Die Bienenhüterin
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Sie findet Unterschlupf bei drei Schwestern, die ihr Liebe, Halt und Geborgenheit geben. Da steht eines Tages ihr Vater am Gartentor.
Die Bienenhüterin von Sue Monk Kidd
LESEPROBE
Die Königin verkörpert die einigendeKraft der Gemeinschaft.
Entfernt man sie aus dem Bienenkorb,spüren die Arbeitsdrohnen
ihre Abwesenheit sehr rasch. Schonnach einigen
wenigen Stunden zeigt ihr Verhalteneindeutige Anzeichen
dafür, dass die Königin fehlt.
KAPITEL 1
Nachts lag ich im Bett und schautezu, wie die Bienen durch
die Spalten in der Wand meinesSchlafzimmers schlüpften
und in Kreisen durch mein Zimmerflogen, sie machten ein
Geräusch wie Propeller, ein ganzhohes Sssssssss, das dicht
um mich herum summte. Ich sah ihreFlügel im Dunkeln wie
kleine Chromteilchen schimmern und spürte in mir eine unbestimmte
Sehnsucht aufsteigen. Dass dieBienen einfach so herumflogen,
ohne nach einer einzigen Blume zusuchen, allein,
um den Wind unter ihren Flügeln zuspüren, das hat mich bis
in die Tiefe meines Herzens berührt.
Tagsüber hörte ich zu, wie sie sichGänge durch die Wände
meines Zimmers bohrten, es klang,als würde im Nebenzimmer
ein Radio rauschen, und ich stelltemir vor, wie sie die
Wände von innen in Honigwabenverwandelten, aus denen
satter Honig tropft, von dem ichdann kosten dürfte.
Die Bienen kamen im Sommer 1964, eswar der Sommer, in
dem ich vierzehn Jahre alt wurde undvon dem an mein Leben
eine neue Wendung nahm, und damitmeine ich eine völlig
neue Wendung. Aus heutiger Sicht kommt es mir vor,als wären
mir die Bienen gesandt worden. Ichwill damit sagen, sie
erschienen mir, so wie der ErzengelGabriel die Jungfrau
Maria heimsuchte. Die Bienen setzteneine Kette von Ereignissen
in Gang, von denen ich niemals zuträumen gewagt hätte.
Ich weiß, es ist vermessen, meinkleines unbedeutendes Leben
mit dem ihren zu vergleichen, aberich habe guten Grund
zu glauben, dass sie nichts dagegenhätten - aber dazu komme
ich später. Im Moment will ich nurso viel sagen: Trotz allem,
was in diesem Sommer geschehen ist,hege ich für die Bienen
nur gute Gefühle.
1. Juli 1964, ich liege im Bett undwarte darauf, dass die Bienen
kommen, und denke an das, was Rosaleen gesagt hatte,
als ich ihr von den nächtlichenBesuchen erzählt hatte.
»Bienen schwärmen, bevor jemandstirbt«, hatte sie gesagt.
Rosaleen arbeitete für uns, seit meineMutter gestorben
war. Mein Daddy - den ich T. Raynannte, weil »Daddy« einfach
nicht zu ihm passte - hatte sie ausder Pfirsichplantage
geholt, in der sie als Pflückeringearbeitet hatte. Sie hatte ein
großes, rundes Gesicht, und ihrKörper sah aus wie ein Zelt,
das sackartig von ihrem Halsherabhing, und sie war schwarz
wie die Nacht. Sie lebte ganzalleine in einem kleinen Haus,
das tief im Wald kauerte, gar nichtso weit weg von uns. Sie
kam jeden Tag, um zu kochen, zuwaschen und um meine Ersatzmutter
zu sein. Rosaleenhatte nie ein eigenes Kind gehabt,
und so war ich in den letzten zehnJahren ihr Versuchskaninchen
gewesen.
Bienen schwärmen, bevor jemandstirbt. Sie hatte immer
jede Menge verrückter Ideen im Kopf,denen ich sonst nicht
groß Beachtung schenkte, aber jetztlag ich doch wach und
dachte über diesen Satz nach undfragte mich, ob die Bienen
gekommen waren, um mich zu töten.Dieser Gedanke machte
mir gar nichts aus, ehrlich nicht.Die Bienen hätten sich alle
auf mir nieder lassen können, jededabei so sanft wie ein Engel,
und mich totstechenkönnen, und es wäre nicht einmal
das Schlimmste gewesen. Die Leute,die glauben, dass der Tod
das Schrecklichste ist, haben keine Ahnung vom Leben.
Meine Mutter starb, als ich vierJahre alt war. Das war nun
mal so, aber immer, wenn ich auf dasThema kam, interessierten
sich die Leute plötzlich für ihreeingewachsenen Nägel
oder ihre Nagelhaut, oder aber siestarrten einfach in die Luft.
Mich schienen sie überhaupt nicht zuhören. Nur dann und
wann sagte eine mitfühlende Seele:»Denk nicht weiter darüber
nach, Lily. Es war doch ein Unfall.Du hast es ja nicht mit
Absicht getan.«
In jener Nacht lag ich also im Bettund dachte über das Sterben
nach und dass ich zu meiner Mutterins Paradies kommen
würde. Ich würde zu ihr gehen undsagen: »Mutter, verzeih
mir. Bitte verzeih mir.« Und sie würde meine Haut so lange küssen,
bis sie unter ihren Küssen ganz rauwürde, und sie würde
mir sagen, dass mich keine Schuldtrifft. Das würde sie mir
während der ersten zehntausend Jahreimmer wieder sagen.
In den nächsten zehntausend Jahrenwürde sie mir dann
mein Haar zurechtmachen. Sie würdees bürsten, und es würde
so schön sein, dass alle Leute imHimmel ihre Harfen weglegen
würden, nur um mein Haar zubewundern. An den Haaren
eines Mädchens kann man sehen, ob esnoch eine Mutter hat.
Mein Haar stand immer vom Kopf ab,in alle Himmelsrichtungen,
und natürlich weigerte sich T. Ray,mir Lockenwickler zu
kaufen. Ein ganzes Jahr lang mussteich mir leere Saftdosen ins
Haar wickeln, weshalb ich unterständiger Schlaflosigkeit litt.
Ich hatte immer nur die Wahlzwischen einer halbwegs akzeptablen
Frisur bei Tage oder ungestörtemNachtschlaf.
Ich beschloss, dass ich mir vier oderfünf Jahrhunderte lang
Zeit nehmen würde, um ihr zuerzählen, wie entsetzlich es
wirklich war, bei T. Ray zu leben.Missmutig war er ja das ganze
Jahr über, aber im Sommer, wenn ervon morgens bis
abends in der Pfirsichplantagearbeitete, wurde es besonders
schlimm. Ich ging ihm meistens ausdem Weg. Nett war er nur
zu Snout,seinem Spürhund, der in seinem Bett schlafen durfte
und dem er immer den Bauch kraulte,sobald sich der Hund
auf seinen drahtigen Rücken rollte.Einmal habe ich sogar gesehen,
wie Snoutauf T. Rays Stiefel pinkelte, und er hat noch
nicht einmal mit der Wimper gezuckt!
Ich habe Gott immer wieder gebeten,etwas wegen T. Ray
zu unternehmen. Vierzig Jahre langist er zur Kirche gegangen,
aber er wurde nur noch schlimmer.Ich finde, das sollte
Gott doch eigentlich zu denkengeben.
Ich schlug die Laken zurück. ImZimmer war es vollkommen
ruhig, nicht eine einzige Biene,nirgendwo. Jede Minute
sah ich auf die Uhr an meinemNachttisch und fragte mich, wo
sie wohl blieben.
Endlich, kurz vor Mitternacht, alsmir vor lauter Anstrengung
die Augenlider beinahe zugefallenwären, setzte drüben
in der Ecke ein schnurrendesGeräusch ein, dunkel und vibrierend,
es klang fast, als käme es von einerKatze. Wenige Momente
später huschten Schatten über dieWand. Wenn sie am
Fenster vorbeikamen, fiel Licht aufsie, und ich konnte die
Umrisse ihrer Flügel sehen. DasGeräusch schwoll im Dunkel
an, bis das ganze Zimmer pulsierte,bis die Luft bebte und vibrierte,
schwer und voll von Bienen. Sieflogen um mich herum,
mein Körper lag mitten in dieserwirbelnden Wolke. Ich konnte
nicht einmal mehr klar denken, solaut summten die Bienen.
Ich presste die Fingernägel gegendie Handflächen, bis sich
auf meiner Haut tiefe Rillenabzeichneten. In einem Raum
voller Bienen kann ein Mensch so gutwie zu Tode gestochen
werden.
Und dennoch, das war einunglaublicher Anblick. Auf einmal
konnte ich es nicht mehr aushalten,ich musste das jemandem
zeigen, selbst wenn der einzigeMensch in meiner Nähe T.
Ray war. Und sollte er von Hundertenvon Bienen gestochen
werden, na ja, das täte mir dannwohl Leid.
Ich schlüpfte aus dem Bett undstürzte zur Tür, mitten
durch die Bienen hindurch. Ichweckte ihn auf, indem ich seinen
Arm mit einem Finger berührte, erstganz sachte, dann
immer fester, bis ich schließlichmeinen Finger in seinen Arm
stieß und staunte, wie hart er sichanfühlte.
T. Ray sprang aus dem Bett, er hattenur seine Unterwäsche
an. Ich zerrte ihn zu meinem Zimmer,während er brüllte, wehe,
wenn sich das nicht lohnt, wehe,wenn nicht wenigstens
das verdammte Haus in Flammen steht,und Snout bellte, als
ob wir beim Taubenschießen wären.
»Bienen!«,rief ich, »in meinem Zimmer ist ein Bienenschwarm!«
Aber als wir in mein Zimmer kamen,hatten sie sich wieder
in der Wand verkrochen, als ob siegewusst hätten, dass er
kommt, als ob sie ihre Flugkünstenicht an ihn verschwenden
wollten.
»Verdammt noch mal, Lily, das findich nich komisch.«
Ich sah an den Wänden auf und ab.Ich kroch unter mein
Bett und betete, dass aus dem Staubund den Sprungfedern
auch nur eine Biene hervorkäme.
»Sie waren hier, sie sind hierüberall herumgeflogen«, sagte
ich.
»Ja klar, und sonedämliche Büffelherde is hier auch noch
durchgetrampelt.«
»Hör doch«, sagte ich, »du kannstsie summen hören.«
Er hielt sein Ohr an die Wand. »Ichhör überhaupt nichts
summen«, sagte er und zeigte mirdabei einen Vogel. »Die sind
wohl aus der Kuckucksuhr da obenrausgeflogen, die du dein
Hirn nennst.Wenn du mich noch einmal weckst, Lily, hole ich
die Grießflocken raus, ist das klar?«
Das mit den Grießflocken war eineStrafe, die sich nur jemand
wie T. Ray ausdenken konnte. Ichmachte sofort den
Mund zu.
Trotzdem, das konnte ich nicht aufmir sitzen lassen - T.
Ray meinte doch jetzt, ich wäre soverzweifelt, dass ich sogar
eine Bienen-Invasion erfinden würde,nur um ein wenig Aufmerksamkeit
zu bekommen. Und so kam mir diebrillante
Idee, ein paar Bienen in einem Glaseinzufangen. Das könnte
ich dann T. Ray zeigen und sagen:»Wer erfindet hier Geschichten?«
Meine erste und gleichzeitig einzigeErinnerung an meine
Mutter stammt von dem Tag, an demsie starb. Ich habe lange
Zeit versucht, mir ein früheres Bildvon ihr ins Gedächtnis zu
rufen, einen Erinnerungsfetzen - wiesie abends meine Bettdecke
zurechtzupft, wie sie mir dieAbenteuer von »Struwwelpeter
« vorliest oder wie sie an einemeiskalten Morgen meine
Unterwäsche neben den Ofen hängt.Mir wäre ja selbst eine
Erinnerung, in der sie einenForsythienzweig abbricht und damit
meine Beine piekst, lieb gewesen.
Sie starb am 3. Dezember 1954. DerOfen hatte die Luft so
sehr aufgeheizt, dass meine Mutterihren Pullover ausgezogen
hatte und nun kurzärmelig dastandund verzweifelt am Schlafzimmerfenster
rüttelte, das völlig verkeilt war.
Schließlich gab sie auf und sagte:»Ach, zur Hölle damit,
dann verglühen wir eben hier oben.«
Ihr Haar war schwarz und üppig,dicke Locken kringelten
sich um ihr Gesicht, ein Gesicht,das mir niemals wirklich
deutlich erscheint, obwohl allesandere so klar ist.
Ich streckte die Arme nach ihr aus,und sie hob mich hoch,
sagte, dass ich für so was docheigentlich schon viel zu groß
sei, aber sie nahm mich trotzdem inden Arm. Als sie mich anhob,
umgab mich ihr Duft.
Dieser Duft hat sich mir auf immereingeprägt, es war der
deutliche Geruch von Zimt. Ich gingregelmäßig ins Kaufhaus
von Sylvanund roch an jeder einzelnen Parfümflasche, um
diesen Duft wiederzufinden.Jedes Mal, wenn ich dort erschien,
spielte die Parfümverkäuferin dieÜberraschte und
sagte: »Sieh mal einer an, wen habenwir denn da.« Als wäre
ich nicht erst letzte Woche auchschon da gewesen und hätte
die Flaschen der Reihe nachdurchprobiert. Shalimar, Chanel
No5, White Shoulders.
Ich sagte dann jedes Mal: »Haben Sieetwas Neues?«
Sie hatte nie etwas Neues.
Es war ein echter Schock, als ichden Geruch an meiner
Lehrerin aus der fünften Klasseentdeckte, die mir sagte, es sei
einfach nur gewöhnlichePonds Creme.
An dem Nachmittag, als meine Mutterstarb, lag ein offener
Koffer auf dem Boden, dicht bei demverkeilten Fenster. Sie
lief ständig hin und her, in dieKleiderkammer hinein und wieder
heraus, warf das eine oder andereachtlos in den Koffer,
ohne es zusammenzufalten.
Ich folgte ihr in die Kammer, krochunter Kleidersäume und
Hosenbeine, ins Dunkle, überStaubfäden und kleine tote
Motten, bis ganz nach hinten zu T.Rays Stiefeln, die den
Matsch von Obstwiesen und denmodrigen Geruch von Pfirsichen
an sich hatten. Ich steckte die Händein ein Paar weißer
Stöckelschuhe und schlug siezusammen.
Der Boden der Kammer vibrierteimmer, wenn jemand unten
die Treppen hoch stieg, und sowusste ich, dass T. Ray
kam. Ich hörte über meinem Kopf, wiemeine Mutter Sachen
von Bügeln zog, Kleider raschelten,Metall klimperte. Beeil
dich, sagte sie.
Als seine Schuhe ins Zimmertrampelten, seufzte sie tief,
der Atem entwich ihr, als ob ihreLungen sich plötzlich verkrampft
hätten. Das ist das Letzte, an dasich mich ganz deutlich
erinnere - ihr Atem, der zu mirherabsank wie ein kleiner
Fallschirm, der spurlos zwischenStapeln von Schuhen in sich
zusammenfiel.
Ich erinnere mich nicht daran, wassie gesagt haben, nur
an die Wut in ihren Worten, daran,dass die Luft rau wurde
und Striemen hatte. Später mussteich dabei immer an Vögel
denken, die in einem Zimmer gefangensind und blindlings
gegen Fenster, Wände undgegeneinander klatschen. Ich
kroch rückwärts, immer tiefer in dieKammer, spürte die Fin-
ger in meinem Mund, den Geschmack vonSchuhen, von Füßen.
Als ich herausgezerrt wurde, war mirerst gar nicht klar,
wessen Hände mich zogen, dann fandich mich in Mutters Armen
und atmete ihren Geruch ein. Siestrich mein Haar glatt
und sagte: »Hab keine Angst«, aberT. Ray rupfte mich von ihr
los. Er trug mich zur Tür und setztemich unten im Flur ab.
»Geh in dein Zimmer«, sagte er.
»Ich will aber nicht«, weinte ichund versuchte, mich an ihm
vorbeizudrängen, zurück ins Zimmer,zurück zu ihr.
»Geh in dein verdammtes Zimmer«,brüllte er und schubste
mich hart zur Seite. Ich stieß gegendie Wand, fiel auf Hände
und Knie. Als ich den Kopf hob undan ihm vorbeiblickte, sah
ich sie im Zimmer herumlaufen. Siestürmte auf ihn zu und
schrie: »Lass sie in Ruhe!«
Ich kauerte mich auf den Boden nebender Tür und sah
durch Luft hindurch, die man mit demMesser hätte schneiden
können. Ich sah, wie er sie an derSchulter packte und schüttelte,
ihr Kopf fiel vor und zurück. Ichsah das Weiß seiner
Lippen.
Und dann - aber von jetzt anverschwimmt in meiner Erinnerung
alles - riss sie sich von ihm los,los von den Händen,
die nach ihr griffen, floh in dieKammer und suchte irgendetwas
oben auf dem Bord.
Als ich die Waffe in ihrer Hand sah,rannte ich auf sie zu,
tollpatschig, stolpernd, ich wolltesie retten, ich wollte uns alle
retten.
Danach fiel die Zeit in sichzusammen. Der Rest liegt in klaren,
aber völlig unzusammenhängendenBruchstücken in meinem
Gedächtnis. Die Waffe in ihrer Hand,glänzend wie ein
Spielzeug, er nimmt sie ihr weg,fuchtelt damit herum. Die
Waffe auf dem Boden. Bücken, um sieaufzuheben. Das Geräusch,
das um uns herum explodiert.
Was ich von mir weiß, ist das: Ichwollte nur sie. Und jetzt
ist sie weg, und es ist meineSchuld.
T. Ray und ich lebten direktaußerhalb von Sylvan, South Carolina,
3100 Einwohner. Pfirsichstände undBaptistenkirchen,
das ist alles, was es hier gab.
Am Eingang zu unserer Farm war eingroßes Holzschild,
auf dem OWENS PFIRSICHFARMindem scheußlichsten Orange
geschrieben stand, das man sichüberhaupt vorstellen
kann. Ich hasste das Schild. Aberdas Schild war noch gar
nichts, verglichen mit dem riesigenPfirsich, der auf einem fast
zwanzig Meter hohenPfahl neben dem Tor prangte. In der
Schule sprachen sie davon nur alsdem Riesenarsch - und das
war noch das Harmloseste. Mit seinerfleischigen Farbe, ganz
zu schweigen von der Rille in derMitte, sah er eindeutig aus
wie ein Hintern. Rosaleensagte, das wäre eben T. Rays Art,
der Welt den Hintern rauszustrecken.So war T. Ray.
Er hielt absolut nichts von Pyjama-Parties oder Schulbällen,
was nicht weiter schlimm war, dennzu so etwas wurde ich
sowieso nie eingeladen, aber erweigerte sich auch, mich zu
den Footballspielen in die Stadt zufahren oder zu den Aufmärschen
der Cheerleader oder zumAutowaschen, das die
Jungen vom Beta Club immer amSamstag veranstalteten. Es
kümmerte ihn auch nicht, dass ichKleider trug, die ich in der
Hauswirtschaftsklasse genäht hatte,Hemdblusen aus bedruckter
Baumwolle mit schiefenReißverschlüssen und Röcke,
die viel zu lang waren. So etwastrugen nun wirklich nur
die Mädchen aus der Pfingstgemeinde.Ich hätte mir auch
gleich ein Schild umhängen können: ICHBIN NICHT BELIEBT
UND WERDE ES AUCH NIE SEIN.
Ich hätte wirklich alle Hilfebrauchen können, die einem die
Mode bieten kann, denn niemand,nicht ein einziger Mensch,
hatte je zu mir gesagt: »Lily, wasbist du für ein hübsches
Kind.« Außer Miss Jennings in derKirche, aber die war blind.
Ich betrachtete mich immer undüberall. Ich suchte mein
Spiegelbild in Schaufensterscheibenund im schwarzen Bildschirm
des Fernsehers, um eine Vorstellungdavon zu bekommen,
wie ich eigentlich aussah. Mein Haarwar zwar so
schwarz wie das meiner Mutter, aberes sah aus wie Kraut und
Rüben, und mich störte, dass ichkaum Kinn hatte. Ich hatte
immer gehofft, wenn meine Brüstewachsen, würde mir auch
ein Kinn wachsen, aber das hat sonicht geklappt. Ich hatte
wohl sehr schöne Augen, meine Augenwaren wie die von Sophia
Loren, aber selbst die Jungs, dieihr Haar zu Pomade-triefenden
Entenschwänzen frisierten und Kämmein ihre Hemdtaschen
steckten, schienen sich nicht fürmich zu interessieren,
und die galten wirklich als dasLetzte.
Vom Hals an abwärts hatten sich dieDinge gut entwickelt,
aber das konnte ich natürlich nichtzeigen. Damals waren
Kaschmir-Twinsets und kurzeFaltenröcke in Mode, aber T.
Ray sagte, eher würde die Höllezufrieren, als dass ich so etwas
tragen würde - wollte ich etwaschwanger werden wie
Bitsy Johnson, deren Rock kaum über ihrenHintern reichte?
Wie er überhaupt von Bitsy wissen konnte, ist mir ein völliges
Rätsel, aber das mit den Röckenstimmte und das mit dem
Baby war auch wahr. Nur hatte daseine mit dem anderen
überhaupt nichts zu tun.
Rosaleen verstand noch weniger von Mode alsT. Ray, und
wenn es kalt war - gütiger Himmel -,ließ sie mich in langen
Miederhosen unter meinen Nur-für-die-Mädchen-aus-der-
Pfingstgemeinde-Kleidern zur Schulegehen.
Nichts hasste ich so sehr wie dieseGruppen tuschelnder
Mädchen, die immer plötzlich stillwurden, wenn ich vorbeiging.
Ich fing an, Schorf von meiner Hautzu kratzen, und
wenn ich keinen hatte, knibbelte ich die Haut um meine Fingernägel
herum ab, bis ich ein hässliches,blutendes Etwas
war. Ich machte mir so vieleGedanken darum, wie ich aussah
und ob ich alles richtig machte,dass ich die meiste Zeit das
Gefühl hatte, ich tat nur, als seiich ein Mädchen, ohne eins zu
sein. ()
© btbVerlag
Übersetzung: Astrid Mania
- Autor: Sue Monk Kidd
- 2005, Deutsche Erstausgabe, 337 Seiten, Maße: 11,7 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Astrid Mania
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442732816
- ISBN-13: 9783442732814
- Erscheinungsdatum: 23.03.2005
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