Die Liebe des Wanderchirurgen
"Ein Lesevergnügen!"
P.M. HISTORY
England, 1588: Vitus von Campodius, der Wanderchirurg, ist zum Earl ernannt worden und lebt auf dem Stammsitz seiner Väter. Als er vom Geheimdienstchef der Königin nach London zitiert...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Liebe des Wanderchirurgen “
"Ein Lesevergnügen!"
P.M. HISTORY
England, 1588: Vitus von Campodius, der Wanderchirurg, ist zum Earl ernannt worden und lebt auf dem Stammsitz seiner Väter. Als er vom Geheimdienstchef der Königin nach London zitiert wird, schwant ihm nichts Gutes. Und tatsächlich: Vitus soll als Schiffsarzt an einer gefährlichen Spionage-Mission gegen die spanische Armada teilnehmen. Damit gerät er in einen mehr als schwierigen Konflikt.
Lese-Probe zu „Die Liebe des Wanderchirurgen “
Die Liebe des Wanderchirurgen von Wolf SernoProlog
»Du hast einen guten Tag gemacht, Herr«, sagte Pater
Alfredo. Er stand im Eingang der Kathedrale Santa
Cruz und blickte voller Dankbarkeit in den blauen
Himmel über Cádiz. Man schrieb Samstag, den 19. April
1587, und es schien ein ganz normaler Wochentag zu sein,
wenn man davon absah, dass die Luft verschwenderisch nach
Frühling duftete und dass Pater Alfredo Geburtstag hatte.
Er faltete die Hände und fuhr leise fort: »Du meinst es gut
mit mir, Herr, sechsundfünfzig Jahre lang hast Du mir ein
reiches, erfülltes Leben geschenkt, und ich kann mich an
keinen Geburtstag erinnern, an dem das Wetter nicht schön
gewesen wäre. Aber ich will nicht hoffärtig sein, wahrscheinlich
ist es purer Zufall, dass auch heute die Sonne
wieder scheint, sicher hast Du Wichtigeres zu tun, als Dich
um das Wetter am Geburtstag Deines geringsten Dieners
zu kümmern.«
... mehr
Er schaute auf das Treiben in den umliegenden Gassen. Das
Lärmen der Händler und das Geschrei der Marktfrauen
hatte nachgelassen, denn es war bereits Nachmittag, und
die meisten Geschäfte waren getätigt. Auch Pater Alfredo
hatte ein Gutteil seiner Arbeit erledigt: Er hatte den Tag
darauf verwandt, sich auf die Predigt für die morgige Sonntagsmesse
vorzubereiten, doch im Gegensatz zu sonst war
er nicht recht vorangekommen. Selbstverständlich hielt er
seine Predigten auf Latein, was kaum eines seiner Schafe
verstand, dennoch sollten seine Worte Sinn machen und
nach Möglichkeit auf die Sorgen, die Nöte und die Wünsche
der ihm Anvertrauten eingehen.
Er senkte die Augen. »Ich werde zur Strafe für meine
unnützen Gedanken nicht wie beabsichtigt ein Gläschen
Rioja im Trocadero trinken, Herr, auch will ich nicht wie
üblich eine halbe Chorizo und ein Stück Ziegenkäse dazu
verspeisen, sondern umgehend in Dein Haus zurückgehen.
Gewiss wird mir dann mit Deiner Hilfe eine zündende
Idee einfallen.« Er hielt inne und sah aus dem
Augenwinkel eine prächtige Kutsche vorfahren. Ein Lakai
sprang vom rückwärtigen Trittbrett herab, riss die
Tür auf und klappte ein Treppchen heraus. Wer da wohl
kam?
Pater Alfredo haderte erneut mit sich, denn schließlich hielt
er Zwiesprache mit dem Allmächtigen, und nichts auf der
Welt durfte ihn davon abhalten. »Vielleicht, Herr, sollte ich
Dich während der Predigt bitten, allen Verirrten wieder
den wahren, den einzigen Weg zu Dir zu weisen, so wie es
im einundachtzigsten Psalm steht: Weh' ihnen, dass sie von
mir weichen, sie müssen zerstöret werden, denn sie sind von
mir abtrünnig geworden! Ich wollte sie wohl erlösen, wenn
sie nicht wider mich Lügen lehrten.«
Ein zierlicher Schuh erschien in der Kutschentür und trat
auf die oberste Stufe des Treppchens. Es folgte eine ausladende
rubinrote Robe und eine bis zum Ellbogen behandschuhte
Hand, die sich ungeduldig dem Lakaien entgegenstreckte.
Der Lakai ergriff sie dienernd. Ein Kopf neigte
sich heraus, und wenig später wurde ein Gesicht erkennbar.
Es war von schwarzen, streng in die Höhe gekämmten
Haaren umrahmt und zeigte jene vornehme Blässe, die nur
bei Vertretern des Adels vorkam. Die Farbe der Augen war
auf die Entfernung nicht festzustellen, doch die Nase wies
einen leichten Haken auf, und die grell geschminkten Lippen
waren schmal. Insgesamt war das Gesicht nicht schön
zu nennen, aber doch apart. Pater Alfredo hatte es noch nie
gesehen.
Er betete weiter: »Und die Verirrteste der Verirrten ist, wie
Du weißt, Herr, die eitle, gottlose, prunksüchtige Elizabeth
von England, die Jungfräuliche Königin, wie sie sich nennen
lässt, deren Vater Heinrich schon den Pfad des rechten
Glaubens verließ, indem er der allein seligmachenden katholischen
Kirche den Rücken kehrte ...«
Bei allen Heiligen, die hochherrschaftliche Dame kam auf
ihn zu! Pater Alfredo wollte sein Gebet unterbrechen,
doch dann besann er sich eines Besseren. Vor Gott waren
alle Menschen gleich, und diese Dame musste ebenso wie
jeder andere warten, bis er sein Amen gesprochen hatte. Er
tat, als sehe er sie nicht, und sprach weiter: »Elizabeth, diese
Häretikerin, die mit ihrer Jungfräulichkeit seit Jahren
kokettiert, hätte längst dem Werben unseres gottesfürchti-
gen Philipp nachgeben und ihn heiraten sollen. Doch sie
denkt nicht daran. Sie ist dünkelhaft wie ein Pfau und bockig
wie ein Esel. Da ist es nur recht und billig, dass unsere
Allerkatholischste Majestät eine Armada gegen England
rüstet, die sie in die Knie zwingen wird, die sie willens machen
wird, ihm als Eheweib fromm und züchtig zur Seite
zu stehen. Oh, Herr, welch ein erhebender Gedanke!
Welch ein Kreuzzug!« Pater Alfredo seufzte. Er war jetzt
sicher, das Thema für seine morgige Predigt gefunden zu
haben.
Doch was war das? Die hochherrschaftliche Dame beachtete
ihn gar nicht. Sie ging einfach an ihm vorbei und betrat
die Kathedrale. Nun gut, das war ihr nicht zu verwehren.
Niemandem war es zu verwehren, ein Gotteshaus zu betreten,
wenn er seinem Schöpfer nahe sein wollte. Pater Alfredo
beendete sein Gebet, indem er Gott versicherte, dass die
Zukunft und das Schicksal der dünkelhaften Elizabeth
selbstverständlich in Seiner Hand lägen, und dass er, Alfredo,
nur ein paar eigene Gedanken habe äußern wollen. Er
sagte hastig »Amen« und betrat erneut die Kathedrale.
Drinnen umfing ihn Kühle, während seine Augen sich an
das dunklere Licht gewöhnten. Er ging durch das Hauptschiff,
vorbei an dem durch Jahrhunderte geschwärzten
Kirchengestühl, machte im Angesicht der großen Christusfigur
das Kreuzzeichen - und ertappte sich dabei, dass er
insgeheim Ausschau nach der Fremden in der rubinroten
Robe hielt. Sie war nicht da. Niemand war da, was ungewöhnlich
schien zu dieser Stunde. Pater Alfredo schüttelte
den Kopf. Er wollte einen Winkel der Sakristei ansteuern,
in dem er sich zu sammeln pflegte und seinen Predigten
den letzten Schliff gab, als ihn ein plötzlicher Ruf herumfahren
ließ: »Pater!«
Er brauchte zwei oder drei Herzschläge, um zu begreifen,
dass der Ruf aus dem Beichtstuhl gekommen war. Der
Beichtstuhl stand an der linken Seite des Hauptschiffs zwischen
der Genueser Kapelle und der Kapelle Jesus von Nazareth.
Er war ein Meisterwerk der Möbeltischlerei, geschlossen
und zweigeteilt, und sein schrankartiger Aufbau
wurde überdeckt von üppigen, Rosen darstellenden Schnitzereien.
»Vater, ich möchte beichten, und zwar möglichst rasch!«
Die Stimme gehörte einer Frau; sie hörte sich energisch und
ein wenig metallisch an - und befehlsgewohnt. Pater Alfredo
zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie der adeligen
Dame gehörte, und ebenso zweifelsfrei war, dass der Ton
der Dame sich nicht geziemte. In einem Gotteshaus hatte
nur einer zu befehlen, und das war der Allmächtige selbst.
Andererseits hatte jeder Gläubige das Recht und die Pfl icht,
zu beichten, mehrmals im Jahr, je nachdem, wie viel Schuld
er auf sich geladen hatte. Wer krank oder auf Reisen war
oder andere triftige Gründe anführen konnte, dem Bußsakrament
fernzubleiben, sollte versuchen, wenigstens ein
Mal pro Jahr die confessio abzulegen, und das möglichst am
Osterfest. Der Auferstehungstag Christi lag in diesem Jahr
zwar schon vier Wochen zurück, aber das musste nichts
bedeuten. Vielleicht hatte Gott die Schritte der Fremden
ganz bewusst nicht früher in Sein Haus gelenkt? Sein Ratschluss
war unergründlich.
Pater Alfredo streckte sich und schritt auf den Beichtstuhl
zu. »Wohlan, ich werde Euch die Beichte abnehmen«, sagte
er, während er seinen Platz neben der Trennwand einnahm.
Dann legte er sein Ohr an die Gitteröffnung und lauschte.
Eine Zeitlang geschah nichts. Es war so still, wie es nur in
einer Kirche sein konnte. Plötzlich meldete sich die Stimme
wieder: »Ich möchte, dass Gott mir meine Sünden vergibt.«
»Nun, nun, so einfach geht das nicht.«
»Weshalb nicht?«
Pater Alfredo räusperte sich. »Es ist wohl einige Zeit her,
dass Ihr Eure Sünden vor Gott dem Herrn bekannt habt?«
»Warum sollte das so sein?«
»Weil Ihr, wie es scheint, die Anfangsformel der confessio
vergessen habt. Schlagt das Kreuz, dann will ich sie für
Euch sprechen.«
»Gut, ich habe es geschlagen.«
»In nomine patri et filii et spriritus sancti. Amen. Merkt
Euch den Satz, er wäre Euer Part gewesen.«
»Wie Ihr meint, Vater.«
»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis
deiner Sünden und Seiner Barmherzigkeit«, sprach
Pater Alfredo den Anschlusstext, während er die Augen
schloss, um sich besser konzentrieren zu können.
»Ich höre«, sagte er.
Sir Hippolyte Taggart war eine Erscheinung, der man den
Seemann schon von weitem ansah. Er hatte ein kantiges Äußeres,
wasserhelle Augen und eine Haut, die von allen Meeren
dieser Welt gegerbt worden war. Doch nicht nur Wind
und Wetter hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen,
sondern auch die scharfe Schneide eines spanischen Schwerts.
Anno 73 in der Karibik war es gewesen, als ihm bei der Eroberung
einer Schatzgaleone die linke Gesichtshälfte gespalten
wurde. Taggart war die Antwort nicht schuldig geblieben:
Er hatte den Spanier mit einem Pistolenschuss getötet
und wütend weitergekämpft, so lange, bis Doktor Hall, sein
alter Schiffsarzt, ihn beschworen hatte, innezuhalten und die
Verletzung unter Deck versorgen zu lassen.
Taggart hatte widerwillig zugestimmt und geknurrt, die Sache
dürfe nicht länger als fünf Minuten dauern. Hall hatte
die Blutung gestillt und die Verletzung mit ein paar groben
Stichen genäht, hastig und bei schlechtem Licht, und vielleicht
lag darin der Grund, warum die Wundränder später
schief zusammengewachsen waren.
Fortan hing Taggart der linke Mundwinkel herunter, was
ihm einen immerwährenden, grimmigen Ausdruck verlieh,
ihn ansonsten aber nicht weiter anfocht. Er hatte festgestellt,
dass ein Mann nicht nach seinem Aussehen zu beurteilen
war, sondern einzig und allein nach seinem Charakter.
Außerdem wog die Beute, die seine Männer aus der
spanischen Schatzgaleone hervorholten, zehn solcher
Schwertwunden auf.
Heimgekehrt nach England, sprachen die jubelnden Massen
landauf, landab von der erfolgreichsten Kaperfahrt aller
Zeiten, und die Lady of the Seas, wie die Jungfräuliche
Elizabeth von allen Teerjacken liebevoll genannt wurde, jubelte
ebenfalls, denn sie hatte einen hübschen Anteil der
Beute für ihre Privatschatulle erhalten, weshalb sie Taggart
wenig später zum Ritter schlug.
Seit dieser Zeit hatte Taggart einen Neider unter Englands
Korsaren, wobei es sich weder um John Hawkins noch um
Thomas Raunse handelte, sondern um keinen Geringeren
als Francis Drake. Das Verhältnis zu ihm war mehr als angespannt,
was sich auch nicht änderte, als Drake nach seiner
Weltumsegelung an Bord der Golden Hinde ebenfalls
die Ritterwürde erhalten hatte.
Doch irgendwann war es Taggart zu dumm geworden.
Anlässlich eines Fests in Schloss Whitehall war er auf
Drake zugegangen und hatte ihm ins Gesicht gesagt: »Hör
mal, Drake, seit Jahren umschleichen wir uns wie die eifersüchtigen
Kater, reden nicht miteinander und tun so, als
wäre der andere Luft. Das ist eines Captains Ihrer Majestät
nicht würdig. Das muss ein Ende haben. Ich als der Ältere
breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich dir
hiermit versichere, dass du der berüchtigste, verfl uchteste
und erfolgreichste Korsar aller Zeiten bist. Und wenn du
willst, erzähle ich das jedem, der es hören will, auch unserer
Lady.«
Eine Zeitlang hatten Drakes Augen ihn abschätzend gemustert,
dann war ein breites Grinsen über sein Gesicht
gewandert, und er hatte gerufen: »Da hast du ausnahmsweise
mal recht, Taggart, aber auch ich will dir etwas sagen:
Sollten mich wider Erwarten die Schiffswürmer vor dir
zerfressen, fände ich in dir den besten Ersatz. Was trinkst
du, Wein oder Brandy?«
»Rheinwein«, hatte Taggart geantwortet.
Und genau diese Antwort hatte er Drake auch eben gegeben.
Nur dass beide nicht auf einem Hoffest weilten, sondern
sich auf einer Kriegsgaleone befanden, genauer gesagt,
in der Kajüte von Drakes Flaggschiff, der Elizabeth Bonaventure.
Außer ihnen hatten weitere erfahrene Kapitäne
am Tisch Platz genommen, sämtlich Kommandanten eines
stattlichen Geschwaders.
Am Morgen des 2. April 1587 hatten sie in Plymouth die
Leinen losgemacht und den frischen Nordost genutzt, der
sie zügig in Richtung Ushant Island blies und weiter an den
Scillys vorbei in den Atlantik hinaustrug. Einen Tag später
hatten sie Kurs Süd abgesteckt und in sauberer Formation
die tückische Biskaya umsegelt. Es schien eine schnelle
Reise zu werden, doch am 5. April, auf der Höhe von Kap
Finisterre, hatte es sie erwischt. Sie gerieten in einen kapitalen
Sturm, der die Schiffe wie Nussschalen auseinandersprengte
und dafür sorgte, dass die Flotte sich erst zehn
Tage später westlich von Lissabon wieder vereinigen konnte.
Von da an war Drake, der Draufgänger, nicht mehr zu halten
gewesen, das Jagdfieber hatte ihn endgültig erfasst, und
er preschte mit seinem Geschwader unter Vollzeug an der
Küste der Iberischen Halbinsel entlang, bis er vor etwa einer
Stunde plötzlich beidrehen ließ und per Flaggensignal
die Kapitäne seiner wichtigsten Schiffe zu sich an Bord befohlen
hatte.
»Ich hoffe, jeder von Euch hat etwas Anständiges zu trinken
vor sich«, sagte Drake und scheuchte die hin und her
wieselnde Ordonnanz hinaus. Er erhob sich, richtete seine
Gestalt zu voller Höhe auf und musterte jeden einzelnen
seiner Kapitäne aus flinken, hellwachen Augen. Was er sah,
gefiel ihm: Die versammelten Herren stellten eine Runde
dar, in der seemännisch das Beste saß, was die Britannische
Nation zu bieten hatte. Unter anderen waren vertreten:
William Borough, ein kriegserfahrener, hochdekorierter
Kommandant, der die Lion befehligte und den Titel eines
Vizeadmirals trug, Henry Bellingham, der Schlachten-
erprobte, der die Rainbow führte, und Thomas Fenner von
der Dreadnought, der schon als Flaggkapitän unter Drake
gedient hatte.
Drake selbst war ein Mann, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten
sich kaum in seiner Erscheinung widerspiegelten,
denn bei Empfängen, Festen oder feierlichen Anlässen glich
er äußerlich seinen vornehmen Landsleuten, die sich -
Feind hin oder her - geschmacklich nach der spanischen
Mode richteten: Dazu gehörten der obligatorische Knebelbart
auf der Oberlippe und der Spitzbart am Kinn, zusammengenommen
eine Zier, die durch den darunter getragenen,
plissierten und getollten Kragen gut zur Geltung kam.
Der Kragen wiederum bildete den oberen Abschluss eines
vielknöpfigen, wattierten Wamses, das häufig aus golddurchwirktem
Brokat gefertigt war. Abgerundet wurde die
Staffage durch eine den Oberschenkel bedeckende Puffhose
und eine die Waden eng umschließende Trikothose. Wer
auf sich hielt, trug schwarz - und gab sich feierlich, würdevoll
und steif.
Aber genau das tat Drake nicht. Manche Zeitgenossen behaupteten
zwar, seine Erfolge seien ihm zu Kopf gestiegen,
er umschwänzele ständig die Königin, sei zum Hofschranzen
und zum Prahlhans geworden, doch sobald eine Sache
ihn fesselte, war er noch immer der alte Drake, der wie kein
Zweiter Lebhaftigkeit, Energie und Überzeugungskraft
ausstrahlte. »Manch einer von Euch wird die zehn Tage
verflucht haben, die der Sturm uns genommen hat, und
auch ich hab's getan«, rief er laut, »aber dann, am Kap Roca
vor Lissabon, hab ich ihm auf Knien gedankt!«
Die Herren blickten fragend drein, was Drake natürlich
beabsichtigt hatte.
»Unser Geschwader umfasst über dreißig Schiffe, da mag
es dem einen oder anderen entgangen sein, dass meine Elizabeth
Bonaventure vor Lissabon zwei fette Kauffahrer
gestellt hat, die bis unters Schanzkleid wertvolle Ware geladen
hatten. Es juckte mir in den Fingern, sie auszuweiden,
aber es waren Holländer.«
Diejenigen Herren, die über den Vorfall nicht informiert
waren, lachten verständnisvoll. Ein holländisches Schiff
durfte selbstverständlich nicht als Prise genommen werden,
denn die Niederlande kämpften schon seit langem gegen
die spanische Besetzung und wurden in diesem Kampf von
der Lady of the Seas unterstützt. Wer Spaniens Feind war,
war Englands Freund.
Borough räusperte sich und fragte: »Und warum habt Ihr
dem Sturm auf Knien gedankt?«
»Weil mir ohne ihn die Holländer nicht vor den Bug gelaufen
wären. Ihre Handelsgüter waren für mich zwar unantastbar,
aber dafür haben sie mich anderweitig mehr als entschädigt.«
»Wie das?«, fragte Fenner.
Drake hob sein Glas. »Erst einmal wollen wir auf unsere
geliebte Königin trinken. Sie möge lange leben!«
»Und ebenso lange Jungfrau bleiben«, ergänzte Bellingham,
der gern mal einen Scherz machte, in diesem Fall aber
strafende Blicke erntete.
»Cheers!« Die Herren tranken.
»Nun zu Eurer Frage, Fenner«, fuhr Drake fort. »Ihr wisst
wie wir alle, dass Philipp II., dieser düstere Dauerbeter,
noch in diesem Jahr England überfallen will, um es sich
einzuverleiben. Und Ihr wisst natürlich auch, dass wir mit
unseren Schiffen nicht ausgelaufen sind, um eine Spazierfahrt
zu unternehmen. Philipp ist alles andere als untätig.
Wenn er nicht gerade betet, dann kauft oder beschlagnahmt
er überall Kriegsschiffe, um seine Streitmacht zu verstärken,
nicht nur in Portugal, auch in Genua, Venedig, Neapel,
Sizilien und weiß der Henker, wo noch. Außerdem
rüstet er für seine Soldaten jede Menge Versorgungsschiffe
und Truppentransporter aus. Sein Ziel ist es, die größte Armada
der Welt zusammenzustellen und sie gegen uns zu
senden. Es kann jederzeit losgehen!«
Die Herren blickten beeindruckt.
Drake fuhr fort: »Das alles sind keine Hirngespinste, sondern
Tatsachen. Ich habe sie vor kurzem persönlich von
Walsingham, dem Staatssekretär und Geheimdienstchef Ihrer
Majestät, erfahren, denn ich hatte das Vergnügen, einen
Tag mit ihm in Barn Elms, seinem schönen Wohnsitz an der
Themse, zu verbringen.«
»Und was ist nun mit den holländischen Kauffahrern?«,
fragte Taggart, der es nicht mochte, wenn einer lange um
den heißen Brei herumredete.
Drake überhörte den ungeduldigen Unterton. »Die Holländer
kamen aus Cádiz und waren auf dem Weg nach
Middelburg. Sie haben mir erzählt, dass es in Cádiz nur so
von spanischen Schiffen wimmelt. Es sind so viele, dass
kein Zweifel daran bestehen kann: Von Cádiz, und nicht
von Lissabon, aus will Philipp seinen Seezug beginnen!
Aber diese Suppe werden wir ihm versalzen!«
»An uns soll es nicht liegen«, meinte Bellingham. »Kann
der Tanz wirklich jederzeit losgehen?«
»So ist es.«
»Dann sollten wir nicht warten, bis Philipp uns dazu auffordert,
sondern ihm zuvorkommen«, knurrte Taggart, der
sein Glas Rheinwein schon geleert hatte. »Wann schlagen
wir los?«
Drake grinste. »Heute.«
Nachdem Pater Alfredo »Ich höre« gesagt und die Ohren
gespitzt hatte, war er gespannt, was die Unbekannte vor
Gott zu bekennen haben würde. Aber statt die confessio
abzulegen, wie es sich gehörte, hatte sie ihn mit Fragen bedrängt,
Fragen, die überflüssig waren und nicht in den
Beichtstuhl gehörten. Welch seltsames Gebaren!
Gewiss, die vornehme Fremde hatte einiges über sich und
ihre Ansichten preisgegeben, sie hatte erzählt, dass sie als
Einzelkind aufgewachsen sei, aber daran sofort die Frage
nach Pater Alfredos Kindheitstagen geknüpft. Sie hatte angedeutet,
dass sie aus begütertem Hause stamme, und anschließend
wissen wollen, wie hoch die Bezüge eines Priesters
seien, sie hatte behauptet, die Erde sei eine Kugel, und
ihn gefragt, warum die Kirche diese Meinung nicht teile, sie
hatte auf den goldfunkelnden Hauptaltar sowie auf die mit
Juwelen verzierten Reliquien und Monstranzen verwiesen
und gefragt, ob die Zurschaustellung solcher Pracht zum
Glauben erforderlich sei, sie hatte die heilige Inquisition
verurteilt und ihn gefragt, warum er sich daran mitschuldig
mache, sie hatte von Marias jungfräulicher Empfängnis gesprochen,
diese bezweifelt und anschließend wissen wollen,
wie schwer es einem Gottesmann fiele, sich der Fleischeslust
zu enthalten.
Das alles und mehr hatte sie gefragt, und Pater Alfredo hatte
ihr immer wieder klarzumachen versucht, dass die Beichte
kein Frage-und-Antwort-Spiel war, sondern das Bekenntnis
der eigenen Verfehlungen.
Ein paarmal hatte er aufstehen und das fruchtlose Gespräch
abbrechen wollen, doch er war stets sitzengeblieben. Die
Fremde war zweifellos eine ungewöhnliche Frau, intelligent
und eloquent, aber auch unbeherrscht und angriffslustig.
War sie auch gläubig? Das herauszufinden und ihr die
Beichte abzunehmen, stellte eine Herausforderung dar, die
Geduld und einen wachen Geist erforderte.
Er hatte sich selbst ermahnt, nicht die acedia, die siebte
Todsünde, zu begehen, welche die Trägheit des Geistes
anprangerte, dazu die Faulheit, die Feigheit, die Ignoranz.
Alle diese Teufelseigenschaften wollte er sich nicht
selbst vorwerfen müssen. Vielleicht hatte die Unbekannte
nur Angst, sich zu offenbaren? Vielleicht wollte Gott ihn
nur auf die Probe stellen? Seine Langmut? Sein Verständnis?
Er seufzte. Wie viel Zeit war mittlerweile vergangen? Eine
Stunde, zwei Stunden? Im Dunkel des Beichtstuhls verlor
sich das Gefühl für Zeit. Alle Sinne vereinigten sich zu einem
einzigen - dem Gehör.
Er konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe und fragte
in möglichst festem Ton: »Zum letzten Mal: Wollt Ihr nun
beichten oder nicht?«
»Wie heißt Ihr eigentlich?«
»Ich bin Pater Alfredo, aber um das zu erfahren, seid Ihr
nicht hier.« Pater Alfredo wurde immer unruhiger, er dachte
an die Predigt, die er morgen halten wollte, und daran,
dass er sie noch überarbeiten musste. Sie sollte brillant werden,
denn es war eine Ehre, die Messe am Sonntag halten zu
dürfen. Nicht jeder Pater durfte das, häufig taten es Höhergestellte,
Berufenere und manchmal sogar der Erzbischof
Antonio Zapata y Cisneros persönlich. »Wollt Ihr nun
beichten oder nicht, meine Tochter?«
Ein spöttisches Lachen war die Antwort. »Ich bin nicht
Eure Tochter, Pater. Wenn ich es wäre, hättet Ihr den Zölibat
gebrochen, und das habt Ihr doch wohl nicht?«
Pater Alfredo erstarrte. Er war bemüht, Geduld zu üben,
aber nicht gewillt, sich Unverschämtheiten anzuhören.
»Ich glaube, es ist besser, Ihr verlasst jetzt das Haus Gottes
«, sagte er zornig.
»Ich bin das letzte Mal als Kind zur Beichte gegangen, Pater.
Und normalerweise wäre ich auch heute nicht gekommen.«
Pater Alfredo horchte auf. Es war ein anderer Ton, der da
plötzlich durch die Trennwand klang. Sollte seine Langmut
sich doch auszahlen? »Warum seid Ihr heute hier?«, fragte
er.
»Weil meine Mutter es so wollte.«
»Eure Mutter wollte es?«
»Ja, sie sitzt draußen in der Kutsche und wartet dort auf
mich, denn sie ist gebrechlich.«
Pater Alfredo überlegte. »Ich vermute, Eure Mutter wollte
schon öfter, dass Ihr zur Beichte geht, warum habt Ihr erst
heute auf sie gehört?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen.«
»Darüber müsst Ihr sprechen.«
»Nun gut, seid Ihr sicher, dass kein Sterbenswort aus diesem
Kasten an die Öffentlichkeit dringt?«
Pater Alfredo spürte erneut Unmut. »Alles, was Ihr sagt,
sagt Ihr sub rosa, also unter der Rose. Die geschnitzte Rose
schmückt diesen ›Kasten‹, wie Ihr ihn zu nennen beliebt, in
üppiger Pracht und ist das Zeichen der Verschwiegenheit.
Seid versichert, ich werde das Beichtgeheimnis in jedem
Fall wahren.«
»Nun gut, ich glaube Euch. Ich will noch heute an Bord
eines Schiffs gehen, das mich in die Spanischen Niederlande
bringt.«
»Aha. Und weiter?«
»Ich bin Seiner Exzellenz Paolo Farnese, einem Neffen des
Herzogs von Parma, versprochen. Ich werde ihn heiraten.«
»Und nehmt dies zum Anlass, Eure Seele zu reinigen, bevor
Ihr die gefährliche Reise antretet. Das nenne ich gottgefällig
«, ergänzte Pater Alfredo. Er war sehr zufrieden mit
sich. Geduld zahlte sich am Ende doch aus.
»Ich höre«, sagte er.
Besuchen Sie uns im Internet:
www.weltbild.de
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2009 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur
Nachf. GmbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Bridgeman Art Library, Berlin
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9704-2
2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Er schaute auf das Treiben in den umliegenden Gassen. Das
Lärmen der Händler und das Geschrei der Marktfrauen
hatte nachgelassen, denn es war bereits Nachmittag, und
die meisten Geschäfte waren getätigt. Auch Pater Alfredo
hatte ein Gutteil seiner Arbeit erledigt: Er hatte den Tag
darauf verwandt, sich auf die Predigt für die morgige Sonntagsmesse
vorzubereiten, doch im Gegensatz zu sonst war
er nicht recht vorangekommen. Selbstverständlich hielt er
seine Predigten auf Latein, was kaum eines seiner Schafe
verstand, dennoch sollten seine Worte Sinn machen und
nach Möglichkeit auf die Sorgen, die Nöte und die Wünsche
der ihm Anvertrauten eingehen.
Er senkte die Augen. »Ich werde zur Strafe für meine
unnützen Gedanken nicht wie beabsichtigt ein Gläschen
Rioja im Trocadero trinken, Herr, auch will ich nicht wie
üblich eine halbe Chorizo und ein Stück Ziegenkäse dazu
verspeisen, sondern umgehend in Dein Haus zurückgehen.
Gewiss wird mir dann mit Deiner Hilfe eine zündende
Idee einfallen.« Er hielt inne und sah aus dem
Augenwinkel eine prächtige Kutsche vorfahren. Ein Lakai
sprang vom rückwärtigen Trittbrett herab, riss die
Tür auf und klappte ein Treppchen heraus. Wer da wohl
kam?
Pater Alfredo haderte erneut mit sich, denn schließlich hielt
er Zwiesprache mit dem Allmächtigen, und nichts auf der
Welt durfte ihn davon abhalten. »Vielleicht, Herr, sollte ich
Dich während der Predigt bitten, allen Verirrten wieder
den wahren, den einzigen Weg zu Dir zu weisen, so wie es
im einundachtzigsten Psalm steht: Weh' ihnen, dass sie von
mir weichen, sie müssen zerstöret werden, denn sie sind von
mir abtrünnig geworden! Ich wollte sie wohl erlösen, wenn
sie nicht wider mich Lügen lehrten.«
Ein zierlicher Schuh erschien in der Kutschentür und trat
auf die oberste Stufe des Treppchens. Es folgte eine ausladende
rubinrote Robe und eine bis zum Ellbogen behandschuhte
Hand, die sich ungeduldig dem Lakaien entgegenstreckte.
Der Lakai ergriff sie dienernd. Ein Kopf neigte
sich heraus, und wenig später wurde ein Gesicht erkennbar.
Es war von schwarzen, streng in die Höhe gekämmten
Haaren umrahmt und zeigte jene vornehme Blässe, die nur
bei Vertretern des Adels vorkam. Die Farbe der Augen war
auf die Entfernung nicht festzustellen, doch die Nase wies
einen leichten Haken auf, und die grell geschminkten Lippen
waren schmal. Insgesamt war das Gesicht nicht schön
zu nennen, aber doch apart. Pater Alfredo hatte es noch nie
gesehen.
Er betete weiter: »Und die Verirrteste der Verirrten ist, wie
Du weißt, Herr, die eitle, gottlose, prunksüchtige Elizabeth
von England, die Jungfräuliche Königin, wie sie sich nennen
lässt, deren Vater Heinrich schon den Pfad des rechten
Glaubens verließ, indem er der allein seligmachenden katholischen
Kirche den Rücken kehrte ...«
Bei allen Heiligen, die hochherrschaftliche Dame kam auf
ihn zu! Pater Alfredo wollte sein Gebet unterbrechen,
doch dann besann er sich eines Besseren. Vor Gott waren
alle Menschen gleich, und diese Dame musste ebenso wie
jeder andere warten, bis er sein Amen gesprochen hatte. Er
tat, als sehe er sie nicht, und sprach weiter: »Elizabeth, diese
Häretikerin, die mit ihrer Jungfräulichkeit seit Jahren
kokettiert, hätte längst dem Werben unseres gottesfürchti-
gen Philipp nachgeben und ihn heiraten sollen. Doch sie
denkt nicht daran. Sie ist dünkelhaft wie ein Pfau und bockig
wie ein Esel. Da ist es nur recht und billig, dass unsere
Allerkatholischste Majestät eine Armada gegen England
rüstet, die sie in die Knie zwingen wird, die sie willens machen
wird, ihm als Eheweib fromm und züchtig zur Seite
zu stehen. Oh, Herr, welch ein erhebender Gedanke!
Welch ein Kreuzzug!« Pater Alfredo seufzte. Er war jetzt
sicher, das Thema für seine morgige Predigt gefunden zu
haben.
Doch was war das? Die hochherrschaftliche Dame beachtete
ihn gar nicht. Sie ging einfach an ihm vorbei und betrat
die Kathedrale. Nun gut, das war ihr nicht zu verwehren.
Niemandem war es zu verwehren, ein Gotteshaus zu betreten,
wenn er seinem Schöpfer nahe sein wollte. Pater Alfredo
beendete sein Gebet, indem er Gott versicherte, dass die
Zukunft und das Schicksal der dünkelhaften Elizabeth
selbstverständlich in Seiner Hand lägen, und dass er, Alfredo,
nur ein paar eigene Gedanken habe äußern wollen. Er
sagte hastig »Amen« und betrat erneut die Kathedrale.
Drinnen umfing ihn Kühle, während seine Augen sich an
das dunklere Licht gewöhnten. Er ging durch das Hauptschiff,
vorbei an dem durch Jahrhunderte geschwärzten
Kirchengestühl, machte im Angesicht der großen Christusfigur
das Kreuzzeichen - und ertappte sich dabei, dass er
insgeheim Ausschau nach der Fremden in der rubinroten
Robe hielt. Sie war nicht da. Niemand war da, was ungewöhnlich
schien zu dieser Stunde. Pater Alfredo schüttelte
den Kopf. Er wollte einen Winkel der Sakristei ansteuern,
in dem er sich zu sammeln pflegte und seinen Predigten
den letzten Schliff gab, als ihn ein plötzlicher Ruf herumfahren
ließ: »Pater!«
Er brauchte zwei oder drei Herzschläge, um zu begreifen,
dass der Ruf aus dem Beichtstuhl gekommen war. Der
Beichtstuhl stand an der linken Seite des Hauptschiffs zwischen
der Genueser Kapelle und der Kapelle Jesus von Nazareth.
Er war ein Meisterwerk der Möbeltischlerei, geschlossen
und zweigeteilt, und sein schrankartiger Aufbau
wurde überdeckt von üppigen, Rosen darstellenden Schnitzereien.
»Vater, ich möchte beichten, und zwar möglichst rasch!«
Die Stimme gehörte einer Frau; sie hörte sich energisch und
ein wenig metallisch an - und befehlsgewohnt. Pater Alfredo
zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie der adeligen
Dame gehörte, und ebenso zweifelsfrei war, dass der Ton
der Dame sich nicht geziemte. In einem Gotteshaus hatte
nur einer zu befehlen, und das war der Allmächtige selbst.
Andererseits hatte jeder Gläubige das Recht und die Pfl icht,
zu beichten, mehrmals im Jahr, je nachdem, wie viel Schuld
er auf sich geladen hatte. Wer krank oder auf Reisen war
oder andere triftige Gründe anführen konnte, dem Bußsakrament
fernzubleiben, sollte versuchen, wenigstens ein
Mal pro Jahr die confessio abzulegen, und das möglichst am
Osterfest. Der Auferstehungstag Christi lag in diesem Jahr
zwar schon vier Wochen zurück, aber das musste nichts
bedeuten. Vielleicht hatte Gott die Schritte der Fremden
ganz bewusst nicht früher in Sein Haus gelenkt? Sein Ratschluss
war unergründlich.
Pater Alfredo streckte sich und schritt auf den Beichtstuhl
zu. »Wohlan, ich werde Euch die Beichte abnehmen«, sagte
er, während er seinen Platz neben der Trennwand einnahm.
Dann legte er sein Ohr an die Gitteröffnung und lauschte.
Eine Zeitlang geschah nichts. Es war so still, wie es nur in
einer Kirche sein konnte. Plötzlich meldete sich die Stimme
wieder: »Ich möchte, dass Gott mir meine Sünden vergibt.«
»Nun, nun, so einfach geht das nicht.«
»Weshalb nicht?«
Pater Alfredo räusperte sich. »Es ist wohl einige Zeit her,
dass Ihr Eure Sünden vor Gott dem Herrn bekannt habt?«
»Warum sollte das so sein?«
»Weil Ihr, wie es scheint, die Anfangsformel der confessio
vergessen habt. Schlagt das Kreuz, dann will ich sie für
Euch sprechen.«
»Gut, ich habe es geschlagen.«
»In nomine patri et filii et spriritus sancti. Amen. Merkt
Euch den Satz, er wäre Euer Part gewesen.«
»Wie Ihr meint, Vater.«
»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis
deiner Sünden und Seiner Barmherzigkeit«, sprach
Pater Alfredo den Anschlusstext, während er die Augen
schloss, um sich besser konzentrieren zu können.
»Ich höre«, sagte er.
Sir Hippolyte Taggart war eine Erscheinung, der man den
Seemann schon von weitem ansah. Er hatte ein kantiges Äußeres,
wasserhelle Augen und eine Haut, die von allen Meeren
dieser Welt gegerbt worden war. Doch nicht nur Wind
und Wetter hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen,
sondern auch die scharfe Schneide eines spanischen Schwerts.
Anno 73 in der Karibik war es gewesen, als ihm bei der Eroberung
einer Schatzgaleone die linke Gesichtshälfte gespalten
wurde. Taggart war die Antwort nicht schuldig geblieben:
Er hatte den Spanier mit einem Pistolenschuss getötet
und wütend weitergekämpft, so lange, bis Doktor Hall, sein
alter Schiffsarzt, ihn beschworen hatte, innezuhalten und die
Verletzung unter Deck versorgen zu lassen.
Taggart hatte widerwillig zugestimmt und geknurrt, die Sache
dürfe nicht länger als fünf Minuten dauern. Hall hatte
die Blutung gestillt und die Verletzung mit ein paar groben
Stichen genäht, hastig und bei schlechtem Licht, und vielleicht
lag darin der Grund, warum die Wundränder später
schief zusammengewachsen waren.
Fortan hing Taggart der linke Mundwinkel herunter, was
ihm einen immerwährenden, grimmigen Ausdruck verlieh,
ihn ansonsten aber nicht weiter anfocht. Er hatte festgestellt,
dass ein Mann nicht nach seinem Aussehen zu beurteilen
war, sondern einzig und allein nach seinem Charakter.
Außerdem wog die Beute, die seine Männer aus der
spanischen Schatzgaleone hervorholten, zehn solcher
Schwertwunden auf.
Heimgekehrt nach England, sprachen die jubelnden Massen
landauf, landab von der erfolgreichsten Kaperfahrt aller
Zeiten, und die Lady of the Seas, wie die Jungfräuliche
Elizabeth von allen Teerjacken liebevoll genannt wurde, jubelte
ebenfalls, denn sie hatte einen hübschen Anteil der
Beute für ihre Privatschatulle erhalten, weshalb sie Taggart
wenig später zum Ritter schlug.
Seit dieser Zeit hatte Taggart einen Neider unter Englands
Korsaren, wobei es sich weder um John Hawkins noch um
Thomas Raunse handelte, sondern um keinen Geringeren
als Francis Drake. Das Verhältnis zu ihm war mehr als angespannt,
was sich auch nicht änderte, als Drake nach seiner
Weltumsegelung an Bord der Golden Hinde ebenfalls
die Ritterwürde erhalten hatte.
Doch irgendwann war es Taggart zu dumm geworden.
Anlässlich eines Fests in Schloss Whitehall war er auf
Drake zugegangen und hatte ihm ins Gesicht gesagt: »Hör
mal, Drake, seit Jahren umschleichen wir uns wie die eifersüchtigen
Kater, reden nicht miteinander und tun so, als
wäre der andere Luft. Das ist eines Captains Ihrer Majestät
nicht würdig. Das muss ein Ende haben. Ich als der Ältere
breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich dir
hiermit versichere, dass du der berüchtigste, verfl uchteste
und erfolgreichste Korsar aller Zeiten bist. Und wenn du
willst, erzähle ich das jedem, der es hören will, auch unserer
Lady.«
Eine Zeitlang hatten Drakes Augen ihn abschätzend gemustert,
dann war ein breites Grinsen über sein Gesicht
gewandert, und er hatte gerufen: »Da hast du ausnahmsweise
mal recht, Taggart, aber auch ich will dir etwas sagen:
Sollten mich wider Erwarten die Schiffswürmer vor dir
zerfressen, fände ich in dir den besten Ersatz. Was trinkst
du, Wein oder Brandy?«
»Rheinwein«, hatte Taggart geantwortet.
Und genau diese Antwort hatte er Drake auch eben gegeben.
Nur dass beide nicht auf einem Hoffest weilten, sondern
sich auf einer Kriegsgaleone befanden, genauer gesagt,
in der Kajüte von Drakes Flaggschiff, der Elizabeth Bonaventure.
Außer ihnen hatten weitere erfahrene Kapitäne
am Tisch Platz genommen, sämtlich Kommandanten eines
stattlichen Geschwaders.
Am Morgen des 2. April 1587 hatten sie in Plymouth die
Leinen losgemacht und den frischen Nordost genutzt, der
sie zügig in Richtung Ushant Island blies und weiter an den
Scillys vorbei in den Atlantik hinaustrug. Einen Tag später
hatten sie Kurs Süd abgesteckt und in sauberer Formation
die tückische Biskaya umsegelt. Es schien eine schnelle
Reise zu werden, doch am 5. April, auf der Höhe von Kap
Finisterre, hatte es sie erwischt. Sie gerieten in einen kapitalen
Sturm, der die Schiffe wie Nussschalen auseinandersprengte
und dafür sorgte, dass die Flotte sich erst zehn
Tage später westlich von Lissabon wieder vereinigen konnte.
Von da an war Drake, der Draufgänger, nicht mehr zu halten
gewesen, das Jagdfieber hatte ihn endgültig erfasst, und
er preschte mit seinem Geschwader unter Vollzeug an der
Küste der Iberischen Halbinsel entlang, bis er vor etwa einer
Stunde plötzlich beidrehen ließ und per Flaggensignal
die Kapitäne seiner wichtigsten Schiffe zu sich an Bord befohlen
hatte.
»Ich hoffe, jeder von Euch hat etwas Anständiges zu trinken
vor sich«, sagte Drake und scheuchte die hin und her
wieselnde Ordonnanz hinaus. Er erhob sich, richtete seine
Gestalt zu voller Höhe auf und musterte jeden einzelnen
seiner Kapitäne aus flinken, hellwachen Augen. Was er sah,
gefiel ihm: Die versammelten Herren stellten eine Runde
dar, in der seemännisch das Beste saß, was die Britannische
Nation zu bieten hatte. Unter anderen waren vertreten:
William Borough, ein kriegserfahrener, hochdekorierter
Kommandant, der die Lion befehligte und den Titel eines
Vizeadmirals trug, Henry Bellingham, der Schlachten-
erprobte, der die Rainbow führte, und Thomas Fenner von
der Dreadnought, der schon als Flaggkapitän unter Drake
gedient hatte.
Drake selbst war ein Mann, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten
sich kaum in seiner Erscheinung widerspiegelten,
denn bei Empfängen, Festen oder feierlichen Anlässen glich
er äußerlich seinen vornehmen Landsleuten, die sich -
Feind hin oder her - geschmacklich nach der spanischen
Mode richteten: Dazu gehörten der obligatorische Knebelbart
auf der Oberlippe und der Spitzbart am Kinn, zusammengenommen
eine Zier, die durch den darunter getragenen,
plissierten und getollten Kragen gut zur Geltung kam.
Der Kragen wiederum bildete den oberen Abschluss eines
vielknöpfigen, wattierten Wamses, das häufig aus golddurchwirktem
Brokat gefertigt war. Abgerundet wurde die
Staffage durch eine den Oberschenkel bedeckende Puffhose
und eine die Waden eng umschließende Trikothose. Wer
auf sich hielt, trug schwarz - und gab sich feierlich, würdevoll
und steif.
Aber genau das tat Drake nicht. Manche Zeitgenossen behaupteten
zwar, seine Erfolge seien ihm zu Kopf gestiegen,
er umschwänzele ständig die Königin, sei zum Hofschranzen
und zum Prahlhans geworden, doch sobald eine Sache
ihn fesselte, war er noch immer der alte Drake, der wie kein
Zweiter Lebhaftigkeit, Energie und Überzeugungskraft
ausstrahlte. »Manch einer von Euch wird die zehn Tage
verflucht haben, die der Sturm uns genommen hat, und
auch ich hab's getan«, rief er laut, »aber dann, am Kap Roca
vor Lissabon, hab ich ihm auf Knien gedankt!«
Die Herren blickten fragend drein, was Drake natürlich
beabsichtigt hatte.
»Unser Geschwader umfasst über dreißig Schiffe, da mag
es dem einen oder anderen entgangen sein, dass meine Elizabeth
Bonaventure vor Lissabon zwei fette Kauffahrer
gestellt hat, die bis unters Schanzkleid wertvolle Ware geladen
hatten. Es juckte mir in den Fingern, sie auszuweiden,
aber es waren Holländer.«
Diejenigen Herren, die über den Vorfall nicht informiert
waren, lachten verständnisvoll. Ein holländisches Schiff
durfte selbstverständlich nicht als Prise genommen werden,
denn die Niederlande kämpften schon seit langem gegen
die spanische Besetzung und wurden in diesem Kampf von
der Lady of the Seas unterstützt. Wer Spaniens Feind war,
war Englands Freund.
Borough räusperte sich und fragte: »Und warum habt Ihr
dem Sturm auf Knien gedankt?«
»Weil mir ohne ihn die Holländer nicht vor den Bug gelaufen
wären. Ihre Handelsgüter waren für mich zwar unantastbar,
aber dafür haben sie mich anderweitig mehr als entschädigt.«
»Wie das?«, fragte Fenner.
Drake hob sein Glas. »Erst einmal wollen wir auf unsere
geliebte Königin trinken. Sie möge lange leben!«
»Und ebenso lange Jungfrau bleiben«, ergänzte Bellingham,
der gern mal einen Scherz machte, in diesem Fall aber
strafende Blicke erntete.
»Cheers!« Die Herren tranken.
»Nun zu Eurer Frage, Fenner«, fuhr Drake fort. »Ihr wisst
wie wir alle, dass Philipp II., dieser düstere Dauerbeter,
noch in diesem Jahr England überfallen will, um es sich
einzuverleiben. Und Ihr wisst natürlich auch, dass wir mit
unseren Schiffen nicht ausgelaufen sind, um eine Spazierfahrt
zu unternehmen. Philipp ist alles andere als untätig.
Wenn er nicht gerade betet, dann kauft oder beschlagnahmt
er überall Kriegsschiffe, um seine Streitmacht zu verstärken,
nicht nur in Portugal, auch in Genua, Venedig, Neapel,
Sizilien und weiß der Henker, wo noch. Außerdem
rüstet er für seine Soldaten jede Menge Versorgungsschiffe
und Truppentransporter aus. Sein Ziel ist es, die größte Armada
der Welt zusammenzustellen und sie gegen uns zu
senden. Es kann jederzeit losgehen!«
Die Herren blickten beeindruckt.
Drake fuhr fort: »Das alles sind keine Hirngespinste, sondern
Tatsachen. Ich habe sie vor kurzem persönlich von
Walsingham, dem Staatssekretär und Geheimdienstchef Ihrer
Majestät, erfahren, denn ich hatte das Vergnügen, einen
Tag mit ihm in Barn Elms, seinem schönen Wohnsitz an der
Themse, zu verbringen.«
»Und was ist nun mit den holländischen Kauffahrern?«,
fragte Taggart, der es nicht mochte, wenn einer lange um
den heißen Brei herumredete.
Drake überhörte den ungeduldigen Unterton. »Die Holländer
kamen aus Cádiz und waren auf dem Weg nach
Middelburg. Sie haben mir erzählt, dass es in Cádiz nur so
von spanischen Schiffen wimmelt. Es sind so viele, dass
kein Zweifel daran bestehen kann: Von Cádiz, und nicht
von Lissabon, aus will Philipp seinen Seezug beginnen!
Aber diese Suppe werden wir ihm versalzen!«
»An uns soll es nicht liegen«, meinte Bellingham. »Kann
der Tanz wirklich jederzeit losgehen?«
»So ist es.«
»Dann sollten wir nicht warten, bis Philipp uns dazu auffordert,
sondern ihm zuvorkommen«, knurrte Taggart, der
sein Glas Rheinwein schon geleert hatte. »Wann schlagen
wir los?«
Drake grinste. »Heute.«
Nachdem Pater Alfredo »Ich höre« gesagt und die Ohren
gespitzt hatte, war er gespannt, was die Unbekannte vor
Gott zu bekennen haben würde. Aber statt die confessio
abzulegen, wie es sich gehörte, hatte sie ihn mit Fragen bedrängt,
Fragen, die überflüssig waren und nicht in den
Beichtstuhl gehörten. Welch seltsames Gebaren!
Gewiss, die vornehme Fremde hatte einiges über sich und
ihre Ansichten preisgegeben, sie hatte erzählt, dass sie als
Einzelkind aufgewachsen sei, aber daran sofort die Frage
nach Pater Alfredos Kindheitstagen geknüpft. Sie hatte angedeutet,
dass sie aus begütertem Hause stamme, und anschließend
wissen wollen, wie hoch die Bezüge eines Priesters
seien, sie hatte behauptet, die Erde sei eine Kugel, und
ihn gefragt, warum die Kirche diese Meinung nicht teile, sie
hatte auf den goldfunkelnden Hauptaltar sowie auf die mit
Juwelen verzierten Reliquien und Monstranzen verwiesen
und gefragt, ob die Zurschaustellung solcher Pracht zum
Glauben erforderlich sei, sie hatte die heilige Inquisition
verurteilt und ihn gefragt, warum er sich daran mitschuldig
mache, sie hatte von Marias jungfräulicher Empfängnis gesprochen,
diese bezweifelt und anschließend wissen wollen,
wie schwer es einem Gottesmann fiele, sich der Fleischeslust
zu enthalten.
Das alles und mehr hatte sie gefragt, und Pater Alfredo hatte
ihr immer wieder klarzumachen versucht, dass die Beichte
kein Frage-und-Antwort-Spiel war, sondern das Bekenntnis
der eigenen Verfehlungen.
Ein paarmal hatte er aufstehen und das fruchtlose Gespräch
abbrechen wollen, doch er war stets sitzengeblieben. Die
Fremde war zweifellos eine ungewöhnliche Frau, intelligent
und eloquent, aber auch unbeherrscht und angriffslustig.
War sie auch gläubig? Das herauszufinden und ihr die
Beichte abzunehmen, stellte eine Herausforderung dar, die
Geduld und einen wachen Geist erforderte.
Er hatte sich selbst ermahnt, nicht die acedia, die siebte
Todsünde, zu begehen, welche die Trägheit des Geistes
anprangerte, dazu die Faulheit, die Feigheit, die Ignoranz.
Alle diese Teufelseigenschaften wollte er sich nicht
selbst vorwerfen müssen. Vielleicht hatte die Unbekannte
nur Angst, sich zu offenbaren? Vielleicht wollte Gott ihn
nur auf die Probe stellen? Seine Langmut? Sein Verständnis?
Er seufzte. Wie viel Zeit war mittlerweile vergangen? Eine
Stunde, zwei Stunden? Im Dunkel des Beichtstuhls verlor
sich das Gefühl für Zeit. Alle Sinne vereinigten sich zu einem
einzigen - dem Gehör.
Er konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe und fragte
in möglichst festem Ton: »Zum letzten Mal: Wollt Ihr nun
beichten oder nicht?«
»Wie heißt Ihr eigentlich?«
»Ich bin Pater Alfredo, aber um das zu erfahren, seid Ihr
nicht hier.« Pater Alfredo wurde immer unruhiger, er dachte
an die Predigt, die er morgen halten wollte, und daran,
dass er sie noch überarbeiten musste. Sie sollte brillant werden,
denn es war eine Ehre, die Messe am Sonntag halten zu
dürfen. Nicht jeder Pater durfte das, häufig taten es Höhergestellte,
Berufenere und manchmal sogar der Erzbischof
Antonio Zapata y Cisneros persönlich. »Wollt Ihr nun
beichten oder nicht, meine Tochter?«
Ein spöttisches Lachen war die Antwort. »Ich bin nicht
Eure Tochter, Pater. Wenn ich es wäre, hättet Ihr den Zölibat
gebrochen, und das habt Ihr doch wohl nicht?«
Pater Alfredo erstarrte. Er war bemüht, Geduld zu üben,
aber nicht gewillt, sich Unverschämtheiten anzuhören.
»Ich glaube, es ist besser, Ihr verlasst jetzt das Haus Gottes
«, sagte er zornig.
»Ich bin das letzte Mal als Kind zur Beichte gegangen, Pater.
Und normalerweise wäre ich auch heute nicht gekommen.«
Pater Alfredo horchte auf. Es war ein anderer Ton, der da
plötzlich durch die Trennwand klang. Sollte seine Langmut
sich doch auszahlen? »Warum seid Ihr heute hier?«, fragte
er.
»Weil meine Mutter es so wollte.«
»Eure Mutter wollte es?«
»Ja, sie sitzt draußen in der Kutsche und wartet dort auf
mich, denn sie ist gebrechlich.«
Pater Alfredo überlegte. »Ich vermute, Eure Mutter wollte
schon öfter, dass Ihr zur Beichte geht, warum habt Ihr erst
heute auf sie gehört?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen.«
»Darüber müsst Ihr sprechen.«
»Nun gut, seid Ihr sicher, dass kein Sterbenswort aus diesem
Kasten an die Öffentlichkeit dringt?«
Pater Alfredo spürte erneut Unmut. »Alles, was Ihr sagt,
sagt Ihr sub rosa, also unter der Rose. Die geschnitzte Rose
schmückt diesen ›Kasten‹, wie Ihr ihn zu nennen beliebt, in
üppiger Pracht und ist das Zeichen der Verschwiegenheit.
Seid versichert, ich werde das Beichtgeheimnis in jedem
Fall wahren.«
»Nun gut, ich glaube Euch. Ich will noch heute an Bord
eines Schiffs gehen, das mich in die Spanischen Niederlande
bringt.«
»Aha. Und weiter?«
»Ich bin Seiner Exzellenz Paolo Farnese, einem Neffen des
Herzogs von Parma, versprochen. Ich werde ihn heiraten.«
»Und nehmt dies zum Anlass, Eure Seele zu reinigen, bevor
Ihr die gefährliche Reise antretet. Das nenne ich gottgefällig
«, ergänzte Pater Alfredo. Er war sehr zufrieden mit
sich. Geduld zahlte sich am Ende doch aus.
»Ich höre«, sagte er.
Besuchen Sie uns im Internet:
www.weltbild.de
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2009 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur
Nachf. GmbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Bridgeman Art Library, Berlin
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9704-2
2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
... weniger
Autoren-Porträt von Wolf Serno
Wolf Serno arbeitete 30 Jahre als Texter und Creative Director in der Werbung. Er zählt zu seinen Hobbys "viel lesen, weit reisen, gut essen" und lebt mit seiner Frau und seinen Hunden in Hamburg und in Nordjütland/Dänemark.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolf Serno
- 2010, 648 Seiten, Maße: 13 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 382899704X
- ISBN-13: 9783828997042
Kommentare zu "Die Liebe des Wanderchirurgen"
5 von 5 Sternen
5 Sterne 3Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Liebe des Wanderchirurgen".
Kommentar verfassen