Der Schrecksenmeister / Zamonien Bd.5
Roman. Ein kulinarisches Märchen aus Zamonien von Gofid Letterkerl. Neu erzählt von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen übersetzt und illustriert von Walter Moers
In Sledwaya, der Stadt, in der "das Gesunde krank und das Kranke gesund" ist, spielt der neue Roman des zamonischen Großschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz. Er handelt von der Auseinandersetzung zwischen Echo, dem hochbegabten...
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Produktinformationen zu „Der Schrecksenmeister / Zamonien Bd.5 “
In Sledwaya, der Stadt, in der "das Gesunde krank und das Kranke gesund" ist, spielt der neue Roman des zamonischen Großschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz. Er handelt von der Auseinandersetzung zwischen Echo, dem hochbegabten Krätzchen, und Succubius Eißpin, dem furchtbaren Schrecksenmeister Sledwayas, der Faust und Mephisto in einer Person zu verkörpern scheint. Dieser lässt nichts unversucht, um sich mittels der Alchimie zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen - und dazu braucht er nichts notwendiger als das Fett von Echo, der gezwungen ist, einen teuflischen Vertrag mit Eißpin abzuschließen.
Klappentext zu „Der Schrecksenmeister / Zamonien Bd.5 “
In Sledwaya, der Stadt, in der "das Gesunde krank und das Kranke gesund" ist, spielt der neue Roman des zamonischen Großschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz. Er handelt von der Auseinandersetzung zwischen Echo, dem hochbegabten Krätzchen, und Succubius Eißpin, dem furchtbaren Schrecksenmeister Sledwayas, der Faust und Mephisto in einer Person zu verkörpern scheint. Dieser lässt nichts unversucht, um sich mittels der Alchimie zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen - und dazu braucht er nichts notwendiger als das Fett von Echo, der gezwungen ist, einen teuflischen Vertrag mit Eißpin abzuschließen.
Lese-Probe zu „Der Schrecksenmeister / Zamonien Bd.5 “
Der Schrecksenmeister von Walter Moers LESEPROBE
Eißpin, der sehr Schreckliche
Denn als ob diese trostlose Szene noch einer Krönung bedurfte, kam der Stadtschrecksenmeister Eißpin des Weges. Wenn jemals ein Albtraum Gestalt annehmen und durch die wirkliche Welt spazieren wollte, dann würde er die von Eißpin wählen. Der Alte war eine wandelnde Vogelscheuche, eine entsprungene Geisterbahnfigur, vor der alles Lebendige floh, vom kleinsten Käfer bis zum kraftvollsten Krieger. Es schien, als stolziere er zu einer furchtbaren Marschmusik, die nur er selber hörte, und jedermann wich seinem sengenden Blick aus, um nicht geblendet, verflucht oder hypnotisiert zu werden. Eißpin wandelte im vollen Bewusstsein, von allen gehasst und gefürchtet zu werden. Er berauschte sich an diesem Wissen und ließ keine Gelegenheit aus, in den Straßen von Sledwaya Angst und Schrecken zu verbreiten.
Er hatte sich eiserne Platten unter die Schuhsohlen genagelt, damit man seinen strammen Schritt schon hörte, wenn er noch Straßenzüge entfernt war, und seine knöcherne Amtskette klapperte wie das Skelett eines Gehängten im Wind. Ein giftiger und galliger Geruch ging von ihm aus, ein Parfüm aus all den Essenzen und Säuren und Laugen, mit denen er seine unseligen Experimente veranstaltete. Diese Düfte, die jedem außer Eißpin selbst Atemnot und Übelkeit verursachten, hingen beständig in seinen Kleidern und eilten ihm genauso voraus wie sein Geklapper - eine Vorhut von unsichtbaren Leibwächtern, die für den Stadtschrecksenmeister den Weg frei machten.
Alle flüchteten aus der Straße, nur das hagere Krätzchen blieb sitzen und harrte aus, bis der schreckliche Eißpin um die Ecke kam und seinen stechenden Blick auf die einzige Kreatur heftete, die es wagte, ihm im
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Wege zu sein. Aber selbst vor diesem Blick floh Echo nicht, jede Angst war von ihm gewichen - bis auf die einzige, zu verhungern, welche nun all sein Handeln bestimmte. Selbst wenn ein Rudel wilder Werwölfe unter Anführung einer Waldspinnenhexe um die Ecke gekommen wäre, hätte Echo in der sinnlosen Hoffnung ausgeharrt, dass ihm einer von ihnen ein Bröckchen Essbares hinwerfen könnte.
So kam Eißpin immer näher, blieb schließlich vor dem Krätzchen stehen, beugte sich zu ihm herab und sah es lange und erbarmungslos an. Der Wind spielte mit seiner beinernen Kette, und in seinen Augen funkelte unverhohlen die Schadenfreude über die Leiden eines Geschöpfes, das so dicht an der Schwelle des Todes stand. Die Gerüche von Ammoniak und Äther, von Schwefel und Petroleum, von Blausäure und Leichenkalk drangen wie spitze Nadeln in Echos empfindsames Näschen, aber er wich keinen Fingerbreit.
»Almosen, Herr Stadtschrecksenmeister?«, winselte Echo kläglich. »Ich habe furchtbaren Hunger.«
Eißpins Blick loderte noch dämonischer, und ein breites Grinsen erschien auf seiner bleichen Fratze. Er streckte seinen langen dürren Zeigefinger aus und kratzte damit über Echos hervortretende Rippen.
»Du kannst sprechen?«, fragte er. »Dann bist du gar keine gewöhnliche Katze, sondern ein Krätzchen. Eines der letzten Exemplare deiner Gattung.« Eißpins Augen verengten sich kaum merklich. »Wie wäre es, wenn du mir dein Fett verkaufst?«
»Das ist mächtig komisch, Herr Stadtschrecksenmeister«, erwiderte Echo höflich. »Macht ruhig Eure Scherze über einen, der mit einer Pfote im Grab steht, denn ich habe etwas übrig für schwarzen Humor. Seht mir aber bitte nach, dass ich darüber im Moment nicht lachen kann. Mir ist das Lachen im Hals stecken geblieben, und da habe ich es runtergeschluckt, weil ich so großen Hunger habe.«
»Ich scherze nicht!«, sagte Eißpin scharf. »Ich scherze nie. Ich rede auch nicht von dem Fett, das du jetzt nicht auf den Rippen hast, sondern von dem, das du dir anfressen sollst.«
»Anfressen?«, fragte Echo irritiert, aber plötzlich voller Hoffnung. Allein das Wort kam ihm nahrhaft vor.
»Es verhält sich so ... «, sagte Eißpin und veränderte seine Stimme derart, dass sie beinahe liebenswürdig klang. »Kratzenfett ist in der Alchimie ein probates Mittel. Es konserviert Pestgeruch dreimal besser als Hundefett. Leidener Männlein, mit Kratzenfett imprägniert, halten doppelt so lang wie die gewöhnlichen. Es schmiert ein Perpetuum mobile besser als jedes Maschinenöl«
»Freut mich zu hören, dass meine Gattung zur Herstellung eines solchen Qualitätsproduktes in der Lage ist«, hauchte Echo kaum vernehmlich. »Aber im Augenblick kann ich nicht mit einem einzigen Gramm dienen.«
»Das sehe ich selbst«, sagte Eißpin, jetzt wieder streng und von oben herab. »Ich werde dich mästen.«
»Mästen«, dachte Echo. Das Wort kam ihm noch nahrhafter vor als anfressen.
»Ich werde dich füttern, wie du noch nie gefüttert worden bist. Ich werde die Speisen höchstpersönlich für dich zubereiten, denn ich bin nicht nur ein Virtuose der Alchimie, sondern auch ein Meister des Kochlöffels. Ich rede von den raffiniertesten Leckereien - nicht von ordinärem Kratzenfutter. Ich rede von Parfaits und Souffles. Von verlorenen Wachteleiern und Froschzungensülze. Von Thunfischtatar und Vogelnestersuppe.«
Echo lief das Wasser im Mund zusammen, obwohl er von solchen Speisen noch nie etwas gehört hatte. »Und was muss ich dafür tun?«
»Wie gesagt: das Fett. Wir Alchimisten brauchen es, aber es funktioniert nur, wenn wir es auf freiwilliger Basis bekommen. Wir können nicht einfach so losmarschieren und ein paar Kratzen abmurksen. Leider.« Eißpin seufzte und zuckte mit den spitzen Schultern.
»Ja«, sagte Echo, »leider.« Ihm schwante nun, worauf der Schrecksenmeister hinauswollte.
»Wir schließen einen Vertrag, wir zwei Freunde der Nacht. Heute ist Vollmond. Ich verpflichte mich, dich bis zum nächsten vollen Mond - dem Schrecksenmond - zu mästen, und zwar auf allerhöchstem Niveau. Parfaits und Souffles. Verlorene Wachteleier und ...«
»Ich habe verstanden«, unterbrach Echo. »Komm bitte zur Sache.«
»Na ja, und dann bist du an der Reihe, deinen Teil des Vertrages zu erfüllen. Es gibt leider noch keine Methode, einer Kratze das Fett zu entfernen, ohne sie ... na ja, du weißt schon.«
Eißpin deutete unter seinem Kehlkopf einen scharfen Schnitt mit dem langen Nagel seines Zeigefingers an.
Echo musste schlucken.
»Aber ich garantiere dir eins!«, trumpfte Eißpin auf. »Die Zeit bis zum Schrecksenmond wird die schönste deines Lebens! Ich werde dich in eine Welt der Genüsse führen, die noch keine Kratze betreten hat. Ich werde dich auf einen Gipfel der Feinschmeckerei tragen, von dem aus du auf all deine Artgenossen und all die anderen Haustiere, die durchgedrehten Stockfisch aus dem Napf fressen müssen, herabsehen kannst wie auf Ungeziefer. Ich werde dir meinen geheimen Garten zeigen, der auf dem höchsten Dach von Sledwaya gedeiht - wo es übrigens die verführerischsten Winkel und Verstecke für eine Kratze gibt, die du dir erträumen kannst. Dort kannst du deine Verdauungsspaziergänge absolvieren und von magenfreundlichen Kräutern knabbern, wenn dir vom guten Essen einmal der Magen verstimmt ist - damit du umgehend mit dem Schlemmen fortfahren kannst. Da wächst auch die köstliche Kratzenminze.«
»Kratzenminze«, stöhnte Echo wollüstig.
»Aber das ist noch nicht alles. Oh nein! Du wirst auf den dicksten Kissen schlafen, hinter dem wärmsten Kachelofen der Stadt. Ich werde in jeder Hinsicht für dein Wohlbefinden sorgen. Und für deine Unterhaltung! Ich verspreche, dass dies die kurzweiligste Zeit deines Lebens sein wird. Die abenteuerlichste. Die lehrreichste. Du darfst mir bei der Arbeit zusehen, selbst bei den geheimsten Experimenten. Ich werde dich in ein exklusives Wissen einweihen, nach dem sich selbst erfahrenste Alchimisten die Finger lecken. Du wirst ja nichts mehr damit anfangen können.« Eißpin lachte grausam. Dann richtete er wieder seinen bohrenden Blick auf Echo. »Nun«, sagte er, »was ist?«
»Ich weiß nicht«, zögerte Echo. »Ich hänge ziemlich am Leben ...«
»Ihr Kratzen habt doch acht Stück davon, sagt man«, grinste Eißpin und entblößte dabei sein giftgelbes Gebiss. »Ich will nur ein einziges.«
»Verzeihung, aber ich glaube nur an ein Leben vor dem Tod, nicht an eins danach«, sagte Echo.
Ein Ruck ging durch den Stadtschrecksenmeister, und er fuhr klappernd hoch wie eine Gliederpuppe.
»Ich verschwende hier meine Zeit«, schnappte er. »Es gibt noch andere verzweifelte Tiere in dieser Stadt. Auf Wiedersehen! Nein - auf Nimmerwiedersehen! Adieu! Ich wünsche dir einen langsamen und qualvollen Hungertod. Drei Tage, schätze ich. Höchstens vier. In schlimmster Agonie. Es wird sein, als würdest du dich selber auffressen, von innen nach außen.«
Dieses Gefühl hatte Echo bereits seit mehreren Tagen. »Moment mal ... «, sagte er. »Volle Verpflegung? Bis zum nächsten Vollmond?«
Eißpin hielt in seiner Kehrtwendung inne und warf einen Blick zurück über die Schulter.
»Jawohl! Bis zum nächsten Schrecksenmond!«, raunte er verführerisch. »Feinschmeckerküche. Ach was: Feinstschmeckerküche! Ein See aus Milch, mit gebratenen Fischen darin. Menüs mit so vielen Gängen, dass du das Zählen vergisst. Das ist mein letztes Angebot.«
Echo überlegte. Was hatte er denn zu verlieren? Binnen drei qualvollen Tagen mit leerem Magen zu sterben oder in dreißig mit vollem Bauch - das war die Alternative.
»Kratzenminze?«, fragte er leise.
»Kratzenminze!«, versprach Eißpin. »In voller Blüte.«
»Abgemacht«, sagte Echo. Und er reichte dem Schrecksenmeister sein zitterndes Pfötchen.
© Piper Verlag
So kam Eißpin immer näher, blieb schließlich vor dem Krätzchen stehen, beugte sich zu ihm herab und sah es lange und erbarmungslos an. Der Wind spielte mit seiner beinernen Kette, und in seinen Augen funkelte unverhohlen die Schadenfreude über die Leiden eines Geschöpfes, das so dicht an der Schwelle des Todes stand. Die Gerüche von Ammoniak und Äther, von Schwefel und Petroleum, von Blausäure und Leichenkalk drangen wie spitze Nadeln in Echos empfindsames Näschen, aber er wich keinen Fingerbreit.
»Almosen, Herr Stadtschrecksenmeister?«, winselte Echo kläglich. »Ich habe furchtbaren Hunger.«
Eißpins Blick loderte noch dämonischer, und ein breites Grinsen erschien auf seiner bleichen Fratze. Er streckte seinen langen dürren Zeigefinger aus und kratzte damit über Echos hervortretende Rippen.
»Du kannst sprechen?«, fragte er. »Dann bist du gar keine gewöhnliche Katze, sondern ein Krätzchen. Eines der letzten Exemplare deiner Gattung.« Eißpins Augen verengten sich kaum merklich. »Wie wäre es, wenn du mir dein Fett verkaufst?«
»Das ist mächtig komisch, Herr Stadtschrecksenmeister«, erwiderte Echo höflich. »Macht ruhig Eure Scherze über einen, der mit einer Pfote im Grab steht, denn ich habe etwas übrig für schwarzen Humor. Seht mir aber bitte nach, dass ich darüber im Moment nicht lachen kann. Mir ist das Lachen im Hals stecken geblieben, und da habe ich es runtergeschluckt, weil ich so großen Hunger habe.«
»Ich scherze nicht!«, sagte Eißpin scharf. »Ich scherze nie. Ich rede auch nicht von dem Fett, das du jetzt nicht auf den Rippen hast, sondern von dem, das du dir anfressen sollst.«
»Anfressen?«, fragte Echo irritiert, aber plötzlich voller Hoffnung. Allein das Wort kam ihm nahrhaft vor.
»Es verhält sich so ... «, sagte Eißpin und veränderte seine Stimme derart, dass sie beinahe liebenswürdig klang. »Kratzenfett ist in der Alchimie ein probates Mittel. Es konserviert Pestgeruch dreimal besser als Hundefett. Leidener Männlein, mit Kratzenfett imprägniert, halten doppelt so lang wie die gewöhnlichen. Es schmiert ein Perpetuum mobile besser als jedes Maschinenöl«
»Freut mich zu hören, dass meine Gattung zur Herstellung eines solchen Qualitätsproduktes in der Lage ist«, hauchte Echo kaum vernehmlich. »Aber im Augenblick kann ich nicht mit einem einzigen Gramm dienen.«
»Das sehe ich selbst«, sagte Eißpin, jetzt wieder streng und von oben herab. »Ich werde dich mästen.«
»Mästen«, dachte Echo. Das Wort kam ihm noch nahrhafter vor als anfressen.
»Ich werde dich füttern, wie du noch nie gefüttert worden bist. Ich werde die Speisen höchstpersönlich für dich zubereiten, denn ich bin nicht nur ein Virtuose der Alchimie, sondern auch ein Meister des Kochlöffels. Ich rede von den raffiniertesten Leckereien - nicht von ordinärem Kratzenfutter. Ich rede von Parfaits und Souffles. Von verlorenen Wachteleiern und Froschzungensülze. Von Thunfischtatar und Vogelnestersuppe.«
Echo lief das Wasser im Mund zusammen, obwohl er von solchen Speisen noch nie etwas gehört hatte. »Und was muss ich dafür tun?«
»Wie gesagt: das Fett. Wir Alchimisten brauchen es, aber es funktioniert nur, wenn wir es auf freiwilliger Basis bekommen. Wir können nicht einfach so losmarschieren und ein paar Kratzen abmurksen. Leider.« Eißpin seufzte und zuckte mit den spitzen Schultern.
»Ja«, sagte Echo, »leider.« Ihm schwante nun, worauf der Schrecksenmeister hinauswollte.
»Wir schließen einen Vertrag, wir zwei Freunde der Nacht. Heute ist Vollmond. Ich verpflichte mich, dich bis zum nächsten vollen Mond - dem Schrecksenmond - zu mästen, und zwar auf allerhöchstem Niveau. Parfaits und Souffles. Verlorene Wachteleier und ...«
»Ich habe verstanden«, unterbrach Echo. »Komm bitte zur Sache.«
»Na ja, und dann bist du an der Reihe, deinen Teil des Vertrages zu erfüllen. Es gibt leider noch keine Methode, einer Kratze das Fett zu entfernen, ohne sie ... na ja, du weißt schon.«
Eißpin deutete unter seinem Kehlkopf einen scharfen Schnitt mit dem langen Nagel seines Zeigefingers an.
Echo musste schlucken.
»Aber ich garantiere dir eins!«, trumpfte Eißpin auf. »Die Zeit bis zum Schrecksenmond wird die schönste deines Lebens! Ich werde dich in eine Welt der Genüsse führen, die noch keine Kratze betreten hat. Ich werde dich auf einen Gipfel der Feinschmeckerei tragen, von dem aus du auf all deine Artgenossen und all die anderen Haustiere, die durchgedrehten Stockfisch aus dem Napf fressen müssen, herabsehen kannst wie auf Ungeziefer. Ich werde dir meinen geheimen Garten zeigen, der auf dem höchsten Dach von Sledwaya gedeiht - wo es übrigens die verführerischsten Winkel und Verstecke für eine Kratze gibt, die du dir erträumen kannst. Dort kannst du deine Verdauungsspaziergänge absolvieren und von magenfreundlichen Kräutern knabbern, wenn dir vom guten Essen einmal der Magen verstimmt ist - damit du umgehend mit dem Schlemmen fortfahren kannst. Da wächst auch die köstliche Kratzenminze.«
»Kratzenminze«, stöhnte Echo wollüstig.
»Aber das ist noch nicht alles. Oh nein! Du wirst auf den dicksten Kissen schlafen, hinter dem wärmsten Kachelofen der Stadt. Ich werde in jeder Hinsicht für dein Wohlbefinden sorgen. Und für deine Unterhaltung! Ich verspreche, dass dies die kurzweiligste Zeit deines Lebens sein wird. Die abenteuerlichste. Die lehrreichste. Du darfst mir bei der Arbeit zusehen, selbst bei den geheimsten Experimenten. Ich werde dich in ein exklusives Wissen einweihen, nach dem sich selbst erfahrenste Alchimisten die Finger lecken. Du wirst ja nichts mehr damit anfangen können.« Eißpin lachte grausam. Dann richtete er wieder seinen bohrenden Blick auf Echo. »Nun«, sagte er, »was ist?«
»Ich weiß nicht«, zögerte Echo. »Ich hänge ziemlich am Leben ...«
»Ihr Kratzen habt doch acht Stück davon, sagt man«, grinste Eißpin und entblößte dabei sein giftgelbes Gebiss. »Ich will nur ein einziges.«
»Verzeihung, aber ich glaube nur an ein Leben vor dem Tod, nicht an eins danach«, sagte Echo.
Ein Ruck ging durch den Stadtschrecksenmeister, und er fuhr klappernd hoch wie eine Gliederpuppe.
»Ich verschwende hier meine Zeit«, schnappte er. »Es gibt noch andere verzweifelte Tiere in dieser Stadt. Auf Wiedersehen! Nein - auf Nimmerwiedersehen! Adieu! Ich wünsche dir einen langsamen und qualvollen Hungertod. Drei Tage, schätze ich. Höchstens vier. In schlimmster Agonie. Es wird sein, als würdest du dich selber auffressen, von innen nach außen.«
Dieses Gefühl hatte Echo bereits seit mehreren Tagen. »Moment mal ... «, sagte er. »Volle Verpflegung? Bis zum nächsten Vollmond?«
Eißpin hielt in seiner Kehrtwendung inne und warf einen Blick zurück über die Schulter.
»Jawohl! Bis zum nächsten Schrecksenmond!«, raunte er verführerisch. »Feinschmeckerküche. Ach was: Feinstschmeckerküche! Ein See aus Milch, mit gebratenen Fischen darin. Menüs mit so vielen Gängen, dass du das Zählen vergisst. Das ist mein letztes Angebot.«
Echo überlegte. Was hatte er denn zu verlieren? Binnen drei qualvollen Tagen mit leerem Magen zu sterben oder in dreißig mit vollem Bauch - das war die Alternative.
»Kratzenminze?«, fragte er leise.
»Kratzenminze!«, versprach Eißpin. »In voller Blüte.«
»Abgemacht«, sagte Echo. Und er reichte dem Schrecksenmeister sein zitterndes Pfötchen.
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Autoren-Porträt von Walter Moers
Moers, WalterWalter Moers, 1957 in Mönchengladbach geboren, ist der Erfinder des »Käpt'n Blaubär« und hatte auch große Erfolge mit den Büchern um »Das kleine Arschloch« und der Comic-Figur »Adolf«. 1999 stürmte der Roman »Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär« die Bestsellerlisten. Dem folgten inzwischen mehrere sehr erfolgreiche Romane nach, die ebenfalls auf dem phantastischen Kontinent Zamonien spielen.
Autoren-Interview mit Walter Moers
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Bibliographische Angaben
- Autor: Walter Moers
- 2009, 382 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492253776
- ISBN-13: 9783492253772
- Erscheinungsdatum: 01.04.2009
Rezension zu „Der Schrecksenmeister / Zamonien Bd.5 “
»Walter Moers treibt sein wortspieltriebhaftes Märchen so rasant durch Witz und Schock, dass sich die Damen Rowling und Funke nur mit dem Sprung zum Betthupferl retten können.« Die Abendzeitung
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