Die Bancroft-Strategie
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Nach einem gescheiterten Auftrag muss Agent Todd Belknap den Dienst quittieren. Kurz darauf wird im Libanon sein Kollege und bester Freund entführt. Als sich die Regierung weigert, mit den Entführern in Verhandlung zu treten, nimmt Belknap die Sache selbst in die Hand. Eine Entscheidung, die er bald bereuen wird.
Todd Belknaps Spürsinn ist legendär. Als Geheimagent des amerikanischen Außenministeriums wird er auf Zielpersonen angesetzt, die als unauffindbar gelten. Belknaps Bilanz kann sich sehen lassen, doch plötzlich verlässt ihn sein Geschick. Um seine Tarnung nicht zu verlieren, lässt er eigenmächtig eine geheime Operation platzen. Belknap wird vom Dienst suspendiert. Gleichzeitig erfährt er, dass sein Partner Jared Rinehart entführt wurde. Er wird in der Hand von Terroristen vermutet, die für ihre Brutalität und Grausamkeit berüchtigt sind. Aus diplomatischen Gründen weigert sich die Regierung einzuschreiten. Mit jeder Minute, die verstreicht, schwinden die Chancen, dass Jared Rinehart überlebt. Für Todd Belknap gibt es nur einen Weg: Er wird seinen Freund dort rausholen, auch wenn er dafür mit dem Leben bezahlen muss.
Die Bancroft Strategie von Robert Ludlum
Prolog
Ostberlin, 1987
Es regnete noch nicht, aber der bleigraue Himmel würde seine Schleusen bald öffnen. Sogar die Luft wirkte erwartungsvoll, wie von banger Vorahnung erfüllt. Der junge Mann querte von Unter den Linden zum Marx-Engels-Forum, auf dem die riesigen Bronzestatuen der teutonischen Väter des Sozialismus in Richtung Stadtmitte blickten, ihre blinden Augen starr und eindringlich. Hinter ihnen war auf Steinfriesen das frohe Leben des Menschen im Kommunismus dargestellt. Noch immer kein Tropfen Regen. Aber der würde bald kommen. Binnen Kurzem würde es einen Wolkenbruch geben. Das ist eine historische Unvermeidbarkeit, dachte der Mann, indem er sich trübsinnig an den sozialistischen Jargon erinnerte. Er war ein Jäger, der seiner Beute nachspürte, und er war ihr näher als je zuvor. Deshalb war es umso wichtiger, die nervöse Spannung zu verbergen, die in ihm aufstieg.
Er sah aus wie Millionen andere in diesem selbst ernannten Paradies der Werktätigen. Seine Kleidung stammte aus dem Centrum Warenhaus, dem riesigen Kaufhaus am Alexanderplatz. So sichtbar billig hergestellte Kleidungsstücke waren nicht überall erhältlich. Dass er wie ein einfacher Ostberliner Arbeiter aussah, war jedoch nicht nur
Ein Adrenalinschub ließ seine Haut kribbeln. Er bildete sich ein, die Schritte hinter sich schon einmal gehört zu haben, als er die Karl-Liebknecht-Straße entlanggelatscht war. Ihr Rhythmus kam ihm bekannt vor.
Alle Schritte waren gleich; trotzdem waren alle unterschiedlich: Es gab Variationen in Körpergröße und Schrittlänge, Variationen in Bezug auf die Schuhsohlen. Schritte sind die Solfeggien, die Tonleitern der Großstadt, hatte einer von Belknaps Ausbildern ihm erklärt: so alltäglich, dass sie gar nicht mehr wahrgenommen werden, aber für ein geübtes Ohr trotzdem so charakteristisch, dass sie wie einzelne Stimmen unterschieden werden konnten. Hatte Belknap diese Unterscheidung richtig getroffen?
Die Möglichkeit, er könnte beschattet werden, war etwas, das er sich nicht leisten konnte. Er musste sich getäuscht haben. Oder er musste etwas dagegen tun.
Bereits als junger Mitarbeiter des als Consular Operations getarnten ultrageheimen Dienstes des US-Außenministeriums hatte sich Todd Belknap damit einen Namen gemacht, dass er Männer aufspürte, die untergetaucht bleiben wollten. Wie die meisten Fährtensucher arbeitete er allein am besten. Lautete der Auftrag, einen Mann zu überwachen, war ein Team – je größer, desto besser – optimal. Aber ein Mann, der verschwunden war, ließ sich nicht unter herkömmliche Überwachung stellen. In solchen Fällen wurden sämtliche Ressourcen der Organisation in den Dienst der Fahndung gestellt; das verstand sich von selbst. Aber die Chefs von Cons Ops hatten längst die Erfahrung gemacht, dass es auch zweckmäßig sein konnte, einen einzelnen hochbegabten Feldagenten auf den Gesuchten anzusetzen. Ihm zu gestatten, die Welt allein zu durchstreifen, ohne durch ein kostspieliges Gefolge behindert zu werden. Mit der Freiheit, seinen Intuitionen, seinem Spürsinn zu folgen.
Dem Spürsinn, der ihn – wenn alles klappte – vielleicht zu seiner Beute führen würde: einem übergelaufenen amerikanischen Agenten namens Richard Lugner. Nachdem Belknap schon Dutzende von falschen Fährten verfolgt hatte, war er sich jetzt sicher, die richtige Witterung aufgenommen zu haben.
Aber befand sich jemand auf seiner Fährte? Wurde jetzt dem Spürhund nachgespürt?
Sich plötzlich umzudrehen wäre verdächtig gewesen. Statt- dessen blieb er stehen, täuschte ein Gähnen vor und sah sich um, als betrachte er die riesigen Statuen, während er sich in Wirklichkeit bereithielt, jeden in seiner unmittelbaren Nähe blitzschnell einzuschätzen.
Er sah jedoch niemanden. Einen sitzenden Marx aus Bronze, einen stehenden Engels: beide massiv, über mit Grünspan überzogenen Bärten düster dreinblickend. Zwei Reihen Lindenbäume. Eine schlecht gepflegte große Rasenfläche. Und jenseits des Platzes ein missgestalteter, lang gestreckter kupferfarbener Glaskasten: der sogenannte Palast der Republik. Der sargförmige Klotz schien dafür erbaut zu sein, den menschlichen Geist lebendig zu begraben. Das Forum mit den beiden Denkmälern wirkte menschenleer.
Das war kaum beruhigend – aber war er sich seiner Sache in Bezug auf die angeblich gehörten Schritte wirklich sicher? Anspannung, das wusste Belknap, konnte dem Verstand alles Mögliche vorgaukeln, bis er Kobolde in den Schatten zu sehen glaubte. Er musste seine Besorgnis unterdrücken: Ein übermäßig aufgeregter und nervöser Agent neigte zu Fehleinschätzungen und übersah womöglich reale Gefahren, während er durch eingebildete abgelenkt wurde.
Belknap ging impulsiv auf den heimtückischen Schimmer des Palasts der Republik – des Vorzeigebaus des Regimes – zu. Das Gebäude war nicht nur Sitz der DDR-Volkskammer, sondern enthielt auch Veranstaltungsräume, Restaurants und zahlreiche bürokratische Einrichtungen, die zahlreiche bürokratische An- träge bearbeiteten. Es war der letzte Ort, an dem jemand es wagen würde, ihn zu beschatten; der letzte Ort, den ein Ausländer zu betreten wagen würde – und der erste Ort, der Belknap einfiel, an dem er sich vergewissern konnte, dass er so unbeobachtet war, wie er hoffte. Das konnte ein genialer Entschluss sein ... oder ein Anfängerfehler. Was es war, würde er bald wissen. Er zwang sich dazu, gelangweilt selbstgenügsam zu wirken, als er die Wachposten am Eingang passierte, die mit versteinerten Mienen ausdruckslos seinen abgenutzten Personalausweis kontrollierten. Er ging durch das sperrige Drehkreuz in den lang gestreckten äußeren Eingangsbereich, in dem es nach einem Desinfektions- mittel roch, und unter den endlosen Verzeichnissen von Dienststellen und Büros hindurch, die wie die Ankunfts- und Abflug- anzeigen auf Flughäfen von der Decke herabhingen. Du darfst nicht stehen bleiben, darfst dich nicht umsehen; verhältst du dich, als wüsstest du, was du tust, vermuten andere, dass du’s weißt. Belknap konnte für einen ... für wen gehalten werden? Für einen kleinen Büroangestellten, der von einem späten Mittagessen zurückkam? Für einen Ostberliner, der einen Gebrauchtwagen umschreiben lassen wollte? Er bog um eine Ecke, dann um noch eine, bis er die Ausgänge des Gebäudes erreichte, die auf den Alexanderplatz hinausführten.
Er ließ den Palast hinter sich und studierte die Bilder der Figuren, die von der verspiegelten Fassade des Gebäudes zurück- geworfen wurden: ein schlaksiger Kerl mit Arbeitsschuhen und einem uralten Rucksack. Eine vollbusige Blondine mit verquollenen Augen in einem verkaterten Gesicht. Zwei blasse Bürokraten, deren Teint zu ihren grauen Anzügen passte. Niemand, den er wiedererkannte; niemand, der Besorgnis in ihm auslöste.
Belknap ging zur Karl-Marx-Allee, der bekannten großen Avenue des stalinistischen Neoklassizismus, weiter. Entlang ihrer extrabreiten Fahrbahnen standen siebenstöckige Gebäude – eine endlose Folge von cremeweißen Keramikkacheln, hohen Flügelfenstern und langen Reihen von Balustraden im römischen Stil über den Geschäften im Erdgeschoss. In regelmäßigen Abständen waren auf Zierkacheln glückliche Arbeiter wie jene dargestellt, die hier vor dreieinhalb Jahrzehnten die Gebäude entlang der Stalinallee errichtet hatten. Wenn Belknaps Gedächtnis ihn nicht trog, waren es genau diese Arbeiter gewesen, die am 17. Juni 1953 den Aufstand gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung angeführt hatten – einen Aufstand, den sowjetische Panzer brutal unter- drückt hatten. Der von Stalin bevorzugte »Zuckerbäckerstil« war in der Tat bitter für jene gewesen, die ihn hatten backen müssen. Diese Prachtstraße war eine schöne Lüge.
Richard Lugner dagegen war eine hässliche. Lugner hatte sein Land verkauft, und das nicht gerade billig. Die osteuropäischen Tyrannen, das hatte Lugner sehr gut erkannt, waren nie verzweifelter gewesen als jetzt, wo ihre Zeit ablief, und ihre Verzweiflung entsprach seiner Geldgier. Die amerikanischen Geheimnisse, die er zum Kauf anbot, darunter auch die Namen der amerikanischen Maulwürfe in ihren eigenen Sicherheitsapparaten, die nach sowjetischem Vorbild organisiert waren, konnten sie unmöglich ausschlagen. Durch seinen Verrat bot sich ihnen eine seltene Chance. Er schloss separate Vereinbarungen mit allen Ostblockstaaten ab. Sobald die »Ware« geprüft und für gut befunden worden war – vielleicht die Identität eines Informanten der Amerikaner, der sorgfältig überwacht wurde, bevor er verhaftet, gefoltert und hingerichtet wurde –, konnte Lugner seinen Preis selbst festsetzen.
Nicht jeder Händler bewahrt sich ein gutes Verhältnis zu seinen Kunden, aber Lugner hatte offenbar Vorsorge getroffen: Er musste seinen Abnehmern suggeriert haben, er habe noch ein paar Trümpfe im Ärmel und sein Vorrat an amerikanischen Geheimnissen sei längst nicht erschöpft.
© Heyne Verlag
Übersetzung: Wulf Bergner
Robert Ludlum erreichte mit seinen Romanen, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, weltweit eine Auflage von über 300 Millionen Exemplaren. Robert Ludlum verstarb im März 2001. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.
- Autor: Robert Ludlum
- 2009, 655 Seiten, Maße: 11,7 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Bergner, Wulf
- Übersetzer: Wulf Bergner
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453433645
- ISBN-13: 9783453433649
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