Die Flammen der Dämmerung / Dämonenzyklus Bd.3
Roman. Deutsche Erstausgabe
Der Krieg um das Schicksal der Menschen hat begonnen. Fantasy vom Feinsten in der Tradition von George R.R. Martin.
Die Menschheit ist gefangen in einem Albtraum: Jede Nacht steigen Dämonen aus dem Boden empor und machen Jagd...
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Produktinformationen zu „Die Flammen der Dämmerung / Dämonenzyklus Bd.3 “
Der Krieg um das Schicksal der Menschen hat begonnen. Fantasy vom Feinsten in der Tradition von George R.R. Martin.
Die Menschheit ist gefangen in einem Albtraum: Jede Nacht steigen Dämonen aus dem Boden empor und machen Jagd auf alle Lebewesen. Nur wenige wagen es, diesen Kreaturen zu widerstehen, unter ihnen Arlen, der tätowierte Mann, und Jardir, der Anführer der Wüstenkrieger. Ein Krieg scheint unvermeidlich - während sich in den Tiefen der Finsternis das Heer der Dämonen zum Marsch rüstet und eine blutige Zukunft heraufdämmert. Der letzte Kampf um die Rettung der Menschheit vor den Dämonen hat begonnen.
Klappentext zu „Die Flammen der Dämmerung / Dämonenzyklus Bd.3 “
Der Krieg um das Schicksal der Menschheit hat begonnenDie Menschheit ist gefangen in einem Albtraum: Jede Nacht steigen Dämonen aus dem Boden empor und machen Jagd auf alle Lebewesen. Nur wenige wagen es, diesen Kreaturen zu widerstehen, unter ihnen Arlen, der tätowierte Mann, und Jardir, der Anführer der Wüstenkrieger. Doch die Welt duldet nur einen Erlöser der Menschheit, und ein Krieg scheint unvermeidlich - während sich in den Tiefen der Finsternis das Heer der Dämonen zum Marsch rüstet und eine blutige Zukunft heraufdämmert. Der letzte Kampf um die Rettung der Menschheit vor den Dämonen der Nacht beginnt.
Lese-Probe zu „Die Flammen der Dämmerung / Dämonenzyklus Bd.3 “
Die Flammen der Dämmerung von Peter V. Brett Aus dem Amerikanischen von Ingrid Herrmann-Nytko
Inevera
300 NR
Inevera betrachtete die vor ihr stehende lange Schlange von Mädchen und deren Müttern, die alle darauf warteten, in den dama'ting Pavillon hineingelassen zu werden. Die Bräute des Everam hatten verfügt, dass sich sämtliche neun Jahre alten Mädchen dann, wenn die dama am Tag der Frühlingstagundnachtgleiche die Morgendämmerung ausriefen, zum Hannu Pash einzufinden hätten, um zu erfahren, welchen Lebensweg Everam für sie bestimmt hatte. Für einen Knaben konnte der Hannu Pash mehrere Jahre dauern, doch bei den Mädchen genügte eine einzige Weissagung der dama'ting.
Die meisten wurden einfach für fruchtbar erklärt und bekamen ihr erstes Kopftuch, einige hingegen verließen den Pavillon als Verlobte, oder man gab ihnen eine neue Berufung. Andere wiederum, hauptsächlich die armen und des Lesens und Schreibens Unkundigen, kaufte man ihren Vätern ab und bildete sie im Kissentanz aus; danach schickte man sie in den großen Harem, wo sie Krasias Kriegern, den Jiwah'Sharum, dienten. Ihnen wurde die Ehre zuteil, neue Krieger zu gebären, um die zu ersetzen, die im allnächtlich stattfindenden alagai'sharak, dem Kampf gegen die Dämonen, ihr Leben ließen.
Voller Aufregung war Inevera aufgewacht, hatte ihr braunes Kleid angezogen und ihr dichtes schwarzes Haar gebürstet. Es fiel in natürlichen Wellen und glänzte wie Seide, doch heute war der letzte Tag, an dem alle Welt es sehen durfte.
... mehr
Als Mädchen würde sie in den dama'ting Pavillon hineingehen, aber wenn sie ihn wieder verließ, galt sie als junge Frau, und nur ihrem zukünftigen Ehemann war es erlaubt, ihre Haare anzuschauen. Ihre braune Kleidung würde man ihr wegnehmen und durch geziemende schwarze Gewänder ersetzen.
"Vielleicht holt mich ein Damaji in seinen Harem", sinnierte Inevera. "Ich könnte in einem Palast leben und meine Aussteuer wäre so groß, dass du nie wieder als Flechterin zu arbeiten brauchtest."
"Du kämst nie wieder ins Sonnenlicht hinaus", murmelte ihre Mutter Manvah so leise, dass die Umstehenden es nicht hören konnten, "könntest außer mit deinen Schwestergemahlinnen mit niemandem sprechen und müsstest einem Mann Vergnügen bereiten, der dem Alter nach dein Urgroßvater sein könnte." Sie schüttelte den Kopf. "Wenigstens sind unsere Steuern bezahlt und du hast zwei Männer als Fürsprecher, deshalb besteht kaum eine Chance, dass du in den großen Harem verkauft wirst. Und selbst das wäre ein viel besseres Schicksal als für unfruchtbar erklärt und als nie'ting verstoßen zu werden."
Nie'ting. Inevera schüttelte sich bei dem Gedanken. Mädchen, die sich als unfruchtbar erwiesen, wurde die schwarze Tracht verweigert, sie mussten für den Rest ihres Lebens braune Sachen tragen und durften ihr Gesicht ob ihrer Schande nicht verdecken.
"Vielleicht werde ich auserwählt, eine dama'ting zu sein", spann Inevera weiter.
Manvah schnaubte durch die Nase. "Ganz sicher nicht. Sie wählen niemals eine aus."
"Großmutter sagt, in dem Jahr, als sie geprüft wurde, hätte man ein Mädchen erwählt."
"Das war vor mindestens fünfzig Jahren", entgegnete Manvah, "und die verehrte Mutter deines Vaters, möge Everam sie segnen, neigt zum ... Übertreiben."
"Woher kommen dann all die nie'dama'ting?" wunderte sich Inevera, auf die sich in ihrer Ausbildung befindlichen dama'ting anspielend, die ihre Gesichter nicht bedeckten, sich aber zum Zeichen ihres Verlöbnisses mit Everam in Weiß kleideten.
"Manche sagen, Everam selbst schwängert seine Bräute, und die nie'dama'ting seien seine Töchter", antwortete Manvah. Inevera sah sie an und lupfte eine Augenbraue, als frage sie sich, ob ihre Mutter einen Scherz mache.
Manvah zuckte die Achseln. "Diese Erklärung ist genauso gut wie jede andere. Ich versichere dir, dass keine der Mütter auf dem Markt je erlebt hat, dass ein Mädchen auserwählt wurde, noch haben sie ein Gesicht wiedererkannt."
"Mutter! Schwester!" Ein strahlendes Lächeln erhellte Ineveras Züge, als sie Soli näherkommen sah, gefolgt von Cashiv. Die schwarze Tracht ihres Bruders war noch staubig vom Kampf im Labyrinth, und sein Schild, den er über eine Schulter geschlungen hatte, wies frische Dellen auf. Cashiv war so makellos adrett wie immer.
Inevera rannte zu Soli und umarmte ihn. Lachend hob er sie mit einer Hand hoch und schwenkte sie durch die Luft. Inevera kreischte vor Vergnügen, ohne sich auch nur einen Augenblick lang zu fürchten. Nichts konnte sie ängstigen, wenn Soli in ihrer Nähe war. Sanft wie eine Feder setzte er sie wieder ab und ging dann zu ihrer Mutter, um sie zu umarmen.
"Was tust du hier?" fragte Manvah. "Ich dachte, du seist schon unterwegs zu Dama Badens Palast."
"Das bin ich auch", erwiderte Soli, "aber ich konnte doch meine Schwester nicht zu ihrem Hannu Pash gehen lassen, ohne ihr Alas Segen zu wünschen." Er streckte die Hand aus und zerstrubbelte Ineveras Haar. Sie schlug nach seiner Hand, doch wie immer war er schneller und zog sie rechtzeitig zurück.
"Denkst du, Vater wird auch noch kommen, um mich zu segnen?" fragte Inevera.
"Ah ... " Soli zögerte. "So viel ich weiß, schläft Vater immer noch hinten in der Bude. Letzte Nacht schaffte er es nicht einmal, zum Appell anzutreten." In einer hilflosen Geste zuckte Soli mit den Schultern, und Inevera senkte den Blick, weil er ihr ihre Enttäuschung nicht anmerken sollte.
Soli bückte sich und hob mit einem Finger behutsam ihr Kinn, damit sie einander in die Augen sehen konnten. "Ich weiß, dass Vater dir nur das Allerbeste wünscht, so wie ich, er kann es nur nicht so zeigen."
Inevera nickte. "Ich weiß." Ein letztes Mal schlang sie die Arme um Solis Nacken, bevor er ging. "Danke."
Cashiv sah Inevera an, als hätte er sie erst jetzt bemerkt. Er zeigte sein hübsches Lächeln und verneigte sich. "Gesegnet mögest du sein, Inevera vah'Kasaad, während deiner Verwandlung zur Frau. Ich wünsche dir einen guten Ehemann und viele Söhne, alle so ansehnlich wie dein Bruder."
Inevera lächelte und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, während die beiden Krieger davonschlenderten.
Endlich setzte sich die Schlange in Bewegung. Der Tag zog sich in die Länge, derweil sie in der prallen Sonne standen und jeweils nur ein Mädchen mit seiner Mutter eingelassen wurden. Manche kamen bereits nach wenigen Minuten wieder zurück -andere blieben fast eine volle Stunde lang drin. Alle trugen beim Herausgehen schwarze Kleidung, die meisten wirkten eingeschüchtert und erleichtert zugleich. Einige der Mädchen starrten wie versteinert ins Leere und rieben sich geistesabwesend die Arme, während ihre Mütter sie heimwärts bugsierten.
Als sie sich der Spitze der Schlange näherten, festigte Ineveras Mutter ihren Griff um die Schultern des Mädchens, und ihre Fingernägel gruben sich durch das Kleid in ihr Fleisch.
"Halte den Blick auf den Boden gerichtet und sprich nur, wenn man dich dazu auffordert", zischte Manvah. "Beantworte niemals eine Frage mit einer Gegenfrage und gib keine Widerworte. Sprich mir nach: 'Ja, Dama'ting.'"
"Ja, Dama'ting", wiederholte Inevera.
"Merke dir diese Antwort gut", drängte Manvah. "Wenn du eine dama'ting beleidigst, beleidigst du das Schicksal selbst."
"Ja, Mutter." Inevera schluckte hart und merkte, wie sie sich innerlich verkrampfte. Was ging in diesem Pavillon vor? Hatte ihre Mutter nicht dasselbe Ritual durchgemacht? Wovor hatte sie solche Angst?
Eine nie'dama'ting öffnete den Zelteingang, und das Mädchen, das vor Inevera an der Reihe gewesen war, kam heraus. Sie trug nun ein Kopftuch, doch es war von brauner Farbe, so wie das Kleid, das sie immer noch anhatte. Ihre Mutter tätschelte ihre Schultern und murmelte tröstende Worte, während sie weiterstolperten, doch beide weinten.
Die nie'dama'ting betrachtete die Szene mit heiterer Gelassenheit, dann wandte sie sich an Inevera und deren Mutter. "Ich bin Melan." Sie bedeutete ihnen, einzutreten. "Dama'ting Qeva wird euch jetzt empfangen."
Inevera holte tief Luft, als sie und ihre Mutter die Schuhe abstreiften, Schutzsiegel in die Luft zeichneten und in den dama'ting Pavillon hineingingen.
Sonnenlicht sickerte durch das in die Höhe strebende Dach aus Leinen und füllte das große Zelt mit strahlender Helligkeit. Alles hier war weiß, angefangen von den Zeltwänden bis zu den bemalten Möbeln und dem Fußboden aus dickem Leinen.
Umso bestürzender wirkte das Blut. Große rote und braune Flecken besudelten den Boden des Eingangsbereichs, und eine breite Spur aus schmutzigen roten Fußabdrücken führte vorbei an rechts und links angebrachten Trennwänden.
"Das ist Sharum-Blut", ließ sich eine Stimme vernehmen. Erschrocken prallte Inevera zurück, denn erst jetzt bemerkte sie die Braut des Everam, die direkt vor ihnen stand, und deren weiße Robe beinahe völlig mit dem Hintergrund verschmolz. "Es stammt von den Verwundeten, die im Morgengrauen vom alagai'sharak hierher gebracht wurden. Jeden Tag wird der Leinenfußboden weggeschnitten und während des Aufrufs zum Gebet auf den Spitzen der Minarette des Sharik Hora verbrannt."
Wie auf dieses Stichwort hin hörte Inevera nun die Schmerzensschreie, die sie umgaben. Hinter den dicken Trennwänden wanden sich Männer in Qualen. Sie stellte sich vor, unter ihnen seien ihr Vater -oder schlimmer noch Soli -und zuckte bei jedem Aufschrei und jedem Stöhnen zusammen.
"Everam, hol mich zu dir!" brüllte ein Mann verzweifelt. "Ich will nicht als Krüppel weiterleben!"
Passt auf, wohin ihr tretet", ermahnte Dama'ting Qeva. "Eure Fußsohlen sind nicht würdig, das Blut zu berühren, das ehrenhafte Krieger für euch vergossen haben."
Inevera und ihre Mutter schlängelten sich an den Blutflecken vorbei, um vor die dama'ting zu treten. Vom Kopf bis zu den Zehen in weiße Seide gehüllt, die lediglich ihre Augen und Hände freiließ, war Qeva eine massige Frau von kräftiger Statur, die Ineveras Mutter um Haupteslänge überragte.
"Wie lautet dein Name, Mädchen?" Die Stimme der Braut des Everam hatte einen tiefen, harten Klang.
"Inevera vah'Kasaad am'Damaj am'Kaji", antwortete Inevera, sich tief verbeugend. "Genannt nach der Ersten Gemahlin des Kaji." Manvahs Fingernägel krallten sich bei diesem Zusatz in ihre Schulter, und unwillkürlich schnappte sie nach Luft. Der dama'ting schien es nicht aufzufallen.
"Zweifellos glaubst du, dass dich das zu etwas Besonderem macht." Qeva schnaubte durch die Nase. "Wenn Krasia einen Krieger für jedes nichtsnutzige Mädchen hätte, das diesen Namen trug, wäre der Sharak Ka zu Ende."
"Ja, Dama'ting", bestätigte Inevera und verbeugte sich abermals, während ihre Mutter den Griff um ihre Schulter lockerte.
"Du bist hübsch", bemerkte die dama'ting.
Inevera verneigte sich. "Danke, Dama'ting.
"Die Harems können immer ein hübsches Mädchen gebrauchen, wenn es zu nichts anderem taugt", fuhr Queva fort und sah dabei Manvah an. "Wer ist dein Ehemann und welchen Beruf übst du aus?"
"Dal'Sharum Kasaad, Dama'ting", antwortete Manvah und verneigte sich. "Und ich stelle Flechtarbeiten aus Palmwedeln her."
"Erste Gemahlin?" hakte Qeva nach.
"Ich bin seine einzige Frau, Dama'ting", gestand Manvah.
"Männer denken, sie nehmen sich weitere Gemahlinnen, wenn sie erst Erfolg haben, Manvah aus dem Geschlecht des Kaji", verlautbarte Qeva, "doch das Gegenteil ist der Fall. Hast du versucht, Schwestergemahlinnen zu finden, wie der Evejah es gebietet, damit sie dir bei deiner Flechtarbeit helfen und deinem Gemahl weitere Kinder gebären können?"
"Ja, Dama'ting. Viele Male sogar." Manvah biss auf die Zähne. "Ihre Väter ... waren mit dieser Verbindung nicht einverstanden."
Die Braut des Everam gab einen brummenden Laut von sich. Die Antwort verriet ihr viel über Kasaad. "Hat das Mädchen eine Ausbildung bekommen?"
Manvah nickte. "Ja, Dama'ting. Inevera geht bei mir in die Lehre. Sie ist eine sehr geschickte Flechterin, und ich habe ihr Rechnen und das Führen von Hauptbüchern beigebracht. Sie hat den Evejah einmal für jede der sieben Säulen des Himmels gelesen."
Die Augen der dama'ting blieben unergründlich. "Folgt mir." Sie drehte sich um und schritt weiter in den Pavillon hinein. Das Blut auf dem Fußboden kümmerte sie nicht, ihre fließenden Seidengewänder glitten leicht darüber hinweg. Kein Tropfen blieb daran kleben. Selbst das Blut hätte sich diesen Frevel nicht angemaßt.
Melan eilte ihr hinterdrein; die nie'dama'ting wich den Blutflecken behände aus, und Inevera und ihre Mutter trotteten ihr nach. Der Pavillon war ein Labyrinth aus weißen Tuch- wänden, mit vielen überraschenden Windungen, die Inevera erst bemerkte, wenn sie sie erreicht hatten. Hier war der Boden frei von Blut, und selbst die Schreie der verwundeten Sharum drangen nur noch gedämpft zu ihnen herüber. Als sie dann um eine Querwand bogen, wechselten die Wände und die Decke plötzlich von Weiß zu Schwarz. Es war, als würde man vom Tag in die Nacht eintreten. Noch eine Biegung weiter wurde es so dunkel, dass ihre Mutter in der schwarzen dal'ting-Tracht kaum noch auszumachen war, und sogar die weißgekleidete dama'ting und ihre Schülerin verschwammen zu geisterhaften Schemen.
Jählings blieb Qeva stehen; Melan trat vor sie und zog eine Falltür auf, die Inevera nicht einmal gesehen hatte. Im Inneren der Öffnung gewahrte sie andeutungsweise eine Steintreppe, die in eine noch tiefere Finsternis hinabführte. Die steinernen Tritte fühlten sich unter ihren bloßen Füßen kalt an, und als Melan hinter ihnen die Luke schloss, herrschte eine totale Dunkelheit. Langsam stiegen sie nach unten, wobei Inevera schreckliche Angst hatte, sie könnte ausrutschen und die Braut des Everam mit sich die Stufen hinunterreißen.
Zum Glück war die Treppe nur kurz, und tatsächlich strauchelte Inevera vor lauter Überraschung, als sie unverhofft den Absatz erreichten. Sie fing sich jedoch schnell, und niemand schien ihr Missgeschick zu bemerken.
In Qevas Hand erschien ein rotes Licht und verbreitete einen unheimlichen, bösen Schimmer, der es ihnen gestattete, einander zu sehen, indes wenig dazu beitrug, die beklemmende Düsternis rings um sie her zu mildern. Die dama'ting führte sie entlang einer Reihe von dunklen Zellen, die in den gewachsenen Fels geschlagen waren. Zu beiden Seiten waren Siegel in die Wände gemeißelt.
"Du wartest hier mit Melan", beschied Queva Manvah und forderte Inevera auf, eine der Zellen zu betreten. Sie fuhr zusammen, als die schwere Tür sich hinter ihnen schloss.
In einer Ecke des Raums befand sich ein steinernes Podest, und dort legte die dama'ting das glühende Ding ab. Es sah aus wie ein Brocken Kohle, in den glimmende Siegel eingekerbt waren, doch selbst Inevera wusste es besser. Es handelte sich um alagai hora.
Der Knochen eines Dämons.
Qeva wandte sich wieder ihr zu, und Inevera erhaschte das Aufblitzen einer gebogenen Klinge in ihrer Hand. In dem roten Licht sah das Messer aus wie in Blut getaucht.
Kreischend wich Inevera zurück, doch die Zelle war winzig, und bald spürte sie, wie sie mit dem Rücken gegen die Steinwand stieß. Die dama'ting hielt die Klinge dicht vor Ineveras Nase, und das Mädchen schielte bei dem Versuch, die Schneide zu sehen.
"Fürchtest du dich vor dem Messer?" fragte die dama'ting.
"Ja, Dama'ting", platzte Inevera mit brechender Stimme heraus.
"Schließ die Augen", befahl Qeva. Inevera schlotterte vor Angst, doch sie gehorchte; das Herz hämmerte laut in ihrer Brust, während sie darauf wartete, dass sich die Klinge in ihr Fleisch bohrte.
Doch der Messerstich blieb aus. "Stelle dir eine Palme vor, Tochter einer Flechterin", sagte Qeva. Inevera begriff nicht ganz, was das sollte, aber sie nickte. Es fiel ihr leicht, dieses Bild heraufzubeschwören, denn sie kletterte jeden Tag auf Palmen, turnte mühelos die Stämme hinauf, um Palmwedel für die Flechtarbeit zu ernten.
"Fürchtet eine Palme den Wind?" fragte die dama'ting.
"Nein, Dama'ting", erwiderte Inevera.
"Was tut sie?"
"Sie biegt sich, Dama'ting."
"Der Evejah lehrt uns, dass Angst und Schmerzen nichts weiter sind als Wind, Inevera, Manvahs Tochter. Lass diese Gefühle einfach an dir vorbeiwehen."
"Ja, Dama'ting", antwortete Inevera.
"Wiederhole es dreimal", befahl Qeva.
"Angst und Schmerzen sind nur Wind", sagte Inevera, tief durchatmend. "Angst und Schmerzen sind nur Wind. Angst und Schmerzen sind nur Wind."
"Öffne die Augen und knie nieder", fuhr Quva fort. Nachdem Inevera der Aufforderung gefolgt war, fügte sie hinzu: "Strecke deinen Arm aus." Als Inevera ihren Arm hob, hatte sie das Gefühl, er gehöre gar nicht zu ihrem Körper, aber er zitterte nicht. Die Braut des Everam streifte Ineveras Ärmel hoch, schnitt in den Unterarm und zog eine hellrot blutende Linie.
Inevera sog scharf den Atem ein, aber weder zuckte sie zusammen noch entfuhr ihr ein Schrei. Angst und Schmerzen sind nur Wind.
Die dama'ting leckte die Klinge ab, um ihr Blut zu schmecken, dann steckte sie das Messer wieder in eine Tasche an ihrer Taille. Mit ihrer kräftigen Hand quetschte sie die Schnittwunde, bis Blut auf eine Handvoll schwarzer, mit Siegeln versehener Würfel tropfte.
Inevera biss die Zähne zusammen. Angst und Schmerzen sind nur Wind.
Als das Blut auf die Würfel traf, begannen diese zu glühen, und Inevera vergegenwärtigte sich, dass auch diese aus alagai hora bestanden. Ihr Blut kam mit Dämonenknochen in Berührung. Die Vorstellung entsetzte sie.
Die dama'ting trat einen Schritt zurück, stimmte einen leisen Sprechgesang an und schüttelte die Würfel, die mit jedem Moment, der verstrich, intensiver glühten.
"Everam, Spender von Licht und Leben, ich flehe dich an, lass deine geringe Dienerin wissen, was da kommen wird. Erzähle mir von Inevera, Tochter des Kasaad, aus der Kaji- Blutslinie des Damaj."
Alsdann warf sie die Würfel vor Inevera auf den Boden. Ihr Licht explodierte in einem Blitz, der das Mädchen blinzeln ließ, dann schwächte es sich zu einem stumpfen Pulsieren ab, während die glühenden Symbole auf dem Boden die Schicksalsfäden bloßlegte, aus denen ihre Zukunft gewebt wurde.
Die dama'ting sagte nichts. Aus schmalen Augenschlitzen starrte sie eine geraume Zeit lang die Symbole an. Inevera hätte nicht sagen können, wie lange die Betrachtung dauerte, aber sie schwankte, als ihre Beinmuskeln, die nicht daran gewöhnt waren, so lange zu knien, allmählich unter ihr nachgaben.
Qeva sah sie an, als sie das Wanken bemerkte. "Setz dich auf deine Fersen und halt still!" Sie stand auf und bewegte sich in der engen Zelle im Kreis, um das Muster der Würfel aus jedem Blickwinkel zu begutachten. Langsam verblasste das Glühen, doch die dama'ting grübelte immer noch.
Trotz der Ermahnung, sich wie eine Palme im Wind zu verhalten, wuchs Ineveras Nervosität. Ihre Muskeln schmerzten vor Anspannung, und von einer Sekunde zur nächsten verdoppelte sich ihre Angst. Was sah die Braut des Everam? Sollte sie ihrer Mutter weggenommen und in einen Harem verkauft werden? War sie vielleicht unfruchtbar?
Endlich fasste Qeva das Mädchen ins Auge. "Wenn du die Würfel in irgendeiner Weise berührst, ist das dein Tod." Nach dieser Warnung verließ sie den Raum und schnauzte Befehle. Das Geräusch rennender Schritte erklang, als Melan loshetzte.
Einen Moment später betrat Manvah die Zelle, machte vorsichtig einen Bogen um die Würfel und kniete hinter Inevera nieder. "Was ist passiert?" flüsterte sie.
Inevera schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht. Die dama'ting starrte die Würfel an, als sei sie sich nicht sicher, was sie verkündeten."
"Oder die Prophezeiung gefiel ihr nicht", murmelte Manvah.
"Was geschieht jetzt?" fragte Inevera und spürte die Kälte, die ihr über das Gesicht kroch.
"Sie holen Damaji'ting Kenevah", antwortete Manvah, worauf Inevera erschrocken nach Luft schnappte. "Sie wird das letzte Wort sprechen. Und jetzt bete."
Inevera erschauerte, als sie den Kopf senkte. Sie hatte bereits eine fürchterliche Angst vor der dama'ting. Der bloße Gedanke, dass deren Oberste Gebieterin kommen würde, um sie zu prüfen ...
Bitte, Everam, flehte sie, lass mich fruchtbar sein und dem Stamm der Kaji Söhne gebären. Meine Familie könnte die Schande nicht ertragen, wenn ich kha'ting wäre. Erfülle mir diesen einen Wunsch, und ich werde auf ewig deine Dienerin sein.
Lange knieten sie in dem trüben roten Licht und beteten.
"Mutter?" fragte Inevera.
"Ja?"
Inevera würgte an dem Knoten in ihrer Kehle. "Wirst du mich auch noch liebhaben, wenn ich unfruchtbar bin?" Ihre Stimme versagte. Sie wollte nicht weinen, aber sie ertappte sich dabei, wie sie Tränen fortblinzelte.
Im nächsten Moment schloss Manvah sie in die Arme. "Du bist meine Tochter. Ich würde dich selbst dann noch lieben, wenn du die Sonne auslöschen würdest."
***
Nachdem sie endlos lange gewartet hatten, kam Qeva zurück, gefolgt von einer anderen Braut des Everam -diese war älter, magerer und machte einen klugen, scharfsinnigen Eindruck. Sie trug die weiße Tracht der dama'ting, ihr Schleier und die Kopfbedeckung hingegen bestanden aus schwarzer Seide. Damaji'ting Kenevah, die mächtigste Frau in ganz Krasia.
Die Damaji'ting blickte auf die beiden Frauen, die sich eng umschlungen hielten. Hastig fuhren Inevera und ihre Mutter auseinander, wischten sich die Augen trocken und fielen wieder auf die Knie. Ohne ein Wort zu sagen begab sich die Damaji'ting zu den Würfeln. Viele Minuten lang studierte sie das Muster.
Schließlich knurrte Kenevah: "Nimm sie mit."
Inevera stieß einen leisen Schrei aus, als Qeva zu ihr marschierte, sie beim Arm packte und auf die Füße riss. Verzweifelt blickte sie ihre Mutter an und sah, dass sich Manvahs Augen vor Furcht weiteten. Und dann zerrte die kräftige dama'ting sie auch schon fort. "Mutter!"
Manvah warf sich bäuchlings auf den Boden und umklammerte den Saum von Qevas weißer Robe. "Bitte, Dama'ting", bettelte sie. "Meine Tochter -"
"Deine Tochter geht dich nichts mehr an", fiel Kenevah ihr ins Wort und Qeva trat nach ihr, damit sie den Saum ihres Gewandes losließ. "Sie gehört jetzt Everam."
***
"Da muss ein Irrtum passiert sein", stammelte Inevera benommen, als Qeva sie mit festem Griff um ihren Arm die Straße entlang führte. Sie kam sich eher vor, als würde sie zu einem Schandpfahl geschleift um dort ausgepeitscht zu werden anstatt in einen Palast. Damaji'ting Kenevah und Melan, die nie'dama'ting-Schülerin, begleiteten sie.
"Die Würfel irren sich nie", erwiderte Kenevah. "Und du solltest dich glücklich schätzen. Du, die Tochter einer Korbflechterin und eines unbedeutenden Sharum, wird Everam anverlobt. Begreifst du nicht, welch große Ehre deiner Familie heute widerfährt?"
"Warum durfte ich mich dann nicht von ihr verabschieden? Nicht einmal von meiner Mutter?" Beantworte niemals eine Frage mit einer Gegenfrage, hatte Manvah ihr eingeschärft, aber im Augenblick war Inevera alles egal.
"Ein glatter Bruch ist das Beste", meinte Kenevah. "Deine Familie steht jetzt tief unter dir. Sie ist unwichtig.
Während deiner Ausbildung ist es dir nicht erlaubt, sie zu sehen, und wenn du soweit bist, dich der Prüfung zu unterziehen, ob du würdig bist, die weiße Tracht anzulegen, wirst du gar keine Sehnsucht mehr nach deinen Leuten haben."
Zu einer derart albernen Bemerkung fiel Inevera nichts ein. Sie sollte nicht mehr den Wunsch verspüren, ihre Mutter zu sehen? Oder ihren Bruder? Undenkbar. Sogar ihren Vater würde sie vermisssen, obwohl Kasaad ihre Abwesenheit vermutlich gar nicht bemerken würde.
Bald kam der Kaji Dama'ting Palast in Sicht. Er stand selbst den grandiosesten Prachtbauten der mächtigsten Damaji in nichts nach und war von einer zwanzig Fuß hohen, mit Siegeln versehenen Mauer umgeben, die sowohl Schutz bot vor Feinden, die bei Tageslicht angriffen als auch vor alagai. Über der Mauerkrone konnte sie die hohen Türme und die große Kuppel des Palastes sehen, aber Inevera hatte niemals einen Blick hinter die Mauern geworfen. Niemand außer den dama'ting und ihren Schülerinnen durchschritt jemals das wuchtige Tor. Kein Mann, nicht einmal der Andrah höchstselbst, durfte einen Fuß auf diesen geweihten Boden setzen.
Jedenfalls hatte man Inevera dies erzählt, doch nachdem sich die Flügel des Portals -die sich scheinbar von selbst geöffnet hatten -wieder hinter ihnen schlossen, sah sie zwei muskulöse Männer, welche sie zuschoben. Bekleidet waren sie lediglich mit weißen Bidos und Sandalen, und ihr Haar und ihre Körper glänzten vor Öl. Beide trugen goldene Fesseln um die Knöchel und Handgelenke, aber Inevera sah keine Ketten, die die Fuß-und Handschellen miteinander verbanden.
"Ich dachte, Männer seien aus dem Palast ausgeschlossen", bemerkte Inevera, "um die Keuschheit der dama'ting nicht zu gefährden."
Die Bräute des Everam gaben ein bellendes Lachen von sich, als hätten sie einen umwerfend komischen Witz gehört. Sogar Melan gluckste in sich hinein.
"Das stimmt nur zur Hälfte", klärte Kenevah sie auf. "Die Eunuchen haben keine Hoden, und deshalb gelten sie in Everams Augen nicht als Männer."
"Sie sind also ... push'ting?" fragte Inevera.
Kenevah lachte gackernd. "Ihre Eier sind zwar weg, aber trotzdem funktionieren ihre Speere gut genug, um die Arbeit eines richtigen Mannes zu leisten."
Inevera lächelte gequält, als sie die breite Marmortreppe hochstiegen; die Stufen waren glattpoliert und glänzten in einem makellosen Weiß. Bemüht, sich so klein und unauffällig wie möglich zu machen, drückte sie die Arme eng an ihren Körper, während andere gutaussehende, athletische Sklaven in goldenen Fesseln die prächtige Eingangstür öffneten. Die Männer verneigten sich, Qeva streckte die Hand nach einem der Burschen aus und streichelte mit dem Finger die Unterseite seines Kinns.
"Es war ein anstrengender Tag. In einer Stunde findest du dich mit erhitzten Steinen und Duftöl in meinen Gemächern ein, um die Verspannungen wegzumassieren." Der Sklave verbeugte sich tief, sagte jedoch nichts.
"Dürfen sie nicht sprechen?" fragte Inevera.
"Sie können nicht", erklärte Kenevah. "Am selben Tag, an denen man ihnen die Eier wegoperierte, schnitt man ihnen die Stimmbänder durch, und sie kennen keine Schriftzeichen. Sie wären nie imstande, von den Wunderdingen zu berichten, die sie im Dama'ting Palast sehen."
In der Tat strotzte der Palast vor einem verschwenderischen Luxus, der Ineveras kühnste Fantasien übertraf. Alles, die Säulen, die hohe Kuppeldecke, die Fußböden, Wände und Treppen bestanden aus vollkommenem weißen Marmor, der auf Hochglanz poliert war. Dicke, gewebte Teppiche, die sich unter ihren bloßen Füßen erstaunlich weich anfühlten, lagen in den Hallen verteilt und füllten sie mit bunten Farben. An den Wänden hingen Gobelins -Meisterstücke der Handwerkskunst, welche die Geschichten des Evejah zum Leben erweckten. Wunderschöne glasierte Keramiken standen auf marmornen Sockeln, zusammen mit Gegenständen aus Kristall, Gold und poliertem Silber, angefangen von zierlichen Skulpturen und Filigranarbeiten bis hin zu schweren Kelchen und Schüsseln. Im Basar hätte man solche Wertobjekte schwer bewacht -jedes einzelne Teil hätte man für eine Summe verkaufen können, von der eine Familie zehn Jahre lang hätte leben können -doch wer in ganz Krasia hätte es gewagt, die dama'ting zu bestehlen?
In den Sälen begegneten ihnen andere Bräute, entweder einzeln oder in schwatzenden Gruppen. Alle trugen die gleichen Gewänder aus fließender weißer Seide, mit übergeschlagenen Kapuzen und Schleiern vor dem Gesicht -selbst hier drin, wo kein Mann sie sehen konnte. Wenn Kenevah an ihnen vorbeiging, blieben sie stehen und verneigten sich tief, und obwohl sie sich bemühten, es zu vertuschen, musterte jede von ihnen Inevera mit neugierigen und nicht gerade freundlichen Blicken.
Mehr als eine der Bräute, die ihnen entgegenkamen, war hochschwanger. Es war schockierend, dama'ting in diesem Zustand zu sehen, vor allen Dingen, wenn die einzigen Männer, die sie in ihrer Nähe duldeten, kastriert waren; aber Inevera verbarg ihre Verblüffung, indem sie eine undurchdringliche Miene aufsetzte wie jemand, der sich im Basar aufs Feilschen einstellt. Eine Frage hätte Kenevahs Geduld vielleicht überstrapaziert, und wenn sie hier leben musste, würde sie die Antwort schon noch früh genug erfahren.
Der Palast besaß sieben Flügel, einen für jede Säule im Himmel, wobei der mittlere Komplex gen Anochs Sonne wies, der letzten Ruhestätte des Kaji. Dies war der persönliche Trakt der Damaji'ting, und man führte Inevera in das feudal ausgestattete Empfangszimmer der Ersten Braut. Qeva und Melan erhielten die Anweisung, draußen zu warten.
"Setz dich", befahl die Damaji'ting und deutete auf ein paar mit Samt bezogener Sofas, die sich vor einem glänzend polierten Schreibtisch gruppierten. Schüchtern nahm Inevera Platz; in diesem riesigen Arbeitszimmer kam sie sich klein und unbedeutend vor. Kenevah setzte sich hinter den Schreibtisch, legte die Fingerspitzen gegeneinander und starrte Inevera an, die sich unter dem gnadenlosen Blick krümmte.
"Qeva sagte mir, dass du über deine Namensvetterin im Bilde bist", begann Kenevah in barschem Ton, und Inevera fragte sich, ob die Damaji'ting sich vielleicht über sie lustig machte. "Erzähle mir, was du über sie weißt."
"Inevera war die Tochter des Damaj, Kajis engstem Freund und Ratgeber", antwortete Inevera. "Im Evejah steht, sie sei so schön gewesen, dass Kaji sich auf den ersten Blick in sie verliebte und behauptete, es sei Everams Wille, sie unter all seinen Frauen zur Ersten Gemahlin zu erheben."
Kenevah schnaubte. "Die Damajah war mehr als das, Mädchen. Viel mehr. Wenn sie mit Kaji in den Kissen lag, flüsterte sie Worte der Weisheit in sein Ohr und verschaffte ihm dadurch eine unerhörte Machtfülle. Es heißt, sie hätte mit Everams Stimme gesprochen, und deshalb bedeutet dieser Name 'Everams Wille'.
"Inevera war auch die erste dama'ting", fuhr Kenevah fort. "Sie lehrte uns die Kunst des Heilens, das Wissen um Gifte und die hora-Magie. Sie webte Kajis Umhang, der ihn unsichtbar machte, und ritzte die Siegel in seinen mächtigen Speer und in seine Krone."
Kenevah fasste Inevera scharf ins Auge. "Und sie wird zurückkehren, wenn der Sharak Ka naht, um den nächsten Erlöser zu finden."
Inevera japste nach Luft, aber Kenevah maß sie nur mit einem nachsichtigen Blick. "Ich habe hundertmal erlebt, wie Mädchen mit deinem Namen der Atem stockt, wenn sie das hören, aber keine von ihnen hat einen Erlöser entdeckt. Wie viele Ineveras gibt es allein in der Damaj-Sippe? Zwanzig?"
Inevera nickte, und Kenevah brummte zufrieden. Aus ihrem Schreibtisch zog sie ein dickes Buch mit einem abgewetzten Lederrücken. Von der früheren Blattgoldverzierung waren nur noch ein paar matte Flecken übrig. Dieses Buch wurde oft benutzt.
"Der Evejah", verlautbarte Kenevah. "Du wirst ihn lesen."
Inevera verneigte sich. "Natürlich, Damaji'ting, obwohl ich ihn schon viele Male gelesen habe."
Kenevah schüttelte den Kopf. "Dies ist eine Kopie des Originals, von der Damajah selbst geschrieben. Vor über zweitausend Jahren schrieben die dama den Text um, weil sie den Anschein erwecken wollten, als sei das Buch von Kajis Hand allein verfasst worden, aber die dama'ting haben das Originalwerk aufbewahrt. Es enthält ... besondere Weisheiten."
Inevera nahm das Buch und verstand sofort, was gemeint war. Die Seiten waren unglaublich dünn und weich, doch der Evejah der Damajah war trotzdem mehr als doppelt so dick wie das Exemplar, das Manvah sie zu lesen gelehrt hatte. Sie drückte das Buch fest an ihre Brust, wie um es vor Dieben zu schützen.
"Sie werden dich ablehnen", sagte Kenevah.
"Wer, Damaji'ting?"
"Alle", betonte Kenevah. "Die Anverlobten sowie die Bräute gleichermaßen. Hier gibt es keine einzige Frau, die dich willkommen heißt."
"Warum nicht?"
"Weil deine Mutter keine dama'ting ist. Du wurdest nicht geboren, um die weiße Tracht zu tragen", erläuterte Kenevah. "Vor zwei Generationen haben die Würfel schon einmal ein Mädchen auserwählt. Du wirst doppelt so hart arbeiten müssen wie die anderen, wenn du dir den Schleier verdienen willst. Deine Schwestern befinden sich seit ihrer Geburt in der Ausbildung."
Inevera verdaute die Neuigkeit. Außerhalb des Palastes wussten alle, dass die dama'ting in Keuschheit lebten. Alle, so schien es, außer den dama'ting selbst.
"Sie werden dich hassen", fuhr Kenevah fort, "aber sie werden dich auch fürchten. Wenn du klug bist, kannst du das zu deinem Vorteil nutzen."
"Fürchten?" wunderte sich Inevera. "Warum in Everams Namen sollten sie mich fürchten?"
"Weil das Mädchen, das damals von den Würfeln auserwählt wurde, jetzt als Damaji'ting vor dir sitzt", erwiderte Kenevah. "Das war immer so, seit der Zeit des Kaji. Die Würfel zeigen, dass du meine Nachfolgerin sein könntest."
"Ich werde Damaji'ting sein?" fragte Inevera in ungläubigem Staunen.
"Du könntest es sein", berichtigte Kenevah. "Falls du lange genug lebst. Die anderen werden dich beobachten und über dich urteilen. Einige deiner in Ausbildung befindlichen Schwestern versuchen vielleicht, sich bei dir einzuschmeicheln, andere werden danach trachten, dich zu beherrschen. Du musst stärker sein als sie."
"Ich -" begann Inevera.
"Aber du darfst nicht zu stark wirken", unterbrach Kenevah sie, "denn dann bringen die dama'ting dich in aller Stille um, ehe du deinen Schleier anlegst, und lassen die Würfel eine andere Kandidatin auswählen."
Inevera durchrann ein eiskalter Schauer.
"Alles in deinem Leben wird sich nun ändern, Mädchen", sagte Kenevah. "Aber ich denke, am Ende stellst du fest, dass es im Dama'ting Palast nicht viel anders zugeht als auf dem Großen Basar."
Inevera legte den Kopf schräg und war sich nicht sicher, ob das ein Scherz sein sollte oder nicht. Doch Kenevah achtete nicht auf sie, sondern läutete eine goldene Glocke auf ihrem Schreibtisch. Qeva und Melan betraten das Gemach. "Bringt sie in das Gewölbe."
Abermals packte Qeva Ineveras Arm und zerrte sie beinahe vom Sofa hoch.
"Melan, du wirst sie in den Gebräuchen der Anverlobten unterweisen", bestimmte Kenevah. "Während der nächsten zwölf Mondkreisläufe werden ihre Fehler die deinen sein."
Melan zog eine Grimasse, aber sie verbeugte sich tief. "Ja, Großmutter."
***
Das Gewölbe befand sich in keinem der sieben Flügel des Palastes. Es lag tief drunten, im Unteren Palast.
Wie fast jedes größere Bauwerk im Wüstenspeer besaß der Palast der Dama'ting genauso viele Stockwerke oberhalb wie unter der Erde. Im Unteren Palast herrschten kühlere Temperaturen als in den über dem Boden gelegenen Etagen, und er war weniger opulent ausgestattet. Hier fehlten die Farben, das Gold und der Glanz, es gab nicht den üppigen Luxus, der den eigentlichen Palast auszeichnete. Abgeschirmt vom Licht der Sonne war die Untere Stadt kein Ort, um Pomp und Gepränge zur Schau zu stellen. Kein Ort, an dem man sich sonderlich wohlfühlen sollte.
Dennoch bot der Untere Palast mehr Behaglichkeit als die wenigen Kammern der Lehmhütte, die Inevera und ihre Familie ihr Zuhause nannten. Die hohen Decken, die riesigen Säulen und die luftigen Bogengänge verliehen selbst dem nackten Stein Schönheit, und die eingekerbten Siegel waren Kunstwerke. Obwohl die Sonne nicht in diese Räume eindrang, war die Luft angenehm warm, und auf den Steinböden lagen weiche Teppiche, deren Ränder mit Siegel bestickt waren. Selbst wenn alagai es irgendwie schafften, bis zu diesem sakrosankten Ort vorzudringen, bestand für die Bräute des Everam keine Gefahr.
Dama'ting wandelten durch die Hallen, und gelegentlich begegneten sie welchen. Sie nickte Qeva grüßend zu und gingen weiter, aber Inevera spürte förmlich die durchdringenden Blicke, die sie ihr hinterherschickten.
Sie stiegen eine Treppe hinab und marschierten noch mehr Korridore entlang. Die Luft wurde wärmer und feucht. Die Teppiche verschwanden, dafür war der Boden mit Marmorfliesen gekachelt, die von der sich niederschlagenden Nässe glitschig waren. Eine vierschrötige dama'ting stand Wache an einem Portal und gaffte Inevera unverhohlen an, wie eine Katze eine Maus anstarrt. Inevera erschauerte, als sie in einen großen Raum gelangten, an dessen Wänden Dutzende von Haken angebracht waren. An den meisten hingen Roben und ein langer Streifen weißer Seide. Weiter vorn erklangen Gelächter und planschende Geräusche.
"Zieh dein Kleid aus und lass es am Boden liegen, damit es verbrannt werden kann", befahl Qeva.
Hurtig schlüpfte Inevera aus ihrem braunen Kleid und dem Bido -ein breiter Stoffstreifen, der den allgegenwärtigen Sand und den Staub des Basars von den empfindlichen Körperpartien fernhielt. Manvah trug einen schwarzen Bido und hatte Inevera beigebracht, wie man ihn mit einem einfachen, praktischen Knoten band.
Melan entkleidete sich ebenfalls, und Inevera sah, dass sie unter ihrer Robe und den seidenen Beinkleidern auch einen Bido trug, nur war dieser viel komplizierter, denn er bestand aus einem vielfach geflochtenen, kaum einen Zoll breiten Streifen Seide. Auch ihr Kopf war mit Seide umwickelt, die ihr Haar, die Ohren und den Hals vollständig verhüllte. Nur das Gesicht blieb frei.
Melan band einen kleinen Knoten unter ihrem Kinn auf und fing an, ihre Kopfbedeckung zu entfernen. Flink, mit einer durch langes Üben erworbenen Geschicklichkeit, löste sie ein unglaublich kniffliges Geflecht. Dabei drehte sie die Hände dauernd hin und her, um den gelockerten Seidenstreifen darum zu wickeln und ihn gleichzeitig straff zu halten.
Zu ihrem Schrecken sah Inevera, dass der Kopf des Mädchens kahlgeschoren war; die olivfarbene, glatte Haut schimmerte wie polierter Stein.
Die Kopfbedeckung endete in dem stramm geflochtenen Zopf, der an Melans Rücken herunterhing. Hinter dem Kopf fuhren die Hände des Mädchens mit ihrem Tanz fort und entwirrten Dutzende von Schlingen in der Seide, bis zwei separate Stränge zu ihrem Bido führten. Und immer noch arbeiteten die Hände der Schülerin.
Es ist ein einziger Streifen Seide, erkannte Inevera und sah in ehrfurchtsvollem Staunen zu, wie Melan langsam ihren Bido entflocht. Der Eindruck eines Tanzes verstärkte sich noch, als Melan anfing, über die aufgelösten Streifen zu treten, wobei ihre bloßen Füße einen steten Rhythmus stampften. Dutzende von Malen kreuzte die Seide ihre Schenkel und zog sich zwischen ihren Beinen hindurch, eine Schicht über die andere legend.
Inevera hatte genug Körbe hergestellt um zu wissen, was eine gute Flechtarbeit war, und dies hier war ein Meisterwerk. Ein derart raffiniertes Gewebe konnte den ganzen Tag lang getragen werden, ohne sich zu lockern, und ein Ungeübter würde wahrscheinlich niemals in der Lage sein, es zu entwirren, ohne ein heilloses Durcheinander anzustellen.
"Der geflochtene Bido ist wie das Gewebe aus Fleisch, das deine Jungfräulichkeit beschützt", bemerkte Qeva und warf Inevera eine große Rolle aus dünner weißer Seide zu. "Du wirst ihn ständig tragen, außer wenn du dich reinigst oder deine Notdurft verrichtest, was hier in der tiefsten Kammer des Gewölbes geschieht. Unter gar keinen Umständen wirst du das Gewölbe ohne den Bido verlassen, und wenn er nicht ordentlich geflochten ist, wirst du bestraft. Melan bringt dir bei, wie man ihn flechtet. Für die Tochter einer Korbflechterin dürfte es ein Leichtes sein, es zu lernen."
Bei dieser Bemerkung schnaubte Melan verächtlich durch die Nase; Inevera schluckte trocken und bemühte sich, nicht den kahlen Kopf des Mädchens anzustarren, als Melan nun zu ihr kam. Sie war ein paar Jahre älter als Inevera und sehr hübsch ohne die Kopfbedeckung. Sie streckte die Hände aus, die jeweils mit mindestens zehn Fuß Seide umwickelt waren. Inevera folgte ihrem Beispiel, sie traten über den Streifen Seide zwischen ihren Händen und schoben ihn über ihre Gesäß- backen.
"Das erste Geflecht heißt Everams Hüter", erklärte Melan, zog die Seide straff und kreuzte sie über ihrer Scham. "Es wird siebenmal übereinandergelegt, einmal für jede Säule im Himmel." Inevera ahmte ihre Bewegungen nach und eine Weile gelang es ihr, mitzuhalten, ehe Qeva einschritt.
"Die Seide hat sich verdreht. Beginn noch einmal von vorn", befahl die dama'ting.
Inevera nickte, beide Mädchen lösten das Geflecht und fingen erneut an. Inevera zog die Stirn kraus. Kenevah hatte gesagt, Melan würde für ihre Fehler verantwortlich gemacht, und sie wollte nicht, dass das Mädchen für ihre Unbeholfenheit bestraft würde, deshalb strengte sie sich nach besten Kräften an, das Flechten perfekt zu imitieren. Bis hin zur Kopfbedeckung konnte sie mithalten, doch dann hatte die dama'ting wieder etwas zu bemängeln.
"Nicht so stramm", kritisierte sie. "Du lernst, einen Bido zu binden, du versuchst nicht, den gebrochenen Schädel eines Sharum zu fixieren. Mach es noch einmal."
Melan bedachte Inevera mit einem ärgerlichen Blick, der ihre Wangen glühen ließ, doch von neuem entwirrten sie die Seidenstränge und entflochten ihre Bidos vollständig, ehe sie die gesamte Prozedur wiederholten.
Beim dritten Mal hatte Inevera den Bogen raus. Ihre Finger entwickelten ein natürliches Gefühl für das Muster der Maschen, das Flechten ging ihr glatt von der Hand, und bald standen sie und Melan in vollkommen gleichen Seidenbidos da.
Qeva stieß einen prustenden Laut aus. "Vielleicht kann doch noch was aus dir werden, Mädchen. Melan brauchte Monate, um das Flechten eines Bidos zu lernen, und sie war noch eine der Schnellsten. Ist das nicht so, Melan?"
"Wie die dama'ting sagt." Melan machte eine steife Verbeugung, und Inevera kam der Verdacht, dass Qeva sie aufzog.
"Ab ins Bad mit euch", kommandierte Qeva. "Es ist schon spät am Tag, und bald wird die Küche geöffnet."
Abwesend rieb sich Inevera den Bauch. Seit ihrer letzten Mahlzeit waren viele Stunden vergangen. Qeva bemerkte die Geste. "Du kriegst noch früh genug etwas zu essen." Sie lächelte. "Sobald du und die anderen Mädchen den Abendverzehr aufgetragen und das Geschirr abgewaschen habt."
Sie lachte und deutete in die Richtung, aus der der Wasserdampf und die planschenden Geräusche kamen. Melan entledigte sich rasch ihres Bidos und steuerte auf den Ort zu. Inevera brauchte etwas mehr Zeit, da sie aufpassen musste, die Seide nicht zu verheddern, dann folgte sie ihr, wobei ihre nackten Füße über die Marmorkacheln klatschten.
Die Passage mündete vor einem großen Becken mit heißem Wasser, von dem dichte Dampfschwaden aufstiegen. Darin tummelten sich ein paar Dutzend Mädchen, allesamt so kahlköpfig wie Melan. Einige waren in Ineveras Alter, viele jedoch älter, auch einige fast erwachsene Frauen befanden sich darunter. Sie standen in dem steinernen Bad und wuschen sich, oder sie räkelten sich auf den glatten Steinstufen am Rand des Beckens, um sich die Körperhaare abzurasieren und die Nägel zu schneiden.
Inevera dachte an den Eimer voll warmen Wassers, den sie und ihre Mutter sich teilten, wenn sie sich säubern wollten. Die ihnen gewährte Ration war so gering, dass sie das Wasser nur selten austauschen konnten. Voller Staunen watete sie in das Becken, genoss es, wie das heiße Wasser ihre Schenkel liebkoste und zog die Fingerspitzen über die Oberfläche, wie wenn sie auf dem Markt einen Seidenstoff prüfte.
Bei ihrem Eintreten blickten alle auf. Die Mädchen, die lässig auf den Steinstufen herumlümmelten, schnellten hoch wie zischende Schlangen; jedes Augenpaar in dem diesigen Raum heftete sich auf die beiden Neuankömmlinge. Hastig ließen sich die, die noch saßen, ins Wasser gleiten und umringten sie.
Inevera drehte sich um, doch der Rückweg war bereits abgeschnitten. Der Kreis der Mädchen wurde enger, ließ keine Flucht mehr zu und versperrte Außenstehenden die Sicht auf Inevera und Melan.
"Ist sie das?" fragte ein Mädchen.
"Die, welche von den Würfeln erwählt wurde?" erkundigte sich jemand anders. Die Fragestellerinnen verloren sich in den Dampfwolken, als die Mädchen anfingen, im Kreis zu gehen und Inevera und Melan von allen Seiten beäugten, so wie Qeva ihre Würfel geprüft hatte.
Melan nickte, und der Kreis schloss sich noch enger zusammen, wobei sich die Mädchen nun voll und ganz auf Inevera konzentrierten. Die empfand das kollektive Starren wie einen körperlichen Schlag.
"Melan, was ...?" Inevera streckte die Hand aus, während ihr Herz wie wild pochte.
Melan packte ihr Handgelenk, verdrehte es und zog mit einem heftigen Ruck daran. Inevera fiel gegen sie, Melan griff mit einer Faust in ihr dichtes Haar und nutzte den Schwung ihres Falls, um ihren Kopf unter Wasser zu drücken.
Ein gurgelndes Geräusch breitete sich aus, danach hörte sie nur noch das Rauschen von Wasser. Reflexhaft schluckte Inevera Wasser und glaubte zu ersticken, aber unter Wasser konnte sie nicht husten, und ihr Inneres verkrampfte sich schmerzhaft, als sich den Drang zu atmen unterdrückte. Das heiße Wasser verbrühte ihr Gesicht, und sie wehrte sich heftig, doch Melan hielt sie mit einem eisernem Griff fest, dem Inevera hilflos ausgeliefert war. Sie schlug um sich, als ihre Lungen zu platzen drohten, aber Melan beherrschte sharusahk, und ihre Bewegungen waren geschwind und präzise. Inevera hatte gegen sie keine Chance.
Melan brüllte ihr etwas zu, aber der Schall drang nur gedämpft durch das Wasser, und Inevera verstand kein Wort. Ihr wurde bewusst, dass sie ertrinken würde. Es erschien ihr so absurd. Inevera hatte noch nie in Wasser gestanden, das über ihre Knie reichte. Wasser war kostbar im Wüstenspeer und diente im Basar sowohl als Währung wie als Handelsware. Gold glänzt, aber Wasser ist göttlich, lautete eine Redewendung. Nur die reichsten Einwohner Krasias konnten es sich leisten, in Wasser unterzutauchen.
Sie hatte schon fast mit ihrem Leben abgeschlossen, als Melan jählings an ihrem Arm riss und unter lautem Platschen wieder aufrichtete. Ineveras Haar klebte an ihrem Gesicht, sie hustete und sog in tiefen Atemzügen die dampfende, stickige Luft ein.
" ... spazierst einfach hier herein", kreischte Melan, "sprichst mit der Damaji'ting, als ob sie deine Kissenfreundin sei, und lernst nach drei Versuchen, den Bido zu flechten."
"Drei Versuche?" staunte ein Mädchen.
"Allein dafür sollten wir sie töten", steuerte eine andere bei.
"Sie hält sich wohl für was Besseres", meinte eine dritte.
Durch ihre nassen Haarsträhnen blickte Inevera verzweifelt um sich, doch die anderen Mädchen sahen sie teilnahmslos, mit gleichgültigen Augen an. Keine von ihnen machte den Eindruck, als würde sie auch nur einen Finger krümmen, um ihr zu helfen.
"Melan, bitte, ich ... " stotterte Inevera, aber Melan festigte ihren Griff und stieß sie abermals unter Wasser. Sie schaffte es, den Atem anzuhalten, doch bald wurde ihr die Luft knapp, und wieder schlug sie blindlings um sich, ehe Melan ihr gestattete, Atem zu schöpfen.
"Sprich nicht mit mir", zischte Melan. "Auch wenn ich ein Jahr lang an dich gebunden sind, macht uns das nicht zu Freundinnen. Denkst du, du kannst hierher kommen und über Nacht Kenevahs Platz einnehmen? Vor meiner Mutter? Vor mir? Ich bin von Kenevahs Blut! Du bist bloß ... ein schlechter Wurf."
Plötzlich befand sich ein scharfes Messer in ihrer Hand, und Inevera prallte entsetzt zurück, als Melan es durch die Luft sausen ließ und dicke Haarsträhnen abschnitt. "Du bist ein Nichts." Sie wirbelte das Messer zwischen den Fingern, hielt es an der Klinge fest und reichte es mit dem Griff voran dem nächsten Mädchen, das sich ihnen näherte.
"Du bist ein Nichts", wiederholte das Mädchen, schnappte sich eine andere Strähne von Ineveras Haar und säbelte sie ab.
Jedes Mädchen trat vor, übernahm das Messer und schnitt an Ineveras Haar herum, bis nur noch ein zerrupfter, ungleichmäßiger Schatten übrigblieb, von Blutflecken übersät. "Du bist ein Nichts", intonierten sie der Reihe nach.
Als sich das letzte Mädchen zurückzog, kauerte Inevera kniend im Wasser, kraftlos und weinend. Immer wieder wurde sie von Hustenanfällen geschüttelt, und durch die Krämpfe brannte ihr Hals wie Feuer. Es war, als sollte auch noch der allerletzte Tropfen Wasser in ihren Lungen ausgestoßen werden.
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Als Mädchen würde sie in den dama'ting Pavillon hineingehen, aber wenn sie ihn wieder verließ, galt sie als junge Frau, und nur ihrem zukünftigen Ehemann war es erlaubt, ihre Haare anzuschauen. Ihre braune Kleidung würde man ihr wegnehmen und durch geziemende schwarze Gewänder ersetzen.
"Vielleicht holt mich ein Damaji in seinen Harem", sinnierte Inevera. "Ich könnte in einem Palast leben und meine Aussteuer wäre so groß, dass du nie wieder als Flechterin zu arbeiten brauchtest."
"Du kämst nie wieder ins Sonnenlicht hinaus", murmelte ihre Mutter Manvah so leise, dass die Umstehenden es nicht hören konnten, "könntest außer mit deinen Schwestergemahlinnen mit niemandem sprechen und müsstest einem Mann Vergnügen bereiten, der dem Alter nach dein Urgroßvater sein könnte." Sie schüttelte den Kopf. "Wenigstens sind unsere Steuern bezahlt und du hast zwei Männer als Fürsprecher, deshalb besteht kaum eine Chance, dass du in den großen Harem verkauft wirst. Und selbst das wäre ein viel besseres Schicksal als für unfruchtbar erklärt und als nie'ting verstoßen zu werden."
Nie'ting. Inevera schüttelte sich bei dem Gedanken. Mädchen, die sich als unfruchtbar erwiesen, wurde die schwarze Tracht verweigert, sie mussten für den Rest ihres Lebens braune Sachen tragen und durften ihr Gesicht ob ihrer Schande nicht verdecken.
"Vielleicht werde ich auserwählt, eine dama'ting zu sein", spann Inevera weiter.
Manvah schnaubte durch die Nase. "Ganz sicher nicht. Sie wählen niemals eine aus."
"Großmutter sagt, in dem Jahr, als sie geprüft wurde, hätte man ein Mädchen erwählt."
"Das war vor mindestens fünfzig Jahren", entgegnete Manvah, "und die verehrte Mutter deines Vaters, möge Everam sie segnen, neigt zum ... Übertreiben."
"Woher kommen dann all die nie'dama'ting?" wunderte sich Inevera, auf die sich in ihrer Ausbildung befindlichen dama'ting anspielend, die ihre Gesichter nicht bedeckten, sich aber zum Zeichen ihres Verlöbnisses mit Everam in Weiß kleideten.
"Manche sagen, Everam selbst schwängert seine Bräute, und die nie'dama'ting seien seine Töchter", antwortete Manvah. Inevera sah sie an und lupfte eine Augenbraue, als frage sie sich, ob ihre Mutter einen Scherz mache.
Manvah zuckte die Achseln. "Diese Erklärung ist genauso gut wie jede andere. Ich versichere dir, dass keine der Mütter auf dem Markt je erlebt hat, dass ein Mädchen auserwählt wurde, noch haben sie ein Gesicht wiedererkannt."
"Mutter! Schwester!" Ein strahlendes Lächeln erhellte Ineveras Züge, als sie Soli näherkommen sah, gefolgt von Cashiv. Die schwarze Tracht ihres Bruders war noch staubig vom Kampf im Labyrinth, und sein Schild, den er über eine Schulter geschlungen hatte, wies frische Dellen auf. Cashiv war so makellos adrett wie immer.
Inevera rannte zu Soli und umarmte ihn. Lachend hob er sie mit einer Hand hoch und schwenkte sie durch die Luft. Inevera kreischte vor Vergnügen, ohne sich auch nur einen Augenblick lang zu fürchten. Nichts konnte sie ängstigen, wenn Soli in ihrer Nähe war. Sanft wie eine Feder setzte er sie wieder ab und ging dann zu ihrer Mutter, um sie zu umarmen.
"Was tust du hier?" fragte Manvah. "Ich dachte, du seist schon unterwegs zu Dama Badens Palast."
"Das bin ich auch", erwiderte Soli, "aber ich konnte doch meine Schwester nicht zu ihrem Hannu Pash gehen lassen, ohne ihr Alas Segen zu wünschen." Er streckte die Hand aus und zerstrubbelte Ineveras Haar. Sie schlug nach seiner Hand, doch wie immer war er schneller und zog sie rechtzeitig zurück.
"Denkst du, Vater wird auch noch kommen, um mich zu segnen?" fragte Inevera.
"Ah ... " Soli zögerte. "So viel ich weiß, schläft Vater immer noch hinten in der Bude. Letzte Nacht schaffte er es nicht einmal, zum Appell anzutreten." In einer hilflosen Geste zuckte Soli mit den Schultern, und Inevera senkte den Blick, weil er ihr ihre Enttäuschung nicht anmerken sollte.
Soli bückte sich und hob mit einem Finger behutsam ihr Kinn, damit sie einander in die Augen sehen konnten. "Ich weiß, dass Vater dir nur das Allerbeste wünscht, so wie ich, er kann es nur nicht so zeigen."
Inevera nickte. "Ich weiß." Ein letztes Mal schlang sie die Arme um Solis Nacken, bevor er ging. "Danke."
Cashiv sah Inevera an, als hätte er sie erst jetzt bemerkt. Er zeigte sein hübsches Lächeln und verneigte sich. "Gesegnet mögest du sein, Inevera vah'Kasaad, während deiner Verwandlung zur Frau. Ich wünsche dir einen guten Ehemann und viele Söhne, alle so ansehnlich wie dein Bruder."
Inevera lächelte und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, während die beiden Krieger davonschlenderten.
Endlich setzte sich die Schlange in Bewegung. Der Tag zog sich in die Länge, derweil sie in der prallen Sonne standen und jeweils nur ein Mädchen mit seiner Mutter eingelassen wurden. Manche kamen bereits nach wenigen Minuten wieder zurück -andere blieben fast eine volle Stunde lang drin. Alle trugen beim Herausgehen schwarze Kleidung, die meisten wirkten eingeschüchtert und erleichtert zugleich. Einige der Mädchen starrten wie versteinert ins Leere und rieben sich geistesabwesend die Arme, während ihre Mütter sie heimwärts bugsierten.
Als sie sich der Spitze der Schlange näherten, festigte Ineveras Mutter ihren Griff um die Schultern des Mädchens, und ihre Fingernägel gruben sich durch das Kleid in ihr Fleisch.
"Halte den Blick auf den Boden gerichtet und sprich nur, wenn man dich dazu auffordert", zischte Manvah. "Beantworte niemals eine Frage mit einer Gegenfrage und gib keine Widerworte. Sprich mir nach: 'Ja, Dama'ting.'"
"Ja, Dama'ting", wiederholte Inevera.
"Merke dir diese Antwort gut", drängte Manvah. "Wenn du eine dama'ting beleidigst, beleidigst du das Schicksal selbst."
"Ja, Mutter." Inevera schluckte hart und merkte, wie sie sich innerlich verkrampfte. Was ging in diesem Pavillon vor? Hatte ihre Mutter nicht dasselbe Ritual durchgemacht? Wovor hatte sie solche Angst?
Eine nie'dama'ting öffnete den Zelteingang, und das Mädchen, das vor Inevera an der Reihe gewesen war, kam heraus. Sie trug nun ein Kopftuch, doch es war von brauner Farbe, so wie das Kleid, das sie immer noch anhatte. Ihre Mutter tätschelte ihre Schultern und murmelte tröstende Worte, während sie weiterstolperten, doch beide weinten.
Die nie'dama'ting betrachtete die Szene mit heiterer Gelassenheit, dann wandte sie sich an Inevera und deren Mutter. "Ich bin Melan." Sie bedeutete ihnen, einzutreten. "Dama'ting Qeva wird euch jetzt empfangen."
Inevera holte tief Luft, als sie und ihre Mutter die Schuhe abstreiften, Schutzsiegel in die Luft zeichneten und in den dama'ting Pavillon hineingingen.
Sonnenlicht sickerte durch das in die Höhe strebende Dach aus Leinen und füllte das große Zelt mit strahlender Helligkeit. Alles hier war weiß, angefangen von den Zeltwänden bis zu den bemalten Möbeln und dem Fußboden aus dickem Leinen.
Umso bestürzender wirkte das Blut. Große rote und braune Flecken besudelten den Boden des Eingangsbereichs, und eine breite Spur aus schmutzigen roten Fußabdrücken führte vorbei an rechts und links angebrachten Trennwänden.
"Das ist Sharum-Blut", ließ sich eine Stimme vernehmen. Erschrocken prallte Inevera zurück, denn erst jetzt bemerkte sie die Braut des Everam, die direkt vor ihnen stand, und deren weiße Robe beinahe völlig mit dem Hintergrund verschmolz. "Es stammt von den Verwundeten, die im Morgengrauen vom alagai'sharak hierher gebracht wurden. Jeden Tag wird der Leinenfußboden weggeschnitten und während des Aufrufs zum Gebet auf den Spitzen der Minarette des Sharik Hora verbrannt."
Wie auf dieses Stichwort hin hörte Inevera nun die Schmerzensschreie, die sie umgaben. Hinter den dicken Trennwänden wanden sich Männer in Qualen. Sie stellte sich vor, unter ihnen seien ihr Vater -oder schlimmer noch Soli -und zuckte bei jedem Aufschrei und jedem Stöhnen zusammen.
"Everam, hol mich zu dir!" brüllte ein Mann verzweifelt. "Ich will nicht als Krüppel weiterleben!"
Passt auf, wohin ihr tretet", ermahnte Dama'ting Qeva. "Eure Fußsohlen sind nicht würdig, das Blut zu berühren, das ehrenhafte Krieger für euch vergossen haben."
Inevera und ihre Mutter schlängelten sich an den Blutflecken vorbei, um vor die dama'ting zu treten. Vom Kopf bis zu den Zehen in weiße Seide gehüllt, die lediglich ihre Augen und Hände freiließ, war Qeva eine massige Frau von kräftiger Statur, die Ineveras Mutter um Haupteslänge überragte.
"Wie lautet dein Name, Mädchen?" Die Stimme der Braut des Everam hatte einen tiefen, harten Klang.
"Inevera vah'Kasaad am'Damaj am'Kaji", antwortete Inevera, sich tief verbeugend. "Genannt nach der Ersten Gemahlin des Kaji." Manvahs Fingernägel krallten sich bei diesem Zusatz in ihre Schulter, und unwillkürlich schnappte sie nach Luft. Der dama'ting schien es nicht aufzufallen.
"Zweifellos glaubst du, dass dich das zu etwas Besonderem macht." Qeva schnaubte durch die Nase. "Wenn Krasia einen Krieger für jedes nichtsnutzige Mädchen hätte, das diesen Namen trug, wäre der Sharak Ka zu Ende."
"Ja, Dama'ting", bestätigte Inevera und verbeugte sich abermals, während ihre Mutter den Griff um ihre Schulter lockerte.
"Du bist hübsch", bemerkte die dama'ting.
Inevera verneigte sich. "Danke, Dama'ting.
"Die Harems können immer ein hübsches Mädchen gebrauchen, wenn es zu nichts anderem taugt", fuhr Queva fort und sah dabei Manvah an. "Wer ist dein Ehemann und welchen Beruf übst du aus?"
"Dal'Sharum Kasaad, Dama'ting", antwortete Manvah und verneigte sich. "Und ich stelle Flechtarbeiten aus Palmwedeln her."
"Erste Gemahlin?" hakte Qeva nach.
"Ich bin seine einzige Frau, Dama'ting", gestand Manvah.
"Männer denken, sie nehmen sich weitere Gemahlinnen, wenn sie erst Erfolg haben, Manvah aus dem Geschlecht des Kaji", verlautbarte Qeva, "doch das Gegenteil ist der Fall. Hast du versucht, Schwestergemahlinnen zu finden, wie der Evejah es gebietet, damit sie dir bei deiner Flechtarbeit helfen und deinem Gemahl weitere Kinder gebären können?"
"Ja, Dama'ting. Viele Male sogar." Manvah biss auf die Zähne. "Ihre Väter ... waren mit dieser Verbindung nicht einverstanden."
Die Braut des Everam gab einen brummenden Laut von sich. Die Antwort verriet ihr viel über Kasaad. "Hat das Mädchen eine Ausbildung bekommen?"
Manvah nickte. "Ja, Dama'ting. Inevera geht bei mir in die Lehre. Sie ist eine sehr geschickte Flechterin, und ich habe ihr Rechnen und das Führen von Hauptbüchern beigebracht. Sie hat den Evejah einmal für jede der sieben Säulen des Himmels gelesen."
Die Augen der dama'ting blieben unergründlich. "Folgt mir." Sie drehte sich um und schritt weiter in den Pavillon hinein. Das Blut auf dem Fußboden kümmerte sie nicht, ihre fließenden Seidengewänder glitten leicht darüber hinweg. Kein Tropfen blieb daran kleben. Selbst das Blut hätte sich diesen Frevel nicht angemaßt.
Melan eilte ihr hinterdrein; die nie'dama'ting wich den Blutflecken behände aus, und Inevera und ihre Mutter trotteten ihr nach. Der Pavillon war ein Labyrinth aus weißen Tuch- wänden, mit vielen überraschenden Windungen, die Inevera erst bemerkte, wenn sie sie erreicht hatten. Hier war der Boden frei von Blut, und selbst die Schreie der verwundeten Sharum drangen nur noch gedämpft zu ihnen herüber. Als sie dann um eine Querwand bogen, wechselten die Wände und die Decke plötzlich von Weiß zu Schwarz. Es war, als würde man vom Tag in die Nacht eintreten. Noch eine Biegung weiter wurde es so dunkel, dass ihre Mutter in der schwarzen dal'ting-Tracht kaum noch auszumachen war, und sogar die weißgekleidete dama'ting und ihre Schülerin verschwammen zu geisterhaften Schemen.
Jählings blieb Qeva stehen; Melan trat vor sie und zog eine Falltür auf, die Inevera nicht einmal gesehen hatte. Im Inneren der Öffnung gewahrte sie andeutungsweise eine Steintreppe, die in eine noch tiefere Finsternis hinabführte. Die steinernen Tritte fühlten sich unter ihren bloßen Füßen kalt an, und als Melan hinter ihnen die Luke schloss, herrschte eine totale Dunkelheit. Langsam stiegen sie nach unten, wobei Inevera schreckliche Angst hatte, sie könnte ausrutschen und die Braut des Everam mit sich die Stufen hinunterreißen.
Zum Glück war die Treppe nur kurz, und tatsächlich strauchelte Inevera vor lauter Überraschung, als sie unverhofft den Absatz erreichten. Sie fing sich jedoch schnell, und niemand schien ihr Missgeschick zu bemerken.
In Qevas Hand erschien ein rotes Licht und verbreitete einen unheimlichen, bösen Schimmer, der es ihnen gestattete, einander zu sehen, indes wenig dazu beitrug, die beklemmende Düsternis rings um sie her zu mildern. Die dama'ting führte sie entlang einer Reihe von dunklen Zellen, die in den gewachsenen Fels geschlagen waren. Zu beiden Seiten waren Siegel in die Wände gemeißelt.
"Du wartest hier mit Melan", beschied Queva Manvah und forderte Inevera auf, eine der Zellen zu betreten. Sie fuhr zusammen, als die schwere Tür sich hinter ihnen schloss.
In einer Ecke des Raums befand sich ein steinernes Podest, und dort legte die dama'ting das glühende Ding ab. Es sah aus wie ein Brocken Kohle, in den glimmende Siegel eingekerbt waren, doch selbst Inevera wusste es besser. Es handelte sich um alagai hora.
Der Knochen eines Dämons.
Qeva wandte sich wieder ihr zu, und Inevera erhaschte das Aufblitzen einer gebogenen Klinge in ihrer Hand. In dem roten Licht sah das Messer aus wie in Blut getaucht.
Kreischend wich Inevera zurück, doch die Zelle war winzig, und bald spürte sie, wie sie mit dem Rücken gegen die Steinwand stieß. Die dama'ting hielt die Klinge dicht vor Ineveras Nase, und das Mädchen schielte bei dem Versuch, die Schneide zu sehen.
"Fürchtest du dich vor dem Messer?" fragte die dama'ting.
"Ja, Dama'ting", platzte Inevera mit brechender Stimme heraus.
"Schließ die Augen", befahl Qeva. Inevera schlotterte vor Angst, doch sie gehorchte; das Herz hämmerte laut in ihrer Brust, während sie darauf wartete, dass sich die Klinge in ihr Fleisch bohrte.
Doch der Messerstich blieb aus. "Stelle dir eine Palme vor, Tochter einer Flechterin", sagte Qeva. Inevera begriff nicht ganz, was das sollte, aber sie nickte. Es fiel ihr leicht, dieses Bild heraufzubeschwören, denn sie kletterte jeden Tag auf Palmen, turnte mühelos die Stämme hinauf, um Palmwedel für die Flechtarbeit zu ernten.
"Fürchtet eine Palme den Wind?" fragte die dama'ting.
"Nein, Dama'ting", erwiderte Inevera.
"Was tut sie?"
"Sie biegt sich, Dama'ting."
"Der Evejah lehrt uns, dass Angst und Schmerzen nichts weiter sind als Wind, Inevera, Manvahs Tochter. Lass diese Gefühle einfach an dir vorbeiwehen."
"Ja, Dama'ting", antwortete Inevera.
"Wiederhole es dreimal", befahl Qeva.
"Angst und Schmerzen sind nur Wind", sagte Inevera, tief durchatmend. "Angst und Schmerzen sind nur Wind. Angst und Schmerzen sind nur Wind."
"Öffne die Augen und knie nieder", fuhr Quva fort. Nachdem Inevera der Aufforderung gefolgt war, fügte sie hinzu: "Strecke deinen Arm aus." Als Inevera ihren Arm hob, hatte sie das Gefühl, er gehöre gar nicht zu ihrem Körper, aber er zitterte nicht. Die Braut des Everam streifte Ineveras Ärmel hoch, schnitt in den Unterarm und zog eine hellrot blutende Linie.
Inevera sog scharf den Atem ein, aber weder zuckte sie zusammen noch entfuhr ihr ein Schrei. Angst und Schmerzen sind nur Wind.
Die dama'ting leckte die Klinge ab, um ihr Blut zu schmecken, dann steckte sie das Messer wieder in eine Tasche an ihrer Taille. Mit ihrer kräftigen Hand quetschte sie die Schnittwunde, bis Blut auf eine Handvoll schwarzer, mit Siegeln versehener Würfel tropfte.
Inevera biss die Zähne zusammen. Angst und Schmerzen sind nur Wind.
Als das Blut auf die Würfel traf, begannen diese zu glühen, und Inevera vergegenwärtigte sich, dass auch diese aus alagai hora bestanden. Ihr Blut kam mit Dämonenknochen in Berührung. Die Vorstellung entsetzte sie.
Die dama'ting trat einen Schritt zurück, stimmte einen leisen Sprechgesang an und schüttelte die Würfel, die mit jedem Moment, der verstrich, intensiver glühten.
"Everam, Spender von Licht und Leben, ich flehe dich an, lass deine geringe Dienerin wissen, was da kommen wird. Erzähle mir von Inevera, Tochter des Kasaad, aus der Kaji- Blutslinie des Damaj."
Alsdann warf sie die Würfel vor Inevera auf den Boden. Ihr Licht explodierte in einem Blitz, der das Mädchen blinzeln ließ, dann schwächte es sich zu einem stumpfen Pulsieren ab, während die glühenden Symbole auf dem Boden die Schicksalsfäden bloßlegte, aus denen ihre Zukunft gewebt wurde.
Die dama'ting sagte nichts. Aus schmalen Augenschlitzen starrte sie eine geraume Zeit lang die Symbole an. Inevera hätte nicht sagen können, wie lange die Betrachtung dauerte, aber sie schwankte, als ihre Beinmuskeln, die nicht daran gewöhnt waren, so lange zu knien, allmählich unter ihr nachgaben.
Qeva sah sie an, als sie das Wanken bemerkte. "Setz dich auf deine Fersen und halt still!" Sie stand auf und bewegte sich in der engen Zelle im Kreis, um das Muster der Würfel aus jedem Blickwinkel zu begutachten. Langsam verblasste das Glühen, doch die dama'ting grübelte immer noch.
Trotz der Ermahnung, sich wie eine Palme im Wind zu verhalten, wuchs Ineveras Nervosität. Ihre Muskeln schmerzten vor Anspannung, und von einer Sekunde zur nächsten verdoppelte sich ihre Angst. Was sah die Braut des Everam? Sollte sie ihrer Mutter weggenommen und in einen Harem verkauft werden? War sie vielleicht unfruchtbar?
Endlich fasste Qeva das Mädchen ins Auge. "Wenn du die Würfel in irgendeiner Weise berührst, ist das dein Tod." Nach dieser Warnung verließ sie den Raum und schnauzte Befehle. Das Geräusch rennender Schritte erklang, als Melan loshetzte.
Einen Moment später betrat Manvah die Zelle, machte vorsichtig einen Bogen um die Würfel und kniete hinter Inevera nieder. "Was ist passiert?" flüsterte sie.
Inevera schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht. Die dama'ting starrte die Würfel an, als sei sie sich nicht sicher, was sie verkündeten."
"Oder die Prophezeiung gefiel ihr nicht", murmelte Manvah.
"Was geschieht jetzt?" fragte Inevera und spürte die Kälte, die ihr über das Gesicht kroch.
"Sie holen Damaji'ting Kenevah", antwortete Manvah, worauf Inevera erschrocken nach Luft schnappte. "Sie wird das letzte Wort sprechen. Und jetzt bete."
Inevera erschauerte, als sie den Kopf senkte. Sie hatte bereits eine fürchterliche Angst vor der dama'ting. Der bloße Gedanke, dass deren Oberste Gebieterin kommen würde, um sie zu prüfen ...
Bitte, Everam, flehte sie, lass mich fruchtbar sein und dem Stamm der Kaji Söhne gebären. Meine Familie könnte die Schande nicht ertragen, wenn ich kha'ting wäre. Erfülle mir diesen einen Wunsch, und ich werde auf ewig deine Dienerin sein.
Lange knieten sie in dem trüben roten Licht und beteten.
"Mutter?" fragte Inevera.
"Ja?"
Inevera würgte an dem Knoten in ihrer Kehle. "Wirst du mich auch noch liebhaben, wenn ich unfruchtbar bin?" Ihre Stimme versagte. Sie wollte nicht weinen, aber sie ertappte sich dabei, wie sie Tränen fortblinzelte.
Im nächsten Moment schloss Manvah sie in die Arme. "Du bist meine Tochter. Ich würde dich selbst dann noch lieben, wenn du die Sonne auslöschen würdest."
***
Nachdem sie endlos lange gewartet hatten, kam Qeva zurück, gefolgt von einer anderen Braut des Everam -diese war älter, magerer und machte einen klugen, scharfsinnigen Eindruck. Sie trug die weiße Tracht der dama'ting, ihr Schleier und die Kopfbedeckung hingegen bestanden aus schwarzer Seide. Damaji'ting Kenevah, die mächtigste Frau in ganz Krasia.
Die Damaji'ting blickte auf die beiden Frauen, die sich eng umschlungen hielten. Hastig fuhren Inevera und ihre Mutter auseinander, wischten sich die Augen trocken und fielen wieder auf die Knie. Ohne ein Wort zu sagen begab sich die Damaji'ting zu den Würfeln. Viele Minuten lang studierte sie das Muster.
Schließlich knurrte Kenevah: "Nimm sie mit."
Inevera stieß einen leisen Schrei aus, als Qeva zu ihr marschierte, sie beim Arm packte und auf die Füße riss. Verzweifelt blickte sie ihre Mutter an und sah, dass sich Manvahs Augen vor Furcht weiteten. Und dann zerrte die kräftige dama'ting sie auch schon fort. "Mutter!"
Manvah warf sich bäuchlings auf den Boden und umklammerte den Saum von Qevas weißer Robe. "Bitte, Dama'ting", bettelte sie. "Meine Tochter -"
"Deine Tochter geht dich nichts mehr an", fiel Kenevah ihr ins Wort und Qeva trat nach ihr, damit sie den Saum ihres Gewandes losließ. "Sie gehört jetzt Everam."
***
"Da muss ein Irrtum passiert sein", stammelte Inevera benommen, als Qeva sie mit festem Griff um ihren Arm die Straße entlang führte. Sie kam sich eher vor, als würde sie zu einem Schandpfahl geschleift um dort ausgepeitscht zu werden anstatt in einen Palast. Damaji'ting Kenevah und Melan, die nie'dama'ting-Schülerin, begleiteten sie.
"Die Würfel irren sich nie", erwiderte Kenevah. "Und du solltest dich glücklich schätzen. Du, die Tochter einer Korbflechterin und eines unbedeutenden Sharum, wird Everam anverlobt. Begreifst du nicht, welch große Ehre deiner Familie heute widerfährt?"
"Warum durfte ich mich dann nicht von ihr verabschieden? Nicht einmal von meiner Mutter?" Beantworte niemals eine Frage mit einer Gegenfrage, hatte Manvah ihr eingeschärft, aber im Augenblick war Inevera alles egal.
"Ein glatter Bruch ist das Beste", meinte Kenevah. "Deine Familie steht jetzt tief unter dir. Sie ist unwichtig.
Während deiner Ausbildung ist es dir nicht erlaubt, sie zu sehen, und wenn du soweit bist, dich der Prüfung zu unterziehen, ob du würdig bist, die weiße Tracht anzulegen, wirst du gar keine Sehnsucht mehr nach deinen Leuten haben."
Zu einer derart albernen Bemerkung fiel Inevera nichts ein. Sie sollte nicht mehr den Wunsch verspüren, ihre Mutter zu sehen? Oder ihren Bruder? Undenkbar. Sogar ihren Vater würde sie vermisssen, obwohl Kasaad ihre Abwesenheit vermutlich gar nicht bemerken würde.
Bald kam der Kaji Dama'ting Palast in Sicht. Er stand selbst den grandiosesten Prachtbauten der mächtigsten Damaji in nichts nach und war von einer zwanzig Fuß hohen, mit Siegeln versehenen Mauer umgeben, die sowohl Schutz bot vor Feinden, die bei Tageslicht angriffen als auch vor alagai. Über der Mauerkrone konnte sie die hohen Türme und die große Kuppel des Palastes sehen, aber Inevera hatte niemals einen Blick hinter die Mauern geworfen. Niemand außer den dama'ting und ihren Schülerinnen durchschritt jemals das wuchtige Tor. Kein Mann, nicht einmal der Andrah höchstselbst, durfte einen Fuß auf diesen geweihten Boden setzen.
Jedenfalls hatte man Inevera dies erzählt, doch nachdem sich die Flügel des Portals -die sich scheinbar von selbst geöffnet hatten -wieder hinter ihnen schlossen, sah sie zwei muskulöse Männer, welche sie zuschoben. Bekleidet waren sie lediglich mit weißen Bidos und Sandalen, und ihr Haar und ihre Körper glänzten vor Öl. Beide trugen goldene Fesseln um die Knöchel und Handgelenke, aber Inevera sah keine Ketten, die die Fuß-und Handschellen miteinander verbanden.
"Ich dachte, Männer seien aus dem Palast ausgeschlossen", bemerkte Inevera, "um die Keuschheit der dama'ting nicht zu gefährden."
Die Bräute des Everam gaben ein bellendes Lachen von sich, als hätten sie einen umwerfend komischen Witz gehört. Sogar Melan gluckste in sich hinein.
"Das stimmt nur zur Hälfte", klärte Kenevah sie auf. "Die Eunuchen haben keine Hoden, und deshalb gelten sie in Everams Augen nicht als Männer."
"Sie sind also ... push'ting?" fragte Inevera.
Kenevah lachte gackernd. "Ihre Eier sind zwar weg, aber trotzdem funktionieren ihre Speere gut genug, um die Arbeit eines richtigen Mannes zu leisten."
Inevera lächelte gequält, als sie die breite Marmortreppe hochstiegen; die Stufen waren glattpoliert und glänzten in einem makellosen Weiß. Bemüht, sich so klein und unauffällig wie möglich zu machen, drückte sie die Arme eng an ihren Körper, während andere gutaussehende, athletische Sklaven in goldenen Fesseln die prächtige Eingangstür öffneten. Die Männer verneigten sich, Qeva streckte die Hand nach einem der Burschen aus und streichelte mit dem Finger die Unterseite seines Kinns.
"Es war ein anstrengender Tag. In einer Stunde findest du dich mit erhitzten Steinen und Duftöl in meinen Gemächern ein, um die Verspannungen wegzumassieren." Der Sklave verbeugte sich tief, sagte jedoch nichts.
"Dürfen sie nicht sprechen?" fragte Inevera.
"Sie können nicht", erklärte Kenevah. "Am selben Tag, an denen man ihnen die Eier wegoperierte, schnitt man ihnen die Stimmbänder durch, und sie kennen keine Schriftzeichen. Sie wären nie imstande, von den Wunderdingen zu berichten, die sie im Dama'ting Palast sehen."
In der Tat strotzte der Palast vor einem verschwenderischen Luxus, der Ineveras kühnste Fantasien übertraf. Alles, die Säulen, die hohe Kuppeldecke, die Fußböden, Wände und Treppen bestanden aus vollkommenem weißen Marmor, der auf Hochglanz poliert war. Dicke, gewebte Teppiche, die sich unter ihren bloßen Füßen erstaunlich weich anfühlten, lagen in den Hallen verteilt und füllten sie mit bunten Farben. An den Wänden hingen Gobelins -Meisterstücke der Handwerkskunst, welche die Geschichten des Evejah zum Leben erweckten. Wunderschöne glasierte Keramiken standen auf marmornen Sockeln, zusammen mit Gegenständen aus Kristall, Gold und poliertem Silber, angefangen von zierlichen Skulpturen und Filigranarbeiten bis hin zu schweren Kelchen und Schüsseln. Im Basar hätte man solche Wertobjekte schwer bewacht -jedes einzelne Teil hätte man für eine Summe verkaufen können, von der eine Familie zehn Jahre lang hätte leben können -doch wer in ganz Krasia hätte es gewagt, die dama'ting zu bestehlen?
In den Sälen begegneten ihnen andere Bräute, entweder einzeln oder in schwatzenden Gruppen. Alle trugen die gleichen Gewänder aus fließender weißer Seide, mit übergeschlagenen Kapuzen und Schleiern vor dem Gesicht -selbst hier drin, wo kein Mann sie sehen konnte. Wenn Kenevah an ihnen vorbeiging, blieben sie stehen und verneigten sich tief, und obwohl sie sich bemühten, es zu vertuschen, musterte jede von ihnen Inevera mit neugierigen und nicht gerade freundlichen Blicken.
Mehr als eine der Bräute, die ihnen entgegenkamen, war hochschwanger. Es war schockierend, dama'ting in diesem Zustand zu sehen, vor allen Dingen, wenn die einzigen Männer, die sie in ihrer Nähe duldeten, kastriert waren; aber Inevera verbarg ihre Verblüffung, indem sie eine undurchdringliche Miene aufsetzte wie jemand, der sich im Basar aufs Feilschen einstellt. Eine Frage hätte Kenevahs Geduld vielleicht überstrapaziert, und wenn sie hier leben musste, würde sie die Antwort schon noch früh genug erfahren.
Der Palast besaß sieben Flügel, einen für jede Säule im Himmel, wobei der mittlere Komplex gen Anochs Sonne wies, der letzten Ruhestätte des Kaji. Dies war der persönliche Trakt der Damaji'ting, und man führte Inevera in das feudal ausgestattete Empfangszimmer der Ersten Braut. Qeva und Melan erhielten die Anweisung, draußen zu warten.
"Setz dich", befahl die Damaji'ting und deutete auf ein paar mit Samt bezogener Sofas, die sich vor einem glänzend polierten Schreibtisch gruppierten. Schüchtern nahm Inevera Platz; in diesem riesigen Arbeitszimmer kam sie sich klein und unbedeutend vor. Kenevah setzte sich hinter den Schreibtisch, legte die Fingerspitzen gegeneinander und starrte Inevera an, die sich unter dem gnadenlosen Blick krümmte.
"Qeva sagte mir, dass du über deine Namensvetterin im Bilde bist", begann Kenevah in barschem Ton, und Inevera fragte sich, ob die Damaji'ting sich vielleicht über sie lustig machte. "Erzähle mir, was du über sie weißt."
"Inevera war die Tochter des Damaj, Kajis engstem Freund und Ratgeber", antwortete Inevera. "Im Evejah steht, sie sei so schön gewesen, dass Kaji sich auf den ersten Blick in sie verliebte und behauptete, es sei Everams Wille, sie unter all seinen Frauen zur Ersten Gemahlin zu erheben."
Kenevah schnaubte. "Die Damajah war mehr als das, Mädchen. Viel mehr. Wenn sie mit Kaji in den Kissen lag, flüsterte sie Worte der Weisheit in sein Ohr und verschaffte ihm dadurch eine unerhörte Machtfülle. Es heißt, sie hätte mit Everams Stimme gesprochen, und deshalb bedeutet dieser Name 'Everams Wille'.
"Inevera war auch die erste dama'ting", fuhr Kenevah fort. "Sie lehrte uns die Kunst des Heilens, das Wissen um Gifte und die hora-Magie. Sie webte Kajis Umhang, der ihn unsichtbar machte, und ritzte die Siegel in seinen mächtigen Speer und in seine Krone."
Kenevah fasste Inevera scharf ins Auge. "Und sie wird zurückkehren, wenn der Sharak Ka naht, um den nächsten Erlöser zu finden."
Inevera japste nach Luft, aber Kenevah maß sie nur mit einem nachsichtigen Blick. "Ich habe hundertmal erlebt, wie Mädchen mit deinem Namen der Atem stockt, wenn sie das hören, aber keine von ihnen hat einen Erlöser entdeckt. Wie viele Ineveras gibt es allein in der Damaj-Sippe? Zwanzig?"
Inevera nickte, und Kenevah brummte zufrieden. Aus ihrem Schreibtisch zog sie ein dickes Buch mit einem abgewetzten Lederrücken. Von der früheren Blattgoldverzierung waren nur noch ein paar matte Flecken übrig. Dieses Buch wurde oft benutzt.
"Der Evejah", verlautbarte Kenevah. "Du wirst ihn lesen."
Inevera verneigte sich. "Natürlich, Damaji'ting, obwohl ich ihn schon viele Male gelesen habe."
Kenevah schüttelte den Kopf. "Dies ist eine Kopie des Originals, von der Damajah selbst geschrieben. Vor über zweitausend Jahren schrieben die dama den Text um, weil sie den Anschein erwecken wollten, als sei das Buch von Kajis Hand allein verfasst worden, aber die dama'ting haben das Originalwerk aufbewahrt. Es enthält ... besondere Weisheiten."
Inevera nahm das Buch und verstand sofort, was gemeint war. Die Seiten waren unglaublich dünn und weich, doch der Evejah der Damajah war trotzdem mehr als doppelt so dick wie das Exemplar, das Manvah sie zu lesen gelehrt hatte. Sie drückte das Buch fest an ihre Brust, wie um es vor Dieben zu schützen.
"Sie werden dich ablehnen", sagte Kenevah.
"Wer, Damaji'ting?"
"Alle", betonte Kenevah. "Die Anverlobten sowie die Bräute gleichermaßen. Hier gibt es keine einzige Frau, die dich willkommen heißt."
"Warum nicht?"
"Weil deine Mutter keine dama'ting ist. Du wurdest nicht geboren, um die weiße Tracht zu tragen", erläuterte Kenevah. "Vor zwei Generationen haben die Würfel schon einmal ein Mädchen auserwählt. Du wirst doppelt so hart arbeiten müssen wie die anderen, wenn du dir den Schleier verdienen willst. Deine Schwestern befinden sich seit ihrer Geburt in der Ausbildung."
Inevera verdaute die Neuigkeit. Außerhalb des Palastes wussten alle, dass die dama'ting in Keuschheit lebten. Alle, so schien es, außer den dama'ting selbst.
"Sie werden dich hassen", fuhr Kenevah fort, "aber sie werden dich auch fürchten. Wenn du klug bist, kannst du das zu deinem Vorteil nutzen."
"Fürchten?" wunderte sich Inevera. "Warum in Everams Namen sollten sie mich fürchten?"
"Weil das Mädchen, das damals von den Würfeln auserwählt wurde, jetzt als Damaji'ting vor dir sitzt", erwiderte Kenevah. "Das war immer so, seit der Zeit des Kaji. Die Würfel zeigen, dass du meine Nachfolgerin sein könntest."
"Ich werde Damaji'ting sein?" fragte Inevera in ungläubigem Staunen.
"Du könntest es sein", berichtigte Kenevah. "Falls du lange genug lebst. Die anderen werden dich beobachten und über dich urteilen. Einige deiner in Ausbildung befindlichen Schwestern versuchen vielleicht, sich bei dir einzuschmeicheln, andere werden danach trachten, dich zu beherrschen. Du musst stärker sein als sie."
"Ich -" begann Inevera.
"Aber du darfst nicht zu stark wirken", unterbrach Kenevah sie, "denn dann bringen die dama'ting dich in aller Stille um, ehe du deinen Schleier anlegst, und lassen die Würfel eine andere Kandidatin auswählen."
Inevera durchrann ein eiskalter Schauer.
"Alles in deinem Leben wird sich nun ändern, Mädchen", sagte Kenevah. "Aber ich denke, am Ende stellst du fest, dass es im Dama'ting Palast nicht viel anders zugeht als auf dem Großen Basar."
Inevera legte den Kopf schräg und war sich nicht sicher, ob das ein Scherz sein sollte oder nicht. Doch Kenevah achtete nicht auf sie, sondern läutete eine goldene Glocke auf ihrem Schreibtisch. Qeva und Melan betraten das Gemach. "Bringt sie in das Gewölbe."
Abermals packte Qeva Ineveras Arm und zerrte sie beinahe vom Sofa hoch.
"Melan, du wirst sie in den Gebräuchen der Anverlobten unterweisen", bestimmte Kenevah. "Während der nächsten zwölf Mondkreisläufe werden ihre Fehler die deinen sein."
Melan zog eine Grimasse, aber sie verbeugte sich tief. "Ja, Großmutter."
***
Das Gewölbe befand sich in keinem der sieben Flügel des Palastes. Es lag tief drunten, im Unteren Palast.
Wie fast jedes größere Bauwerk im Wüstenspeer besaß der Palast der Dama'ting genauso viele Stockwerke oberhalb wie unter der Erde. Im Unteren Palast herrschten kühlere Temperaturen als in den über dem Boden gelegenen Etagen, und er war weniger opulent ausgestattet. Hier fehlten die Farben, das Gold und der Glanz, es gab nicht den üppigen Luxus, der den eigentlichen Palast auszeichnete. Abgeschirmt vom Licht der Sonne war die Untere Stadt kein Ort, um Pomp und Gepränge zur Schau zu stellen. Kein Ort, an dem man sich sonderlich wohlfühlen sollte.
Dennoch bot der Untere Palast mehr Behaglichkeit als die wenigen Kammern der Lehmhütte, die Inevera und ihre Familie ihr Zuhause nannten. Die hohen Decken, die riesigen Säulen und die luftigen Bogengänge verliehen selbst dem nackten Stein Schönheit, und die eingekerbten Siegel waren Kunstwerke. Obwohl die Sonne nicht in diese Räume eindrang, war die Luft angenehm warm, und auf den Steinböden lagen weiche Teppiche, deren Ränder mit Siegel bestickt waren. Selbst wenn alagai es irgendwie schafften, bis zu diesem sakrosankten Ort vorzudringen, bestand für die Bräute des Everam keine Gefahr.
Dama'ting wandelten durch die Hallen, und gelegentlich begegneten sie welchen. Sie nickte Qeva grüßend zu und gingen weiter, aber Inevera spürte förmlich die durchdringenden Blicke, die sie ihr hinterherschickten.
Sie stiegen eine Treppe hinab und marschierten noch mehr Korridore entlang. Die Luft wurde wärmer und feucht. Die Teppiche verschwanden, dafür war der Boden mit Marmorfliesen gekachelt, die von der sich niederschlagenden Nässe glitschig waren. Eine vierschrötige dama'ting stand Wache an einem Portal und gaffte Inevera unverhohlen an, wie eine Katze eine Maus anstarrt. Inevera erschauerte, als sie in einen großen Raum gelangten, an dessen Wänden Dutzende von Haken angebracht waren. An den meisten hingen Roben und ein langer Streifen weißer Seide. Weiter vorn erklangen Gelächter und planschende Geräusche.
"Zieh dein Kleid aus und lass es am Boden liegen, damit es verbrannt werden kann", befahl Qeva.
Hurtig schlüpfte Inevera aus ihrem braunen Kleid und dem Bido -ein breiter Stoffstreifen, der den allgegenwärtigen Sand und den Staub des Basars von den empfindlichen Körperpartien fernhielt. Manvah trug einen schwarzen Bido und hatte Inevera beigebracht, wie man ihn mit einem einfachen, praktischen Knoten band.
Melan entkleidete sich ebenfalls, und Inevera sah, dass sie unter ihrer Robe und den seidenen Beinkleidern auch einen Bido trug, nur war dieser viel komplizierter, denn er bestand aus einem vielfach geflochtenen, kaum einen Zoll breiten Streifen Seide. Auch ihr Kopf war mit Seide umwickelt, die ihr Haar, die Ohren und den Hals vollständig verhüllte. Nur das Gesicht blieb frei.
Melan band einen kleinen Knoten unter ihrem Kinn auf und fing an, ihre Kopfbedeckung zu entfernen. Flink, mit einer durch langes Üben erworbenen Geschicklichkeit, löste sie ein unglaublich kniffliges Geflecht. Dabei drehte sie die Hände dauernd hin und her, um den gelockerten Seidenstreifen darum zu wickeln und ihn gleichzeitig straff zu halten.
Zu ihrem Schrecken sah Inevera, dass der Kopf des Mädchens kahlgeschoren war; die olivfarbene, glatte Haut schimmerte wie polierter Stein.
Die Kopfbedeckung endete in dem stramm geflochtenen Zopf, der an Melans Rücken herunterhing. Hinter dem Kopf fuhren die Hände des Mädchens mit ihrem Tanz fort und entwirrten Dutzende von Schlingen in der Seide, bis zwei separate Stränge zu ihrem Bido führten. Und immer noch arbeiteten die Hände der Schülerin.
Es ist ein einziger Streifen Seide, erkannte Inevera und sah in ehrfurchtsvollem Staunen zu, wie Melan langsam ihren Bido entflocht. Der Eindruck eines Tanzes verstärkte sich noch, als Melan anfing, über die aufgelösten Streifen zu treten, wobei ihre bloßen Füße einen steten Rhythmus stampften. Dutzende von Malen kreuzte die Seide ihre Schenkel und zog sich zwischen ihren Beinen hindurch, eine Schicht über die andere legend.
Inevera hatte genug Körbe hergestellt um zu wissen, was eine gute Flechtarbeit war, und dies hier war ein Meisterwerk. Ein derart raffiniertes Gewebe konnte den ganzen Tag lang getragen werden, ohne sich zu lockern, und ein Ungeübter würde wahrscheinlich niemals in der Lage sein, es zu entwirren, ohne ein heilloses Durcheinander anzustellen.
"Der geflochtene Bido ist wie das Gewebe aus Fleisch, das deine Jungfräulichkeit beschützt", bemerkte Qeva und warf Inevera eine große Rolle aus dünner weißer Seide zu. "Du wirst ihn ständig tragen, außer wenn du dich reinigst oder deine Notdurft verrichtest, was hier in der tiefsten Kammer des Gewölbes geschieht. Unter gar keinen Umständen wirst du das Gewölbe ohne den Bido verlassen, und wenn er nicht ordentlich geflochten ist, wirst du bestraft. Melan bringt dir bei, wie man ihn flechtet. Für die Tochter einer Korbflechterin dürfte es ein Leichtes sein, es zu lernen."
Bei dieser Bemerkung schnaubte Melan verächtlich durch die Nase; Inevera schluckte trocken und bemühte sich, nicht den kahlen Kopf des Mädchens anzustarren, als Melan nun zu ihr kam. Sie war ein paar Jahre älter als Inevera und sehr hübsch ohne die Kopfbedeckung. Sie streckte die Hände aus, die jeweils mit mindestens zehn Fuß Seide umwickelt waren. Inevera folgte ihrem Beispiel, sie traten über den Streifen Seide zwischen ihren Händen und schoben ihn über ihre Gesäß- backen.
"Das erste Geflecht heißt Everams Hüter", erklärte Melan, zog die Seide straff und kreuzte sie über ihrer Scham. "Es wird siebenmal übereinandergelegt, einmal für jede Säule im Himmel." Inevera ahmte ihre Bewegungen nach und eine Weile gelang es ihr, mitzuhalten, ehe Qeva einschritt.
"Die Seide hat sich verdreht. Beginn noch einmal von vorn", befahl die dama'ting.
Inevera nickte, beide Mädchen lösten das Geflecht und fingen erneut an. Inevera zog die Stirn kraus. Kenevah hatte gesagt, Melan würde für ihre Fehler verantwortlich gemacht, und sie wollte nicht, dass das Mädchen für ihre Unbeholfenheit bestraft würde, deshalb strengte sie sich nach besten Kräften an, das Flechten perfekt zu imitieren. Bis hin zur Kopfbedeckung konnte sie mithalten, doch dann hatte die dama'ting wieder etwas zu bemängeln.
"Nicht so stramm", kritisierte sie. "Du lernst, einen Bido zu binden, du versuchst nicht, den gebrochenen Schädel eines Sharum zu fixieren. Mach es noch einmal."
Melan bedachte Inevera mit einem ärgerlichen Blick, der ihre Wangen glühen ließ, doch von neuem entwirrten sie die Seidenstränge und entflochten ihre Bidos vollständig, ehe sie die gesamte Prozedur wiederholten.
Beim dritten Mal hatte Inevera den Bogen raus. Ihre Finger entwickelten ein natürliches Gefühl für das Muster der Maschen, das Flechten ging ihr glatt von der Hand, und bald standen sie und Melan in vollkommen gleichen Seidenbidos da.
Qeva stieß einen prustenden Laut aus. "Vielleicht kann doch noch was aus dir werden, Mädchen. Melan brauchte Monate, um das Flechten eines Bidos zu lernen, und sie war noch eine der Schnellsten. Ist das nicht so, Melan?"
"Wie die dama'ting sagt." Melan machte eine steife Verbeugung, und Inevera kam der Verdacht, dass Qeva sie aufzog.
"Ab ins Bad mit euch", kommandierte Qeva. "Es ist schon spät am Tag, und bald wird die Küche geöffnet."
Abwesend rieb sich Inevera den Bauch. Seit ihrer letzten Mahlzeit waren viele Stunden vergangen. Qeva bemerkte die Geste. "Du kriegst noch früh genug etwas zu essen." Sie lächelte. "Sobald du und die anderen Mädchen den Abendverzehr aufgetragen und das Geschirr abgewaschen habt."
Sie lachte und deutete in die Richtung, aus der der Wasserdampf und die planschenden Geräusche kamen. Melan entledigte sich rasch ihres Bidos und steuerte auf den Ort zu. Inevera brauchte etwas mehr Zeit, da sie aufpassen musste, die Seide nicht zu verheddern, dann folgte sie ihr, wobei ihre nackten Füße über die Marmorkacheln klatschten.
Die Passage mündete vor einem großen Becken mit heißem Wasser, von dem dichte Dampfschwaden aufstiegen. Darin tummelten sich ein paar Dutzend Mädchen, allesamt so kahlköpfig wie Melan. Einige waren in Ineveras Alter, viele jedoch älter, auch einige fast erwachsene Frauen befanden sich darunter. Sie standen in dem steinernen Bad und wuschen sich, oder sie räkelten sich auf den glatten Steinstufen am Rand des Beckens, um sich die Körperhaare abzurasieren und die Nägel zu schneiden.
Inevera dachte an den Eimer voll warmen Wassers, den sie und ihre Mutter sich teilten, wenn sie sich säubern wollten. Die ihnen gewährte Ration war so gering, dass sie das Wasser nur selten austauschen konnten. Voller Staunen watete sie in das Becken, genoss es, wie das heiße Wasser ihre Schenkel liebkoste und zog die Fingerspitzen über die Oberfläche, wie wenn sie auf dem Markt einen Seidenstoff prüfte.
Bei ihrem Eintreten blickten alle auf. Die Mädchen, die lässig auf den Steinstufen herumlümmelten, schnellten hoch wie zischende Schlangen; jedes Augenpaar in dem diesigen Raum heftete sich auf die beiden Neuankömmlinge. Hastig ließen sich die, die noch saßen, ins Wasser gleiten und umringten sie.
Inevera drehte sich um, doch der Rückweg war bereits abgeschnitten. Der Kreis der Mädchen wurde enger, ließ keine Flucht mehr zu und versperrte Außenstehenden die Sicht auf Inevera und Melan.
"Ist sie das?" fragte ein Mädchen.
"Die, welche von den Würfeln erwählt wurde?" erkundigte sich jemand anders. Die Fragestellerinnen verloren sich in den Dampfwolken, als die Mädchen anfingen, im Kreis zu gehen und Inevera und Melan von allen Seiten beäugten, so wie Qeva ihre Würfel geprüft hatte.
Melan nickte, und der Kreis schloss sich noch enger zusammen, wobei sich die Mädchen nun voll und ganz auf Inevera konzentrierten. Die empfand das kollektive Starren wie einen körperlichen Schlag.
"Melan, was ...?" Inevera streckte die Hand aus, während ihr Herz wie wild pochte.
Melan packte ihr Handgelenk, verdrehte es und zog mit einem heftigen Ruck daran. Inevera fiel gegen sie, Melan griff mit einer Faust in ihr dichtes Haar und nutzte den Schwung ihres Falls, um ihren Kopf unter Wasser zu drücken.
Ein gurgelndes Geräusch breitete sich aus, danach hörte sie nur noch das Rauschen von Wasser. Reflexhaft schluckte Inevera Wasser und glaubte zu ersticken, aber unter Wasser konnte sie nicht husten, und ihr Inneres verkrampfte sich schmerzhaft, als sich den Drang zu atmen unterdrückte. Das heiße Wasser verbrühte ihr Gesicht, und sie wehrte sich heftig, doch Melan hielt sie mit einem eisernem Griff fest, dem Inevera hilflos ausgeliefert war. Sie schlug um sich, als ihre Lungen zu platzen drohten, aber Melan beherrschte sharusahk, und ihre Bewegungen waren geschwind und präzise. Inevera hatte gegen sie keine Chance.
Melan brüllte ihr etwas zu, aber der Schall drang nur gedämpft durch das Wasser, und Inevera verstand kein Wort. Ihr wurde bewusst, dass sie ertrinken würde. Es erschien ihr so absurd. Inevera hatte noch nie in Wasser gestanden, das über ihre Knie reichte. Wasser war kostbar im Wüstenspeer und diente im Basar sowohl als Währung wie als Handelsware. Gold glänzt, aber Wasser ist göttlich, lautete eine Redewendung. Nur die reichsten Einwohner Krasias konnten es sich leisten, in Wasser unterzutauchen.
Sie hatte schon fast mit ihrem Leben abgeschlossen, als Melan jählings an ihrem Arm riss und unter lautem Platschen wieder aufrichtete. Ineveras Haar klebte an ihrem Gesicht, sie hustete und sog in tiefen Atemzügen die dampfende, stickige Luft ein.
" ... spazierst einfach hier herein", kreischte Melan, "sprichst mit der Damaji'ting, als ob sie deine Kissenfreundin sei, und lernst nach drei Versuchen, den Bido zu flechten."
"Drei Versuche?" staunte ein Mädchen.
"Allein dafür sollten wir sie töten", steuerte eine andere bei.
"Sie hält sich wohl für was Besseres", meinte eine dritte.
Durch ihre nassen Haarsträhnen blickte Inevera verzweifelt um sich, doch die anderen Mädchen sahen sie teilnahmslos, mit gleichgültigen Augen an. Keine von ihnen machte den Eindruck, als würde sie auch nur einen Finger krümmen, um ihr zu helfen.
"Melan, bitte, ich ... " stotterte Inevera, aber Melan festigte ihren Griff und stieß sie abermals unter Wasser. Sie schaffte es, den Atem anzuhalten, doch bald wurde ihr die Luft knapp, und wieder schlug sie blindlings um sich, ehe Melan ihr gestattete, Atem zu schöpfen.
"Sprich nicht mit mir", zischte Melan. "Auch wenn ich ein Jahr lang an dich gebunden sind, macht uns das nicht zu Freundinnen. Denkst du, du kannst hierher kommen und über Nacht Kenevahs Platz einnehmen? Vor meiner Mutter? Vor mir? Ich bin von Kenevahs Blut! Du bist bloß ... ein schlechter Wurf."
Plötzlich befand sich ein scharfes Messer in ihrer Hand, und Inevera prallte entsetzt zurück, als Melan es durch die Luft sausen ließ und dicke Haarsträhnen abschnitt. "Du bist ein Nichts." Sie wirbelte das Messer zwischen den Fingern, hielt es an der Klinge fest und reichte es mit dem Griff voran dem nächsten Mädchen, das sich ihnen näherte.
"Du bist ein Nichts", wiederholte das Mädchen, schnappte sich eine andere Strähne von Ineveras Haar und säbelte sie ab.
Jedes Mädchen trat vor, übernahm das Messer und schnitt an Ineveras Haar herum, bis nur noch ein zerrupfter, ungleichmäßiger Schatten übrigblieb, von Blutflecken übersät. "Du bist ein Nichts", intonierten sie der Reihe nach.
Als sich das letzte Mädchen zurückzog, kauerte Inevera kniend im Wasser, kraftlos und weinend. Immer wieder wurde sie von Hustenanfällen geschüttelt, und durch die Krämpfe brannte ihr Hals wie Feuer. Es war, als sollte auch noch der allerletzte Tropfen Wasser in ihren Lungen ausgestoßen werden.
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Autoren-Porträt von Peter V. Brett
Peter V. Brett, 1973 geboren, studierte Englische Literatur und Kunstgeschichte in Buffalo und entdeckte Rollenspiele, Comics und das Schreiben für sich. Danach arbeitete er zehn Jahre als Lektor für medizinische Fachliteratur, bevor er sich ganz dem Schreiben von fantastischer Literatur widmete. Mit seinen Romanen und Erzählungen aus der Welt von »Das Lied der Dunkelheit« hat er die internationalen Bestsellerlisten gestürmt. Peter V. Brett lebt in Brooklyn, New York.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter V. Brett
- 2013, Deutsche Erstausgabe, 1056 Seiten, Maße: 13,5 x 20,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ingrid Herrmann-Nytko
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453524748
- ISBN-13: 9783453524743
- Erscheinungsdatum: 05.03.2013
Kommentar zu "Die Flammen der Dämmerung / Dämonenzyklus Bd.3"