Die große Gier
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plädiert für einen neue ökonomische Ethik. »Leyendecker ist der deutsche Bob Woodward.« (Wall Street Journal)
Die große Gier von Hans Leyendecker
LESEPROBE
Jedem dasSeine, mir das meiste:
VonGehältern und sonstigen Douceurs
Das WortGier kommt in vielen Zusammensetzungen vor: Es gibt die Blutgier, die Geldgier,die Habgier, die Raffgier. Das Raffen «gierig nehmen», «geizig anhäufen»umschreibt es Wahrigs Wörterbuch , das Raffen also ist vielen von uns zurlieben Gewohnheit geworden. Manchmal denkt man sogar, es sei der Sockel, derGrundstein des Landes, weil es für Erfolg und gesellschaftliche Anerkennungoffenbar keinen überzeugenderen Maßstab gibt als den Erwerb von möglichst vielGeld.
Das Lamentoklingt allerdings vertraut. «Wir haben es satt, in einer Raffgesellschaft zuleben», erklärte vor anderthalb Jahrzehnten der honorige Altkanzler HelmutSchmidt in einem Manifest, das ebenso folgenlos blieb wie viele andereGrundsatzerklärungen davor und danach. So viel zum allgemeinen Klima, in demwir fortwährend aufeinander mit dem Finger zeigen, ohne uns einzugestehen,dass drei Finger der Hand auf uns selbst zurückweisen. «Jedem das Seine, mirdas meiste» ist nicht nur eine Redensart.
Und dennochüberrascht uns mitunter die Habgier, die Raffgier die der anderen zumindest.Wer beispielsweise dem Wirtschaftsmanager Ernst Dieter Berninghauserstmals begegnet, wird vermutlich keinen dieser Begriffe mit dem Rheinländerverbinden. Der Kölner, Jahrgang 1965, ist ein offener, fröhlicher Typ. Im Karnevalist er aktiv, beim 1. FC Köln wurde er oft auf der Tribüne gesehen, und mitseinen bunten Krawatten und den ziemlich langen Haaren passt er so gar nicht indie Kaste jener Führungsleute, die Wasser predigen und Wein saufen, dieMaßlosigkeit zu ihrem Maß gemacht haben und dabei noch ganz vornehm tun unddenen im Souterrain empfehlen, doch den Gürtel enger zu schnallen. Aber sogareiner wie Berninghaus ist ein übler Selbstbedienergewesen.
Auchdeshalb kann es sinnvoll sein, einige Stationen seines Lebensweges näher zubetrachten. Seine Karriere war so ungewöhnlich wie seine Erscheinung. Berninghaus kannte nur eine Richtung: nach oben. Abitur,Wirtschaftsstudium, Promotion, alles ging ganz fix, vorbildlich. Der Enkelkleiner Kaufleute aus dem Ruhrgebietsstädtchen Ennepetal (die Großelternhatten einen Rewe-Laden) fing mit 27 Jahren im Vorstandsstab der Metro Holdingim schweizerischen Baar an. Er blieb fünf Jahre langin der Schweiz, arbeitete dem einst fast allmächtigenMetro-Generalbevollmächtigten Erwin Conradi zu und koordinierte dieeuropaweite Expansion des Konzerns.
Erarbeitete in «Silent City», wie der große SchweizerAutor Nildaus Meienberg das Städtchen Zug nannte, indem «Schweigevirtuosen, Verschweigungskünstler, Diskretionsfanatiker» unermüdlichden Mehrwert der Reichen mehren. Tausende Berater, Treuhänder, Rechtsanwälteund Vermögensverwalter gehen in dem Kleinkanton ihren Geschäftigkeiten nach,und der junge Berninghaus hat dort viel fürs Lebengelernt. In der Ära Conradi wurde die Metro der führende Handelskonzern inEuropa. Der Umsatz lag bei umgerechnet 45 Milliarden Euro. Freunde von Berninghaus, und an denen ist kein Mangel, sagen, dass ihn die Zahlen damals auch ein bisschengrößenwahnsinnig gemacht haben.
1999wechselte er zu Rewe nach Köln, rückte erst in die Leitung der Rewe-Zentral AG und der Rewe-Zentralfinanz eG auf und schonzwei Jahre später in den Vorstand. Er entwickelte das Österreich-Geschäft (Billa, Mercur, Mondo, Bipa), renovierte dieitalienische Supermarktkette Standa, die einmalSilvio Berlusconi gehört hat, und verdrängte sogar seinen ehemaligen ChefConradi aus dem Verwaltungsrat der Bon Appetit Group. Bereits 2004 wurde Berninghaus Vorstandssprecher bei Rewe, dem mit 42Milliarden Euro Umsatz und 260 000 Mitarbeitern nach der Metro zweitgrößtendeutschen Handelskonzern. Mit 39 Jahren verdiente er rund 1,4 Millionen EuroGrundgehalt plus 450000 Euro Komplementärsvergütung bei der Rewe-Tochter DeutscherSupermarkt KG. Damit lässt sich doch leben, auch wenn man verheiratet ist undzwei kleine Kinder hat.
Der nette Berninghaus hatte ein zweites Gesicht. Beim Kauf einerkleinen, ziemlich wertlosen Internetfirma namens NexumAG, den er eingefädelt hatte und der Rewe 25 Millionen Euro kostete, bekam erunter der Hand eine Provision in Höhe von 6,5 Millionen Euro am Finanzamtvorbei. Im Herbst 2004 kam die Staatsgewalt zu Besuch, im Frühjahr 2006 wurdeer in seiner Heimatstadt zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Erverlor seinen Job, musste Rewe die 6,5 Millionen Euro zurückzahlen und war fassungslosüber sich selbst.
DieLoyalität zur Firma, wie sie ein Herr Friedrich Wilhelm Marcus, der Sozius desThomas Buddenbrook, noch im Übermaß besaß, war ihm fremd geworden. Für einenprotestantischen Manager wie den von Thomas Mann beschriebenen Marcus hätte eskaum ein größeres Verbrechen gegeben, als sich an dem Kapital zu vergreifen,dessen Fürsorge ihm anvertraut war. «Obsorge» nannte man das früher abernicht nur das einst im Oberdeutschen heimische Wort ist verschwunden.
Von all denAffären in diesem Buch ist Berninghaus' Fehltritt fürLeute mit überschaubarem Salär vermutlich am schwersten nachzuvollziehen.Warum wird so einer gierig, wenn er doch schon in jungen Jahren so viel hat?
Sein Fallgehört zu den Exzessen aus der Zeit der totalen Börseneuphorie, die eher einWahn war. Echte high potentials und solche, die sichdafür hielten, hatten jeden Sinn für richtig und falsch verloren, und dieAnsprüche auf der nach oben offenen Gierskala der Schneller-reich-Wirtschaftwaren ins Unermessliche gestiegen. Die Ausschweifungen der Blasen-Ökonomie,deren schlimmste Auswüchse international die Desaster der Konzerne Enron, Comroad und Global Crossing waren, haben Verheerendes angerichtet. Gleichzeitigließen sie bei vielen Menschen die Gewissheit aufkommen, dass Lug und Trugsich auf die Dauer doch nicht auszahlen, Einzelfälle ausgenommen.
Dasschnelle Geld war eine Versuchung, der viele nicht widerstehen konnten; derCashflow wurde mal eben in die eigene Richtung gelenkt. Die Unbestechlichensahen wie langweilige Verlierer aus, und manche fühlten sich auch so. Voretlichen Jahren sprang ein Mann von der Golden GateBridge bei San Francisco in den Tod. Er hinterließ eine winzige Notiz, in deraber alles Wesentliche stand: «Survival of the fittest. Adios unfit.» Die Metapher vom Markt, auf dem einer überlebt odernicht, ist manchmal nicht nur als Sinnbild zu verstehen.
Der globaleMarkt hat den nicht so Fitten ein paar Unannehmlichkeiten undUnübersichtlichkeiten wie den Verlust des sicher geglaubten Arbeitsplatzes und,nicht selten, der Existenz beschert und den Fitten ein paar nette Extras. Ineiner Studie der Unternehmensberatung Mercer kannman nachlesen, dass mehr als die Hälfte der 350 größten amerikanischen Konzerneihren Chefs erlauben, das Firmenflugzeug zu nutzen; jedes vierte Unternehmen zahltdie Mitgliedsbeiträge für den Country- und denGolfclub. Sogar für die Kosten der Vermögensverwaltung ihrer Angestellten kommenviele Firmen auf.
UmMissverständnissen vorzubeugen: Einer Nivellierung von Einkommen soll hiernicht das Wort geredet werden. Es gibt kein demokratisches Einkommen. ()
© RowohltBerlin Verlag
- Autor: Hans Leyendecker
- 2007, 3., Neuausg., 304 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Andrea Böltken
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345946
- ISBN-13: 9783871345944
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