder es einfach nicht mehr in den zweiten Stock geschafft hat.«
Röhrdanz spürte ein seltsames Ziehen und Stechen in der Herzgegend und wusste nicht, ob es die nackte Wut, panische Angst, kindliche Hilflosigkeit oder die pure Fassungslosigkeit war. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Weil seine Beine zitterten und sein Magen rebellierte, ließ er sich nun doch auf dem Patientenstuhl vor dem Schreibtisch des Orthopäden nieder.
»In welches Krankenhaus ...«, begann er, aber ein unkontrollierbarer Schluckreflex brach ihm die Stimme.
»Ich meine, wohin ...« Er räusperte sich, wurde aber den riesigen Kloß in seiner Kehle nicht los. »Keine Ahnung«, sagte der Arzt, wirbelte herum und griff nach dem Telefon.
»Gabi! Wohin hat man die Frau gebracht?« Angespanntes Schweigen. Röhrdanz sah, wie es im
Gesicht des Arztes zuckte, so ungeduldig mahlten seine Kiefer.
»Dann fragen Sie! Rufen Sie oben an! Aber ein bisschen plötzlich!«, bellte er in den Hörer. Ohne mit Röhrdanz zu sprechen, vergrub er wieder die Hände in den Kitteltaschen und starrte an die gegenüberliegende Wand.
Dort hing ein Plakat, auf dem sämtliche Wirbel und Knorpel eines Rückens abgebildet waren. Das Telefon klingelte.
»Ja? Was? Sankt Matthäus, aha. Leverkusen. Warum denn nicht gleich.«
Er legte wieder auf, sah Röhrdanz triumphierend an.
»Leverkusen, Sankt Matthäus. Na bitte.« Er breitete die Arme aus, als hätte er gerade Wasser in Wein verwandelt, und wartete offensichtlich auf ein überschwängliches Lob oder einen warmen Dank. Röhrdanz sprang auf, stürmte grußlos aus der Praxis und rannte die Treppe hinunter. Leverkusen also. So ungefähr wusste er, wo die Klinik war. Schätzungsweise die Gynäkologie.
Bitte keine Fehlgeburt. Auch wenn das Dritte nicht geplant war. Aber es war doch ein Kind der Liebe wie die anderen auch.
»Lieber Gott, bitte lass nichts mit dem Baby sein«, flehte er, als er Sekunden später in seinem Opel Kadett saß und in Richtung Autobahn brauste.
»Wir sind doch so glücklich! Bitte lass es uns auch bleiben!«
Copyright © 2010 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Hera Lind
Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie gleich mit ihren ersten Romanen "Ein Mann für jede Tonart" und "Das Superweib" sensationellen Erfolg hatte. Mit "Die Champagner-Diät" stand sie erneut wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, es folgten "Schleuderprogramm", "Herzgesteuert" und der zuletzt erschienene Roman "Die Erfolgsmasche". Hera Lind lebt mit ihrer Familie in Salzburg.Bibliographische Angaben
- Autor: Hera Lind
- 2010, Originalausgabe, 384 Seiten, mit farbigen Abbildungen, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 11,4 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453354451
- ISBN-13: 9783453354456
- Erscheinungsdatum: 04.03.2010
Rezension zu „Der Mann, der wirklich liebte “
"Dieses Buch geht direkt ins Herz!" MDR Riverboat über "Der Mann, der wirklich liebte"
Pressezitat
"Dieses Buch geht direkt ins Herz!" MDR Riverboat über "Der Mann, der wirklich liebte"
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