Die keltische Schwester
Ein bezaubernder Roman, der keltische Magie mit dem Schicksal einer jungen Frau verbindet.
Lindis arbeitet als Projektleiterin in einem Ferienclub in der Bretagne. Da begegnet sie zufällig einem alten Liebhaber wieder, dem...
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Produktinformationen zu „Die keltische Schwester “
Ein bezaubernder Roman, der keltische Magie mit dem Schicksal einer jungen Frau verbindet.
Lindis arbeitet als Projektleiterin in einem Ferienclub in der Bretagne. Da begegnet sie zufällig einem alten Liebhaber wieder, dem Archäologen Robert. Und sie muss feststellen, dass sie sich noch immer zu ihm hingezogen fühlt. Doch auch eine andere Sache beschäftigt sie sehr. Sie hat plötzlich seltsame Träume, in denen ihr die Seherin Danu begegnet. Immer mehr taucht sie in deren ergreifendes Schicksal ein. Hat Danu vielleicht tatsächlich mal gelebt?
Eine spannende Geschichte vor der Kulisse der Bretagne von der Erfolgsautorin Andrea Schacht.
Lese-Probe zu „Die keltische Schwester “
Die keltische Schwester von Andrea SchachtAnfangsknoten
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Lange Zeit dachte ich, alles, was mir widerfahren ist, sei von Bedeutung.
Ich dachte auch, es habe erst nach meiner Begegnung mit dem Stein begonnen. Doch heute weiß ich es besser.
Allerdings habe ich eine ganze Weile gebraucht, um überhaupt dahinterzukommen, was es mit dem Stein auf sich hatte. Wie blind irrte ich durch diese Welt, schwer trug ich an meiner Last. Nebel und Dunkelheit umgaben mich, mein Weg war rau und steinig. Er führte mich durch Schlamm und Moore, über schwankende Brücken, unter denen namenlose Abgründe drohten, durch reißende Furten und trügerische Strudel. Ich musste mich gegen eisige Winde stemmen und meinen Weg durch die dürren Wüsten eines verdorrten Landes suchen.
Wie ein jeder, der sich auf die Suche macht.
Und doch war der Weg nicht völlig trostlos. Tröstung fand ich und kurze Ruhepausen, Quellen taten sich auf an Stellen, wo sie nie zu erwarten waren, Sonne wärmte mich, wenn ich durchnässt und zitternd meine Last aufnahm, und der Anblick seltener Schönheit erquickte meine müden Augen, wenn der Weg zu steil schien und die Berge unüberwindlich. Ein Zweiglein voller Schneekristalle, ein beschneites Feld in blasser Wintersonne, eine stille Quelle im tiefen Dunkel des Waldes, die flammenden Wolken über dem Meer, die dunkle Höhle unter den Bergen und schließlich der junge Mond über dem Haupt meines Geliebten.
Ich fand Hoffnung - wie alle.
Ich fand auch mein Ziel. Denn - und auch das lernte ich viel, viel später - ich hatte einen Führer. Ich hatte jemanden, der diesen Weg bereits gegangen war und dem daran lag, dass auch ich ihn ging. Auch wenn ich mich anfangs wehrte und weigerte.
Vielleicht kommt nicht jeder an das Ziel, doch in jedem von uns steckt die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dieser einen Anderen Welt, der Autre Monde, in der immerwährender Friede und Schönheit herrschen, wo Speise und Trank nie versiegen, wo man frei von Trauer und Gram, Kummer und Leid, Krankheit und Schmerzen lebt und teilhat an den tiefsten Weisheiten. Ich zitiere hier sinngemäß einen alten Barden. Er hatte recht - in gewisser Weise.
Denn es gibt auch andere Welten, die weniger freundlich sind.
Vor langen Zeiten, in älteren Kulturen, gab es Frauen und Männer, deren Aufgabe es war, den Weg in jenes Land zu beschreiten, aus dem die Dichter ihre Inspiration, die Sänger ihre Lieder, die Künstler ihre Visionen holten. Menschen, die das Wissen um die Gefahren und Hindernisse auf dem Weg dorthin hatten und die Macht, sie zu bewältigen.
Heute sind wir alleine gelassen, und wer sich auf die Reise macht, wird oft von den Schrecknissen überwältigt.
Aber die Sehnsucht bleibt.
Doch geht man den beschwerlichen Weg, ist der Gewinn umso größer. Denn niemand wandert in der Autre Monde und kommt unverändert zurück. So warnte mich einer, der es wissen musste.
Kurz, ich wurde auf den Weg dorthin gebracht. Dorthin gezerrt, wie Teresa es ausdrückte.
Und das, was ich fand, zeigte mir nur, dass meine Geschichte älter ist, viel älter ist, als ich glaubte. Älter als Danu, meine hilfreiche ältere Schwester, die mich lehrte, was es bedeutet, ein Opfer zu bringen. Älter als die Menschen, die den Stein so mühevoll errichteten. Älter als die Gattung der Säugetiere, deren erste Vertreter die Mäuse waren.
Sie ist so alt wie die Erde.
So alltäglich wie sie - natürlich.
Und so albern - manchmal.
Wie alles - natürlich.
Dem Stein übrigens, dem Menhir dort an der lieblich-rauen Küste am Ende der Welt, dem war das alles ziemlich gleichgültig.
1. Faden, 1. Knoten
»Meine Herren, ich freue mich, Sie heute zu diesem Seminar begrüßen zu können, und hoffe ...«
Welch ein Aufstieg in die Herrenrasse! Es mochte vielleicht dem Seminarleiter, der sich als ein Herr Müller vorgestellt hatte, auf den ersten Blick entgangen sein, dass in der Runde der knapp zwanzig Herren auch eine Dame saß. Aber, na ja, wir waren ja gerade erst bei den einleitenden Worten dieser
Unterweisung.
»... werden wir nach dem theoretischen Teil natürlich sofort in die praktische Anwendung einsteigen. Dazu haben wir im Nebenraum Bildschirme aufgestellt, an denen Sie, meine Herren, dann in kleinen Gruppen ...«
Schön, auch aus der Teilnehmerliste war vermutlich nicht zu erkennen, dass sich auch eine Frau zu dem Seminar über Netzplan-Technik angemeldet hatte. Ich unterschreibe nun mal mit A. Farmunt, denn Amalindis ist ein Name, der mir, milde gesagt, Übelkeit verursacht. Meiner Mutter hingegen gefällt er noch immer so gut, dass sie es sich bis heute nicht nehmen lässt, mich immer in voller Länge damit anzusprechen. Was mein Verhältnis zu meiner Mutter ausreichend beschreibt.
»Wie Sie wissen, meine Herren, entstand die Netzplan-Technik 1957 als Methode zur Planung von Projekten. Die ersten Einsatzgebiete waren die Entwicklung des Waffensystems POLARIS, der Bau von Kernkraftwerken und ...«
Das Blabla war mir nichts Neues. Mich interessierte die Umsetzung mit dem DV-Programm, das bei KoenigConsult eingesetzt werden sollte. Doch so bedeutungsvoll, wie der Herr Seminarleiter jetzt mit den Folien seines Vortrags raschelte, konnte ich getrost für die nächste Stunde in einen gepflegten
Halbschlaf versinken.
Tat ich natürlich nicht, aber ich widmete meine Aufmerksamkeit anderen Dingen. Zum Beispiel dem Nachbarn zu meiner Linken. Er war mir vor ein paar Tagen als der verantwortliche Projektleiter für das Vorhaben vorgestellt worden, in dem auch ich eine entscheidende Rolle spielen durfte. Sein Name war Wulf Daniels. Er mochte so Anfang, Mitte dreißig sein, überragte mich locker um Haupteslänge, trotz meiner hochhackigen Schuhe. Und ich bin nicht gerade klein zu nennen. Das Haupt, um das er mich überragte, war blondgelockt und gepflegt vollbärtig. Ich suchte in den diversen Schubladen, in die ich Männer bequemerweise einzusortieren pflegte, nach der mit einer passenden Aufschrift, fand aber im ersten Moment nur die Klassifizierung »interessant«.
Um spezieller in der Beurteilung zu werden, beobachtete ich ihn unauffällig weiter. Mein Nachbar trug Hemd und einen weichen Pullover, der nach anschmiegsamem Kaschmir aussah. Für die Jahreszeit war er zu braun, die Härchen auf seinen Handgelenken schimmerten golden, die Hände waren sehnig und ließen den geübten Tennisspieler vermuten. Die Farbe stammte entweder von der Sonnenbank oder einem langen Winterurlaub. Er hatte sich auf seinem Stuhl lässig zurückgelehnt und schien ähnlich gelangweilt wie ich. Dennoch, es blieb bei »interessant«, allerdings mit einem kleinen Plus dahinter.
»Und, meine Herren, wir werden uns daher mit der Methode der Vorgangs-Knoten-Technik auseinandersetzen. Gegeben sei ein beliebiges Projekt mit einer definierten Anzahl von Ereignissen ...«
Jetzt wurde der Seminarleiter auch noch schulmeisterlich! Ich schloss die Betrachtung zu meiner Linken ab und widmete mich dem Herrn zu meiner Rechten. Auch er war mir bereits bekannt, denn er sollte als mein Mitarbeiter zukünftig die Planung mit betreuen? Im Gegensatz zu dem interessanten Wulf saß er aufmerksam und aufrecht in seinem graubraunen Tweedanzug neben mir. Auf seiner Strickkrawatte bemerkte ich einen Eigelb-Flecken. Die Schublade, in die Herbert Schweitzer passte, war leicht zu finden, sie war ebenso graubraun wie langweilig. Als Mann sozusagen uninteressant, als Mitarbeiter - nun, man würde sehen. Wahrscheinlich würden wir gewisse Anfangsschwierigkeiten
überwinden müssen, denn Männer über fünfzig haben manchmal Probleme mit vorgesetzten Frauen
unter dreißig. Gut, ganz, ganz knapp unter dreißig.
»Jedem Vorgang, jeder Tätigkeit oder jedem festen Termin, wir nennen diese Meilensteine, ist in dieser Form der Planung ein sogenannter Knoten zugeordnet. Dieser Knoten hat ...«
Herbert Schweitzer schrieb eifrig mit, Wulf rutschte noch ein Stück tiefer in seinem Stuhl zusammen und sah unter halbgeschlossenen Augen zu mir hin. Ich musste ein Gähnen unterdrücken, und er zwinkerte mir zu, wobei sich kleine Lachfältchen um seine Augen bildeten. »Sehr interessant«, korrigierte ich und versuchte, das unwillkürliche Lächeln aus meinem Mundwinkel zu wischen.
»Ich hoffe, wir kommen langsam mal zum praktischen Teil, der Typ ödet einen ja entsetzlich an«, flüsterte mein Nachbar mir zu.
»Hoffentlich. Ich bin kurz davor, in einen komatösen Zustand zu versinken«, wisperte ich zurück.
»Meine Herren, ich darf doch um Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bitten.«
»Mich kann der nicht gemeint haben«, rutschte mir heraus, und Wulf grinste.
Ich fügte dem »sehr interessant« ein »weiter beachten« hinzu.
»Um es Ihnen anschaulich zu machen, werde ich die Methode an einem simplen - äh - hausfraulichen Beispiel verdeutlichen, das auch Ihnen, meine Herren, nicht fremd sein dürfte. Wir stellen uns vor, eine solch hochkomplexe Tätigkeit wie das Abwaschen schmutzigen Geschirrs in seine schlichten Vorgänge zu zerlegen ...«
Ich erkannte in Wulfs Augen die Frage: »Na, wie lange noch?«
Nicht mehr lange, beschloss ich. Herr Müller erläuterte soeben, wie die Tätigkeiten Wassererwärmen, Töpfesortieren und -abspülen miteinander verknüpft waren, zumal, wenn um - kicher, kicher - viertel nach eins ein wichtiger Friseurtermin anstand.
Ich liebe Männer, die auf Kosten dummer Frauchen kleine Witze reißen!
Meine anfängliche Belustigung ging in ein erstes, verhaltenes Knurren über, als er das nächste Mal wieder ausschließlich die Herren anredete. Ich malte den simplen Plan auf, dann verzierte ich das Diagramm auf meinem Block mit einem verschnörkelten Rankenmuster. Eine dumme, aber harmlose Angewohnheit von mir. Meine Schulbücher, meine Notizblöcke, mein Telefonbuch, Servietten und Zeitungen sollte man für die Nachwelt erhalten, es sind Meisterwerke ornamentaler Kleinkunst. Inzwischen hatte auch der Seminarleiter das Bild des Netzplans am Board vielfarbig und künstlerisch ausgestaltet.
Ich sah auf die Uhr. Wir hatten inzwischen zwei Stunden mit derartigen Nichtigkeiten verplempert, die von der eigentlichen praktischen Arbeit abgingen. Ich erlaubte mir, mich zu Wort zu melden, als der Seminarleiter in seinen Unterlagen nach weiteren Folien kramte.
»Herr Müller, vielleicht haben Sie bemerkt, dass wir uns, was den Unterrichtsablauf anbelangt, deutlich auf dem kritischen Pfad befinden. Es wäre vielleicht ganz angeraten, die Intelligenz Ihrer Zuhörer nicht weiter zu unterschätzen und mit derartigen Beispielen aufzuhören. Wir sind hier, um uns mit dem DV-Programm vertraut zu machen. Ich denke, Sie dürfen beruhigt voraussetzen, dass die anwesenden Damen und Herren mit der Materie der Planung vertraut sind.«
Eine durch den Raum fliegende Kuh hätte ihn nicht mehr erschüttern können. Ein leises Raunen ging durch die Gesellschaft, das nicht fern von Belustigung war. Immerhin nahm er mich jetzt wahr.
»Frau - äh - äh ...«
Ich half ihm nicht.
»Also, Frau - äh -, wir müssen selbstverständlich zuerst die theoretischen Grundlagen erarbeiten. Ich muss Sie doch bitten, Ihren Übereifer noch ein wenig zu bremsen, wir haben noch einige wesentliche Themen abzuhandeln. Meine Herren ...«
»Im Übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich Wert auf eine höfliche Anredeform lege. Ich heiße weder Frau Äh noch ›meine Herren‹.«
Oh, ich war sauer!
Und Herr Müller für einen Augenblick mundtot.
Diese Schweigeminute nutzte einer der Teilnehmer, um vorzuschlagen, doch eine kleine Pause einzulegen. Wortlos nickte Herr Müller, und wir standen auf, um uns auf dem Gang die Füße zu vertreten.
»Sie haben dem armen Mann aber sehr deutlich gemacht, was Sie von ihm halten, Frau Farmunt«, sagte mein interessanter Kollege neben mir.
»Er hat doch auch sehr deutlich gemacht, was er von dummen Frauchen hält, Herr Daniels, oder?«
»Oh, nicht dass ich Mitleid mit ihm habe. Er benimmt sich stoffelig. Sie sind wahrscheinlich schon häufiger derart selbstgefälligen Typen begegnet. Frauen sind eben noch immer selten in solchen Positionen. Keiner bedauert das mehr als ich.«
Sein Lächeln hatte was. Doch. Darum überhörte ich für diesmal die kleine, unpassende Bemerkung am Ende.
»Wo ist denn unser Herr Schweitzer geblieben?«, fragte ich und sah mich um. Durch die offene Tür zum Seminarraum sah ich ihn am Tisch von Herrn Müller stehen und aufmerksam dessen Worten lauschen.
»Er hat es nicht so leicht wie Sie, Frau Farmunt. Schweitzer ist erst vor kurzem in Ihre Abteilung gekommen. Er hat - nun ja - weniger theoretische Vorkenntnisse.«
»Wollen Sie mir damit andeuten, dass mein Mitarbeiter von der Thematik, in der er mich unterstützen soll, keine Ahnung hat? Das hat mir Dr. Koenig bei dem Einstellungsgespräch allerdings dann vorenthalten.«
»Sagen wir, er hat quasi praktische Erfahrungen, Schweitzer hat lange auf Baustellen vor Ort gearbeitet. Ich selbst habe aber mit ihm auch noch nicht zu tun gehabt.«
»Na prima!«
»Ehrgeizig, was?«
Ich zuckte mit den Schultern. Klar war ich ehrgeizig. Sonst wäre ich nicht hier auf dieser Stelle gelandet.
Die Seminarteilnehmer versammelten sich inzwischen wieder in dem Raum und nahmen ihre Plätze ein. Meine Stimmung war eine Mischung von Ungeduld und schlechter Laune, was sich nicht dadurch besserte, dass Herr Müller jetzt überaus betont die Anrede »Frau Farmunt, meine Herren« pflegte.
»Frau Farmunt, meine Herren, es hat sich in der kurzen Pause gezeigt, dass durchaus noch Verständnisfragen zu dem theoretischen Teil bestehen, so dass ich jetzt gerne noch einmal für alle rekapitulieren möchte.«
Ich sah zu Herbert Schweitzer hin, der wieder gespannte Aufmerksamkeit demonstrierte. Aha, große Schwierigkeiten!
2. Faden, 1. Knoten
Auf der glutflüssigen Lava bildete sich eine dünne Hülle aus krustigen, erstarrten Steinmassen, als der unablässig kreisende Erdball allmählich abkühlte. Wie Schollen schwammen sie auf dem glühenden Meer, stießen aneinander, schoben sich übereinander, türmten sich hier zu Gebirgen auf, brachen dort zu tiefen Schluchten auseinander.
Aus den jungen Bergen quoll wie Blut aus frischen Wunden flüssiges Gestein, wirbelten Wolken aus Asche empor, Gase und Staub. Die Urkontinente, noch bloß und karg, ohne Leben, bewegten sich unendlich langsam gegeneinander, und an den Kanten, da, wo sie aneinanderrieben, bauten sich an den Bruch- und Verwerfungsstellen ungeheure Spannungen auf. Manchmal wurde die Spannung zu hoch, und unter mächtigem Beben rissen sie sich voneinander los, brach hartes Gestein auf, falteten sich Gebirge zu himmelhohen Klippen.
Später bildete sich aus den Gasen Wasser, es regnete. Meere und Ströme entstanden, ihre Wasser überfluteten das Land, spülten Gräben und Höhlen aus und sammelten sich in tiefen Gesteinsschichten. Die rauen Konturen wurden glattgeschliffen, Staub rieb im Wind an dem harten Fels, lagerte sich ab, verdichtete sich und wurde später zu fruchtbarem Boden.
Die Erde wurde älter, und ihre dünne Haut wurde durchzogen von einem Flechtwerk aus über- und unterirdischen Wasserläufen, sie bekam alte Narben von Rissen und Brüchen, sie war durchwachsen von Adern aus metallhaltigem Erz und von kristallisierten Mineralien. Manches Gestein enthielt strahlende Elemente, manches magnetische Kräfte. Manches auch solche Kräfte, die der Mensch noch nicht entdeckt hat, noch nicht mit seinen Erkenntnissen erklären kann.
Trotzdem sind sie da, diese Kräfte, wenn auch nicht alle sichtbar, nicht messbar, aber doch spürbar für die, die Sinne haben, sie zu fühlen. Sie ziehen sich durch Täler und Berge, durch glühende Geröllwüsten, durch eisige Tundren, durch düstere Wälder, goldene Steppen, entlang der schroffen Küsten und durch liebliche Auen. Und dort, wo sich diese Ströme, die Pfade der Kraft, in der Erde kreuzen, gab es schon immer auffällige Phänomene.
Es wachsen dort vielleicht seltsam geformte Pflanzen, oder es bleiben Stellen unerwartet kahl. Manche dieser Plätze werden auch von den Lebewesen gemieden, doch an vielen treffen sich dort Jahr ein, Jahr aus Scharen von Vögeln, dorthin ziehen sich die Tiere zurück, um ihren Nachwuchs zu gebären oder um den Tod zu erwarten.
An den Knotenpunkten der Kraftlinien geschahen schon immer sonderbare Dinge.
Menschen, die fühlen können, finden dort die Tore zur Autre Monde. Wenn sie es wagen, die Brücke zu überschreiten, kommen sie immer verändert zurück.
Sie wurden als Weise geachtet, als Wissende und Führer, als Hexen verbrannt und als Wahnsinnige eingesperrt.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH
Lange Zeit dachte ich, alles, was mir widerfahren ist, sei von Bedeutung.
Ich dachte auch, es habe erst nach meiner Begegnung mit dem Stein begonnen. Doch heute weiß ich es besser.
Allerdings habe ich eine ganze Weile gebraucht, um überhaupt dahinterzukommen, was es mit dem Stein auf sich hatte. Wie blind irrte ich durch diese Welt, schwer trug ich an meiner Last. Nebel und Dunkelheit umgaben mich, mein Weg war rau und steinig. Er führte mich durch Schlamm und Moore, über schwankende Brücken, unter denen namenlose Abgründe drohten, durch reißende Furten und trügerische Strudel. Ich musste mich gegen eisige Winde stemmen und meinen Weg durch die dürren Wüsten eines verdorrten Landes suchen.
Wie ein jeder, der sich auf die Suche macht.
Und doch war der Weg nicht völlig trostlos. Tröstung fand ich und kurze Ruhepausen, Quellen taten sich auf an Stellen, wo sie nie zu erwarten waren, Sonne wärmte mich, wenn ich durchnässt und zitternd meine Last aufnahm, und der Anblick seltener Schönheit erquickte meine müden Augen, wenn der Weg zu steil schien und die Berge unüberwindlich. Ein Zweiglein voller Schneekristalle, ein beschneites Feld in blasser Wintersonne, eine stille Quelle im tiefen Dunkel des Waldes, die flammenden Wolken über dem Meer, die dunkle Höhle unter den Bergen und schließlich der junge Mond über dem Haupt meines Geliebten.
Ich fand Hoffnung - wie alle.
Ich fand auch mein Ziel. Denn - und auch das lernte ich viel, viel später - ich hatte einen Führer. Ich hatte jemanden, der diesen Weg bereits gegangen war und dem daran lag, dass auch ich ihn ging. Auch wenn ich mich anfangs wehrte und weigerte.
Vielleicht kommt nicht jeder an das Ziel, doch in jedem von uns steckt die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dieser einen Anderen Welt, der Autre Monde, in der immerwährender Friede und Schönheit herrschen, wo Speise und Trank nie versiegen, wo man frei von Trauer und Gram, Kummer und Leid, Krankheit und Schmerzen lebt und teilhat an den tiefsten Weisheiten. Ich zitiere hier sinngemäß einen alten Barden. Er hatte recht - in gewisser Weise.
Denn es gibt auch andere Welten, die weniger freundlich sind.
Vor langen Zeiten, in älteren Kulturen, gab es Frauen und Männer, deren Aufgabe es war, den Weg in jenes Land zu beschreiten, aus dem die Dichter ihre Inspiration, die Sänger ihre Lieder, die Künstler ihre Visionen holten. Menschen, die das Wissen um die Gefahren und Hindernisse auf dem Weg dorthin hatten und die Macht, sie zu bewältigen.
Heute sind wir alleine gelassen, und wer sich auf die Reise macht, wird oft von den Schrecknissen überwältigt.
Aber die Sehnsucht bleibt.
Doch geht man den beschwerlichen Weg, ist der Gewinn umso größer. Denn niemand wandert in der Autre Monde und kommt unverändert zurück. So warnte mich einer, der es wissen musste.
Kurz, ich wurde auf den Weg dorthin gebracht. Dorthin gezerrt, wie Teresa es ausdrückte.
Und das, was ich fand, zeigte mir nur, dass meine Geschichte älter ist, viel älter ist, als ich glaubte. Älter als Danu, meine hilfreiche ältere Schwester, die mich lehrte, was es bedeutet, ein Opfer zu bringen. Älter als die Menschen, die den Stein so mühevoll errichteten. Älter als die Gattung der Säugetiere, deren erste Vertreter die Mäuse waren.
Sie ist so alt wie die Erde.
So alltäglich wie sie - natürlich.
Und so albern - manchmal.
Wie alles - natürlich.
Dem Stein übrigens, dem Menhir dort an der lieblich-rauen Küste am Ende der Welt, dem war das alles ziemlich gleichgültig.
1. Faden, 1. Knoten
»Meine Herren, ich freue mich, Sie heute zu diesem Seminar begrüßen zu können, und hoffe ...«
Welch ein Aufstieg in die Herrenrasse! Es mochte vielleicht dem Seminarleiter, der sich als ein Herr Müller vorgestellt hatte, auf den ersten Blick entgangen sein, dass in der Runde der knapp zwanzig Herren auch eine Dame saß. Aber, na ja, wir waren ja gerade erst bei den einleitenden Worten dieser
Unterweisung.
»... werden wir nach dem theoretischen Teil natürlich sofort in die praktische Anwendung einsteigen. Dazu haben wir im Nebenraum Bildschirme aufgestellt, an denen Sie, meine Herren, dann in kleinen Gruppen ...«
Schön, auch aus der Teilnehmerliste war vermutlich nicht zu erkennen, dass sich auch eine Frau zu dem Seminar über Netzplan-Technik angemeldet hatte. Ich unterschreibe nun mal mit A. Farmunt, denn Amalindis ist ein Name, der mir, milde gesagt, Übelkeit verursacht. Meiner Mutter hingegen gefällt er noch immer so gut, dass sie es sich bis heute nicht nehmen lässt, mich immer in voller Länge damit anzusprechen. Was mein Verhältnis zu meiner Mutter ausreichend beschreibt.
»Wie Sie wissen, meine Herren, entstand die Netzplan-Technik 1957 als Methode zur Planung von Projekten. Die ersten Einsatzgebiete waren die Entwicklung des Waffensystems POLARIS, der Bau von Kernkraftwerken und ...«
Das Blabla war mir nichts Neues. Mich interessierte die Umsetzung mit dem DV-Programm, das bei KoenigConsult eingesetzt werden sollte. Doch so bedeutungsvoll, wie der Herr Seminarleiter jetzt mit den Folien seines Vortrags raschelte, konnte ich getrost für die nächste Stunde in einen gepflegten
Halbschlaf versinken.
Tat ich natürlich nicht, aber ich widmete meine Aufmerksamkeit anderen Dingen. Zum Beispiel dem Nachbarn zu meiner Linken. Er war mir vor ein paar Tagen als der verantwortliche Projektleiter für das Vorhaben vorgestellt worden, in dem auch ich eine entscheidende Rolle spielen durfte. Sein Name war Wulf Daniels. Er mochte so Anfang, Mitte dreißig sein, überragte mich locker um Haupteslänge, trotz meiner hochhackigen Schuhe. Und ich bin nicht gerade klein zu nennen. Das Haupt, um das er mich überragte, war blondgelockt und gepflegt vollbärtig. Ich suchte in den diversen Schubladen, in die ich Männer bequemerweise einzusortieren pflegte, nach der mit einer passenden Aufschrift, fand aber im ersten Moment nur die Klassifizierung »interessant«.
Um spezieller in der Beurteilung zu werden, beobachtete ich ihn unauffällig weiter. Mein Nachbar trug Hemd und einen weichen Pullover, der nach anschmiegsamem Kaschmir aussah. Für die Jahreszeit war er zu braun, die Härchen auf seinen Handgelenken schimmerten golden, die Hände waren sehnig und ließen den geübten Tennisspieler vermuten. Die Farbe stammte entweder von der Sonnenbank oder einem langen Winterurlaub. Er hatte sich auf seinem Stuhl lässig zurückgelehnt und schien ähnlich gelangweilt wie ich. Dennoch, es blieb bei »interessant«, allerdings mit einem kleinen Plus dahinter.
»Und, meine Herren, wir werden uns daher mit der Methode der Vorgangs-Knoten-Technik auseinandersetzen. Gegeben sei ein beliebiges Projekt mit einer definierten Anzahl von Ereignissen ...«
Jetzt wurde der Seminarleiter auch noch schulmeisterlich! Ich schloss die Betrachtung zu meiner Linken ab und widmete mich dem Herrn zu meiner Rechten. Auch er war mir bereits bekannt, denn er sollte als mein Mitarbeiter zukünftig die Planung mit betreuen? Im Gegensatz zu dem interessanten Wulf saß er aufmerksam und aufrecht in seinem graubraunen Tweedanzug neben mir. Auf seiner Strickkrawatte bemerkte ich einen Eigelb-Flecken. Die Schublade, in die Herbert Schweitzer passte, war leicht zu finden, sie war ebenso graubraun wie langweilig. Als Mann sozusagen uninteressant, als Mitarbeiter - nun, man würde sehen. Wahrscheinlich würden wir gewisse Anfangsschwierigkeiten
überwinden müssen, denn Männer über fünfzig haben manchmal Probleme mit vorgesetzten Frauen
unter dreißig. Gut, ganz, ganz knapp unter dreißig.
»Jedem Vorgang, jeder Tätigkeit oder jedem festen Termin, wir nennen diese Meilensteine, ist in dieser Form der Planung ein sogenannter Knoten zugeordnet. Dieser Knoten hat ...«
Herbert Schweitzer schrieb eifrig mit, Wulf rutschte noch ein Stück tiefer in seinem Stuhl zusammen und sah unter halbgeschlossenen Augen zu mir hin. Ich musste ein Gähnen unterdrücken, und er zwinkerte mir zu, wobei sich kleine Lachfältchen um seine Augen bildeten. »Sehr interessant«, korrigierte ich und versuchte, das unwillkürliche Lächeln aus meinem Mundwinkel zu wischen.
»Ich hoffe, wir kommen langsam mal zum praktischen Teil, der Typ ödet einen ja entsetzlich an«, flüsterte mein Nachbar mir zu.
»Hoffentlich. Ich bin kurz davor, in einen komatösen Zustand zu versinken«, wisperte ich zurück.
»Meine Herren, ich darf doch um Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bitten.«
»Mich kann der nicht gemeint haben«, rutschte mir heraus, und Wulf grinste.
Ich fügte dem »sehr interessant« ein »weiter beachten« hinzu.
»Um es Ihnen anschaulich zu machen, werde ich die Methode an einem simplen - äh - hausfraulichen Beispiel verdeutlichen, das auch Ihnen, meine Herren, nicht fremd sein dürfte. Wir stellen uns vor, eine solch hochkomplexe Tätigkeit wie das Abwaschen schmutzigen Geschirrs in seine schlichten Vorgänge zu zerlegen ...«
Ich erkannte in Wulfs Augen die Frage: »Na, wie lange noch?«
Nicht mehr lange, beschloss ich. Herr Müller erläuterte soeben, wie die Tätigkeiten Wassererwärmen, Töpfesortieren und -abspülen miteinander verknüpft waren, zumal, wenn um - kicher, kicher - viertel nach eins ein wichtiger Friseurtermin anstand.
Ich liebe Männer, die auf Kosten dummer Frauchen kleine Witze reißen!
Meine anfängliche Belustigung ging in ein erstes, verhaltenes Knurren über, als er das nächste Mal wieder ausschließlich die Herren anredete. Ich malte den simplen Plan auf, dann verzierte ich das Diagramm auf meinem Block mit einem verschnörkelten Rankenmuster. Eine dumme, aber harmlose Angewohnheit von mir. Meine Schulbücher, meine Notizblöcke, mein Telefonbuch, Servietten und Zeitungen sollte man für die Nachwelt erhalten, es sind Meisterwerke ornamentaler Kleinkunst. Inzwischen hatte auch der Seminarleiter das Bild des Netzplans am Board vielfarbig und künstlerisch ausgestaltet.
Ich sah auf die Uhr. Wir hatten inzwischen zwei Stunden mit derartigen Nichtigkeiten verplempert, die von der eigentlichen praktischen Arbeit abgingen. Ich erlaubte mir, mich zu Wort zu melden, als der Seminarleiter in seinen Unterlagen nach weiteren Folien kramte.
»Herr Müller, vielleicht haben Sie bemerkt, dass wir uns, was den Unterrichtsablauf anbelangt, deutlich auf dem kritischen Pfad befinden. Es wäre vielleicht ganz angeraten, die Intelligenz Ihrer Zuhörer nicht weiter zu unterschätzen und mit derartigen Beispielen aufzuhören. Wir sind hier, um uns mit dem DV-Programm vertraut zu machen. Ich denke, Sie dürfen beruhigt voraussetzen, dass die anwesenden Damen und Herren mit der Materie der Planung vertraut sind.«
Eine durch den Raum fliegende Kuh hätte ihn nicht mehr erschüttern können. Ein leises Raunen ging durch die Gesellschaft, das nicht fern von Belustigung war. Immerhin nahm er mich jetzt wahr.
»Frau - äh - äh ...«
Ich half ihm nicht.
»Also, Frau - äh -, wir müssen selbstverständlich zuerst die theoretischen Grundlagen erarbeiten. Ich muss Sie doch bitten, Ihren Übereifer noch ein wenig zu bremsen, wir haben noch einige wesentliche Themen abzuhandeln. Meine Herren ...«
»Im Übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich Wert auf eine höfliche Anredeform lege. Ich heiße weder Frau Äh noch ›meine Herren‹.«
Oh, ich war sauer!
Und Herr Müller für einen Augenblick mundtot.
Diese Schweigeminute nutzte einer der Teilnehmer, um vorzuschlagen, doch eine kleine Pause einzulegen. Wortlos nickte Herr Müller, und wir standen auf, um uns auf dem Gang die Füße zu vertreten.
»Sie haben dem armen Mann aber sehr deutlich gemacht, was Sie von ihm halten, Frau Farmunt«, sagte mein interessanter Kollege neben mir.
»Er hat doch auch sehr deutlich gemacht, was er von dummen Frauchen hält, Herr Daniels, oder?«
»Oh, nicht dass ich Mitleid mit ihm habe. Er benimmt sich stoffelig. Sie sind wahrscheinlich schon häufiger derart selbstgefälligen Typen begegnet. Frauen sind eben noch immer selten in solchen Positionen. Keiner bedauert das mehr als ich.«
Sein Lächeln hatte was. Doch. Darum überhörte ich für diesmal die kleine, unpassende Bemerkung am Ende.
»Wo ist denn unser Herr Schweitzer geblieben?«, fragte ich und sah mich um. Durch die offene Tür zum Seminarraum sah ich ihn am Tisch von Herrn Müller stehen und aufmerksam dessen Worten lauschen.
»Er hat es nicht so leicht wie Sie, Frau Farmunt. Schweitzer ist erst vor kurzem in Ihre Abteilung gekommen. Er hat - nun ja - weniger theoretische Vorkenntnisse.«
»Wollen Sie mir damit andeuten, dass mein Mitarbeiter von der Thematik, in der er mich unterstützen soll, keine Ahnung hat? Das hat mir Dr. Koenig bei dem Einstellungsgespräch allerdings dann vorenthalten.«
»Sagen wir, er hat quasi praktische Erfahrungen, Schweitzer hat lange auf Baustellen vor Ort gearbeitet. Ich selbst habe aber mit ihm auch noch nicht zu tun gehabt.«
»Na prima!«
»Ehrgeizig, was?«
Ich zuckte mit den Schultern. Klar war ich ehrgeizig. Sonst wäre ich nicht hier auf dieser Stelle gelandet.
Die Seminarteilnehmer versammelten sich inzwischen wieder in dem Raum und nahmen ihre Plätze ein. Meine Stimmung war eine Mischung von Ungeduld und schlechter Laune, was sich nicht dadurch besserte, dass Herr Müller jetzt überaus betont die Anrede »Frau Farmunt, meine Herren« pflegte.
»Frau Farmunt, meine Herren, es hat sich in der kurzen Pause gezeigt, dass durchaus noch Verständnisfragen zu dem theoretischen Teil bestehen, so dass ich jetzt gerne noch einmal für alle rekapitulieren möchte.«
Ich sah zu Herbert Schweitzer hin, der wieder gespannte Aufmerksamkeit demonstrierte. Aha, große Schwierigkeiten!
2. Faden, 1. Knoten
Auf der glutflüssigen Lava bildete sich eine dünne Hülle aus krustigen, erstarrten Steinmassen, als der unablässig kreisende Erdball allmählich abkühlte. Wie Schollen schwammen sie auf dem glühenden Meer, stießen aneinander, schoben sich übereinander, türmten sich hier zu Gebirgen auf, brachen dort zu tiefen Schluchten auseinander.
Aus den jungen Bergen quoll wie Blut aus frischen Wunden flüssiges Gestein, wirbelten Wolken aus Asche empor, Gase und Staub. Die Urkontinente, noch bloß und karg, ohne Leben, bewegten sich unendlich langsam gegeneinander, und an den Kanten, da, wo sie aneinanderrieben, bauten sich an den Bruch- und Verwerfungsstellen ungeheure Spannungen auf. Manchmal wurde die Spannung zu hoch, und unter mächtigem Beben rissen sie sich voneinander los, brach hartes Gestein auf, falteten sich Gebirge zu himmelhohen Klippen.
Später bildete sich aus den Gasen Wasser, es regnete. Meere und Ströme entstanden, ihre Wasser überfluteten das Land, spülten Gräben und Höhlen aus und sammelten sich in tiefen Gesteinsschichten. Die rauen Konturen wurden glattgeschliffen, Staub rieb im Wind an dem harten Fels, lagerte sich ab, verdichtete sich und wurde später zu fruchtbarem Boden.
Die Erde wurde älter, und ihre dünne Haut wurde durchzogen von einem Flechtwerk aus über- und unterirdischen Wasserläufen, sie bekam alte Narben von Rissen und Brüchen, sie war durchwachsen von Adern aus metallhaltigem Erz und von kristallisierten Mineralien. Manches Gestein enthielt strahlende Elemente, manches magnetische Kräfte. Manches auch solche Kräfte, die der Mensch noch nicht entdeckt hat, noch nicht mit seinen Erkenntnissen erklären kann.
Trotzdem sind sie da, diese Kräfte, wenn auch nicht alle sichtbar, nicht messbar, aber doch spürbar für die, die Sinne haben, sie zu fühlen. Sie ziehen sich durch Täler und Berge, durch glühende Geröllwüsten, durch eisige Tundren, durch düstere Wälder, goldene Steppen, entlang der schroffen Küsten und durch liebliche Auen. Und dort, wo sich diese Ströme, die Pfade der Kraft, in der Erde kreuzen, gab es schon immer auffällige Phänomene.
Es wachsen dort vielleicht seltsam geformte Pflanzen, oder es bleiben Stellen unerwartet kahl. Manche dieser Plätze werden auch von den Lebewesen gemieden, doch an vielen treffen sich dort Jahr ein, Jahr aus Scharen von Vögeln, dorthin ziehen sich die Tiere zurück, um ihren Nachwuchs zu gebären oder um den Tod zu erwarten.
An den Knotenpunkten der Kraftlinien geschahen schon immer sonderbare Dinge.
Menschen, die fühlen können, finden dort die Tore zur Autre Monde. Wenn sie es wagen, die Brücke zu überschreiten, kommen sie immer verändert zurück.
Sie wurden als Weise geachtet, als Wissende und Führer, als Hexen verbrannt und als Wahnsinnige eingesperrt.
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Autoren-Porträt von Andrea Schacht
Andrea Schacht, Jg. 1956, war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin in der Industrie und als Unternehmensberaterin tätig, hat dann aber dem seit Jugendtagen gehegten Wunsch nachgegeben, Schriftstellerin zu werden. Sie lebt heute als freie Schriftstellerin in der Nähe von Bad Godesberg. Neben erfolgreichen historischen Romanen hat sie etliche Bücher veröffentlicht, in denen Katzen eine Hauptrolle spielen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andrea Schacht
- 480 Seiten, Maße: 13,7 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868009647
- ISBN-13: 9783868009644
Kommentare zu "Die keltische Schwester"
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