Die Augen des Schmetterlings
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Allmählich jedoch bemerkt Agneta, dass über der Familie ein beängstigendes Geheimnis liegt. Wachsam, wie einst ihre Ahnen im tiefen Winter des Nordens es waren, wenn Wölfe die Zelte umschlichen und böse Nachtgeister Unfrieden verbreiteten, besinnt sich Agneta auf die magische Weisheit des Sami-Volkes, mit der ihre Großmutter sie einst vertraut machte. Es bedarf all ihres Wissens, um das drohende Unheil von dem Menschen abzuwenden, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebt ...
Allmählich jedoch bemerkt Agneta, dass über der Familie ein beängstigendes Geheimnis liegt. Wachsam, wie einst ihre Ahnen im tiefen Winter des Nordens es waren, wenn Wölfe die Zelte umschlichen und böse Nachtgeister Unfrieden verbreiteten, besinnt sich Agneta auf die magische Weisheit des Sami-Volkes, mit der ihre Großmutter sie einst vertraut machte. Es bedarf all ihres Wissens, um das drohende Unheil von dem Menschen abzuwenden, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebt ...
Die Augendes Schmetterlings von Fredericade Cesco
LESEPROBE
Ich betrachte mich oft im Spiegel, nicht aus Eitelkeit,sondern aus Neugierde. Meine Vorfahren waren Samen, jenes Volk im Hohen Norden,das noch vor hundert Jahren in »Lavvo« - in Stangenzelten - lebte. Ich trageihr Erbe in mir; es prägt meine äußere Erscheinung. In meinem Gesicht erkenneich Lailas Augen, die ohne zu blinzeln das Sonnenlicht ertragen; ich seheReidars harte Wangen, sein starkes Kinn. Und auch Henriks dunkles Haar, dieetwas stumpfe Nase, den sinnlichen Mund. Ich beschreibe mich wie die Bilder,die ich oft auf den Zeitschriftenseiten sah: grüne Augen, fein geformte Züge,über die das Licht rinnt wie Wasser, eine auffallend gewölbte Stirn. Dochwomöglich trägt mein Gesicht noch andere, geheimnisvollere Spuren? Ich weißes, ich habe sie gesehen.
Ich muss noch betonen, dass ich mich nie als schönempfunden habe, höchstens als fotogen, was etwas anderes ist. Henrik war schön.Aber Henriks Knochen sind in Grotten gefangen, wo sie der langsame Strombewegt. Wenn das Licht für Augenblicke herunterflutet, mag geschehen, dass sieleuchten. Ich darf mich nicht zu oft diesem Bild überlassen. Vielleicht sind eslängst keine Menschenknochen mehr.
Ich bin in Helsinki geboren und aufgewachsen. Von unseren Erkerfensternaus blickten wir auf die Johanneskirche und den Observatoriumspark. DerStadtteil Eira mit seinen viel bewunderten Jugendstilbauten gehört heute zu den»noblen« Vierteln. Die Wohnungen sind nahezu unerschwinglich. 1948 jedoch,nach der Unterzeichnung des Freundschaftspaktes mit der ehemaligenSowjetunion, standenviele Häuser leer. Zu unpraktisch, zu geschnörkelt. Bröckelnde Stukkaturen,rostige Rohre, zu hohe Fenster, die kaum vor der Kälte schützen, zersprungeneSteinfliesen und abgewetztes Parkett. Die Eltern meines Vaters Juhani hattenGeschmack. Sie wussten, was früher schön war und in besseren Zeiten wiederschön werden konnte. Sie kauften die Wohnung zu einem Spottpreis und fandensich mit dem Mangel an Bequemlichkeit ab. Geld war nicht viel da, die Renovierungsarbeitendauerten Jahre. Vieles machte mein Großvater in seiner Freizeit selbst. MattiPacius - so hieß er - kam aus einer Architektenfamilie, die ihr Vermögen imZweiten Weltkrieg verloren hatte. Einer seiner Vorfahren war Fredrik Pacius,der die erste finnische Oper komponierte und unsere Nationalhymne vertonte. Einaltes Foto zeigt Matti als Kind bei einem Gartenfest neben dem berühmten JeanSibelius, der eine so schlechte Meinung von der Welt hatte, dass er seinletztes zu Papier gebrachtes Musikstück kurzerhand vernichtete. EineSymphonie, die kein menschliches Ohr jemals hören würde.
Ursprünglichwollte Juhani Opernsänger werden. Er war ein guter Bariton, aber keinhervorragender; bald hatte er sich der Regie zugewandt und damit seinenLebensinhalt gefunden. Seit 1990 war er an der Finnischen Nationaloperengagiert. Dadurch schien es fast, als habe er kein Privatleben. DieUnaufhörlichkeit seiner Arbeit hatte meiner Mutter zunehmend zu schaffengemacht und war auch der Grund ihrer allmählichen Entfremdung. Während Juhaniein Werk inszenierte, arbeitete er zwischen den Proben das nächste aus, eindrittes, meist noch ein viertes, fünftes, hatte er bereits im Kopf. WasSchriftsteller in Sprache ausdrücken, Filmemacher in Bildern, formulierteJuhani in musikalischen Vorgängen auf der Bühne. Sie waren so etwas wie eineMuttersprache. Sein Kopf war so beschaffen, dass jede Sache, die ihnbeschäftigte, sogleich und unfehlbar in seinen Werken ihren Ausdruck fand.Henrik wäre nach ihm gekommen, das weiß ich mit großer Bestimmtheit. IhreÄhnlichkeit war verwirrend; die Art, wie sie sprachen, wie sie lachten, sichbewegten. Und auch die sensiblen Hände, der leicht gequälte Ausdruck im Gesicht.Aber Henrik hatte das Strahlen eines Zwölfjährigen und würde es auf ewig bewahren.
Vielleichthatte auch ich diese Art, die Welt zu sehen, als ob jeder Augenblick im Werdenbegriffen sei, als sei ich nie ganz dort, wo man mich sah, als wäre ichanderswo, weiter als das Auge reicht. Auf den Bildern, die damals von mirgemacht wurden, blickte ich den Fotografen niemals richtig an; ich blicktewoandershin, als sähe ich etwas Gestalt annehmen. Das fiel mir erst später auf,Jahre danach, als ich Danjiro die Fotos von früher zeigte. Genauer gesagt, wares Danjiro, der diese Eigenart bemerkte; mir selbst war sie nie aufgefallen.Inger - meine Mutter - hasste Tagträume jeglicher Art, obwohl sie es war, diedas unruhige Blut in die Familie brachte. Doch sie wandte sich ab von dergroßen Verworrenheit dieser unsichtbaren Welt, sie tat Buße für die Sünden derVorfahren, verließ sich auf die Gnade Gottes. Die Welt der Bibel zumindest warsolide. Sie zitierte mit Vorliebe Lars Levi Lästadius, den Bekehrer der Samen:
»Wenn eineKuh, ein Schaf oder ein Rentier stirbt, trauert ihr. Aber ihr fühlt wederTrauer noch Kummer über euer elendes Leben.«
Sie machteeine kaufmännische Lehre, arbeitete sich empor, wurde Einkäuferin beiStockmann. Sie entwickelte dabei einen guten Spürsinn für den Zeitgeist undhatte Erfolg. Damit stand sie fest draußen in der wirklichen Welt undbeobachtete mich, mit Groll im Herzen. Etwas konnte sie jedoch nicht ändern:ihre Art, den Rücken straff zu halten, den Kopf hoch erhoben. Sie schrittschnell und elastisch aus, drehte dabei die Füße leicht einwärts und schob dasHüftgelenk vor. Es war der typische Gang der Nomaden, den auch ich hatte. Diessagte ich ihr aber nicht. Es hätte ihr keine Freude gemacht.
Nein, ichkonnte nicht, wie Inger, die unsichtbare Welt vergessen, sie war ja ein Teilvon mir. Und weil sie mir entrissen wurde, suchte ich sie zunächst im Zwielichtder Theaterräume, dort, wo meine Augen von ihr nichts wahrnahmen, sie aberständig zu spüren war, wie ein unsichtbarer Flügelschlag, ein Schatten, dasEcho eines Echos ...
© 2005 byBlanvalet Verlag, München
- Autor: Federica De Cesco
- 2005, 2. Aufl., 445 Seiten, Maße: 16 x 23,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 376450191X
- ISBN-13: 9783764501914
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