Der Tänzer
Rudolf Nurejew galt als einer der größten Tänzer aller Zeiten. Der preisgekrönte Autor Colum McCann begibt sich in seinem Roman auf die Spuren eines Künstlerlebens. Aus der Sicht der Wegbegleiter des Genies erzählt, entsteht ein schillerndes Kaleidoskop,...
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Rudolf Nurejew galt als einer der größten Tänzer aller Zeiten. Der preisgekrönte Autor Colum McCann begibt sich in seinem Roman auf die Spuren eines Künstlerlebens. Aus der Sicht der Wegbegleiter des Genies erzählt, entsteht ein schillerndes Kaleidoskop, das von Ost und West, Partyleben und Künstlereinsamkeit, Genialität, Trieb und Tod erzählt.
''Das Buch ist wie ein Tanz aufgebaut, fast möchte ich sagen: es ist choreographiert.''
Elke Heidenreich in ''lesen!''
Rudolf Nurejew galt als einer der größten Tänzer aller Zeiten. McCann begibt sich in seinem Roman auf die Spuren eines Künstlerlebens, das rätselhaft bleibt. Aus der Sicht der Wegbegleiter des Genies erzählt, entsteht ein schillerndes Kaleidoskop, das von Ost und West, Partyleben und Künstlereinsamkeit, Genialität, Trieb und Tod erzählt. Ein Leben wie ein Roman - ein wilder Tanz.
"Das Buch ist so schwerelos wie ein Grand jeté seines Helden." (Der Spiegel)
Der Tänzer von Colum McCann
LESEPROBE
Sowjetunion 1941-56
Drei Winter. Mit Pferden bahnten sie Wege durch Schneeverwehungen,sie trieben sie voran, bis sie starben, und dann aßen sie sehr traurig dasPferdefleisch. Die Sanis stapften durch den Schnee und hatten die Morphiumampullenmit Pflastern unter ihren Achseln befestigt, damit das Morphium nicht gefror,und je länger der Krieg dauerte, desto schwerer fiel es ihnen, die Venen derverwundeten Soldaten zu finden - die Soldaten verfielen zusehends und starbenschon lange bevor sie wirklich starben. In den Gräben banden sie dieOhrenklappen ihrer Uschinkis fest um den Kopf, stahlen die Mäntel vonGefallenen und schliefen dicht zusammengedrängt, die Verwundeten in der Mitte,wo sie am besten gewärmt wurden. Sie trugen gefütterte Hosen, mehrere LagenUnterwäsche, und manchmal machten sie Witze darüber, dass sie am liebsten Hurenum den Hals tragen würden wie Schals. Nach einer Weile zogen sie die Stiefelnicht mehr allzu oft aus. Sie hatten Soldaten gesehen, deren erfrorene Zehenplötzlich einfach abfielen, und begannen zu glauben, dass man die Zukunfteines Mannes an seinem Gang ablesen konnte.
Zur Tarnung nähten sie zwei weiße Bauernhemden aufeinander,sodass sie über die Mäntel passten, zogen mit Schnürsenkeln die Halsausschnittewie Kapuzen um das Gesicht zusammen und konnten stundenlang unerkannt im Schneeliegen. Die Flüssigkeit in den Rückstoßdämpfern ihrer Geschütze gefror. DiePufferfedern ihrer MGs zersprangen wie Glas. Wenn sie Metall mit nackten Fingernberührten, riss die Haut in Fetzen ab. Sie machten Holzkohlefeuer und legtenSteine hinein, die sie später in die Taschen steckten, damit sie ihnen dieHände wärmten. Wenn sie scheißen mussten, was nicht oft vorkam, hielten sie esfür das Beste, in die Hosen zu machen. Dort blieb die Scheiße, bis sie gefrorenwar. Wenn sie dann einen Unterstand gefunden hatten, brachen sie die Masse heraus,und nichts stank, noch nicht einmal ihre Handschuhe - bis Tauwetter einsetzte.Sie banden Beutel aus Öltuch unter ihren Hosen fest, damit sie ihre Schwänzebeim Pinkeln nicht der Kälte aussetzen mussten, und sie lernten, die Wärme inden Pissbeuteln zwischen ihren Beinen zu genießen, und manchmal half ihnen das,an Frauen zu denken, bis die Pisse gefror und sie wieder im Nirgendwo waren,auf einer weiten, von der Flamme über dem Schornstein einer Ölraffineriebeleuchteten Schneefläche.
Sie blickten über die Steppe und sahen die Leichen andererSoldaten, erfroren, eine Hand in die Luft gereckt, ein Knie durchgedrückt, dieBärte weiß vom Frost, und sie lernten, den Toten die Kleider auszuziehen, bevorsie darin in Leichenstarre verfielen, und dann beugten sie sich hinunter undflüsterten: Tut mir Leid, Kamerad, und danke für den Tabak.
Sie hörten, dass der Feind aus Mangel an Bäumen Leichen aufdie Wege legte, und versuchten, nicht hinzuhören, wenn Geräusche über dieEisfläche hallten - Reifen, die über Knochen knirschten und weiterrollten. Nieherrschte Stille, denn die Luft trug alle Geräusche weit: das Zischen derSkier, auf denen die Spähtrupps unterwegs waren, das Summen derHochspannungsleitungen, das Pfeifen der Granaten, ein Kamerad, der nach seinenBeinen, seinen Fingern, seinem Gewehr, seiner Mutter schrie. Morgens wärmtensie ihre Gewehre mit einer halben Ladung, damit ihnen der Lauf nicht bei derersten Salve um die Ohren flog. Sie wickelten Kuhhaut um die Griffe derFlugabwehrkanonen und deckten die Kühlschlitze der MGs mit alten Hemden ab, umden Schnee am Eindringen zu hindern. Die Soldaten auf Skiern lernten, im Hockenzu gleiten, sodass sie ihre Handgranaten seitlich werfen und im Vorstoßen kämpfenkonnten. Sie fanden einen zerstörten T-34, einen Verwundetentransporter odersogar einen feindlichen Panzer, ließen die Kühlflüssigkeit durch denAktivkohlefilter ihrer Gasmasken laufen und betranken sich damit. Manchmaltranken sie so viel Kühlflüssigkeit, dass sie nach ein paar Tagen blind waren.Sie strichen die Geschütze mit Sonnenblumenöl ein - nicht zu viel auf denSchlagbolzen, gerade die richtige Menge auf die Federn -, und mit demüberschüssigen Öl rieben sie ihre Stiefel ein, damit das Leder nicht brach undKälte und Nässe hereinließ. Sie sahen in den Munitionskisten nach, ob einFabrikmädchen in Kiew, Ufa oder Wladiwostok ein Herz für sie hineingemalt hatte,und selbst wenn nicht, war es, als hätte sie es getan, und dann schoben sie dieMagazine in ihre Katjuschas, ihre Maxims, ihre Degtjarows. (...)
© 2003 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Dirk van Gunsteren
- Autor: Colum Mccann
- 2004, 9. Aufl., 480 Seiten, Maße: 11,3 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Dirk van Gunsteren
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499238276
- ISBN-13: 9783499238277
- Erscheinungsdatum: 01.12.2004
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