Die Frauen, die er kannte / Sebastian Bergman Bd.2
Eine Frau wurde grausam ermordet. Sie ist bereits das dritte Opfer einer brutalen Mordserie. Kommissar Höglund steht unter Druck, denn die Abstände zwischen den Taten werden immer kürzer. Kriminalpsychologe Bergman soll helfen. Bald stellt sich heraus: Er kannte das Opfer.
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Eine Frau wurde grausam ermordet. Sie ist bereits das dritte Opfer einer brutalen Mordserie. Kommissar Höglund steht unter Druck, denn die Abstände zwischen den Taten werden immer kürzer. Kriminalpsychologe Bergman soll helfen. Bald stellt sich heraus: Er kannte das Opfer.
Sebastian Bergman, Kriminalpsychologe:
SEIN GEGNER IST IHM EBENBÜRTIG.
Wieder wurde in Stockholm eine Frau ermordet, sie ist bereits das dritte Opfer. Die Handschrift der Taten deutet auf einen berüchtigten Serienmörder: Edward Hinde, manipulativ, grausam, hochintelligent. Doch Hinde sitzt seit Jahren im Hochsicherheitstrakt.
Daher holt Kommissar Höglund jenen Mann ins Team, der Hinde einst hinter Gitter brachte - Kriminalpsychologe Sebastian Bergman. Für den Kommissar und sein Team ist der arrogante Einzelgänger eine Zumutung, für Bergman der Fall ein Albtraum: Denn der Name des vierten Opfers ist ihm nicht unbekannt.
Sebastian Bergmans zweiter Fall
SEIN GEGNER IST IHM EBENBÜRTIG.
Wieder wurde in Stockholm eine Frau ermordet, sie ist bereits das dritte Opfer. Die Handschrift der Taten deutet auf einen berüchtigten Serienmörder: Edward Hinde, manipulativ, grausam, hochintelligent. Doch Hinde sitzt seit Jahren im Hochsicherheitstrakt.
Daher holt Kommissar Höglund jenen Mann ins Team, der Hinde einst hinter Gitter brachte - Kriminalpsychologe Sebastian Bergman. Für den Kommissar und sein Team ist der arrogante Einzelgänger eine Zumutung, für Bergman der Fall ein Albtraum: Denn der Name des vierten Opfers ist ihm nicht unbekannt.
Sebastian Bergmans zweiter Fall
Als das Taxi am Abend um kurz vor halb acht in den Tolléns Väg abbog, hätte Richard Granlund nicht geglaubt, dass dieser Tag noch schlimmer werden könnte. Vier Tage in München und Umgebung. Auf Vertreterreise. Die Deutschen arbeiteten auch im Juli weitgehend Vollzeit. Kundengespräche von morgens bis abends. Fabriken, Konferenzräume und unzählige Tassen Kaffee. Er war müde, aber zufrieden. Das Fachgebiet Transport- und Prozessbänder war vielleicht nicht unbedingt sexy, und sein Job weckte nur selten Neugier und wurde bei Abendessen oder anderen Zusammenkünften nie selbstverständlich thematisiert. Aber sie verkauften sich gut, die Bänder. Richtig gut.
Das Flugzeug hätte in München um 9.05 Uhr starten und er um 11.20 Uhr in Stockholm sein sollen. Dann hätte er kurz im Büro vorbeigeschaut und gegen eins zu Hause sein können. Ein spätes Mittagessen mit Katharina und den Rest des Nachmittags mit ihr zusammen im Garten. Das war sein Plan gewesen - bis er erfahren hatte, dass sein Flug nach Arlanda gestrichen worden war.
Er stellte sich am Lufthansa-Schalter in der Schlange an und wurde auf den Flug um 13.05 Uhr umgebucht. Noch vier weitere Stunden am Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Mit einem resignierten Seufzer zog er sein Handy aus der Tasche und schrieb Katharina eine SMS: Sie musste ohne ihn essen. Aber die Hoffnung auf ein paar Stunden im Garten war noch nicht gestorben. Wie war das Wetter? Vielleicht würden sie ja später noch einen Drink auf der Terrasse nehmen? Jetzt, da er Zeit hatte, konnte er auch noch eine Flasche besorgen.
Katharina antwortete sofort. Dumm mit der Verspätung. Sie vermisse ihn. Das Wetter in Stockholm sei fantastisch, ein Drink wäre super. Er solle sie überraschen. Kuss.
Richard ging in einen der Läden, die noch immer mit dem Schild »Tax free« warben, obwohl das sicher für den Großteil der Reisenden keine Bedeutung mehr hatte. Er fand das Regal mit den fertiggemixten Getränken und wählte eine Flasche, die er aus der Werbung kannte. Mojito Classic.
Auf dem Weg zum Zeitschriftenladen kontrollierte er seine Flugdaten auf der Anzeigetafel. Gate 26. Er schätzte, dass er bis dorthin ungefähr zehn Minuten brauchte.
Nach dem Einkauf setzte sich Richard mit einem Kaffee und einem Sandwich in ein Café und blätterte in seiner gerade erstandenen Ausgabe des Garden Illustrated. Die Zeit kroch nur langsam vorwärts. Eine Weile verbrachte er mit einem Schaufensterbummel entlang der vielen Flughafenboutiquen, kaufte noch eine Zeitschrift, diesmal ein Lifestyle-Magazin, zog dann in ein anderes Café um und trank eine Flasche Mineralwasser. Nach einem Gang zur Toilette war es endlich Zeit, zum Gate aufzubrechen. Dort erlebte er eine böse Überraschung: Der Flug um 13.05 Uhr war verspätet, neue Boardingzeit war 13.40 Uhr. Voraussichtliche Abflugzeit 14.00 Uhr. Richard griff wieder zu seinem Handy, informierte Katharina über die neuerliche Verspätung und empörte sich über das Fliegen im Allgemeinen und die Lufthansa im Besonderen. Dann suchte er sich einen freien Platz und setzte sich. Es kam keine SMS zurück.
Er rief sie an, aber sie hob nicht ab.
Vielleicht hatte sie jemanden gefunden, der mit ihr in der Stadt essen ging. Er steckte das Handy ein und schloss die Augen. Es bestand kein Anlass, sich über die Verspätung aufzuregen, er konnte ohnehin nichts daran ändern.
Um kurz vor zwei öffnete eine junge Frau den Schalter und bat die Fluggäste um Entschuldigung für die Verspätung. Als alle im Flugzeug Platz genommen hatten und das Personal gerade routiniert die Sicherheitshinweise erklärte, denen sowieso niemand lauschte, meldete sich der Flugkapitän zu Wort. Eine Kontrolllampe des Flugzeugs blinke. Vermutlich handele es sich nur um einen Defekt der Lampe, aber man wolle kein Risiko eingehen, weshalb ein Techniker unterwegs sei, um die Sache zu überprüfen. Der Pilot entschuldigte sich für die Verspätung und erklärte, er hoffe auf das Verständnis der Passagiere. Im Flugzeug wurde es bald stickig. Richard spürte, wie seine Verständnisbereitschaft und seine trotz allem relativ gute Laune im gleichen Takt verflogen, wie sein Hemd am Rücken und unter den Armen feuchter wurde. Dann meldete sich der Pilot erneut mit zwei Nachrichten. Die gute: Der Fehler sei behoben. Die schlechtere: Inzwischen hätten sie ihre Startposition verloren, weshalb nun noch etwa neun Flugzeuge vor ihnen starten würden, aber sobald sie an der Reihe seien, würden sie ihren Flug nach Stockholm antreten.
Er bat um Entschuldigung.
Sie landeten um 17.20 Uhr in Arlanda, mit zwei Stunden und zehn Minuten Verspätung. Oder sechs Stunden, je nachdem, wie man die Dinge sah.
Auf dem Weg zur Gepäckausgabe rief Richard wieder zu Hause an. Katharina meldete sich nicht. Er versuchte es auf ihrem Handy, doch nach dem fünften Klingeln sprang die Mailbox an. Vermutlich war sie draußen im Garten und hörte das Telefon nicht. Richard betrat die große Halle mit den Gepäckbändern. Dem Monitor über Band 3 zufolge sollte es acht Minuten dauern, bis die Koffer des Fluges 2416 eintreffen würden.
Es waren zwölf Minuten. Und weitere fünfzehn Minuten vergingen, bis Richard begriff, dass sein Koffer nicht dabei war. Wieder musste er warten, diesmal in der Schlange vor dem Serviceschalter, um der Lufthansa den Verlust zu melden. Nachdem er seinen Gepäckabschnitt, seine Adresse und eine möglichst genaue Beschreibung seines Koffers hinterlassen hatte, durchquerte Richard die Ankunftshalle und passierte die Schiebetür, um sich ein Taxi zu nehmen. Die Wärme schlug ihm entgegen. Jetzt war der Sommer wirklich da. Katharina und er würden einen schönen Abend verbringen. Er spürte, wie sich seine gute Laune bei dem Gedanken an einen Rum-Cocktail in der Abendsonne auf der Terrasse zurückmeldete.
Er reihte sich in der Warteschlange für ein Taxi ein. Als sie in Richtung Arlandastad abbogen, erklärte der Taxifahrer, dass der Verkehr in Stockholm heute völlig verrückt gewesen sei. Und zwar so was von verrückt! Gleichzeitig bremste er auf unter fünfzig Stundenkilometer ab, und sie wurden von der scheinbar unendlichen Blechlawine auf der E4 in Richtung Süden eingesaugt.
Aus all diesen Gründen hätte Richard Granlund nicht geglaubt, dass dieser Tag noch schlimmer werden könnte, als das Taxi endlich in den Tolléns Väg einbog.
Er zahlte mit seiner Kreditkarte und ging durch den blühenden, gepflegten Garten zum Haus. Im Flur stellte er seine Aktentasche und die Plastiktüte ab.
»Hallo!«
Keine Antwort. Richard zog seine Schuhe aus und ging in die Küche. Er warf einen Blick durch das Fenster, um zu sehen, ob Katharina draußen war, doch der Garten war leer. Genau wie die Küche. Kein Zettel an der Stelle, wo er gelegen hätte, wenn sie ihm einen hinterlassen hätte. Richard nahm sein Handy und warf einen prüfenden Blick darauf. Keine entgangenen Anrufe oder SMS. Im Haus war es stickig, die Sonne brannte direkt darauf, aber Katharina hatte die Markisen nicht heruntergekurbelt. Richard schloss die Terrassentür auf und öffnete sie weit. Dann ging er die Treppe hinauf. Er wollte duschen und sich umziehen. Nach der langen Heimreise fühlte er sich durchgeschwitzt bis auf die Unterhose. Bereits auf dem Weg nach oben nahm er die Krawatte ab und knöpfte sein Hemd auf, hielt jedoch inne, als er die geöffnete Schlafzimmertür erreichte. Katharina lag auf dem Bauch. Das war das Erste, was er feststellte. Dann hatte er drei schnelle Einsichten.
Sie lag auf dem Bauch. Sie war gefesselt. Sie war tot.
Die U-Bahn ruckelte beim Bremsen. Eine Mutter, die mit ihrem Kinderwagen direkt vor Sebastian Bergman stand, umklammerte die Haltestange und sah sich nervös um. Schon seit sie am St. Eriksplan eingestiegen war, wirkte sie angespannt, und obwohl ihr weinender Junge schon nach wenigen Stationen eingeschlafen war, schien sie nicht ruhiger zu werden. Es gefiel ihr ganz eindeutig nicht, mit so vielen Fremden auf engstem Raum eingesperrt zu sein. Sebastian beobachtete mehrere Anzeichen dafür. Ihre offensichtlichen Versuche, die minimale Privatsphäre zu wahren, indem sie ständig ihre Füße bewegte, um an niemanden zu stoßen. Die Schweißperlen auf der Oberlippe. Der wachsame Blick, der keine Sekunde innehielt. Sebastian lächelte ihr beruhigend zu, doch sie sah nur hastig zur Seite und musterte weiter ihre Umgebung, alarmbereit und gestresst. Also sah sich Sebastian in dem überfüllten Wagen um, der kurz hinter der Station Hötorget erneut unter metallischem Knirschen zum Stehen gekommen war. Nach einigen Minuten Stillstand in der Dunkelheit ratterte die Bahn langsam weiter und kroch bis zum T-Centralen.
Normalerweise fuhr er nicht mit der U-Bahn, schon gar nicht im Berufsverkehr oder während der Touristensaison. Es war ihm zu unkomfortabel und zu chaotisch. Er würde sich nie an die dicht gedrängten Menschen mit all ihren Geräuschen und Gerüchen gewöhnen können. Meistens ging er zu Fuß oder nahm sich ein Taxi. Um Distanz zu wahren. Ein Außenstehender zu bleiben. So hatte er es bisher immer gehalten. Aber nichts war mehr so wie bisher.
Nichts.
Sebastian lehnte sich gegen die Tür am Ende des Wagens und warf einen Blick in den nächsten Waggon. Er konnte sie durch das kleine Fenster beobachten. Das blonde Haar, das Gesicht, über eine Tageszeitung gebeugt. Ihm wurde bewusst, dass er vor sich hin lächelte, wenn er sie sah.
Sie stieg wie immer am T-Centralen um und lief mit schnellen Schritten die Steintreppe zur roten U-Bahn-Linie hinunter. Er konnte ihr leicht folgen. Solange er nur genügend Abstand hielt, wurde er von den vielen herbeiströmenden Pendlern und stadtplanlesenden Touristen verdeckt.
Und er hielt Abstand.
Er wollte sie nicht aus den Augen verlieren, durfte aber auf keinen Fall entdeckt werden. Es war eine schwierige Balance, aber er schlug sich immer besser.
Als die U-Bahn der roten Linie zwölf Minuten später bei der Station Gärdet hielt, wartete Sebastian einen Moment, ehe er den hellblauen Waggon verließ. Hier war größere Vorsicht geboten. Auf dem Bahnsteig waren weniger Menschen unterwegs, die meisten waren schon eine Station früher ausgestiegen. Sebastian hatte den Wagen vor ihr gewählt, damit sie ihm nach dem Aussteigen den Rücken zukehrte. Sie ging jetzt noch schneller und war bereits auf halber Höhe der Rolltreppe, als er sie wieder sehen konnte. Offenbar war Gärdet auch die Zielstation der Frau mit dem Kinderwagen, und Sebastian beschloss, sich hinter ihr zu halten. Die Frau schob ihren Kinderwagen gemächlich hinter den Menschen her, die zu den Rolltreppen strömten, vermutlich in der Hoffnung, nicht ins Gedränge zu geraten. Als er hinter der Mutter herging, fiel Sebastian auf, wie ähnlich sie beide sich waren.
Zwei Menschen, die immer Abstand halten mussten.
Eine Frau war tot zu Hause aufgefunden worden. Normalerweise war das kein Grund, gleich die Reichsmordkommission und Torkel Höglunds Team hinzuzuziehen.
Meistens handelte es sich um das tragische Ende eines Familienstreits, eines Sorgerechtskonflikts, Eifersuchtsdramas oder eines alkoholseligen Abends in - wie sich erst im Nachhinein herausstellte - falscher Gesellschaft.
Jeder Polizist wusste, dass man den Täter am häufigsten unter den nächsten Angehörigen fand, wenn eine Frau zu Hause ermordet worden war. Deshalb war es nicht weiter verwunderlich, dass Stina Kaupin überlegte, ob sie gerade mit einem Mörder sprach, als sie um kurz nach halb acht Uhr abends den Notruf entgegennahm.
»SOS 112, was ist passiert?«
»Meine Frau ist tot.«
Was der Mann noch sagte, war nur schwer zu verstehen. Seine Stimme klang gebrochen von Trauer und Schock. Er machte immer wieder so lange Pausen, dass Stina mehrmals glaubte, er hätte aufgelegt, bis sie hörte, wie er seine Atmung zu kontrollieren versuchte. Stina hatte Probleme, ihm eine Adresse zu entlocken. Der Mann am anderen Ende der Leitung wiederholte nur ständig, dass seine Frau tot sei und alles voller Blut. Überall Blut. Ob sie kommen könnten? Bitte?
Stina stellte sich einen Mann mittleren Alters mit blutigen Händen vor, dem langsam, aber sicher bewusst wurde, was er angerichtet hatte. Schließlich nannte er doch eine Adresse in Tumba. Sie bat den Anrufer - der vermutlich der Mörder war - zu bleiben, wo er war, und nichts im Haus anzurühren. Sie würde Polizei und Krankenwagen zu ihm schicken. Dann legte sie auf und gab die Angelegenheit an die Södertorn-Polizei in Huddinge weiter, die wiederum einen Streifenwagen losschickte.
Erik Lindman und Fabian Holst hatten gerade ihr Fastfood- Abendessen im Polizeiauto verschlungen, als sie den Auftrag erhielten, in den Tolléns Väg 19 zu fahren.
Zehn Minuten später waren sie vor Ort. Sie stiegen aus dem Wagen und sahen zum Haus hinüber. Obwohl sich keiner der beiden Beamten besonders für Gartenpflege interessierte, fiel ihnen auf, dass hier jemand unzählige Stunden und Kronen investiert hatte, um die fast perfekte, prunkvolle Pflanzenpracht anzulegen, die das gelbe Holzhaus umgab.
Als sie den Gartenweg zur Hälfte zurückgelegt hatten, wurde die Haustür geöffnet. Beide griffen reflexartig zum Holster an ihrer rechten Hüfte. Der Mann in der Tür trug ein halb aufgeknöpftes Hemd und starrte die uniformierten Polizisten geistesabwesend an.
»Ein Krankenwagen ist nicht nötig.«
Die beiden Beamten wechselten einen kurzen Blick. Der Mann in der Tür stand eindeutig unter Schock. Und Menschen unter Schock reagierten oft nach ganz eigenen Regeln. Unvorhersehbar. Unlogisch. Der Mann wirkte zwar ziemlich niedergeschlagen und kraftlos, aber sie wollten auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Lindman setzte seinen Weg fort, Holst verlangsamte seine Schritte und behielt die Hand an der Dienstwaffe.
»Richard Granlund?«, fragte Lindman, während er die letzten Schritte auf den Mann zu tat, der einen Punkt irgendwo schräg hinter ihm fixierte.
»Ein Krankenwagen ist nicht nötig«, wiederholte der Mann mit tonloser Stimme. »Die Frau am Telefon hat gesagt, sie würde einen Krankenwagen schicken. Das ist nicht nötig. Das hatte ich vorhin vergessen zu sagen ...«
Jetzt war Lindman bei dem Mann angekommen. Er berührte ihn leicht am Arm. Der Körperkontakt ließ den Mann zusammenzucken, dann wandte er sich dem Polizisten zu und blickte ihn mit erstauntem Gesichtsausdruck an, als sähe er ihn gerade zum ersten Mal und wundere sich darüber, wie er ihm so nah hatte kommen können.
Kein Blut auf Händen oder Kleidung, registrierte Lindman.
»Richard Granlund?«
Der Mann nickte.
»Ich kam nach Hause, und sie lag da ...«
»Wo sind Sie denn gewesen?«
»Bitte?«
»Von wo kamen Sie? Wo sind Sie vorher gewesen?« Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt, um den Mann zu befragen, da er so offensichtlich unter Schock stand. Aber es konnte hilfreich sein, wenn man die Aussagen bei der ersten Begegnung mit jenen aus einem möglichen späteren Verhör vergleichen konnte.
»Deutschland. Geschäftlich. Mein Flug hatte Verspätung. Beziehungsweise ... der erste wurde gestrichen, der zweite war verspätet, und dann kam ich sogar noch später, weil mein Gepäck ...«
Der Mann verstummte. Anscheinend war ihm ein Gedanke gekommen. Er sah Lindman mit einer plötzlichen Klarheit in den Augen an.
»Hätte ich sie retten können? Wenn ich pünktlich gekommen wäre, hätte sie dann noch gelebt?«
Diese Was-wäre-wenn-Überlegungen waren eine natürliche Reaktion bei Todesfällen. Lindman hatte sie schon oft gehört. Er hatte häufig erlebt, dass Menschen starben, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Sie liefen genau in dem Moment auf die Straße, in dem ein betrunkener Autofahrer heranraste. Sie schliefen genau in jener Nacht im Wohnwagen, in der die Gasflasche zu lecken begann. Sie überquerten in dem Augenblick die Gleise, in dem der Zug kam. Herabfallende Stromleitungen, alkoholisierte Schläger, Autos auf falschen Straßenseiten. Höhere Gewalt, Zufälle. Durch einen vergessenen Schlüsselbund konnte man sich exakt um jene Sekunden verspäten, deretwegen man dann den unbewachten Bahnübergang überquerte. Und wegen eines verspäteten Fluges konnte es sein, dass die Frau lange genug allein zu Hause war, damit der Mörder zuschlagen könnte. Die Was-wäre-wenn-Überlegungen.
Ganz natürlich bei Todesfällen, aber schwer zu beantworten.
»Wo ist Ihre Frau, Herr Granlund?«, fragte Lindman also stattdessen mit ruhiger Stimme. Der Mann in der Tür schien über die Frage nachzudenken. Er war gezwungen, sich von den Reiseerlebnissen und der eventuellen Schuld, die ihm so plötzlich auferlegt worden war, ins Hier und Jetzt zurückzubegeben. Dem Grauen ins Auge zu sehen.
Dem, was er nicht hatte verhindern können.
Schließlich war er so weit.
»Da oben.« Richard zeigte schräg hinter sich und brach in Tränen aus.
Lindman bedeutete seinem Kollegen mit einem Nicken, dass er nach oben gehen solle, während er selbst dem weinenden Mann ins Haus folgte. Natürlich konnte man nie sicher sein, aber Lindman hatte das Gefühl, dass der Mann, den er gerade an den Schultern fasste und in die Küche schob, kein Mörder war.
Am Fuß der Treppe zog Holst seine Dienstwaffe und hielt sie mit ausgestrecktem Arm nach unten. Wenn der gebrochene Mann, um den sich sein Kollege kümmerte, nicht der Mörder war, bestand immerhin ein geringes Risiko, dass sich der wahre Täter noch im Haus aufhielt. Oder die Täterin - auch wenn das eher unwahrscheinlich war.
Die Treppe führte in einen kleineren Raum. Dachfenster, ein Zweisitzer, Fernseher und Blu-Ray. Regalwände mit Büchern und Filmen. Von dort gingen vier Türen ab, zwei davon standen offen, zwei waren geschlossen. Von der obersten Treppenstufe aus erblickte Holst ein Bein der toten Frau im Schlafzimmer. Im Bett. Das bedeutete, dass sie die Reichsmordkommission informieren mussten, dachte er und ging schnell durch die zweite geöffnete Tür, die zu einem Arbeitszimmer führte. Leer. Hinter den geschlossenen Türen befanden sich eine Toilette und ein begehbarer Kleiderschrank. Beide leer. Holst steckte seine Waffe wieder weg und näherte sich dem Schlafzimmer. Im Türrahmen blieb er abrupt stehen.
Seit etwa einer Woche lag ihnen eine Aufforderung der Reichsmordkommission vor. Die Kollegen wollten über Todesfälle informiert werden, bei denen folgende Kriterien zutrafen:
Das Opfer wurde im Schlafzimmer gefunden.
Das Opfer war gefesselt.
Dem Opfer war die Kehle durchgeschnitten worden.
Torkels Handy übertönte die letzte Strophe von »Hoch soll sie leben«, und er nahm das Gespräch an und zog sich in die Küche zurück, während im Hintergrund gerade ein vierfaches »Hoch! Hoch! Hoch! Hoch!« gerufen wurde.
Vilma hatte Geburtstag.
Sie war dreizehn geworden, ein Teenie.
Eigentlich schon am Freitag, aber da hatten ein Abendessen mit ihren Freundinnen und ein anschließender Filmabend auf dem Programm gestanden. Ältere, langweilige Verwandte wie beispielsweise ihr Vater mussten an einem Wochentag kommen. Gemeinsam mit Yvonne hatte Torkel seiner Tochter ein Handy geschenkt. Ein nagelneues, eigenes. Bisher hatte Vilma immer das abgelegte Handy ihrer großen Schwester übernehmen müssen oder die alten Diensthandys von ihm oder Yvonne. Jetzt hatte sie also ein neues. Eines mit Android, wenn er sich richtig erinnerte, so wie es Billy ihm geraten hatte, als Torkel ihn bei der Auswahl von Modell und Marke um Hilfe gebeten hatte. Yvonne hatte erzählt, dass Vilma das Handy seit Freitag am liebsten jede Nacht mit ins Bett nehmen würde.
Der Küchentisch war für den Abend zu einem Gabentisch umfunktioniert worden. Die große Schwester hatte Vilma Mascara, Lidschatten, Lipgloss und eine Foundation gekauft. Vilma hatte die Sachen schon am Freitag bekommen, aber jetzt dazugelegt, um die ganze Fülle an Geschenken zu präsentieren. Torkel nahm die Mascara in die Hand, die bis zu zehnmal mehr Wimpernvolumen versprach, während er den Informationen am Telefon lauschte.
Ein Mord. In Tumba. Eine gefesselte Frau mit durchgeschnittener Kehle in einem Schlafzimmer.
Eigentlich war Torkel der Meinung gewesen, Vilma sei viel zu jung für Schminke, hatte jedoch zu hören bekommen, dass sie weit und breit die Einzige in der sechsten Klasse sei, die sich noch nicht schminke, und dass es in der Siebten ganz und gar undenkbar war, ohne Make-up in die Schule zu kommen. Torkel kämpfte nicht lange dagegen an. Die Zeiten änderten sich, und er wusste, dass er froh sein konnte, weil er diese Diskussion nicht schon hatte führen müssen, als Vilma in der vierten Klasse war. Denn so war es anderen Eltern auf Vilmas Schule ergangen, und sie hatten sich ganz offensichtlich nicht durchsetzen können.
Torkel beendete das Gespräch, legte die Wimperntusche zurück auf den Tisch und ging wieder ins Wohnzimmer.
Alles deutete darauf hin, dass dies das dritte Opfer war.
Er rief Vilma zu sich, die sich gerade mit ihren Großeltern unterhielt. Sie schien nicht besonders traurig darüber zu sein, das Gespräch mit den alten Verwandten unterbrechen zu müssen. Mit erwartungsvollem Blick kam sie Torkel entgegen, als glaubte sie, er hätte in der Küche heimlich eine Überraschung vorbereitet.
»Ich muss los, Liebes.«
»Ist es wegen Kristoffer?«
Es dauerte einige Sekunden, bis Torkel die Frage verstand. Kristoffer war der neue Mann in Yvonnes Leben. Torkel wusste, dass sie sich schon seit einigen Monaten kannten, aber er war Kristoffer an diesem Abend zum ersten Mal begegnet. Ein Gymnasiallehrer. Knapp fünfzig Jahre alt. Geschieden. Kinder. Er schien ein netter Kerl zu sein. Torkel war überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass man ihre Begegnung als angespannt, unangenehm oder in irgendeiner Weise problematisch hätte auffassen können. Deshalb hatte er im ersten Moment nichts mit der Frage seiner Tochter anfangen können. Vilma dagegen nahm die kurze Bedenkzeit sofort als Beweis dafür, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
»Ich habe ihr gesagt, dass sie ihn nicht einladen soll«, erklärte sie und zog einen Schmollmund.
In diesem Moment verspürte Torkel große Zärtlichkeit für seine Tochter. Sie wollte ihn beschützen. Dreizehn Jahre alt, wollte sie ihn vor Liebeskummer bewahren. In ihrer Welt war diese Situation vermutlich auch schrecklich unangenehm. Sicher wollte sie ihren Exfreund auf keinen Fall mit seiner Neuen treffen. Falls sie überhaupt schon mal einen Freund gehabt hatte, da war sich Torkel nicht sicher. Er strich ihr sanft über die Wange.
»Nein, ich muss arbeiten. Es hat nichts mit Kristoffer zu tun.«
»Sicher?«
»Ganz sicher. Ich müsste auch dann fahren, wenn wir beide allein hier wären. Du weißt doch, wie das ist.«
Vilma nickte. Sie hatte lange genug mit ihm zusammengelebt, um zu verstehen, dass er verschwand, wenn er dazu gezwungen war, und so lange fortblieb, wie es nötig war.
»Ist jemand gestorben?«
»Ja.«
Mehr wollte Torkel nicht erzählen. Er hatte schon früh beschlossen, sich bei seinen Kindern nicht interessant zu machen, indem er spannende und groteske Details von seiner Arbeit erzählte. Das wusste Vilma. Also fragte sie nicht weiter, sondern nickte nur noch einmal. Torkel sah sie ernst an.
»Ich glaube, es ist gut, dass Mama wieder jemanden kennengelernt hat.«
»Warum denn?«, fragte sie.
»Warum nicht? Nur, weil sie nicht mehr mit mir zusammen ist, muss sie ja nicht allein bleiben.«
»Hast du auch jemanden kennengelernt?«
Torkel zögerte kurz. Hatte er das? Er hatte lange Zeit eine Affäre mit Ursula, seiner verheirateten Kollegin, gehabt. Aber sie hatten nie definiert, was für eine Art von Beziehung das eigentlich war. Sie waren miteinander ins Bett gegangen, wenn sie beruflich unterwegs waren. Nie in Stockholm. Keine gemeinsamen Abendessen oder alltäglichen Gespräche über Persönliches und Privates. Sex und berufliche Themen, das war alles. Und jetzt war es nicht mal mehr das. Vor einigen Monaten hatte er seinen alten Kollegen Sebastian Bergman bei einer Ermittlung hinzugezogen, und seither hatten Torkel und Ursula nur noch miteinander gearbeitet. Das störte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Weniger die Tatsache, dass ihre Beziehung, oder wie auch immer man es nennen wollte, so eindeutig nach Ursulas Bedingungen ablief. Damit konnte er leben. Aber er vermisste sie. Mehr, als er gedacht hätte. Das ärgerte ihn. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, schien sie sich neuerdings wieder Micke, ihrem Mann, anzunähern. Sogar einen Wochenendtrip nach Paris hatten die beiden vor ein paar Wochen unternommen.
War er also mit jemandem zusammen?
Wohl eher nicht, und die Komplexität seiner Beziehung mit Ursula gehörte garantiert nicht zu den Dingen, die er einem frischgebackenen Teenie erklären wollte.
»Nein«, antwortete er, »ich habe niemanden kennengelernt. Aber jetzt muss ich wirklich los.«
Er umarmte sie. Fest.
»Alles Gute zum Geburtstag«, flüsterte er. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, antwortete sie, »und mein Handy.«
Sie drückte ihren frisch bemalten Glanzmund auf seine Wange.
Als er sich ins Auto setzte und nach Tumba fuhr, hatte Torkel noch immer ein Lächeln auf den Lippen.
Er rief Ursula an. Sie war bereits unterwegs.
Torkel hatte sich im Auto selbst dabei ertappt, dass er hoffte, diesmal würde es keinen Zusammenhang zu den anderen toten Frauen geben. Aber so war es nicht. Das musste er sofort einsehen, als er ins Schlafzimmer blickte.
Die Nylonstrümpfe. Das Nachthemd. Die Lage.
Sie war die Dritte.
»Von einem Ohr zum anderen« genügte nicht, um die klaffende Wunde am Hals zu beschreiben. Sie reichte eher von der einen Seite der Halswirbelsäule zur anderen. Wie wenn man eine Konservenbüchse öffnete und ein kleines Stück übrig ließ, um den Deckel nach hinten biegen zu können. Man hatte der Frau fast komplett den Hals abgeschnitten. Es musste eine enorme Kraft gekostet haben, ihr solche Verletzungen zuzufügen. Überall war Blut, die Wände hoch und auf dem ganzen Fußboden.
Ursula war schon dabei, Fotos zu machen. Sie ging vorsichtig im Zimmer umher und achtete darauf, nicht ins Blut zu treten. Sie war immer die Erste vor Ort, wenn sie konnte. Jetzt sah sie kurz auf, nickte zum Gruß und setzte ihre Arbeit fort. Torkel stellte die Frage, deren Antwort er bereits kannte.
»Derselbe?«
»Auf jeden Fall.«
»Auf dem Weg hierher habe ich noch mal in Lövhaga angerufen. Er sitzt noch immer da, wo er sitzt.«
»Das wussten wir doch aber schon?«
Torkel nickte. Dieser Fall gefällt mir nicht, dachte er, während er in der Schlafzimmertür stand und die tote Frau betrachtete. Er hatte bereits in anderen Türen gestanden, von anderen Schlafzimmern, und andere Frauen im Nachthemd gesehen, die man an Händen und Füßen mit Nylonstrümpfen gefesselt, vergewaltigt und nahezu enthauptet hatte. 1995 hatten sie die erste gefunden. Es folgten weitere drei, ehe sie im Frühsommer 1996 den Mörder fassen konnten.
Hinde war zu lebenslanger Haft verurteilt worden und in die Justizvollzugsanstalt Lövhaga gekommen.
Er hatte nicht einmal Berufung eingelegt.
Und er saß dort noch immer ein.
Die neuen Opfer sahen allerdings wie identische Kopien seiner Opfer aus. Hände und Füße waren auf dieselbe Weise gefesselt. Extreme Gewalteinwirkung am Hals. Sogar der blaue Farbstich der weißen Nachthemden war derselbe. Was bedeutete, dass die gesuchte Person nicht nur ein Serienmörder war, sondern auch ein Nachahmungstäter. Jemand, der aus irgendeinem Grund fünfzehn Jahre alte Morde kopierte. Torkel warf einen Blick auf seinen Notizblock und wandte sich dann erneut Ursula zu. Auch sie war damals in den Neunzigern bei den Ermittlungen dabei gewesen. Sie, Sebastian und Trolle Hermansson, der später in den unfreiwilligen Vorruhestand versetzt wurde.
»Ihr Mann hat gesagt, dass sie ihm heute Vormittag gegen neun auf eine SMS geantwortet hat, um eins aber nicht mehr«, sagte er.
»Kann stimmen. Sie ist mehr als fünf Stunden tot, aber weniger als fünfzehn.«
Torkel nickte nur. Er wusste, dass Ursula recht hatte. Hätte er nachgefragt, hätte sie auf den Rigor hingewiesen, der das Bein noch nicht erreicht hatte, auf den Mangel an Autolyse, den Tache noir und anderes Pathologenlatein von sich gegeben, das zu lernen er sich nie bemüht hatte, trotz all seiner Jahre bei der Polizei. Fragte man ihn, bekam man die Antwort in normalem Schwedisch. Ursula wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Im Obergeschoss war es mehrere Grad wärmer als im Parterre. Die Julisonne hatte den ganzen Tag auf das Haus heruntergebrannt. Fliegen schwirrten im Zimmer umher, angelockt vom Blut und von der für das menschliche Auge noch unsichtbaren, aber bereits einsetzenden Verwesung.
»Das Nachthemd?«, fragte Torkel, nachdem er seinen Blick ein letztes Mal über das Bett hatte schweifen lassen.
»Was soll damit sein?« Ursula senkte ihre Kamera und nahm das unmoderne Bekleidungsstück aus Baumwolle in Augenschein.
»Es ist nach unten gezogen.«
»Das kann ihr Mann gewesen sein. Vielleicht wollte er ihre Blöße ein wenig bedecken.«
»In Ordnung. Ich frage ihn, ob er sie berührt hat.«
Torkel verließ seinen Platz an der Tür. Er musste zu dem untröstlichen Mann in der Küche zurück. Dieser Fall gefiel ihm wirklich ganz und gar nicht.
Der große Mann hatte einige Stunden geschlafen. War nach Hause gekommen und sofort ins Bett gefallen. Das tat er immer. Rituale. Das Adrenalin war durch seine Adern gerauscht. Er wusste nicht, was genau in seinem Körper passierte, aber danach hatte er immer das Gefühl, dass er innerhalb der kurzen Zeit, in der er aktiv gewesen war, die Energiereserven einer ganzen Woche aufgebraucht hatte. Aber jetzt war er wieder wach. Der Wecker hatte geklingelt. Es war an der Zeit, erneut tätig zu werden. Er stieg aus dem Bett. Es blieb noch so viel zu tun, und alles musste ganz exakt ausgeführt werden. Zum richtigen Zeitpunkt. In der richtigen Reihenfolge.
Rituale.
Ohne sie wäre alles Chaos. Chaos und Angst. Rituale schafften Kontrolle. Rituale ließen das Böse weniger böse erscheinen. Den Schmerz weniger schmerzhaft. Rituale hielten die Dunkelheit fern.
Der Mann schloss die Nikon-Kamera an den Computer an und lud schnell und routiniert die sechsunddreißig Bilder auf die Festplatte.
Die ersten zeigten die weinende Frau, wie sie mit verschränkten Händen über der Brust dastand und darauf wartete, dass er ihr das Nachthemd überzog. Aus ihrem einen Nasenloch rann Blut auf die Unterlippe. Zwei Tropfen hatten ihre rechte Brust gestreift und rote Spuren hinterlassen. Zuerst hatte sie sich geweigert, sich auszuziehen. Geglaubt, ihre Kleider könnten sie vielleicht schützen. Sie retten.
Auf dem sechsunddreißigsten und letzten Bild starrte sie mit leeren Augen direkt in die Kamera. Er hatte sich neben das Bett gekniet und so nah zu ihr heruntergebeugt, dass er fast die Wärme des Blutes gespürt hatte, das nun nur noch langsam aus dem klaffenden Spalt in ihrem Hals sickerte. Das meiste Blut hatte ihren Körper zu dieser Zeit schon verlassen und war mehr oder weniger vom Bettzeug und von der Matratze aufgesaugt worden.
Schnell kontrollierte er die Fotos dazwischen. Nachthemd an. Nylonstrümpfe. Die Knoten. Slip aus. Vor dem Akt. Nach dem Akt. Das Messer und sein Werk.
Die Angst.
Die Einsicht.
Das Ergebnis.
Alles sah gut aus. Er würde alle sechsunddreißig Fotos verwenden können. Das war das Beste. Trotz der unbegrenzten Kapazität der Digitalkamera wollte er im Rahmen einer altmodischen Filmrolle bleiben. Sechsunddreißig Bilder. Nicht mehr. Nicht weniger.
Das Ritual.
Als Torkel die Treppe herunterkam, kniete Billy vor der Haustür und untersuchte das Schloss. Er wandte sich seinem Chef zu.
»Soweit ich sehen kann, gibt es an der Tür keine Einbruchspuren. Vieles deutet darauf hin, dass sie ihn hereingelassen hat.«
»Die Terrassentür stand offen, als wir eintrafen«, sagte Torkel.
Billy nickte. »Der Mann hat sie geöffnet, als er nach Hause kam«, erklärte er.
»Ist er sich sicher? Er wirkte ziemlich verwirrt durch den Schock.«
»Er klang so, als wäre er sicher.«
»Ich frage ihn noch mal. Wo ist Vanja?«
»Draußen. Sie ist gerade angekommen.«
»Oben im Arbeitszimmer steht ein Computer.« Torkel machte eine Kopfbewegung in Richtung Treppe. »Nimm ihn mit und sieh nach, ob du was findest. Idealerweise etwas, das sie mit den anderen Frauen in Verbindung bringt.«
»Also ist sie die Dritte?«
»Das ist gut möglich.«
»Holen wir jemanden ins Team oder ...?«
Billy ließ die Frage im Raum stehen. Torkel verstand, dass er eigentlich sagen wollte: Holen wir Sebastian Bergman ins Team? Torkel war dieser Gedanke auch schon gekommen, aber er hatte ihn sofort wieder verworfen. Die Nachteile lagen auf der Hand und überwogen eindeutig die Vorteile.
Das war allerdings vor dem heutigen Abend gewesen.
Vor der dritten Toten.
»Wir werden sehen.«
»Ich meine, in Anbetracht dessen, wen er kopiert ...«
»Wir werden sehen, habe ich gesagt!«
Torkels Tonfall signalisierte Billy, besser nicht weiterzufragen. Er nickte und stand auf. Billy konnte Torkels Frustration verstehen. Sie hatten keine konkrete Spur, obwohl es eigentlich mehr als genug Spuren gab: Schuh- und Fingerabdrücke, Sperma und Haare. Und dennoch waren sie einem Durchbruch nicht einen Schritt näher als vor neunundzwanzig Tagen, als sie die erste Frau gefunden hatten, auf dieselbe Weise gefesselt und ermordet. Da dieser Täter mit einer geradezu nonchalanten Art Beweise hinterließ, wusste er vermutlich, dass er in keinem Register zu finden war. Er war viel zu organisiert, um einfach nur nachlässig zu sein. Demnach handelte es sich nicht um jemanden, der bereits verurteilt worden war, jedenfalls nicht für ein schwereres Verbrechen. Aber er schien gewillt, Risiken einzugehen. Oder gezwungen, sie auf sich zu nehmen. Beide Möglichkeiten waren beunruhigend, denn sie bedeuteten, dass er mit größter Wahrscheinlichkeit erneut zuschlagen würde.
»Nimm Vanja mit zurück ins Präsidium, und dann geht ihr alles noch mal von vorn durch.«
Wenn sie einen Zusammenhang zwischen den Opfern herstellen konnten, wäre schon viel gewonnen. So könnten sie mehr über den Täter erfahren und ihn allmählich einkreisen. Am schlimmsten wäre es, wenn der Mörder seine Opfer willkürlich auswählte; wenn er einer Frau in der Stadt folgte, sie ausspionierte, seine Tat plante und den richtigen Moment abwartete. Wäre das der Fall, würden sie ihm so lange nicht auf die Schliche kommen, bis er einen Fehler beging. Und bisher hatte er sich keinen einzigen geleistet. Billy sprang mit schnellen Schritten die Treppen hinauf, warf einen kurzen Blick in das Schlafzimmer, in dem Ursula immer noch arbeitete, und ging dann ins Arbeitszimmer. Es war ziemlich klein, vielleicht sechs Quadratmeter. In der einen Ecke stand ein Schreibtisch mit einem Bürostuhl, darunter lag eine Plexiglasscheibe, damit die Rollen das Parkett nicht zerkratzten. Daneben eine Ablage, darauf der Drucker, Modem, Router, Papiere, Akten und Büromaterial. An der Wand über dem Schreibtisch hing ein länglicher Rahmen mit Platz für acht Fotos. Auf einem Bild war das Opfer - Katharina hieß sie, mit »th«, wenn Billy sich recht erinnerte - allein zu sehen, in einem weißen Sommerkleid vor einem Apfelbaum, in die Kamera lächelnd, einen Strohhut auf den dunklen Haaren. Es wirkte wie ein Werbefoto für den schwedischen Sommer. Österlen vielleicht. Auch der Mann - Richard - war auf einem der Bilder allein zu sehen. Achtern auf einem Segelboot. Mit Sonnenbrille, braun gebrannt, konzentriert. Auf den anderen sechs Bildern waren die beiden zusammen. Immer eng nebeneinander, sich umarmend, lächelnd. Sie schienen viel zu reisen. Eine der Aufnahmen war an einem kreideweißen Strand mit Palmen im Hintergrund aufgenommen worden, und auf zwei anderen Bildern konnte Billy New York und Kuala Lumpur erkennen. Kinder hatten sie anscheinend keine.
Also hatte diesmal wenigstens niemand seine Mutter verloren.
Billy blieb vor den Fotos stehen und betrachtete das liebevolle Lachen des Paares. Auf allen Bildern umarmten sie einander. Vielleicht posierten sie vor der Kamera immer so. Vielleicht war es nur gespielt, um der Umgebung zu zeigen, wie prächtig es ihnen zusammen ging. In diesem Fall sah man ihnen das aber nicht an, sie schienen beide aufrichtig verliebt, wie sie da so ineinander verschlungen standen. Billy konnte sich nicht so recht von den Bildern losreißen. Es hatte etwas mit dem darauf eingefangenen Glück zu tun, das ihn mit voller Wucht traf. Sie sahen so glücklich aus. So verliebt. So lebendig. Normalerweise war Billy nie derart berührt und konnte ohne Schwierigkeiten einen professionellen Abstand zwischen den Opfern und sich selbst wahren. Natürlich war er jedes Mal bewegt und litt mit den Angehörigen, aber die Spitze der Trauer drang nie ganz so tief in ihn ein. Er wusste genau, was diesmal anders war. Er hatte gerade eine Frau kennengelernt, deren Blick und deren offenes Lachen ihn an die Frau auf den Fotos erinnerte. Das machte die Tragödie dreidimensional und wirklich. Er dachte an My. Heute Morgen hatte sie sich die Decke über die Ohren gezogen und ihn schlaftrunken umarmt. Sie hatte versucht, ihn zum Bleiben zu bewegen, noch ein bisschen und noch ein bisschen und noch ein bisschen länger, bis irgendwann der ganze Vormittag verflogen war. Das Bild von der lächelnden My passte mit den Bildern dort an der Wand zusammen, aber auf keinen Fall mit der grotesk verrenkten, gefesselten und vergewaltigten Frau im Zimmer nebenan. Und dennoch war es dieselbe Frau. Für eine Sekunde sah er My vor sich, wie sie dort in der großen Blutlache lag. Er wandte den Kopf ab und schloss die Augen. Eine solche Furcht hatte ihn noch nie zuvor heimgesucht. Nie.
Und er durfte sie nicht wieder nahekommen lassen. Das wusste er. Er durfte die Gewalt und den Schrecken nie an sich heranlassen, sich nie davon vergiften lassen. Das würde die Liebe zerstören, sie angstvoll und unsicher machen. Das Bedürfnis, Privatleben und Arbeit voneinander zu trennen, wurde ihm mit einem Mal glasklar bewusst, denn ohne diese Distanz konnte er alles verlieren. Er konnte My umarmen, sie an sich drücken, aber dieses Gefühl würde er nicht mit ihr teilen können. Es war zu dunkel und abgründig, um es in ihre Beziehung zu lassen, Er würde My lange umarmen, wenn er nach Hause kam. Sehr lange. Sie würde fragen, warum. Und er würde lügen müssen. Leider. Aber die Wahrheit wollte er ihr nicht zumuten. Billy wandte sich um, nahm den Laptop vom Schreibtisch und ging nach unten, um Vanja abzuholen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Augsburg
- Autoren: Hans Rosenfeldt , Michael Hjorth
- 2013, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung:Allenstein, Ursel
- Übersetzer: Ursel Allenstein
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499256711
- ISBN-13: 9783499256714
- Erscheinungsdatum: 01.11.2013

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Marion F., 06.01.2014
Ja; aber es zieht sich. Ich bin bettlägerig krank und dann ist so ein Buch mit kleiner Schrift und so viel Seiten sehr anstrengend. Habe auch schon bessere Bücher gelesen.
12.90 €
10.30 €
Die Menschen, die es nicht verdienen / Sebastian Bergman Bd.5
Hans Rosenfeldt, Michael Hjorth
12.40 €
23.60 €
13.40 €
12.40 €
Sebastian Bergman Band 5: Die Menschen, die es nicht verdienen
Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt
20.60 €
Sebastian Bergman Band 3: Die Toten, die niemand vermisst
Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt
15.50 €
Der Mann, der kein Mörder war / Sebastian Bergman Bd.1
Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt
12.40 €
Die Toten, die niemand vermisst / Sebastian Bergman Bd.3
Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt
13.40 €
17.50 €
11.40 €
Sebastian Bergman Band 4: Das Mädchen, das verstummte
Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt
20.60 €
12.40 €
12.40 €
3.5 von 5 Sternen
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