Die Handschrift des Todes / Dave Gurney Bd.1
Roman. Deutsche Erstausgabe
Ein Brief ohne Absender erreicht dich. Du sollst dir eine Nummer ausdenken. Irgendeine Nummer. Wer könnte dieser Versuchung widerstehen? Du drehst den Brief um, und da steht dieselbe Nummer, die du dir eben ausgedacht hast. Völlig...
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Produktinformationen zu „Die Handschrift des Todes / Dave Gurney Bd.1 “
Ein Brief ohne Absender erreicht dich. Du sollst dir eine Nummer ausdenken. Irgendeine Nummer. Wer könnte dieser Versuchung widerstehen? Du drehst den Brief um, und da steht dieselbe Nummer, die du dir eben ausgedacht hast. Völlig zufällig. Glaubst du zumindest. Denn dann beginnt das Grauen, ein perfider Killer treibt sein Spiel mit dir. Und du bist ihm gänzlich ausgeliefert.
Klappentext zu „Die Handschrift des Todes / Dave Gurney Bd.1 “
Ich kenne dein GeheimnisEin Brief ohne Absender erreicht dich. Du sollst dir eine Nummer ausdenken. Irgendeine Nummer. Wer könnte dieser Versuchung widerstehen? Du drehst den Brief um, und da steht dieselbe Nummer, die du dir eben ausgedacht hast. Völlig zufällig. Glaubst du zumindest. Denn dann beginnt das Grauen, ein perfider Killer treibt sein Spiel mit dir. Und du bist ihm gänzlich ausgeliefert.
"'Die Handschrift des Todes' ist schlicht einer der besten Thriller, die ich jemals gelesen habe! Herzzerreißend, spannend in vielerlei Hinsicht und unglaublich intelligent. Die Figuren sind lebendig und atmen. Die Handlung ist verfluch clever und raffiniert, der Erzählstil meiesterhaft. Ein Roman, den man auf keinen Fall verpassen darf! Aus dem Stand erweist sich Verdon als ein neuer Stern am Thrillerhimmel.' -- John Lescroart
"Immer, wenn man denkt, das Genre des Serienmörderthrillers hätte nichts Neues mehr zu bieten, kommt jemand und erfindet es neu! 'Die Handschrift des Todes' ist rasant und intelligent geschrieben, mit gut konstruierten Figuren, kniffligen Rätseln und jeder Menge Spannung. Erhält von mir die Note 1." -- Reginald Hill
"Mitreißende Spannung, lebendige Charaktere und ein eleganter und geschickter Stil. 'Die Handschrift des Todes' ein atemberaubendes Debüt!" -- Faye Kellerman
"Immer, wenn man denkt, das Genre des Serienmörderthrillers hätte nichts Neues mehr zu bieten, kommt jemand und erfindet es neu! 'Die Handschrift des Todes' ist rasant und intelligent geschrieben, mit gut konstruierten Figuren, kniffligen Rätseln und jeder Menge Spannung. Erhält von mir die Note 1." -- Reginald Hill
"Mitreißende Spannung, lebendige Charaktere und ein eleganter und geschickter Stil. 'Die Handschrift des Todes' ein atemberaubendes Debüt!" -- Faye Kellerman
Lese-Probe zu „Die Handschrift des Todes / Dave Gurney Bd.1 “
Die Handschrift des Todes von John Verdon Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader
Prolog
»Wo warst du?«, fragte die alte Frau im Bett. »Ich
musste pinkeln, und niemand ist gekommen.«
Ungerührt von ihrem bösen Ton stand der junge Mann
am Fuß des Betts und strahlte.
»Ich musste pinkeln«, wiederholte sie undeutlich, als
wäre sie sich der Bedeutung der Worte nicht mehr sicher.
»Ich habe gute Nachrichten, Mutter«, erklärte er. »Bald
wird alles in Ordnung sein. Alles wird geregelt sein.«
»Wohin gehst du immer, wenn du mich allein lässt?«
Ihre Stimme klang wieder scharf und nörgelnd.
»Nicht weit, Mutter. Du weißt doch genau, dass ich nie
weit weggehe.«
»Ich mag es nicht, wenn ich allein bin.«
Sein Lächeln wurde breiter, fast verzückt. »Sehr bald
wird alles gut. Alles wird sein, wie es immer hätte sein
sollen. Du kannst mir vertrauen, Mutter. Ich habe einen
Weg gefunden, um alles zu richten. Er wird geben,
was er genommen, was er gegeben hat, wird er bekommen.«
»Deine Gedichte sind so schön.«
Das Zimmer hatte kein Fenster. Der seitliche Schein
von der Nachttischlampe - der einzigen Lichtquelle - betonte
die wulstige Narbe am Hals der Frau und die Schatten
in den Augen ihres Sohns.
»Gehen wir tanzen?« Sie starrte vorbei an ihm und der
dunklen Wand in eine hellere Welt.
»Natürlich, Mutter. Alles wird perfekt sein.«
»Wo ist der kleine Dickie Duck?«
»Hier, Mutter.«
»Kommt Dickie Duck ins Bett?«
»Heia machen, heia machen, heia machen.«
»Ich muss pinkeln«, bemerkte sie fast kokett.
... mehr
Teil 1
Verhängnisvolle
Erinnerungen
1
Cop Art
Jason Strunk war nach Meinung aller ein unscheinbarer
Mann - über dreißig, farblos, für seine Nachbarn
praktisch unsichtbar - und offenbar auch unhörbar, denn
niemand konnte sich auch nur an eine einzige Äußerung
von ihm erinnern. Die Befragten waren sich nicht einmal
sicher, ob er überhaupt jemals gesprochen hatte. Vielleicht
hatte er genickt, hallo gesagt, ein oder zwei Worte genuschelt.
Genaueres war nicht bekannt.
Und alle zeigten sich anfangs in typischer Weise überrascht
und vorübergehend sogar fassungslos, als sich herausstellte,
dass Mr. Strunk mit obsessiver Hingabe vierzig-
bis fünfzigjährige Männer mit Schnurrbart getötet
und sie anschließend auf ausgesprochen ungewöhnliche
Weise entsorgt hatte: Er zerschnitt sie in handliche Teile
und verschickte sie farbenprächtig verpackt als Weihnachtsgeschenk
an Polizeibeamte im Umkreis.
Aufmerksam betrachtete Dave Gurney das blasse, friedliche
Gesicht von Jason Strunk - genauer gesagt dessen offizielles
Foto aus der Verbrecherdatei -, das ihn aus dem
Computermonitor anstarrte. Das Porträt war auf Lebensgröße
aufgeblasen und an den Rändern des Bildschirms
von den Werkzeug-Icons eines Retuschierprogramms umgeben,
in das sich Gurney erst noch einarbeiten musste.
Er führte ein Tool für Helligkeitssteuerung zur Iris von
Strunks rechtem Auge, klickte mit der Maus und begutachtete
das kleine Glanzlicht, das er soeben gesetzt hatte.
Besser, aber immer noch nicht richtig.
Die Augen - und der Mund - waren stets am schwierigsten,
aber auch absolute Schlüsselstellen. Manchmal
experimentierte er stundenlang mit der Position und Intensität
eines winzigen Glanzpunkts herum, und hatte
am Ende nichts, womit er ganz zufrieden war und was er
Sonya oder gar Madeleine vorlegen konnte.
Das Besondere an den Augen war, dass sie mehr als alles
andere die Spannung und Widersprüchlichkeit erfassten:
den Hauch von Grausamkeit in der unscheinbaren
Verschlossenheit, den Gurney oft bei den stundenlangen
Befragungen im Gesicht von Mördern wahrgenommen
hatte.
Mit viel geduldigem Gefummel hatte er zum Beispiel
dem Verbrecherfoto von Jorge Kunzman (dem Walmart-
Lagerangestellten, der den Kopf seines jeweils jüngsten
Opfers immer im Kühlschrank aufbewahrte, bis er ihn
durch einen neuen ersetzen konnte) das richtige Aussehen
abgerungen. Er war zufrieden mit dem Endprodukt,
das mit verstörender Unmittelbarkeit die tiefe schwarze
Leere zum Ausdruck brachte, die in Mr. Kunzmans gelangweilter
Miene lauerte, und Sonyas überschäumendes
Lob hatte ihn in seiner Meinung bestätigt. Diese Reaktion
und der völlig unerwartete Verkauf der Arbeit an einen
von Sonyas Sammlerfreunden hatten ihn zu der Reihe
von kreativ manipulierten Fotos motiviert, die mittlerweile
in einer Ausstellung mit dem Titel »Mörder, porträtiert
von dem Mann, der sie gefasst hat« in Sonyas
kleiner, aber hochkarätiger Galerie in Ithaca gezeigt wurden.
Wie ein jüngst pensionierter Detective der New Yorker
Mordkommission mit einem gähnenden Desinteresse an
Kunst im Allgemeinen und Trendkunst im Besonderen
sowie einer tiefen Abneigung gegen jedes Aufsehen um
seine Person in den Mittelpunkt einer Kunstausstellung
in einem schicken Universitätsstädtchen geraten konnte,
die von lokalen Kritikern als »innovative Mischung aus
ungeschminkt rohen Fotos, unerschrockenen psychologischen
Einsichten und meisterhafter grafischer Bearbeitung«
beschrieben wurde, war eine Frage mit zwei sehr
verschiedenen Antworten: seiner eigenen und der seiner
Frau.
Was ihn betraf, hatte alles damit angefangen, dass
Made leine ihn dazu überredete, zusammen mit ihr einen
Kunstkurs im Museum von Cooperstown zu besuchen.
Immer wollte sie ihn herauslocken - aus seinem Bau, aus
dem Haus, aus sich selbst, einfach heraus. Und er hatte
die Erfahrung gemacht, dass er am besten die Strategie
regelmäßiger Kapitulationen anwandte, um weitgehend
Herr seiner Zeit zu bleiben. Auch die Teilnahme an dem
Kunstkurs war ein taktisches Manöver dieser Art. Zwar
graute ihm davor, aber er hoffte, damit zumindest ein
oder zwei Monate lang gegen ähnliche Ansprüche gefeit
zu sein. Dabei war er alles andere als ein Couch-Potato.
Mit seinen siebenundvierzig Jahren konnte er immer
noch fünfzig Liegestütze, Klimmzüge und Sit-ups machen.
Er rannte nur nicht gern irgendwo in der Gegend herum.
Doch der Kurs erwies sich als eine Überraschung - eigentlich
sogar als drei Überraschungen auf einmal. Erstens
die Kursleiterin. Entgegen seinen Befürchtungen,
dass es ihn vor allem Mühe kosten würde, nicht einzuschlafen,
entpuppte sich Sonya Reynolds, eine Galeristin
und regional bekannte Künstlerin, als echte Attraktion.
Sie war keine konventionelle Schönheit nach nordeuropäischem
Muster wie etwa Catherine Deneuve. Dafür
war ihr Mund zu voll, die Wangenknochen zu markant,
die Nase zu stark. Doch große, rauchig grüne Augen und
ein völlig entspanntes und auf natürliche Weise sinnliches
Auftreten schafften es irgendwie, die unvollkommenen
Teile zu einem äußerst eindrucksvollen Ganzen zusammenzufügen.
Von den sechsundzwanzig Kursteilnehmern
waren nur sechs Männer, deren Aufmerksamkeit ihr jedoch
ganz und gar gehörte.
Die zweite Überraschung war seine positive Reaktion
auf die Thematik. Aufgrund ihrer persönlichen Interessen
beschäftigte sich Sonya sehr ausführlich mit Kunstformen,
die von Fotografien ausgingen und diese bearbeiteten, um
Bilder zu schaffen, die die Originale an Ausdruckskraft
übertrafen.
Die letzte Überraschung offenbarte sich bei der dritten
Veranstaltung des zwölfwöchigen Kurses, als sie ihre
Begeisterung über einen zeitgenössischen Künstler kundtat,
der seine Siebdrucke mithilfe solarisierter Fotoporträts
produzierte. Während Gurney die Drucke betrachtete,
hatte er einen Einfall. Er konnte sich einer sehr
ungewöhnlichen Quelle bedienen, zu der er einen in jeder
Hinsicht besonderen Zugang hatte. Die Vorstellung war
merkwürdig aufregend. Und das Letzte, was er sich von
einem Kunstkurs erwartet hatte, war Aufregung.
Diese Idee - Fotos von Verbrechern und vor allem Mördern
so aufzupolieren, zu präzisieren und zu verstärken,
dass sie exakt den Charakter des Wilds zum Ausdruck
brachten, auf das er sein ganzes Berufsleben lang mit List
und Tücke Jagd gemacht hatte - fasste in ihm Fuß, und
er dachte öfter darüber nach, als er es ohne Verlegenheit
hätte zugeben können. Schließlich war er ein vorsichti-
ger Mensch, der beide Seiten jeder Frage, den Fehler jeder
Überzeugung und die Naivität in jeder Begeisterung
erkennen konnte.
Als Gurney an diesem strahlenden Oktobervormittag am
Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer saß, riss ihn plötzlich
ein Geräusch aus der angenehm fordernden Beschäftigung
mit dem Foto von Jason Strunk. Hinter ihm war
etwas auf den Boden gefallen.
»Die stell ich dir da hin.« Für jeden anderen hätte
Made leine Gurneys Stimme wohl beiläufig geklungen,
doch ihr Mann hörte sofort die Anspannung darin.
Er blickte über die Schulter und kniff die Augen zusammen,
als er die zwei Jutesäcke an der Tür bemerkte.
»Was stellst du mir hin?« Doch eigentlich kannte er die
Antwort schon.
»Tulpen.« Madeleines Ton blieb beherrscht.
»Du meinst Tulpenzwiebeln?«
Eine alberne Korrektur, wie sie beide wussten. Auf diese
Weise brachte er seine Gereiztheit darüber zum Ausdruck,
dass Madeleine etwas von ihm wollte, wozu er keine Lust
hatte.
»Was soll ich denn hier drinnen mit ihnen?«
»Sie raus in den Garten bringen und mir beim Einsetzen
helfen.«
Er spielte mit dem Gedanken, sie darauf aufmerksam
zu machen, dass es nicht besonders logisch war, etwas
hier hereinzuschleppen, damit er es wieder hinaus in den
Garten schleppte, überlegte es sich aber anders.
»Sobald ich hier fertig bin«, antwortete er leicht verstimmt.
Eigentlich war es nicht unbedingt eine lästige
Pflicht, an einem herrlichen Spätsommertag in einem
hoch über einer weiten Landschaft aus herbstlich roten
Wäldern und smaragdgrünen Wiesen gelegenen Garten
Tulpenzwiebeln zu pflanzen. Er hasste es einfach nur, unterbrochen
zu werden. Und diese Reaktion auf Unterbrechungen,
so sagte er sich, war ein Nebenprodukt seiner
größten Stärke: der lineare, logische Verstand, der ihm bei
seiner Polizeiarbeit zu großen Erfolgen verholfen hatte -
ein Verstand, dem nicht die leiseste Ungereimtheit in der
Geschichte eines Verdächtigen entging und der selbst
haarfeine Lücken wahrnahm.
Madeleine spähte auf den Monitor. »Wie kannst du an
einem Tag wie heute so was Hässliches machen?«
2
Ein vollkommenes Opfer
David und Madeleine Gurney lebten in einem robusten
Farmhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, das sich
in die Ecke einer abgelegenen Wiese am Ende einer Sackgasse
in den Delaware Hills acht Kilometer außerhalb des
Ortes Walnut Crossing schmiegte. Die vier Hektar große
Wiese war umgeben von Kirsch-, Ahorn- und Eichenwäldern.
Das Haus hatte seine ursprüngliche architektonische
Schlichtheit bewahrt. In dem Jahr, seit sie es besaßen, hatten
die Gurneys die unglücklichen Neuerungen des Voreigentümers
rückgängig gemacht. Zum Beispiel hatten sie
die kahlen Aluminiumfenster durch welche aus Holz ersetzt,
die das Licht nach Art eines früheren Jahrhunderts
teilten. Das taten sie nicht aus einem übertriebenen Authentizitätswahn,
sondern in der Überzeugung, dass die
ursprüngliche Ästhetik irgendwie richtig gewesen war.
Die Frage, wie das eigene Heim aussehen und sich anfühlen
sollte, gehörte zu den Themen, über die zwischen Madeleine
und David völlige Einigkeit herrschte - eine Liste,
die in letzter Zeit eher geschrumpft war, wie ihm schien.
Ausgelöst von Madeleines Äußerung über das Porträt,
an dem er arbeitete, nagte dieser Gedanke nun schon
den halben Tag wie Säure an seiner Laune. Und er lauerte
noch immer am Rand seines Bewusstseins, als er am
Nachmittag nach dem Zwiebelsetzen in seinem Lieblingsliegestuhl
vor sich hin döste und plötzlich ihre Schritte im
knöcheltiefen Gras hörte. Als sie vor seinem Stuhl anhielten,
öffnete er ein Auge.
»Meinst du, es ist schon zu spät, um das Paddelboot
rauszuholen?« Ihre ruhige Stimme platzierte die Worte
gewandt zwischen Frage und Herausforderung.
Madeleine war eine schlanke, athletische Fünfundvierzigjährige,
die man ohne weiteres auf fünfunddreißig schätzen
konnte. Sie musterte ihn mit offenem, festem Blick. Mit
Ausnahme einiger verirrter Strähnen war ihr langes braunes
Haar unter dem breitkrempigen Strohhut verborgen.
Er antwortete mit einer Frage, die ihn beschäftigte.
»Findest du es wirklich hässlich?«
»Natürlich«, erwiderte sie ohne Zögern. »Es soll doch
hässlich sein, oder nicht?«
Stirnrunzelnd dachte er nach. »Du meinst den Gegenstand?«
»Was sollte ich denn sonst meinen?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte die Achseln. »Deine Bemerkung
vorhin klang, als wäre dir das Ganze zuwider -
nicht nur der Gegenstand, sondern auch die Ausführung.«
»Tut mir leid.«
Er hatte nicht das Gefühl, dass es ihr leidtat. Doch bevor
er diesen Eindruck in Worte fassen konnte, wechselte
sie das Thema.
»Freust du dich schon auf das Treffen mit deinem alten
Studienfreund?«
»Nicht besonders.« Er stellte die Rückenlehne seines
Stuhls eine Kerbe tiefer. »Mit Erinnerungen an die Vergangenheit
hab ich's nicht so.«
»Vielleicht hat er einen Mord im Gepäck, den du klären
sollst.«
Aufmerksam registrierte Gurney ihren vieldeutigen Gesichtsausdruck.
»Meinst du, das ist es, was er von mir
will?«
»Bist du dafür nicht berühmt?« Ärger kroch in ihre Stimme.
In den letzten Monaten hatte er das schon so oft beobachtet,
dass er zu verstehen glaubte, worum es hier ging.
Sie hatten einfach verschiedene Vorstellungen davon, was
seine Pensionierung bedeutete, welche Veränderungen sie
in ihrem Leben bewirken sollte, und vor allem, wie sie
ihn verändern sollte. Dazu kam in jüngster Zeit der Unmut
über seine neue Nebenbeschäftigung - das Projekt
mit den Mörderporträts, das ihn ganz in Anspruch nahm.
Außerdem hatte er den Verdacht, dass Madeleines negative
Einstellung zu dieser Tätigkeit teilweise mit Sonyas
Begeisterung zusammenhing.
»Hast du gewusst, dass er ebenfalls berühmt ist?«,
fragte sie.
»Wer?«
»Dein Studienfreund.«
»Eigentlich nicht. Er hat am Telefon was erwähnt von
einem Buch, das er geschrieben hat, und das hab ich kurz
überprüft. Aber dass er wirklich bekannt ist, hätte ich
nicht gedacht.«
»Zwei Bücher«, entgegnete Madeleine. »Er ist der Leiter
von so einem Institut in Peony und hat eine Vortragsreihe
angeboten, die auf PBS gelaufen ist. Ich hab dir Kopien
der Buchumschläge aus dem Internet ausgedruckt.
Vielleicht willst du mal einen Blick darauf werfen.«
»Bestimmt wird er mir sowieso alles Wissenswerte über
sich und seine Bücher erzählen. Er klingt nicht gerade
schüchtern.«
»Wie du meinst. Ich hab dir die Kopien auf deinen
Schreibtisch gelegt, falls du es dir anders überlegst. Ach,
und übrigens, Kyle hat vorhin angerufen.«
Er starrte sie schweigend an.
»Ich hab gesagt, du meldest dich bei ihm.«
»Warum hast du mich nicht geweckt?«, entfuhr es ihm
in ungewollt scharfem Ton. Sein Sohn rief nicht besonders
oft an.
»Ich hab ihn gefragt, ob ich dich holen soll. Er wollte
dich nicht stören, es war wohl nicht besonders wichtig.«
»Hat er sonst noch was gesagt?«
»Nein.«
Sie wandte sich ab und ging durch das dichte, feuchte
Gras zurück zum Haus. Als sie die Hand auf den Griff
der Seitentür legte, schien ihr etwas einzufallen, und sie
sprach ihn mit übertriebener Verblüffung an. »Nach dem
Buchumschlag zu urteilen, ist dein Studienfreund ein Heiliger,
in jeder Hinsicht vollkommen. Ein Guru für richtiges
Verhalten. Kaum vorstellbar, warum so einer Rat bei
einem Detective der Mordkommission sucht.«
»Bei einem pensionierten Detective der Mordkommission
«, korrigierte Gurney.
Aber sie war schon verschwunden, ohne das Knallen
der Tür zu dämpfen.
3
Ärger im Paradies
Der nächste Tag war noch herrlicher als der vergangene
und hätte sich gut als Oktoberbild in einem NeuEngland-
Kalender gemacht. Gurney stand um sieben auf,
duschte und rasierte sich, zog Jeans und einen leichten
Baumwollpulli an und trank seinen Kaffee auf der Bluestoneterrasse
vor dem Schlafzimmer im Erdgeschoss.
Die Terrasse und die Fenstertüren, durch die man sie erreichte,
hatte er auf Madeleines Drängen hin eingebaut.
Von solchen Dingen verstand sie etwas, und sie hatte
ein Auge dafür, was möglich und passend war. Das sagte
viel über sie aus: über ihren positiven Instinkt, ihre praktische
Fantasie, ihren unfehlbaren Geschmack. Wenn er
sich allerdings in den Bereichen verhedderte, die zwischen
ihnen umstritten waren - dem sumpfigen Dickicht unausgesprochener
Erwartungen -, fiel es ihm schwer, sich auf
ihre Stärken zu konzentrieren.
Er durfte auf keinen Fall vergessen, Kyle zurückzurufen.
Aber wegen des Zeitunterschieds zwischen Walnut
Crossing und Seattle musste er damit noch drei Stunden
warten. Er ließ sich tiefer in den Stoffstuhl sinken, den
warmen Kaffeebecher in beiden Händen.
Schließlich fiel sein Blick auf die schmale Mappe, die
er mit dem Kaffee herausgebracht hatte. Er versuchte,
sich das Aussehen des Collegefreundes vorzustellen, dem
er seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr begegnet war.
Das Foto auf dem Buchumschlag, den Madeleine ausgedruckt
hatte, hatte sein Gedächtnis aufgefrischt, nicht nur
im Hinblick auf das Gesicht, sondern auch auf die Persönlichkeit
- bis hin zum Timbre eines irischen Tenors
und einem umwerfend charmanten Lächeln.
Als sie zusammen am Rose Hill Campus der Fordham
University in der Bronx studierten, war Mark Mellery
ein wilder Bursche gewesen, dessen Ausbrüche von Humor
und Wahrheitsliebe, Energie und Ehrgeiz von etwas
Dunklem gefärbt waren. Er hatte eine Tendenz, sich allzu
nahe am Abgrund zu bewegen - eine Art schlingerndes
Genie, zugleich unbesonnen und berechnend, immer in
Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten.
Laut der Biografie auf seiner Website hatte sich die
Richtung der Spirale, die ihn zunächst hinuntergezogen
hatte, ab dem dreißigsten Lebensjahr durch einen dramatischen
spirituellen Wandel umgekehrt.
Nachdem er den Kaffeebecher auf der schmalen Holz-
lehne des Stuhls abgestellt hatte, schlug Gurney die Mappe
in seinem Schoß auf. Er entnahm ihr die ausgedruckte
E-Mail, die er vor einer Woche von Mellery erhalten hatte,
und ging sie noch einmal Zeile für Zeile durch.
Hallo Dave,
ich hoffe, Du findest es nicht unangemessen, wenn sich
ein alter Studienfreund nach so langer Zeit wieder bei
Dir meldet. Man weiß ja nie, was eine Stimme aus der
Vergangenheit in einem wachruft. Ich habe über unseren
Alumni-Verein Kontakt zu unserer gemeinsamen
akademischen Geschichte gehalten und war im Lauf
der Jahre immer wieder fasziniert von den Neuigkeiten
über die Absolventen unseres Jahrgangs. Mehrere Male
habe ich mit Befriedigung von Deinen herausragenden
Leistungen und der Anerkennung gehört, die Dir zuteil
wurde. (Ein Artikel in unseren Alumni-News nennt
Dich den »meistdekorierten Detective des NYPD« -
was mich eigentlich nicht besonders überrascht, wenn
ich an den Dave Gurney denke, den ich vom College
kenne!) Vor ungefähr einem Jahr erfuhr ich dann, dass
Du in den Ruhestand gegangen und hierher nach Delaware
County gezogen bist. Ich wurde darauf aufmerksam,
weil ich selbst in Peony wohne - also nur ein paar
Häuser weiter, wie es so schön heißt. Wahrscheinlich
hast Du nichts davon gehört, aber ich leite hier eine
Art Meditationszentrum mit dem Namen »Institut für
spirituelle Erneuerung« - klingt ziemlich hochtrabend,
ich weiß, ist aber eigentlich eine ganz praktische Angelegenheit.
Im Lauf der Jahre habe ich mir zwar schon oft gedacht,
dass es eine große Freude für mich wäre, Dich
wiederzusehen, aber erst jetzt hat eine schwierige Situation
den entscheidenden Anstoß dafür gegeben,
mich mit Dir in Verbindung zu setzen. Ich glaube, Dein
Rat könnte mir in dieser Sache sehr nützlich sein. Daher
würde ich Dir gern einen kurzen Besuch abstatten.
Wenn Du eine halbe Stunde für mich erübrigen
könntest, komme ich in Dein Haus in Walnut Crossing
- oder gern auch an jeden anderen Ort, den Du
mir nennst.
Die Erinnerungen an unsere Unterhaltungen im
Campuszentrum und die noch längeren in der Shamrock
Bar - ganz zu schweigen von Deiner großen beruflichen
Erfahrung - sagen mir, dass Du der Richtige
bist, um diese verwirrende Sache zu besprechen.
Es ist ein merkwürdiges Rätsel, das Dich durchaus in
Vollständige deutsche Erstausgabe 01/2011
Copyright © 2010 by John Verdon
Copyright © 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2010
Redaktion: Tamara Rapp
Umschlaggestaltung: © yellowfarm GmbH, s. freischem
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-43536-0
www.heyne.de
Teil 1
Verhängnisvolle
Erinnerungen
1
Cop Art
Jason Strunk war nach Meinung aller ein unscheinbarer
Mann - über dreißig, farblos, für seine Nachbarn
praktisch unsichtbar - und offenbar auch unhörbar, denn
niemand konnte sich auch nur an eine einzige Äußerung
von ihm erinnern. Die Befragten waren sich nicht einmal
sicher, ob er überhaupt jemals gesprochen hatte. Vielleicht
hatte er genickt, hallo gesagt, ein oder zwei Worte genuschelt.
Genaueres war nicht bekannt.
Und alle zeigten sich anfangs in typischer Weise überrascht
und vorübergehend sogar fassungslos, als sich herausstellte,
dass Mr. Strunk mit obsessiver Hingabe vierzig-
bis fünfzigjährige Männer mit Schnurrbart getötet
und sie anschließend auf ausgesprochen ungewöhnliche
Weise entsorgt hatte: Er zerschnitt sie in handliche Teile
und verschickte sie farbenprächtig verpackt als Weihnachtsgeschenk
an Polizeibeamte im Umkreis.
Aufmerksam betrachtete Dave Gurney das blasse, friedliche
Gesicht von Jason Strunk - genauer gesagt dessen offizielles
Foto aus der Verbrecherdatei -, das ihn aus dem
Computermonitor anstarrte. Das Porträt war auf Lebensgröße
aufgeblasen und an den Rändern des Bildschirms
von den Werkzeug-Icons eines Retuschierprogramms umgeben,
in das sich Gurney erst noch einarbeiten musste.
Er führte ein Tool für Helligkeitssteuerung zur Iris von
Strunks rechtem Auge, klickte mit der Maus und begutachtete
das kleine Glanzlicht, das er soeben gesetzt hatte.
Besser, aber immer noch nicht richtig.
Die Augen - und der Mund - waren stets am schwierigsten,
aber auch absolute Schlüsselstellen. Manchmal
experimentierte er stundenlang mit der Position und Intensität
eines winzigen Glanzpunkts herum, und hatte
am Ende nichts, womit er ganz zufrieden war und was er
Sonya oder gar Madeleine vorlegen konnte.
Das Besondere an den Augen war, dass sie mehr als alles
andere die Spannung und Widersprüchlichkeit erfassten:
den Hauch von Grausamkeit in der unscheinbaren
Verschlossenheit, den Gurney oft bei den stundenlangen
Befragungen im Gesicht von Mördern wahrgenommen
hatte.
Mit viel geduldigem Gefummel hatte er zum Beispiel
dem Verbrecherfoto von Jorge Kunzman (dem Walmart-
Lagerangestellten, der den Kopf seines jeweils jüngsten
Opfers immer im Kühlschrank aufbewahrte, bis er ihn
durch einen neuen ersetzen konnte) das richtige Aussehen
abgerungen. Er war zufrieden mit dem Endprodukt,
das mit verstörender Unmittelbarkeit die tiefe schwarze
Leere zum Ausdruck brachte, die in Mr. Kunzmans gelangweilter
Miene lauerte, und Sonyas überschäumendes
Lob hatte ihn in seiner Meinung bestätigt. Diese Reaktion
und der völlig unerwartete Verkauf der Arbeit an einen
von Sonyas Sammlerfreunden hatten ihn zu der Reihe
von kreativ manipulierten Fotos motiviert, die mittlerweile
in einer Ausstellung mit dem Titel »Mörder, porträtiert
von dem Mann, der sie gefasst hat« in Sonyas
kleiner, aber hochkarätiger Galerie in Ithaca gezeigt wurden.
Wie ein jüngst pensionierter Detective der New Yorker
Mordkommission mit einem gähnenden Desinteresse an
Kunst im Allgemeinen und Trendkunst im Besonderen
sowie einer tiefen Abneigung gegen jedes Aufsehen um
seine Person in den Mittelpunkt einer Kunstausstellung
in einem schicken Universitätsstädtchen geraten konnte,
die von lokalen Kritikern als »innovative Mischung aus
ungeschminkt rohen Fotos, unerschrockenen psychologischen
Einsichten und meisterhafter grafischer Bearbeitung«
beschrieben wurde, war eine Frage mit zwei sehr
verschiedenen Antworten: seiner eigenen und der seiner
Frau.
Was ihn betraf, hatte alles damit angefangen, dass
Made leine ihn dazu überredete, zusammen mit ihr einen
Kunstkurs im Museum von Cooperstown zu besuchen.
Immer wollte sie ihn herauslocken - aus seinem Bau, aus
dem Haus, aus sich selbst, einfach heraus. Und er hatte
die Erfahrung gemacht, dass er am besten die Strategie
regelmäßiger Kapitulationen anwandte, um weitgehend
Herr seiner Zeit zu bleiben. Auch die Teilnahme an dem
Kunstkurs war ein taktisches Manöver dieser Art. Zwar
graute ihm davor, aber er hoffte, damit zumindest ein
oder zwei Monate lang gegen ähnliche Ansprüche gefeit
zu sein. Dabei war er alles andere als ein Couch-Potato.
Mit seinen siebenundvierzig Jahren konnte er immer
noch fünfzig Liegestütze, Klimmzüge und Sit-ups machen.
Er rannte nur nicht gern irgendwo in der Gegend herum.
Doch der Kurs erwies sich als eine Überraschung - eigentlich
sogar als drei Überraschungen auf einmal. Erstens
die Kursleiterin. Entgegen seinen Befürchtungen,
dass es ihn vor allem Mühe kosten würde, nicht einzuschlafen,
entpuppte sich Sonya Reynolds, eine Galeristin
und regional bekannte Künstlerin, als echte Attraktion.
Sie war keine konventionelle Schönheit nach nordeuropäischem
Muster wie etwa Catherine Deneuve. Dafür
war ihr Mund zu voll, die Wangenknochen zu markant,
die Nase zu stark. Doch große, rauchig grüne Augen und
ein völlig entspanntes und auf natürliche Weise sinnliches
Auftreten schafften es irgendwie, die unvollkommenen
Teile zu einem äußerst eindrucksvollen Ganzen zusammenzufügen.
Von den sechsundzwanzig Kursteilnehmern
waren nur sechs Männer, deren Aufmerksamkeit ihr jedoch
ganz und gar gehörte.
Die zweite Überraschung war seine positive Reaktion
auf die Thematik. Aufgrund ihrer persönlichen Interessen
beschäftigte sich Sonya sehr ausführlich mit Kunstformen,
die von Fotografien ausgingen und diese bearbeiteten, um
Bilder zu schaffen, die die Originale an Ausdruckskraft
übertrafen.
Die letzte Überraschung offenbarte sich bei der dritten
Veranstaltung des zwölfwöchigen Kurses, als sie ihre
Begeisterung über einen zeitgenössischen Künstler kundtat,
der seine Siebdrucke mithilfe solarisierter Fotoporträts
produzierte. Während Gurney die Drucke betrachtete,
hatte er einen Einfall. Er konnte sich einer sehr
ungewöhnlichen Quelle bedienen, zu der er einen in jeder
Hinsicht besonderen Zugang hatte. Die Vorstellung war
merkwürdig aufregend. Und das Letzte, was er sich von
einem Kunstkurs erwartet hatte, war Aufregung.
Diese Idee - Fotos von Verbrechern und vor allem Mördern
so aufzupolieren, zu präzisieren und zu verstärken,
dass sie exakt den Charakter des Wilds zum Ausdruck
brachten, auf das er sein ganzes Berufsleben lang mit List
und Tücke Jagd gemacht hatte - fasste in ihm Fuß, und
er dachte öfter darüber nach, als er es ohne Verlegenheit
hätte zugeben können. Schließlich war er ein vorsichti-
ger Mensch, der beide Seiten jeder Frage, den Fehler jeder
Überzeugung und die Naivität in jeder Begeisterung
erkennen konnte.
Als Gurney an diesem strahlenden Oktobervormittag am
Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer saß, riss ihn plötzlich
ein Geräusch aus der angenehm fordernden Beschäftigung
mit dem Foto von Jason Strunk. Hinter ihm war
etwas auf den Boden gefallen.
»Die stell ich dir da hin.« Für jeden anderen hätte
Made leine Gurneys Stimme wohl beiläufig geklungen,
doch ihr Mann hörte sofort die Anspannung darin.
Er blickte über die Schulter und kniff die Augen zusammen,
als er die zwei Jutesäcke an der Tür bemerkte.
»Was stellst du mir hin?« Doch eigentlich kannte er die
Antwort schon.
»Tulpen.« Madeleines Ton blieb beherrscht.
»Du meinst Tulpenzwiebeln?«
Eine alberne Korrektur, wie sie beide wussten. Auf diese
Weise brachte er seine Gereiztheit darüber zum Ausdruck,
dass Madeleine etwas von ihm wollte, wozu er keine Lust
hatte.
»Was soll ich denn hier drinnen mit ihnen?«
»Sie raus in den Garten bringen und mir beim Einsetzen
helfen.«
Er spielte mit dem Gedanken, sie darauf aufmerksam
zu machen, dass es nicht besonders logisch war, etwas
hier hereinzuschleppen, damit er es wieder hinaus in den
Garten schleppte, überlegte es sich aber anders.
»Sobald ich hier fertig bin«, antwortete er leicht verstimmt.
Eigentlich war es nicht unbedingt eine lästige
Pflicht, an einem herrlichen Spätsommertag in einem
hoch über einer weiten Landschaft aus herbstlich roten
Wäldern und smaragdgrünen Wiesen gelegenen Garten
Tulpenzwiebeln zu pflanzen. Er hasste es einfach nur, unterbrochen
zu werden. Und diese Reaktion auf Unterbrechungen,
so sagte er sich, war ein Nebenprodukt seiner
größten Stärke: der lineare, logische Verstand, der ihm bei
seiner Polizeiarbeit zu großen Erfolgen verholfen hatte -
ein Verstand, dem nicht die leiseste Ungereimtheit in der
Geschichte eines Verdächtigen entging und der selbst
haarfeine Lücken wahrnahm.
Madeleine spähte auf den Monitor. »Wie kannst du an
einem Tag wie heute so was Hässliches machen?«
2
Ein vollkommenes Opfer
David und Madeleine Gurney lebten in einem robusten
Farmhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, das sich
in die Ecke einer abgelegenen Wiese am Ende einer Sackgasse
in den Delaware Hills acht Kilometer außerhalb des
Ortes Walnut Crossing schmiegte. Die vier Hektar große
Wiese war umgeben von Kirsch-, Ahorn- und Eichenwäldern.
Das Haus hatte seine ursprüngliche architektonische
Schlichtheit bewahrt. In dem Jahr, seit sie es besaßen, hatten
die Gurneys die unglücklichen Neuerungen des Voreigentümers
rückgängig gemacht. Zum Beispiel hatten sie
die kahlen Aluminiumfenster durch welche aus Holz ersetzt,
die das Licht nach Art eines früheren Jahrhunderts
teilten. Das taten sie nicht aus einem übertriebenen Authentizitätswahn,
sondern in der Überzeugung, dass die
ursprüngliche Ästhetik irgendwie richtig gewesen war.
Die Frage, wie das eigene Heim aussehen und sich anfühlen
sollte, gehörte zu den Themen, über die zwischen Madeleine
und David völlige Einigkeit herrschte - eine Liste,
die in letzter Zeit eher geschrumpft war, wie ihm schien.
Ausgelöst von Madeleines Äußerung über das Porträt,
an dem er arbeitete, nagte dieser Gedanke nun schon
den halben Tag wie Säure an seiner Laune. Und er lauerte
noch immer am Rand seines Bewusstseins, als er am
Nachmittag nach dem Zwiebelsetzen in seinem Lieblingsliegestuhl
vor sich hin döste und plötzlich ihre Schritte im
knöcheltiefen Gras hörte. Als sie vor seinem Stuhl anhielten,
öffnete er ein Auge.
»Meinst du, es ist schon zu spät, um das Paddelboot
rauszuholen?« Ihre ruhige Stimme platzierte die Worte
gewandt zwischen Frage und Herausforderung.
Madeleine war eine schlanke, athletische Fünfundvierzigjährige,
die man ohne weiteres auf fünfunddreißig schätzen
konnte. Sie musterte ihn mit offenem, festem Blick. Mit
Ausnahme einiger verirrter Strähnen war ihr langes braunes
Haar unter dem breitkrempigen Strohhut verborgen.
Er antwortete mit einer Frage, die ihn beschäftigte.
»Findest du es wirklich hässlich?«
»Natürlich«, erwiderte sie ohne Zögern. »Es soll doch
hässlich sein, oder nicht?«
Stirnrunzelnd dachte er nach. »Du meinst den Gegenstand?«
»Was sollte ich denn sonst meinen?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte die Achseln. »Deine Bemerkung
vorhin klang, als wäre dir das Ganze zuwider -
nicht nur der Gegenstand, sondern auch die Ausführung.«
»Tut mir leid.«
Er hatte nicht das Gefühl, dass es ihr leidtat. Doch bevor
er diesen Eindruck in Worte fassen konnte, wechselte
sie das Thema.
»Freust du dich schon auf das Treffen mit deinem alten
Studienfreund?«
»Nicht besonders.« Er stellte die Rückenlehne seines
Stuhls eine Kerbe tiefer. »Mit Erinnerungen an die Vergangenheit
hab ich's nicht so.«
»Vielleicht hat er einen Mord im Gepäck, den du klären
sollst.«
Aufmerksam registrierte Gurney ihren vieldeutigen Gesichtsausdruck.
»Meinst du, das ist es, was er von mir
will?«
»Bist du dafür nicht berühmt?« Ärger kroch in ihre Stimme.
In den letzten Monaten hatte er das schon so oft beobachtet,
dass er zu verstehen glaubte, worum es hier ging.
Sie hatten einfach verschiedene Vorstellungen davon, was
seine Pensionierung bedeutete, welche Veränderungen sie
in ihrem Leben bewirken sollte, und vor allem, wie sie
ihn verändern sollte. Dazu kam in jüngster Zeit der Unmut
über seine neue Nebenbeschäftigung - das Projekt
mit den Mörderporträts, das ihn ganz in Anspruch nahm.
Außerdem hatte er den Verdacht, dass Madeleines negative
Einstellung zu dieser Tätigkeit teilweise mit Sonyas
Begeisterung zusammenhing.
»Hast du gewusst, dass er ebenfalls berühmt ist?«,
fragte sie.
»Wer?«
»Dein Studienfreund.«
»Eigentlich nicht. Er hat am Telefon was erwähnt von
einem Buch, das er geschrieben hat, und das hab ich kurz
überprüft. Aber dass er wirklich bekannt ist, hätte ich
nicht gedacht.«
»Zwei Bücher«, entgegnete Madeleine. »Er ist der Leiter
von so einem Institut in Peony und hat eine Vortragsreihe
angeboten, die auf PBS gelaufen ist. Ich hab dir Kopien
der Buchumschläge aus dem Internet ausgedruckt.
Vielleicht willst du mal einen Blick darauf werfen.«
»Bestimmt wird er mir sowieso alles Wissenswerte über
sich und seine Bücher erzählen. Er klingt nicht gerade
schüchtern.«
»Wie du meinst. Ich hab dir die Kopien auf deinen
Schreibtisch gelegt, falls du es dir anders überlegst. Ach,
und übrigens, Kyle hat vorhin angerufen.«
Er starrte sie schweigend an.
»Ich hab gesagt, du meldest dich bei ihm.«
»Warum hast du mich nicht geweckt?«, entfuhr es ihm
in ungewollt scharfem Ton. Sein Sohn rief nicht besonders
oft an.
»Ich hab ihn gefragt, ob ich dich holen soll. Er wollte
dich nicht stören, es war wohl nicht besonders wichtig.«
»Hat er sonst noch was gesagt?«
»Nein.«
Sie wandte sich ab und ging durch das dichte, feuchte
Gras zurück zum Haus. Als sie die Hand auf den Griff
der Seitentür legte, schien ihr etwas einzufallen, und sie
sprach ihn mit übertriebener Verblüffung an. »Nach dem
Buchumschlag zu urteilen, ist dein Studienfreund ein Heiliger,
in jeder Hinsicht vollkommen. Ein Guru für richtiges
Verhalten. Kaum vorstellbar, warum so einer Rat bei
einem Detective der Mordkommission sucht.«
»Bei einem pensionierten Detective der Mordkommission
«, korrigierte Gurney.
Aber sie war schon verschwunden, ohne das Knallen
der Tür zu dämpfen.
3
Ärger im Paradies
Der nächste Tag war noch herrlicher als der vergangene
und hätte sich gut als Oktoberbild in einem NeuEngland-
Kalender gemacht. Gurney stand um sieben auf,
duschte und rasierte sich, zog Jeans und einen leichten
Baumwollpulli an und trank seinen Kaffee auf der Bluestoneterrasse
vor dem Schlafzimmer im Erdgeschoss.
Die Terrasse und die Fenstertüren, durch die man sie erreichte,
hatte er auf Madeleines Drängen hin eingebaut.
Von solchen Dingen verstand sie etwas, und sie hatte
ein Auge dafür, was möglich und passend war. Das sagte
viel über sie aus: über ihren positiven Instinkt, ihre praktische
Fantasie, ihren unfehlbaren Geschmack. Wenn er
sich allerdings in den Bereichen verhedderte, die zwischen
ihnen umstritten waren - dem sumpfigen Dickicht unausgesprochener
Erwartungen -, fiel es ihm schwer, sich auf
ihre Stärken zu konzentrieren.
Er durfte auf keinen Fall vergessen, Kyle zurückzurufen.
Aber wegen des Zeitunterschieds zwischen Walnut
Crossing und Seattle musste er damit noch drei Stunden
warten. Er ließ sich tiefer in den Stoffstuhl sinken, den
warmen Kaffeebecher in beiden Händen.
Schließlich fiel sein Blick auf die schmale Mappe, die
er mit dem Kaffee herausgebracht hatte. Er versuchte,
sich das Aussehen des Collegefreundes vorzustellen, dem
er seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr begegnet war.
Das Foto auf dem Buchumschlag, den Madeleine ausgedruckt
hatte, hatte sein Gedächtnis aufgefrischt, nicht nur
im Hinblick auf das Gesicht, sondern auch auf die Persönlichkeit
- bis hin zum Timbre eines irischen Tenors
und einem umwerfend charmanten Lächeln.
Als sie zusammen am Rose Hill Campus der Fordham
University in der Bronx studierten, war Mark Mellery
ein wilder Bursche gewesen, dessen Ausbrüche von Humor
und Wahrheitsliebe, Energie und Ehrgeiz von etwas
Dunklem gefärbt waren. Er hatte eine Tendenz, sich allzu
nahe am Abgrund zu bewegen - eine Art schlingerndes
Genie, zugleich unbesonnen und berechnend, immer in
Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten.
Laut der Biografie auf seiner Website hatte sich die
Richtung der Spirale, die ihn zunächst hinuntergezogen
hatte, ab dem dreißigsten Lebensjahr durch einen dramatischen
spirituellen Wandel umgekehrt.
Nachdem er den Kaffeebecher auf der schmalen Holz-
lehne des Stuhls abgestellt hatte, schlug Gurney die Mappe
in seinem Schoß auf. Er entnahm ihr die ausgedruckte
E-Mail, die er vor einer Woche von Mellery erhalten hatte,
und ging sie noch einmal Zeile für Zeile durch.
Hallo Dave,
ich hoffe, Du findest es nicht unangemessen, wenn sich
ein alter Studienfreund nach so langer Zeit wieder bei
Dir meldet. Man weiß ja nie, was eine Stimme aus der
Vergangenheit in einem wachruft. Ich habe über unseren
Alumni-Verein Kontakt zu unserer gemeinsamen
akademischen Geschichte gehalten und war im Lauf
der Jahre immer wieder fasziniert von den Neuigkeiten
über die Absolventen unseres Jahrgangs. Mehrere Male
habe ich mit Befriedigung von Deinen herausragenden
Leistungen und der Anerkennung gehört, die Dir zuteil
wurde. (Ein Artikel in unseren Alumni-News nennt
Dich den »meistdekorierten Detective des NYPD« -
was mich eigentlich nicht besonders überrascht, wenn
ich an den Dave Gurney denke, den ich vom College
kenne!) Vor ungefähr einem Jahr erfuhr ich dann, dass
Du in den Ruhestand gegangen und hierher nach Delaware
County gezogen bist. Ich wurde darauf aufmerksam,
weil ich selbst in Peony wohne - also nur ein paar
Häuser weiter, wie es so schön heißt. Wahrscheinlich
hast Du nichts davon gehört, aber ich leite hier eine
Art Meditationszentrum mit dem Namen »Institut für
spirituelle Erneuerung« - klingt ziemlich hochtrabend,
ich weiß, ist aber eigentlich eine ganz praktische Angelegenheit.
Im Lauf der Jahre habe ich mir zwar schon oft gedacht,
dass es eine große Freude für mich wäre, Dich
wiederzusehen, aber erst jetzt hat eine schwierige Situation
den entscheidenden Anstoß dafür gegeben,
mich mit Dir in Verbindung zu setzen. Ich glaube, Dein
Rat könnte mir in dieser Sache sehr nützlich sein. Daher
würde ich Dir gern einen kurzen Besuch abstatten.
Wenn Du eine halbe Stunde für mich erübrigen
könntest, komme ich in Dein Haus in Walnut Crossing
- oder gern auch an jeden anderen Ort, den Du
mir nennst.
Die Erinnerungen an unsere Unterhaltungen im
Campuszentrum und die noch längeren in der Shamrock
Bar - ganz zu schweigen von Deiner großen beruflichen
Erfahrung - sagen mir, dass Du der Richtige
bist, um diese verwirrende Sache zu besprechen.
Es ist ein merkwürdiges Rätsel, das Dich durchaus in
Vollständige deutsche Erstausgabe 01/2011
Copyright © 2010 by John Verdon
Copyright © 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2010
Redaktion: Tamara Rapp
Umschlaggestaltung: © yellowfarm GmbH, s. freischem
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-43536-0
www.heyne.de
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Autoren-Porträt von John Verdon
Verdon, JohnJohn Verdon wurde in New York City als Sohn irischer Einwanderer geboren. Er studierte Journalismus, bevor er als Werbetexter und später als Geschäftsführer einer großen Agentur tätig war. Mit 53 Jahren kehrte er der Werbung den Rücken und widmete sich dem Design von Kirschholzmöbeln. Mit seiner Frau Naomi lebt er in in der Gegend von New York.
Autoren-Interview mit John Verdon
Interview mit John Verdon, dem Autor von Die Handschrift des Todes1. Sie waren Werbemanager in New York, Leiter einer Agentur und Promotion-Direktor bei einer der erfolgreichsten Zeitschriften der Welt. War das eine gute Vorbereitung für das Schreiben eines Romans?
Bei all meinen verschiedenen Tätigkeiten und Titeln der vergangenen Jahre war immer eine bestimmte Aktivität im Spiel. Vom ersten bis zum letzten Tag dieser beruflichen Karriere hat es mich, gleich in welcher Position, immer zu dem Bereich hingezogen, bei dem es ums Schreiben ging - ob nun Werbetexte für eine Fernsehwerbung, die Analyse und Beschreibung einer Marketingchance oder ein wettbewerbsfähiges Angebot an einen potentiellen Kunden. Ich habe meine Arbeit immer unter dem Aspekt von Worten, Ausdruck, Kommunikation betrachtet. Offen gesagt ist das meine einzige bedeutende Fähigkeit und eine der wenigen Tätigkeiten im Leben, die mich vollkommen fesselt. Vor vielen Jahren habe ich entdeckt, dass das Steuern eines kleinen Flugzeugs in einem schweren Sturm ebenfalls sehr fesselnd ist, aber nicht auf eine Weise, dass ich mich zehn Stunden am Tag damit beschäftigen möchte.
2. Kritiker haben Die Handschrift des Todes als klassischen Thriller, eine spannende Darstellung von Polizeiverfahren, die ergreifende Studie einer schwierigen Ehe und ein großes literarisches Fest beschrieben. Wie sehen Sie das Buch?
Ich sehe es als die Geschichte eines Mordermittlers, dessen Hingabe an den Beruf zu allem Aufregenden und Erfüllenden, aber auch zu den meisten Problemen in seinem Leben führt. Wenn es darum geht, verrückte Mörder zur Strecke zu bringen, ist der Mann ein Genie, aber im Umgang mit seiner Frau und seinem Sohn versagt er kläglich. Der unersättliche Hunger auf die Jagd nach den gefährlichsten Menschen der Welt ist seine große Stärke und zugleich seine
... mehr
große Schwäche. Er ist ein unschlagbarer Polizist mit einem tragischen Gespür für seine Unzulänglichkeit als Mensch. Ich glaube, dass so eine Hauptfigur dazu beiträgt, dass das Buch je nach Leser ganz verschieden verstanden werden kann.
3. Sie sind nicht mit Polizisten in der Familie aufgewachsen. Sie haben keine eigenen Erfahrungen im Gesetzesvollzug, keine kriminellen Verwandten und auch keine persönlichen oder beruflichen Kontakte zu Mördern und Psychopathen. Was hat Sie also dazu inspiriert, so ein Buch zu schreiben?
Das ist mir auch ein Rätsel. Eigentlich habe ich nicht versucht "so ein Buch" zu schreiben. Ich habe nicht versucht, etwas zu schreiben, das sich in den genau definierten Grenzen eines Genres bewegt und beispielsweise den Regeln eines Thrillers, eines Roman noir oder eines "cozy crime"-Romans folgt. Als ich Die Handschrift des Todes verfasst habe, kannte ich die traditionellen Kategorien gar nicht. Ich wollte nur eine Geschichte erzählen über einen äußerst intelligenten und psychisch belasteten Helden, der einen verzweifelten Kampf gegen einen äußerst intelligenten und psychisch belasteten Schurken führt. Später habe ich erfahren, dass ich einen innovativen Thriller verfasst habe, der die Regeln durchbricht. Aber das ist einfach so passiert, ohne dass ich es mir bewusst vorgenommen hätte.
4. Es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und ihrer Hauptfigur Dave Gurney. Sie wurden beide in der Bronx geboren und haben beide am Fordham College studiert. Sie standen beide bei ihrer beruflichen Karriere in der Stadt unter großem Druck, und Sie sind beide in eine abgelegene ländliche Gegend gezogen, die sich vollkommen von Ihrer früheren Umgebung unterscheidet. Wie viel von dieser Figur beruht auf Ihrer eigenen Geschichte und Persönlichkeit?
Schwer zu sagen. Sicher ist Dave ein Junge aus der Bronx, den sein beruflicher Ehrgeiz anderswohin geführt hat. Manche Orte, denen er im Buch begegnet, sind mir persönlich sehr vertraut. Einige seiner Gedanken und Gefühle ähneln meinen. Trotzdem hat er ein Leben, Fähigkeiten und Perspektiven, die sich von meinen unterscheiden. Immerhin ist er ein Mordkommissar! Er hat den Mut, die Härte und das Konfrontationsvermögen dazu. Er hat die Ausdauer und die Zähigkeit dazu. In all diesen Punkten liegen Welten zwischen uns. Ich glaube ihn gut genug zu verstehen, um über ihn zu schreiben, aber ich könnte nie tun, was er tut. Außerdem war mein Leben viel weniger mit Schwierigkeiten und Tragödien belastet als seines - es war in vieler Hinsicht leichter und fröhlicher. Meine Frau und ich führen eine wirklich glückliche Ehe. Wir freuen uns, am Morgen aufzuwachen. Wir haben das Glück, in einem schönen Haus zu leben, das wir beide lieben. Wir lachen sehr viel. Wir sind dankbar für unser gemeinsames Leben, für die Chancen, die sich uns geboten haben, für unsere vier Kinder und unsere fünf Enkel.
5. Können Sie uns - ohne zu viel zu verraten - sagen, wie sie auf die geniale Hauptidee für Die Handschrift des Todes gekommen sind?
Ganz ehrlich? Die Wahrheit ist, dass ich einen starken Hang zur Paranoia habe. Das ist ein Fluch und ein Segen. Ein Fluch, weil ich mich mühelos in Todesangst versetzen kann. Ein Segen, weil ich kein Problem habe, auf wirklich verstörende Handlungsmöglichkeiten zu verfallen. Der Keim für die Idee zu Die Handschrift des Todes war eine Frage: Was wäre, wenn du einen anonymen Brief bekommst, in dem du aufgefordert wirst, dir irgendeine Zahl von eins bis tausend zu denken, und dann einen zweiten, in dem genau die Zahl steht, die dir eingefallen ist? Das ist der Ausgangspunkt zu einer komplexen und zunehmend alptraumhaften Handlung, die viele Menschen und Opfer in ihren Strudel zieht. Wenn mir eine Idee Gänsehaut macht, dann weiß ich, sie ist vielversprechend.
6. Wie fühlt es sich an, wenn einige der bekanntesten Namen auf diesem Gebiet Lobeshymnen auf einen anstimmen - Autoren wie David Baldacci etwa?
So eine Rezeption hatte ich nicht erwartet. Ich war völlig sprachlos.
7. Werden wir in Zukunft noch mehr von Dave Gurney hören?
Auf jeden Fall. Trotz seiner Epiphanie in Die Handschrift des Todes muss Dave noch viel mehr über sich, seine Frau und seinen Sohn lernen und auch darüber, was ihn so an seinen Beruf bindet. Wie wir alle handelt er auf der Basis dessen, was er für wahr hält. Anhand der Konsequenzen seines Handelns entdeckt er die Grenzen dieser Überzeugungen und gelangt hoffentlich zu einer neuen Sicht auf sich selbst und auf das, was ihm wichtig ist. Dieser Prozess lässt sich mit den Entwicklungszyklen der Figur immer wieder durchspielen. Der zweite Dave-Gurney-Roman soll in den USA im Sommer 2011 erscheinen, der dritte 2012.
3. Sie sind nicht mit Polizisten in der Familie aufgewachsen. Sie haben keine eigenen Erfahrungen im Gesetzesvollzug, keine kriminellen Verwandten und auch keine persönlichen oder beruflichen Kontakte zu Mördern und Psychopathen. Was hat Sie also dazu inspiriert, so ein Buch zu schreiben?
Das ist mir auch ein Rätsel. Eigentlich habe ich nicht versucht "so ein Buch" zu schreiben. Ich habe nicht versucht, etwas zu schreiben, das sich in den genau definierten Grenzen eines Genres bewegt und beispielsweise den Regeln eines Thrillers, eines Roman noir oder eines "cozy crime"-Romans folgt. Als ich Die Handschrift des Todes verfasst habe, kannte ich die traditionellen Kategorien gar nicht. Ich wollte nur eine Geschichte erzählen über einen äußerst intelligenten und psychisch belasteten Helden, der einen verzweifelten Kampf gegen einen äußerst intelligenten und psychisch belasteten Schurken führt. Später habe ich erfahren, dass ich einen innovativen Thriller verfasst habe, der die Regeln durchbricht. Aber das ist einfach so passiert, ohne dass ich es mir bewusst vorgenommen hätte.
4. Es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und ihrer Hauptfigur Dave Gurney. Sie wurden beide in der Bronx geboren und haben beide am Fordham College studiert. Sie standen beide bei ihrer beruflichen Karriere in der Stadt unter großem Druck, und Sie sind beide in eine abgelegene ländliche Gegend gezogen, die sich vollkommen von Ihrer früheren Umgebung unterscheidet. Wie viel von dieser Figur beruht auf Ihrer eigenen Geschichte und Persönlichkeit?
Schwer zu sagen. Sicher ist Dave ein Junge aus der Bronx, den sein beruflicher Ehrgeiz anderswohin geführt hat. Manche Orte, denen er im Buch begegnet, sind mir persönlich sehr vertraut. Einige seiner Gedanken und Gefühle ähneln meinen. Trotzdem hat er ein Leben, Fähigkeiten und Perspektiven, die sich von meinen unterscheiden. Immerhin ist er ein Mordkommissar! Er hat den Mut, die Härte und das Konfrontationsvermögen dazu. Er hat die Ausdauer und die Zähigkeit dazu. In all diesen Punkten liegen Welten zwischen uns. Ich glaube ihn gut genug zu verstehen, um über ihn zu schreiben, aber ich könnte nie tun, was er tut. Außerdem war mein Leben viel weniger mit Schwierigkeiten und Tragödien belastet als seines - es war in vieler Hinsicht leichter und fröhlicher. Meine Frau und ich führen eine wirklich glückliche Ehe. Wir freuen uns, am Morgen aufzuwachen. Wir haben das Glück, in einem schönen Haus zu leben, das wir beide lieben. Wir lachen sehr viel. Wir sind dankbar für unser gemeinsames Leben, für die Chancen, die sich uns geboten haben, für unsere vier Kinder und unsere fünf Enkel.
5. Können Sie uns - ohne zu viel zu verraten - sagen, wie sie auf die geniale Hauptidee für Die Handschrift des Todes gekommen sind?
Ganz ehrlich? Die Wahrheit ist, dass ich einen starken Hang zur Paranoia habe. Das ist ein Fluch und ein Segen. Ein Fluch, weil ich mich mühelos in Todesangst versetzen kann. Ein Segen, weil ich kein Problem habe, auf wirklich verstörende Handlungsmöglichkeiten zu verfallen. Der Keim für die Idee zu Die Handschrift des Todes war eine Frage: Was wäre, wenn du einen anonymen Brief bekommst, in dem du aufgefordert wirst, dir irgendeine Zahl von eins bis tausend zu denken, und dann einen zweiten, in dem genau die Zahl steht, die dir eingefallen ist? Das ist der Ausgangspunkt zu einer komplexen und zunehmend alptraumhaften Handlung, die viele Menschen und Opfer in ihren Strudel zieht. Wenn mir eine Idee Gänsehaut macht, dann weiß ich, sie ist vielversprechend.
6. Wie fühlt es sich an, wenn einige der bekanntesten Namen auf diesem Gebiet Lobeshymnen auf einen anstimmen - Autoren wie David Baldacci etwa?
So eine Rezeption hatte ich nicht erwartet. Ich war völlig sprachlos.
7. Werden wir in Zukunft noch mehr von Dave Gurney hören?
Auf jeden Fall. Trotz seiner Epiphanie in Die Handschrift des Todes muss Dave noch viel mehr über sich, seine Frau und seinen Sohn lernen und auch darüber, was ihn so an seinen Beruf bindet. Wie wir alle handelt er auf der Basis dessen, was er für wahr hält. Anhand der Konsequenzen seines Handelns entdeckt er die Grenzen dieser Überzeugungen und gelangt hoffentlich zu einer neuen Sicht auf sich selbst und auf das, was ihm wichtig ist. Dieser Prozess lässt sich mit den Entwicklungszyklen der Figur immer wieder durchspielen. Der zweite Dave-Gurney-Roman soll in den USA im Sommer 2011 erscheinen, der dritte 2012.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: John Verdon
- 2011, 544 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Mader, Friedrich
- Übersetzer: Friedrich Mader
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453435362
- ISBN-13: 9783453435360
- Erscheinungsdatum: 08.12.2010
Kommentare zu "Die Handschrift des Todes / Dave Gurney Bd.1"
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