Die Hüter des Grals
Thriller. Deutsche Erstausgabe
Die Historikerin Ellie Stanton erhält eine Anstellung bei einer Londoner Privatbank. Sie findet heraus, dass die Bank auf den Grundfesten einer Kirche errichtet wurde. Und in den mittelalterlichen Gewölben soll der Bankier Blanchard einen Schatz...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Hüter des Grals “
Die Historikerin Ellie Stanton erhält eine Anstellung bei einer Londoner Privatbank. Sie findet heraus, dass die Bank auf den Grundfesten einer Kirche errichtet wurde. Und in den mittelalterlichen Gewölben soll der Bankier Blanchard einen Schatz hüten, der unermessliche Macht verspricht.
Klappentext zu „Die Hüter des Grals “
Ellie Stanton, Historikerin und mittellose Oxford-Doktorandin, erhält von einer kleinen Londoner Privatbank ein unwiderstehliches Jobangebot obwohl sie nichts von Investment versteht. Schnell zeigt sich, dass die Arbeit das geringste Problem ist: Ihr gesamtes Leben scheint nun dem Bankier Blanchard zu gehören. Als sie herausfindet, dass die Bank auf den Grundfesten einer Kirche errichtet wurde, ist das nur der Anfang. Denn in den mittelalterlichen Gewölben soll Blanchard einen Schatz hüten, der unermessliche Macht verspricht. Und der unauflösbar mit Ellies Familiengeschichte verbunden ist.
Seit Hunderten von Jahren kennen sie das Geheimnis der Macht.
Ellie Stanton, Historikerin und mittellose Oxford-Doktorandin, erhält von einer kleinen Londoner Privatbank ein unwiderstehliches Jobangebot. Dabei versteht sie gar nichts von Investment. Schnell zeigt sich, dass die Arbeit das geringste Problem ist: Ihr gesamtes Leben scheint nun dem Bankier Blanchard zu gehören. Dann macht Ellie eine Entdeckung: Die Bank wurde auf den Grundfesten einer uralten Kirche errichtet. In ihren Gewölben soll Blanchard ein Geheimnis hüten. Ein Geheimnis, das unermessliche Macht verspricht und das unauflösbar mit Ellies Familiengeschichte verbunden ist.
Ellie Stanton, Historikerin und mittellose Oxford-Doktorandin, erhält von einer kleinen Londoner Privatbank ein unwiderstehliches Jobangebot. Dabei versteht sie gar nichts von Investment. Schnell zeigt sich, dass die Arbeit das geringste Problem ist: Ihr gesamtes Leben scheint nun dem Bankier Blanchard zu gehören. Dann macht Ellie eine Entdeckung: Die Bank wurde auf den Grundfesten einer uralten Kirche errichtet. In ihren Gewölben soll Blanchard ein Geheimnis hüten. Ein Geheimnis, das unermessliche Macht verspricht und das unauflösbar mit Ellies Familiengeschichte verbunden ist.
Lese-Probe zu „Die Hüter des Grals “
Die Hüter des Grals von Tom HarperI London
... mehr
Ellie redete sich ein, den Job eigentlich nicht zu wollen. Sie brauchte ihn nicht. Sie hatte gerade ein Promotionsstudium begonnen, und zwar in einem Fach, das sie liebte. Das war mehr, als sie sich erträumt hatte. Bislang war ihr Leben eher trist verlaufen, jetzt hatte sie die Tür in eine Märchenwelt aufgestoßen. Nach neun Monaten in Oxford musste sie sich immer noch kneifen angesichts der Schönheit, die sie umgab, der Wasserspeier und Mauerzinnen, der holzgetäfelten Säle und makellosen Rasenflächen. Sie hatte einen Doktorvater, der viel von ihr hielt, einen Freund, der sie anhimmelte, und eine Mutter, die vor Stolz fast platzte, wenn sie den Nachbarn davon erzählte, wie weit es ihre Tochter gebracht hatte.
Dennoch war sie um sechs in der Früh an diesem trüben Morgen aufgestanden, hatte sich eine Strumpfhose angezogen, die für das milde Maiwetter viel zu dick war, sowie den Tweedrock, den sie für das Doktorandenkolloquium gekauft hatte, und war mit dem Bus über die M40 nach London gefahren. Am Marble Arch war sie in die U-Bahn umgestiegen, wo sie sich im Gedränge der Fahrgäste wie eine Sardine in der Dose vorkam und sich fragte, wie man so etwas Tag für Tag aushalten konnte. In ihrer Handtasche, die sie fest an den Bauch gedrückt hielt, steckten eine Flasche Wasser, ein Sandwich für den Rückweg und ein Brief, geschrieben auf dickem, cremefarbenem Papier mit Wappensiegel. Er war der Grund ihrer Reise.
Direktor Mr. Vivian Blanchard freut sich über Ihren Besuch und die Gelegenheit, sich mit Ihnen über Aufstiegsmöglichkeiten in der Monsalvat Bank zu unterhalten ...
Schweiß prickelte ihr im Nacken, als die U-Bahn in den Tunnel eintauchte. Die Luft im Wagen war zum Schneiden, gesättigt von Körperausdünstungen und dem größten gemeinsamen Teiler zahlloser Parfüms. Ihr war übel. Sie wollte diesen Job gar nicht.
Als sie in der Station Bank ausstieg, schwante ihr Schlimmes. Demonstranten hatten sich vor der Bank of England versammelt, skandierten Parolen, klatschten in die Hände und winkten mit ramponierten Transparenten. Weiterer Zulauf wurde erwartet. Polizeipferde stampften mit schweren Hufen aufs Pflaster und zeigten ihre Zähne. Auf den Pferden thronten mit stocksteifem Rücken behelmte Reiter, die durch dunkle Visiere und über den Rand ihrer Schutzschilde auf die Menge herabblickten, Rittern gleich, mit Schlagstöcken bewaffnet und kampfbereit. Von hoch oben in ihren Glastürmen beobachteten die Barone des Kapitalismus das Geschehen in der Tiefe und nickten wohlwollend angesichts dessen, wie ihre Steuergelder eingesetzt wurden.
Ellie versuchte, die Menge zu umgehen. Sie wurde angerempelt und verlor fast ihre Tasche. Ein Polizist musterte sie von oben bis unten, schätzte sie aber wohl als harmlos ein. In ihrem Tweedrock und der Wolljacke sah sie den Demonstranten ganz und gar nicht ähnlich. Überhaupt niemandem in der City. Teuer gekleidete Modepuppen in den Schaufenstern verbarrikadierter Boutiquen taxierten sie mit verächtlichen Blicken. Ellie bereute es, hierhergekommen zu sein.
«Pass gefälligst auf! », herrschte jemand sie an.
Sie war mit einem Protestler zusammengeprallt, einem Kerl mit schiefen Zähnen und langen, strähnigen Haaren, die ihm ins knochige Gesicht fielen. Sein T-Shirt sah aus, als hätte er es seit Wochen an. Auf seinem Transparent, das er auf der Schulter trug, stand: KAPITALISMUS BRINGT UNS UM.
«Entschuldigung.» Sie wollte an ihm vorbei, doch er stellte sich ihr in den Weg.
«Gefährliche Zeiten, Herzchen.» Er trat noch näher. «Immer schön aufpassen, verstehst du? Man muss das tote Holz wegschneiden, ehe die Fäulnis weiter um sich greift.»
Der Kerl stank nach Abfall. Ellie versuchte zurückzuweichen, wurde aber von der Menge auf ihn zugedrängt.
«Die Gesellschaft ist marode.» Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln. «Eine Seuche grassiert in der Welt, die uns alle umbringt. Sieh dich um. Die Bienen gehen drauf und auch die Bäume. Die Pegel der Meere steigen, aber es sind keine Fische mehr drin. Alles krank und kaputt.»
Ellie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte keine Zeit. «Entschuldigung, aber -»
«Nein, du hörst mir jetzt zu.»
Klauengleich streckte sich ihr eine Hand mit langen, dreckigen Fingernägeln entgegen. Er wollte sie offenbar am Arm festhalten. Ellie aber wandte sich von ihm ab. Er bekam nur den Gurt ihrer Tasche zu fassen und zerrte sie ihr von der Schulter. Sie schrie.
Plötzlich schwirrte ein dunkler Gegenstand durch die Luft, worauf der Demonstrant schreiend in die Knie ging. Ein Polizist mit gelb fluoreszierender Weste und einem Schlagstock in der Hand stand hinter ihm. Er hatte ihn anscheinend beobachtet und nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihn niederknüppeln zu können. Schon waren zwei andere Polizisten zur Stelle, die dem jungen Mann Handschellen anlegten und ihn abführten.
Ellie wollte sich bedanken, doch der Polizist fiel ihr ins Wort.
«Verschwinden Sie ! », rief er. «Hier sind Sie nicht sicher.»
Seine Grimasse, halb verdeckt vom Visier seines Helms, war fast noch beängstigender als der eifernde Demonstrant. Ellie presste ihre Tasche an sich und hastete weiter.
Wenig später empfand sie Gewissensbisse. Der Langhaarige hatte ihr nichts getan. Es wäre vielleicht besser gewesen, sie hätte sich die Nummer auf der Dienstplakette des Polizisten gemerkt für den Fall, dass der junge Mann Beschwerde einlegte. Sie warf einen Blick zurück, doch der Polizist war schon hinter der Schlachtreihe der Gelbwesten verschwunden.
Ellie kam zehn Minuten zu spät. Der Zusammenstoß mit dem Demonstranten hatte sie verstört und aufgebracht, war aber nicht der Grund für ihre Verspätung. Sie hatte sich verlaufen. Auf der Karte, die sie sich vorher angeschaut hatte, war die Bank nur als graues Viereck eingetragen. Vor Ort fand sie sich jedoch in einem Labyrinth aus engen Passagen und Sackgassen zwischen dunklen Gemäuern wieder. Sie wollte schon aufgeben, als ihr schließlich doch das Bankhaus ins Auge sprang: ein alter Steinkasten mit schmalen Fenstern und kleinen Ecktürmen, die über einer gepflasterten Durchfahrt aufragten.
Davor parkte ein blankpolierter Jaguar. Wie ist der dort hingekommen? Als sie darauf zusteuerte, sprang ein Chauffeur mit Schirmmütze aus dem Auto und öffnete die Tür zum Fond, fast so, als hätte er nur auf sie gewartet. In diesem Moment aber trat ein Mann in Nadelstreifenanzug und blauer Krawatte auf den Wagen zu und stieg ein. Der Chauffeur schlug die Tür zu, setzte sich auf den Fahrersitz und fuhr los. Ellie musste sich flach an die Mauer drücken, um nicht überrollt zu werden. Der Mann im Fond, der sich über einen geöffneten roten Aktenkoffer beugte, kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie sah ihn nur für ein, zwei Sekunden, dann war der Jaguar hinter der nächsten Ecke verschwunden.
Ellie richtete ihren Blick wieder auf die Bank. Über der Tür hing ein schmiedeeisernes Wappen: ein heraldischer Adler, der in seinen Krallen etwas hielt, das wie ein Speer aussah. Dasselbe Wappen zeigte sich in der mattierten Glasscheibe der Tür und noch einmal, in Messing, an der Wand hinter dem Empfangsschalter.
Eine missmutig dreinblickende Empfangsdame, die dem Wappenadler verblüffend ähnlich sah, bedachte Ellie mit abschätzigen Blicken, als sie auf den Schalter zuging. Sie kramte den Brief aus ihrer Tasche.
«Ellie Stanton. Ich bin mit, ehm, Vivian Blanchard verabredet.»
Die Frau griff zum Telefonhörer und meldete sie mit unangenehm schneidender Stimme an.
«Gedulden Sie sich bitte einen Augenblick.»
Es gab keinen Stuhl, auf dem Ellie hätte Platz nehmen können. Also blieb sie vor dem Schalter stehen und schaute sich neugierig um.
«Der Herr, der soeben gegangen ist. War das -?»
Die Frau schürzte die Lippen. «Ich bin nicht befugt, Auskunft zu geben.»
Ellie errötete. Hatte sie schon jetzt verspielt? Reiß dich zusammen, sagte sie sich. Du kommst nicht als Bittstellerin. Man hat dich eingeladen.
Das Telefon klingelte. Die Frau hob ab, ohne Ellie aus den Augen zu lassen.
«Sie werden erwartet.»
Vivian Blanchards Büro befand sich in der fünften Etage, gerade hoch genug, dass man vom Fenster aus die Wahrzeichen der Skyline sehen konnte. Doch darauf achtete Ellie nicht. Blanchard nahm all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Er hieß sie willkommen, entschuldigte sich dafür, dass sie hatte warten müssen, bot ihr Kaffee an und überwältigte sie mit seiner wuchtigen Präsenz. Als er ihr die Hand schüttelte, beugte er sich zu einem angedeuteten Handkuss darüber.
«Ich bin entzückt.»
Er ließ Ellie auf einem tiefen Ledersofa Platz nehmen und öffnete ein auf dem Schreibtisch stehendes Kästchen, dem er eine dicke Zigarre und ein silbernes Messer entnahm. Geschickt und energisch kerbte er das Mundstück ein und holte ein goldenes Feuerzeug aus der Tasche.
«Sie gestatten?»
Ellie nickte eingeschüchtert. Ein Mann wie Blanchard war ihr noch nie begegnet. Alles an ihm schien überdimensioniert, überlebensgroß - seine Statur, die bulligen Schultern und der graue Anzug, den er wie eine Rüstung trug. Die dichte, zurückgekämmte silbergraue Mähne. Das kantige Gesicht mit der Adlernase und den stechenden Augen. Seine Manschettenknöpfe waren von Cartier, die Krawatte von Hermés und die Schuhe aus einer Pariser Werkstatt, die nur hundert Paare im Jahr herstellte (was Ellie natürlich nicht wissen konnte). Seiner Aussprache war ein leicht fremdländischer Akzent anzuhören.
«Danke, dass Sie gekommen sind, Ellie. Ich darf doch Ellie sagen?», fragte er und ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. «Sie verzeihen bitte die für Sie vielleicht etwas ... mysteriöse Art unserer Kontaktaufnahme.»
«Ich bekomme tatsächlich nicht jeden Tag ein Jobangebot, um das ich mich nicht selbst bemüht habe.»
«Zumal von einem Unternehmen, von dem Sie noch nie etwas gehört haben, stimmt's?» Blanchard stieß eine Rauchwolke aus in Richtung eines Ölgemäldes, das über dem Kamin hing und in präraffaelitischer Manier eine Ritterfigur darstellte.
Ihm zu widersprechen wäre töricht gewesen. Keinem ihrer Bekannten, denen sie von ihrem Einladungsschreiben erzählt hatte, war die Monsalvat Bank ein Begriff. Sie hatte zwar eine Website, doch die bestand nur aus dem Wappen und einer Telefonnummer. Auch die Jobberatung der Universität wusste nichts von dieser Bank, und eine Recherche im World Wide Web hatte nur ein paar nebensächliche Hinweise in der Financial Times beziehungsweise in The Economist zutage gebracht. Es schien fast, als gäbe es diese Bank überhaupt nicht.
«Nicht viel», gab Ellie zu.
«Verständlicherweise.» Blanchard zeigte ihr lächelnd seine Zähne. «Wir legen großen Wert auf Diskretion, ich möchte sagen, Diskretion ist eine unserer Kardinaltugenden. »
«Ich weiß, dass Ihre Bank im 16. Jahrhundert von einem Händler gegründet wurde, der aus Frankreich kam », fügte Ellie hinzu. «Saint-Lazare de Morgon. Damit dürfte sie die älteste Bank in England und eine der zwei oder drei ältesten in Europa sein. Während der Reformation regulierte sie die Auflösung der Klöster und wurde reich. Im 18. Jahrhundert war sie der wichtigste Finanzier all jener europäischen Länder, die Krieg führen wollten.»
Blanchard senkte den Kopf und zeigte sich betroffen.
«Die Weltkriege und Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts überlebte sie als kleine, aber einflussreiche Handelsbank für vermögende Privatkunden und deren Unternehmen. Heute ist sie eine der letzten alten Firmen, die noch nicht von einem der großen internationalen Konglomerate übernommen wurden. Noch nicht.»
An Blanchards Zigarre hatte sich ein Aschefinger gebildet. Er streifte ihn über einem kristallenen Aschenbecher ab, paffte weiter und schien von ihren Ausführungen angenehm überrascht zu sein.
«Soweit ich weiß, ist ein Großteil der Informationen, die Sie hier referieren, nie veröffentlicht worden.»
Ellie spürte, wie sie unter seinem Blick errötete. «Als ich Ihren Brief erhielt, bin ich neugierig geworden.»
Neugierig zu erfahren, warum sich eine Bank, die keiner kennt, für eine junge Frau interessiert, die keiner kennt, die keine Erfahrung und auch kein Interesse daran hat, in der City zu arbeiten. Sie hatte zwei Tage damit verbracht, in alten Archiven zu stöbern und vergilbte Akten zu wälzen, um herauszufinden, ob die Monsalvat Bank überhaupt existierte.
«Wie wir auf Sie gestoßen sind, ist kein Geheimnis. Sie erinnern sich an Ihre Examensarbeit? Für die Sie mit einer Auszeichnung gewürdigt wurden?»
Dem «Spenser-Preis». Auch davon hatte sie nie zuvor gehört - bis zu dem Tag, an dem ihr von ihrem Mentor an der Uni, der sonst nie Interesse an ihr gezeigt hatte, ein Bewerbungsformular ins Fach gesteckt worden war. Sie hatte ihre Arbeit eingeschickt und die ganze Sache vergessen. Drei Monate später war ihr ein Glückwunschschreiben sowie ein Scheck über fünfhundert Pfund zugestellt worden.
«Wir verwalten diesen Spenser-Fond treuhänderisch für einen unserer Kunden. Mit dessen Erlaubnis nehmen wir auch gelegentlich als Juroren an der Auswahl des Preisträgers teil, dann nämlich, wenn er oder sie für uns von Interesse sein könnte.»
Sein Blick traf sie wie ein Schlag. Ellie zuckte innerlich zusammen und schaute auf das Gemälde über dem Kaminsims. Eine Frau in einem fast durchsichtigen Gewand war im Hintergrund an einen Baum gefesselt. Der Ritter hatte sein Schwert halb aus der Scheide gezogen. Ob er die Holde zu befreien oder einen unsichtbaren Gegner jenseits des Bildes abzuwehren versuchte, war nicht zu erkennen. Ellie fragte sich, ob das Gemälde womöglich doch ein Original war.
Blanchard lehnte sich in seinem Sessel zurück. «Ich will Ihnen erklären, wo wir heute stehen. Wir sind eine ungewöhnliche Firma. Exzeptionell, würde ich sagen. Manche halten uns für altmodisch, und das sind wir in gewisser Weise auch. Wenn wir aber unsere Unabhängigkeit bewahren wollen, müssen wir der Konkurrenz voraus sein. Mit modernsten Methoden und konzeptionell auf dem neuesten Stand der Dinge. Ein altes Gebäude, neu möbliert.»
Der letzte Satz war offenbar metaphorisch gemeint, denn der schwere, dunkle Schreibtisch, der auf geschnitzten Löwentatzen stand, mochte an die dreihundert Jahre alt sein. Vielleicht stammte er sogar aus einem der Klöster, an deren Auflösung die Monsalvat Bank gut verdient hatte.
«Unsere Kunden gehören mehrheitlich dem alten Geldadel an und möchten sich von den ordinären Parvenüs unserer Tage abgrenzen. Sie legen Wert auf eine Bank, die ihr Vermögen gewissermaßen ...»
«Diskret verwaltet?», half Ellie aus.
«Geschmackvoll wäre der treffendere Ausdruck.»
Ellie nickte, obwohl sie nicht genau verstand, was gemeint war.
«Die nouveaux riches- die Araber, die Orientalen, die Amerikaner - mögen sich an andere Banken wenden. Die Juden haben ohnehin ihre eigenen.»
Er sah, wie Ellie unwillkürlich die Miene verzog.
«Ich weiß, meine Bemerkung ist politisch nicht korrekt, wohl aber faktisch zutreffend. Und allein darauf kommt es in Geldgeschäften an.»
Blanchard drehte wieder den Stummel im Aschenbecher.
«Wie gesagt, wir sind eine außergewöhnliche Firma, nicht zuletzt insofern, als wir nur über eine vergleichsweise dünne Kapitaldecke verfügen. Was uns reich macht, ist unser Personal. Außergewöhnliche Personen wie Sie.»
Ellie saß steif auf dem riesigen Sofa und hatte die Knie aneinandergepresst.
«Sie glauben, ich schmeichle? Ich könnte morgen eine Anzeige an den besten Universitäten des Landes aufgeben und hätte in der nächsten Woche Hunderte von Bewerbungen auf dem Tisch liegen, allesamt von tüchtigen Leuten mit vortrefflichen Abschlüssen, besten Referenzen und beachtlicher Berufserfahrung - einer Erfahrung, die jedoch ausschließlich in einem System gesammelt wurde, das auf den Erfolg dieser Leute gewissermaßen zugeschnitten ist. Sie hingegen, Ellie, sind außerhalb dieses Systems erfolgreich. Und das ist außergewöhnlich. Die anderen glauben, das Leben sei ein Spiel zwischen weißen Grundlinien mit bestimmten Regeln und Schiedsrichtern, die abpfeifen, wenn der eine dem anderen in die Beine grätscht. Aber wir, Sie und ich, wissen es besser.»
Blanchard öffnete eine Mappe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und entnahm ihr zwei Seiten, in denen Ellie ihren Lebenslauf wiederzuerkennen glaubte. Wie war der in seine Hände gelangt?
«Erzählen Sie mir von sich.»
«Sie wissen doch längst über mich Bescheid», erwiderte sie und war selbst überrascht von der Dreistigkeit ihrer Entgegnung. Sie wollte den Job offenbar wirklich nicht. Blanchard aber nahm keinen Anstoß. Im Gegenteil, er schien nichts anderes von ihr erwartet zu haben.
«Eleanor Caris Stanton. Geboren am 22. Februar 1987 in Newport, South Wales. Ihre Mutter arbeitete als Hilfskraft in verschiedenen Fabriken, Ihr Vater ...» Er zuckte mit den Achseln. Es schien, dass er die Blätter, die er in der Hand hielt, gar nicht wirklich zur Kenntnis nahm. «Sie besuchten eine unbedeutende Schule und legten einen so bemerkenswerten Abschluss hin, dass Ihnen ein Oxford-Stipendium angeboten wurde. Doch das lehnten Sie ab zugunsten eines Studiums an einer polytechnischen Hochschule in Ihrer Heimatstadt. Hatten Sie Angst vor Oxford? Scheuen Sie Privilegien und Elitarismus? Fürchteten Sie, den in Sie gesetzten Erwartungen nicht gerecht werden zu können?»
«Nein.» Klang ihre Antwort womöglich zu defensiv? «Auch mit dem Stipendium hätte ich mir ein Studium in Oxford nicht leisten können.»
«Angst zu haben ist keine Schande», bemerkte Blanchard. «Wer glaubt, nichts fürchten zu müssen, hat nichts zu gewinnen. »
Ellie zweifelte daran. «Wie dem auch sei, ich bin ja schließlich doch nach Oxford gekommen.»
«In der Tat. Sie waren die Beste Ihres Jahrgangs, haben ein Einser-Examen in Mediävistik geschafft und hätten mit dieser Qualifikation sofort eine lukrative Stelle annehmen können. Stattdessen aber wollten Sie lieber promovieren. Dafür entscheiden sich nur wenige. Waren Sie nicht versucht, Geld zu verdienen und Ihrem Milieu zu entfliehen?»
Ellie stutzte. War er wirklich so taktlos, oder versuchte er, Sie zu prüfen? Sie schaute ihm ins Gesicht, auf seine markanten Falten und glaubte, ein Lächeln erkennen zu können. Mistkerl.
«Es gibt noch andere Fluchtwege als den übers Geld», antwortete sie.
Blanchard nickte und ließ die hohe Sessellehne wippen. «Den Weg des mittellosen Intellektuellen?»
«So ungefähr.»
«Aber der könnte auf Ideenarmut hinauslaufen. Der akademische Elfenbeinturm ist eine Echokammer, ein Spiegelkabinett. Statt die Welt zu betrachten, sieht man letztlich nur sich selbst. Würde Sie das befriedigen?»
Hier sind Sie nicht sicher. Die Worte des Polizisten kamen ihr plötzlich in den Sinn.
«Ich bin gern an der Uni», sagte sie entschieden. «Vielen Dank für Ihre Einladung. Ich fühle mich geehrt. Aber wie Sie wissen, habe ich gerade ein Promotionsstudium begonnen, das mich die nächsten dreieinhalb Jahre in Anspruch nehmen wird. Es vorzeitig abzubrechen kommt für mich nicht in Frage.»
Sie hatte sich diese Worte im Bus zurechtgelegt und sich vorgenommen, den richtigen Ton zu treffen, der nicht beleidigte, aber auch keinen Zweifel aufkommen ließ - etwa so wie bei einem Rendezvous, wenn es galt, dem anderen klarzumachen, dass man nicht die Absicht hatte, mit ihm nach Hause zu gehen.
Blanchard hörte ihr zu und wirkte gelangweilt.
«Haben Sie schon einmal in einer Bank gearbeitet?»
Es dauerte eine Weile, bis sie ahnte, worauf er abzielte. Sie selbst erinnerte sich kaum noch. «Während der Sommerferien einmal. Von einschlägigen Erfahrungen kann allerdings kaum die Rede sein.» Zwölf Stunden die Woche in einer Bausparkasse mit braunen Teppichen und Kieselrauputz an den Wänden. Das einzig «alte Geld» stammte von Pensionären.
«Was hat Sie bewogen?»
Ellie blinzelte. «Wie bitte?»
«Weshalb haben Sie ausgerechnet dort gearbeitet? Warum nicht in einer Bar oder in einer Boutique? Wäre doch viel reizvoller für eine junge Frau wie Sie gewesen.»
«Ich dachte, ich sollte einmal einen Blick auf die andere Seite der Münze werfen.»
Übersetzung: Michael Windgassen
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Ellie redete sich ein, den Job eigentlich nicht zu wollen. Sie brauchte ihn nicht. Sie hatte gerade ein Promotionsstudium begonnen, und zwar in einem Fach, das sie liebte. Das war mehr, als sie sich erträumt hatte. Bislang war ihr Leben eher trist verlaufen, jetzt hatte sie die Tür in eine Märchenwelt aufgestoßen. Nach neun Monaten in Oxford musste sie sich immer noch kneifen angesichts der Schönheit, die sie umgab, der Wasserspeier und Mauerzinnen, der holzgetäfelten Säle und makellosen Rasenflächen. Sie hatte einen Doktorvater, der viel von ihr hielt, einen Freund, der sie anhimmelte, und eine Mutter, die vor Stolz fast platzte, wenn sie den Nachbarn davon erzählte, wie weit es ihre Tochter gebracht hatte.
Dennoch war sie um sechs in der Früh an diesem trüben Morgen aufgestanden, hatte sich eine Strumpfhose angezogen, die für das milde Maiwetter viel zu dick war, sowie den Tweedrock, den sie für das Doktorandenkolloquium gekauft hatte, und war mit dem Bus über die M40 nach London gefahren. Am Marble Arch war sie in die U-Bahn umgestiegen, wo sie sich im Gedränge der Fahrgäste wie eine Sardine in der Dose vorkam und sich fragte, wie man so etwas Tag für Tag aushalten konnte. In ihrer Handtasche, die sie fest an den Bauch gedrückt hielt, steckten eine Flasche Wasser, ein Sandwich für den Rückweg und ein Brief, geschrieben auf dickem, cremefarbenem Papier mit Wappensiegel. Er war der Grund ihrer Reise.
Direktor Mr. Vivian Blanchard freut sich über Ihren Besuch und die Gelegenheit, sich mit Ihnen über Aufstiegsmöglichkeiten in der Monsalvat Bank zu unterhalten ...
Schweiß prickelte ihr im Nacken, als die U-Bahn in den Tunnel eintauchte. Die Luft im Wagen war zum Schneiden, gesättigt von Körperausdünstungen und dem größten gemeinsamen Teiler zahlloser Parfüms. Ihr war übel. Sie wollte diesen Job gar nicht.
Als sie in der Station Bank ausstieg, schwante ihr Schlimmes. Demonstranten hatten sich vor der Bank of England versammelt, skandierten Parolen, klatschten in die Hände und winkten mit ramponierten Transparenten. Weiterer Zulauf wurde erwartet. Polizeipferde stampften mit schweren Hufen aufs Pflaster und zeigten ihre Zähne. Auf den Pferden thronten mit stocksteifem Rücken behelmte Reiter, die durch dunkle Visiere und über den Rand ihrer Schutzschilde auf die Menge herabblickten, Rittern gleich, mit Schlagstöcken bewaffnet und kampfbereit. Von hoch oben in ihren Glastürmen beobachteten die Barone des Kapitalismus das Geschehen in der Tiefe und nickten wohlwollend angesichts dessen, wie ihre Steuergelder eingesetzt wurden.
Ellie versuchte, die Menge zu umgehen. Sie wurde angerempelt und verlor fast ihre Tasche. Ein Polizist musterte sie von oben bis unten, schätzte sie aber wohl als harmlos ein. In ihrem Tweedrock und der Wolljacke sah sie den Demonstranten ganz und gar nicht ähnlich. Überhaupt niemandem in der City. Teuer gekleidete Modepuppen in den Schaufenstern verbarrikadierter Boutiquen taxierten sie mit verächtlichen Blicken. Ellie bereute es, hierhergekommen zu sein.
«Pass gefälligst auf! », herrschte jemand sie an.
Sie war mit einem Protestler zusammengeprallt, einem Kerl mit schiefen Zähnen und langen, strähnigen Haaren, die ihm ins knochige Gesicht fielen. Sein T-Shirt sah aus, als hätte er es seit Wochen an. Auf seinem Transparent, das er auf der Schulter trug, stand: KAPITALISMUS BRINGT UNS UM.
«Entschuldigung.» Sie wollte an ihm vorbei, doch er stellte sich ihr in den Weg.
«Gefährliche Zeiten, Herzchen.» Er trat noch näher. «Immer schön aufpassen, verstehst du? Man muss das tote Holz wegschneiden, ehe die Fäulnis weiter um sich greift.»
Der Kerl stank nach Abfall. Ellie versuchte zurückzuweichen, wurde aber von der Menge auf ihn zugedrängt.
«Die Gesellschaft ist marode.» Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln. «Eine Seuche grassiert in der Welt, die uns alle umbringt. Sieh dich um. Die Bienen gehen drauf und auch die Bäume. Die Pegel der Meere steigen, aber es sind keine Fische mehr drin. Alles krank und kaputt.»
Ellie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte keine Zeit. «Entschuldigung, aber -»
«Nein, du hörst mir jetzt zu.»
Klauengleich streckte sich ihr eine Hand mit langen, dreckigen Fingernägeln entgegen. Er wollte sie offenbar am Arm festhalten. Ellie aber wandte sich von ihm ab. Er bekam nur den Gurt ihrer Tasche zu fassen und zerrte sie ihr von der Schulter. Sie schrie.
Plötzlich schwirrte ein dunkler Gegenstand durch die Luft, worauf der Demonstrant schreiend in die Knie ging. Ein Polizist mit gelb fluoreszierender Weste und einem Schlagstock in der Hand stand hinter ihm. Er hatte ihn anscheinend beobachtet und nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihn niederknüppeln zu können. Schon waren zwei andere Polizisten zur Stelle, die dem jungen Mann Handschellen anlegten und ihn abführten.
Ellie wollte sich bedanken, doch der Polizist fiel ihr ins Wort.
«Verschwinden Sie ! », rief er. «Hier sind Sie nicht sicher.»
Seine Grimasse, halb verdeckt vom Visier seines Helms, war fast noch beängstigender als der eifernde Demonstrant. Ellie presste ihre Tasche an sich und hastete weiter.
Wenig später empfand sie Gewissensbisse. Der Langhaarige hatte ihr nichts getan. Es wäre vielleicht besser gewesen, sie hätte sich die Nummer auf der Dienstplakette des Polizisten gemerkt für den Fall, dass der junge Mann Beschwerde einlegte. Sie warf einen Blick zurück, doch der Polizist war schon hinter der Schlachtreihe der Gelbwesten verschwunden.
Ellie kam zehn Minuten zu spät. Der Zusammenstoß mit dem Demonstranten hatte sie verstört und aufgebracht, war aber nicht der Grund für ihre Verspätung. Sie hatte sich verlaufen. Auf der Karte, die sie sich vorher angeschaut hatte, war die Bank nur als graues Viereck eingetragen. Vor Ort fand sie sich jedoch in einem Labyrinth aus engen Passagen und Sackgassen zwischen dunklen Gemäuern wieder. Sie wollte schon aufgeben, als ihr schließlich doch das Bankhaus ins Auge sprang: ein alter Steinkasten mit schmalen Fenstern und kleinen Ecktürmen, die über einer gepflasterten Durchfahrt aufragten.
Davor parkte ein blankpolierter Jaguar. Wie ist der dort hingekommen? Als sie darauf zusteuerte, sprang ein Chauffeur mit Schirmmütze aus dem Auto und öffnete die Tür zum Fond, fast so, als hätte er nur auf sie gewartet. In diesem Moment aber trat ein Mann in Nadelstreifenanzug und blauer Krawatte auf den Wagen zu und stieg ein. Der Chauffeur schlug die Tür zu, setzte sich auf den Fahrersitz und fuhr los. Ellie musste sich flach an die Mauer drücken, um nicht überrollt zu werden. Der Mann im Fond, der sich über einen geöffneten roten Aktenkoffer beugte, kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie sah ihn nur für ein, zwei Sekunden, dann war der Jaguar hinter der nächsten Ecke verschwunden.
Ellie richtete ihren Blick wieder auf die Bank. Über der Tür hing ein schmiedeeisernes Wappen: ein heraldischer Adler, der in seinen Krallen etwas hielt, das wie ein Speer aussah. Dasselbe Wappen zeigte sich in der mattierten Glasscheibe der Tür und noch einmal, in Messing, an der Wand hinter dem Empfangsschalter.
Eine missmutig dreinblickende Empfangsdame, die dem Wappenadler verblüffend ähnlich sah, bedachte Ellie mit abschätzigen Blicken, als sie auf den Schalter zuging. Sie kramte den Brief aus ihrer Tasche.
«Ellie Stanton. Ich bin mit, ehm, Vivian Blanchard verabredet.»
Die Frau griff zum Telefonhörer und meldete sie mit unangenehm schneidender Stimme an.
«Gedulden Sie sich bitte einen Augenblick.»
Es gab keinen Stuhl, auf dem Ellie hätte Platz nehmen können. Also blieb sie vor dem Schalter stehen und schaute sich neugierig um.
«Der Herr, der soeben gegangen ist. War das -?»
Die Frau schürzte die Lippen. «Ich bin nicht befugt, Auskunft zu geben.»
Ellie errötete. Hatte sie schon jetzt verspielt? Reiß dich zusammen, sagte sie sich. Du kommst nicht als Bittstellerin. Man hat dich eingeladen.
Das Telefon klingelte. Die Frau hob ab, ohne Ellie aus den Augen zu lassen.
«Sie werden erwartet.»
Vivian Blanchards Büro befand sich in der fünften Etage, gerade hoch genug, dass man vom Fenster aus die Wahrzeichen der Skyline sehen konnte. Doch darauf achtete Ellie nicht. Blanchard nahm all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Er hieß sie willkommen, entschuldigte sich dafür, dass sie hatte warten müssen, bot ihr Kaffee an und überwältigte sie mit seiner wuchtigen Präsenz. Als er ihr die Hand schüttelte, beugte er sich zu einem angedeuteten Handkuss darüber.
«Ich bin entzückt.»
Er ließ Ellie auf einem tiefen Ledersofa Platz nehmen und öffnete ein auf dem Schreibtisch stehendes Kästchen, dem er eine dicke Zigarre und ein silbernes Messer entnahm. Geschickt und energisch kerbte er das Mundstück ein und holte ein goldenes Feuerzeug aus der Tasche.
«Sie gestatten?»
Ellie nickte eingeschüchtert. Ein Mann wie Blanchard war ihr noch nie begegnet. Alles an ihm schien überdimensioniert, überlebensgroß - seine Statur, die bulligen Schultern und der graue Anzug, den er wie eine Rüstung trug. Die dichte, zurückgekämmte silbergraue Mähne. Das kantige Gesicht mit der Adlernase und den stechenden Augen. Seine Manschettenknöpfe waren von Cartier, die Krawatte von Hermés und die Schuhe aus einer Pariser Werkstatt, die nur hundert Paare im Jahr herstellte (was Ellie natürlich nicht wissen konnte). Seiner Aussprache war ein leicht fremdländischer Akzent anzuhören.
«Danke, dass Sie gekommen sind, Ellie. Ich darf doch Ellie sagen?», fragte er und ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. «Sie verzeihen bitte die für Sie vielleicht etwas ... mysteriöse Art unserer Kontaktaufnahme.»
«Ich bekomme tatsächlich nicht jeden Tag ein Jobangebot, um das ich mich nicht selbst bemüht habe.»
«Zumal von einem Unternehmen, von dem Sie noch nie etwas gehört haben, stimmt's?» Blanchard stieß eine Rauchwolke aus in Richtung eines Ölgemäldes, das über dem Kamin hing und in präraffaelitischer Manier eine Ritterfigur darstellte.
Ihm zu widersprechen wäre töricht gewesen. Keinem ihrer Bekannten, denen sie von ihrem Einladungsschreiben erzählt hatte, war die Monsalvat Bank ein Begriff. Sie hatte zwar eine Website, doch die bestand nur aus dem Wappen und einer Telefonnummer. Auch die Jobberatung der Universität wusste nichts von dieser Bank, und eine Recherche im World Wide Web hatte nur ein paar nebensächliche Hinweise in der Financial Times beziehungsweise in The Economist zutage gebracht. Es schien fast, als gäbe es diese Bank überhaupt nicht.
«Nicht viel», gab Ellie zu.
«Verständlicherweise.» Blanchard zeigte ihr lächelnd seine Zähne. «Wir legen großen Wert auf Diskretion, ich möchte sagen, Diskretion ist eine unserer Kardinaltugenden. »
«Ich weiß, dass Ihre Bank im 16. Jahrhundert von einem Händler gegründet wurde, der aus Frankreich kam », fügte Ellie hinzu. «Saint-Lazare de Morgon. Damit dürfte sie die älteste Bank in England und eine der zwei oder drei ältesten in Europa sein. Während der Reformation regulierte sie die Auflösung der Klöster und wurde reich. Im 18. Jahrhundert war sie der wichtigste Finanzier all jener europäischen Länder, die Krieg führen wollten.»
Blanchard senkte den Kopf und zeigte sich betroffen.
«Die Weltkriege und Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts überlebte sie als kleine, aber einflussreiche Handelsbank für vermögende Privatkunden und deren Unternehmen. Heute ist sie eine der letzten alten Firmen, die noch nicht von einem der großen internationalen Konglomerate übernommen wurden. Noch nicht.»
An Blanchards Zigarre hatte sich ein Aschefinger gebildet. Er streifte ihn über einem kristallenen Aschenbecher ab, paffte weiter und schien von ihren Ausführungen angenehm überrascht zu sein.
«Soweit ich weiß, ist ein Großteil der Informationen, die Sie hier referieren, nie veröffentlicht worden.»
Ellie spürte, wie sie unter seinem Blick errötete. «Als ich Ihren Brief erhielt, bin ich neugierig geworden.»
Neugierig zu erfahren, warum sich eine Bank, die keiner kennt, für eine junge Frau interessiert, die keiner kennt, die keine Erfahrung und auch kein Interesse daran hat, in der City zu arbeiten. Sie hatte zwei Tage damit verbracht, in alten Archiven zu stöbern und vergilbte Akten zu wälzen, um herauszufinden, ob die Monsalvat Bank überhaupt existierte.
«Wie wir auf Sie gestoßen sind, ist kein Geheimnis. Sie erinnern sich an Ihre Examensarbeit? Für die Sie mit einer Auszeichnung gewürdigt wurden?»
Dem «Spenser-Preis». Auch davon hatte sie nie zuvor gehört - bis zu dem Tag, an dem ihr von ihrem Mentor an der Uni, der sonst nie Interesse an ihr gezeigt hatte, ein Bewerbungsformular ins Fach gesteckt worden war. Sie hatte ihre Arbeit eingeschickt und die ganze Sache vergessen. Drei Monate später war ihr ein Glückwunschschreiben sowie ein Scheck über fünfhundert Pfund zugestellt worden.
«Wir verwalten diesen Spenser-Fond treuhänderisch für einen unserer Kunden. Mit dessen Erlaubnis nehmen wir auch gelegentlich als Juroren an der Auswahl des Preisträgers teil, dann nämlich, wenn er oder sie für uns von Interesse sein könnte.»
Sein Blick traf sie wie ein Schlag. Ellie zuckte innerlich zusammen und schaute auf das Gemälde über dem Kaminsims. Eine Frau in einem fast durchsichtigen Gewand war im Hintergrund an einen Baum gefesselt. Der Ritter hatte sein Schwert halb aus der Scheide gezogen. Ob er die Holde zu befreien oder einen unsichtbaren Gegner jenseits des Bildes abzuwehren versuchte, war nicht zu erkennen. Ellie fragte sich, ob das Gemälde womöglich doch ein Original war.
Blanchard lehnte sich in seinem Sessel zurück. «Ich will Ihnen erklären, wo wir heute stehen. Wir sind eine ungewöhnliche Firma. Exzeptionell, würde ich sagen. Manche halten uns für altmodisch, und das sind wir in gewisser Weise auch. Wenn wir aber unsere Unabhängigkeit bewahren wollen, müssen wir der Konkurrenz voraus sein. Mit modernsten Methoden und konzeptionell auf dem neuesten Stand der Dinge. Ein altes Gebäude, neu möbliert.»
Der letzte Satz war offenbar metaphorisch gemeint, denn der schwere, dunkle Schreibtisch, der auf geschnitzten Löwentatzen stand, mochte an die dreihundert Jahre alt sein. Vielleicht stammte er sogar aus einem der Klöster, an deren Auflösung die Monsalvat Bank gut verdient hatte.
«Unsere Kunden gehören mehrheitlich dem alten Geldadel an und möchten sich von den ordinären Parvenüs unserer Tage abgrenzen. Sie legen Wert auf eine Bank, die ihr Vermögen gewissermaßen ...»
«Diskret verwaltet?», half Ellie aus.
«Geschmackvoll wäre der treffendere Ausdruck.»
Ellie nickte, obwohl sie nicht genau verstand, was gemeint war.
«Die nouveaux riches- die Araber, die Orientalen, die Amerikaner - mögen sich an andere Banken wenden. Die Juden haben ohnehin ihre eigenen.»
Er sah, wie Ellie unwillkürlich die Miene verzog.
«Ich weiß, meine Bemerkung ist politisch nicht korrekt, wohl aber faktisch zutreffend. Und allein darauf kommt es in Geldgeschäften an.»
Blanchard drehte wieder den Stummel im Aschenbecher.
«Wie gesagt, wir sind eine außergewöhnliche Firma, nicht zuletzt insofern, als wir nur über eine vergleichsweise dünne Kapitaldecke verfügen. Was uns reich macht, ist unser Personal. Außergewöhnliche Personen wie Sie.»
Ellie saß steif auf dem riesigen Sofa und hatte die Knie aneinandergepresst.
«Sie glauben, ich schmeichle? Ich könnte morgen eine Anzeige an den besten Universitäten des Landes aufgeben und hätte in der nächsten Woche Hunderte von Bewerbungen auf dem Tisch liegen, allesamt von tüchtigen Leuten mit vortrefflichen Abschlüssen, besten Referenzen und beachtlicher Berufserfahrung - einer Erfahrung, die jedoch ausschließlich in einem System gesammelt wurde, das auf den Erfolg dieser Leute gewissermaßen zugeschnitten ist. Sie hingegen, Ellie, sind außerhalb dieses Systems erfolgreich. Und das ist außergewöhnlich. Die anderen glauben, das Leben sei ein Spiel zwischen weißen Grundlinien mit bestimmten Regeln und Schiedsrichtern, die abpfeifen, wenn der eine dem anderen in die Beine grätscht. Aber wir, Sie und ich, wissen es besser.»
Blanchard öffnete eine Mappe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und entnahm ihr zwei Seiten, in denen Ellie ihren Lebenslauf wiederzuerkennen glaubte. Wie war der in seine Hände gelangt?
«Erzählen Sie mir von sich.»
«Sie wissen doch längst über mich Bescheid», erwiderte sie und war selbst überrascht von der Dreistigkeit ihrer Entgegnung. Sie wollte den Job offenbar wirklich nicht. Blanchard aber nahm keinen Anstoß. Im Gegenteil, er schien nichts anderes von ihr erwartet zu haben.
«Eleanor Caris Stanton. Geboren am 22. Februar 1987 in Newport, South Wales. Ihre Mutter arbeitete als Hilfskraft in verschiedenen Fabriken, Ihr Vater ...» Er zuckte mit den Achseln. Es schien, dass er die Blätter, die er in der Hand hielt, gar nicht wirklich zur Kenntnis nahm. «Sie besuchten eine unbedeutende Schule und legten einen so bemerkenswerten Abschluss hin, dass Ihnen ein Oxford-Stipendium angeboten wurde. Doch das lehnten Sie ab zugunsten eines Studiums an einer polytechnischen Hochschule in Ihrer Heimatstadt. Hatten Sie Angst vor Oxford? Scheuen Sie Privilegien und Elitarismus? Fürchteten Sie, den in Sie gesetzten Erwartungen nicht gerecht werden zu können?»
«Nein.» Klang ihre Antwort womöglich zu defensiv? «Auch mit dem Stipendium hätte ich mir ein Studium in Oxford nicht leisten können.»
«Angst zu haben ist keine Schande», bemerkte Blanchard. «Wer glaubt, nichts fürchten zu müssen, hat nichts zu gewinnen. »
Ellie zweifelte daran. «Wie dem auch sei, ich bin ja schließlich doch nach Oxford gekommen.»
«In der Tat. Sie waren die Beste Ihres Jahrgangs, haben ein Einser-Examen in Mediävistik geschafft und hätten mit dieser Qualifikation sofort eine lukrative Stelle annehmen können. Stattdessen aber wollten Sie lieber promovieren. Dafür entscheiden sich nur wenige. Waren Sie nicht versucht, Geld zu verdienen und Ihrem Milieu zu entfliehen?»
Ellie stutzte. War er wirklich so taktlos, oder versuchte er, Sie zu prüfen? Sie schaute ihm ins Gesicht, auf seine markanten Falten und glaubte, ein Lächeln erkennen zu können. Mistkerl.
«Es gibt noch andere Fluchtwege als den übers Geld», antwortete sie.
Blanchard nickte und ließ die hohe Sessellehne wippen. «Den Weg des mittellosen Intellektuellen?»
«So ungefähr.»
«Aber der könnte auf Ideenarmut hinauslaufen. Der akademische Elfenbeinturm ist eine Echokammer, ein Spiegelkabinett. Statt die Welt zu betrachten, sieht man letztlich nur sich selbst. Würde Sie das befriedigen?»
Hier sind Sie nicht sicher. Die Worte des Polizisten kamen ihr plötzlich in den Sinn.
«Ich bin gern an der Uni», sagte sie entschieden. «Vielen Dank für Ihre Einladung. Ich fühle mich geehrt. Aber wie Sie wissen, habe ich gerade ein Promotionsstudium begonnen, das mich die nächsten dreieinhalb Jahre in Anspruch nehmen wird. Es vorzeitig abzubrechen kommt für mich nicht in Frage.»
Sie hatte sich diese Worte im Bus zurechtgelegt und sich vorgenommen, den richtigen Ton zu treffen, der nicht beleidigte, aber auch keinen Zweifel aufkommen ließ - etwa so wie bei einem Rendezvous, wenn es galt, dem anderen klarzumachen, dass man nicht die Absicht hatte, mit ihm nach Hause zu gehen.
Blanchard hörte ihr zu und wirkte gelangweilt.
«Haben Sie schon einmal in einer Bank gearbeitet?»
Es dauerte eine Weile, bis sie ahnte, worauf er abzielte. Sie selbst erinnerte sich kaum noch. «Während der Sommerferien einmal. Von einschlägigen Erfahrungen kann allerdings kaum die Rede sein.» Zwölf Stunden die Woche in einer Bausparkasse mit braunen Teppichen und Kieselrauputz an den Wänden. Das einzig «alte Geld» stammte von Pensionären.
«Was hat Sie bewogen?»
Ellie blinzelte. «Wie bitte?»
«Weshalb haben Sie ausgerechnet dort gearbeitet? Warum nicht in einer Bar oder in einer Boutique? Wäre doch viel reizvoller für eine junge Frau wie Sie gewesen.»
«Ich dachte, ich sollte einmal einen Blick auf die andere Seite der Münze werfen.»
Übersetzung: Michael Windgassen
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Autoren-Porträt von Tom Harper
Harper, TomDer britische Autor Tom Harper, geboren 1977 in Westdeutschland, hat in Oxford alte Geschichte studiert und, teilweise unter Pseudonym, bereits mehrere historische Romane veröffentlicht. Tom Harper lebt mit Frau und Sohn in York.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tom Harper
- 2012, Neuausg., 511 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Windgassen, Michael
- Übersetzer: Michael Windgassen
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499257327
- ISBN-13: 9783499257322
- Erscheinungsdatum: 01.03.2012
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