Die letzte Konkubine
Die 11jährige Sachi kommt als Dienerin in den Palast des Shogun. Ihre aufgeweckte Art gefällt dem Shogun und sie wird seine erste Konkubine. Doch dann ist die Macht des Shogun gefährdet und der Palast wird von kaiserlichen Truppen...
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Produktinformationen zu „Die letzte Konkubine “
Die 11jährige Sachi kommt als Dienerin in den Palast des Shogun. Ihre aufgeweckte Art gefällt dem Shogun und sie wird seine erste Konkubine. Doch dann ist die Macht des Shogun gefährdet und der Palast wird von kaiserlichen Truppen angegriffen. Und Sachi muss in einer waghalsigen Aktion fliehen.
Klappentext zu „Die letzte Konkubine “
Die Suche einer mutigen Frau nach Liebe in einer freieren WeltSachi ist elf, als sich ihr Leben für immer verändert. Das Mädchen mit der weißen Haut und den tiefgrünen Augen wird als Dienerin in den Palast des Shogun befohlen. Künftig lebt sie in der abgeschlossenen Welt des Frauenpalastes. Mit ihrer ungestümen Lebendigkeit erobert Sachi schließlich das Herz des jungen Shogun und steigt zu seiner ersten Konkubine auf. Doch die Macht des Herrschers ist bedroht und als eines Tages die kaiserlichen Truppen unerwartet angreifen, gelingt es Sachi in einer waghalsigen Aktion den brennenden Palast zu verlassen ...
Eine Reise in eine faszinierende, untergegangene Welt!
Lese-Probe zu „Die letzte Konkubine “
Die letzte Kokubine von Lesley Downer TEIL I Das Dorf
1 Kiso-Tal, 1861
Oshikaraji Ohne Bedauern,
kimi to tami to no wenn es für dich ist, mein Gebieter
tame naraba und dein Volk,
... mehr
mi wa Musashino no werde ich mit dem Tau vergehen
tsuyu to kiyu tomo auf der Ebene von Musashi Prinzessin Kazu, 1861 I
»Shita ni iyo! Shita ni iyo! Shita ni ... Shita ni ... Auf die Knie! Auf die Knie! Runter ... Runter ...«
Die Rufe wehten über das Tal, so leise, dass es auch das Rascheln der Blätter im Wind hätte sein können. Auf der Passhöhe, wo sich die Straße ins Tal senkte, spitzten vier Kinder mit zerzaustem Haar und in ausgeblichenen, geflickten Kimonos die Ohren. Es war einer jener späten Herbsttage, an denen alles wie gebannt erscheint, wie in atemloser Erwartung. Die Kiefern, welche die Landstraße säumten, wirkten unheimlich still, und die leichte Brise hob kaum die vermodernden roten und goldenen Blätter an, die, zu ordentlichen Haufen zusammengekehrt, ein Stück vom Straßenrand lagen. Ein Sperber kreiste träge, und kurz zog eine Schar Wildgänse über den Himmel. Hinter einer Biegung der Straße stieg der vertraute Geruch von Holzrauch auf, vermischt mit Pferdedung, menschlichen Exkrementen und Misosuppe. Von Zeit zu Zeit krähte ein Hahn, und die Dorfhunde antworteten vereint mit Gebell. Doch abgesehen davon war das Tal still. Normalerweise wäre die Landstraße verstopft gewesen von Menschen, Palankinen und Pferden, so weit das Auge reichte. An diesem Tag war sie vollkommen leer.
So würde sich Sachi stets an diesen Tag erinnern, wenn sie Jahre später daran zurückdachte die Kiefern alle so hoch und dunkel, wie sie endlos in die Höhe strebten, die Himmelskuppel so blau und so nah, dass man meinte, sie berühren zu können, viel näher als die bleichen Berge, die am Horizont schimmerten.
Sachi war elf, aber klein und schmächtig. Im Sommer war sie so dunkelbraun wie eine der berühmten Kiso-Kastanien. Doch jetzt war ihre Haut erschreckend durchscheinend und blass, fast so weiß wie ihr Atem in der frostigen Luft. Sie wünschte sich oft, so braun und stämmig wie die anderen Kinder zu sein. Sogar Sachis Augen waren anders. Während die Augen ihrer Freunde braun oder schwarz waren, hatten ihre eine dunkelgrüne Farbe, so grün wie die Kiefern im Sommer oder das Moos auf dem Waldboden. Aber insgeheim gefiel ihr diese weiße Haut. Manchmal kniete sie sich vor den trüben Spiegel ihrer Mutter und blickte in ihr blasses Gesicht. Dann nahm sie den Kamm heraus, den sie in ihrem Ärmel verborgen hielt. Er war ihr Talisman, ihr Glücksbringer, wunderschön, glänzend und funkelnd. Der Kamm gehörte ihr schon, solange sie sich erinnern konnte. Niemand sonst hatte so einen. Langsam, nachdenklich, kämmte sie dann ihr Haar, bis es glänzte, und band es mit einem Stück hellrotem Kreppstoff zurück.
Vor zwei Sommern waren Wanderschauspieler durch das Dorf gekommen. Ein paar Tage lang hatten sie Geistergeschichten auf einer rasch zusammengezimmerten Bühne aufgeführt und allen Schauder über den Rücken gejagt. Die Kinder hockten beieinander, erstarrt vor Furcht, beobachteten das Drama einer betrogenen Ehefrau, die vor Kummer stirbt. Am Ende des Stücks schwebte die tote Frau plötzlich vor ihrem treulosen Gatten in der Luft, das Gesicht kreideweiß. Während sie ihr langes schwarzes Haar kämmte, fiel es in Büscheln aus. Die Kinder schrien so laut, dass niemand mehr die Worte der Schauspieler verstehen konnte. Wenn die anderen Sachi jetzt necken wollten, behaupteten sie, dass auch sie ein Geist sein müsse.
»Kränklich«, nannte ihre Großmutter sie. Manchmal hörte das Mädchen, wie sie mit Sachis Mutter schimpfte. »Dein Kind, diese Sa«, grummelte sie dann. »Du verwöhnst sie! Wie soll sie je einen Mann bekommen, so bleich und kränklich, wie sie ist? Und so eitel, kämmt sich dauernd das Haar. Keiner will eine Ehefrau, die ständig vor dem Spiegel hockt. Du brauchst eine Tochter mit breiten, gebärfreudigen Hüften, die weiß, wie man arbeitet, verstehst du? Sonst wirst du sie nie los.«
»Sie ist eben zart«, sagte ihre Mutter dann nachsichtig. »Sie ist nicht wie die anderen Kinder. Aber wenigstens ist sie hübsch.« Stets ergriff sie für Sachi Partei.
Die Antwort ihrer Großmutter war immer dieselbe.
»>Hübsch< das mag ja ganz nett sein. Aber was taugt >hübsch< schon für die Frau eines Bauern?« Sachi rieb ihre Hände, blies hinein und trat von einem Fuß auf den anderen. Trotz der vielen Lagen rauer Baumwolle, der dick wattierten Jacke, die ihre Mutter für sie aufgetrieben hatte, und der um ihren Kopf gewickelten Tücher war ihr immer noch kalt. Das Einzige, was ihr etwas Wärme spendete, war der in eine Schlinge geknüpfte Säugling auf ihrem Rücken. Die Kleine schlief fest, ihr Kopf wippte hin und her wie der einer Lumpenpuppe. Neben Sachi kauerte ihre Freundin Mitsu. Die beiden waren seit frühester Kindheit unzertrennlich. Äußerlich war Mitsu das genaue Gegenteil von Sachi, so braun und untersetzt, dass sie fast an einen Affen erinnerte, mit kleinen Augen und einer Stupsnase.
Als Mitsu geboren wurde, hatte ihre Mutter die Hebamme gebeten, das Kind zu töten. »Sie ist so hässlich, dass sie nie einen Mann bekommt«, hatte sie gesagt. »Und was machen wir dann mit ihr?« Die Hebamme hatte genickt. Es war eine vernünftige Forderung, viele Kinder wurden gleich nach der Geburt getötet. Die Hebamme spuckte auf ein Stück Papier, legte es dem Neugeborenen über Mund und Nase und wickelte es eng in Lumpen ein. Aber gerade als sie dachten, die Kleine sei tot, hatte sie zu strampeln begonnen und dann zu schreien und zu brüllen. Die Götter, so schien es, hatten beschlossen, sie am Leben zu lassen. »Und wer sind wir, den Göttern ins Handwerk zu pfuschen?«, sagte Mitsus Mutter immer und spreizte ihre von der Arbeit geröteten Hände. Sie schien ihre Tochter wegen ihres wundersamen Entkommens umso mehr zu lieben. Mitsu, ein fröhliches, praktisch veranlagtes, fürsorgliches Mädchen, scherte sich wenig um die Geschichte ihrer legendären Hässlichkeit. Genau wie Sachi trug sie eines ihrer Geschwister auf dem Rücken.
Die Geräusche von der anderen Seite des Tales wurden lauter. Bei angestrengtem Hören konnten die Kinder das Knirschen der Füße, das gedämpfte Klappern der mit Stroh um wickelten Pferdehufe, das Klirren von Eisen auf Eisen und Eisen auf Stein ausmachen. Über dem Lärm erhob sich ein Chor von Stimmen, zuerst als Gebrabbel, dann zunehmend deutlicher, in Singsangtönen immer und immer wiederholt: »Shita ni iyo! Shita ni iyo! Shita ni ... Shita ni ...« Die Marschierenden waren nach wie vor tief im Wald verborgen. Doch die Stimmen hörten nie auf, nicht für einen Augenblick. Es war, als erwarteten sie, dass alles die hohen Bäume mit ihren dicken Blätterkronen und Nadeln, die Pflanzen, Wölfe, Füchse, Hirsche, die schwerfälligen Schwarzbären und die grimmigen Bergkeiler mit den scharfen Hauern auf die Knie sank.
Genzaburo, der unangefochtene Anführer der Kinder, kletterte auf einen Baum und hangelte sich an einem Ast entlang, bis er gefährlich über der Straße schwankte. Der drahtige, langgliedrige Junge mit seiner von der Sonne dunkel gebrannten Haut und dem koboldhaften Grinsen geriet ständig in die Klemme, schlich sich weg, um Fische zu angeln oder im Fluss zu schwimmen, wenn er hätte arbeiten sollen. Er hatte die Angewohnheit, sich von hinten an ein Pferd anzuschleichen, ihm ein paar Haare aus dem Schweif zu reißen und dann Fersengeld zu geben, während ihm der Pferdeknecht hinterherrannte. Graue Haare eigneten sich am besten als Angelschnüre, weil die Fische sie nicht sehen konnten, daher war es immer eine besondere Herausforderung, ein paar davon zu packen, wenn ein graues Pferd vorbeikam. Genzaburo hatte sich außerdem einen Namen damit gemacht, einen wilden Eber niederzuringen, der eines Tages ins Dorf gestürmt gekommen war und alle in Angst und Schrecken versetzt hatte. Damals war der Junge erst zehn gewesen. Er hatte dem Eber Hiebe verpasst und ihn wieder und wieder getreten, bis das Biest den Schwanz einzog und sich zurück in den Wald trollte. Gelegentlich zeigte Genzaburo die Narbe an seinem Arm vor, wo der Hauer ihn durchbohrt hatte. Das war sein Ehrenmal.
Nur Chobei, das jüngste der Kinder, Sachis Bruder, ein schmuddeliger kleiner Junge mit stacheligem Haar, eingepackt in einen dicken braunen Kimono, schenkte dem sich nähernden Tumult keine Aufmerksamkeit. Er hockte am Wegrand und betrachtete eine Eidechse, die aus dem Unterholz gehuscht war.
Genzaburo hangelte sich weiter auf dem Ast vor, kniff die Augen zusammen und spähte in die Ferne. »Sie kommen! Sie kommen!«, rief er.
Kurz drauf konnten alle die Banner sehen, die über die Bäume ragten, rot, purpur und gold, flatternd wie Blütenblätter. Lichtblitze fingen sich in den Stahlspitzen der Standarten und Lanzen. Alle Kinder schauten gespannt hin, und ihre Herzen klopften wie wild. Sie alle wussten ganz genau, was »Shita ni iyo!« bedeutete. Es war die erste Lektion, die sie je gelernt hatten. Sie hatten alle die großen rauen Hände ihrer Väter auf ihrem Kopf gespürt, die sie auf die Knie drückten, bis ihre Gesichter im Staub lagen. Sie konnten beinahe die Stimmen ihrer Väter hören, die sie anbrüllten: »Runter jetzt, sofort! Sonst wirst du noch getötet, hast du verstanden?« Niemand hatte das grausame Schicksal von Sohei, dem Trunkenbold, vergessen. Ein paar Jahre zuvor hatte er einige Sake zu viel getrunken und war einer Prozession in den Weg gestolpert. Ehe ihn jemand zurückzerren konnte, hatten zwei Samurai ihre Schwerter gezogen und ihn enthauptet, direkt da auf der Straße. Die Dorfbewohner hatten seine Leiche in betäubtem Schweigen aus dem Weg geräumt. Das zeigte einmal mehr, wie wertlos das Leben war. Die Samurai waren ihre Herren; sie hatten die Macht über Leben und Tod. So war es immer gewesen und würde es immer sein.
Aber die Banner waren noch weit entfernt. Die Kinder schauten und schauten, ängstlich erregt, etwas so Verbotenes und Gefährliches zu tun.
In der Ferne strömten winzige Gestalten in Blau und Schwarz aus dem Wald. Die Kinder beschatteten ihre Augen und erkannten Bataillone von Fußsoldaten in enger Formation, berittene Krieger, auf deren Helmen die Hornspitzen glänzten, und lange Reihen von Trägern, die schimmernde Lacktruhen schleppten. Die Gestalten wurden größer, als die Marschkolonne näher kam. Das Klirren der Metallringe an den Stäben der Wächter, das Schlurfen der Füße, das Knirschen der Hufe und der bedrohliche Chor »Shita ni iyo! Shita ni iyo! Shita ni ... Shita ni ...« wurden lauter und lauter. Plötzlich brach der Bann.
Die Kinder fassten sich an den Händen, stolperten und strauchelten in ihrer Panik, machten kehrt und rannten mit den auf ihren Rücken hin und her schaukelnden Geschwistern Hals über Kopf den Hang hinunter. Der Berg, in dessen Schatten das Dorf lag, war so hoch und steil, dass die ersten Sonnenstrahlen gerade erst die eisige Luft durchdrangen, obgleich es die Stunde des Pferdes war und die Sonne fast schon ihren höchsten Stand erreicht hatte. Als die Kinder zum Anfang der Straße kamen, blieben sie stehen, um Luft zu schöpfen. Noch nie hatten sie hier so viele Menschen gesehen. Die wackeligen Gasthäuser zu beiden Seiten der Straße schienen unter dem Ansturm zu schwanken. Die Gastwirte hatten die aus Bambusstäben gefertigten Türen aufgestoßen, und Wolken von Holzrauch wirbelten aus dem höhlenartigen Inneren. Gruppen o-beiniger Lastenträger in wattierten Baumwolljacken und Beinkleidern drängten hinein und hinaus, schlürften Gerstenschleim aus Schalen. Pferdeknechte mühten sich mit übellaunigen Gäulen ab, kaum größer als Ponys, legten ihnen Sättel auf und banden ihnen Stroh um die Hufe. Andere hüpften in Strohmänteln durch die Menge wie lebende Heuhaufen. Viele standen nur wartend da, strichen über ihre langstieligen Pfeifen. Einige stammten aus dem Ort oder aus nahe gelegenen Dörfern und tauchten immer dann auf, wenn Träger oder Pferdeknechte gebraucht wurden. Aber die meisten waren Fremde, knorrige Männer aus Dörfern tief in den Tälern der Berge, und hatten einen ganzen Tag wandern müssen, um hierherzukommen. In der Mitte der Menge stand ein großer Mann mit einem breiten, ruhigen Gesicht und einer dicken Mähne, die in einem Pferdeschwanz zurückgebunden war. Er brüllte Befehle, fuchtelte mit den Armen, schickte Menschen hierhin und dorthin. Sachi und die anderen drängelten sich durch, duckten sich unter Ellbogen und zupften ihn am Ärmel.
»Die Prinzessin kommt! Die Prinzessin kommt!«, riefen sie im Chor.
Er grinste zu ihnen hinunter und tätschelte ihnen anerkennend die Köpfe. »Gut, gut«, blaffte er. »Jetzt geht wieder hinein zu euren Müttern, aber sofort!« II
Jiroemon war Sachis Vater und der Dorfvorsteher. Er war für alles verantwortlich, was im Dorf vorging, wie es seine Familie seit Generationen gewesen war. Er hatte den Posten vor zehn Jahren übernommen, als sein Vater alt und gebrechlich wurde. In der Vergangenheit hatte die Familie die beiden Schwerter getragen, die sie als Samurai auswiesen, doch das Privileg war ihnen vor Jahrhunderten entzogen worden; allerdings trug Jiroemon immer noch das kurze, zeremonielle Schwert zum Zeichen seines höheren Status. Er war ein großer Mann groß zumindest im Vergleich zu den anderen Dorfbewohnern, die gedrungen und stämmig waren, echte Kiso-»Bergaffen«. Vermutlich war er noch keine vierzig wenige Erwachsene im Dorf behielten im Auge, wie alt sie tatsächlich waren , doch sein Gesicht war bereits zerfurcht von den Jahren, in denen er zwischen den Dorfbewohnern und der Obrigkeit vermitteln musste. Das ganze Land von Kiso gehörte dem örtlichen Lehnsfürsten, und es gab nur einen kleinen Teil des Waldes, in dem die Dorfbewohner zum Eigenbedarf Holz schlagen durften. Jedes Jahr wurden von Bewohnern, die dringend Feuerholz brauchten, Bäume gefällt. Die Strafe dafür lautete offiziell »ein Baum, ein Kopf«, wobei Jiroemon jedes Mal um Nachsicht flehte. Den Dorfbewohnern war nie erlaubt, auch nur für einen Moment zu vergessen, dass sie in den Augen ihrer Lehnsfürsten nicht besser waren als Tiere.
Jiroemons Hauptaufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass der Verkehr im Bereich des Nakasendo der Inneren Bergstraße reibungslos lief. Gewöhnlich war die Landstraße, die durch das Dorf führte, mit Reisenden aus den unterschiedlichsten Gegenden verstopft. Pilgergruppen in ihren weißen Gewändern schritten mit klingenden Glöckchen gemächlich voran, auf dem Weg zu entfernten Schreinen, obwohl die meisten von ihnen mehr Interesse daran zu haben schienen, sich gut zu amüsieren und die Welt zu sehen, als sich Gebeten und Frömmigkeit zu widmen. Einige waren wohlhabende Kaufleute, begleitet von einem Gefolge an Gemahlinnen, Konkubinen und Dienstboten, alle hochmodisch gekleidet. Manche waren arme Bauern, und wieder andere erbettelten sich ihren Weg, waren auf Almosen angewiesen. Es gab Kolonnen von Samurai zu Pferde oder in Palankinen und Geschäftsreisende mit Warenladungen, verpackt in Truhen und getragen von Trägerkarawanen. Wandernde Dichter blieben für ein paar Tage, um Abende mit Gedichtlesungen zu leiten, und Gelehrte und Priester versorgten die Dorfbewohner mit den deftigsten Nachrichten, Kontroversen und Klatschgeschichten aus den drei großen Städten Osaka, Kyoto und Edo. Dann gab es noch die Postkuriere, die nur lange genug haltmachten, um die Pferde zu wechseln, und Gestalten mit unstetem Blick, von denen jeder wusste, dass es Spione oder Polizeiagenten waren, die alle anderen Reisenden im Auge behielten.
Zählte man zu ihnen noch die abtrünnigen Samurai hinzu, die Kesselflicker, Verbrecher, Spieler, reisenden Darsteller, Zauberer, Gauner und Verkäufer von Krötenöl mit der Garantie, alle Gebrechen unter der Sonne zu heilen , gab es genug, um den Dorfbewohnern ihr Auskommen zu sichern. Jeden Abend waren die Geishas in großer Zahl unterwegs, um vorbeigehende Männer für sich zu gewinnen. Der Klang von Musik, Lustbarkeiten und Tanz drang aus den von Lampen erleuchteten Gasthäusern auf die dunkle Straße.
Jiroemon führte ebenfalls ein Gasthaus, aber seines war ein prächtiges und exklusives, vorbehalten für die Daimyo, die jedes Jahr die Innere Bergstraße bereisten. Außerhalb der Saison war es Beamten und anderen wichtigen oder sehr reichen Persönlichkeiten gestattet, hier ebenfalls zu übernachten. Die Daimyo waren ländliche Fürsten. Jeder regierte über sein eigenes kleines Lehen und hielt sich eine eigene Armee. Sie trieben Steuern ein und hatten Macht über Leben und Tod ihrer Untertanen. Doch sie alle schuldeten dem Shogun in Edo Gehorsam und waren verpflichtet, einmal im Jahr dorthin zu reisen, um ihm ihre Reverenz zu erweisen, sich bei Hofe zu zeigen und mehrere Monate dort zu verbringen. Jeder besaß zwei oder drei Paläste in der Stadt, wo ihre Frauen ständig leben mussten, Gefangene in goldenen Käfigen.
Es gab vierunddreißig bedeutende oder unbedeutendere Daimyo, welche die Innere Bergstraße benutzten. Einige reisten in die eine Richtung, einige in die andere, östlich nach Edo oder westlich nach Kyoto, der heiligen Stadt und offiziellen Hauptstadt des Landes, wo der Kaiser in Abgeschiedenheit lebte. Sie wurden immer von einem prächtigen Gefolge begleitet, das aus Hunderten von Vasallen und Wächtern bestand. Das war ein atemberaubendes Spektakel. Die Bauern hatten sich von der Straße fernzuhalten, wenn die Daimyo durchzogen, oder zumindest mit gebeugtem Kopf auf Hände und Knie zu sinken. Dennoch versuchten sie stets, so viel von der Prozession zu sehen, wie sie wagten. Alle, bis auf die Palankinträger, waren schmuck in schwarze Seide gekleidet. Manche saßen zu Pferde, aber die meisten marschierten zu Fuß in enger Formation. Die Rangniederen, die Pikeniere und Träger von Sonnenhüten, Schirmen und Truhen, zogen für die kauernden Dorfbewohner stets eine große Schau ab, stolzierten in den am Rücken hochgesteckten Gewändern, wobei ihre bloßen Hinterteile in der Sonne schimmerten und nur ein Lendentuch den Spalt bedeckte. Bei jedem Schritt hoben sie die Ferse ruckhaft bis zum Hinterteil und warfen den anderen Arm nach vorne, als schwämmen sie durch die Luft. Die Pikeniere wirbelten ihre Piken herum, die Hutträger ihre Hüte und die Schirmträger ihre Schirme, alle in genau dem gleichen Rhythmus. Die Prozessionen machten stets in Jiroemons Dorf halt, um zu ruhen und Pferde und Träger zu wechseln. Während das Fußvolk beschäftigt war, wurden die Palankine mit dem Daimyo und seinen Gefolgsmännern zu Jiroemons Gasthaus getragen, wo Tee getrunken oder übernachtet wurde.
Copyright © der Oririnalausgabe 2008 by Lesley Downer
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008
Übersetzung:»Susanne Aeckerle«
tsuyu to kiyu tomo auf der Ebene von Musashi Prinzessin Kazu, 1861 I
»Shita ni iyo! Shita ni iyo! Shita ni ... Shita ni ... Auf die Knie! Auf die Knie! Runter ... Runter ...«
Die Rufe wehten über das Tal, so leise, dass es auch das Rascheln der Blätter im Wind hätte sein können. Auf der Passhöhe, wo sich die Straße ins Tal senkte, spitzten vier Kinder mit zerzaustem Haar und in ausgeblichenen, geflickten Kimonos die Ohren. Es war einer jener späten Herbsttage, an denen alles wie gebannt erscheint, wie in atemloser Erwartung. Die Kiefern, welche die Landstraße säumten, wirkten unheimlich still, und die leichte Brise hob kaum die vermodernden roten und goldenen Blätter an, die, zu ordentlichen Haufen zusammengekehrt, ein Stück vom Straßenrand lagen. Ein Sperber kreiste träge, und kurz zog eine Schar Wildgänse über den Himmel. Hinter einer Biegung der Straße stieg der vertraute Geruch von Holzrauch auf, vermischt mit Pferdedung, menschlichen Exkrementen und Misosuppe. Von Zeit zu Zeit krähte ein Hahn, und die Dorfhunde antworteten vereint mit Gebell. Doch abgesehen davon war das Tal still. Normalerweise wäre die Landstraße verstopft gewesen von Menschen, Palankinen und Pferden, so weit das Auge reichte. An diesem Tag war sie vollkommen leer.
So würde sich Sachi stets an diesen Tag erinnern, wenn sie Jahre später daran zurückdachte die Kiefern alle so hoch und dunkel, wie sie endlos in die Höhe strebten, die Himmelskuppel so blau und so nah, dass man meinte, sie berühren zu können, viel näher als die bleichen Berge, die am Horizont schimmerten.
Sachi war elf, aber klein und schmächtig. Im Sommer war sie so dunkelbraun wie eine der berühmten Kiso-Kastanien. Doch jetzt war ihre Haut erschreckend durchscheinend und blass, fast so weiß wie ihr Atem in der frostigen Luft. Sie wünschte sich oft, so braun und stämmig wie die anderen Kinder zu sein. Sogar Sachis Augen waren anders. Während die Augen ihrer Freunde braun oder schwarz waren, hatten ihre eine dunkelgrüne Farbe, so grün wie die Kiefern im Sommer oder das Moos auf dem Waldboden. Aber insgeheim gefiel ihr diese weiße Haut. Manchmal kniete sie sich vor den trüben Spiegel ihrer Mutter und blickte in ihr blasses Gesicht. Dann nahm sie den Kamm heraus, den sie in ihrem Ärmel verborgen hielt. Er war ihr Talisman, ihr Glücksbringer, wunderschön, glänzend und funkelnd. Der Kamm gehörte ihr schon, solange sie sich erinnern konnte. Niemand sonst hatte so einen. Langsam, nachdenklich, kämmte sie dann ihr Haar, bis es glänzte, und band es mit einem Stück hellrotem Kreppstoff zurück.
Vor zwei Sommern waren Wanderschauspieler durch das Dorf gekommen. Ein paar Tage lang hatten sie Geistergeschichten auf einer rasch zusammengezimmerten Bühne aufgeführt und allen Schauder über den Rücken gejagt. Die Kinder hockten beieinander, erstarrt vor Furcht, beobachteten das Drama einer betrogenen Ehefrau, die vor Kummer stirbt. Am Ende des Stücks schwebte die tote Frau plötzlich vor ihrem treulosen Gatten in der Luft, das Gesicht kreideweiß. Während sie ihr langes schwarzes Haar kämmte, fiel es in Büscheln aus. Die Kinder schrien so laut, dass niemand mehr die Worte der Schauspieler verstehen konnte. Wenn die anderen Sachi jetzt necken wollten, behaupteten sie, dass auch sie ein Geist sein müsse.
»Kränklich«, nannte ihre Großmutter sie. Manchmal hörte das Mädchen, wie sie mit Sachis Mutter schimpfte. »Dein Kind, diese Sa«, grummelte sie dann. »Du verwöhnst sie! Wie soll sie je einen Mann bekommen, so bleich und kränklich, wie sie ist? Und so eitel, kämmt sich dauernd das Haar. Keiner will eine Ehefrau, die ständig vor dem Spiegel hockt. Du brauchst eine Tochter mit breiten, gebärfreudigen Hüften, die weiß, wie man arbeitet, verstehst du? Sonst wirst du sie nie los.«
»Sie ist eben zart«, sagte ihre Mutter dann nachsichtig. »Sie ist nicht wie die anderen Kinder. Aber wenigstens ist sie hübsch.« Stets ergriff sie für Sachi Partei.
Die Antwort ihrer Großmutter war immer dieselbe.
»>Hübsch< das mag ja ganz nett sein. Aber was taugt >hübsch< schon für die Frau eines Bauern?« Sachi rieb ihre Hände, blies hinein und trat von einem Fuß auf den anderen. Trotz der vielen Lagen rauer Baumwolle, der dick wattierten Jacke, die ihre Mutter für sie aufgetrieben hatte, und der um ihren Kopf gewickelten Tücher war ihr immer noch kalt. Das Einzige, was ihr etwas Wärme spendete, war der in eine Schlinge geknüpfte Säugling auf ihrem Rücken. Die Kleine schlief fest, ihr Kopf wippte hin und her wie der einer Lumpenpuppe. Neben Sachi kauerte ihre Freundin Mitsu. Die beiden waren seit frühester Kindheit unzertrennlich. Äußerlich war Mitsu das genaue Gegenteil von Sachi, so braun und untersetzt, dass sie fast an einen Affen erinnerte, mit kleinen Augen und einer Stupsnase.
Als Mitsu geboren wurde, hatte ihre Mutter die Hebamme gebeten, das Kind zu töten. »Sie ist so hässlich, dass sie nie einen Mann bekommt«, hatte sie gesagt. »Und was machen wir dann mit ihr?« Die Hebamme hatte genickt. Es war eine vernünftige Forderung, viele Kinder wurden gleich nach der Geburt getötet. Die Hebamme spuckte auf ein Stück Papier, legte es dem Neugeborenen über Mund und Nase und wickelte es eng in Lumpen ein. Aber gerade als sie dachten, die Kleine sei tot, hatte sie zu strampeln begonnen und dann zu schreien und zu brüllen. Die Götter, so schien es, hatten beschlossen, sie am Leben zu lassen. »Und wer sind wir, den Göttern ins Handwerk zu pfuschen?«, sagte Mitsus Mutter immer und spreizte ihre von der Arbeit geröteten Hände. Sie schien ihre Tochter wegen ihres wundersamen Entkommens umso mehr zu lieben. Mitsu, ein fröhliches, praktisch veranlagtes, fürsorgliches Mädchen, scherte sich wenig um die Geschichte ihrer legendären Hässlichkeit. Genau wie Sachi trug sie eines ihrer Geschwister auf dem Rücken.
Die Geräusche von der anderen Seite des Tales wurden lauter. Bei angestrengtem Hören konnten die Kinder das Knirschen der Füße, das gedämpfte Klappern der mit Stroh um wickelten Pferdehufe, das Klirren von Eisen auf Eisen und Eisen auf Stein ausmachen. Über dem Lärm erhob sich ein Chor von Stimmen, zuerst als Gebrabbel, dann zunehmend deutlicher, in Singsangtönen immer und immer wiederholt: »Shita ni iyo! Shita ni iyo! Shita ni ... Shita ni ...« Die Marschierenden waren nach wie vor tief im Wald verborgen. Doch die Stimmen hörten nie auf, nicht für einen Augenblick. Es war, als erwarteten sie, dass alles die hohen Bäume mit ihren dicken Blätterkronen und Nadeln, die Pflanzen, Wölfe, Füchse, Hirsche, die schwerfälligen Schwarzbären und die grimmigen Bergkeiler mit den scharfen Hauern auf die Knie sank.
Genzaburo, der unangefochtene Anführer der Kinder, kletterte auf einen Baum und hangelte sich an einem Ast entlang, bis er gefährlich über der Straße schwankte. Der drahtige, langgliedrige Junge mit seiner von der Sonne dunkel gebrannten Haut und dem koboldhaften Grinsen geriet ständig in die Klemme, schlich sich weg, um Fische zu angeln oder im Fluss zu schwimmen, wenn er hätte arbeiten sollen. Er hatte die Angewohnheit, sich von hinten an ein Pferd anzuschleichen, ihm ein paar Haare aus dem Schweif zu reißen und dann Fersengeld zu geben, während ihm der Pferdeknecht hinterherrannte. Graue Haare eigneten sich am besten als Angelschnüre, weil die Fische sie nicht sehen konnten, daher war es immer eine besondere Herausforderung, ein paar davon zu packen, wenn ein graues Pferd vorbeikam. Genzaburo hatte sich außerdem einen Namen damit gemacht, einen wilden Eber niederzuringen, der eines Tages ins Dorf gestürmt gekommen war und alle in Angst und Schrecken versetzt hatte. Damals war der Junge erst zehn gewesen. Er hatte dem Eber Hiebe verpasst und ihn wieder und wieder getreten, bis das Biest den Schwanz einzog und sich zurück in den Wald trollte. Gelegentlich zeigte Genzaburo die Narbe an seinem Arm vor, wo der Hauer ihn durchbohrt hatte. Das war sein Ehrenmal.
Nur Chobei, das jüngste der Kinder, Sachis Bruder, ein schmuddeliger kleiner Junge mit stacheligem Haar, eingepackt in einen dicken braunen Kimono, schenkte dem sich nähernden Tumult keine Aufmerksamkeit. Er hockte am Wegrand und betrachtete eine Eidechse, die aus dem Unterholz gehuscht war.
Genzaburo hangelte sich weiter auf dem Ast vor, kniff die Augen zusammen und spähte in die Ferne. »Sie kommen! Sie kommen!«, rief er.
Kurz drauf konnten alle die Banner sehen, die über die Bäume ragten, rot, purpur und gold, flatternd wie Blütenblätter. Lichtblitze fingen sich in den Stahlspitzen der Standarten und Lanzen. Alle Kinder schauten gespannt hin, und ihre Herzen klopften wie wild. Sie alle wussten ganz genau, was »Shita ni iyo!« bedeutete. Es war die erste Lektion, die sie je gelernt hatten. Sie hatten alle die großen rauen Hände ihrer Väter auf ihrem Kopf gespürt, die sie auf die Knie drückten, bis ihre Gesichter im Staub lagen. Sie konnten beinahe die Stimmen ihrer Väter hören, die sie anbrüllten: »Runter jetzt, sofort! Sonst wirst du noch getötet, hast du verstanden?« Niemand hatte das grausame Schicksal von Sohei, dem Trunkenbold, vergessen. Ein paar Jahre zuvor hatte er einige Sake zu viel getrunken und war einer Prozession in den Weg gestolpert. Ehe ihn jemand zurückzerren konnte, hatten zwei Samurai ihre Schwerter gezogen und ihn enthauptet, direkt da auf der Straße. Die Dorfbewohner hatten seine Leiche in betäubtem Schweigen aus dem Weg geräumt. Das zeigte einmal mehr, wie wertlos das Leben war. Die Samurai waren ihre Herren; sie hatten die Macht über Leben und Tod. So war es immer gewesen und würde es immer sein.
Aber die Banner waren noch weit entfernt. Die Kinder schauten und schauten, ängstlich erregt, etwas so Verbotenes und Gefährliches zu tun.
In der Ferne strömten winzige Gestalten in Blau und Schwarz aus dem Wald. Die Kinder beschatteten ihre Augen und erkannten Bataillone von Fußsoldaten in enger Formation, berittene Krieger, auf deren Helmen die Hornspitzen glänzten, und lange Reihen von Trägern, die schimmernde Lacktruhen schleppten. Die Gestalten wurden größer, als die Marschkolonne näher kam. Das Klirren der Metallringe an den Stäben der Wächter, das Schlurfen der Füße, das Knirschen der Hufe und der bedrohliche Chor »Shita ni iyo! Shita ni iyo! Shita ni ... Shita ni ...« wurden lauter und lauter. Plötzlich brach der Bann.
Die Kinder fassten sich an den Händen, stolperten und strauchelten in ihrer Panik, machten kehrt und rannten mit den auf ihren Rücken hin und her schaukelnden Geschwistern Hals über Kopf den Hang hinunter. Der Berg, in dessen Schatten das Dorf lag, war so hoch und steil, dass die ersten Sonnenstrahlen gerade erst die eisige Luft durchdrangen, obgleich es die Stunde des Pferdes war und die Sonne fast schon ihren höchsten Stand erreicht hatte. Als die Kinder zum Anfang der Straße kamen, blieben sie stehen, um Luft zu schöpfen. Noch nie hatten sie hier so viele Menschen gesehen. Die wackeligen Gasthäuser zu beiden Seiten der Straße schienen unter dem Ansturm zu schwanken. Die Gastwirte hatten die aus Bambusstäben gefertigten Türen aufgestoßen, und Wolken von Holzrauch wirbelten aus dem höhlenartigen Inneren. Gruppen o-beiniger Lastenträger in wattierten Baumwolljacken und Beinkleidern drängten hinein und hinaus, schlürften Gerstenschleim aus Schalen. Pferdeknechte mühten sich mit übellaunigen Gäulen ab, kaum größer als Ponys, legten ihnen Sättel auf und banden ihnen Stroh um die Hufe. Andere hüpften in Strohmänteln durch die Menge wie lebende Heuhaufen. Viele standen nur wartend da, strichen über ihre langstieligen Pfeifen. Einige stammten aus dem Ort oder aus nahe gelegenen Dörfern und tauchten immer dann auf, wenn Träger oder Pferdeknechte gebraucht wurden. Aber die meisten waren Fremde, knorrige Männer aus Dörfern tief in den Tälern der Berge, und hatten einen ganzen Tag wandern müssen, um hierherzukommen. In der Mitte der Menge stand ein großer Mann mit einem breiten, ruhigen Gesicht und einer dicken Mähne, die in einem Pferdeschwanz zurückgebunden war. Er brüllte Befehle, fuchtelte mit den Armen, schickte Menschen hierhin und dorthin. Sachi und die anderen drängelten sich durch, duckten sich unter Ellbogen und zupften ihn am Ärmel.
»Die Prinzessin kommt! Die Prinzessin kommt!«, riefen sie im Chor.
Er grinste zu ihnen hinunter und tätschelte ihnen anerkennend die Köpfe. »Gut, gut«, blaffte er. »Jetzt geht wieder hinein zu euren Müttern, aber sofort!« II
Jiroemon war Sachis Vater und der Dorfvorsteher. Er war für alles verantwortlich, was im Dorf vorging, wie es seine Familie seit Generationen gewesen war. Er hatte den Posten vor zehn Jahren übernommen, als sein Vater alt und gebrechlich wurde. In der Vergangenheit hatte die Familie die beiden Schwerter getragen, die sie als Samurai auswiesen, doch das Privileg war ihnen vor Jahrhunderten entzogen worden; allerdings trug Jiroemon immer noch das kurze, zeremonielle Schwert zum Zeichen seines höheren Status. Er war ein großer Mann groß zumindest im Vergleich zu den anderen Dorfbewohnern, die gedrungen und stämmig waren, echte Kiso-»Bergaffen«. Vermutlich war er noch keine vierzig wenige Erwachsene im Dorf behielten im Auge, wie alt sie tatsächlich waren , doch sein Gesicht war bereits zerfurcht von den Jahren, in denen er zwischen den Dorfbewohnern und der Obrigkeit vermitteln musste. Das ganze Land von Kiso gehörte dem örtlichen Lehnsfürsten, und es gab nur einen kleinen Teil des Waldes, in dem die Dorfbewohner zum Eigenbedarf Holz schlagen durften. Jedes Jahr wurden von Bewohnern, die dringend Feuerholz brauchten, Bäume gefällt. Die Strafe dafür lautete offiziell »ein Baum, ein Kopf«, wobei Jiroemon jedes Mal um Nachsicht flehte. Den Dorfbewohnern war nie erlaubt, auch nur für einen Moment zu vergessen, dass sie in den Augen ihrer Lehnsfürsten nicht besser waren als Tiere.
Jiroemons Hauptaufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass der Verkehr im Bereich des Nakasendo der Inneren Bergstraße reibungslos lief. Gewöhnlich war die Landstraße, die durch das Dorf führte, mit Reisenden aus den unterschiedlichsten Gegenden verstopft. Pilgergruppen in ihren weißen Gewändern schritten mit klingenden Glöckchen gemächlich voran, auf dem Weg zu entfernten Schreinen, obwohl die meisten von ihnen mehr Interesse daran zu haben schienen, sich gut zu amüsieren und die Welt zu sehen, als sich Gebeten und Frömmigkeit zu widmen. Einige waren wohlhabende Kaufleute, begleitet von einem Gefolge an Gemahlinnen, Konkubinen und Dienstboten, alle hochmodisch gekleidet. Manche waren arme Bauern, und wieder andere erbettelten sich ihren Weg, waren auf Almosen angewiesen. Es gab Kolonnen von Samurai zu Pferde oder in Palankinen und Geschäftsreisende mit Warenladungen, verpackt in Truhen und getragen von Trägerkarawanen. Wandernde Dichter blieben für ein paar Tage, um Abende mit Gedichtlesungen zu leiten, und Gelehrte und Priester versorgten die Dorfbewohner mit den deftigsten Nachrichten, Kontroversen und Klatschgeschichten aus den drei großen Städten Osaka, Kyoto und Edo. Dann gab es noch die Postkuriere, die nur lange genug haltmachten, um die Pferde zu wechseln, und Gestalten mit unstetem Blick, von denen jeder wusste, dass es Spione oder Polizeiagenten waren, die alle anderen Reisenden im Auge behielten.
Zählte man zu ihnen noch die abtrünnigen Samurai hinzu, die Kesselflicker, Verbrecher, Spieler, reisenden Darsteller, Zauberer, Gauner und Verkäufer von Krötenöl mit der Garantie, alle Gebrechen unter der Sonne zu heilen , gab es genug, um den Dorfbewohnern ihr Auskommen zu sichern. Jeden Abend waren die Geishas in großer Zahl unterwegs, um vorbeigehende Männer für sich zu gewinnen. Der Klang von Musik, Lustbarkeiten und Tanz drang aus den von Lampen erleuchteten Gasthäusern auf die dunkle Straße.
Jiroemon führte ebenfalls ein Gasthaus, aber seines war ein prächtiges und exklusives, vorbehalten für die Daimyo, die jedes Jahr die Innere Bergstraße bereisten. Außerhalb der Saison war es Beamten und anderen wichtigen oder sehr reichen Persönlichkeiten gestattet, hier ebenfalls zu übernachten. Die Daimyo waren ländliche Fürsten. Jeder regierte über sein eigenes kleines Lehen und hielt sich eine eigene Armee. Sie trieben Steuern ein und hatten Macht über Leben und Tod ihrer Untertanen. Doch sie alle schuldeten dem Shogun in Edo Gehorsam und waren verpflichtet, einmal im Jahr dorthin zu reisen, um ihm ihre Reverenz zu erweisen, sich bei Hofe zu zeigen und mehrere Monate dort zu verbringen. Jeder besaß zwei oder drei Paläste in der Stadt, wo ihre Frauen ständig leben mussten, Gefangene in goldenen Käfigen.
Es gab vierunddreißig bedeutende oder unbedeutendere Daimyo, welche die Innere Bergstraße benutzten. Einige reisten in die eine Richtung, einige in die andere, östlich nach Edo oder westlich nach Kyoto, der heiligen Stadt und offiziellen Hauptstadt des Landes, wo der Kaiser in Abgeschiedenheit lebte. Sie wurden immer von einem prächtigen Gefolge begleitet, das aus Hunderten von Vasallen und Wächtern bestand. Das war ein atemberaubendes Spektakel. Die Bauern hatten sich von der Straße fernzuhalten, wenn die Daimyo durchzogen, oder zumindest mit gebeugtem Kopf auf Hände und Knie zu sinken. Dennoch versuchten sie stets, so viel von der Prozession zu sehen, wie sie wagten. Alle, bis auf die Palankinträger, waren schmuck in schwarze Seide gekleidet. Manche saßen zu Pferde, aber die meisten marschierten zu Fuß in enger Formation. Die Rangniederen, die Pikeniere und Träger von Sonnenhüten, Schirmen und Truhen, zogen für die kauernden Dorfbewohner stets eine große Schau ab, stolzierten in den am Rücken hochgesteckten Gewändern, wobei ihre bloßen Hinterteile in der Sonne schimmerten und nur ein Lendentuch den Spalt bedeckte. Bei jedem Schritt hoben sie die Ferse ruckhaft bis zum Hinterteil und warfen den anderen Arm nach vorne, als schwämmen sie durch die Luft. Die Pikeniere wirbelten ihre Piken herum, die Hutträger ihre Hüte und die Schirmträger ihre Schirme, alle in genau dem gleichen Rhythmus. Die Prozessionen machten stets in Jiroemons Dorf halt, um zu ruhen und Pferde und Träger zu wechseln. Während das Fußvolk beschäftigt war, wurden die Palankine mit dem Daimyo und seinen Gefolgsmännern zu Jiroemons Gasthaus getragen, wo Tee getrunken oder übernachtet wurde.
Copyright © der Oririnalausgabe 2008 by Lesley Downer
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008
Übersetzung:»Susanne Aeckerle«
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Autoren-Porträt von Lesley Downer
Die britische Journalistin und Japan-Expertin Lesley Downer ist nach über zehnjährigem Aufenthalt im Reich des Tenno mit der japanischen Kultur und Geschichte ebenso vertraut wie mit der Landessprache. Sie schreibt für Zeitungen ("Sunday Times" und "Financial Times") und Fernsehsender (BBC und Channel 4). Zu ihren Buchveröffentlichungen zählt die Biographie der "Brüder Tsutsumi. Die Geschichte der reichsten Familie Japans" (Heyne).Susanne Aeckerle, geb. 1942 in Lindau/Bodensee. 1975 Mitbegründerin des ersten deutschen Frauenbuchladens in München. Später Geschäftsführerin eines Schallplattenvertriebs und Herausgeberin einer Frauenmusikzeitschrift. Von 1981-90 Redakteurin und Chefin vom Dienst bei der Zeitschrift ''Emma'. Sie lebt heute als Übersetzerin, Herausgeberin und freie Lektorin in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lesley Downer
- 2010, 656 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 11,9 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Susanne Aeckerle
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442740371
- ISBN-13: 9783442740376
Rezension zu „Die letzte Konkubine “
"Ein opulenter Roman, der einen großartigen Einblick in die japanische Gesellschaft bietet; eine wunderbare Liebesgeschichte."
Kommentar zu "Die letzte Konkubine"
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