Der verbotene Ort / Kommissar Adamsberg Bd.8
Kriminalroman
Kommissar Adamsberg findet auf einem Londoner Friedhof 17 Schuhe, in denen abgehackte Füße stecken. Zurück in Paris wird er mit einem kaltblütigen Mord konfrontiert. Seine Ermittlungen führen ihn in ein serbisches Dorf zu einer dunklen Legende.
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Produktinformationen zu „Der verbotene Ort / Kommissar Adamsberg Bd.8 “
Kommissar Adamsberg findet auf einem Londoner Friedhof 17 Schuhe, in denen abgehackte Füße stecken. Zurück in Paris wird er mit einem kaltblütigen Mord konfrontiert. Seine Ermittlungen führen ihn in ein serbisches Dorf zu einer dunklen Legende.
Klappentext zu „Der verbotene Ort / Kommissar Adamsberg Bd.8 “
»Fred Vargas ist einfach großartig.« Brigitte Ein grausiger Fund vor dem Londoner Friedhof Highgate, ein kaltblütiger Mord in Paris und ein rätselhafter Brief führen Kommissar Adamsberg an den Ursprung einer alten Legende. Wagemutig stürzt er sich in einsame Ermittlungen in einer Region, wo der Glaube an Untote sehr lebendig ist. Auch in ihrem neuen Roman gelingt Fred Vargas ein packendes Spiel voller Leichtigkeit und Ironie um den Quell menschlicher Ängste. »Die französische Erfolgsautorin beschreibt die Figuren so liebevoll gekonnt und mit so hintergründigem Witz, dass es eine helle Freude ist.« Stern
Lese-Probe zu „Der verbotene Ort / Kommissar Adamsberg Bd.8 “
Der verbotene Ort von Fred Vargas1
Kommissar Adamsberg verstand es, Hemden zu bügeln, seine Mutter hatte ihm beigebracht, wie man die Schulterpasse ausstrich und den Stoff um die Knöpfe herum glättete. Er zog den Stecker des Bügeleisens, legte die Kleidungsstücke in den Koffer. Er hatte sich rasiert, gekämmt, er würde nach London reisen, daran führte kein Weg mehr vorbei.
Er nahm seinen Stuhl und schob ihn in das sonnenbeschienene Viereck der Küche. Der Raum öffnete sich nach drei Seiten, und so verbrachte er seine Zeit damit, seinen Stuhl je nach dem einfallenden Licht um den runden Tisch herum zu bewegen, gleich der Eidechse, die um den Fels wandert. Adamsberg stellte seine Schale mit Kaffee Richtung Osten und setzte sich mit dem Rücken zur Wärme.
Er wäre ja einverstanden, nach London zu fahren, um sich die Stadt anzusehen, zu riechen, ob die Themse den gleichen modrigen Geruch nasser Wäsche hatte wie die Seine, zu hören, wie die Möwen schrien. Schon möglich, dass die Möwen auf Englisch anders schrien als auf Französisch. Aber man würde ihm nicht die Zeit dazu lassen. Drei Tage Kolloquium, zehn Vorträge pro Sitzung, sechs Debatten, ein Empfang im Innenministerium. Über hundert hochrangige Polizisten würden sich in der großen hall drängen, nichts als Polizisten aus dreiundzwanzig Ländern, die zusammenkamen, um das große Europa der Polizei zu optimieren, genauer noch, um „die Regelung der Migrationsströme zu harmonisieren“. So lautete das Thema des Kolloquiums.
Als Leiter der Pariser Brigade criminelle musste Adamsberg sich dort blicken lassen, aber das kümmerte ihn wenig. Seine Teilnahme würde flüchtig sein, nahezu ätherisch, einerseits aufgrund seiner Abneigung gegen das Regeln von Strömen, andererseits, weil er nie auch nur ein einziges Wort
... mehr
Englisch im Gedächtnis behalten hatte. Er trank ruhig seinen Kaffee aus, während er die Nachricht überflog, die ihm Commandant Danglard gerade schickte. „Treffen uns in 1 Std. 20 Min in der Abfertigungshalle. Verfluchter Tunnel. Habe passendes Jackett für Sie eingesteckt, mit Kraw.“
Adamsberg strich mit dem Daumen über das Display seines Handys und löschte die Angst seines Stellvertreters, so wie man den Staub von einem Möbelstück wischt. Danglard war wenig geschaffen fürs Laufen, fürs Rennen, schon gar nicht fürs Reisen. Den Ärmelkanal im Tunnel zu durchqueren schreckte ihn ebenso wie ihn zu überfliegen. Dennoch hätte er niemandem seinen Platz abgetreten. Seit dreißig Jahren schwor der Commandant auf die Eleganz der englischen Kleidermode, er setzte darauf, um seinen natürlichen Mangel an Erscheinung zu kompensieren. Von dieser lebenswichtigen Option inspiriert, hatte er seine Dankbarkeit auf das übrige Vereinigte Königreich ausgedehnt und war zum Typus des anglophilen Franzosen schlechthin geworden, der die Liebenswürdigkeit der Manieren, das Taktgefühl der Engländer und ihren diskreten Humor bewunderte. Außer in Augenblicken, in denen er jede Zurückhaltung fahrenließ, worin der anglophile Franzose sich vom wahren Engländer unterscheidet. So freute ihn die Aussicht auf einen Aufenthalt in London, mit Migrationsströmen oder ohne. Blieb nur noch das Hindernis dieses verfluchten Tunnels zu überwinden, durch den er zum ersten Mal fuhr.
Adamsberg spülte seine Kaffeeschale aus, nahm seinen Koffer, wobei er sich fragte, was für ein Jackett mit was für einer Kraw Commandant Danglard für ihn ausgesucht haben mochte. Da schlug sein Nachbar, der alte Lucio, mit seiner schweren Faust an die verglaste Eingangstür, dass sie erzitterte. Der Spanienkrieg hatte ihm seinen linken Arm genommen, als er neun Jahre alt war, und es schien, als sei der rechte dementsprechend stärker geworden, um in sich allein die Spannweite und Kraft von zwei Händen zu vereinen. Das Gesicht an die Scheiben gepresst, sah er mit gebieterischem Blick zu Adamsberg herein.
„Komm mal rüber“, brummte er im Ton eines Befehls. „Sie kriegt sie nicht allein raus, ich brauch deine Hilfe.“
Adamsberg stellte seinen Koffer nach draußen in den verwilderten kleinen Garten, den er sich mit dem alten Spanier teilte.
„Ich muss für drei Tage nach London, Lucio. Ich helfe dir, wenn ich zurück bin.“
„Zu spät“, polterte der Alte. „Komm rüber.“
Und wenn Lucio polterte, mit seinen rollenden „r“ in der Stimme, erzeugte er ein so dumpfes Geräusch, dass es Adamsberg schien, als käme der Ton direkt aus der Erde. Er nahm seinen Koffer in die Hand, in Gedanken schon an der Gare du Nord.
„Was kriegst du nicht raus?“, sagte er abwesend und verschloss seine Tür.
„Die Katze, die im Schuppen lebt. Du wusstest doch, dass sie Junge kriegt, oder?“
„Ich wusste nicht, dass im Schuppen eine Katze lebt, und es ist mir auch vollkommen egal.“
„Dann weißt du’s jetzt. Und es wird dir nicht egal sein, hombre. Sie hat bis jetzt erst drei rausgebracht. Eins ist tot, und zwei weitere stecken fest, ich kann ihre Köpfe spüren. Ich werde massieren und dabei sanft schieben, und du ziehst raus. Aber pass auf, fass nicht wie ein Schlächter zu, wenn du sie holst. So ein Kätzchen, das zerbricht dir unter den Fingern wie Keks.“
Finster und mit dringlichem Ausdruck stand Lucio da und kratzte seinen fehlenden Arm, indem er die Finger im Leeren bewegte. Er hatte oft erklärt, dass er damals, als er seinen Arm verlor, dort einen Spinnenbiss hatte und gerade dabei war, ihn zu kratzen. Aus diesem Grund juckte der Biss ihn noch nach neunundsechzig Jahren, weil er mir dem Kratzen nicht fertig gewesen war, es nicht gründlich hatte machen, nicht hatte vollenden können. Das war die neurologische Erklärung, die seine Mutter ihm geliefert hatte, sie war für Lucio mit der Zeit zur Philosophie schlechthin geworden und ließ sich auf jede Situation und jedes Gefühl anwenden. Man muss bis ans Ende gehen, oder gar nicht erst anfangen. Den Kelch bis zur Neige leeren, auch in der Liebe. Wenn also eine lebenswichtige Handlung ihn intensiv beschäftigte, kratzte Lucio seinen unterbrochenen Spinnenbiss.
„Lucio“, sagte Adamsberg etwas entschiedener, indem er den kleinen Garten durchquerte, „in eineinviertel Stunden geht mein Zug, mein Stellvertreter steht an der Gare du Nord und verzehrt sich vor Ungeduld, und ich werde jetzt nicht den Geburtshelfer bei deinem Katzenvieh spielen, während in London hundert Spitzenpolizisten auf mich warten. Sieh zu, wie du klarkommst, am Sonntag erzählst du mir dann alles.“
„Und wie willst du, dass ich hiermit klarkomme?“, schrie der Alte und hob seinen Armstumpf.
Lucio hielt Adamsberg mit seiner mächtigen Hand auf und reckte sein vorgeworfenes Kinn, das nach Meinung von Commandant Danglard eines Velázquez’ würdig gewesen wäre. Der Alte sah nicht mehr scharf genug, um sich korrekt zu rasieren, und manche Stoppeln entkamen seiner Klinge. Weiß und hart stachen sie hier und da aus seinem Gesicht und bildeten so etwas wie eine Dekoration aus silbrigen Dornen, die in der Sonne glänzten. Manchmal kriegte Lucio eine von ihnen zu fassen, klemmte sie resolut zwischen zwei Fingernägel und zog daran, als wenn er eine Zecke ausreißen würde. Und er gab nicht auf, bevor er sie nicht hatte, gemäß der Spinnenbiss-philosophie.
„Du kommst mit mir.“
„Lass mich in Ruhe, Lucio.“
„Du hast gar keine Wahl, hombre“, sagte Lucio düster. „Das kreuzt deinen Weg, du musst es wahrnehmen. Oder es wird dich dein Leben lang jucken. Es kostet dich ganze zehn Minuten.“
„Auch mein Zug kreuzt meinen Weg.“
„Der kreuzt hinterher.“
Adamsberg ließ seinen Koffer los und verfluchte seine Ohnmacht, während er Lucio zum Schuppen folgte. Ein klebriges, blutbeschmiertes Köpfchen zeigte sich zwischen den Hinterpfoten des Tieres. Unter den Anweisungen des alten Spaniers nahm er es behutsam in seine Hand, während Lucio mit professionellem Griff auf den Bauch drückte. Die Katze miaute fürchterlich.
„Zieh noch ein bisschen stärker, hombre, fass es unter den Pfoten und zieh! Entschlossen, aber sanft, und drück nicht den Schädel zusammen. Mit deiner anderen Hand kraul der Mutter die Stirn, sie ist in Panik.“
„Lucio, wenn ich jemandem die Stirn kraule, schläft er ein.“
„Joder! Zieh, verdammt!“
Sechs Minuten später legte Adamsberg zwei kleine rote, piepsende Ratten neben zwei andere auf eine alte Decke. Lucio schnitt ihnen die Nabelschnur durch und legte sie nacheinander an die Zitzen. Er warf einen besorgten Blick auf das klagende Muttertier.
„Wie war das mit deinen Händen? Womit bringst du die Leute in Schlaf?“
Adamsberg schüttelte bedauernd den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Wenn ich ihnen die Hand auf den Kopf lege, schlafen sie ein. Das ist alles.“
„So machst du es mit deinem Kind?“
„Ja. Es kommt auch vor, dass die Leute einschlafen, während ich mit ihnen rede. Ich habe schon Verdächtige während eines Verhörs eingeschläfert.“
„Dann mach das mit der Mutter. Apúrate! Mach, dass sie einschläft.“
„Großer Gott, Lucio, kriegst du das nicht in deinen Schädel rein, dass ich zum Zug muss?“
„Wir müssen die Mutter beruhigen.“
Adamsberg war die Katze egal, nicht aber der schwarze Blick, den der Alte ihm zuwarf. So streichelte er den – unglaublich weichen – Kopf der Katze, denn in der Tat, er hatte keine Wahl. Das Hecheln des Tieres kam zur Ruhe, während Adamsbergs Finger wie Kugeln von seinem Mäulchen zu seinen Ohren rollten. Lucio wiegte anerkennend den Kopf.
„Sie schläft, hombre.“
Adamsberg löste langsam seine Hand, wischte sie im feuchten Gras ab und entfernte sich im Rückwärtsgang.
Während er über den Bahnsteig der Gare du Nord lief, fühlte er, wie das Zeug zwischen seinen Fingern und unter den Nägeln hart wurde. Er hatte zwanzig Minuten Verspätung, Danglard kam mit eiligen Schritten auf ihn zu. Man hatte immer den Eindruck, dass Danglards Beine, die schlecht konstruiert waren, von den Knien abwärts in ihre Einzelteile zerfallen würden, wenn er zu rennen versuchte. Adamsberg hob die Hand, um seiner Eile wie auch seinen Vorwürfen Einhalt zu gebieten.
„Ich weiß“, sagte er. „Etwas hat meinen Weg gekreuzt, und ich musste zufassen, sonst hätte ich mich mein Leben lang kratzen müssen.“
Danglard war an Adamsbergs unverständliche Bemerkungen schon so gewöhnt, dass er sich selten die Mühe machte, Fragen zu stellen. Wie viele andere in der Brigade beachtete er sie kaum noch, wusste er doch zwischen Interessantem und Unwichtigem zu unterscheiden. Außer Atem wies er auf die Abfertigungshalle und machte kehrt. Während Adamsberg ihm in aller Gelassenheit folgte, versuchte er sich an die Farbe der Katze zu erinnern. Weiß mit grauen Flecken? Mit roten Flecken?
© Aufbau Verlag
Übersetzung: Waltraud Schwarze
Adamsberg strich mit dem Daumen über das Display seines Handys und löschte die Angst seines Stellvertreters, so wie man den Staub von einem Möbelstück wischt. Danglard war wenig geschaffen fürs Laufen, fürs Rennen, schon gar nicht fürs Reisen. Den Ärmelkanal im Tunnel zu durchqueren schreckte ihn ebenso wie ihn zu überfliegen. Dennoch hätte er niemandem seinen Platz abgetreten. Seit dreißig Jahren schwor der Commandant auf die Eleganz der englischen Kleidermode, er setzte darauf, um seinen natürlichen Mangel an Erscheinung zu kompensieren. Von dieser lebenswichtigen Option inspiriert, hatte er seine Dankbarkeit auf das übrige Vereinigte Königreich ausgedehnt und war zum Typus des anglophilen Franzosen schlechthin geworden, der die Liebenswürdigkeit der Manieren, das Taktgefühl der Engländer und ihren diskreten Humor bewunderte. Außer in Augenblicken, in denen er jede Zurückhaltung fahrenließ, worin der anglophile Franzose sich vom wahren Engländer unterscheidet. So freute ihn die Aussicht auf einen Aufenthalt in London, mit Migrationsströmen oder ohne. Blieb nur noch das Hindernis dieses verfluchten Tunnels zu überwinden, durch den er zum ersten Mal fuhr.
Adamsberg spülte seine Kaffeeschale aus, nahm seinen Koffer, wobei er sich fragte, was für ein Jackett mit was für einer Kraw Commandant Danglard für ihn ausgesucht haben mochte. Da schlug sein Nachbar, der alte Lucio, mit seiner schweren Faust an die verglaste Eingangstür, dass sie erzitterte. Der Spanienkrieg hatte ihm seinen linken Arm genommen, als er neun Jahre alt war, und es schien, als sei der rechte dementsprechend stärker geworden, um in sich allein die Spannweite und Kraft von zwei Händen zu vereinen. Das Gesicht an die Scheiben gepresst, sah er mit gebieterischem Blick zu Adamsberg herein.
„Komm mal rüber“, brummte er im Ton eines Befehls. „Sie kriegt sie nicht allein raus, ich brauch deine Hilfe.“
Adamsberg stellte seinen Koffer nach draußen in den verwilderten kleinen Garten, den er sich mit dem alten Spanier teilte.
„Ich muss für drei Tage nach London, Lucio. Ich helfe dir, wenn ich zurück bin.“
„Zu spät“, polterte der Alte. „Komm rüber.“
Und wenn Lucio polterte, mit seinen rollenden „r“ in der Stimme, erzeugte er ein so dumpfes Geräusch, dass es Adamsberg schien, als käme der Ton direkt aus der Erde. Er nahm seinen Koffer in die Hand, in Gedanken schon an der Gare du Nord.
„Was kriegst du nicht raus?“, sagte er abwesend und verschloss seine Tür.
„Die Katze, die im Schuppen lebt. Du wusstest doch, dass sie Junge kriegt, oder?“
„Ich wusste nicht, dass im Schuppen eine Katze lebt, und es ist mir auch vollkommen egal.“
„Dann weißt du’s jetzt. Und es wird dir nicht egal sein, hombre. Sie hat bis jetzt erst drei rausgebracht. Eins ist tot, und zwei weitere stecken fest, ich kann ihre Köpfe spüren. Ich werde massieren und dabei sanft schieben, und du ziehst raus. Aber pass auf, fass nicht wie ein Schlächter zu, wenn du sie holst. So ein Kätzchen, das zerbricht dir unter den Fingern wie Keks.“
Finster und mit dringlichem Ausdruck stand Lucio da und kratzte seinen fehlenden Arm, indem er die Finger im Leeren bewegte. Er hatte oft erklärt, dass er damals, als er seinen Arm verlor, dort einen Spinnenbiss hatte und gerade dabei war, ihn zu kratzen. Aus diesem Grund juckte der Biss ihn noch nach neunundsechzig Jahren, weil er mir dem Kratzen nicht fertig gewesen war, es nicht gründlich hatte machen, nicht hatte vollenden können. Das war die neurologische Erklärung, die seine Mutter ihm geliefert hatte, sie war für Lucio mit der Zeit zur Philosophie schlechthin geworden und ließ sich auf jede Situation und jedes Gefühl anwenden. Man muss bis ans Ende gehen, oder gar nicht erst anfangen. Den Kelch bis zur Neige leeren, auch in der Liebe. Wenn also eine lebenswichtige Handlung ihn intensiv beschäftigte, kratzte Lucio seinen unterbrochenen Spinnenbiss.
„Lucio“, sagte Adamsberg etwas entschiedener, indem er den kleinen Garten durchquerte, „in eineinviertel Stunden geht mein Zug, mein Stellvertreter steht an der Gare du Nord und verzehrt sich vor Ungeduld, und ich werde jetzt nicht den Geburtshelfer bei deinem Katzenvieh spielen, während in London hundert Spitzenpolizisten auf mich warten. Sieh zu, wie du klarkommst, am Sonntag erzählst du mir dann alles.“
„Und wie willst du, dass ich hiermit klarkomme?“, schrie der Alte und hob seinen Armstumpf.
Lucio hielt Adamsberg mit seiner mächtigen Hand auf und reckte sein vorgeworfenes Kinn, das nach Meinung von Commandant Danglard eines Velázquez’ würdig gewesen wäre. Der Alte sah nicht mehr scharf genug, um sich korrekt zu rasieren, und manche Stoppeln entkamen seiner Klinge. Weiß und hart stachen sie hier und da aus seinem Gesicht und bildeten so etwas wie eine Dekoration aus silbrigen Dornen, die in der Sonne glänzten. Manchmal kriegte Lucio eine von ihnen zu fassen, klemmte sie resolut zwischen zwei Fingernägel und zog daran, als wenn er eine Zecke ausreißen würde. Und er gab nicht auf, bevor er sie nicht hatte, gemäß der Spinnenbiss-philosophie.
„Du kommst mit mir.“
„Lass mich in Ruhe, Lucio.“
„Du hast gar keine Wahl, hombre“, sagte Lucio düster. „Das kreuzt deinen Weg, du musst es wahrnehmen. Oder es wird dich dein Leben lang jucken. Es kostet dich ganze zehn Minuten.“
„Auch mein Zug kreuzt meinen Weg.“
„Der kreuzt hinterher.“
Adamsberg ließ seinen Koffer los und verfluchte seine Ohnmacht, während er Lucio zum Schuppen folgte. Ein klebriges, blutbeschmiertes Köpfchen zeigte sich zwischen den Hinterpfoten des Tieres. Unter den Anweisungen des alten Spaniers nahm er es behutsam in seine Hand, während Lucio mit professionellem Griff auf den Bauch drückte. Die Katze miaute fürchterlich.
„Zieh noch ein bisschen stärker, hombre, fass es unter den Pfoten und zieh! Entschlossen, aber sanft, und drück nicht den Schädel zusammen. Mit deiner anderen Hand kraul der Mutter die Stirn, sie ist in Panik.“
„Lucio, wenn ich jemandem die Stirn kraule, schläft er ein.“
„Joder! Zieh, verdammt!“
Sechs Minuten später legte Adamsberg zwei kleine rote, piepsende Ratten neben zwei andere auf eine alte Decke. Lucio schnitt ihnen die Nabelschnur durch und legte sie nacheinander an die Zitzen. Er warf einen besorgten Blick auf das klagende Muttertier.
„Wie war das mit deinen Händen? Womit bringst du die Leute in Schlaf?“
Adamsberg schüttelte bedauernd den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Wenn ich ihnen die Hand auf den Kopf lege, schlafen sie ein. Das ist alles.“
„So machst du es mit deinem Kind?“
„Ja. Es kommt auch vor, dass die Leute einschlafen, während ich mit ihnen rede. Ich habe schon Verdächtige während eines Verhörs eingeschläfert.“
„Dann mach das mit der Mutter. Apúrate! Mach, dass sie einschläft.“
„Großer Gott, Lucio, kriegst du das nicht in deinen Schädel rein, dass ich zum Zug muss?“
„Wir müssen die Mutter beruhigen.“
Adamsberg war die Katze egal, nicht aber der schwarze Blick, den der Alte ihm zuwarf. So streichelte er den – unglaublich weichen – Kopf der Katze, denn in der Tat, er hatte keine Wahl. Das Hecheln des Tieres kam zur Ruhe, während Adamsbergs Finger wie Kugeln von seinem Mäulchen zu seinen Ohren rollten. Lucio wiegte anerkennend den Kopf.
„Sie schläft, hombre.“
Adamsberg löste langsam seine Hand, wischte sie im feuchten Gras ab und entfernte sich im Rückwärtsgang.
Während er über den Bahnsteig der Gare du Nord lief, fühlte er, wie das Zeug zwischen seinen Fingern und unter den Nägeln hart wurde. Er hatte zwanzig Minuten Verspätung, Danglard kam mit eiligen Schritten auf ihn zu. Man hatte immer den Eindruck, dass Danglards Beine, die schlecht konstruiert waren, von den Knien abwärts in ihre Einzelteile zerfallen würden, wenn er zu rennen versuchte. Adamsberg hob die Hand, um seiner Eile wie auch seinen Vorwürfen Einhalt zu gebieten.
„Ich weiß“, sagte er. „Etwas hat meinen Weg gekreuzt, und ich musste zufassen, sonst hätte ich mich mein Leben lang kratzen müssen.“
Danglard war an Adamsbergs unverständliche Bemerkungen schon so gewöhnt, dass er sich selten die Mühe machte, Fragen zu stellen. Wie viele andere in der Brigade beachtete er sie kaum noch, wusste er doch zwischen Interessantem und Unwichtigem zu unterscheiden. Außer Atem wies er auf die Abfertigungshalle und machte kehrt. Während Adamsberg ihm in aller Gelassenheit folgte, versuchte er sich an die Farbe der Katze zu erinnern. Weiß mit grauen Flecken? Mit roten Flecken?
© Aufbau Verlag
Übersetzung: Waltraud Schwarze
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Autoren-Porträt von Fred Vargas
Fred Vargas, geboren 1957 und von Haus aus Archäologin. Sie ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin und eine Schriftstellerin von Weltrang, übersetzt in 40 Sprachen. Sie erhielt für "Fliehe weit und schnell" den Deutschen Krimipreis, für ihr Gesamtwerk wurde sie mit dem Europäischen Krimipreis ausgezeichnet.Bei Aufbau liegen in Übersetzung vor:Die schöne Diva von Saint-Jacques, Der untröstliche Witwer von Montparnasse, Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord, Bei Einbruch der Nacht, Das Orakel von Port-Nicolas, Im Schatten des Palazzo Farnese, Fliehe weit und schnell, Der vierzehnte Stein, Vom Sinn des Lebens, der Liebe und dem Aufräumen von Schränken, Die dritte Jungfrau, Die schwarzen Wasser der Seine, Das Zeichen des Widders, Der verbotene Ort, Die Tote im Pelzmantel, Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben Schwarze, WaltraudWaltraud Schwarze studierte Romanistik und Bibliothekswissenschaft, betreute über 30 Jahre im Aufbau Verlag die Literatur aus den romanischen Sprachen und entdeckte Fred Vargas für den deutschen Buchmarkt. Sie lebt als Übersetzerin und freie Lektorin in Berlin. 2009 wurde Waltraud Schwarze vom französischen Ministerium für Kultur und Kommunikation zum Chevalier dans l'ordre des Arts et des Lettres / Ritter im Orden Arts et Lettres ernannt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Fred Vargas
- 2010, 8. Aufl., 423 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Waltraud Schwarze
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746626447
- ISBN-13: 9783746626444
- Erscheinungsdatum: 23.07.2010
Rezension zu „Der verbotene Ort / Kommissar Adamsberg Bd.8 “
»So muss ein Krimi sein: geprägt von starken Charakteren und unverwechselbaren Geschichten.« Franz Schmider Badische Zeitung 20090919
Pressezitat
»So muss ein Krimi sein: geprägt von starken Charakteren und unverwechselbaren Geschichten.« Franz Schmider Badische Zeitung 20090919
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