Der Pestengel von Freiburg
Historischer Roman
Freiburg, 1348: Die Pest bedroht die Stadt. Clara, die Frau eines Wundarztes, und ihre Familie fliehen aus der Stadt. Doch als Claras Mann selbst an Lungenpest stirbt, kehrt sie zurück, um sein Vermächtnis anzutreten und den Kampf gegen die Pest aufzunehmen.
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Produktinformationen zu „Der Pestengel von Freiburg “
Freiburg, 1348: Die Pest bedroht die Stadt. Clara, die Frau eines Wundarztes, und ihre Familie fliehen aus der Stadt. Doch als Claras Mann selbst an Lungenpest stirbt, kehrt sie zurück, um sein Vermächtnis anzutreten und den Kampf gegen die Pest aufzunehmen.
Klappentext zu „Der Pestengel von Freiburg “
Freiburg in Zeiten der PestFreiburg 1348: Unaufhaltsam wälzt sich die Pest von Süden heran. Schuld an der Seuche sollen die Juden sein. Als Clara, Frau eines Wundarztes, herausfindet, dass ihr Sohn das jüdische Nachbarsmädchen Esther liebt, versucht sie mit allen Mitteln, ihn vor der gefährlichen Verbindung zu schützen. Es kommt zu einem Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn und in der gleichen Nacht zu Esthers Verhaftung. Unterdessen erkennt Claras Mann, dass sich der Schwarze Tod in Wirklichkeit durch Ansteckung verbreitet, und schickt seine Familie aus der Stadt. Als er bald darauf selbst an Lungenpest stirbt, kehrt Clara nach Freiburg zurück und tritt sein Vermächtnis an. Wagemutig lässt sie alle Ressentiments hinter sich und sagt nicht nur der Pest, sondern auch dem Hass gegen die Juden den Kampf an.
Freiburg 1348: Unaufhaltsam wälzt sich die Pest von Süden heran. Die Schuld an der Seuche wird den Juden in die Schuhe geschoben. Als Clara, Frau eines Wundarztes, herausfindet, dass ihr Sohn das jüdische Nachbarsmädchen Esther trifft, versucht sie mit allen Mitteln, ihn vor der gefährlichen Verbindung zu schützen. Daraufhin kommt es zum Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn und in der gleichen Nacht zu Esthers Verhaftung.
Unterdessen erkennt Claras Mann, dass sich der schwarze Tod in Wirklichkeit durch Ansteckung verbreitet und schickt seine Familie aus der Stadt. Als er bald darauf selbst an Lungenpest stirbt, kehrt Clara nach Freiburg zurück und tritt sein Vermächtnis an. Wagemutig lässt sie alle Ressentiments hinter sich und sagt nicht nur der Pest, sondern auch dem Hass gegen die Juden den Kampf an.
Unterdessen erkennt Claras Mann, dass sich der schwarze Tod in Wirklichkeit durch Ansteckung verbreitet und schickt seine Familie aus der Stadt. Als er bald darauf selbst an Lungenpest stirbt, kehrt Clara nach Freiburg zurück und tritt sein Vermächtnis an. Wagemutig lässt sie alle Ressentiments hinter sich und sagt nicht nur der Pest, sondern auch dem Hass gegen die Juden den Kampf an.
Lese-Probe zu „Der Pestengel von Freiburg “
Der Pestengel von Freiburg von Astrid FritzKapitel 1
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Schwefelgelb türmten sich die Wolken gen Süden, als ein Donnerschlag die umliegenden Berghänge erzittern ließ. Die Bauersleute starrten fassungslos auf die Flamme, die dem Wolkengebirge entwich - eine Flamme von grellem, unwirklichem Blau, die allmählich größer wurde und auf die Menschen zuströmte. Eine Frauengestalt in weißem Gewand löste sich daraus, das offene Haar schimmerte silbern, die Augen glänzten, um die Stirn strahlte ein feuriger Kranz. Majestätisch hob sie die Hand und schwebte auf den Ersten zu, einen mageren Burschen, der aufschrie und doch keinen Laut herausbrachte. Schon schleuderte sie einen Pfeil aus bleicher Hand, schon ging der Junge in die Knie, bäumte sich auf und sackte leblos in sich zusammen. Der Altbauer war der Nächste in der Reihe, nach ihm seine beiden Knechte, die Mägde, seine Frau, die jüngsten Kinder - keinen verschonte die Todesbotin. Vom nahen Dorf her begannen die Hunde zu heulen, als sich der letzte der dreizehn Leiber in die Erde schmiegte und verstarb.
«Der Pestengel», entfuhr es Clara. Sie stellte den Milchkrug so heftig auf dem Tisch ab, dass er überschwappte, und bekreuzigte sich.
Ihr Mann zog die Augenbrauen zusammen. «Ein dummer Traum, nichts weiter.»
«Mag sein.» Benedikt wirkte noch immer verstört. «Aber ich bekomme das entsetzliche Bild nicht aus dem Kopf. Und dann - jedermann weiß doch, dass Träume in die Zukunft weisen können.»
Heinrich Grathwohl warf seiner Frau einen missbilligenden Blick zu. «Das hast du jetzt von deinem ewigen Gerede von Zeichen und Träumen. Schau dir nur mal die Johanna an - ganz verschreckt sieht sie aus.»
Eine Zeit lang war nur das Knacken des Herdfeuers zu vernehmen. Sein flackernder Schein spendete das einzige Licht an diesem dunklen Wintermorgen.
Clara gab sich einen Ruck.
«Euer Vater hat recht. Manchmal träumt man auch von Sachen, die einem nicht aus dem Sinn gehen.» Sie betrachtete Benedikt, ihren Ältesten, voller Zuneigung. Schon als Knabe war oft die Phantasie mit ihm durchgegangen, hatte er sich in Träumereien verloren, wo andre Kinder auf der Gasse sich um einen Ball gerauft hatten.
«Bei euch auf der Baustelle wird viel geschwatzt», fuhr sie fort. «Wahrscheinlich hast du da irgendwas aufgeschnappt.»
Das herrische Klopfen draußen an der Haustür unterbrach ihr Gespräch. Solcherart pflegte sich nur der Gerichtsbote anzukündigen.
Der Hausvater zog eine Grimasse und verließ die wohlig warme Küche Richtung Haustür. In der Regel hatte ein Besuch des Boten nichts Gutes zu bedeuten, schon gar nicht zu so früher Stunde. Clara hörte, wie der Riegel zurückgeschoben wurde, dann die knarzende Stimme des Büttels. Als ihr Mann mit einem Schwall kalter Luft zurückkehrte, zerrte er Hut und Umhang vom Wandhaken.
«Ich muss zur Gerichtsschau. Ein totes Neugeborenes, im Weinkeller vom Spital.»
«Heilige Elisabeth, wie furchtbar!» Clara bekreuzigte sich zum zweiten Mal an diesem Morgen. «Willst du nicht wenigstens noch fertig essen?»
Heinrich Grathwohl schüttelte den Kopf. «Behaimer wartet schon. Ach, das hätt ich beinah vergessen.»
Er zog einen verschlossenen Tiegel vom Küchenbord und reichte ihn Benedikt.
«Eine Paste aus Eibischwurzel. Bring sie rasch zu den Grünbaums, ich hab es bereits für gestern versprochen. - Ihr Arzt ist mal wieder krank», fügte er, in Claras Richtung, fast entschuldigend hinzu. Dann war er auch schon aus der Küche verschwunden.
Clara riss ihrem Sohn das Töpfchen aus der Hand.
«Lass nur, ich mach das. Ich muss ohnehin nachher zum Apotheker und zum Markt.» Sie tat, als bemerke sie die Enttäuschung in Benedikts Blick nicht. «Und du, Johanna, geh die Kleinen wecken. Es ist ja schon helllichter Tag. - Was glaubst du, Benedikt», sie versuchte, ihrer Stimme einen munteren Klang zu geben, «wirst du heut nach der Arbeit wieder mit Meister Johannes zu Tisch gehen?»
Benedikt zuckte die Schultern. «Ich weiß es nicht.»
«Ach, mein Junge. Ich bin so stolz auf dich. In so kurzer Zeit schon Meisterknecht.»
Sie strich ihm über das dichte, wellige Haar, das mit den Jahren immer dunkler wurde. Als kleiner Junge hatte er goldblonde Locken gehabt, die ihm bis über die Schulter fielen, und es hatte ihr im Herzen wehgetan, dass sie sie eines Tages abschneiden musste. Die Gassenbuben hatten ihn nämlich als «Mägdelein» zu hänseln begonnen.
«Mutter!» Benedikt entwand sich ihrer Zärtlichkeit. «Ich bin kein Kind mehr.»
Clara zog ihre Hand zurück. «Ich weiß. Viel zu schnell werdet ihr alle groß.»
Sie betrachtete Johanna, die in zwei Jahren, wenn sie sechzehn wurde, Benedikts Kinderfreund heiraten würde, den Tucher Meinwart. Mit dessen Eltern war bereits alles abgesprochen. Clara unterdrückte einen Seufzer.
«Und vergiss nicht wieder deine Handschuhe. Es ist bitterkalt draußen.»
Als sie ihren Sohn zur Haustür brachte, musste sie an sich halten, ihm keinen Kuss auf die Stirn zu drücken. Benedikt hatte recht - am liebsten würde sie ihn noch immer hätscheln und umsorgen wie ein Kleinkind. Aber vielleicht wollte sie auch nur die Strenge ihres Ehegefährten ein wenig ausgleichen. Heinrich nämlich hatte nie verwunden, dass sein Ältester nicht in seine Fußstapfen getreten war und sich stattdessen in ungeahnter Starrköpfigkeit für eine Lehre als Steinmetz entschieden hatte. Dass der Junge in nur vier Jahren seine Lehrzeit durchlaufen hatte und bereits jetzt, mit gerade einmal zwanzig, vom Gesellen zum Meisterknecht berufen worden war und für die hochangesehene Kirchenbauhütte arbeitete, schien seinen Vater nur wenig zu versöhnen. Nicht einmal, dass er dereinst als Steinmetzmeister zu den bestbezahlten Handwerkern gehören würde.
Keine halbe Stunde später öffnete Clara das Hoftor und trat hinaus auf die Webergasse. Von hier waren es nur ein paar Schritte hinüber zur Großen Gass, wo die hiesigen Marktleute ihre Erzeugnisse feilboten. Eisiger Wind blies ihr entgegen, und sie schlang sich ihr wollenes Tuch enger um den Kopf. Die Holztrippen unter den Schuhen hätte sie sich heute ersparen können, so festgefroren war der Boden. Jemand hatte das Trittbrett, das hier wie überall von der Haustür zu den Bohlen in der Straßenmitte führte, zur Seite gezogen. Das war sicher einer der Juden gewesen, die sich fortwährend darüber beklagten, mit ihren Karren nicht mehr durchzukommen vor lauter Brettern. Aber wie sonst hätte man in diesem bislang ganz und gar verregneten Winter aus dem Haus gekonnt? Die Böden waren am Ende völlig aufgeweicht und von tiefen Fahrrinnen durchzogen gewesen, nur mehr ein einziger Matsch aus Morast, Schweine-, Hunde- und Hühnerkot, der die Abwassergräben auf der Gassenmitte verstopfte. Und wie die Menschen nun mal waren: Sobald die Gassenfeger nicht mehr nachkamen, den durchnässten Unflat wegzuschaffen, kippten sie trotz strenger Verbote erst recht ihre Brunzkacheln und Essensreste aus dem Fenster und lockten damit noch mehr Viehzeug und Gestank an.
Clara schnaubte. Wenigstens hierin erwies es sich als Vorteil, Tür an Tür mit den Juden zu leben. Bei ihnen war es um einiges sauberer als in den restlichen Gassen der Stadt, wo man sogar über tote Säue und Katzen stolperte und sich die Misthaufen bis zu den Gräben häuften.
Sie schickte sich eben an, in Richtung Marktgasse zu gehen, als Johannas Rufen sie innehalten ließ.
«Du hast was vergessen, Mutter.»
Das Mädchen stand in der Haustür und hielt ihr den tönernen Tiegel entgegen.
«Ach herrje, die Paste. Ich dank dir, meine Liebe. Vergiss nicht, das restliche Kraut einzusäuern. Und wenn du Kathrins Verband wechselst, lass den Arm ein Weilchen an der frischen Luft. Das tut der Wunde gut.» Sie machte sich immer noch Sorgen um ihre Kleinste, die sich beim Spielen am Herdfeuer verbrannt hatte. Johanna lächelte ihr feines Lächeln. «Ich weiß schon, Mutter.»
Clara nickte. Ihre Älteste war so ganz anders als Benedikt. So verständig und umsichtig, dazu fleißiger als jede Magd. Bald schon ein wenig zu uneigennützig, befand Clara. Einem Weib konnte das zum Schaden werden - und sie dachte dabei unwillkürlich an den jungen Tucher. Johanna hatte damals in das Eheversprechen eingewilligt, obgleich dem Mädchen der stille, schüchterne Sohn des Wollschlägers weitaus besser gefallen hatte. Aber als fünftes Kind einer ärmlichen Familie würde der wohl kaum jemals seine eigene Familie angemessen ernähren können. Meinwarts Vater hingegen war ein erfolgreicher Kaufherr, der seinen Handel bis nach Savoyen und ins Burgund betrieb. Zudem kannte man sich gut, da die Tuchers im Haus gegenüber gewohnt hatten und die Kinder miteinander aufgewachsen waren. Inzwischen allerdings waren sie in ein weitaus prächtigeres Haus am Markt gezogen - auch weil sie nicht länger am Eingang zum Judenviertel wohnen wollten. Und aus dem aufgeweckten, etwas wilden Knaben Meinwart war ein eitler Nichtsnutz und Daumendreher geworden, der jedem Weiberrock nachlief. Es war zu befürchten, dass er Johannas Selbstlosigkeit gehörig ausnutzen würde.
Als Clara ihren Mann einmal darauf angesprochen hatte, ob Meinwart wirklich der Richtige sei für ihre Tochter, hatte Heinrich gelacht. «Der Junge ist halt im Alter, wo er sich die Hörner abstößt. Besser jetzt als im Stand der Ehe. Unser Benedikt dürfte sich da ruhig was abschauen - so wie der sich immer nur in seine Arbeit vergräbt.»
Während der kurzen Wegstrecke hinüber ins Haus Zum Grünen Baum verlangsamten sich Claras Schritte. Sie verspürte keinerlei Lust, bei den Grünbaums vorbeizuschauen - aber immer noch besser sie selbst als ihr Sohn. Warum nur musste Heinrich immer gleich so voreilig seine Hilfe anbieten? Was ging es ihn an, wenn die Juden einen Arzt hatten, der selbst ständig krank war? Sollten sich die Grünbaums doch anderweitig um ihre Heilmittel und Kräuter kümmern.
Sie setzte ihren Einkaufskorb ab und rammte den goldfarbenen Türklopfer gegen das Holz. Dabei bemühte sie sich, ihren Blick vom rechten Türpfosten fernzuhalten, an dem, wie an allen Türen der Juden, eine längliche Metallkapsel befestigt war. Ihr Mann hatte zwar behauptet, sie enthalte einen Pergamentstreifen mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis, aber sie hielt es eher mit dem, was die Leute hier munkelten. Das geheimnisvolle Ding nämlich habe mit Zauberei zu tun, die die Hebräer heimlich ausübten. Die Flickschneiderin von der Oberen Linde behauptete gar, auf jenem Pergament sei der Pakt mit dem Leibhaftigen besiegelt, und zur Bekräftigung des Bundes küssten die Juden dieses Ding beim Übertreten der Schwelle, indem sie die Fingerspitzen der rechten Hand an die Metallkapsel und dann zum Mund führten.
Clara selbst hatte im letzten Jahr mit angehört, wie der alte Moische ben Chajm, nach seinem Haus allgemein Grünbaum genannt, beim Anbringen der Kapsel beschwörende Worte gesprochen hatte, die klangen wie: Bara Atah Adona. Das sei Hebräisch, hatte Heinrich ihr weismachen wollen, die Sprache ihrer Vorväter. Aber warum sollte sie das glauben, wo ihr Mann doch kein Wort Hebräisch verstand? Sie waren ums Haar in Streit geraten, wie schon häufiger, wenn es um die Grünbaums ging.
Sie klopfte erneut, als die Tür auch schon aufsprang. «Guten Morgen, Frau Nachbarin.» Das Dienstmädchen knickste höflich. «Kommt nur herein.»
Clara folgte dem Mädchen durch die düstere Eingangshalle die Treppe hinauf in die Wohnstube, an deren Türrahmen ebenfalls einer dieser metallenen Behälter hing. Mit gesenktem Blick ging sie daran vorbei und betrat das geräumige, hellerleuchtete Zimmer. Stickige Wärme schlug ihr entgegen.
Als ihr Blick durch den Raum schweifte, staunte sie einmal mehr über die prächtige Ausstattung im Innern des Hauses, das sich äußerlich so gar nicht unterschied von den eher schmucklosen Häusern in dieser Ecke der Stadt. Flauschige, bunte Teppiche aus dem fernen Morgenland bedeckten den Dielenboden, die Wände waren mit bestickten Vorhängen bespannt, auf den Bänken entlang der Wand luden dickgepolsterte Sitzkissen aus dunkelrotem Samt zum Ausruhen ein. Alles, was bei ihnen drüben aus blankem, rohem Holz gezimmert war, sah man hier mit weichen, warmen Stoffen überzogen, und wo nicht, boten sich dem Auge kunstvolle Schnitzereien oder kostbare Eisenbeschläge, wie bei den Türen und Truhen. Auf der Anrichte blitzte das Silber und Kupfer von Leuchtern und Trinkgefäßen, dazwischen fanden sich Dosen, Kästchen und Täfelchen, in die fremdartige Schriftzeichen geritzt waren. Allein die vielen Wachskerzen in den Leuchtern, die jetzt im Winter, wo die Fensterläden geschlossen waren, allesamt angesteckt waren, mussten ein Vermögen gekostet haben!
Ein röhrender Hustenanfall ließ Clara zusammenzucken. Auf einem gepolsterten Lehnstuhl, dicht bei der Ofenwandung, die mit jenen neuartigen, grünglasierten Kacheln verkleidet war, sah sie die Hausherrin sitzen. Kopf und Hals hatte sie mit einem dicken Tuch umhüllt.
«Grüß dich Gott, Deborah. Das hört sich gar nicht gut an.» «Friede sei mit dir», krächzte die Frau.
«Hier, das soll ich dir von meinem Heinrich geben. Eibischwurzel gegen den Husten. Soll er heut noch nach dir sehen?»
Deborah winkte ab. «Er hat die Paste doch wohl hoffentlich so zubereitet, wie Moische es ihm erklärt hat?»
«Das musst du ihn schon selbst fragen. Ich kenn mich mit euren Speisevorschriften nicht aus.»
Clara stellte den Tiegel auf der Tischplatte ab und blieb unschlüssig stehen.
«Sonst noch was?» Deborah kniff misslaunig die Augen zusammen.
«Wann ist euer Arzt eigentlich wieder gesund?»
«Willst du das wissen oder dein Mann?»
Clara schob verärgert die Unterlippe vor. «Kannst du mir nicht einfach eine Antwort geben?»
Stattdessen wurde Deborah von einem neuen Hustenanfall geschüttelt. Clara griff zu dem Wasserkrug, der in der Mauernische stand, goss den Becher daneben halb voll und drückte ihn Deborah in die Hand, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.
«Du musst viel trinken. Und frische Luft solltest auch mal reinlassen. Das ist ja zum Ersticken hier.»
Dann wandte sie sich ohne Gruß zur Tür, wo das Dienstmädchen wartete, um sie hinauszugeleiten. Unten in der Eingangsdiele begegnete sie Esther, die freundlich grüßte. Das Mädchen, die einzige Tochter der Grünbaums, war ausnehmend hübsch. Das schmale, ebenmäßig geschnittene Gesicht mit den vollen Lippen und den dunkelblauen Augen hatte selbst jetzt, in seiner winterlichen Blässe, einen zarten mattbraunen Schimmer. Es glich den Marienbildnissen, wie sie die Kirchenmaler darzustellen pflegten, und strahlte dieselbe Herzensgüte aus.
«Seit wann leidet deine Mutter unter diesem bellenden Husten?»
«Die zweite Woche nun schon.» Das Mädchen zog sich den Schleier von ihrem dunklen Haar. «Nachts ist es noch schlimmer.»
«Habt ihr Salbei im Haus?»
«Ich denke, ja.»
«Dann koch einen großen Kessel davon auf. Statt Wasser soll sie tagsüber von dem Sud trinken, mit viel Honig gesüßt.»
Ester nickte. «Das mach ich.» Sie senkte den Blick, und ein Hauch von Röte überzog ihre Wangen. «Mein Vater lässt fragen, ob Benedikt heute Abend nach unserem Herd in der Küche sehen kann. Er zieht nicht mehr richtig, und Aaron ist bis morgen in Straßburg. Außerdem», jetzt wirkte sie noch verlegener, «fängt doch nach Sonnenuntergang der Schabbat an.»
«Benedikt hat keine Zeit. Ich werde meinem Mann Bescheid geben.»
Clara war froh, als sie wieder draußen in der Winterkälte stand. Irgendwie empfand sie die Besuche bei ihren jüdischen Nachbarn immer wieder als beklemmend. Das lag nur zum Teil an dieser ganz unverhohlen ausgestellten Pracht und Eleganz, denn das Gefühl von Neid war Clara fremd. Eher schon hatte es mit der Hausherrin zu tun. Vor allem Clara gegenüber verhielt sich Deborah auf eine nahezu streitbare Weise herablassend, ja feindselig. Und seit jenem Vorfall vor einem Jahr, als Deborah behauptet hatte, Clara habe bei einem ihrer Besuche einen kostbaren Kelch mitgehen lassen, war ihr Verhältnis endgültig verdorben. Deborah hatte sich nicht einmal entschuldigt, nachdem herausgekommen war, dass ihr früheres Dienstmädchen den Diebstahl begangen hatte.
Nicht zuletzt waren da all diese fremdartigen Feierlichkeiten und Riten, diese Gebote und Vorschriften, denen sich die Hebräer unterwarfen und dabei doch angeblich an den Einen, denselben Gott glaubten wie die Christenmenschen. Allein diese unbegreiflichen Speisegesetze: Koscher und damit erlaubt war das Rind, weil es wiederkäute und gespaltene Hufe hatte, nicht indessen das Kamel, das zwar wiederkäute, aber keine gespaltenen Hufe hatte, oder gar das als höchst unrein verrufene Schwein, das zwar gespaltene Hufe aufwies, dafür nicht wiederkäute. Hering durfte gegessen werden, nicht aber Aal. Geflügel war erlaubt, Raubvögel hingegen nicht. Auch durfte Fleisch kein Quäntchen Blut mehr enthalten und nicht mit Milch in Berührung kommen, Fleischiges und Milchiges mussten somit in getrenntem Kochgeschirr zubereitet werden. Das sollte ein Mensch begreifen! Und an ihrem Schabbat, ihrem heiligen Ruhetag, durften sie nicht einmal eine Kerze entzünden oder eine Schreibfeder halten.
Kopfschüttelnd nahm Clara ihren Korb unter den Arm und bog in die Große Gass ein, die sich allmählich mit Dienstmägden, Hausfrauen und Kindern, mit frei laufenden Hunden und grunzenden Schweinen füllte. An Tagen, an denen die aufgesteckte rote Fahne auch fremdem Gewerbe und Handel Marktrecht verlieh, wenn obendrein noch der Vieh- und Rindermarkt abgehalten wurde, gab es hier, auf der Hauptstraße der Stadt, kein Durchkommen mehr. Dann überschrien die Ausrufer sich gegenseitig, um Kundschaft anzulocken, priesen Quacksalber ihre Wundermittel, Zahnbrecher ihre blutigen Dienste an, und nicht selten präsentierten Spielleute und Artisten ihre Künste. An gewöhnlichen Vormittagen wie heute war indessen nicht mal die Hälfte der Krambuden und Verkaufsstände geöffnet, die sich wie Perlen an einer Schnur auf der Straßenmitte aneinanderreihten. Es ging gemächlich zu, und an den friedlich plätschernden Brunnen trafen sich die Frauen zum Klatsch und Tratsch.
Auch wenn einem das Weibergeschwätz zu viel werden konnte, liebte Clara diesen Gang zum Markt, zumal an einem Morgen wie heute mit seiner frostklaren Luft. Den Nachmittag würde sie wieder Heinrich bei seinen Krankenbesuchen begleiten und Stunde um Stunde in stickigen Kammern verbringen. Doch auch das tat sie gern, seit einigen Jahren schon, denn sie gehörte nicht zu den Frauen, die ihr Regiment auf das Reich zwischen Küche, Gemüsegarten und Hühnerstall beschränken mochten. «An dir ist ein halber Wundarzt verlorengegangen, schade nur, dass du eine Frau bist», neckte ihr Mann sie manchmal und nahm doch gern ihren Rat bei der Krankenvisitation an. Schlimm an seinem Handwerk war nur, dass es ab und an so abscheuliche Vorkommnisse gab wie heute der tote Säugling.
Unwillkürlich schwenkte ihr Blick hinüber zum HeiligGeist-Spital, das an der Großen Gass einen gesamten Straßenblock einnahm und von den Bürgern nur Reiches Spital genannt wurde, seiner zahlreichen Besitztümer und der prächtig ausgestalteten Fassade wegen. Dort im Gewölbekeller frönten nun ihr Mann und dieser fettleibige Filibertus Behaimer, seines Zeichens Stadtmedicus wie auch gräflicher Leibarzt, ihrer traurigen Aufgabe. Wie immer würde Heinrich die Schmutzarbeit machen. Er würde den kleinen Leichnam auf tödliche Wunden untersuchen, währenddessen der studierte Physicus in gehörigem Abstand die anwesenden Ratsherren mit seinen spitzfindigen Erörterungen überschüttete. Clara wusste jetzt schon: Für den Rest des Tages würde ihr Mann mürrisch und schweigsam bleiben.
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Schwefelgelb türmten sich die Wolken gen Süden, als ein Donnerschlag die umliegenden Berghänge erzittern ließ. Die Bauersleute starrten fassungslos auf die Flamme, die dem Wolkengebirge entwich - eine Flamme von grellem, unwirklichem Blau, die allmählich größer wurde und auf die Menschen zuströmte. Eine Frauengestalt in weißem Gewand löste sich daraus, das offene Haar schimmerte silbern, die Augen glänzten, um die Stirn strahlte ein feuriger Kranz. Majestätisch hob sie die Hand und schwebte auf den Ersten zu, einen mageren Burschen, der aufschrie und doch keinen Laut herausbrachte. Schon schleuderte sie einen Pfeil aus bleicher Hand, schon ging der Junge in die Knie, bäumte sich auf und sackte leblos in sich zusammen. Der Altbauer war der Nächste in der Reihe, nach ihm seine beiden Knechte, die Mägde, seine Frau, die jüngsten Kinder - keinen verschonte die Todesbotin. Vom nahen Dorf her begannen die Hunde zu heulen, als sich der letzte der dreizehn Leiber in die Erde schmiegte und verstarb.
«Der Pestengel», entfuhr es Clara. Sie stellte den Milchkrug so heftig auf dem Tisch ab, dass er überschwappte, und bekreuzigte sich.
Ihr Mann zog die Augenbrauen zusammen. «Ein dummer Traum, nichts weiter.»
«Mag sein.» Benedikt wirkte noch immer verstört. «Aber ich bekomme das entsetzliche Bild nicht aus dem Kopf. Und dann - jedermann weiß doch, dass Träume in die Zukunft weisen können.»
Heinrich Grathwohl warf seiner Frau einen missbilligenden Blick zu. «Das hast du jetzt von deinem ewigen Gerede von Zeichen und Träumen. Schau dir nur mal die Johanna an - ganz verschreckt sieht sie aus.»
Eine Zeit lang war nur das Knacken des Herdfeuers zu vernehmen. Sein flackernder Schein spendete das einzige Licht an diesem dunklen Wintermorgen.
Clara gab sich einen Ruck.
«Euer Vater hat recht. Manchmal träumt man auch von Sachen, die einem nicht aus dem Sinn gehen.» Sie betrachtete Benedikt, ihren Ältesten, voller Zuneigung. Schon als Knabe war oft die Phantasie mit ihm durchgegangen, hatte er sich in Träumereien verloren, wo andre Kinder auf der Gasse sich um einen Ball gerauft hatten.
«Bei euch auf der Baustelle wird viel geschwatzt», fuhr sie fort. «Wahrscheinlich hast du da irgendwas aufgeschnappt.»
Das herrische Klopfen draußen an der Haustür unterbrach ihr Gespräch. Solcherart pflegte sich nur der Gerichtsbote anzukündigen.
Der Hausvater zog eine Grimasse und verließ die wohlig warme Küche Richtung Haustür. In der Regel hatte ein Besuch des Boten nichts Gutes zu bedeuten, schon gar nicht zu so früher Stunde. Clara hörte, wie der Riegel zurückgeschoben wurde, dann die knarzende Stimme des Büttels. Als ihr Mann mit einem Schwall kalter Luft zurückkehrte, zerrte er Hut und Umhang vom Wandhaken.
«Ich muss zur Gerichtsschau. Ein totes Neugeborenes, im Weinkeller vom Spital.»
«Heilige Elisabeth, wie furchtbar!» Clara bekreuzigte sich zum zweiten Mal an diesem Morgen. «Willst du nicht wenigstens noch fertig essen?»
Heinrich Grathwohl schüttelte den Kopf. «Behaimer wartet schon. Ach, das hätt ich beinah vergessen.»
Er zog einen verschlossenen Tiegel vom Küchenbord und reichte ihn Benedikt.
«Eine Paste aus Eibischwurzel. Bring sie rasch zu den Grünbaums, ich hab es bereits für gestern versprochen. - Ihr Arzt ist mal wieder krank», fügte er, in Claras Richtung, fast entschuldigend hinzu. Dann war er auch schon aus der Küche verschwunden.
Clara riss ihrem Sohn das Töpfchen aus der Hand.
«Lass nur, ich mach das. Ich muss ohnehin nachher zum Apotheker und zum Markt.» Sie tat, als bemerke sie die Enttäuschung in Benedikts Blick nicht. «Und du, Johanna, geh die Kleinen wecken. Es ist ja schon helllichter Tag. - Was glaubst du, Benedikt», sie versuchte, ihrer Stimme einen munteren Klang zu geben, «wirst du heut nach der Arbeit wieder mit Meister Johannes zu Tisch gehen?»
Benedikt zuckte die Schultern. «Ich weiß es nicht.»
«Ach, mein Junge. Ich bin so stolz auf dich. In so kurzer Zeit schon Meisterknecht.»
Sie strich ihm über das dichte, wellige Haar, das mit den Jahren immer dunkler wurde. Als kleiner Junge hatte er goldblonde Locken gehabt, die ihm bis über die Schulter fielen, und es hatte ihr im Herzen wehgetan, dass sie sie eines Tages abschneiden musste. Die Gassenbuben hatten ihn nämlich als «Mägdelein» zu hänseln begonnen.
«Mutter!» Benedikt entwand sich ihrer Zärtlichkeit. «Ich bin kein Kind mehr.»
Clara zog ihre Hand zurück. «Ich weiß. Viel zu schnell werdet ihr alle groß.»
Sie betrachtete Johanna, die in zwei Jahren, wenn sie sechzehn wurde, Benedikts Kinderfreund heiraten würde, den Tucher Meinwart. Mit dessen Eltern war bereits alles abgesprochen. Clara unterdrückte einen Seufzer.
«Und vergiss nicht wieder deine Handschuhe. Es ist bitterkalt draußen.»
Als sie ihren Sohn zur Haustür brachte, musste sie an sich halten, ihm keinen Kuss auf die Stirn zu drücken. Benedikt hatte recht - am liebsten würde sie ihn noch immer hätscheln und umsorgen wie ein Kleinkind. Aber vielleicht wollte sie auch nur die Strenge ihres Ehegefährten ein wenig ausgleichen. Heinrich nämlich hatte nie verwunden, dass sein Ältester nicht in seine Fußstapfen getreten war und sich stattdessen in ungeahnter Starrköpfigkeit für eine Lehre als Steinmetz entschieden hatte. Dass der Junge in nur vier Jahren seine Lehrzeit durchlaufen hatte und bereits jetzt, mit gerade einmal zwanzig, vom Gesellen zum Meisterknecht berufen worden war und für die hochangesehene Kirchenbauhütte arbeitete, schien seinen Vater nur wenig zu versöhnen. Nicht einmal, dass er dereinst als Steinmetzmeister zu den bestbezahlten Handwerkern gehören würde.
Keine halbe Stunde später öffnete Clara das Hoftor und trat hinaus auf die Webergasse. Von hier waren es nur ein paar Schritte hinüber zur Großen Gass, wo die hiesigen Marktleute ihre Erzeugnisse feilboten. Eisiger Wind blies ihr entgegen, und sie schlang sich ihr wollenes Tuch enger um den Kopf. Die Holztrippen unter den Schuhen hätte sie sich heute ersparen können, so festgefroren war der Boden. Jemand hatte das Trittbrett, das hier wie überall von der Haustür zu den Bohlen in der Straßenmitte führte, zur Seite gezogen. Das war sicher einer der Juden gewesen, die sich fortwährend darüber beklagten, mit ihren Karren nicht mehr durchzukommen vor lauter Brettern. Aber wie sonst hätte man in diesem bislang ganz und gar verregneten Winter aus dem Haus gekonnt? Die Böden waren am Ende völlig aufgeweicht und von tiefen Fahrrinnen durchzogen gewesen, nur mehr ein einziger Matsch aus Morast, Schweine-, Hunde- und Hühnerkot, der die Abwassergräben auf der Gassenmitte verstopfte. Und wie die Menschen nun mal waren: Sobald die Gassenfeger nicht mehr nachkamen, den durchnässten Unflat wegzuschaffen, kippten sie trotz strenger Verbote erst recht ihre Brunzkacheln und Essensreste aus dem Fenster und lockten damit noch mehr Viehzeug und Gestank an.
Clara schnaubte. Wenigstens hierin erwies es sich als Vorteil, Tür an Tür mit den Juden zu leben. Bei ihnen war es um einiges sauberer als in den restlichen Gassen der Stadt, wo man sogar über tote Säue und Katzen stolperte und sich die Misthaufen bis zu den Gräben häuften.
Sie schickte sich eben an, in Richtung Marktgasse zu gehen, als Johannas Rufen sie innehalten ließ.
«Du hast was vergessen, Mutter.»
Das Mädchen stand in der Haustür und hielt ihr den tönernen Tiegel entgegen.
«Ach herrje, die Paste. Ich dank dir, meine Liebe. Vergiss nicht, das restliche Kraut einzusäuern. Und wenn du Kathrins Verband wechselst, lass den Arm ein Weilchen an der frischen Luft. Das tut der Wunde gut.» Sie machte sich immer noch Sorgen um ihre Kleinste, die sich beim Spielen am Herdfeuer verbrannt hatte. Johanna lächelte ihr feines Lächeln. «Ich weiß schon, Mutter.»
Clara nickte. Ihre Älteste war so ganz anders als Benedikt. So verständig und umsichtig, dazu fleißiger als jede Magd. Bald schon ein wenig zu uneigennützig, befand Clara. Einem Weib konnte das zum Schaden werden - und sie dachte dabei unwillkürlich an den jungen Tucher. Johanna hatte damals in das Eheversprechen eingewilligt, obgleich dem Mädchen der stille, schüchterne Sohn des Wollschlägers weitaus besser gefallen hatte. Aber als fünftes Kind einer ärmlichen Familie würde der wohl kaum jemals seine eigene Familie angemessen ernähren können. Meinwarts Vater hingegen war ein erfolgreicher Kaufherr, der seinen Handel bis nach Savoyen und ins Burgund betrieb. Zudem kannte man sich gut, da die Tuchers im Haus gegenüber gewohnt hatten und die Kinder miteinander aufgewachsen waren. Inzwischen allerdings waren sie in ein weitaus prächtigeres Haus am Markt gezogen - auch weil sie nicht länger am Eingang zum Judenviertel wohnen wollten. Und aus dem aufgeweckten, etwas wilden Knaben Meinwart war ein eitler Nichtsnutz und Daumendreher geworden, der jedem Weiberrock nachlief. Es war zu befürchten, dass er Johannas Selbstlosigkeit gehörig ausnutzen würde.
Als Clara ihren Mann einmal darauf angesprochen hatte, ob Meinwart wirklich der Richtige sei für ihre Tochter, hatte Heinrich gelacht. «Der Junge ist halt im Alter, wo er sich die Hörner abstößt. Besser jetzt als im Stand der Ehe. Unser Benedikt dürfte sich da ruhig was abschauen - so wie der sich immer nur in seine Arbeit vergräbt.»
Während der kurzen Wegstrecke hinüber ins Haus Zum Grünen Baum verlangsamten sich Claras Schritte. Sie verspürte keinerlei Lust, bei den Grünbaums vorbeizuschauen - aber immer noch besser sie selbst als ihr Sohn. Warum nur musste Heinrich immer gleich so voreilig seine Hilfe anbieten? Was ging es ihn an, wenn die Juden einen Arzt hatten, der selbst ständig krank war? Sollten sich die Grünbaums doch anderweitig um ihre Heilmittel und Kräuter kümmern.
Sie setzte ihren Einkaufskorb ab und rammte den goldfarbenen Türklopfer gegen das Holz. Dabei bemühte sie sich, ihren Blick vom rechten Türpfosten fernzuhalten, an dem, wie an allen Türen der Juden, eine längliche Metallkapsel befestigt war. Ihr Mann hatte zwar behauptet, sie enthalte einen Pergamentstreifen mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis, aber sie hielt es eher mit dem, was die Leute hier munkelten. Das geheimnisvolle Ding nämlich habe mit Zauberei zu tun, die die Hebräer heimlich ausübten. Die Flickschneiderin von der Oberen Linde behauptete gar, auf jenem Pergament sei der Pakt mit dem Leibhaftigen besiegelt, und zur Bekräftigung des Bundes küssten die Juden dieses Ding beim Übertreten der Schwelle, indem sie die Fingerspitzen der rechten Hand an die Metallkapsel und dann zum Mund führten.
Clara selbst hatte im letzten Jahr mit angehört, wie der alte Moische ben Chajm, nach seinem Haus allgemein Grünbaum genannt, beim Anbringen der Kapsel beschwörende Worte gesprochen hatte, die klangen wie: Bara Atah Adona. Das sei Hebräisch, hatte Heinrich ihr weismachen wollen, die Sprache ihrer Vorväter. Aber warum sollte sie das glauben, wo ihr Mann doch kein Wort Hebräisch verstand? Sie waren ums Haar in Streit geraten, wie schon häufiger, wenn es um die Grünbaums ging.
Sie klopfte erneut, als die Tür auch schon aufsprang. «Guten Morgen, Frau Nachbarin.» Das Dienstmädchen knickste höflich. «Kommt nur herein.»
Clara folgte dem Mädchen durch die düstere Eingangshalle die Treppe hinauf in die Wohnstube, an deren Türrahmen ebenfalls einer dieser metallenen Behälter hing. Mit gesenktem Blick ging sie daran vorbei und betrat das geräumige, hellerleuchtete Zimmer. Stickige Wärme schlug ihr entgegen.
Als ihr Blick durch den Raum schweifte, staunte sie einmal mehr über die prächtige Ausstattung im Innern des Hauses, das sich äußerlich so gar nicht unterschied von den eher schmucklosen Häusern in dieser Ecke der Stadt. Flauschige, bunte Teppiche aus dem fernen Morgenland bedeckten den Dielenboden, die Wände waren mit bestickten Vorhängen bespannt, auf den Bänken entlang der Wand luden dickgepolsterte Sitzkissen aus dunkelrotem Samt zum Ausruhen ein. Alles, was bei ihnen drüben aus blankem, rohem Holz gezimmert war, sah man hier mit weichen, warmen Stoffen überzogen, und wo nicht, boten sich dem Auge kunstvolle Schnitzereien oder kostbare Eisenbeschläge, wie bei den Türen und Truhen. Auf der Anrichte blitzte das Silber und Kupfer von Leuchtern und Trinkgefäßen, dazwischen fanden sich Dosen, Kästchen und Täfelchen, in die fremdartige Schriftzeichen geritzt waren. Allein die vielen Wachskerzen in den Leuchtern, die jetzt im Winter, wo die Fensterläden geschlossen waren, allesamt angesteckt waren, mussten ein Vermögen gekostet haben!
Ein röhrender Hustenanfall ließ Clara zusammenzucken. Auf einem gepolsterten Lehnstuhl, dicht bei der Ofenwandung, die mit jenen neuartigen, grünglasierten Kacheln verkleidet war, sah sie die Hausherrin sitzen. Kopf und Hals hatte sie mit einem dicken Tuch umhüllt.
«Grüß dich Gott, Deborah. Das hört sich gar nicht gut an.» «Friede sei mit dir», krächzte die Frau.
«Hier, das soll ich dir von meinem Heinrich geben. Eibischwurzel gegen den Husten. Soll er heut noch nach dir sehen?»
Deborah winkte ab. «Er hat die Paste doch wohl hoffentlich so zubereitet, wie Moische es ihm erklärt hat?»
«Das musst du ihn schon selbst fragen. Ich kenn mich mit euren Speisevorschriften nicht aus.»
Clara stellte den Tiegel auf der Tischplatte ab und blieb unschlüssig stehen.
«Sonst noch was?» Deborah kniff misslaunig die Augen zusammen.
«Wann ist euer Arzt eigentlich wieder gesund?»
«Willst du das wissen oder dein Mann?»
Clara schob verärgert die Unterlippe vor. «Kannst du mir nicht einfach eine Antwort geben?»
Stattdessen wurde Deborah von einem neuen Hustenanfall geschüttelt. Clara griff zu dem Wasserkrug, der in der Mauernische stand, goss den Becher daneben halb voll und drückte ihn Deborah in die Hand, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.
«Du musst viel trinken. Und frische Luft solltest auch mal reinlassen. Das ist ja zum Ersticken hier.»
Dann wandte sie sich ohne Gruß zur Tür, wo das Dienstmädchen wartete, um sie hinauszugeleiten. Unten in der Eingangsdiele begegnete sie Esther, die freundlich grüßte. Das Mädchen, die einzige Tochter der Grünbaums, war ausnehmend hübsch. Das schmale, ebenmäßig geschnittene Gesicht mit den vollen Lippen und den dunkelblauen Augen hatte selbst jetzt, in seiner winterlichen Blässe, einen zarten mattbraunen Schimmer. Es glich den Marienbildnissen, wie sie die Kirchenmaler darzustellen pflegten, und strahlte dieselbe Herzensgüte aus.
«Seit wann leidet deine Mutter unter diesem bellenden Husten?»
«Die zweite Woche nun schon.» Das Mädchen zog sich den Schleier von ihrem dunklen Haar. «Nachts ist es noch schlimmer.»
«Habt ihr Salbei im Haus?»
«Ich denke, ja.»
«Dann koch einen großen Kessel davon auf. Statt Wasser soll sie tagsüber von dem Sud trinken, mit viel Honig gesüßt.»
Ester nickte. «Das mach ich.» Sie senkte den Blick, und ein Hauch von Röte überzog ihre Wangen. «Mein Vater lässt fragen, ob Benedikt heute Abend nach unserem Herd in der Küche sehen kann. Er zieht nicht mehr richtig, und Aaron ist bis morgen in Straßburg. Außerdem», jetzt wirkte sie noch verlegener, «fängt doch nach Sonnenuntergang der Schabbat an.»
«Benedikt hat keine Zeit. Ich werde meinem Mann Bescheid geben.»
Clara war froh, als sie wieder draußen in der Winterkälte stand. Irgendwie empfand sie die Besuche bei ihren jüdischen Nachbarn immer wieder als beklemmend. Das lag nur zum Teil an dieser ganz unverhohlen ausgestellten Pracht und Eleganz, denn das Gefühl von Neid war Clara fremd. Eher schon hatte es mit der Hausherrin zu tun. Vor allem Clara gegenüber verhielt sich Deborah auf eine nahezu streitbare Weise herablassend, ja feindselig. Und seit jenem Vorfall vor einem Jahr, als Deborah behauptet hatte, Clara habe bei einem ihrer Besuche einen kostbaren Kelch mitgehen lassen, war ihr Verhältnis endgültig verdorben. Deborah hatte sich nicht einmal entschuldigt, nachdem herausgekommen war, dass ihr früheres Dienstmädchen den Diebstahl begangen hatte.
Nicht zuletzt waren da all diese fremdartigen Feierlichkeiten und Riten, diese Gebote und Vorschriften, denen sich die Hebräer unterwarfen und dabei doch angeblich an den Einen, denselben Gott glaubten wie die Christenmenschen. Allein diese unbegreiflichen Speisegesetze: Koscher und damit erlaubt war das Rind, weil es wiederkäute und gespaltene Hufe hatte, nicht indessen das Kamel, das zwar wiederkäute, aber keine gespaltenen Hufe hatte, oder gar das als höchst unrein verrufene Schwein, das zwar gespaltene Hufe aufwies, dafür nicht wiederkäute. Hering durfte gegessen werden, nicht aber Aal. Geflügel war erlaubt, Raubvögel hingegen nicht. Auch durfte Fleisch kein Quäntchen Blut mehr enthalten und nicht mit Milch in Berührung kommen, Fleischiges und Milchiges mussten somit in getrenntem Kochgeschirr zubereitet werden. Das sollte ein Mensch begreifen! Und an ihrem Schabbat, ihrem heiligen Ruhetag, durften sie nicht einmal eine Kerze entzünden oder eine Schreibfeder halten.
Kopfschüttelnd nahm Clara ihren Korb unter den Arm und bog in die Große Gass ein, die sich allmählich mit Dienstmägden, Hausfrauen und Kindern, mit frei laufenden Hunden und grunzenden Schweinen füllte. An Tagen, an denen die aufgesteckte rote Fahne auch fremdem Gewerbe und Handel Marktrecht verlieh, wenn obendrein noch der Vieh- und Rindermarkt abgehalten wurde, gab es hier, auf der Hauptstraße der Stadt, kein Durchkommen mehr. Dann überschrien die Ausrufer sich gegenseitig, um Kundschaft anzulocken, priesen Quacksalber ihre Wundermittel, Zahnbrecher ihre blutigen Dienste an, und nicht selten präsentierten Spielleute und Artisten ihre Künste. An gewöhnlichen Vormittagen wie heute war indessen nicht mal die Hälfte der Krambuden und Verkaufsstände geöffnet, die sich wie Perlen an einer Schnur auf der Straßenmitte aneinanderreihten. Es ging gemächlich zu, und an den friedlich plätschernden Brunnen trafen sich die Frauen zum Klatsch und Tratsch.
Auch wenn einem das Weibergeschwätz zu viel werden konnte, liebte Clara diesen Gang zum Markt, zumal an einem Morgen wie heute mit seiner frostklaren Luft. Den Nachmittag würde sie wieder Heinrich bei seinen Krankenbesuchen begleiten und Stunde um Stunde in stickigen Kammern verbringen. Doch auch das tat sie gern, seit einigen Jahren schon, denn sie gehörte nicht zu den Frauen, die ihr Regiment auf das Reich zwischen Küche, Gemüsegarten und Hühnerstall beschränken mochten. «An dir ist ein halber Wundarzt verlorengegangen, schade nur, dass du eine Frau bist», neckte ihr Mann sie manchmal und nahm doch gern ihren Rat bei der Krankenvisitation an. Schlimm an seinem Handwerk war nur, dass es ab und an so abscheuliche Vorkommnisse gab wie heute der tote Säugling.
Unwillkürlich schwenkte ihr Blick hinüber zum HeiligGeist-Spital, das an der Großen Gass einen gesamten Straßenblock einnahm und von den Bürgern nur Reiches Spital genannt wurde, seiner zahlreichen Besitztümer und der prächtig ausgestalteten Fassade wegen. Dort im Gewölbekeller frönten nun ihr Mann und dieser fettleibige Filibertus Behaimer, seines Zeichens Stadtmedicus wie auch gräflicher Leibarzt, ihrer traurigen Aufgabe. Wie immer würde Heinrich die Schmutzarbeit machen. Er würde den kleinen Leichnam auf tödliche Wunden untersuchen, währenddessen der studierte Physicus in gehörigem Abstand die anwesenden Ratsherren mit seinen spitzfindigen Erörterungen überschüttete. Clara wusste jetzt schon: Für den Rest des Tages würde ihr Mann mürrisch und schweigsam bleiben.
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Autoren-Porträt von Astrid Fritz
Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik in München, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurin arbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg und verbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile. Zu ihren großen Erfolgen zählen «Die Hexe von Freiburg», «Die Tochter der Hexe», «Turm aus Licht», «Der dunkle Himmel». Astrid Fritz lebt in der Nähe von Stuttgart.
Autoren-Interview mit Astrid Fritz
Interview mit Astrid Fritz Ihr neues Buch „Der Pestengel von Freiburg" führt uns in eine wahrlich dunkle Zeit. Wie ging es Ihnen bei der Recherche zu diesem Thema und später beim Schreiben des Buches?
Spätestens beim Schreiben der „Hexe von Freiburg" habe ich mir eine gewisse Distanz zu meiner eigenen Betroffenheit zulegen müssen. Nur so konnte ich meinen Hauptfiguren ein Leben ausfantasieren, das nicht nur von Grausamkeiten bestimmt ist.
Aus heutiger Sicht ist der damalige Wissensstand zur Pest leicht zu belächeln. Der Zusammenbruch der Gesellschaftsordnung, das gesetzlose Leben folgten ... Was meinen Sie: Könnte das auch uns passieren, wenn ein Virus ähnlich dramatisch wüten würde oder sind wir „weiter" als die Menschen damals?
Spontan würde ich sagen: Wir sind weiter als damals. Wenn ich allerdings an das Hitler-Regime denke, kommen mir Zweifel ....
Sie lieben historische Stoffe. Noch nie überlegt, einen modernen Stoff zu verarbeiten, einen heutigen Roman zu schreiben? Wenn nein: Warum nicht, was geht daran für Sie nicht? Wenn doch: Wie geht es weiter, gibt es aktuelle Pläne?
Wenn ich das Genre wechseln würde, dann auf jeden Fall nicht in Richtung Krimi, Science-Fiction oder Wissenschaftsthriller. Denn das wäre ebenso rechercheintensiv wie der historische Roman, würde mir aber weitaus weniger Spaß beim Forschen machen. Was ich mir hingegen vorstellen könnte: einen Gegenwartsroman, der in einem bestimmten Mikrokosmos spielt; etwa in einem Mietshaus, einer Ferienanlage in Tunesien, in einem Neubaugebiet. Die Schwierigkeit ist: Ich bin als Autorin historischer Romane bekannt und würde möglicherweise mit einem ganz neuen Genre meine angestammte Leserschaft gehörig irritieren. Aber wer weiß - vielleicht lege ich mir ja dann ein Pseudonym zu
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Ihr Resümee aus der Geschichte: Lernen wir etwas aus früheren Fehlern?
Jein. Zum einen sehe ich, dass wir Menschen der sogenannten Alten Welt gehörige Fortschritte gemacht haben, wie etwa in der Emanzipation, in der Teilhabe an der Herrschaft, in der sozialen Absicherung. Dieser Fortschritt kam natürlich nicht geradlinig, sondern mit Rückschlägen, aber wir sind enorm viel weitergekommen. Allerdings kommt jetzt, mit der Globalisierung, etwas Neues hinzu, und ob wir diese Herausforderung meistern, weiß ich nicht. Aber ich hoffe es, um unserer Kinder und Kindeskinder willen!
Welche historische(n) Persönlichkeit(en) würden Sie gern treffen und warum?
Wallenstein, weil er nicht nur der knallharte Feldherr war, sondern eine schillernde Persönlichkeit mit vielen Facetten. Dann Paracelsus, der ein ungeheuer interessanter Mensch gewesen sein muss. Von den Frauen Johanna von Orléans, um herauszufinden, was an ihr Legende, was Wirklichkeit ist. Und Hildegard von Bingen, weil sie sich nicht nur als Frau im Mittelalter, sondern auch als Nonne in einer von Männern beherrschten Welt verwirklicht und ihren Widersachern Paroli geboten hat.
Passiert es Ihnen, dass sich Ihre Figuren wehren gegen Dinge, die Sie eigentlich mit ihnen vorhatten - ein Eigenleben entwickeln?
Nein, das passiert mir eigentlich eher nicht, da ich zumindest die Hauptfiguren und deren Entwicklung weitgehend im Kopf habe, bevor ich mit dem Schreiben beginne. Bei den Nebenfiguren können schon mal Unwägbarkeiten vorkommen, wenn sie sich plötzlich positiver oder auch negativer entwickeln als zuvor gedacht. Wo allerdings tatsächlich Diskrepanzen entstanden: bei meiner „Hexe von Freiburg" und meiner „Vagabundin"; sie musste ich nämlich sterben lassen, da es his-torische Figuren sind. Und dagegen habe ich mich gewehrt, nicht meine Figuren.
Wie können wir uns einen Ihrer Schreibarbeitstage vorstellen? Wo arbeiten Sie am liebsten und warum, in welchem Raum (im Freien)?
Mein Arbeitstag verläuft, wenn ich nicht auf Lesereise bin, recht banal. Morgens gegen acht, halb neun an den Schreibtisch bis zur Mittagszeit, dann Kochen und Essen mit meiner Tochter, sofern sie nicht in der Schule bleibt. Nachmittags dann Organisatorisches, Lesungsvorbereitung oder Bürokram wie Rechnungen, Finanzamt. Dazwischen und vor allem am Wochenende Haushalt und Ähnliches. Und Familienleben, was auch unsere Tiere mit einschließt. Ich brauche natürlich viel Ruhe, und die finde ich in meinem kleinen Arbeitszimmer, das mit Büchern vollgestellt ist. Hätte ich allerdings einen kleinen Bauerngarten, still und uneinsehbar, dann würde ich tatsächlich lieber im Freien arbeiten!
Auch in Ihrem aktuellen Buch „Der Pestengel von Freiburg" ist eine Frau, Clara, die Haupt-figur. Sie kämpft tapfer für Menschlichkeit, rettet die jüngsten jüdischen Kinder ihrer Nachbarn vor dem Flammentod und zieht sie auf und ist eine geschickte Medizinerin. Eine starke Frau - wie viele Ihrer Romanfiguren; ganz im Gegensatz zur herkömmlichen Geschichtsschreibung, in der Frauen, wenn überhaupt, nur am Rand vorkommen. Was wollen Sie transportieren?
Eben das ist ja der Grund - die Geschichtsschreibung scheint nur von Männern gemacht und auch belebt. Wo bleiben die Frauen, wenn sie nicht gerade Katharina die Große oder Maria Stuart heißen? Die Männer haben das Weltgeschehen gelenkt, Kriege entfacht, Gesetze gemacht - die Frauen, als Mütter, Ehefrauen, Töchter, haben darauf reagieren müssen. Oder waren gar zum Opfer geworden.
Welche Bücher lesen Sie aktuell, welches Buch hat sie jüngst bewegt, begeistert, fasziniert?
Aktuell lese ich, wie meistens, Sachbücher, die mir zur Recherche dienen. Zuletzt habe ich in meinem Kurzurlaub Petra Hammesfahr gelesen, die ich sehr mag. Das Buch, das mich zuletzt bewegt hat, liegt schon einige Zeit zurück: „Das Mädchen im roten Mantel". Darin geht es um ein kleines Mädchen, das das Warschauer Ghetto überlebt hat.
Erste Leseerinnerungen? Lieblingsbücher als Kind? Wurde Ihnen vorgelesen und wenn ja, von wem und wann?
Ganz banal: „Hanni und Nanni" und die „Fünf Freunde"-Bücher von Enid Blyton. Ach ja: und das „Nesthäkchen"! „Oliver Twist" hingegen fand ich als Kind so traurig, dass ich es weglegen musste. Vorgelesen wurde mir als Kind hin und wieder von meiner Mutter. Und mit meiner Oma hatte ich immer gemeinsam „Heim und Welt" gelesen ... Gibt es diese Zeitung heute überhaupt noch?
An welchem Buch arbeiten Sie aktuell? Können Sie uns schon etwas über die Geschichte verraten und wann erscheint es?
Mein nächstes Projekt handelt vom Schicksal zweier Schwestern, die kurz vor der Reformation und der Bauernkriege ins Kloster kommen - die eine freiwillig, da sie einen fast fanatischen Glauben lebt, die andere erzwungen. Es wird in der Ortenau und im Südbadischen spielen.
Interview: Literaturtest
Ihr Resümee aus der Geschichte: Lernen wir etwas aus früheren Fehlern?
Jein. Zum einen sehe ich, dass wir Menschen der sogenannten Alten Welt gehörige Fortschritte gemacht haben, wie etwa in der Emanzipation, in der Teilhabe an der Herrschaft, in der sozialen Absicherung. Dieser Fortschritt kam natürlich nicht geradlinig, sondern mit Rückschlägen, aber wir sind enorm viel weitergekommen. Allerdings kommt jetzt, mit der Globalisierung, etwas Neues hinzu, und ob wir diese Herausforderung meistern, weiß ich nicht. Aber ich hoffe es, um unserer Kinder und Kindeskinder willen!
Welche historische(n) Persönlichkeit(en) würden Sie gern treffen und warum?
Wallenstein, weil er nicht nur der knallharte Feldherr war, sondern eine schillernde Persönlichkeit mit vielen Facetten. Dann Paracelsus, der ein ungeheuer interessanter Mensch gewesen sein muss. Von den Frauen Johanna von Orléans, um herauszufinden, was an ihr Legende, was Wirklichkeit ist. Und Hildegard von Bingen, weil sie sich nicht nur als Frau im Mittelalter, sondern auch als Nonne in einer von Männern beherrschten Welt verwirklicht und ihren Widersachern Paroli geboten hat.
Passiert es Ihnen, dass sich Ihre Figuren wehren gegen Dinge, die Sie eigentlich mit ihnen vorhatten - ein Eigenleben entwickeln?
Nein, das passiert mir eigentlich eher nicht, da ich zumindest die Hauptfiguren und deren Entwicklung weitgehend im Kopf habe, bevor ich mit dem Schreiben beginne. Bei den Nebenfiguren können schon mal Unwägbarkeiten vorkommen, wenn sie sich plötzlich positiver oder auch negativer entwickeln als zuvor gedacht. Wo allerdings tatsächlich Diskrepanzen entstanden: bei meiner „Hexe von Freiburg" und meiner „Vagabundin"; sie musste ich nämlich sterben lassen, da es his-torische Figuren sind. Und dagegen habe ich mich gewehrt, nicht meine Figuren.
Wie können wir uns einen Ihrer Schreibarbeitstage vorstellen? Wo arbeiten Sie am liebsten und warum, in welchem Raum (im Freien)?
Mein Arbeitstag verläuft, wenn ich nicht auf Lesereise bin, recht banal. Morgens gegen acht, halb neun an den Schreibtisch bis zur Mittagszeit, dann Kochen und Essen mit meiner Tochter, sofern sie nicht in der Schule bleibt. Nachmittags dann Organisatorisches, Lesungsvorbereitung oder Bürokram wie Rechnungen, Finanzamt. Dazwischen und vor allem am Wochenende Haushalt und Ähnliches. Und Familienleben, was auch unsere Tiere mit einschließt. Ich brauche natürlich viel Ruhe, und die finde ich in meinem kleinen Arbeitszimmer, das mit Büchern vollgestellt ist. Hätte ich allerdings einen kleinen Bauerngarten, still und uneinsehbar, dann würde ich tatsächlich lieber im Freien arbeiten!
Auch in Ihrem aktuellen Buch „Der Pestengel von Freiburg" ist eine Frau, Clara, die Haupt-figur. Sie kämpft tapfer für Menschlichkeit, rettet die jüngsten jüdischen Kinder ihrer Nachbarn vor dem Flammentod und zieht sie auf und ist eine geschickte Medizinerin. Eine starke Frau - wie viele Ihrer Romanfiguren; ganz im Gegensatz zur herkömmlichen Geschichtsschreibung, in der Frauen, wenn überhaupt, nur am Rand vorkommen. Was wollen Sie transportieren?
Eben das ist ja der Grund - die Geschichtsschreibung scheint nur von Männern gemacht und auch belebt. Wo bleiben die Frauen, wenn sie nicht gerade Katharina die Große oder Maria Stuart heißen? Die Männer haben das Weltgeschehen gelenkt, Kriege entfacht, Gesetze gemacht - die Frauen, als Mütter, Ehefrauen, Töchter, haben darauf reagieren müssen. Oder waren gar zum Opfer geworden.
Welche Bücher lesen Sie aktuell, welches Buch hat sie jüngst bewegt, begeistert, fasziniert?
Aktuell lese ich, wie meistens, Sachbücher, die mir zur Recherche dienen. Zuletzt habe ich in meinem Kurzurlaub Petra Hammesfahr gelesen, die ich sehr mag. Das Buch, das mich zuletzt bewegt hat, liegt schon einige Zeit zurück: „Das Mädchen im roten Mantel". Darin geht es um ein kleines Mädchen, das das Warschauer Ghetto überlebt hat.
Erste Leseerinnerungen? Lieblingsbücher als Kind? Wurde Ihnen vorgelesen und wenn ja, von wem und wann?
Ganz banal: „Hanni und Nanni" und die „Fünf Freunde"-Bücher von Enid Blyton. Ach ja: und das „Nesthäkchen"! „Oliver Twist" hingegen fand ich als Kind so traurig, dass ich es weglegen musste. Vorgelesen wurde mir als Kind hin und wieder von meiner Mutter. Und mit meiner Oma hatte ich immer gemeinsam „Heim und Welt" gelesen ... Gibt es diese Zeitung heute überhaupt noch?
An welchem Buch arbeiten Sie aktuell? Können Sie uns schon etwas über die Geschichte verraten und wann erscheint es?
Mein nächstes Projekt handelt vom Schicksal zweier Schwestern, die kurz vor der Reformation und der Bauernkriege ins Kloster kommen - die eine freiwillig, da sie einen fast fanatischen Glauben lebt, die andere erzwungen. Es wird in der Ortenau und im Südbadischen spielen.
Interview: Literaturtest
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Bibliographische Angaben
- Autor: Astrid Fritz
- 2011, 2. Aufl., 480 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 346340608X
- ISBN-13: 9783463406084
Kommentare zu "Der Pestengel von Freiburg"
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